Zweigeteilt von Augurey ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Was glaubst du eigentlich, in welches Haus wir kommen werden?“   Padma ließ ihren Blick gedankenverloren in das graue, schottischer werdende Wetter und die vorbeirauschenden Landschaften hinter den Scheiben schweifen. Ihre beiläufige, vorsichtige Frage durchbrach kaum das Rattern der Eisenräder auf den Schienen. Und der Rauch, der ab und an die Fenster streifte, mischte sich in ihrer Wahrnehmung mit dem Geschmack der Pappadums und des Chutneys von ihrem Mittagessen, der ihr immer noch auf der Zunge lag. Parvati, die sich in ihr Buch versenkt hatte und es begierig aufzusaugen schien, blickte auf. Padma sah es nicht, die Spiegelung in den Scheiben offenbarte nur Schemen, zu verschwommen für solch eine feine Geste. Die beiden großen Mädchen mit denen sie den Waggon teilten, waren nur zwei graubunte Schatten. Doch sie spürte es. So wie sie, seit sie zurückdenken konnte, jede Regung ihrer Schwester spürte. Keinen Tag in ihrem Leben waren sie je getrennt gewesen. In ihren Hochbetten zuhause meinte Padma oft in der Stille der Nacht Parvatis Herz schlagen zu hören, so nah waren sie einander wie sie es schon vor ihrer Geburt gewesen waren und immerzu hatte die Eine gewusst was in der Anderen vorging wie eine Seele in zwei Köpern. Doch seit einiger Zeit, Padma wusste nicht wie lange schon, ein Jahr vielleicht, war etwas anders. Es fiel ihr immer schwerer in den Augen ihrer Zwillingsschwester zu lesen, sich selbst darin zu finden als wäre der Spiegel ihrer eigenen Seele mit schwarzen Gewitterwolken verhangen. Eine Ahnung wie eine sanfte Brise kitzelte Padmas Geist als sie die Silhouette ihre Schwester in der Scheibe studierte, die in der Regennässe verschwamm. Hinter ihr klappte das Buch zu und riss sie aus ihren Gedanken.     „Ich denke schon, dass es Gryffindor sein wird“,  murmelte Parvati, ein wenig unsicher. Doch nicht unsicher genug, um Padma nicht aufhorchen und sich umdrehen zu lassen.   „Meinst du wirklich, Pav?“, erwiderte sie zweifelnd. Für einen Augenblick hingen ihre Worte im Vakuum des Schweigens und Parvati biss sich auf die Lippe als läge es etwas Gefährliches in ihrer Antwort. Wochenlang hatten Padma und ihre Zwillingsschwester nun schon über diese Frage gerätselt und sich tausend Geschichten einfallen lassen, bis dahin, dass nur für sie ein neues Hogwartshaus eröffnet würde, mit Orange und Kupfer als Flagge und mit einem schimmernden Skarabäus als Wappentier. Doch nie war ihr Kopfzerbrechen so ernst gewesen wie in diesem Moment. Wann immer Padma bisher gefragt hatte, was sie wirklich glaube, hatte Paravati sachte den Kopf geschüttelt und wortlos geflüstert: Ich weiß es nicht, Pad. Jetzt aber, da sie sich Weiche um Weiche näherten, lag etwas in ihrem Blick, das Padma Rätsel aufgab und kein Stirnrunzeln durchfurchte ihre Stirn mehr. „Nun, es ist vielleicht das beste Haus“, erklärte Padma schließlich tonlos und fuhr mit dem Finger über ihr Buch, „Mum und Dad wollen bestimmt, dass wir in ein gutes Haus kommen. Alle großen Hexen und Zauberer waren in Gryffindor. Sogar Dumbledore selbst, stand zumindest in einem dieser Schulbücher für Zaubereigeschichte. Ist das nicht spannend?“  „Ich weiß nicht“, meinte Padma, betrachtete einen Moment lang das gedankenversunkene Profil ihrer Schwetser und studierte mit einem Seitenblick wieder den tristen, schottischen Himmel. Kriegshelden und andere Berühmtheiten waren ihr egal, im Gegensatz zu Paravati, deren Augen seltsam glitzerten. „Es gibt ja noch andere Häuser. Ravenclaw hat auch einen sehr guten Ruf. Vielleicht kommen wir ja nach Ravenclaw“ „Ravenclaw... ?“, fragte Pavarti deutlich verwirrt und sah sie mit einem leeren Blick an. Nun war Padma es, die sich beinahe auf die Unterlippe biss und sie wusste nicht einmal, wieso. „Naja…“, murmelte sie, „ In Ravenclaw gibt es sicher viel mehr Bücher, oder?“ Ihre Zwillingsschwester war eine Leseratte - ganz anders als sie, die oft zu viele eigene Gedanken in Kopf mit sich herumtrug, um sich auf die eines anderen einzulassen.  Auch wenn Parvati sie oft nur unter der Bettdecke las, weil sie sich ein wenig dafür schämte, sie heimlich vom Nachttisch ihrer Mutter zu stibitzen, liebte sie nichts mehr als diese Schinken mit den bunten Einbänden, in denen ein gutaussehender Held gegen tausend Gefahren kämpfte und hundert Prüfungen bestand, um seine Liebste vor einem bösen Schurken oder einem grauenhaften Monster zu retten. Wenn ich groß bin, will ich auch von einem Drachen entführt werden und dann so einem Prinzen wie Clavin heiraten, hatte Pavarti neulich erst gesäuselt und Padma meinte dabei, in ihrem entzückt verklärtem Blick den Flammenatem des Untiers und das blitzende Metall der Ritterrüstung zu sehen, von denen ihre Schwester träumte.     