Philomathie von Rakushina (Wenn Neugier nicht wäre) ================================================================================ Kapitel 2: Hippocampus ---------------------- „Erzähl, an was du dich erinnerst“, forderte Sanzomon das überfragte Bakemon auf. Es erstand nicht so ganz, was Sanzomon von ihm wollte, denn eigentlich war es nur gekommen um ihr etwas zu trinken zu bringen – dem gast des Meisters sollte es an nichts mangeln -, doch kaum hatte Sanzomon es bemerkt, ließ sie das Geist-Digimon nicht mehr ziehen. Sanzomon bat um Hilfe und um Ärger mit Meister Myotismon zu vermeiden erklärte es sich einverstanden, auch wenn Bakemon nicht ersichtlich war, was Sanzomon denn von ihm wollte. Sie kniete auf dem Boden von Myotismons Bibliothek, mit Schreibutensilien auf dem Schoß und Feder in der Hand. Sanzomons Blick war zwar sanft, aber Bakemon war mulmig dabei. Heilige Digimon hatten, bewusst oder nicht immer dieses gewisse Etwas um sich, die dunkle und verdammte Digimon wie die Bakemon entweder anzogen oder in die Flucht trieben. „Was genau möchtet Ihr denn von mir wissen?“ „Erinnerst du dich daran, wie du zu Bakemon wurdest? Weißt du noch, welches Digimon du zuvor warst?“, fragte Sanzomon ruhig, aber Bakemon musste nicht lange überlegen. „Eh... Nein, dass weiß ich nicht mehr.“ „Hm. Schon das dritte...“ Sanzomon senkte die Augenbrauen und schrieb etwas auf ihr Papier, dass Bakemon aber verborgen blieb. Bakemon öffnete den Mund, die Zähne blitzten auf, so weiß wie sein zerfetztes Laken über seinem Körper. Die Augen waren Löcher ins Nichts. Der modrige Geruch des Todes kam Sanzomon entgegen, aber sie hatte sich schnell daran gewöhnt. Diese drückende Präsenz erfüllte des gesamte Schloss und verfinsterte die Mauern, selbst am Tage, wenn man auch anmerken musste, dass Sanzomon hier bereits jedes Zeitgefühl verlor und sie sich gar nicht mehr so sicher war, ob nun morgens oder abends war. Sie war schon drei Tage hier in diesem Schloss auf diesem Berg, der, wie sie noch feststellte auf keiner Karte verzeichnet war. In diesen drei Tagen hatte sie die Bibliothek so gut wie nicht verlassen. Oder war sie schon vier Tage hier? Oder gar nur zwei? Bei der ständigen Dunkelheit in dieser Gegend konnte man sich nie ganz sicher sein. „Das dritte?“, wiederholte Bakemon mit seiner tiefen und trägen Stimme. „Ich habe ein paar von euch schon diese Frage gestellt und sie alle sagen, sie erinnerten sich nicht. Aber digitiert ihr nicht ganz normal aus einem Rookie-Digimon? Gab es keine Candlemon unter euch?“ „Na ja...“, fing Bakemon an. „...Ich denke nicht. Die unter uns, die ganz normal digitieren sind ein wenig anders.“ „Dann seid ihr wirklich... Nun, gestorben?“ Überfragt starrte Bakemon Sanzomon nur an. Die Augen des Geist-Digimon wirkten so leer. Sanzomon erinnerte sich gelesen zu haben, dass dieser weiße, zerfledderte Laken nur Tarnung war und das wahre Erscheinungsbild dieser Digimon sei schlicht ein schwarzes Loch umgeben von Nichtigkeit. Und wenn Sanzomon so in die Augen des Digimon sah, glaubte sie das auch. „An was erinnerst du dich, bevor du hierher kamst?“, fragte sie weiter. „Da ist nicht besonderes. Ich war schon immer bei Meister Myotismon.“ „Und davor? Bevor du ein Geist-Digimon warst? Erinnerst du dich vielleicht daran, wie du gestorben bist? Was war, bevor das passiert ist?“ „Ich... I-I-ich weiß es wirklich nicht“, jammerte es und aus seinen zuvor leer wirkenden Augen flossen Tränen. „O-Oh Nein. Bitte weine nicht. Ich wollte dich nicht verletzen. E-e-es tut mir Leid“, stammelte Sanzomon los, doch dass Bakemon vor ihr beruhigte sich nicht, sondern verfiel seiner Trauer. Sanzomon streckte ihre Hände nach dem Geist-Digimon aus, zögerte zuerst zwar, presste es aber dann an sich. Das Tuch war rau und dafür das angeblich das unendliche Nichts darunter versteckt sein sollte fühlte sich das Digimon mehr nach einem gut gefüllten Reissack an. Ihre Augen schlossen sich, ihr Mund bewegte sich, doch bis Zunge und Lippen die Worte formten und damit ihre Umgebung erfüllte, hörte Sanzomon das Gesagte noch nicht mehr. In ihrem trancegleichen Zustand vernahm Sanzomon so gut wie nichts mehr, nicht einmal ihr eigenes Wort. Wichtiger war auch, dass diese das Digimon vor ihr erreichten und dass dieses sie nicht nur hörte, sondern auch in seinen Gedanken vernahm. Eine weiche Stimme erklang im Kopf des Geist-Digimon und der entsetzliche Knoten in Hals und Brust schien sich zu lösen, bis er nach und nach sich aufzulösen schien. Die bösen Erinnerungen, nicht mehr wie die Fetzen von Geräuschen und Bildern aus vergangenen Tagen, die das Unterbewusstsein zwar verbannte, aber nie ganz löschen konnte, verkrochen sich wieder in die Endlosigkeit des Gedächtnisses. Und wenn man sich doch kurz daran erinnerte, war der Schmerz nicht so schwer. Denn die Stimme, die es hörte und wie die des Mönch-Digimons klang sagte, dass alles gut sei. Es klang glaubwürdig. „Geht es dir besser?“, fragte Sanzomon. Sie blinzelte sie rieb über die Augen. Ein leises, aber erschöpftes Stöhnen entwich ihr, während sie nun auf ihre Hände starrte. Ihre Fähigkeiten funktionierten von mal zu mal besser und effektiver, doch die Nebenwirkungen blieben. Der Schwindel war nicht so schlimm. Dafür jedoch das Gewicht der mentalen Last, der sich Sanzomon annahm. „Ja. Ein wenig“, schniefte das Bakemon. Es runzelte jedoch seine Stirn deutlich. Es begriff nicht, was Sanzomon gemacht hatte. „Aber was war das? Habt ihr etwa ein Sutra benutzt?“ Sanzomon schüttelte sanft den Kopf. „Uh-umm. Nur ein altes Kinderlied. Die Sistermon die mich und meine Geschwister aufziehen haben das für uns gesungen, wenn wir weinten. Ich dachte, vielleicht gefällt es dir, auch wenn es eine fremde und veraltete Sprache ist“, erklärte Sanzomon sanft. Bakemon blinzelte mehrmals stutzig, dennoch behielt Sanzomon ihre freundliche Ausstrahlung. Und Misstrauen war sie schließlich gewohnt. „Wieso seid Ihr so nett? Heilige Digimon wollen mit unsereins nichts zu tun haben“, fragte Bakemon weiter, seine Stimme immer noch leicht bebend von seinem Weinen. „Ich wüsste nicht, wieso ich dies tun sollte. Ich bin keinem Digimon aus Prinzip misstrauischer oder feindseliger gestimmt wie einem anderem.