Amnesia von dani (Wenn die Erinnerung streikt) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- ~Aoi POV~ „Verdammt straffer Zeitplan“, dachte ich mir nur, als Kai uns diesen vorlegte. Es war alles mit Farben markiert und haargenau aufgeteilt, damit auch ja keine Sekunde verloren gehen konnte. Dabei wusste er genau, dass jeder in seinem eigenen Tempo arbeitete. Es gab Tage, an denen funktionierte alles! Man spielte seinen Part zwei, drei Mal und er war perfekt, man war stolz auf die Leistung und konnte voller Elan an weitere Arbeiten gehen. Kai machte uns zwar den Leader, was aber nicht hieß, dass wir ihn mit dem ganzen Zeug versauern ließen. Ich half ihm gerne, wenn er mich darum bat. Uruha war auch sehr hilfsbereit, immerhin wusste er aus eigener Erfahrung, was dieser Posten mit sich brachte. Als wir die Band gegründet hatten, war er so etwas wie der Leader gewesen. Nur hatten wir damals niemanden wirklich explizit auf diesen Posten gewählt. Aber es war immer er gewesen, der alles im Griff zu haben schien und uns laufend ermunterte unsere Träume niemals aufzugeben, auch wenn es noch so schlecht lief. Es kam öfter vor, dass wir sogar im Bus für die Instrumente schlafen mussten, weil wir kein Geld für ein Hotelzimmer hatten. Und auch hier hatte er nur gemeint, dass wir eines Tages daran zurückdenken werden, wenn wir in Luxussuiten wohnten. Tatsächlich war es so gekommen. Im Nachhinein war ich überzeugt davon, dass man nur etwas erreichen kann, wenn man sich hohe Maßstäbe setzt und versucht darauf hinzuarbeiten. Manchmal dauert es lange bis man dort ankommt, aber mit einem Ziel vor Augen kommt man dort an. Und dann gab es Tage, die waren einfach nur mies. So, als würde sich das Schicksal mit all seiner Macht gegen einen stellen. Man hatte verschlafen, hatte Rückenschmerzen, verpasste den Bus, wurde gestraft, weil man sich das falsche Ticket ausgedruckt hat und kam zu spät zur Arbeit. Man war nicht zufrieden mit sich selbst, mit dem Rhythmus, mit der Melodie. Nichts schien zusammen zu passen. Das waren die Tage an denen Kopfschmerzen auf dem Programm standen. Tage an denen man genervt nach Hause ging und sich darauf freute endlich dem Alltag zu entkommen. Meistens waren es auch die Tage an denen ich mich mit Uruha stritt. Einfach weil wir beide müde waren und er sehr wohl ein Biest sein konnte. Es waren Tage, an denen man einfach besser im Bett bleiben und weiterschlafen hätte sollen. Dieser Tag war einer der Dreckstage an denen ich nichts auf die Reihe bekam. Selbst das Solo, das ich sonst ohne Probleme spielte, machte mir extreme Schwierigkeiten. Immer wieder baute ich Fehler ein, vergaß Töne, den Rhythmus oder meine Finger waren zu langsam. Mit jedem Fehlversuch brodelte die Wut immer mehr in mir. Vor allem, weil ich abbrechen und alles von vorne spielen musste. Nach beinahe fünf Stunden im Studio (Reita hatte einen guten Tag und ich war früher dran), musste Kai mich nach draußen zerren, damit ich einsah, dass es für heute einfach reichte. Hey, ich bin Perfektionist! „Lass es mich noch ein Mal probieren, bitte!!“, flehte ich unseren Drummer an und fächerte mir Luft zu. Im Proberaum war es heiß wie in einer Sauna. Ich war knapp davor der Versuchung zu unterliegen mich bis auf die Shorts auszuziehen. Er warf mir nur einen kurzen, musternden Blick zu und schüttelte den Kopf. „Das hast du vor deinen letzten beiden Versuchen auch schon gesagt!“ „Kai, komm schon. Ein Mal! Wenn es nicht klappt, lass ich es wirklich!