Doch… das war es nicht. Beschämt senkte Padma den Blick. Was sie gesagt hatte, war dumm gewesen, eine Ausrede. Bücher gab es in Hogwarts sicher in jedem Haus genug. Etwas anderes stachelte se auf. In Gryffindor regieren Tapferkeit und Mut, so hieß es. Glaubte Paravati wirklich, dass dieses Motto zu ihnen beiden passte?! Sie, Padma, war doch nie sonderlich mutig gewesen! Nicht, dass ihr je groß aufgefallen wäre. Aber seitdem sie über nichts anderes als Hogwarts und die Häuserzuteilung sprachen, ließ es ihr keine Ruhe mehr.  Wenn eine Spinne sich in ihr Zimmer verirrte, war immer sie es gewesen, die quiekend aufsprang, um nach ihrem Vater zu rufen, während Parvati todesmutig das Spielzeug oder Kissen packte und es in die Ecke warf, so dass der Achtbeiner hastig davon krabbelte. Und wenn der Tagesprophet über eine neues magisches Artefakt berichtete und Parvati gleich begeistert von all den Dingen, die sich damit anstellen ließen und den Abenteuern, die das mit sich brächte fantasiere, interessierte sie nichts brennender als wie die Erfindung funktionierte und welches Genie sie gemacht hatte. Wissbegier und Klugheit, das brachte etwas in ihr zum Klingen. Das einzige Buch, das sie besaß, war ihr eigenes Notizbuch, in das sie all ihre Beobachtungen, all ihre Gedanken und all ihre Experimente niederschrieb. Denn wann immer Padma über ungeklärte eine Frage in ihrer Umwelt stolperte, musste sie ihr nachgehen, etwas ausprobieren und lernen. Brannten Kerzen auch unter Glas? Wie hörten sich Geräusche im Wasser an? Hob ein Drachen im Sturm noch ab, wenn eine Puppe in einer Gondel an ihm hing? Die Antwort schrieb sie in ihr kluges Buch, damit sie sie nie vergessen würde. Sie würden nach Ravenclaw kommen, ganz bestimmt. Gryffindor passte nicht zu ihnen beiden, das wusste sie einfach. Nur etwas an Parvati störte Padma wie ein kühler Wind an einem Sommermorgen, der einem die Härchen auf den Armen aufrichtete. Wann war es eigentlich jemals geschehen, dass sie nicht einer Meinung gewesen waren? Es musste lange her sein. Doch jetzt wirkte Parvati so, so… überzeugt. Auch wenn sie kein Wort mehr sprach, Padma spürte es.  Und sie wusste nicht wie sie ihrer dieses Gryffindor-Hirngespinst austreiben konnte ohne sie zu verletzen. Denn dafür liebte sie sie viel zu sehr.   Leise seufzend wandte sich Padma wieder dem Fenster zu wie auch Parvati sich schweigend und mit einem stummen Kopfschütteln wieder in ihr Buch, eines mit einem bunten Bild von einem Mann, einer Frau und einem Drachen auf dem Einband, versenkt hatte. Der Horizont hinter den Scheiben wurde immer nebliger, immer trister und ein leichter Nieselregen setze ein. Für einen Augenblick fühlte Padma wieder den kalten Hauch, der sich um ihre Beine zog, in ihr Herz. Schon rieb sie sich scheinbar fröstelnd die Hände, da durchbrach etwas ihre trüben Gedanken.   „SÜSSIGKEITEN, KÜRBISSAFT!“, polterte jemand auf dem Flur.   Padma reckte den Hals. Der Umriss ihrer Schwester neben ihr tat dasselbe wie ein Spiegelbild. „Ich nehm Bertie Botts Bohnen!“, schrie Padma „Ich nehm Schokofrösche!“, rief Parvati in einem Atemzug. Beide Schwestern rissen die Köpfe herum, starrten einander an, für eine Sekunde nur. Dann, als ihre eigenen Stimmen ihnen in den Ohren dröhnten, brachen sie in schallendes Gelächter aus, so dass die beiden großen Mädchen  im Abteil voller Missbilligung im auf die herabblickten. Doch das war ihnen egal. Die Anderen wussten auch nicht, was gerade geschehen war. Padma aß gar keine Bertie Botts, aber Parvati liebte sie und so war es umgekehrt auch mit Schokofröschen. Sie wunderten sich nicht. Viel zu oft hatten sie solche Momente schon erlebt, ihre Kindheit war erfüllt davon gewesen und in Padma kehrte das Wohlbehagen zurück.   Pavarti legte das Buch beiseite und stand auf, um ihre Einkäufe zu holen. „Lass uns nicht streiten, Pad“, flüsterte sie als sie sich wieder hinsetzte und Padma die Schokolade reichte.  „Kein Streit, versprochen“, erklärte Padma und kuschelte sich an die Schulter ihrer Schwester, die liebevoll Kopf auf sie legte, ihre Wärme an den Ohren, ihre Haar vermischt mit dem eigenen.     Im Grunde war es egal, in welches Haus sie kämen und wäre es Hufflepuff. Sie würden zusammen sein, das war das wichtigste. Und Padma wusste einfach, dass Parvati genauso dachte, genauso fühlte. In der Stille konnte sie das Herz ihrer Schwester schlagen hören. Selig schloss sie die Augen, nichtsahnend, was sie an diesem Abend noch erwarten würde.   ~*~   Getrennt.      Padma blinzelte im Schein der Fackeln, die an diesem trüben Novembertag schon am Vormittag entzündet worden waren, um die Große Halle zu erhellen, kniff die Augen zusammen und suchte nach dem Kopf mit dem langen, schwarzen Haar in der Menschenmenge. Sie fand Parvati allein am Haustisch sitzen. Es kam ihr seltsam vor, dass ihre Zwillingsschwester einen rot-gold-getreiften Schal um ihren Hals gebunden hatte und an der Tafel mit dem Löwenemblem saß. Es fühlte sich sonderbar und falsch an, auch jetzt nach drei Jahren noch.   