Morgen von Ringelstrumpf (Sasuke & Sakura) ================================================================================ Kapitel 1: Augenblick --------------------- Winzig kleine Regentropfen lösen sich aus den Spitzen seines rabenschwarzen Haares, als er seinen Blick nach oben richtet, gen Himmel, in Richtung der erhellten Fensterrahmen des Gebäudes zu seinen Füßen. Sie verschwinden. Irgendwo im Nichts der Nacht zwischen Asphalt und Dunkelheit, vermischen sich mit dem Dreck der Großstadt und all den anderen abertausenden Regentropfen, welche längst und noch immer fallen. Und irgendwo, ganz tief in seinem Inneren, fühlt auch er sich, als würde er fallen. Irgendwie alleine, irgendwie verloren. In der Dunkelheit, die ihn umgibt und die ihn erfüllt und die immer schon da war, seit Jahren. Seit dem er denken kann. Er hatte versucht, wegzulaufen. Vor dem Dreck der Stadt, vor dem Gebäude vor ihm, vor der Dunkelheit, vor den Regentropfen. Vor allem vor ihr, aber ganz besonders vor seinen Gefühlen, welche er noch nie einschätzen konnte und welche er so lange verraten hatte. Und es irgendwie irgendwo noch immer tat. Denn ansonsten würde er den Schritt wagen. Aus dem Regen heraus, durch die gläserne Tür vor ihm, wo ihn Wärme und Licht erwartet, aber er hat Angst. Angst davor, die Schwere in ihm zurückzulassen und sich neu zu finden. Zu lange hat er in Schwärze gelebt, zu sehr ist sie ein Teil von ihm geworden. Die Vorstellung, ein anderer Mensch zu sein, der lachen und leben und genießen kann. Lieben. Diese Vorstellung quält ihn und schlägt ihn beinahe wieder in die Flucht. So wie sie es bereits vor Jahren getan hat. Vor fünf Jahren, um genau zu sein. Auf den Tag genau. Ist er durch die gläserne Tür vor ihm geschritten. Mit nichts als einer Reisetasche und einem Flugticket. Ein festgefasster Plan in all der Planlosigkeit seines Lebens. Er war fortgegangen. Weggelaufen. Vor einem Ich, das er nicht sein wollte. Nicht sein konnte, weil er nicht bereit dazu gewesen war, glücklich zu sein. Weil er es nicht verdient hatte, dachte er. Weil er sie nicht verdient hatte, dachte er. Weil er irgendwie unglücklich sein wollte, denn es war der einzige Zustand, den er immer gekannt hatte. Eine düstere Vertrautheit, die ihn gefangen gehalten hatte in all dem Trübsal der Vergangenheit, in einer Realität, welche schmerzhaft bequem gewesen war. Sie war seine Ausrede gewesen, sich nicht verändern zu müssen. Nicht voranschreiten zu müssen. Im Nachhinein wusste er, er hatte es sich einfach gemacht mit dieser Ausrede. Er hatte es sich einfach gemacht mit seinem Leben in der Vergangenheit, in welchem es nur einen Rückspiegel gegeben hatte, um ja nicht aus den Augen zu verlieren, was einmal gewesen war. Blind für das vor ihm. Er hatte es nie geschafft, den Kopf zu drehen. In andere Richtungen, aber vor allem nach vorne. Wo er vermutlich sie gesehen hätte, aber das hatte er nicht gewollt. Er hatte sich selbst wehtun wollen, mit den Bildern der Vergangenheit. Mit den Bildern seiner Eltern, seiner Familie, welche er abgeschlachtet, leblos in ihrem Familienanwesen aufgefunden hatte. Mit den Bildern, welche so herrlich wehgetan hatten. Welche ausgleichen sollten, dass er noch immer am Leben war, obwohl er doch eigentlich mit ihnen tot sein sollte. Und weil er es nicht war, weil er nicht geblutet