“ Er stöhnte leise und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare. Dann stemmte er seine Hände in die Seiten und erwiderte meinen Blick ernst. „Denkst du immer noch, dass es was wird? Aoi, du versuchst dich schon das hundertste Mal am Solo. Wirklich, fünf Stunden hintereinander ist zu viel! Das weißt du selbst. Du kannst dich immer weniger konzentrieren und machst dich verrückt, weil du glaubst, dass es das nächste Mal besser wird! Setz dich hin, leg die Beine hoch, trink einen Kaffee und versuch‘s morgen wieder!“ Leader-sama hatte gesprochen und das war, der Tonlage nach, definitiv sein letztes Wort. Vermutlich weil er wusste wie es enden konnte, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte und es nicht funktionierte. Außerdem hatte ich bereits Kopfschmerzen und stand knapp vor der Explosion. „Uruha! Dein Mann braucht seelische Unterstützung! Mach was!“ Etwas leidend verzog ich das Gesicht und sah erst auf, als Uruha mir die Gitarre aus den Händen nahm und sie in den dafür vorgesehenen Ständer stellte. Kai wandte sich ab – offensichtlich froh darüber, dass Uruha sich um mich kümmerte. Er hauchte mir einfach einen Kuss auf die Lippen und streichelte genüsslich über meine Brust. Seine Finger hakten sich in die Schnallen und Bänder an der Seite des Shirts. Nachdrücklich zog er mich daran an sich heran, sodass sich unsere Brustkörbe berührten. „Weißt du eigentlich wie heiß du in diesem Shirt aussiehst?“, fragte er. Ein deprimierter Seufzer entkam mir. Doch ich schlang meine Arme um ihn und zog ihn fester an mich, was ihn zum Grinsen brachte. „Sei nicht sauer“, flüsterte seine melodische Stimme, als er sich wieder von mir löste und mich lächelnd ansah. Er selbst musste erst morgen aufnehmen – sein Glück. „Komm schon … jeder hat mal einen schlechten Tag!“ „Ja aber warum muss ich der Einzige sein, der heute seinen schlechten Tag hat?“, motzte ich und folgte ihm in den Proberaum. Der Blick, den er mir zuwarf wirkte verletzt. Ach verdammt. Jetzt hatte ich es auch noch geschafft Uruha sauer zu machen. „Entschuldigung! Ich wollte dich nicht so anfahren!“ Warum sollte ich ihm die kalte Schulter zeigen und sauer sein, wenn er doch absolut gar nichts dafür konnte? „Ist schon gut. Ich versteh es ja! Wir sind im Moment alle etwas gestresst.“ Ich grummelte leise, ließ mich aber von ihm noch einmal küssen und lümmelte mich dann aufs Sofa. Er drückte mir einen Kaffeebecher in die Hand (woher der kam wusste ich nicht, immerhin war unsere Kaffeemaschine hinüber) und setzte sich dann so, dass ich mich an ihn lehnen konnte. Das Schöne an unserer Beziehung war, dass sie sehr ausgeglichen war. Wir ergänzten uns in einigen Dingen wunderbar und gerade in solchen Momenten konnte ich mich einfach an ihn lehnen und meinen Frust im Kaffee ertränken. „Wenn das alles vorbei ist, können wir ja einen Onsen besuchen“, schlug er dann nachdenklich vor. „So dringend brauche ich die Erholung nun auch wieder nicht!“ Er hob seine Augenbrauen. „Warum? Was hast du denn dagegen?“ Ich warf ihm einen Blick zu, der deutlich besagte, dass er sich das selbst ausrechnen konnte. „Erstens sitzen da nur alte Kerle herum, die einen Gesprächspartner für ihre Altersgebrechen suchen und die ich anscheinend jedes Mal wie ein Magnet anziehe. Bei aller Liebe Uruha, da komme ich mit Sicherheit nicht mit!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Und Zweitens?“ Ich runzelte die Stirn. „Zweitens mag ich es nicht mit fremden Leuten nackt in einer Quelle herumzuplanschen.“ „Und wenn nur wir beide gehen?“ „Uruha, lass es sein! Ich will in keinen Onsen!“ Damit war für mich das Thema auch erledigt. „Wir könnten auch nach Kyoto fahren oder zu deinen Eltern!