Sicher, die meiste Zeit dachte Padma nicht darüber nach, dass die Häuserzuteilung sie auseinandergerissen hatte. Die Zeiten, in denen sie wach in ihrem Bett im Ravenclawturm lag und in die Stille horchte, ob sie über Zinnen oder Flure hinweg das Herz ihrer Schwester schlagen hörte, waren lange vorbei. Die ersten Tage in Hogwarts, in denen sie wie die Gespenster von Klassenzimmer zu Klassenzimmer geschlurft war und an nichts ihre Freude fand, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben alles allein durchstand und die andere Hälfte ihrer Seele grässlich vermisste, war nur noch graue Erinnerung. Inzwischen gingen sie beide ihrer eigenen Wege, hatte  andere Freunde gefunden, die ihnen nahestanden. Parvati wich kaum von der Seite Lavender Browns und sie konnte immer auf Terry Boot zählen, auch wenn es sie nervte, dass manche munkelten, sie seien mehr als Freunde.   Dennoch waren sie und Parvati Schwestern geblieben und gute Gefährtinnen zugleich. Sie sahen einander jeden Tag, nicht nur im Unterricht, quatschten miteinander und teilten ihre Geheimnisse wie nur Zwillinge es konnten. Sie hatten gelernt, sich die Hand zu reichen ohne einander zu umklammern, sich loszulassen ohne einander fallen zu sehen. Alles war gut zwischen ihnen. Doch als Zweite die Große Halle zu betreten und ihre Schwester dort sitzen zu sehen, am falschen Tisch, unter dem falschen Banner, daran hatte sich Padma in all den Jahren nicht gewöhnt. Es war wie ein Spiegelbild zu betrachten, das kein Spiegelbild war. Und wie jedes Mal in solchen Momenten wie diesen fragte sie sich, warum es so weit gekommen war. Hatte Parvati auf ihrer ersten Fahrt im Hogwarts Express, damals bei ihrem verheißungsvollen Gespräch, bereits etwas geahnt? Hatte sie sich vielleicht sogar nach Gryffindor gewünscht, fern von ihr? Padma musste sich gegen ihren Willen oft den Kopf darüber zerbrechen. Zum Glück blieb ihr dafür jetzt auch kaum Zeit.     Heute war ein besonderer Tag. Am Morgen war eine Schneeeule mit einem in Packpapier eingeschlagenen, weichen Paket von ihren Eltern an ihrem Haustisch gelandet und als sie das Band gelöst hatte, fiel ihr ein schillernder Sari in die Hände. Es war ihr Festgewand für den Weihnachtsball, der mit jedem Tag näher rückte. Der Weihnachtsball, oh Merlin! Padma mochte nicht daran denken. Sie hatte bis zuletzt gehofft, dass Terry sie fragen und ihr die lästigen Verehrer aus allen Häusern fernhalten würde, die ihr seit Wochen den Hof machten. Doch Terry hatte sich am Ende doch noch dazu gerungen, das Mädchen aus Hufflepuff zu fragen, in das er sich verliebt hatte und sie hatte Ja gesagt. Jetzt war Padma allein und fast alle Jungen ihres Jahrgangs, die infrage kamen, hatten schon eine Tanzpartnerin. Allmählich wurde es eng. Zum Glück ging es Parvati ähnlich. Sie hatte jüngst erst Dean Thomas einen Korb gegeben, wohl weil sie hoffte, dass Lee Jordan sie fragen würde, doch der rührte sich nicht. Wenn es weiterging, würden sie wohl zusammen zum Ball gehen müssen als alte Jungfern oder so. O je, hoffentlich war es nicht das, was ihre Schwester so dringend mit ihr besprechen musste, dass sie sogar Lavender Brown fortgeschickt hatte, um unter vier Augen mit ihr zu sprechen. Die beste Freundin ihrer Zwillingsschwester hatte sie vor der Bibliothek abgepasst, um sie kichernd sofort zur Großen Halle zu schleppen, weil Paravati etwas Wichtiges zu sagen hätte. Auf den Fluren hatte Padma schon seit dem frühen Morgen Gryffindorschüler miteinander tuscheln hören. Ihr Nachname, Patil war gefallen und irgendetwas mit dem Weihnachtsball. Mehr hatte sie von den Gerüchten nicht mitbekommen. Bestimmt wusste Parvati mehr.    Im Moment schien die Sache aber gar nicht so brisant zu sein. Zumindest nicht, wenn es nach Parvatis Erscheinungsbild ging. Padma beobachtete ihre Schwester eindringlich, während sie die Tafel hinlief. Sie wirkte nicht so, als ob sie sie dringend erwarte. Im Gegenteil. Parvati hatte ihr Essen beiseitegeschoben und brütete, sich mit der Schreibfeder die Nase streifend über einem Berg aus Pergamenten. Daneben lag ein Wälzer, den Padma sofort erkannte. Sie musste unwillkürlich lächeln. Zaubertränke und Zauberbräue. Es war eines ihrer besten Fächer, obwohl sie im Grunde bis auf wenige Ausnahmen in fast allen Fächern eine gute Schülerin war.  Etwas, das sich von ihrer Zwillingsschwester nicht so einfach sagen ließ. Aber Pavarti hatte auch nicht die Unterstützung dieser wundervollen Lerngruppe, die Terrys großer Bruder mit ein paar anderen älteren Ravenclaws gegründet hatte und der Padma und er sofort beigetreten waren. Sie trafen sich einmal in der Woche im Zauberkunstsaal, studierten die Bücher aller möglichen Fächer, experimentierten, stellten Thesen auf, überprüften sie, diskutierten die Ergebnisse ihrer Forschung.  Padma war ganz in ihrem Element. Letzte Woche durfte sie sogar Protokoll führen und fühlte sich selig an die Zeiten ihres kleinen Notizbuchs erinnert.  