Die Erben von NiOniOn (Buch Eins: ANBU) ================================================================================ Kapitel 18: Blut und Tränen I ----------------------------- Die Gewitterfront zog an Konoha vorbei und wütete einige Kilometer südöstlich mit kräftigen Sturmböen und Blitzeinschlägen. Dennoch setzte nach Mitternacht heftiger Regen über dem Dorf ein und hielt an, bis Makani am nächsten Tag die Augen aufschlug. Sie erwachte wie aus einer tiefen Bewusstlosigkeit und brauchte einige Momente, bis sie wieder wusste, wo sie war: Ein helles, freundliches Zimmer mit einem bequemen Bett und großen Fenstern, hinter deren Regen benetzten Scheiben sich verschwommen ein großzügiger Garten abzeichnete. Langsam richtete sie sich auf. Über einem Stuhl neben dem Bett hing ihre Kleidung. Sie war immer noch feucht. Verwirrt sah Makani an sich herunter. Nur sehr vage meinte sie sich zu erinnern, wie sie vergangene Nacht die nassen Sachen ausgezogen, den leichten, viel zu großen Yukata übergeworfen und nachlässig zugebunden hatte – der Knoten hatte sich mittlerweile gelöst. Doch das alles schien wie der Garten hinter den Fenstern hinter einem Schleier aus Regen, Schmerz und Scham zu zerfließen. Während sie den Knoten in ihrem Gürtel erneuerte, begegnete sie ihrem eigenen Blick in einem Spiegel an der Wand. Ein gespenstisch blasses und zerwühltes Gesicht, aus dem rote, geschwollene Augen hervorstachen. Makani wandte sich entschieden ab, verließ das Zimmer und stieg eine Treppe hinunter. Im Flur im Erdgeschoss blieb ihr Blick für einen Moment an der Tür eines Wandschrankes hängen, dann ging sie zögerlich in Richtung Wohnzimmer weiter. „Oh, du bist wach?“ Eine große Frau mit langen schwarzen Haaren und hübschem Gesicht stand mit einem Staubtuch am Hausaltar und lächelte Makani freundlich an. Diese schaute nur verwirrt und etwas erschrocken zurück. „Ach, entschuldige - “ Die Frau lachte leise und verlegen. „ - du kennst mich nicht … Ich bin Nami. Ich kümmere mich seit Kurzem um Jiraiyas Haus. Ich komme aus Urazato. Ich war auch gestern Nacht da, als du hier ankamst, aber du hast mich wahrscheinlich nicht bemerkt.“ Urazato war, soviel Makani wusste, ein Dorf irgendwo an der Küste des Hi no Kuni, keine Ninjasiedlung, sondern einfach ein ganz normales Dorf, ein Fischerdorf. Konoha erhielt regelmäßig Lieferungen von dort. „Äh, wo ist Jiraiya?“, brachte sie nach einem Moment hervor. „Er ist ins Dorf gegangen. Er müsste aber jeden Moment zurück sein. Möchtest du so lange etwas frühstücken?“ Eigentlich wollte Makani ablehnen, aber aus irgendeinem Grund schien die Verbindung zwischen ihren Gedanken und ihrem Mund gerade nicht richtig zu funktionieren und Nami interpretierte ihr Schweigen als Zustimmung. Kurz darauf saß die Kunoichi am Wohnzimmertisch, betrachtete stumm die am Fenster herabrinnenden Tropfen und ließ sich von Jiraiyas Haushälterin Reis, Misosuppe und kalten gegrillten Lachs vorsetzen. Das Gefühl der Verwirrung hatte zwar etwas nachgelassen, trotzdem konnte sie sich immer noch nicht ganz erklären, wie sie hier gelandet war. Was musste ihr alter Sensei gedacht haben, als sie mitten in der Nacht völlig nass und verheult vor seiner Tür gestanden hatte? Aber wenn sie genauer darüber nachdachte – wo hätte sie sonst hingehen können? Im Uchiha-Viertel zu bleiben war jedenfalls absolut undenkbar gewesen … Als Makani Fisch und Reis mit einem sie selbst überraschenden Hunger hinuntergeschlungen hatte und sie sich gerade über die Suppe hermachen wollte, polterte es im Flur und Jiraiya kündigte mit einem dröhnenden „Was ein Sauwetter!