“ Ich schüttelte nur lächelnd den Kopf und ließ ihn weiterhin seinen Urlaubsträumen nachhängen. Ruki saß immer noch am Laptop, hatte sich dieses Mal allerdings ein Keyboard dazu geschaltet und ging ein paar Akkorde durch. Leise begann er zu summen und nickte zufrieden. Anscheinend hatte er gerade auch einen seiner guten Tage. Verflucht! Uruha zupfte an meinen Haaren und begann meinen Nacken zu massieren. Dieser Bastard wusste ganz genau wie er mich dazu brachte zu entspannen. Das wussten alle anderen auch, weshalb immer Uruha geholt wurde, wenn ich sauer wurde (was nicht oft war). Sie verglichen mich nur gerne mit einem Vulkan. Der war auch sehr lange ruhig, aber wenn er mal loslegte hinterließ er eine Spur der Zerstörung. Ich schloss die Augen und hörte Ruki dabei zu, wie er hin und wieder ein paar Töne mitsang und dann wieder auf dem Laptop herumtippte. Die Stille war … angenehm und da Uruha mich eine Weile durchknetete besserten sich meine Kopfschmerzen und meine Laune merklich – wobei mir da gleich noch mehr Dinge in den Kopf kamen, die mir Spaß machen würden (zusammen mit ihm natürlich). Lächelnd hatte ich damit begonnen über seinen Hals zu küssen und leckte ihm über die Lippen, als er sich zu mir beugte um sich einen Kuss abzuholen, der etwas ausartete. Ruki lehnte sich zurück und sah uns nachdenklich an. „Könnt ihr mal eine Gitarre holen? Mir ist da was eingefallen, was unseren Problemsong angeht“, forderte er uns auf. Nun wie war das mit meiner guten Laune? Aber ok. Immerhin sollten wir arbeiten und die anderen waren eigentlich sehr tolerant, was Uruha und mich betraf. Daher erhob ich mich um meine Gitarre zu holen – inklusive Kabel, versteht sich. Ruki verband sie durch einen Adapter mit dem Laptop, zog die Kopfhörer aus dem Kopfhörereingang und steckte die großen Boxen an. Ich begann zu grinsen. Ja das gab mit Sicherheit einen guten Sound. Der Sänger sah uns abwartend an und drückte dann auf die Play-Taste. Gleich darauf erklangen die ersten Takte des Songs. „Ist das dein Part oder die Melodie zu deinem Part?“, fragte ich schließlich und Uruha rutschte näher heran um auf den Bildschirm sehen zu können, während ich versuchte den Teil mitzuspielen. „Moment!“ Ruki tippte wieder etwas ein und schon legten sich weitere Stimmen über die Erste. „Das ist mein Part“, sagte er und tippte auf die Zeile. „Und das die Melodie, wie ich sie mir ungefähr vorstelle!“ Sein Finger zeigte auf die unteren Zeilen. Verstehend nickte ich und grinste leicht – die Melodie ging ins Ohr. Sehr schön! Uruha begann auf seinem und meinem Schoß mitzuklopfen und lachte leise auf. „Ich sollte Schlagzeuger werden!“ „Finger weg, das ist mein Job!“, kam es von Kai. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass er durch die Tür geschlüpft war. Dementsprechend überrascht reagierte ich auch. Der Drummer schmiss gerade sein zusammengeknülltes, verschwitztes T-Shirt in die Richtung seiner Tasche und setzte sich an seine Drums. „Ah, gut dass du wieder hier bist. Warst du gerade bei den Aufnahmen dran?“, fragte Ruki nach und drehte die Boxen lauter, damit Kai mithören konnte. Er griff Uruhas Rhythmus auf und begann zu spielen. „Ja … und ich hatte Glück, dass ich bei dem Song nicht so hart arbeiten muss! Da unten ist es heiß, wie in einer Sauna. Kein Wunder, dass du so fertig warst, Aoi!