So zu lernen war doch etwas ganz anderes als dieser grässliche Unterricht letztes Jahr bei Professor Lupin. Verteidigung gegen die Dunklen Künste war eine jener Ausnahmen, in der Padma schon immer mehr als schwächelte. Aber der Irrwicht letztes Jahr hatte ihr den Rest gegeben, auch wenn Professor Lupin sehr freundlich zu ihr gewesen war und ihr Mut zugesprochen hatte, war sie danach durch mit ihm gewesen. Wieso ihre Zwillingsschwester für den Lehrer sogar ein wenig geschwärmt hatte und das Fach so mochte, dass sie sogar beim letzten Einkauf bei Flourish & Botts ein Fachbuch und keine weitere Heldengeschichte gekauft hatte, würde Padma nie verstehen. Ohnehin verstand sie vieles an Parvatis Geschmack in Sachen Schulfächer nicht. Nur in ihrer Begeisterung für Wahrsagen, darin waren sie beide sich einig. Es war wundervoll, das innere Auge zu öffnen und in die Zukunft zu sehen. In der Gegenwart aber hatte sie inzwischen die Gryffindortafel und den Sitzplatz ihrer Schwester erreicht.   „Huhu Pav“, begrüßte Padma sie und löste damit zu ihrer Überraschung beinahe eine Herzattacke bei ihrer Zwillingsschwester aus.  Paravati fuhr hoch, sog Luft ein und sank zurück auf ihren Stuhl als sie Padma neben sich sah. „Mensch Pad, hast du mich erschreckt“, stöhnte sie und griff sich an die Brust. Padma runzelte die Stirn. „Lavender meinte, es gäbe irgendetwas Wichtiges“, erklärte sie und ließ den Blick kritisch über ihre Schwester schweifen. Irgendetwas stimmte hier doch nicht! „Das gibt es auch!“, meinte Parvati, schob die Pergamente beiseite, drehte sich um und war mit einem Mal wie verwandelt. Sofort packte sie Padma an den Ärmeln ihres Umhangs und zog sie mit einem strahlenden Lächeln neben sich auf die Bank. Die Aufregung ihrer Schwester steckte auch Padma an und mit einem Kribbeln in den Gliedern ließ sie sich nieder, um mit gespitzten Ohren den Neuigkeiten zu lauschen, die offensichtlich keine schlechten sein konnten. „Stell dir vor!“, erklärte Parvati gewichtig und ihre Augen leuchteten, „Jemand hat mich gebeten, mit ihm zum Ball zu gehen. Ja, das ist jetzt nichts Besonderes. Aber du wirst nicht glauben,  wer es ist. Harry Potter! Und dich hat er auch gefragt, so in gewisser Weise. Ich soll dich fragen, ob du seinen besten Freund  begleiten willst!“ Padma traute ihren Ohren nicht. Dem Gesichtsausdruck ihrer Schwester zu urteilen, musste ihr gerade die Kinnlade heruntergeklappt sein. „Was, Harry? Harry Potter?! Er hat dich zum Ball gefragt?“, hauchte sie nur noch. „Nicht mich“, korrigierte Parvati sie energisch und strahlte, „Uns. Ja, er will, dass ich seine Tanzpartnerin bin, aber du sollst mit Ron Weasley hingehen. Was sagst du?“   Padma sagte erst mal gar nichts. Sie war zu überwältig. Und alles, was sich in ihrem Kopf abspielte, war nur noch ein Film, wie ihre Schwester den Tanz an der Seite eines Trimagischen Champions eröffnete. Eine Mischung aus Freude und Neid durchzuckte sie. „Wie lang weißt du das schon?“, rutschte es ihr heraus. Parvati verzog die Miene und ihre Augen verdüsterten sich. „Naaajaa“, druckste sie herum, räusperte sich künstlich und warf ihren Pergamenten einen Seitenblick zu, „Eigentlich seit gestern Nachmittag!“ „GESTERN NACHMITTAG?!“ Padma sprang auf, von einer Woge aus Wut in die Aufrechte getrieben. Der berühmteste Schüler in Hogwats hatte ihre Schwester, ihre Schwetser und sie, nach dem Weihnachtsball gefragt und die erzählte ihr erst jetzt davon?! Was war nur in sie gefahren! Beschämt wandte Parvati sich gänzlich von ihr ab, starrte den Pergamentstapel vor sich an und griff sich verzweifelt an die Stirn, auch wenn Padma nicht wusste, ob diese Geste ihrer Frage oder etwas ganz Anderem galt. „Es tut mir echt leid!“, murmelte Parvati ausdruckslos, „Aber es ging nicht anders. Ich muss diese Hausaufgabe für Zaubertränke fertig bekommen. Ich saß gestern den ganzen Tag dran und hab gar nicht gemerkt, wie die Zeit verging, weil ich einfach nicht weiterkomme. Ich hab alles schon mit Lavender durchgekaut. Aber sie hat auch keine Ahnung und will jetzt mal Granger fragen. Aber die war wegen irgendwas mit Weasley mies drauf und mit Hermine ist nicht gut Kirschenessen, wenn sie sauer ist. Langsam verzweifle ich hier echt.“ „Ja, das sehe ich“, erwiderte Padma stirnrunzelnd und ließ ihren Blick über den Aufsatz schweifen. Ihre Wut verrauchte als sie sah, was ihre Zwillingsschwester fabriziert hatte. So viele Fehler! Professor Snape würde die arme zweite Hälfte ihrer Seele in Grund und Boden stampfen. Auch wenn Padma relativ gute Noten bei ihm hatte, war er kein sonderlich freundlicher Lehrer und er hasste Dilettantismus und schlechte Schüler abgrundtief. Unwillkürlich zog sie die Pergamente unter Parvatis Arm hervor und begann die Hausaufgaben auf einem frischen Pergament zu korrigieren, während sie sich wieder setzte und ihre Schwester weitersprach. Ihre Handschriften glichen einander zum Glück wie ihre Gesichter. „Wärst du in Gryffindor, wüsstest du es bestimmt schon“, erklärte Parvati halb verwundert und halb entschuldigend, „Das ganze Haus spricht von nichts anderem mehr“. Ein Tintenklecks entstand als Padma mit der Feder innehielt und den Worten lauschte. Ein Stein ballte sich in ihrem Magen zusammen. Wärst du in Ravenclaw, wüsste ich es auch, dachte sie nur, doch ihre Lippen waren versiegelt. „Also… also was ist jetzt? Gehst du mit