“ seine Rückkehr an. Keine Minute später stand er in der Wohnzimmertür, warf seinen nassen Mantel über eine Stuhllehne und kam grinsend auf seinen etwas bedröppelt dreinschauenden Gast zu. „Ja, wusst‘ ich‘s doch! Da fehlt nur etwas Schlaf und ein ordentliches Frühstück und du bist wieder fast die Alte!“ Mit einem wohligen Seufzen ließ er sich auf den Stuhl neben Makani fallen. „Danke, dass ich hier übernachten durfte“, murmelte sie. Wie so oft machte sie offen ausgedrückte Herzlichkeit verlegen, aber sie ahnte, dass sich dies bei Jiraiya bald geben würde, - sie hätte es zwar nicht erwartet, aber die Anwesenheit ihres alten Sensei fühlte sich irgendwie angenehm vertraut an. Dieser winkte auf ihren gemurmelten Dank nur ab: „Ich freue mich, dass meine eigensinnigste Schülerin endlich mal zu Besuch kommt! Obwohl es mir manchmal so vorkommt, als wäre ich damals viel mehr Schüler gewesen als du.“ Er lachte dröhnend und Makani überlegte, ob er sich nicht vielleicht über sie lustig machte. „Jetzt kann ich es dir ja sagen ...“, fuhr er fort. „Als wir damals mit dem Training anfingen, dachte ich, es wäre hoffnungslos mit dir und Akane hätte sich das mit der Begabung für Naturchakra nur eingebildet. Ich habe alles Erdenkliche versucht, nichts wollte funktionieren. Und du hast zwar keinen Ton gesagt, aber es war dir klar vom Gesicht abzulesen, dass du meine Trainingsmethoden absolut bescheuert fandest – nicht leicht auszuhalten als Lehrer sowas, das kannst du glauben! Und dann eines schönen Tages: Zack! Da lief es auf einmal … und ich habe bis heute keine Ahnung, wie oder warum, aber das Chakra floss nur so in Strömen … Hahaha! Seitdem versuche ich immer zu Bedenken, dass jeder Ninja seinen eigenen Weg finden muss. Aber ich muss gestehen, das ist manchmal verflucht schwer, besonders wenn sich Arroganz und Senilität mit zunehmendem Alter vermischen … Hahaha!“ Makani wusste nicht recht, was sie darauf antworten sollte, also sagte sie einfach gar nichts und erwiderte den Blick Jiraiyas lediglich mit der Andeutung eines Lächelns. Doch die Erinnerung an damals stand ihr auf einmal erstaunlich klar vor Augen. Er hatte es geschildert, als sei das alles nicht weiter schwer gewesen … Die fast unerträgliche Frustration, die sie empfunden hatte, als ihr zu Beginn nichts zu gelingen schien, der ihr endlos erschienene Kampf, bis sich dann endlich, endlich etwas bewegte, und die Angst, dass, wenn sie es nicht schaffte, sie nie über den Rang eines Genin hinausgekommen würde, waren bei ihm zu einem schnöden ‚Zack‘ zerronnen ... Verletzter Stolz und Angst, zu versagen. Hatte sie jemals etwas anderes auf ihrem Ninjaweg angetrieben? Kein Wunder, dass man sie fragte, ob sie das wirklich wollte … oder eigentlich: ob solch eine Motivation ausreichte, um sich überhaupt Ninja nennen zu dürfen. Willst du für immer das Leben eines Ninja führen? Um das Stechen abzuwürgen, trank Makani hastig den Rest der kalten Miso-Suppe. „Und kaum drei Jahre später erwische ich dich bei einem ANBU-Einsatz in meinen eigenen vier Wänden! Ich habe ja immer geahnt, dass Hiruzen mich beschatten lässt, aber dass er jetzt schon meine eigenen Schüler auf mein Flirt-Paradies ansetzt …“ Makani fand es etwas irritierend, dass sich der alte Sannin offenbar köstlich über diese Vorstellung zu amüsieren schien. Unsicher fragte sie sich, inwieweit sie befugt war, die Situation aufzuklären, sagte dann aber trotzdem: „Es war nur eine Übung, kein Spionageauftrag! Außerdem glaube ich, dass die Sache mit deinem Manuskript auf Kakashis Mist gewachsen ist.“ „Ist das so?