hatte wie sie, weil er nicht gelitten hatte wie sie, machte er es sich zur Aufgabe, jeden Tag genauso zu leben. Erfüllt mit Leid und Schmerz. Um für sein Überleben zu zahlen, um wenigstens ein wenig zu büßen und zu sühnen für seine bloße, atmende Existenz. Und dann war sie in sein Leben getreten. Hatte wie ein rosa Sommersturm das Laub vieler vergangener Herbste in ihm aufgewirbelt und irgendwie sein Innerstes durcheinander gebracht. Er hatte versucht, die Blätter wieder zusammenzufegen, aber irgendwie war ihm die Technik abhanden gekommen, irgendwie hatte er es auch gar nicht richtig hinbekommen wollen, dachte er. So im Nachhinein. Nüchtern betrachtet. Und irgendwann, nach einiger Zeit, nach einer viel zu langen Ewigkeit, hatte es ihm Angst gemacht. Er hatte befürchtet, es verlernt zu haben, Angst zu haben und es verlernt zu haben, zu lieben. Hilflosigkeit. Verzweiflung. Das war nicht das, was er spüren wollte, das waren keine Gefühle, welche er mit sich selbst in Verbindung brachte und bringen wollte. Und deswegen war er gegangen. Weil er den Rückspiegel irgendwie aus den Augen verloren hatte, aber gleichzeitig nicht wusste, in welche Richtung er sonst hätte schauen sollen. Und deswegen war er gegangen. Weil er sich glücklich gefühlt hatte. Ab und an. Und er Glücklichsein nicht verdient hatte. Noch immer ist sein Kopf gen Himmel gewandt, den Blick auf die erhellten Fensterrahmen gerichtet, hinter welchen, irgendwo, sie noch immer wohnt. Aber vermutlich nicht mehr auf ihn wartet und das ist auch okay so, er kann es ja verstehen. Und dennoch hofft er, zwischen all den um ihn herum fallenden Regentropfen und dem Verlorensein und dem Alleinsein und der gläsernen Tür vor ihm, dass sie auf ihn gewartet hat und es noch immer tut. Dumm und töricht. Wie er es gewesen war als Kind und wie er es gewesen war als er ging und sie verließ. Weil sie ihm zu gut getan hatte. Weil sie zu viel und er zu wenig gewesen war. Der Dreck der Großstadt knirscht unter den Sohlen seiner schwarzen Chelsea-Boots, als er einen Schritt tut. Und dann noch einen. Nicht zögerlich, denn das würde nicht zu ihm passen und dennoch ungewohnt langsam, vielleicht ein wenig weniger energisch als sonst. Der Dreck der Großstadt knirscht auch dann noch unter den Sohlen seiner schwarzen Chelsea-Boots, als er durch die gläserne Tür schreitet und auch dann noch, als er den Aufzug betritt und erst als er auf die Nummer ihres Stockwerkes drückt, verstummen sie. Er starrt in den Spiegel vor sich. Sieht sich und mag sich nicht wirklich leiden. Es tut ihm weh, was er getan hat und es tut ihm weh daran zu denken, was er alles verlassen hat vor fünf Jahren, als er so töricht entschieden hat, dass er es nicht verdient hatte glücklich zu sein. Und sie mit dieser Entscheidung ins Unglück gestürzt hatte. Er hatte niemals egoistisch sein wollen, aber er hatte wirklich geglaubt, das Beste und einzig richtige zu tun. Damals. Heute nicht mehr. Heute weiß er irgendwie ungefähr, was er damals angerichtet hat und was er nie wieder gut machen würde können. Das Licht im Flur ist so grell wie das im Fahrstuhl und der einzige Unterschied ist die Stille, welche ihn umfängt und welche von seinen Schritten zerschnitten wird. Er kennt den Weg, ist ihn so oft gegangen, dass auch die Erinnerungen von fünf Jahren dieses Wissen nicht