Weasley? Ich hab Potter wegen mir schon zugesagt“, fragte Parvati unsicher. Padma nickte stumm. Sie hatte nicht viel mit Weasley zu tun. In den Stunden, die sie mit den Gryffindors gemeinsam hatten, war ihr nur aufgefallen, dass er nicht der beste Schüler war, doch er hatte mit Potter und Granger zusammen schon zwei Mal die Schule gerettet und vor allem war er nicht in sie verliebt. Er würde sie nicht nerven wie die anderen Jungen, die sie gefragt hatten. Also warum nicht Ron Weasley? „Gut! Dann sollte ich wohl langsam an meinen Haustisch gehen und was zu Mittag essen. Ich hab einen Bärenhunger“, erklärte Parvarti verwirrt und begann ihre Sachen einzupacken. Beherzt hielt Padma ihr Handgelenk fest. „Ist gut. Wir sitzen am Gryffindortisch. Ich muss rüber zu den Ravenclaws. Aber du solltest echt was essen, du bist ja völlig durch“, sagte sie und stand langsam auf. Nun war es Parvati, die stumm nickte und jetzt erst fielen Padma die tiefen Ringe um ihre Augen auf. Geschickt ließ sie das eine Hausaufgabenblatt ihrer Schwester, das sie ausgebessert hatte, in ihrem Mantel verschwinden, so dass Parvati nicht bemerken würde, dass sie Snape bloß eine Abschrift abgab und verabschiedete sich.      Ich frag mich nur warum der Hut das getan hat, dachte Padma als sie zu ihrem Platz hinüberging. Wären sie in einem Haus, wäre alles viel leichter. Sie hätte gleich bescheidgewusst und hätte Parvati auch gleich helfen können.  Zumindest glaubte sie, dass sie all dies gedacht hatte. Doch als sie die Stimme ihrer Schwester hinter sich hörte, wusste sie, dass vor sich hin gemurmelt haben musste.     „Wer hat was getan?“, rief Parvati ihr nach.   Padma atmete tief durch. Sie wusste, dass sie mit einer Ausrede nicht davonkäme. Parvati würde sie selbst so müde noch durchschauen. Also entschied sie sich für die Flucht nach vorn. Noch einmal drehte sie sich um und blickte ihrer Zwillingsschwester ins Gesicht. „Der Sprechende Hut. Ich frage mich schon all die Jahre, warum er uns getrennt hat, warum wir nicht im selben Haus sind wie die meisten Familien, wie… naja, zum Beispiel die Weasley-Zwillinge. Zerbrichst du dir nie darüber den Kopf?“ Parvati blinzelte nur und starrte Löcher in die Luft. Also fuhr Padma fort und ließ die Katze aus dem Sack. „Manchmal frage ich mich, ob du es dir nicht gewünscht hast. Du kamst ja nach mir.“ Jetzt weiteten sich Parvatis Augen. „Nein“, protestierte sie energisch, lief rot an und blickte kurz zu Boden ehe sie wieder aufsah. „Naja, vielleicht ein wenig. Ich wollte nach Gryffindor, schon auf der Zugfahrt. Aber… ich wollte nicht weg vor dir, Pad. Ich wäre mit dir nach Ravenclaw gegangen oder nach Hufflepuff, sogar nach Slytherin. Aber der Hut, er meinte Gryffindor sei die bessere Wahl. Ich weiß nicht, wieso. Ich frag mich das auch seit Jahren.“ Padma atmete aus und seufzte. „Wir werden es wohl nicht mehr erfahren, was, Pav?“ Parvati blickte traurig auf, doch da wandte Padma sich schon um und ging zu Terry Boot, der gerade an ihrem Haustisch Platz genommen hatte.   Später, als alle Becher geleert und die Krümel von den Tellern gefegt waren, nahm Padma das Pergament wieder aus ihrem Mantel, um es mit einem Evanesco verschwinden zu lassen, ehe sie es selbst noch versehentlich bei Snape als ihre Hausaufgabe abgeben würde. Kopfschüttelnd überflog sie ein letztes Mal die geschwungenen Buchstaben und die zahllosen Sätze, die zwar fehlerlos geschrieben waren, deren Inhalt aber hanebüchener Blödsinn war.  „Pav, Pav, du solltest wirklich in die Lerngruppe kommen. Es macht riesigen Spaß und man lernt noch was dabei“, murmelte Padma halblaut vor sich hin. Doch da antwortete ein Gefühl in ihrem Inneren: Parvati würde sich in der Lerngruppe gar nicht wohlfühlen. Erstaunt über ihre eigenen Gedanken blinzelte Padma im Fackelschein und wusste zugleich, dass es nichts als reine die Wahrheit war. Paravati hatte sich nie für Forschungen interessiert im Gegensatz zu ihr selbst. Die Bücher ihrer Schwester waren zwar viel zahlreicher als die wenigen, die sie besaß. Doch las Paravati Heldengeschichten und sie Fachbücher. Würde Parvatis Haus eine Lerngruppe oder so etwas in der Art gründen, dann wäre es eine Art Armee, die mit erhobenem Zauberstab übte, Irrwichten und anderen dunklen Mächten entgegenzutreten. Etwas, bei dem Padma vielleicht aus dem Druck der Notwendigkeit heraus mitmachen würde, doch nie aus Lust und Spaß, genau wie Paravati niemals Gefallen daran finden würde, Experimentalprotokolle zu schreiben.   Hastig zog Padma ihren Zauberstab und schickte das Pergament ins Nirwana.  Sie hatte das Gefühl, in genau dieser Sekunde etwas Wichtiges verstanden zu haben – und doch keine Ahnung was.    ~*~   „Hast… hast du eine Ahnung, wohin er gegangen sein könnte? Glaubst du, dass wir ihn bald finden?