“ Diese Eröffnung schien Jiraiyas Amüsement keinerlei Abbruch zu tun. Er fuhr lediglich fort breit – und nicht im mindesten überrascht – zu grinsen. „Ähm, und ich glaube, es wäre gut … also ich wäre dir dankbar, wenn du es für dich behalten könntest, dass ich bei der ANBU angefangen habe …“, fügte Makani nach kurzem Zögern gedämpft hinzu und sah dabei ausweichend in ihre leere Suppenschale. Sie spürte Jiraiyas aufmerksamen Blick auf sich ruhen, seine alberne Stimmung schien mit einem Mal verflogen. „Wenn du möchtest, werde ich es selbstverständlich für mich behalten. Es hat zugegebener Maßen Vorteile, seine Mitgliedschaft in bestimmten Einheiten auch gegenüber seinem eigenen Dorf geheim zu halten … Man kann sich ja leider nie sicher sein, ob nicht irgendwann einmal Aufträge wie dieser neulich erteilt werden müssen, die keine Übung sind.“ Irgendetwas an Jiraiyes Worten oder an der Art, wie er es gesagt hatte, beunruhigte Makani. „Hast du etwas dagegen, wenn ANBU-Mitglieder ihre Identität geheim halten?“, fragte sie schließlich, woraufhin ihr alter Sensei resigniert lächelnd seufzte. Er schien kurz nachzudenken, dann begann er mit ungewohntem Ernst in der Stimme: „Das ist eine sehr alte Streitfrage, an der sich immer wieder von neuem die Geister scheiden. Ich persönlich denke, es kann gefährlich werden, wenn man nicht weiß, wer für die Aktionen unserer schlagkräftigsten Einheit verantwortlich ist. Immerhin ist das ANBU-Oberhaupt noch verpflichtet seine Identität offen zu legen. Die Reform unseres letzten Hokage hatte das allerdings noch für alle Mitglieder vorgesehen, nachdem es über Jahrzehnte bei Strafe verboten war, sich zu seiner Mitgliedschaft zu bekennen … Du siehst, keine einfache Angelegenheit … Aber versteh mich bitte nicht falsch, Makani. Dein Wunsch ist absolut legitim und ich verstehe deine Lage.“ Spielte er auf ihre Clanzugehörigkeit an? Augenblicklich fühlte sich Makani in die schrecklich beklemmende Szene im Dōjō zurückversetzt, als der Name der Einheit überall durch die Reihen der Anwesenden geisterte, dabei den Kreis immer enger um sie zu ziehen schien, als wäre es ihr eigener Name, der da voller Verachtung geflüstert wurde. Und wieder lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Was für ein Wahnsinn, dass ihre Team-Kollegen sich dieser Situation seit Monaten aussetzten – Nun, immerhin einer von ihnen hatte sich dem für die Zukunft entzogen, allerdings hatte er dafür einen verdammt hohen Preis bezahlt… Aber wie stellte sich Shisui das Ganze vor? Sie würden heiraten, in ihr altes Zuhause ziehen, nachmittags ihren Pflichten als zukünftige Clan-Oberhäupter nachgehen, vormittags gemeinsam mit dem verstoßenen Clan-Erben die Uchihas ausspionieren und anschließend wieder Fugaku darüber Bericht erstatten? Sie wollte lachen, aber stattdessen begannen ihre wunden Augen zu brennen, als sich plötzlich neue salzige Flüssigkeit ihren Weg durch die geschwollenen Kanäle bahnte. Sie biss mit Gewalt die Zähne aufeinander und kniff die Lider zusammen, aber es half nichts. Plötzlich spürte sie Jiraiyas tröstende Hand auf ihrem Arm. Als sie endlich wieder sprechen konnte, erzählte sie. Doch nicht das, was für den Sannin und jeden anderen Dorfbewohner wohl von deutlich größerem Interesse gewesen wäre. Dass der ehrwürdigste Clan und die ehrwürdigste Einheit Konohas sich in einem äußerst unwürdig anmutenden Gerangel um Macht gegenseitig ihren Nachwuchs auf den Hals hetzten – wobei es sich absurder Weise auch noch um die selben Personen handelte – sparte sie vollkommen aus. Sie war sich nicht sicher, ob sie es aus Loyalität ihren Team-Kameraden oder sonst jemandem gegenüber tat und es war ihr in diesem Moment auch irgendwie gleichgültig. Stattdessen erzählte sie, wie das Clan-Oberhaupt sie mitten in der Nacht nach Hause gebracht und in den Rat der Uchihas eingeladen hatte. Sie berichtete von ihrer Aufnahmezeremonie, von Fugakus ‚Heiratsempfehlung‘ und schließlich auch von Shisui und ihr vor dem Haus Mokuren. Sie