“ „Habt Ihr etwa Mitleid mit uns? Wie erbärmlich...“, murmelte Bakemon betrübt. „Nein. Ich möchte einfach nur ganz neutral bleiben. Und immerhin seid ihr auch freundlich zu mir, obwohl ich ein heiliges Digimon bin.“ Wenn nun auch etwas munterer gestimmt, blieb Bakemons Argwohn, doch sie verübelte es ihm nicht. Schnaufend warf sie den Kopf zurück und sah zur Decke des Raumes hoch. Ein großer, schwerer Kronleuchter, der zwar Kerzen besaß von denen aber keine einzige erleuchtet war, schwebte über ihr. Das Metall war dunkel und obwohl Sanzomon die Vorhänge geöffnete hatte, sah man ihn kaum. Generell blieb dieser Raum überaus dunkel, das Licht hatte so gut wie keinen Effekt. Lag es am Nebel? Sie sah weiter zu Decke hoch. Nicht jedes Zimmer hatte so eine hohe Decke und allgemein wirkte das Schloss wie ein einziges Durcheinander. Es gab zwar Flügel, die eine gewisse Einigkeit und Symmetrie innehielten, doch allgemein ließ sich sagen, dass dieses Schloss eher wie zusammengeflickt wirkte. Das begann beim Stein und endete mit der Bauart. Die Gänge und Flure waren teilweise wie neu, genau geplant und sogar verziert, einzelne Zimmer hingegen wirkten dafür als hätte jemand, der keinerlei Ahnung von der Arbeit besaß einfach Steine aneinander gerückt. Und dabei hatte Sanzomon noch nicht alles gesehen. Bei ihren seltenen Runden durch das Schloss traf sie viele Zimmer, die verschlossen waren. Sie fragte nicht was dort hinter diesen Türen war, das wäre schließlich unhöflich und vermutlich hätte man ihr ohnehin keine Antwort gegeben. Aber sie wüsste es zu gerne und sei es nur um zu sehen, welche architektonische Chaos dort anzutreffen war. „Dieses Schloss... Habt ihr es gebaut? Oder Euer Meister?“, fragte Sanzomon, weiter die Decke hochschauend. Sie merkte dennoch wie das Bakemon den Kopf schüttelte. „Nein, nein. Das Schloss war schon da, als wir diesen Berg fanden.“ „Und wer hat es erbaut?“ „Wissen wir nicht.“ Der Kronleuchter bewegte sich. Sanzomon dachte etwas wäre vom Kronleuchter gefallen, dann sah es aber eher danach aus, als flog es in eine der Ecken. Da alles dunkel und schwarz war, sah sie nur Konturen, aber sie vermutete, dass es eine von Myotismons Fledermäusen war. Diese waren überall im Schloss und saßen kauernd in jeder Ecke. Es sah immer aus als schliefen sie, aber Sanzomon hegte den Verdacht, dass sie mit ihrem Meister verbunden waren. Alles was sie mitbekamen, bekam auch er mit. Natürlich beobachtete er sie. Das Gegenteil hätte sie mehr überrascht. „Warum lebt ihr überhaupt hier? Ich dachte immer, Bakemon halten sich nur auf Friedhöfen und in dichten Wäldern auf, nicht in solchen erhöhten Regionen.“ „Der Meister hat diesen Ort als sein zu Hause auserkoren. Wir folgen ihm nur“, erklärte das Bakemon weiter und war weniger irritiert darüber, dass Sanzomon sich mehr im Raum umsah um die Fledermäuse weiter zu verfolgen. Es wusste Bescheid. Auch sie würden den ganzen Tag beobachtet werden. Sanzomon neigte die Kopf wieder vor und rieb sich über den Nacken, dann bemerkte sie etwas. Sie sah etwas weißes aufblitzen und hielt es erst für einen Fetzen des Lakens, dass die wahre Gestalt des Bakemon verdeckte. Aber es war nicht nur weiß, sondern reinweiß. Ein Klingeln ertönte, direkt in ihrem Kopf. Die Tür stand einen Spalt auf. Leise erhob sich Sanzomon und lief auf leisen Sohlen zur großen Holztür. Als das Bakemon ihr irritiert nachsah, legte sie einen Finger vor ihre Lippen. Ohne die Türe zu berühren, geschweige denn sie zu öffnen lugte Sanzomon durch den Spalt und sah erst auch nichts als Dunkelheit. Dann, etwas tiefer erblickte sie schon den weißen Schweif und den Heiligen Ring. „Und du?“, fragte Sanzomon freundlich, dann erst öffnete sie die Türe langsam. Gatomon schnappte erschrocken nach Luft und sprang einen Satz zurück. Vor Schreck wurden ihre Pupillen ganz klein und ihre spitzen, weißen Ohren lagen an. „W-w-wie...?“ „Ich habe deinen Heiligen Ring... gehört, könnte man sagen“, erklärte Sanzomon weiter. Gatomon rümpfte die Nase und ihr ganzer Körper war steif bis zu den Schnurrhaaren. „Artverwandte wie wir sind wohl miteinander verbunden. Dein inneres Licht muss viel Potenzial besitzen, sonst wäre es nicht so deutlich. Ich bin außerhalb meiner Heimat zwar schon genug Digimon mit Heiligen Ring begegnet, aber kaum eines von ihnen hatte dieses Potenzial. Da werde ich fast nostalgisch.“ „I-I-Ihr spinnt doch!“, brüllte Gatomon schließlich, dann sprintete sie los und ließ Sanzomon verwirrt zurück. Lange starrte sie in die Dunkelheit der Flure, bis Gatomon nicht einmal mehr ein weißer Fleck in diesem war. Das Klingeln des Heiligen Ringes hörte Sanzomon noch, oder eher spürte sie ihn über die Entfernung hinaus. Sie dachte kurz an zu Hause, aber Sanzomon wusste selbst nach all der Zeit nicht, wie sie über diese Erinnerungen denken oder empfinden sollte. „Ist sie immer so schreckhaft?“, fragte Sanzomon das Bakemon, drehte sich langsam zu diesem um, jedoch scheint das Geist-Digimon ihre Frage nicht einmal gehört zu haben. „I-Ich muss an die Arbeit“, stotterte es und flog hastig an Sanzomon vorbei. Noch während es um die Ecke bog wurde sein Körper durchsichtig und verschwand, doch seine Präsenz blieb noch einige Minuten darüber hinaus spürbar. Verdutzt sah Sanzomon dem Geist-Digimon nach, bis jede Spur der schwachen Aura verflog. Fragend, was es so verschreckt hatte schaute sie den Korridor zu beiden Seiten hinunter, sah aber nichts als die bläulichen Strahlen des Mondlichts durch die Fenster scheinen oder das orangene Glimmen der Fackeln an der Wand. Dann schritt sie wieder zurück in die Bibliothek und auch im ersten Moment schien nichts verdächtig zu sein. Sanzomons Kopf bewegte sich ganz langsam von links,durch den Raum nach rechts, doch als ihr Blick die Bücherregale streifte schien etwas merkwürdig, sie konnte aber nicht bestimmen was daran merkwürdig war. Sanzomon schob es erst auf die Tatsache, dass sie viele Bücher ausgeräumt hatte um sie für ihre