“   Padma zitterte am ganzen Körper, während sie sich Schritt für Schritt vorwärts schob. Selbst ihre eigene Stimme ließ sie noch frösteln und sie wusste nicht, wann sie ihre Zwillingsschwester mehr bewundert hatte als in diesem Moment. Paravati, die ihr vorausging, ließ sich keine Spur von Angst anmerken. Sie war angespannt und auf höchste alarmiert, das stimmte, doch anders als sie selbst war ihre Zwillingsschwester nur aufmerksam und sonst die Ruhe in Person. Padma selbst hingegen war das reinste Nervenbündel. Die Nacht war für April recht kühl; die blanken Sterne, die wie kalte Strassteine im schwarzen Himmelssamt glänzten, spendeten kaum Licht und der falbe Kegel ihrer erleuchteten Zauberstäbe beschrieb einen Radius, der kaum größer war als die Spannweite ihrer Füße. Padma, die nicht wusste, ob das ihr Glück oder ihr Fluch war, wandte sich immer wieder panisch um, kalte Schweißperlen auf der Stirn und hielt Ausschau nach Verfolgern, die nicht existierten. Nirgendwo außer in ihrem Hirn, das ihren überreizten Sinnen zu viel Gewicht beimaß. Das Knacken eines Ästchens hier, der Schrei eines Käuzchens dort und schon tauchten um sie her tausend Gespenster auf. Sie war völlig überspannt!     Sie wusste ja, sie war nicht für eine Mission wie diese geschaffen. Als Parvati sie vor nunmehr drei Jahren überredet hatte, Dumbledores Armee beizutreten, hatte sie aus purer Vernunft eingewilligt. Genauso wie Parvati im Frühjahr ihres vierten Schuljahres eingewilligt hatte, doch ein paar Mal an der Lerngruppe der Ravenclaws teilzunehmen, um ihre Noten zu verbessern. Aber Padama war stets klar gewesen, dass sie niemals wie ihre Schwester an vorderster Front kämpfen würde, wie ihr Anführer Neville Longbottom es inzwischen nannte. Sie wollte im Hintergrund tätig sein, die Kämpfer und Kämpferinnen von dort aus stärken. Das war ihr Platz. Wäre dieser verfluchte Vorfall nicht gewesen! Hätte dieser dämliche Zweitklässler sich nicht so benehmen können wie alle seines Hauses?! Einmal nur wäre sie froh darüber gewesen.   Ein wenig konnte Padma es noch immer nicht glauben, dass sie tatsächlich in den Verbotenen Wald aufgebrochen waren, um einen verletzten Slytherin zu suchen. Ja, einen Slytherin. Benjamin Drawfeather. Einen schmächtigen, schwarzhaarigen Jungen, der sie ein wenig an Harry Potter erinnerte, als sie selbst noch in der Zweiten gewesen waren. Er war einer der wenigen seines Hauses von damals, als der Hut sie die Schüler noch zuteilte, die sich Dumbledores Armee angeschlossen hatten. Wie man hörte war er hoffnungslos verliebt in Irene Belton, eine Zweitklässlerin aus Gryffindor, die es heute Nachmittag offen gewagt hatte, im Verteidigung gegen die Dunklen Künste Unterricht die Folterstunden zu verweigern und sich mit den Carrows anzulegen. Ihre Freundinnen hatten sie unterstützt und Drawfeather sie verteidigt. Die ganze Gruppe floh als das Blatt sich wendete und die Carrows wieder die Oberhand gewannen. Die Gryffindors erreichten den Raum der Wünsche gerade noch rechtzeitig. Drawfeather jedoch war nicht schnell genug. Irene Belton berichtete außer Puste gerade noch, dass die Carrows ihn den Flur hinab gejagt hatten, dem Seitenportal und dem damit dem Verbotenen Wald entgegen.       „Wir müssen ihn suchen. Gemeinsam, ehe sie wer weiß was mit ihm anstellen“, hatte Ginny Weasley in Vertretung Longbottoms sofort beschlossen und eilig Suchtrupps zusammengestellt. „Wartet“, ergänzte sie hastig als die ersten Kämpfer schon aufbrachen,  „Er könnte zu verletzt sein, um ihn sicher hier her zu bringen. Die Heilerinnen müssen mit.“   Heilerin. Das war inzwischen Padmas offizieller Rang, insofern es in einer Schülergruppe aus Rebellen, die ein Regime zu stürzen versuchten überhaupt so etwas wie offizielle Ränge geben konnte. Doch seitdem Madam Pomfrey vor vielen Monaten schon die Schule verlassen hatte und niemand mit den Todessern, die ihren Platz eingenommen hatten und neben Fluchschäden auch gleich die Reinheit des Stammbaums untersuchten, Vorlieb nehmen wollte, brauchte es fähigen Ersatz.  Und wer könnte das besser geeignet sein als eine Siebtklässlerin, die einen der besten ZAGs in Zaubertränke erreicht hatte?  Der Raum der Wünsche bot ihnen zwar alles, was sie brauchten, aber er nahm ihnen nicht die Arbeit ab. Tagtäglich brodelte ihr Kessel. Tagtäglich behandelte sie verletzte Schüler und in der unheimlichen Stille des Verbotenen Waldes, der doch niemals still war, klirrten die Fläschchen ihrer Zaubertränke aneinander.   Parvati, die mit gezogenem Zauberstab vorausging, schüttelte den Kopf und kniff die Lippen zusammen. Ihr Homenum Revelio hatte offenbar wieder nur sie beide lokalisiert. „Ich hoffe, die Anderen haben ihn gefunden. Er muss schwer verletzt sein, wenn er nicht sogar…“ Sie sprach den Rest nicht aus und Padma spürte nur wie ein eisiger Schauer ihre Arme hinab lief und etwas ihre Kehle zuzog. Sie wusste nicht wie lange sie schon unterwegs waren, doch es war viel zu lange. Stundenlang vielleicht. Schweigend mit einer drückenden Beklemmung in der Brust folgte sie ihrer Zwillingsschwester durchs Unterholz.   Sie hatten sich ein paar Minuten durchs Dickicht geschlagen als Padma abermals etwas aufschrecken ließ. „Was war das?! Pav, was war das?!