schilderte es in allen Einzelheiten, auch wenn die Scham sie dabei innerlich zu verbrennen drohte. Aber noch größer war ihre Angst, dass, wenn all diese Dinge nicht ausgesprochen wurden, sie bald unter ihrem Gewicht zusammenbrechen würde. Als sie fertig war, schwiegen die junge Kunoichi und der alte Shinobi für eine Weile. Doch Irgendwann begann Jiraiya unvermittelt zu kichern. Befremdet starrte Makani ihn an. „Entschuldige bitte, Makani. Es ist nur … Ich fasse es nicht, dass Fugaku wirklich glaubt mit so einem fadenscheinigem Unsinn seine Schäfchen zusammenhalten zu können. Und dass er jetzt auch noch das gleiche bei der Tochter versucht, was seinem Vater bei der Mutter nicht gelingen wollte … das sieht ihm ähnlich! Verletzter Uchiha-Stolz verjährt nicht, hätte Akane gesagt. Verdammt, wie recht sie hatte!“ „Wovon redest du?“, unterbrach ihn Makani ungeduldig. Immer noch verärgert, dass er ihre Geschichte offenbar aus irgendeinem Grund ziemlich komisch fand. „Oh, ja, das sieht ihr nun wieder ähnlich, dass sie es dir nie erzählt hat. Na ja, ist ja auch alles wirklich verdammt lange her … Also, als Akane ungefähr so alt war wie du, vielleicht auch etwas älter, wurde sie als erste Kunoichi des Clans überhaupt Jonin. Das hat die Uchihas wohl ganz schön aufgescheucht. Es wurde diskutiert und gestritten, was man mit so einer unerhört talentierten Clan-Tochter denn nun anfangen sollte. Man kam zu dem Schluss, dass es am klügsten wäre, sie besser heute als morgen mit Fugakus Vater, damals angehendes Clan-Oberhaupt, zu verheiraten.“ Makani sah Jiraiya skeptisch an. „Und sie hat abgelehnt?!“ „Und ob sie das hat! Vor dem versammelten Rat“, erwiderte er mit einem selbstzufriedenen Grinsen, beinah als hätte er selbst den Heiratsplänen der Uchihas einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Akane konnte es wunderbar erzählen. Ich versuche es lieber gar nicht erst, aber es muss ein Spektakel gewesen sein.“ „Sie haben es akzeptiert?“ Jiraiya zuckte die Achseln. „Was hätten sie machen sollen? Sie einsperren? Ich weiß nicht genau, was danach passiert ist. Nur, dass Akane für ein paar Jahre das Uchiha-Viertel verlassen und im Dorf gewohnt hat. Oder besser gesagt, war sie ab da an praktisch ununterbrochen auf Mission oder auf Reisen – diesem Lebensstiel blieb sie dann auch treu, als sie wieder in den Clan zurückkehrte. Viel später durfte ich Grünschnabel sie dann ein paar Mal auf ihren Reisen begleiten. Damals, als sie besessen von der Suche nach dem Ursprung war. Es wäre wirklich zu schade gewesen, wenn sie diese Jahre im Uchiha-Viertel versauert wäre! Davon hat sie dir aber erzählt, oder? “ Makani horchte gespannt auf und endlich löste sie sich für einen Moment von ihren düsteren Gedanken, die sich die ganze Zeit um ihre eigene verfahrene Situation gedreht hatten. „Ja, sie hat viele Reisen an alle möglichen Orte unternommen, um herauszufinden, woher das Chakra kommt oder so … so ganz verstanden habe ich es ehrlich gesagt nie und gefunden hat sie diese Quelle wohl eh nicht. Aber ich wusste nicht, dass du sie begleitet hast.“ „Nun, ich glaube nicht, dass sie nichts gefunden hat. Es mag zwar sein, dass es auf manche Dinge keine Antwort gibt. Das heißt aber nicht, dass es sich nicht lohnt, danach zu suchen“, erwiderte Jiraiya und lächelte geheimnisvoll. „Aber ja, ich habe sie eine Zeit lang häufiger begleitet und ich sage dir, es hat sich immer gelohnt.“ „Ich wünschte, ich hätte sie einmal begleiten können.“ Draufhin trat kurz Stille ein. „Ja… Das hätte ihr sicherlich auch gefallen.“ So ganz sicher war sich Makani da nicht, aber es tat trotzdem gut, es gesagt zu bekommen. Sie schenkte Jiraiya ein schwaches Lächeln, wobei sie versuchte nicht all zu Mitleid erregend auszusehen. „Nun, sie begleiten kannst du leider nicht mehr, aber würdest du denn trotzdem gern ein bisschen mehr aus Konoha rauskommen?