überschreiben hatten können. Er kennt den Weg, welcher viel zu kurz ist, um einen klaren Gedanken zu fassen und Worte zu recht zu legen. Braucht er auch gar nicht. Denn die tausend Male, welche er diesen Moment bereits durchgespielt hat, sind so präsent wie sein von Nässe durchtränktes Shirt, das an seinem Körper klebt wie es seine Vergangenheit noch immer irgendwie tut. Er hat es nie ganz geschafft, sie abzustreifen, aber er hat irgendwie gelernt, mit ihr zu leben und sich zu arrangieren. Sie ist da, sie ist ein Teil von ihm, aber eben auch nicht mehr als das. Ein Teil. Und nicht das Ganze. Er hebt seine Hand, welche sich unerwartet schwer anfühlt, als er seine Fingerknöchel auf das dunkle Holz vor ihm treffen lässt. Der Kontakt tut nicht weh, aber er schärft seine Wahrnehmung. Er hört Geräusche hinter dem dunklen Holz, Schritte, die leichter und weicher klingen als seine und dann verschwindet das Braun der Tür vor ihm und wird ersetzt durch Licht und rosa Haare und grüne Augen und einem erstaunten „Oh“, welches stumm zarte Lippen verlässt. Und noch immer tropft Regen von seinen Haarspitzen, schwer und verloren, gen Boden, aber das kümmert sie nicht, als sie ihre Hände in das tiefe Schwarz vergräbt. Genauso wenig wie die Nässe seines Shirts, als sie ihren Körper gegen den seinen presst, sodass auch ein Blatt Papier nicht hätte zwischen sie gepasst. Ihr Griff ist grob und er kann es verstehen, umschließt sie fest mit seinen Armen, als er sie zurückdrängt. Von dem gleißenden Licht im Flur in die Wärme ihrer Wohnung. Sie sprechen nicht, als hinter ihnen die Tür zufällt und sprechen auch nicht, als sein Mantel und danach der Rest seiner Kleidung ihren Weg auf den Parkettboden unter seinen nun nackten Füßen finden. Er hört nur sein Herz und er möchte glauben, dass er auch ihres hört. Wie sie beide zerbrechen unter der Wucht, mit welcher ihre Lippen aufeinander treffen und wie sie im selben Moment wieder heilen unter der Sanftheit ihrer und seiner Hände auf der Haut des jeweils anderen. Er weiß, sie hat ihm nicht verziehen und er weiß, dass er so unglaublich viel Schaden angerichtet hat, dass ein Leben nicht genug ist, um diesen wieder gut zu machen. Aber er möchte daran nicht denken. Nicht hier und nicht jetzt und am liebsten auch nicht morgen, auch wenn das mehr als unrealistisch ist. Er hatte ganz sicherlich nicht geplant, mit ihr zu schlafen, aber in diesem Moment, jetzt und hier, fühlt es sich wie das einzig Richtige an. Worte hätten nicht genügt, hätten nur mehr verletzt und nur noch mehr zerbrochen und es reicht, wenn eben dies morgen geschieht. Morgen, aber nicht heute. Das warme Licht ihres Wohnzimmers ist schummrig, diffus, aber es reicht, dass er sie und sie ihn in ihrer beider verletzlichen Schönheit erfassen kann. Es reicht, um ihren Fingerkuppen den Weg von seinen Wangenknochen hinab zu seinen Schlüsselbeinen zu weisen und es reicht, dass seine Lippen ihre Schläfe finden, sich sanft auf die weiche und empfindliche Haut legen. Er spürt ihre Finger auf seiner Brust und auf seiner Bauchdecke und zwischen seinen Oberschenkeln und er seufzt leise, lässt Atem auf Gänsehaut treffen und seinen Kopf in ihre Halsbeuge sinken. Genießt die zarte Berührung, welche ihn so sehr erregt und welche ihm so sehr gefehlt hat, dass sein Körper sich vor alldem Kribbeln und