“, keuchte sie, jede Faser in ihrem Körper angespannt. Parvati jedoch gebot ihr zu schweigen, reckte die Ohren in die Luft und lauschte. „Das ist ein Wimmern. Da wimmert jemand!“, sagte sie schließlich. „Ein Wimmern?!“, wiederholte Padma ängstlich, ungläubig und dann hörte sie es selbst. Eindeutig wimmerte da jemand und es klang nach einem Jungen.  „Schnell! Wir dürfen keine Zeit verlieren“, rief Parvati, packte ihre Hand und zog sie durch eine Schneise im Gebüsch. Nach wenigen Schritten erreichten sie eine Lichtung und endlich offenbarte der Lumos ihrer Zauberstäbe, was sie gehört hatten. Unter einem Baum kauerte eine Gestalt in einem völlig zerrissenen Schulumhang, stöhnend, ächzend und wimmernd, den Leib seltsam verdreht und in einer Lache von etwas, das Padma den Magen umdrehte. „Mein Gott, was haben sie mit ihm getan?“, keuchte auch Parvati entsetzt. Doch Padma wusste, dass sie jetzt stark sein musste. Also schluckte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter, holte schon einmal das Fläschchen mit blutbildendem Trank hervor und trat unsicher dem verletzen Jungen entgegen.   Da geschah es ganz plötzlich. Eisige Kälte, viel kälter noch als diese kühle Aprilnacht, umfing sie. Mit einem Schlag hatte sie das Gefühl, dass jede Wärme, jede glückliche Erinnerung aus ihr heraus gepresst wurde. Grauenvolle, längst verdrängte Bilder, fluteten ihren Geist. Hogwarts in Schutt und Asche, Todesser auf den Fluren, eine brennende Hütte in der Ferne und Dumbledore, Albus Dumbledore mit verdrehten Gliedern auf dem Boden im Hof vor dem Astronomieturm, tot.   Benommen und nur halb bewusst sah Padma nach oben zu den Baumwipfeln, gerade noch rechtzeitig, um hinter dem Stamm, an dem Drawfeather lehnte, eine Kapuzengestalt hervor schweben zu sehen. Sie war wohl die ganze Zeit dort gewesen, hatte nun aber von ihrem alten Opfer abgelassen und sie ausgewählt. Zuvor schon ein nervliches Wrack war Padma von einer Sekunde auf die andere gänzlich paralysiert. Ihr Herz donnerte wie wild, ihr Atem rasselte, doch ihre Muskeln waren Stein. Das entsetzte, bleiche Gesicht ihrer Zwillingsschwester flackerte an in ihren Augenwinkeln vorüber. „DEMENTOR!“, formten Parvatis Lippen einen Schrei. Doch Padma hörte nichts mehr und sie konnte sich auch nicht mehr rühren. Zur Salzsäule gefroren nahm sie nichts wahr als das grause Entsetzen der Schlacht von Hogwarts und die Phiole mit dem Zaubertrank fiel ihr aus der starren Hand. Die schwarze, schwebende Gestalt kam näher und näher. Doch dann schob sich etwas Anderes in ihr Sichtfeld.   Nur mit einem Streifblick erkannte Padma noch die entschlossene Miene Parvatis, die sie mit einem Schritt todesmutig vor sie warf und ihr einen so heftigen Schlag verpasste, dass Padma rückwärts ins Gestrüpp fiel. Sie hatte noch kaum verstanden, was hier vor sich ging, als Paravati vor ihr schon konzentriert die Augen schloss und dabei den Zauberstab zog. „Expecto Patronum!“ hallten die magischen Worte über die Lichtung und ein silberner, gestaltloser Schein floss aus ihrem Zauberstab direkt dem Dementor entgegen. Endlich kam Padma wieder zu sich und klaren Geistes kam sie nicht umhin, Parvati für einen Augenblick zutiefst zu bewundern. Es war wie damals als sie Kinder waren und Parvati ohne mit der Wimper zu zucken die Spinnen verscheucht hatte, die für Padma die schlimmsten Monster waren. War das nicht die Essenz Gryffindors, ging es ihr einen Moment lang durch den Kopf, Tapferkeit und Mut? Doch Padma kam nicht dazu, den Kampf lange zu beobachten. Drawfeather kam ihr wieder in den Sinn und sie hastete sofort zu dem verletzten Slytherin, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Der Junge hatte viel Blut verloren und schlotterte am ganzen Leib. Sie versorgte seine Wunden mit einem Verbandzauber, gab ihm vom Blutbildenden Trank und der Schokoladensoße, die sie wohlwissend eingepackt hatte und ließ ihm am Ende noch ein kleines Fläschchen Trank für einen Traumlosen Schlaf austrinken, damit er sich von dem Schrecken erholen konnte und sie ihn schlafend sicher transportieren würden. Gerade als Padma die Flasche wieder verkorkte, hörte sie eine vertraute Stimme direkt neben sich.   „Der Dementor ist fort. Ich hab ihn vertrieben“, erklärte Parvati nüchtern und sichtlich erschöpft, „Wie geht es dir?“ „Es geht, denke ich und dir?“, erwiderte Padama, während sie mit einem letzten kritischen Blick auf ihren Patienten, der gerade müde die Lider schloss, ihr Zaubertrankarsenal wieder einpackte. „Ich bin okay“, erklärte Parvati knapp, „Was macht Drawfeather? Ist er…“. Padma schüttelte den Kopf. „Er schläft. Der Dementor hat ihm zugesetzt, ihn aber nicht geküsst. Er wird es schaffen.