“, fragte der Sannin, wobei er deutlich großzügiger lächelte als seine ehemalige Schülerin. Diese zuckte nur die Achseln. „Klar, es ist schön, neue Orte und Menschen kennenzulernen“ – jedenfalls stellte sie sich oft vor, dass es schön wäre. Wie hätte eine Mutter wie Akane, die immer viel und gern erzählt und selbst wohl mehr als ihr halbes Leben auf Reisen zugebracht hatte, diese Sehnsucht nicht in ihr wecken können? Doch tatsächlich hatte Makani das Dorf und seine nähere Umgebung in den letzten fünfzehn Jahren kaum ein halbes Dutzend mal verlassen. Ein bisschen bedauerlich kam ihr das manchmal schon vor, aber vielleicht war ja – wie manchmal im Leben – die Vorstellung viel schöner, als es die Realität je sein könnte. Und waren ihr zuletzt nicht genau hier, in jenem Dorf, in dem sie ihr ganzes Leben zugebracht hatte, so viele neue Dinge widerfahren, dass es sie immer wieder von Neuem schier überwältigt hatte? Schön war allerdings definitiv nicht das richtige Wort, um diese jüngsten Erfahrungen zu beschreiben. Schrecklich? Auf das Ende der letzten Nacht und noch auf ein paar andere Momente traf dies vielleicht zu, aber das war nicht alles … „Hmm… dann ist die ANBU vielleicht auf lange Sicht nicht das richtige Betätigungsfeld für dich; die scheinen in letzter Zeit eigentlich nur noch im Dorfgebiet aktiv zu sein“, warf Jiraiya wie beiläufig ein. „Ist das so? Aus welchem Grund?“ Jetzt zuckte er mit den Schultern – für Makanis Geschmack allerdings diesmal eine Spur zu beiläufig. „Woher soll ich wissen, was die höchsten Tiere hier für nötig halten, um die Sicherheit Konohas zu gewährleisten? Ich bin nur ein einfacher Jonin im Ruhestand. Einen Posten bei den Goikenban habe ich abgelehnt, vor Jahren schon. Viel zu anstrengend! Außerdem habe ich schon immer geahnt, dass meine wahre Berufung die Kunst ist … Noch dazu scheint mein eigenes Werk seit neustem als Sicherheitsrisiko eingestuft worden zu sein … Hahahaha!“ Makani musterte den über seinen eigenen Witz feixenden Shinobi skeptisch, entschied sich aber dagegen, dessen beteuerte Ahnungslosigkeit weiter zu hinterfragen, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass die allermeisten Dorfbewohner der Aussage zustimmen würden, dass Jiraiya selbst – auch ohne offiziellen Posten – ein ‚hohes Tier‘ in Konoha war – Aber in diesem Moment erweckte etwas anderes an seiner Aussage ihre Neugier noch stärker: Hielt es ihr Sensei wirklich für möglich, dass die ANBU nicht der richtige Platz für sie sein könnte? Nur aufgrund einer vagen Sehnsucht nach Dingen, von denen sie eigentlich kaum eine Ahnung hatte? „Aber…“, erwiderte sie schließlich, „meinst du nicht auch, dass meine Fähigkeiten prädestiniert sind für die Geheimdienstarbeit? Klar, ein Genie bin ich auf diesem Gebiet wohl auch nicht, aber ist es für Konoha insgesamt nicht die am meisten gewinnbringende Verwendungsmöglichkeit für mich?“ Jiraiya wischte Makanis Einwand mit einer leicht ungeduldigen Handbewegung beiseite. „Mag sein, mag sein … aber nicht immer führt einen diese Herangehensweise auf seinem eigenen Weg weiter. Vielleicht gräbt man sich nur tiefer an der Stelle ein, auf der man schon lange stehengeblieben ist, bis man irgendwann vollends stecken bleibt. Was soll daran für irgend jemanden gewinnbringend sein? Außerdem ... es gibt kein zerrisseneres Leben als das eines Spions. Man sollte diesen Weg nicht gleich beim erstbesten Abzweig wählen.