“ Ich wusste genau, was er mit Sauna meinte. Irgendein Idiot hatte die Heizung bis zum Anschlag hochgedreht! Blöderweise konnte man während der Aufnahmen kein Fenster öffnen und so was wie eine Klimaanlage gab es leider auch nicht. „Ich hatte auch Anwandlungen von einem Bad Day“, meinte der Drummer etwas verspätet und zuckte mit den Schultern, während er auf das Becken eindrosch. Ha! Also schien er sich auch abreagieren zu müssen. Wenigstens war ich nicht der Einzige. Meine Finger glitten immer noch über die Saiten der Gitarre, während ich Kai zuhörte. „Naja ich denke weniger, dass es am Schlagzeug liegt. Vielleicht sollte man mal ein Bass-Solo einbauen. Möglich wäre es auch den Solopart mit den Gitarren aufzugreifen“, erklärte ich schließlich, nachdem ich mir den Teil das dritte Mal angehört hatte. Uruha nickte zustimmend und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare um sie nach hinten zu streichen und dann mit einem Haargummi zusammenzubinden. „Die Stelle da wäre perfekt für einen Wechsel“, sagte Reita dann und deutete darauf. Ruki nickte nur bedächtig. „Was haltet ihr davon hier Triolen einzubauen? Das würde dem Ganzen ein bisschen mehr Schwung geben!“ Wir tüftelten weitere zwei Stunden an diesem Teil herum, bis wir endlich halbwegs zufrieden waren. Vor allem auch Ruki, der endlich meinte der Song hätte Seele. „Wir werden noch ein bisschen daran feilen müssen, aber so können wir ihn erstmal stehen lassen!“, meinte der Vocal und streckte sich leicht. Wir waren gerade dabei unsere Taschen zu packen, als unser Manager etwas zerknirscht in den Raum lugte. „Leute es tut mir wirklich leid, aber ich sollte euch noch zum Meeting abholen!“ Ruki hob die Augenbrauen. „Wir haben heute ein Meeting?“ Unser Manager schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Ich hatte eines mit den ganz großen Bossen, wegen des Albums.“ Kai schüttelte den Kopf. „Davon wusste ich gar nichts. Ist es nötig, dass alle mitkommen, oder reicht es, wenn ich da bleibe?“ Das war einer der Momente, in dem ich dafür dankbar war, dass Kai eine so verdammt gute Seele hatte. Ich wollte nur noch nach Hause. Kein bescheuertes Meeting mit versnobten Idioten, die meinten generell alles besser zu wissen. Dass sich unser Leader hier anbot, damit wir schneller nach Hause kamen war klasse und eigentlich nichts Neues. Er würde morgen von mir als Danke definitiv noch einen Kaffee bekommen. Doch unser Manager machte die Hoffnungen zunichte indem er den Kopf schüttelte und meinte, dass alle antanzen mussten. „Wer ist denn alles da?“, fragte Ruki etwas genervt. „Nur Morishita-san und Sotooka-san!” Bei der Nennung des letzten Namens wurde mir flau im Magen. Ich konnte diesen Kerl absolut nicht leiden. Er mischte sich überall ein, hatte aber keine Ahnung vom Geschäft. Seine Interessen schienen sich mit den unseren nie zu decken und wenn er etwas zu bemängeln hatte trug er es immer auf der persönlichen und nicht auf der Sachebene aus. „Na klasse. Vom Regen in die Traufe!“, entkam es mir, was mir von meinen Bandkollegen amüsierte Blicke einbrachte. Sie wussten ja alle, wie ich zu Sotooka-san stand. Allerdings beruhte das auf Gegenseitigkeit. Er konnte mich wohl genauso wenig ausstehen. Traufe beschrieb es auch ganz gut. Zuerst wurde ewig über die Songauswahl des Albums diskutiert. Wenigstens war Ruki hierbei stur genug um sich nicht ins Handwerk pfuschen zu lassen, sodass ich mich hier nicht groß einzuschalten brauchte. Anschließend debattierten sie ewig über die nächsten Termine, weil Uruha angemerkt hatte, dass es zu Terminkollisionen kam, da man uns plötzlich mehrere Interviews dazwischen schieben wollte, die anscheinend sehr wichtig waren. Den zusätzlichen Fototermin konnte Kai ihnen gerade noch ausreden. Das war der Grund, warum er der Leader war. Ich wäre vermutlich explodiert nach diesem Tag. Er brachte nur sachdienliche Anmerkungen und die kamen von selbst drauf, dass es für uns nicht machbar sein würde. Uruha hatte seine Hand auf meinem Oberschenkel geparkt und streichelte immer wieder darüber, was mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte. Zwar war ich zu müde um das Wort Sex auch nur zu