Forschung (und ihrem eigenem Interesse) zu nutzen und der Anblick der teilweise leeren Reihen einfach ungewohnt war. Doch je länger sie zu ihrer Rechten schaute, um so merkwürdiger wurde das Gefühl, dass sie überkam. Durch das Fenster kam wenig Licht, ein Kerzenständer erhellte den Raum und die Sessel warfen lange Schatten durch den Raum. Einer davon reichte bis zu eben diesen Regalen. Und irgendetwas war merkwürdig an diesem Schatten, obwohl es einfach nur ein Schatten eines leblosen Möbelstückes war. Nicht auffällig. Absolut schlicht und ordinär. Doch ihr war, als lebte der Schatten. Sanzomons rechte Augenbraue hob sich leicht. Auch ihr Kopf neigte sich nachdenklich zu Seite, dann auf die andere, während sie in diesen Schatten stierte. Sie glaubte etwas zu spüren. Ein Atem oder dergleichen. Da war etwas, spürte jedoch nichts und auf die Erkenntnis ahnte sie schließlich, warum das Bakemon so schnell die Flucht ergriffen hatten. Nun verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust. „Ihr macht mir meine Arbeit nicht einfacher, wenn Ihr Euer eigenes Personal verschreckt.“ „Aber dann wäre es zu einfach.“ Nun spürte sie diesem vermeidlichen Atem nicht nur, sie hörte ihn, sie hörte das Lachen dazu und Sanzomon war schon fast wütend darüber, dass sie Myotismon nicht sofort bemerkte. Er kam aus dem Schatten gelaufen, als sei dieser nur eine weitere Türe, erhobenen Hauptes und düster lächelnd, wie immer. „Wie lange steht Ihr da schon?“, fragte Sanzomon in einem deutlich verstimmten Ton. Auch sie hob ihren Kopf an, aber es erzielte nicht annähernd die Ausstrahlung, die sie Myotismon verlieh. „Nicht lange. Ich wollte Euch nicht bei Eurer Arbeit stören. Oder was auch immer Ihr mit meiner Dienerschaft gemacht habt.“ „Ich habe nur ein paar Fragen gestellt. Aber ich bitte Euch um Entschuldigung. Ich habe die Gefühle Eures Dieners verletzt. Er soll mir nicht böse sein“, versicherte Sanzomon. Ihre Ausstrahlung wechselte schlagartig und von ihrem kurzem Moment der Erhabenheit und Autorität blieb nichts. Sie war gänzlich dahin und Sanzomon wirkte bescheiden wie eh und je. „So wie ich meine Diener einschätze, haben sie es bald vergessen. Sie merken sich nur notwendige Dinge. Ein Fluch wie Segen zugleich“, erklärte Myotismon, tat als hätte ihr ihren Stimmungsumschwung nicht wahrgenommen, sondern starrte an ihr vorbei. Hinter ihr erstreckte sich ein Meer aus Büchern. Sie waren gestapelt und die Stapel und vereinzelten Wälzer erstreckten sich von einem Punkt in der Mitte – Sanzomon hatte dort gesessen – in alle Richtungen und sie lagen dicht beieinander. Dieses Mosaik aus Papier nahm fast den ganzen Raum ein. „Was macht Ihr hier überhaupt?“, fragte er schließlich. Auch seine Mimik bröckelte und statt dem sonst resignierten Selbst mit einem Hauch Arroganz, machte er nun einen verwirrten Eindruck. Sanzomon schmunzelte kurz über dieses so ungewohnte Bild des Schlossherren. In den drei Tagen (oder zwei, oder vier) hatte sie kaum ein anderes Gesicht von ihm gesehen. „Nun, Ihr habt zwar erlaubt, dass ich Eure Bücher nutzen darf, doch ich habe mich hinreißen lassen. Ihr besitzt außergewöhnliche Lektüre, sogar von anderen Kontinenten. Ich habe etwas System einbringen müssen um alles zu finden, aber ich habe interessante Entdeckungen gemacht.“ „Meine Sammlung ist nicht umsonst mein ganzer Stolz“, antwortete er, bedacht sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen über Sanzomons Art zu arbeiten, es gelang ihm jedoch weiterhin nicht. Auch dieses angebliche System erschloss sich ihm nicht. Sie waren weder alphabetisch, noch nach Thematik, nicht mal nach Umfang oder (wenn überhaupt vermerkt) nach Autor zusammengelegt worden. So beobachtete Myotismon Sanzomon einfach dabei, wie sie sich wieder in das Zentrum ihres Chaos kniete, nach einem Buch griff und wie bei einem komplexen Memory das Gegenstück suchte. Dieses lag hinter ihr, zwei Reihen weiter weg, dass Sanzomon auch nur erreichte, nachdem sie sich zurück warf und ihren Arm so weit es ging ausstreckte. Auch warum sie nicht einfach ihre telekinetischen Fähigkeiten benutzte verstand Myotismon nicht. Er vermutete, und so war es auch, dass Sanzomon in ihrem Eifer nicht daran dachte. „Aber das meinte ich nicht. Wieso sitzt Ihr hier, statt in dem Zimmer, dass ich Euch zur Verfügung gestellt habe? Beim Abendessen seid Ihr auch wieder nicht gewesen.“ „Nun ja, ich war so in meine Arbeit vertieft, dass dass ich nicht einmal bemerkt habe, dass ich müde war“, erklärte Sanzomon und lachte gezwungen, bis ihr Verstand Myotismons Satz verarbeitete. Abendessen. Es war schon wieder Abend. Dabei kam es ihr so vor, als sei sie vor ein paar Stunden erst aufgewacht. Vielleicht war sie das auch. Vielleicht hatte sie die letzte Nacht durchgearbeitet und war dann mittags doch eingenickt. Sie wusste es wirklich nicht. „Das passiert mir leider öfter.“ „Sind meine Bücher denn so spannend?“ „Spannend... Kann man so sagen. Was ich hier finden konnte grenzt an einem Schatz. Versteht Ihr?“ Seiner Mimik und dem Schweigen zu urteilen entnahm Sanzomon, dass er es nicht verstand. Augenblicklich griff Sanzomon nach einem Buch, dass direkt rechts neben ihr lag. Es trug den Titel DIE ENTSTEHUNG DER ARTEN. „Wisst Ihr, dass dieses Buch in meiner Heimat verboten ist? Man kann sie erwerben, doch wurde man erwischt hagelte es Beschimpfungen. Und das hier -“, sie griff wieder nach einem Buch, diesmal genau vor ihr, wo auch DIE FARM DER TIER-DIGIMON lag, „- gibt es auf Web Continent nur in zensierter Fassung.“ Myotismon las DER HERR DER FLIEGEN. Allmählich schien er Sanzomons System zu begreifen. „Zensur also. Eine Schande.“ „Durchaus. Als ich meine Ammen fragte, warum sie Bücher zensieren, sagte sie es muss sein. Gute Bücher sind die, die man zum Guten verändern kann. Die schlechten gehören vergessen.“ Die Bitterkeit in ihre Stimme kratzte in Sanzomons Hals. Ein Pochen strömte in ihre linke Hand, wo nicht weit davon noch ein Buch lag. Dieses war sogar aufgeschlagen. FAHRENHEIT 451. Mit fast mütterlicher Zärtlichkeit fuhr Sanzomon über die aufgeschlagene Seiten. „Das war das erste Buch, dass ich selbst gelesen habe. Da war ich noch ein Ausbildungs-Digimon.