“ Verdammt, Jiraiya mochte gern den Ahnungslosen spielen, aber er schien zumindest ein geradezu hellsichtiges Gespür für Makanis verzwickte Lage zu haben. Hatte sie ihm vielleicht doch zu viel erzählt? „Aber … der Hokage hat mich in die ANBU berufen. Sie werden mich nicht einfach gehen lassen, selbst wenn ich es wollte …“ „Hast du denn gefragt?“ Ungläubig erwiderte sie den abwarteten Blick des Sannin und antwortete: „Nein, selbstverständlich nicht!“ „Woher willst du es dann so genau wissen?“ … weil Itachi es gesagt hatte. Es waren ihre allerersten Tage in der Einheit gewesen und er war ihr Anführer; natürlich hatte sie ihm geglaubt… Aber – konnte es sein, dass es auch von ihm nur eine Annahme gewesen war, die auf seinen eigenen Überzeugungen beruhte? Befehle müssen befolgt, dem Willen des Dorfes muss entsprochen werden! Irgendwann hatte sich ihr Team-Leader offenbar für die ANBU und gegen seinen Clan entschieden und von da an schien alles weitere für ihn absolut eindeutig und das hieß insbesondere, wessen Befehle unbedingt befolgt werden mussten und wessen nicht … Einerseits beneidete sie ihn für diese übermenschliche Entschlusskraft, andererseits war es auch irgendwie unbegreiflich. Und dennoch hatte Itachi ihr damals eine andere Möglichkeit aufgezeigt, wie sie sich dem Ganzen trotzdem noch hätte entziehen können – Doch was für eine?! Indem sie zeigte, dass sie für die ANBU keinen Nutzen hatte … Wenn sie jetzt darüber nachdachte, kam dieses Angebot nicht eigentlich einer Beleidigung gleich? Aber vielleicht war es ja wirklich für ihn die einzig denkbare Möglichkeit gewesen – Doch würde man sie tatsächlich dazu zwingen, in der ANBU zu bleiben, wenn sie explizit um ihre Entlassung bat? Sie konnte sich irgendwie nicht recht vorstellen, dass Koguma so etwas tun würde, selbst wenn irgendwelche alten Gesetze es ihm erlaubten. Doch was würde er, was würden sie alle von ihr denken? Dass sie feige war und sich ihrer Verantwortung entzog? Sie würde ihren – wenn man dem ANBU-Oberhaupt Glauben schenkte – Schicksalsgenossen, den Nenashi, den wichtigen Dienst versagen, stellvertretend für sie Karriere zu machen. Sie würde nicht in den Rang einer Jonin aufsteigen und in ihr so angenehmes wie unbedeutendes Chuninleben zurückkehren. Das sollte der richtige Weg für sie sein? Makani, abermals in tiefen Gedanken versunken, schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte doch schon einmal festgestellt, dass es ein einfaches Zurück für sie nicht mehr geben konnte, oder? … Aber wie in aller Götter Namen kann es bloß weiter gehen? Plötzlich blieb ihr Blick unvermittelt an einer Wanduhr über der Tür zum Flur hängen und, als sie begriff, was sie da sah, sprang sie vor Schreck auf. „Das mit der ANBU-Laufbahn hat sich vielleicht ohnehin erledigt“, rief sie mit leichter Panik in der Stimme „Ich bin heute nicht zum Dienst erschienen …“ Wie neben der Spur war sie denn, dass sie, seit sie aufgewacht war, kein einziges Mal daran gedacht hatte?! Jiraiya, selbst leicht aufgeschreckt durch ihre plötzliche Bewegung, hob beschwichtigend die Hände: „Schon gut, schon gut, Makani. Ich war vorhin im Dorf und habe dich krankgemeldet. Es ist alles in Ordnung; du musst dir keine Sorgen machen!“ Langsam ließ sich Makani wieder auf den Stuhl sinken und sackte schließlich darauf zusammen. Das Ausmaß der Erleichterung, das sie verspürte, erschreckte sie beinah. „Danke“, murmelte sie tonlos. Die Wahrheit lautete wohl, dass ihr nicht mehr viel bleiben würde, wenn sie die ANBU jetzt verließ – oder noch schlimmer, wenn die Einheit sie entließ. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, in ihr altes Team, zu ihren Freunden, zurückzukehren … Sie war von einem auf den anderen Tag verschwunden und mittlerweile seit Monaten nicht mehr aufgetaucht … Was mochten die erst von ihr denken? Realistisch betrachtet blieb ihr dann wohl nur ein Leben in jenem Clan, dem sie vor einiger Zeit bereits einmal den Rücken gekehrt hatte, um ihren eigenen Weg zu finden. Und nun sollte es damit enden, dass sie sich um das Haus Mukoren kümmerte und die Kinder des zukünftigen Oberhauptes darin großzog? - mithilfe von Kindermädchen natürlich! Oh Götter, was hätte Akane nur dazu gesagt? In diesem Moment war Makani das erste Mal für einen kurzen Moment froh, dass ihre Mutter nicht da war … „Hat es dir Spaß gemacht mit Shisui?“, fragte Jiraiya plötzlich und riss Makani damit augenblicklich wieder aus ihren Gedanken. „Was?!“ „Na ja, es geht mich zwar nichts an, aber das Leben eines jungen Ninja lässt normalerweise kaum Platz für Verliebtheiten. Eine Schande, wenn du mich fragst! Umso schöner, wenn sich doch mal etwas ergibt, findest du nicht? Wir könnten definitiv alle etwas mehr Liebe vertragen …“ Er grinste verschmitzt und zwinkerte Makani zu, welche augenblicklich dunkelrot anlief. „Ich … was? Nein, ich glaube… ich habe nichts gegen ihn, ich meine, ich mag ihn schon, er ist nett und so … aber ich … ich kann nicht. Heiraten … das ist doch völlig absurd!“, stammelte sie. „Hey, hey, wer sagt denn, dass ihr das müsst? Wenn es dir Spaß gemacht hat und ihr euch mögt, könnt ihr es genießen – deswegen musst du ihn aber noch lange nicht heiraten, ganz egal, was Fugaku für lächerliche Pläne schmiedet. Der Clan hat es damals verkraftet, dass eine Tochter nicht nach der Pfeife des Rates tanzt, und er wird es wieder verkraften.“ Makani brachte es nicht fertig, ihrem Sensei ins Gesicht zu sehen. Stocksteif saß sie da, den Blick auf ihre Hände geheftet, die sich verzweifelt Halt suchend an ihren eigenen Beinen festkrallten. Nach einer Weile hörte sie Jirayas Stimme, in der viel Mitgefühl, aber auch eine milde Mahnung lagen: „Schäme dich nicht zu viel, Makani. Scham ist ein wunderbares Unterdrückungsinstrument – und so bequem, die Menschen unterdrücken sich einfach selbst …“ Einfach nein sagen… Der ‚Empfehlung‘, wie Fugaku es diplomatisch formuliert hatte, einfach nicht nachkommen. Es klang so banal, aber Makani wusste, das war es nicht. Der Clan würde es mindestens als einen Ausdruck skandalöser Undankbarkeit auffassen, wenn sie dieses in ihren Augen wohl maßlos großzügige Angebot ablehnte. Das Clan-Oberhaupt würde es vielleicht sogar als offene Kampfansage verstehen und, dass sie es damit, wie sie jetzt wusste, ihrer Mutter gleichtun würde, machte es wahrscheinlich nur noch schlimmer. Wäre sie wirklich mutig genug zu rebellieren so wie sie? Eine lächerliche Vorstellung, wenn man bedachte, wie sie gezittert hatte vor der brutalen Autorität Fugakus… Und Shisui? Hatte sie es tatsächlich genossen? Ja … für ungefähr fünfundvierzig Sekunden. Und genau dafür schämte sie sich so sehr, dass es ihr fast körperlich Schmerzen bereitete, denn das Clan-Oberhaut hatte es in der nächsten Sekunde kaltblütig gegen sie verwendet. Und Shisui hatte absolut nichts dagegen unternommen … er war mindestens ebenso feige wie sie! Die Kunoichi spürte, wie heiße Wut in ihr wogte, die in Hass umzuschlagen drohte. „Nein, da ist wirklich kein Platz für Liebe“, murmelte sie finster und musste erneut mit den Tränen kämpfen. „Das ist schade“, erwiderte Jiraiya mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme. Stille breitete sich aus und hielt eine Weile an, bis sie endlich von der sanften Stimme Namis unterbrochen wurde, welche so leise eingetreten war, dass weder die Kunoichi noch der Shinobi es bemerkt hatten: „Entschuldigt bitte die Störung. Ich wollte nur sagen, dass ich jetzt losgehe zum Markt, sonst bekomme ich nicht mehr alles, was wir brauchen.“ Sofort stand Jiraiya auf. „Oh, verdammt, ja, ich wollte dir mit den Einkäufen helfen!