Nur mit dir, für dich von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 3: Beobachtung ---------------------- André geleitete General de Jarjayes und Graf von Fersen auf den Hof, wie seine geordnete Pflicht es von ihm verlangte. Die beide Männer unterhielten sich miteinander, ohne ihn großartig zu beachten. Das war normal. Er war ja nur ein Bediensteter. Und wenn er ehrlich war, dann war ihm das auch gerade recht, so unbeachtet zu bleiben. Seine Gedanken beschäftigte sich ohnehin mit Oscar – diesmal intensiver als sonst: Was wäre geschehen, wenn es doch noch zu einem Kuss zwischen ihnen gekommen wäre? Hätte Oscar dies überhaupt zugelassen? Ihr leicht verwirrter Blick, ihre blauen Augen, ihre rosige Wangen und ihre blutroten Lippen hatten so verführerisch ausgesehen...   André konnte es nicht verhindern, dass ihm dabei selbst eine gewisse Röte der Verlegenheit ins Gesicht schoss. Er glaubte noch immer ihren warmen Atem auf seinem Gesicht zu spüren und das bescherte ihm noch zusätzlich eine unartikulierte Hitze in seinem Körper. Er hätte zu gerne gewusst, was Oscar in dem Moment selbst gefühlt hatte... Erging es ihr genauso wie ihm? Oder ließ sie ihre Gefühle erst gar nicht zu?   Eine Kutsche für General de Jarjayes fuhr vor und hinterher führte ein Stallbursche das Pferd des Graf von Fersen an den Zügeln. Reynier verabschiedete sich von dem Grafen, der Kutscher öffnete ihm die Tür und er stieg ein. Von Fersen stieg in den Sattel seines Grauen und fast gleichzeitig machten die beiden Herren sich auf den Weg nach Versailles.   Andrés Aufgabe war somit getan, aber er wollte nicht mehr in das Haus zurück. Seine Großmutter würde ihm bestimmt etwas auferlegen oder irgendwelche Litaneien lesen und das brauchte er gerade am wenigsten! Er legte seinen Kopf in den Nacken und schaute in den Himmel empor. Federleichte, weiße Wolken verdeckten leicht die Sonne und ließen sie nicht so grell scheinen. Ein schönes Wetter – nicht allzu heiß und nicht mehr so kalt wie noch vor einigen Monaten. Es herrschte Frühling und der Sommer stand kurz vor der Tür. Hoffentlich würde das nicht so ein unerträglich heißer Sommer werden wie im letzten Jahr...   André seufzte und machte sich auf den Weg in den Stall. Die Pferde, besonders Oscars und seines, mussten gebürstet und ausgeführt werden. Sein Herz und seine verrücktspielenden Gefühle hatten sich bis hierher zwar etwas gelegt, aber entflammten erneut auf, sobald er wieder an Oscar dachte und wie nahe er ihr heute war. Ob sie etwas von seinen Empfindungen mitbekam? Und hatte sie überhaupt geahnt, dass er beinahe drauf und dran war, sie zu küssen? Ganz sicher nicht. Oscar sah nicht danach aus, dass sie etwas davon wahrgenommen hatte. Sie wirkte, wenn überhaupt, nur etwas über die Situation irritiert, leicht überrascht und wusste offensichtlich nicht damit umzugehen...   André hatte gemerkt, dass in ihr etwas vorgegangen war, aber bestimmt nicht das Gleiche wie in ihm. Es war töricht daran zu glauben, dass sie seine Gefühle jemals erwidern würde! Deren großer Standesunterschied wäre einer der Gründe dafür! Besser, sie würden weiterhin Freunde bleiben! Sonst würde er das auch noch aufs Spiel setzen und das wollte er am allerwenigsten!   In Ruhe und sich viel Zeit nehmend, versorgte André die zwei Pferde und führte sie anschließend hinaus zum Bach, um sie zu bürsten. Die Tiere stiegen ins Wasser, senkten ihre Köpfe und André fuhr dem Schimmel schon mit einer Bürste den Rücken entlang. Dass er dabei beobachtet wurde, wusste er allerdings nicht.   Oscar stand am Fenster ihres Salons und verfolgte jede seiner Bewegungen mit Argusaugen. Er hatte seine Hosenbeine und die Ärmeln seines Hemdes hochgekrempelt und ging sehr konzertiert bei seiner Arbeit vor. Oscar betrachtete die straffen Muskeln seiner Waden und Unterarmen mit einem merkwürdigen Sehnen und Ziehen in ihrer Leistengegend. Die Finger ihrer linken Hand umfassten den Kragen ihres Hemdes am Ausschnitt noch fester, als würde sie damit das heftige Pochen ihres Herzens verhindern können. Und mit den Fingern ihrer Rechten umspielte sie gedankenverloren die Spitzen ihrer Haarlocken.   André...   