“ „Das ist aber sehr schwere Kost. Habt ihr denn damals begriffen, worum es geht?“, fragte Myotismon. Er klatschte einmal in seine Hand und der Sessel rückte zu ihm hinüber, dass er sich einfach nur noch niederlassen musste. „Nicht so ganz. Ein Sorceymon schenkte es mir. Er galt als Ausgestoßener und ich solle mich von ihm fern halten. Aber ich mochte ihn sehr. Er brachte mir auch das Schachspielen bei. Das war zu Hause noch erlaubt. Spiele mit Karten und Würfeln galten als Glücksspiel und war verboten.“ „Hatte man Angst vor der Sucht?“, scherzte Myotismon, doch Sanzomon schüttelte den Kopf bedrückt. „Eher die Angst, da sich Karten und Würfeln schwerer kontrollieren lassen.“ „Welche Kontrolle?“, fragte Myotismon vorsichtig. Er versuchte Sanzomon in die Augen zu schauen, aber ihr Kopf blieb gesenkt, während sie weiter das Buch streichelte. Bis vor kurzem wusste sie nicht einmal was eine Fahrenheit war und schon damals fand sie alles an diesem Buch überaus merkwürdig. Die Protagonisten hatten keine bekannten Digimon-Namen, denn sie endeten nicht einmal mit -mon und die Städte trugen komische Namen und überhaupt agierten sie allesamt so.... fremd. Und doch hatte sie es begeistert gelesen, denn in der Leidenschaft des Lesens und darüber nachzudenken, sich zu fragen was in ihnen war und warum die Fragen nach der Außenwelt unbeantwortet blieben verband sie mit der Hauptfigur. Nur dass in Sanzomons Heimat keine Bücher verbrannt wurden. Oder nicht so häufig. „Nun, wenn man zu oft die Regeln ständig ändern muss, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, fällt es auf. Aber beim Schach ist es relativ einfach absichtlich zu verlieren.“ „Warum sollte ein Digimon das?“ „Weil wir das so lernten. Weil wir alle gleich sind und wir sind alle gleich gut. Ständig zu verlieren säe Wut, ständig zu gewinnen Arroganz. Also gewinnt man abwechselnd oder verliert so lange, bis alle den gleichen Punktestand haben. Das fördere die Gemeinschaft. Das fördere unser inneres Licht. Und das ist doch so wichtig, wenn man ein heiliges Digimon ist, nicht wahr?“ Sanzomons Stimme klang nicht nur hoch, sondern scharf. Myotismon konnte schwören er hörte, wie sie sich auf die Zunge biss. Ihre Hand, die das Buch streichelte als wäre es ein Baby-Digimon stoppte, dann zitterte sie, doch sie legte ihre andere Hand auf diese, um es zu dämmen. „Wie lange seid ihr schon auf Reisen?“, fragte Myotismon nach einigen Sekunden. Nichts an ihm deutete an, dass er noch weiter Interesse an der vorhergehende Thema hegte, aber Sanzomon zweifelte daran, dass Myotismon dies einfach so auf sich beruhen lasse würde. Sie ließ ihre erst zitternde Hand los und nachdenklich fuhr sich Sanzomon durch die Haare. „Ich bin nicht sicher. Ich reiste vom Web Continent zuerst nach Folder Island, besuchte kleinere Inseln zwischen den Kontinenten und dann Server.“ „Und was sucht Ihr auf Euer Reise? Abenteuer? Antworten?“ „Antworten? Ich kenne nicht einmal die Frage“, erklärte Sanzomon. Ihr Lachen klang erneut gezwungen. Nun drehte sie eine ihre Strähnen um den Finger. „Ich hoffte, ich könnte auf meiner Reise die Digiwelt besser kennen lernen. Die verschiedenen Arten und Typen besser verstehen oder was in der Digiwelt alles geschehen ist. Wie die Welt wirklich ist. Keine Beschönigungen oder Verteufelungen mehr. Ich wollte es selbst sehen. Aber je weiter ich gehe, um so mehr begreife ich, dass ich nichts weiß und ich auf vieles wohl nie eine Antwort bekomme. Aber ich möchte Antworten. Ich möchten alles sehen. Darum mag ich Bücher. Sie halten Dinge fest, die man sonst vergessen würde. Jedoch...“ Sanzomon fixierte einen Stapel auf fünf dicken Büchern. Allesamt waren Geschichtsbücher und alle fünf kannte sie. Sie hatte dennoch einen Blick hinein geworfen und erkannte durchaus signifikante Unterschiede in der Umschreibung bestimmte Gegebenheiten. Neben gewissen sprachlichen Änderungen waren diese Geschichtsbücher weniger wertend und lenkten den Leser nicht subtil in eine gewisse ideologische Richtung. Sie dachte an Sorcerymon, an die vielen Abende die sie mit Schach verbrachten und nebenbei seinen Weisheiten kund tat. Denke nicht an das, was du siehst, und an das, was dir nicht gezeigt wird, das musst du entdecken und begreifen sagte er ihr. Sie hatte es als Ausbildungs- oder auch als Rookie-Digimon nie begriffen, was das hieß. Es dämmerte ihr erst, als sie zum Champion digitierte. Doch bereits davor war ihr großer Drang nach Wissen und ihre Neugier bei ihren Ammen und Spielkameraden bekannt und auch nicht selten verpönt. So viel zu fragen und alles wissen zu wollen sei... „Ihr könntet auch mich fragen“, warf Myotismon schließlich auffordernd ein. Sanzomon stutzte und blickte dann ungläubig zu ihm auf. Myotismon streckte die Hände von sich, fast symbolisch, dass er ihre Fragen geradezu mit offenen Armen anfangen würde, wäre im Kontrast dazu nicht seine Mimik, die Sanzomon nicht immer klar zu deuten vermochte. Sein ganzes Gesicht schien eine Maske zu sein. Noch nie hatte sie solche Probleme ein Digimon zu lesen, folglich reagierte Sanzomon auch zurückhaltend auf dieses Angebot. „Ihr wollt doch Dinge wissen. Ich weiß viele Dinge. Und ich rede gerne, aber ich habe selten interessante Gesprächspartner“, sagte er weiter und gerade als Sanzomon Luft für eine Antwort einzog, sagte er weiter, ohne dass sich an seiner Tonlage etwas änderte: „Oder wollt Ihr nicht mit mir reden? Ihr verbringt so viel Zeit mit meinem Gefolge, aber an mich habt Ihr bis jetzt nicht gedacht?“ „Klingt fast, als seid Ihr eifersüchtig?“, sagte Sanzomon scherzhaft und kicherte leise. Myotismon lachte nicht mit. „Es ist nur, Ihr wirkt immer so beschäftigt. Ich möchte Euch nicht mit meinen albernen Fragen belästigen.“ „Ihr belästigt mich doch nicht. Ich finde Euch unterhaltsam“, erklärte Myotismon weiter. Diesmal schmunzelte er und es war Sanzomon, die nicht darauf ansprang. „Unterhaltsam?