“ Er ging auf die Frau aus Urazato zu und, was er als nächstes tat, überraschte Makani so sehr, dass ihre Augen beim Starren ganz groß wurden und ihr der Mund aufklappte: Der Sannin nahm Namis Gesicht in beide Hände und gab ihr einen langen, sanften Kuss auf die Lippen. Diese erwiderte die Geste bereitwillig. So war das also?! Aber sie musste mindestens zwanzig Jahre jünger sein als ihr alter Sensei. Makani spürte, wie ihr erneut das Blut in den Kopf schoss … „Dann sollten wir uns wirklich beeilen, dass wir loskommen. Der Regen scheint auch gerade ein bisschen nachgelassen zu haben“, säuselte Jiraiya und legte Nami einen Arm um die Tailie. „Aber was ist mit Makani? Es macht mir nichts aus, allein zu gehen!“, wandte Nami ein und schenkte der Kunoichi ein freundliches Lächeln. „Nein“, rief diese, wobei sie die Arme so hektisch hochriss, dass sie beinah ihr Frühstücksgeschirr vom Tisch gefegt hätte, „ich komme zurecht. Geht nur!“ Jiraiya schmunzelte. „In Ordnung, Makani. Wir sind bald wieder da. Fühl dich bitte wie zu Hause. Das Zimmer steht dir so lange zur Verfügung, wie du es brauchst.“ „Danke!“ Schon wieder diese verfluchten Tränen! Immer noch am Wohnzimmerfenster sitzend beobachtete Makani, wie Jiraiya und Nami Händchen haltend das Grundstück verließen. Sie fragte sich, ob die beiden auch so über den Marktplatz gehen würden. Das würde garantiert jede Menge Gerede geben. Aber vielleicht gab es das ja ohnehin schon. In den letzten Wochen hatte sie schließlich so gut wie nichts mehr davon mitbekommen, was im Dorf vor sich ging. Und auf einmal wusste Makani, was sie tun wollte: Sie nahm sich vor sich sobald wie nur möglich bei ihren alten Team-Kameraden zu melden. Sie würde sich bei ihnen entschuldigen und ihnen vielleicht sogar einfach sagen, was sie die letzten Wochen getrieben hatte. Denn es war offenbar ganz allein ihre Entscheidung, ob sie ihre ANBU-Mitgliedschaft jemandem anvertraute oder nicht, egal was Itachi oder sonst wer sagte. Aus seiner Perspektive war ein offener Umgang damit natürlich absolut indiskutabel, aber sie hatte das Recht, ihre eigenen Prioritäten zu setzen. Auch wenn es kein einfaches Zurück mehr für sie gab, durfte sie das Leben, das sie sich die letzten zwei Jahre mühsam aufgebaut hatte, nicht einfach wegwerfen – so wie Itachi es mit seinem Leben vor dem Eintritt in die Einheit getan hatte. Ihres mochte dagegen zwar weitaus weniger spektakulär gewesen sein, aber es war ihr Leben. Sollte sie vielleicht sogar jetzt gleich gehen, bevor sie der zaghafte Mut wieder verließ? Ihr Blick schweifte zur Uhr an der Wand. Es war bereits nach sechzehn Uhr… Doch dann fiel ihr plötzlich etwas anderes ein und ihr Magen krampfte sich augenblicklich schmerzhaft zusammen: Fugaku hatte sie für den heutigen Abend zu sich und den Ältesten bestellt, um sie in die Pflichten ihrer neuen Position einzuführen. Ein Teil von ihr hatte verzweifelt gehofft, dass sie die damit verbundene Entscheidung noch ein bisschen länger hätte hinauszögern können, bis sie hoffentlich etwas klarer sah, bis sich wenigstens eine vage Richtung vor ihr abzeichnete, in die sie gehen wollte und die wenigstens halbwegs versprach, nicht in eine Sackgasse oder vollends in den Abgrund zu führen… Aber wenn sie nicht ging, wäre das nichts Geringeres als das erste Zeichen des Widerstands gegen das Clan-Oberhaupt. Sie war sich sicher, dass Fugaku es genau so auffassen würde und es nicht ohne entsprechende Antwort auf sich beruhen lassen würde – und wenn sie ging, musste sie ihm gleich klar ins Gesicht sagen, dass sie auf gar keinen Fall heiraten würde, oder es würde zu spät sein… In der Kunoichi stieg Panik auf. * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)