Seit er heute so nahe bei ihr war, kam er ihr irgendwie anders vor als sonst. Sie konnte dieses kribbelndes und warmes Gefühl nicht beschreiben und erst recht nicht deuten. Ihre Wangen glühten, als André sich mit dem Arm über die Stirn fuhr und damit einen tieferen Einblick in den Ausschnitt seines Hemdes gewährte. Aus ihrer Entfernung war nicht viel zu sehen und doch konnte sie einen Blick auf ein kleines Teil von seinem Brustkorb erhaschen. Dann ging er zu dem Braunen, begann auch ihn zu Bürsten und Oscar konnte ihn nicht mehr genauer betrachten. André stand nun zwischen den maßigen Körpern der beiden Pferde und ihr Schimmel verdeckte die Hälfte seiner Statur. Leises Bedauern stieg in ihr hoch und zeitgleich rief sie sich zur Ordnung. Was auch immer mit ihr gerade durchgegangen war, durfte nicht sein! Sie schrieb diese eigenartige Gefühle der Schwäche ihrer Verletzung zu. Nachdem sie wieder gesund und bei Kräften sein würde, würde wieder alles so sein, wie es bisher war! Also bräuchte sie sich nicht mehr darüber den Kopf zerbrechen. Nicht sie, denn sie war wie ein Mann erzogen worden, hatte einen wichtigen Posten inne und genügend andere Aufgaben, als sich mit irgendwelchen weiblichen Gefühlen herumzuschlagen!   Ein leises Knarzen hinter ihr riss sie in die Gegenwart zurück und Oscar strafte ihre Haltung. Die Tür zu ihrem Salon ging auf und sie drehte sich langsam um. Sophie kam mit einem beladenen Tablett herein und steuerte den Tisch an. „Entschuldigt, Lady Oscar, aber ich konnte meinen Enkel nirgends finden. Deswegen bringe ich Euch Euer Frühstuck.“   „Das macht nichts, Sophie. Danke.“ Oscar setzte sich an ihren Tisch und wartete, bis Sophie das Tablett abgestellt hatte. „André versorgt gerade unsere Pferde im Hof.“   „War er also doch hier gewesen?“ Sophie sah sie überrascht an. Aber gleich besann sie sich ihrer Aufgabe und goss für Oscar Tee ein.   „Nein, er war nicht hier. Ich habe ihn nur gerade aus dem Fenster gesehen“, sagte Oscar, während Sophie die Tasse mit Tee vor sie stellte. Ihre Kinderfrau erwiderte zwar nichts darauf, aber Oscar ahnte, dass André heute höchstwahrscheinlich eine Standpauke erwartete, sobald er seiner Großmutter unter die Augen kam. Oscar überlegte und suchte nach einer Möglichkeit, wie sie ihrem Freund das ersparen könnte. „Sophie, sag André danach Bescheid, er soll unsere Pferde satteln. Ich möchte mit ihm ausreiten.“ Er konnte seiner Großmutter fast nie gerecht werden. Auch wenn Oscar selbst manchmal diejenige war, die den Tadel verdient hatte, musste er trotzdem dafür hinhalten. Das tat ihr leid. Ihr Herz zog sich wehmütig zusammen und es kribbelte ihr wieder unter der Haut. Was war bloß mit ihr los?! Das war genauso wie eben gerade am Fenster oder auch wie vor kurzem, als sie so nah sein Gesicht betrachtet hatte, wie noch nie zuvor.   Sophie richtete sich sogleich auf und stellte das Teekännchen auf das Tablett zurück. Das was ihr Schützling gerade zu tun beabsichtigte, passte ihr ganz und gar nicht. „Ihr könnt doch nicht jetzt schon wieder ausreiten! Bei Eurem Zustand müsstet Ihr eigentlich noch im Bett bleiben!“   Oscar verdrehte die Augen. Sie war es leid, ständig von Sophie bevormundet zu werden – und das auch noch obwohl sie mittlerweile achtzehn Jahre zählte. „Ich fühle mich bestens und ein kleiner Ausritt wird schon nicht schaden.“   „Nein, nein, Lady Oscar, Ihr solltet trotzdem heute auf Eurem Zimmer bleiben und Euch schonen!“ Wenn es um das Wohlergehen ihres Schützlings ging, blieb Sophie meistens hartnäckig.   Oscar zog missmutig ihre Augenbrauen zusammen, stemmte angespannt ihre Hände gegen der Tischplate und erhob sich langsam. „Dann sage ich André selbst Bescheid!“, knurrte sie gereizt und verließ mit großen Schritten ihre Gemächer.   „Aber, Lady Oscar!“ Sophie eilte ihr nach. „Was ist mit Eurem Frühstuck?! Ihr habt doch nichts gegessen!“   „Das kann ich auch nach dem Ausritt machen!“, warf ihr Oscar entnervt zurück und beschleunigte ihren Schritt.   Sophie war schon in kürze außer Atem und war gezwungen, stehen zu bleiben. Ihr Alter machte sich bemerkbar und sie schaffte es nicht mehr so schnell zu laufen. Daher blieb ihr nur, für sich zu schimpfen: „Diese Kinder!“           André führte gerade eines der Pferde in die Box zurück, als Oscar aufgebracht in den Stall hereinstürmte. „Sattle sofort die Pferde, wir machen einen Ausritt!“   „Was ist passiert?“ André schaute sie überrascht und gleichzeitig besorgt an.   „Nichts ist passiert!“ Oscar ging schon selbst an die Wand und holte die Satteldecken für Pferde. Eines davon reichte sie ihrem Freund. „Deine Großmutter will mich am liebsten in Decken einhüllen und im Zimmer einsperren! Aber nicht mit mir! Ich will ausreiten!“   André verstand und schmunzelte. „Wenn das so ist...“ Er nahm die ihm von Oscar gereichte Decke und sattelte dann mit ihr zusammen die Pferde. Seine Großmutter übertrieb es oft mit ihrer Fürsorge, daher konnte er seine Freundin verstehen, wenn diese am liebsten Reißaus nahm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)