“ „Ein Digimon wie Ihr, dass so voller Wissensdurst ist finde ich amüsant. Und wollt Ihr denn nicht wissen, ob die Horrorgeschichten wahr sind? Ich bin eine fast ausgestorbene Art. Diese Chance bekommt Ihr kein zweites Mal.“ „Versucht Ihr mich zu umschmeicheln?“ Er antwortete nicht. Zwar hoben sich seine Mundwinkel, aber Sanzomon würde nicht behaupten, dass er lächelte. Ohne das der Augenkontakt unterbrochen wurde ließ er seine Hand im Halbkreis schweifen und deutete auf den anderen Sessel. Sie solle sich zu ihm setzen, doch Sanzomon zögerte das Angebot anzunehmen. Dass sie Myotismon selbst kaum etwas fragte lag neben ihrer Vorsicht und dem Misstrauen daran, dass er selbst schon eine überaus verschlossene Ausstrahlung besaß. Und wenn sie ihn was fragte, wich er wenn möglich einer klaren Antwort immer aus. Sie hatte ihn zu Anfang viel über das Schloss gefragt, jedoch bekam sie von Myotismon keine Antworten. Nicht das er schwieg, nur hatte dieses Digimon das unfassbare Talent viel zu reden und letztlich doch nichts auszusagen. Er umging die Antworten. Es war Absicht. Er wollte ihr keine Antworten über das Schloss geben. Das er nun so ein Bedürfnis nach einer Konversation hatte kam ihr suspekt vor. Sanzomon setzte sich. Der Tisch, wo einst das Schachbrett abgebildet war hatte nur kein Schachmuster mehr. Was für ein Muster es war konnte sie nicht erkennen (sie glaubte den Teil einer Mondsichel zu erkennen), zwei Teetassen und eine Kanne versperrten die Sicht. Dass sich das Muster veränderte überraschte Sanzomon mittlerweile auch nicht mehr, so merkwürdig eigenwillig das Schloss war. Hier veränderte sich öfter etwas. Oder das Dinge auftauchten, so wie der Tee. Sanzomon überlege noch, ob ein Bakemon ihr diesen vielleicht gebracht hatte, aber sie konnte sich nicht erinnern. Dem aufsteigenden Dampf zu urteilen vermutlich nicht. Der Tee roch gut, ihr war aber nicht danach ihn zu probieren. Sanzomon saß angespannt Myotismon gegenüber. Papiere lag auf ihrem Schoss. Die Feder, die sie zum schreiben nahm zwirbelte sie zwischen ihren Fingern. Sie schwieg und starrte. Vielleicht zehn Sekunden. Vielleicht auch zehn Minuten. Ihre Skepsis, zusammen mit all den Fragen die sie hatte ließen dieses sonst so gesprächige Digimon verstummen. Myotismon nahm nur seelenruhig ein Schluck Tee und stellte die Tasse wieder ab. „Fragt.“ Doch es kam wieder erst nur Stille. Sanzomon blieb resigniert und kämpfte mit aller Kraft dagegen an irgendwelche Gesten von sich zu geben, die andeuten könnten sie sei nervös. Sie zwang sich regelrecht dazu ruhig zu atmen und widerstand dem Verlangen sich auf die Lippen zu kauen. Dass Myotismon anders wie sie so entspannt war ärgerte sie beinahe und sie vermutete, dass dies hier für ihn einzig nur ein Spiel oder ein Zeitvertreib war. Wenn man nicht das Schloss verlassen konnte wurde einem sicherlich langweilig. Vermutlich war es für ihn Unterhaltung. Er nahm erneut die Tasse in seine Hand, diesmal mitsamt der Untertasse und trank noch einen Schluck. Tee. Seit wann trank ein Blutsauger Tee? „Das mit dem Blut trinken stimmt aber, oder nicht?“ Abrupte Stille und Erstarren. Die Feder, die Sanzomon in ihrer Hand hielt schwebte zwar knapp über dem Papier, aber bei der Feststellung wie plump und unangemessen diese Frage schien hatte sie sich mit dieser Hand lieber ins Gesicht geschlagen. Ihr Bedürfnis wurde durch Myotismons Schmunzeln noch einmal verstärkt. „Es ist etwas komplexer. Meine Art hat sich wie jede andere Digimon-Art den Umständen angepasst. Blut mag meine bevorzugte Speise sein, aber die Jagd wird schwieriger und riskanter für meinesgleichen. Und wenn man dann noch eine so seltene Art ist, muss man auf der Hut sein. Wenige Generationen vor mir begannen normale Speisen zu sich zu nehmen und dieses Wissen trugen spätere Generationen weiter. Daten sind Daten. Ein rohes Steak füllt den Magen... Für eine geraume Zeit zumindest. Und natürlich nicht so effektiv und stärkend wie meine Leibspeise.“ Er hielt inne, um Sanzomon die Zeit zu lassen sich Notizen zu machen. Obwohl sie schnell schrieb, war ihre Schrift doch ordentlich, geschwungen und gut lesbar. Ein Wort, dass sie besonders groß schrieb und sogar unterstrich, zwischen BRAUCHT BLUT FÜR ENERGIE KANN ABER AUCH NORMALES SPEISEN ZU SICH NEHMEN und HUNGERGEFÜHL / BAKEMON NICHT das Wort EVOLUTION. Und schließlich, nach einer kurzen Pause neben dieses EVOLUTION = LEBEN, UNTOT = LEBEN? SEHNSUCHT NACH LEBEN? LEBENSGEFÜHL AUFRECHTERHALTEN? „Ihr seht es viel zu philosophisch“, rief er sie schließlich. Sofort hörte Sanzomon auf zu schreiben und sah zu ihm auf, nicht wissend, was er meinte. „Zwischen Leben und Tod existiert nichts. Wir sind eher fast tot. Wir Untote-Digimon sind ein uralter Virus, der Legenden zufolge seinen Ursprung in den Tiefen der Dark Area hat. Er ist simpel, aber über die Äonen oft mutiert. Er ist leicht zu vernichten, aber gerade weil er so uralt ist, unmöglich aus der Welt zu tilgen. Ich habe sogar die Theorie, er steckt in allen von uns. Da ist nichts mit Sehnsucht oder Lebensgefühl aufrecht erhalten. Wir sind Digimon, die Dank bestimmter Daten noch nicht ganz dahingeschieden sind. Entsprechend passt sich unsere Form an.“ Mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen beobachtete er Sanzomon, wie sie ihre Papiere etwas anhob, damit er ihre Notizen nicht mehr lesen konnte. Es war zu dunkel im Raum und vielleicht lag es an den Kerzen, aber es sah aus, als hätte sich ihre Wangen rot verfärbt. Anders auch wie Myotismon, der seelenruhig noch einen Schluck zu sich nahm, schluckte Sanzomon und rieb sich einmal über ihre Hand, hoffend es würde das Kribbeln in ihnen etwas dämmen. Digimon hatte sie immer nur aus der Ferne beobachtet und das was sie sah notiert. Aber sie war nie direkt auf diese zu gegangen oder hatte mit ihnen geredet, auch wenn sie die Kapazität besaßen mit ihr komplexe Diskussionen zu führen, geschweige denn sinngemäß auf einfache Ja- und Nein-Fragen zu antworten. Obwohl Myotismon ihr sagte, sie sollte es nicht philosophisch betrachten, schrieb sie neben dem Wort VIRUS Randbemerkungen daneben. WAS IST VIRUS? WAS BEDEUTET VIRUS UND WAS BEDEUTET SERUM? NUR DATEN? Kaum dass sie das Fragezeichen auf ihrem Papier ausschrieb, kehrte eine alte Erinnerung aus ihrem Unterbewusstsein auf. Zu Hause, oder das was Sanzomon früher als zu Hause bezeichnete lebte man so streng und borniert, dass es eigentlich schon bigott war. Obwohl alle Typen vertreten waren, sehnte man sich nach dem Licht, dass seit dem Auftauchen der Meister der Dunkelheit so selten geworden war, verkörpert durch heilige und Engel-Digimon. Heilig war gut, Dunkelheit war böse, dass bekamen sie von klein auf erklärt. Licht ist Leben, Dunkelheit ist Tod. Licht ist Vernunft, ist Bescheidenheit, ist Gelassenheit ist Großzügigkeit, ist Redlichkeit. Und etwas, was ihre Lehrmeister und Ammen als Dunkelheit, als Böse bezeichneten fassten sie nur mit einem einzigen Wort zusammen – Triebhaftigkeit. Und triebhaft war alles zu besitzen, alles zu verschlingen, alles zu zerstören, alles zu - „... wissen...