denken, allerdings hieß das ja nicht, dass man nicht genießen konnte, was einem so gegeben wurde, oder? Wenigstens passte er auf was gesprochen wurde. Zur Halbzeit hatte ich mich bereits aus dem Gespräch ausgeklinkt, nickte ab und an, wenn die anderen nickten und brachte ab und zu etwas Nichtssagendes in das Gespräch ein. Man hätte genauso gut über den Untergang der Welt, oder eine Kochsendung sprechen können – meine Kommentare hätten überall dazu gepasst. Ich war sogar so weggetreten, dass ich erst bemerkte, dass mir jemand ein Glas Wasser hingestellt hatte, nachdem ich es bereits leer getrunken hatte. Sotooka-sans hämisches Grinsen ignorierte ich. Sollte er sich ruhig darüber freuen, dass ich ausnahmsweise müdigkeitsbedingt die Klappe hielt. Dafür würde er das nächste Mal für jeden dämlichen Kommentar eine passende Antwort bekommen. Glücklicherweise konnten wir nach dem Meeting endlich nach Hause fahren. Es war bereits 10 Uhr am Abend und ich wollte nur noch mein Bett und meine Ruhe – na ja und vielleicht ein Bad zusammen mit Uruha. Immerhin brauchte ich Entspannung. Ich schnappte mir gerade meine Tasche, als Sotooka-san mich aufhielt. „Ich habe Ihnen heute zugehört …“, begann er und ich wusste in diesem Moment, dass ich noch einen Dämpfer bekommen würde. So war es auch – ein mächtiger Dämpfer. Und es brachte auch nichts, dass unser Manager sich einzuwerfen traute, dass es sich bei gefühlten 100 Grad schlecht spielen ließ und dass jeder mal einen schlechten Tag haben konnte. Ja, das war meiner gewesen und es war weder eine 4 noch eine 9 im Datum vorhanden. In den westlichen Kulturen gab es das Phänomen des Freitag des 13ten. Tja wir hatten auch keinen Freitag und auch keinen 13ten. Ich musste mir wohl was anderes einfallen lassen. Mit stoischer Miene ließ ich das Donnerwetter über mich ergehen, drehte mich dann einfach um und folgte Uruha zum Parkplatz hinunter. Auf dem Weg zum Auto machte ich meinem Unmut Luft. Uruha, der neben mir ging, öffnete stumm den Kofferraum und ließ mich einfach schimpfen und fluchen, während er mir meine Tasche abnahm und sie hinein verfrachtete. Besser so, sonst hätte er den Rest abbekommen und das obwohl ich ihn ja eigentlich nicht treffen wollte. „Sehen Sie zu, dass Sie sich das nächste Mal besser konzentrieren ... Das kostet alles Geld … blabla …. Sie sind Profi, da gibt es keine schlechten Tage …“, äffte ich den Kerl nach und setzte mich auf den Fahrersitz. Der Motor sprang wenigstens mit einem leisen Schnurren an und ich fuhr rückwärts aus der Einfahrt. Es regnete immer noch in Strömen, aber es war mir egal. In 15 Minuten wären wir zu Hause und konnten den Abend genießen, so wie es sich auch gehörte. Ich wartete bis sich eine Lücke im Verkehr auftat, rammte den Gang hinein, schaffte es noch rechtzeitig abzubiegen und motzte weiter. „Was bildet der sich eigentlich ein!? Ich sage ihm doch auch nicht, wie er seinen Job zu machen hat! Der ist auch Profi und macht was? Er legt uns noch Interviews an Tagen, an denen wir die Aufnahmen machen müssen!“ Der Ärger kam wieder hoch – vor allem, weil meine Kopfschmerzen schlimmer geworden waren. Zu Hause musste ich mir unbedingt eine Tablette einwerfen, sonst hatte ich morgen eine schlimme Migräne. „Und warum hackt der nur auf diesem verdammten Solo herum!? Dabei haben wir doch endlich unser Problemkind fertig. Er soll sich nicht so anstellen!