Herzklopfen angenehm taub anfühlt. Und er tritt einen Schritt zurück, ihre Hand noch immer zwischen ihnen beiden, bewegungslos, nur ihr Daumen streicht sanft, stetig über pulsierende Haut. Er möchte die Augen schließen, genießen, aber er hat sie lange genug nicht gesehen und deswegen lässt er sich fallen, in das Grün ihrer Augen und es fühlt sich überhaupt nicht alleine und dunkel an. So wie sich Fallen für ihn sonst anfühlt. Er überbrückt die wenigen Zentimeter zwischen ihnen, zieht sie an seine Brust, atmet rosa Haar ein, aber es stört ihn nicht, ist fokussiert auf ihre Lippen, welche weiche Küsse in seine Haut brennen und er weiß, dass er sie liebt. So unendlich sehr, dass er sogar seinen Blick von dem Rückspiegel lösen kann, in welchen er all die Jahre, eigentlich sein ganzes Leben, gesehen hat. Zielgerichtet, nicht orientierungslos, nach vorne. Zu ihr. Seine Lippen streichen über die blasse Haut ihres Scheitels und über wirres Haar und er spürt ihre Arme um seine Taille, wie sie ihn fest umschließen, ihn bitten, nie mehr wieder zu gehen und er legt eine Hand auf ihren Hinterkopf und die andere auf die Mitte ihres Rückens, drückt sie an sich. Gerade feste genug, um ihr zu verstehen zu geben, dass er bleiben wird. Er kann die Erleichterung spüren, welche als schwerer Seufzer auf seine Brust trifft und er kann die Spannung fühlen, welche ihren Körper in diesem Moment verlässt. Sie blickt zu ihm auf und er kann in ihrem Gesicht lesen, was sie möchte. Dass sie ihn möchte. Noch immer, nach all den Jahren, aber dass sie Zeit brauchen wird und er nickt, ganz leicht, nahezu unmerklich und sie begreift. Dass der Rest seines Lebens ihr gehört und dass er den Rest seines Lebens dafür geben wird, sie und ihn und das, was da zwischen ihnen war und noch immer ist, zu heilen. Und sie begreift, dass er es hinnehmen wird, wenn sie ihn morgen anschreien wird und wenn sie morgen weinen wird. Wenn sie ihn morgen vor die Tür setzen und ihn dann wieder hineinlassen wird. Er wird es nicht verzeihen, weil es nichts zu verzeihen gibt, aber er wird es verstehen, weil er weiß wie es ist verlassen zu werden und weil er weiß, dass man manchmal und manchmal oft schreien und weinen muss, um zu lernen, mit dem Schmerz zu leben. Sein Daumen streicht ihre Wirbelsäule hinab und sie presst ihren Unterleib gegen den seinen, entlockt ihrer beiden Lippen ein leises, in Lust getränktes Seufzen und er möchte und sie will keine Zurückhaltung mehr. Nicht jetzt. Nicht hier. Vielleicht später oder irgendwann einmal. Nur nicht hier, auf ihrem Sofa, zwischen weichen Kissen und rauer Wolldecke und sehnsüchtigen Küssen. Zwischen ihren erhitzten Körpern und dem stummen Versprechen, es zu versuchen. Morgen. Er kommt nicht und sie kommt nicht und trotzdem ist er erfüllt von einer unbekannten Zufriedenheit, als sie ihren Arm um ihn legt und er die Wolldecke über die Körper zieht, den Kopf an ihrer Brust vergraben und ihre Finger in seinem wirren rabenschwarzen Haar, welche sanft über seine Kopfhaut streichen. Es fühlt sich nicht direkt nach Zuhause an, aber nach einem richtigen Schritt in die richtige Richtung. Weg von dem Rückspiegel, weg von der Vergangenheit, welche er niemals gänzlich verlassen, aber welche er wenigstens aus den Augen verlieren kann. Morgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)