“, begann sie, obwohl es nicht Sanzomons Absicht war ihre Gedanken laut auszusprechen. Sie bemerkte es auch nur daran, dass Myotismon die Augenbrauen unter der Maske hochzog und plötzlich gespannt darauf wartete, dass sie ihren Satz aussprach. Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Schon gut. E-es war nicht so wichtig“, antwortete sie seufzend und rieb sich über ihr immer noch warmes Gesicht. „Wo war ich – Ja, also... Ihr sagt, Ihr seid fast tot. Aber Ihr habt ein Herz, oder? Man erzählt sich in Horrorgeschichten schließlich, man solle dieses aus Euersgleichen herausschneiden. Oder etwas spitzes hineinrammen.“ „War das eine Drohung?“, fragte Myotismon und grinste noch breiter. Sanzomon jedoch erwiderte es nicht. Sie stierte ihm nur ernst in die Augen. Und ihre doch plötzlich aufrechte Haltung verriet Myotismon, dass es zwar nicht ihre Absicht war zu drohen, aber ihre Aussage nicht gänzlich naiv. „Nun, einen Digikern haben wir alle. Aber bei den meisten Bakemon ist er schwer beschädigt. Ob er wegen dieses Virus so beschädigt ist oder er es schon zuvor war und nur Dank des Virus noch zusammen gehalten wird, das weiß ich nicht... Fakt ist, sie haben erhebliche Einschränkungen, insbesondere in ihrem Denken. Ohne einen Anführer könnten sie sich nicht organisieren. Wenige Ausnahmen schaffen es die nötige Stärke zu erlangen zu digiteren und werden wie mein treuster General.“ „Und was ist mit Euch? Seid Ihr auch wie die Bakemon gewesen?“, fragte Sanzomon weiter. „Nein. Ich war nie ein Bakemon, oder irgendein anderes untotes Digimon. Um so überraschter bin ich, dass sie mich, als ehemaliges Tier-Digimon akzeptieren. Geist-Digimon sind etwas xenophob, müsst Ihr wissen. Sie misstrauen anderen Digimon grundsätzlich. Rückblickend, wie man sie behandelt durchaus verständlich.“ „Tier-Digimon?“, murmelte Sanzomon, während sie weiter Notizen schrieb. „Aber... was, und -“ Sie sprach ihren Satz nicht zu ende. Als sie auch ihren Blick von ihrem Papier abwandte und aufsah, schien der Raum dunkler. Sie brauchte einen Moment, bis sie realisierte, dass nicht der Raum dunkler geworden war, sondern dass sich eine Finsternis vor ihr sammelte, eine Finsternis mit glühenden Augen, einer langen Schnauze und auf vier schlanken Beinen stehend. Und sie könnte schwören, dieses Etwas hätte vor ihr mit seinen Zähnen gefletscht. Bis aber Sanzomons Gedächtnis die Form etwas Bekannten zuordnen konnte zerfiel diese Erscheinung wieder in den Schwarm zahlloser Fledermäuse. Diese verschwanden in den Schatten der Ecken und nichts machte plötzlich den Anschein mehr, dass sie überhaupt noch hier sein, sondern sie wären mit den Schatten verschmolzen und verschwunden. Das beachtete Sanzomon jedoch weniger, sondern starrte überrumpelt vor sich hin, die Gestalt immer noch in ihrem Kopf und sich erinnernd, dass das nicht einfach irgendeine Gestalt, sondern ein Digimon war. Eines, dass sie wie Myotismon nur aus Gruselgeschichten oder Weissagungen aus ihrer Heimat kannte. Die alten Büchern nannten diese Art Digimon abwertend einen Grimm, sowie man Myotismon Vampir nannte. „Ein... Dobermon?“, fragte Sanzomon überrascht, Myotismon grinste jedoch weiter. „Aber.. Wie?“ „Ich sagte doch, dieses gewisse Etwas liegt in jedem von uns. Man muss es nur zu Nutze wissen und die richtigen Veranlagungen haben. Daran scheitern jedoch die meisten. Dass Digimon meiner Art von den Untoten zum König ernannt werden liegt an unseren Fähigkeiten und unserer Stärke, die nicht jedes Digimon nutzen, geschweige den kontrollieren kann, selbst die untoten Digimon nicht. Um so seltener ist meine Spezies. Es haben genug Digimon versucht so zu werden wie ich und fast alle scheitern. Vielleicht ist dies auch ihr Glück. Ein Leben zu führen wie ich kann... eintönig sein.“ Seelenruhig nahm Myotismon noch einen Schluck Tee. Zwar griff Sanzomon auch nach ihrer Tasse, trank aber nichts. Sie fragte sich stattdessen, wie oft er überhaupt dazu kam mit irgendeinem anderen Digimon Tee zu trinken. Er hatte sicherlich nicht ohne Grund wenig Besuch, dennoch verspürte Sanzomon etwas wie Mitleid. In einem Schloss eingesperrt zu sein, egal wie groß es ist und nicht hinaus in die Digiwelt zu können musste ein mehr wie nur eintöniges Dasein sein. Ein Leben, dass auch sie auch fast geführt hätte. „Der Punkt ist, wir unterscheiden uns. Nicht nur durch unsere Anpassung an die Digiwelt. Es kommt darauf an wie wir so werden. Manche sterben beinah bei dieser Digitation, sie werden vom Virus in uns komplett korrumpiert oder es ist eine Laune der Natur.“ „Wenn ich das also richtig verstehe, hängen die Fähigkeiten davon ab, aus was ihr digitiert?“, harkte Sanzomon nach. Myotismon nickte ihr erst zustimmend zu, dann beugte er sich nach vorn. Das war nicht das erste Mal, dass Sanzomon von dieser Theorie hörte bezüglich der Entwicklung verschiedener Digimon-Arten. Jedoch in ihrer Heimat davon zu reden war blasphemisch. Ein Digimon zu sehen, dass Ihre Theorie – oder eher die Theorie der Digimon, dir ihr diese Lehre näher brachten durch ihn bestätigt zu bekommen faszinierte sie um so mehr. „Ich gebe Euch ein Beispiel. Mein Meister war überaus lichtempfindlich. Ich denke, er digitierte aus einem Geist-Digimon. Er war stark. Sehr stark. Vielleicht sogar stärker als ich. Doch nur ein Hauch Tageslicht nahm ihm fast seine gesamte Kraft. Er musste nur seine Hand aus den Schatten ragen und er fing regelrecht Feuer.