“ Uruha sah auf die Straße und zuckte zusammen, als ein LKW neben uns vorbeiraste und ein Wasserschwall gegen das Fenster spritzte, aus dem er gerade gesehen hatte. Lange ging meine Schimpftirade sowieso nicht, was übrigens nicht daran lag, dass mir die Schimpfwörter oder das Thema ausgegangen wären. Ich hatte jedoch gewaltige Kopfschmerzen und mir fielen dauernd die Augen zu. Dazu kam, dass es extrem schwierig war zu fahren. Durch den heftigen Regen konnte das Wasser nicht mehr richtig abfließen und staute sich hin und wieder. Das grelle Licht der Straßenlaternen und Neonröhren spiegelte sich in den Pfützen und tat in meinen Augen weh, was meine Kopfschmerzen nur dazu anstachelte noch schlimmer zu werden. Mir entging nicht, dass Uruha einen ernsten Blick auf mich richtete, als ich meinen Daumen und Zeigefinger auf die Nasenwurzel presste. Er selbst wirkte müde und blass im schwachen Licht, das die Straßenlaternen ins Innere des Autos warfen. „Alles in Ordnung?“, fragte er ruhig. Ich nickte leicht und seufzte. „Kopfweh …“ Aber das hatte er schon gewusst. Der Verkehr floss an uns vorbei, schien langsamer zu werden als wir durch die Unterführung fuhren, damit wir nicht den langen Weg oben rum nehmen mussten. Sie führte unter einem Kreisverkehr durch, auf dem vorwiegend LKWs verkehrten, die durch ihre Größe die Unterführung nicht benutzen konnten. Die orangen Lampen, die hin und wieder an den Tunnelwänden angebracht waren, spendeten nur wenig Licht. Mein Blick verschwamm und ich presste kurz die Augen zusammen. Als ich sie öffnete blendeten mich die Scheinwerfer des entgegenkommenden Autos. „Verdammter Trottel, schalt das Fernlicht aus!!“, hörte ich Uruha fauchen, während in meinem Kopf ein wahres Feuerwerk explodierte. Ich konnte meine Augen nicht länger offen halten, presste sie reflexartig zusammen und hob meinen Unterarm an um mich vor dem Licht abzuschirmen. „YUU BREMSEN!!!“, hörte ich Uruha neben mir schreien. Die Panik in seiner Stimme war kaum zu überhören. Ohne nachzudenken sprang ich auf die Bremse und drückte das Pedal voll durch. Augenblicklich blockierten die Reifen. Das Kreischen der Bremsen tat weh in meinen Ohren und endlich sah ich wieder genug um erkennen zu können was los war: Die Unterführung machte einen Bogen und wir rasten direkt auf die Tunnelwand zu. Mit einem Mal lief alles wie in Zeitlupe. So als spielte man einen Film Bild für Bild ab. Ich hörte Uruha neben mir schreien – entsetzt, voller Panik. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor als er sich am Türgriff festklammerte und sich in den Sitz drückte. Die Augen waren geweitet und starr vor Angst. Die Tunnelwand kam immer näher und ich spürte, dass wir plötzlich nicht mehr bremsten, sondern direkt weiter auf die Wand zuschossen. Ich konnte nichts tun. Hilflosigkeit erfasste mich, als ich mit Grauen feststellte, dass die Reifen auf dem Wasser rutschten und keinen Kontakt mehr zum Boden hatten – Aquaplaning. Zuerst zersplitterte der rechte Scheinwerfer. Das Kreischen des Metalls, das an der Wand entlangschrammte übertönte unsere Schreckensschreie. Ich wurde nach vorne geschleudert und im gleichen Moment ging der Airbag auf - auf Uruhas Seite, nicht jedoch auf meiner. Mein Kopf prallte gegen das Lenkrad. Ein lautes Knacken hallte in meinen Ohren nach. Plötzlich verschwanden alle Geräusche um mich herum. Ich rutschte vor, hatte das Gefühl aus dem Sitz zu fliegen und dann war da plötzlich ein Ruck. Der Gurt hielt mich im Sitz und riss mich wieder zurück. Mein Schrei erstarb und wich einem Keuchen im Kampf meiner Lungen um Luft! Ich konnte nicht atmen! Mein Kopf knallte gegen die Kopfstütze und dann gegen den Karosserierahmen. Das Gefühl der Schwerelosigkeit überwältigte mich, als der Wagen zur Seite kippte. Der letzte Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, bevor alle Lichter ausgingen war: Oh mein Gott, ich hab Kouyou umgebracht! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)