“ Und dann mit einem Ruck stand Padma auf. In der Waldstille konnte sie das angestrengte Keuchen ihrer Schwester hören und ihr Atem kitzelte ihre Ohren. Zeitgleich atmeten sie und Parvati ein. Zeitgleich atmeten sie aus. „Puh! Das war knapp“, seufzten sie wie aus einem Munde. Verdutzt ob dieser Synchronie riss Padma den Kopf herum und blickte in ein Gesicht voller Erstaunen. Die schwarzen Augen ihrer Zwillingsschwester waren wie ein Spiegel ihres eigenen Befindens. Es war als sähe Padma für eine Sekunde alles, was in Parvati vor sich ging wie in einem offenen Buch. Ein Buch über ihr eigenes Innenleben. Dann, ohne eine Vorwarnung begannen sie wie im Chor zu lachen und die Anspannung fiel von ihnen ab wie ein nasser Mantel. Herzlich schlossen sie einander in die Arme, drückten sich ganz fest und vergaßen für einen Moment, dass sie mitten im Krieg auf einem gefährlichen Territorium standen, auf dem fast ein Zweitklässler ums Leben gekommen wäre. „Es ist lange her, dass es so zwischen uns ging“, meinte Padma nachdenklich als sie endlich wieder Luft bekamen und einander losließen.    „Ja, da waren wir noch Kinder gewesen“, erwiderte Parvati und blickte nun ebenfalls nachdenklich auf ihren schlafenden Patienten hinab „Weißt du, ohne dich hätte ich das hier nicht gepackt. Den Dementor hätte ich vielleicht noch in Schach gehalten. Aber ich hätte nicht gewusst, was ich mit Drawfeather machen soll bei meinen miserablen Kenntnissen von allem, was mit Zaubertränken zu tun hat. Nicht auszudenken, was geschehen wäre.“ Doch Padma schüttelte heftig den Kopf.  „Nein, Pav, ich hätte das ohne dich hier nicht geschafft. Vielleicht wäre ich zu Drawfeahter durchgekommen und hätte ihm die Wunden verbinden und die Zaubertränke geben können. Aber meine Nerven hätten mich völlig außer Gefecht gesetzt und am Ende hätte er uns wohl beide noch geküsst. Verteidigung gegen die Dunklen Künste war nie meine Stärke, das weißt du.“ Parvati nickte langsam, während sie Drawfeather noch immer musterte. „Ich denke, wir sind ein tolles Team, oder?“. „Ja, das sind wir“, stimmte Padma zu, „Aber jetzt sollten auch wir erst mal ein wenig Medizin nehmen. Der Dementor hat auch uns zugesetzt und mir graut noch vor dem Heimweg.“ Mit diesen Worten griff sie in ihrem Umhang und holte die Schokoladensoße hervor, die sie mit Parvati teilte.    Zurück in der Sicherheit des Raums der Wünsche, als die Nacht sich schon fast wieder dem Morgen neigte, stand Padma in ihrem dünnen Nachthemd am künstlichen Fenster, das der Raum für sie erschaffen hatte, betrachtete den Nachthimmel und ließ den Tag Revue passieren. Obwohl ihr die Augen zufallen wollten, fand sie einfach keinen Schlaf wie so oft in diesen Tagen, die voller Sorgen waren. Und wie so oft hörte sie hinter sich das Rascheln einer Bettdecke und sah in den Spiegelungen der Scheibe das Spiegelbild ihrer selbst von einem der Hochbetten steigen und auf sich zukommen. „Padma?“, flüsterte Parvati schlaftrunken und rieb sich mit einem Gähnen die Augen, „Was ist los? Kannst du etwa wieder einmal nicht schlafen?“ Padma nickte.     „Ich frage mich, wie das alles hier noch enden soll“, erklärte sie betrübt, „Was wird aus Hogwarts, wenn sie jetzt schon ihre eigenen Leute mit Crutiatusflüchen beinahe zu Tode foltern? Vor einem halben Jahr dachte ich, dass wir uns die Schule noch zurückerobern könnten. Aber was ist, wenn wir alle uns irren. Drawfeather ist ein Slytherin. Er ist einer von ihnen, auch wenn er ihnen abtrünnig geworden ist. Ich wünschte Professor Firenze oder Trelawney wären hier und könnten uns etwas über die Zukunft sagen. Mich macht das kirre, nicht zu wissen, worauf wie zusteuern“ Parvati seufzte schwer. Und Padma wusste, dass es ihr ganz genauso ging.  „Ich hab keine Ahnung, Pad. Ich hab auch schon in jedem Kaffeesatz gelesen und die Sterne beobachtet, vergebens“, stöhnte sie betrübte, „Aber ich weiß, dass ich kämpfen werde bis zum Schluss. Ich vermiss die Aussicht vom Schlafsaal im Gryffindorturm.“ „Und ich die Bücherregale im Ravenclawturm“, gestand Padma und für einen Augenblick herrschte Schweigen zwischen ihnen. „Sag mal“, nahm Paravati vorsichtig das Wort wieder auf, halb zu ihr und halb zu sich selbst sprechend, „Fragst du dich eigentlich noch immer, warum uns der Hut in unterschiedliche Häuser gesteckt hat?“, „Nein“, antwortete Padma bestimmt und meinte es so. Sie hatte schon vor drei Jahren begriffen, dass es einfach so sein musste, „Du etwa?“ Parvati schüttelte den Kopf und schürzte die Lippen. „Ich glaube, wenn wir in ein und demselben Haus gewesen wären, wir wären nie zu uns selbst gekommen“, erklärte sie nachdenklich,  „Du würdest noch immer Bertie Botts Bohnen von der Servierwagenhexe kaufen und ich Schokofrösche. Mindestens eine von uns hätte sich verbogen. Ich bin keine Ravenclaw. Ich kämpfe lieber als Fachbücher zu wälzen und Wissbegier, das wäre ich nicht ich, Pad. Und du… du bist in Ravenclaw genau richtig und wärst in Gryffindor grottenfalsch. Wir mussten uns verlieren um uns wirklich zu finden.“ „Ja. Ja, das ist wohl wahr“, hauchte Padma leise lächelnd und mehr Worte brauchte es nicht in diesem beredten Schweigen.    Sanft legte sie ihren Kopf auf Parvatis Schulter und spürte wie sich ihre Haare vermischten.  In der Stille glaubte sie das Herz ihrer Zwillingsschwester schlagen zu hören. Fern und doch ganz nah an ihrer Seite.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)