“ Demonstrativ streckte Myotismon seine Hand auf, drehte sie leicht, bis er einer Flamme in der Hand hielt, die zwar nicht groß oder sonderlich hell war, aber die Temperatur im Raum dennoch nach oben trieb. Von der Zaubershow an sich weniger beeindruckt wie von den Worten, die aus dem Mund dieses Digimon kamen schrieb Sanzomon stumm weiter. „Ich habe dieses Problem nicht. Ich digitierte aus einem lebenden Tier-Digimon. Selbstverständlich werde ich niemals einen Spaziergang schutzlos im Sonnenlicht wagen, auch wenn es mich nicht sofort umbringen würde. Doch erlauben es mir dichter Nebel und Wolken, die das Licht verschlingen, dass ich auch am Tage meinen Schritt aus meinen Schloss wagen kann, ohne gleich in Flammen aufzugehen.“ Aufs Stichwort verschwand das Feuer wieder. Sanzomon widmete dem aber auch nur ein kurzes Aufschauen, nicht einmal eine Sekunde, dann sah sie wieder auf ihr Papier. Myotismon wartete so geduldig, so fast unheimlich ruhig dass man gar das Kratzen der Feder auf dem Material hörte, dabei schrieb Sanzomon trotz der Geschwindigkeit und der Bemühung, ihn nicht lange warten zu lassen sacht. „Und so zeigen sich bei verschiedenen Artgenossen verschiedene Stärken und Schwächen.“ „Habt Ihr den viele Euersgleichen getroffen?“ „Mit meinem ehemaligen Meister sind es haargenau... Eines.“ Das kratzende Geräusch auf dem Papier verstummte abrupt. Sanzomon stutzte, dann sah sie fragend von ihrem Papier auf, während Myotismon weiter um gänzliche Neutralität und Emotionslosigkeit in seinem Auftreten bemüht war. „Eines?“ Myotismon zuckte nur mit den Schultern. „Wir sind selten geworden. Ich wüsste nicht, dass es aktuell mehr von meiner Sorte gebe. Zumindest auf Server. Und wenn, werden die Meister der Dunkelheit sie vermutlich getötet haben und sie haben sich zurückgezogen, so wie ich.“ „Wollt Ihr nicht wissen, was mit ihnen geschehen ist?“ „Was hätte ich davon?“, fragte er, in einem Ton als hätte Sanzomon ihm eine Beleidigung an den Kopf geworfen. Da wurde ihr klar, dass sich Myotismon sich nicht um Neutralität scherte. Ihm war es schlicht gleichgültig. „Nun, vielleicht könntet ihr zusammen zum Beispiel die Macht der Meister der Dunkelheit eindämmen. Sie werden für Euch sicherlich genauso eine Bedrohung sein wie für jedes andere Digimon auch.“ „Meine Artgenossen würden mir nur mein Reich und mein Essen streitig machen. Ich bin ohne sie besser dran. Glaubt mir“, beteuerte Myotismon eisern und gerade als Sanzomon widersprechen wollte unterbrach er sie auch schon. „Ihr wisst nicht wie Krieg funktioniert, oder?“ Es herrschte Stille. Dann bewegte Sanzomon leicht ihren Kopf hin und her und erntete dafür von Myotismon ein spottendes Seufzen. „Natürlich nicht. Ihr entstammt ja einer anderen Zeit. So wie ich Euch einschätze, seid Ihr gar zu jung um überhaupt einen Krieg miterlebt zu haben. Wie beneidenswert.“ Wieder ein Grinsen. Sein überspitzter Ton war sogar Sanzomon aufgefallen. Er spottet über sie und wartete gespannt, ob und wie sie kontern würde. Sanzomon entschied sich hingegen nicht darauf anzuspringen, ließ aber anmerken, dass sie dennoch verstanden hatte, was er ihr indirekt sagen wollte. „Wer schon so viel gesehen hat wie ich weiß, wie solche Bündnisse früher oder später enden, insbesondere mit meiner Art. Wer so naiv ist und an Dinge wie bedingungslose Freundschaft, Zusammenhalt oder gar Moral glaubt, wird der Erste sein, den man einen Pflock in die Brust rammt.“ „Aber es wäre doch vernünftiger“, entgegnete Sanzomon. Und ganz plötzlich verschwand Myotismons schelmisches Grinsen komplett. Nicht einmal ein Hauch davon blieb zurück. Seine Miene war wie Stein, steif und todernst. „Vernunft ist die Ausnahme. Nicht die Regel.“ Sie hatte anschließend auf ein Lachen gehofft. Aber Myotismon lachte nicht. Er tat rein gar nichts, außer darauf zu warten, was sie nun schreiben würde, aber jeder Satz der in Sanzomons Kopf entstand verwarf sie noch im selben Augenblick, denn keiner davon hätte auch nur annähernd das beschreiben können, was ihr wirklich durch den Kopf ging oder was sie in Myotismons Augen glaubte erkannt zu haben. Vielleicht wollte sie diese Gedanken auch einfach nicht in schriftlicher Form sehen, ansonsten hätte sie noch schwarz auf weiß, wie ahnungslos sie war. Eine Tür schien sich vor Sanzomon geöffnet zu haben, die eigentlich immer offen war, an die sie sich jedoch kaum getraute heranzugehen. Die Welt war nicht so friedlich wie man es ihr als junges Digimon immer verkaufte, ehe sie ihre Heimat verließ. Das Digimon kämpften war jedem klar. Die Gründe dieser Kämpfe waren mannigfaltig. Auch was Krieg war wusste Sanzomon selbstverständlich und sie hielt solche Machtdemonstrationen für mehr wie nur sinnlos, barbarisch und insbesondere nicht mehr zeitgemäß. Zu hören dass auf Server, einem so modernen Kontinent so etwas wie Krieg herrschte klang absurd und fremdartig. Etwas, was nur primitive und von der Dunkelheit zu brutalen Bestien mutierten Digimon taten. Nun jedoch wo sie Myotismon vor sich hatte kam sie sich vor, als wüsste sie gar nichts. Sie kannte die Zeit von damals nicht. Sie kannte die raue Natur solcher Digimon wie er eines war nicht. Sie wusste nicht, dass Krieg oftmals alles andere als nur primitiv und triebhaft war. „Ich fürchte, Ihr seid doch noch nicht so weit. Zu schade. Ich hätte von einem Digimon, dass noch so jung und so wenig gesehen hat nicht zu viel erwarten sollen“, sagte Myotismon bedauernd. Er wartete noch darauf, dass Sanzomon etwas sagte, doch es kam nichts über ihre Lippen. Stattdessen senkte sie ihren Blick reumütig und merkte auch erst nicht, dass Myotismon wieder dabei war aufzustehen. Vernunft ist nicht die Regel. Das hatte sie schon einmal gehört. Die Digiwelt sei ein furchtbarer Ort, darum gab es so etwas wie Krieg oder eben Digimon, wie Myotismon eines war. Sie brachten Ungleichgewicht. Sie, die Triebhaftigkeit, gehöre ausgelöscht, dass war das Dogma der Digimon, die sie aufzogen um heilige Digimon heranzuziehen. Triebhaftigkeit war etwas, für was man sich zu schämen hatte. Was gelöscht gehört. Reine Vernunft war der Segen, den nur heilige Digimon zu verstehen wüssten, hieß es. Und es war bitter zu hören, ihr Wissensdrang gehöre mit zu dieser Triebhaftigkeit. Die jahrelange strenge und fromme Erziehung würde Sanzomon nur schwer aus sich heraus bekommen, dass hatte schon Sorcerymon prophezeit. Ein Magier-Digimon, dass so plötzlich erschien, wie es auch wieder verschwinden würde. Sorcerymon war viel gereist, hatte viel gesehen und hatte ihr einiges davon erzählt und sie wusste, sie wollte genauso durch die Welt reisen. Normalerweise förderte Sorcerymon ihren Enthusiasmus, aber da wurde er plötzlich ruhig und zurückhaltend. (Bist du sicher dass du das auch wirklich willst?) Allmählich verstand sie seine Bedenken. Jedoch... „Was habt Ihr damals gesehen?“ Myotismon bewegte sich plötzlich nicht mehr, aber er hob den Kopf um Sanzomon in die Augen sehen zu können. Und ganz plötzlich waren ihre Augen klarer wie zuvor, aber sie wirkten nicht sanft. Sie wirkte so ernst. So entschlossen, aber auch so aufgeregt. Das war so ungewohnt, machte Sanzomon doch sonst er einen sanftmütigen und leicht verträumten Eindruck. Er versuchte zu lachen, wenn Sanzomon sich nicht aber erklären konnte warum er das versuchen sollte. Vielleicht um zu kaschieren, dass ihre Bitte ihn doch etwas überraschte. „Ein Pazifist der Kriegsgeschichten hören möchte? Ist das kein Widerspruch?“ „Ich möchte es hören. Von Euch.“ Eine Aura schien sich um sie zu legen. Sie war nicht dick, aber schwer genug, dass Sanzomon sie auf ihren Schultern spürte, wie eine Hand oder ein Vogel-Digimon, dass auf ihr Platz nahm. Dass dieses Vakuum der Finsternis, dass in diesem Schloss hauste sie zu erdrücken versuchte war Sanzomon nicht neu. Manchmal schlich es sich an sie heran, manchmal überfiel es sie regelrecht. Licht und Dunkelheit waren in ständiger Konkurrenz, selbst wenn dieses Licht pazifistisch und möglichst unauffällig war. Aber irgendwie war dieses Vakuum, dass Sanzomon wie auch Myotismon einschloss in diesem Fall doch seltsam. Myotismon starrte sie an, in seiner Bewegung erfroren und sie starrte nur zurück. Und wie so oft wusste auch hier Sanzomon nicht, was der untote Schlossherr von ihr dachte. Ihr Papier und auch ihre Feder legte Sanzomon nur Seite und ihre hellen Hände legte sie gefaltet auf ihrem Schoss ab, hoffend, dass er ihre Geste verstand. Er musste, oder zumindest weckte es in Myotismon Interesse, ansonsten hätte er sich vielleicht nicht wieder zurück in den Sessel gesetzt. „Ich kämpfte im Krieg und in vielen Schlachten. Ich sah Digimon aufsteigen, ich sah Digimon fallen und nur die stärksten und klügsten setzten sich durch“, begann er. Seine Stimme war deutlich. Er sprach ein klein wenig langsamer. Er wollte, dass sich Sanzomon jedes Wort einprägte. Oder er ließ sich einfach Zeit, um so besser beobachten zu können wie Sanzomon reagieren würde. Zumindest bestätigte Myotismons eindringlicher Augenkontakt ihre Gedanken. Und sie würde zuhören. Sehr gut zuhören. „Ich war eines vieler Tsukaimon, die mein ehemaliger Herr aufnahm um aus ihnen gute Soldaten zu machen. Er nahm sehr viele von uns auf. Zu viele. Das Essen reichte nicht für uns alle. Ich erkannte später, dass dahinter ein Plan steckte. Mein Meister ließ uns ums Essen kämpfen. Die Stärksten bekamen, was sie wollten. Die Schwachen verhungerten. Wer teilen wollte oder zu gutmütig war, wurde früher oder später hintergangen.“ Wieder hielt Myotismon inne und wartete darauf, die Sanzomon reagierte. Sie würde versuchen nicht zu reagieren, sie würde es zu unterdrücken versuchen, doch kleine Bewegungen, leichte Zuckungen oder nur leichte Veränderungen ihrer Position würden sie verraten, ihre Erschütterung darüber wie Digimon, die eigentlich als so intelligent galten ohne jeden Grund so sadistisch sein konnten. Myotismons Schätzung traf ein, doch Sanzomon verpasst seine Überraschung darüber wie sie reagierte. Nicht entsetzt. Nur nachdenklich. Sie neigte den Kopf, schaute kurz weg. Seine Beschreibung der Lage und der psychischen Belastung, die diese mit sich brachte klang für sie grausam, obwohl er davon erzählte, als sei es so banales wie ein Schluck Wasser zu trinken. „Ich habe mich schon früh durchzusetzen gewusst und war meinem Mitstreitern in allen überlegen. Auch in jeder Schlacht, in denen ich unsere Ländereien vor den digitalen Abschaum befreite, der in die Digiwelt strömte und sich ausbreitete wie eine Seuche“, sprach Myotismon weiter und Sanzomon vernahm etwas wie einen Hauch von Zorn und Ekel in seiner Aussprache, wunderte sich aber mehr über seine Wortwahl. Daten, die in die Digiwelt strömten. Meinte er die Digimon der Dark Area? Die Meister der Dunkelheit? So offensichtlich Sanzomon zeigte, dass sie eine genauere Nennung dieser Seuche wünschte, so offensichtlich war Myotismon nicht geneigt dazu genauer darauf einzugehen. Er lehnte sich nur weiter zurück, die Hände ineinander gelegt. „Die Digiwelt kam mit so vielen neuen Daten und besonders vielen korrupten Daten nicht hinterher. Die Umwelt und die Natur veränderte sich. Überschwemmungen und Hunger schnürte noch mehr Unzufriedenheit. Weil sich aber damals niemand mit der Wissenschaft der Digiwelt beschäftigte, schob der Pöbel die Missernten und starken Unwetter auf die Landesherren und diese wiederum auf die Nachbarländer. Auch mein damaliger Meister schickte uns in die Schlachten, die mehr dazu dienen sollten seinen bereits beschädigten Ruf zu retten, statt wirklich sein Volk zu schützen. Ich kämpfte am Anfang als schlichter Soldat, kaum dass ich Dobermon wurde. Kämpfe dauerten manchmal Tage. Kameraden, die neben mir in einer Reihe standen lösten sich auf und starben. Ich habe aufgehört zu zählen wie viele Kämpfe es waren und wie viele dabei drauf gingen. Manchmal sah ich monatelang nichts als Ödland und meine verletzten Kameraden im Sand. Hätten wir mehr Ressourcen, hätten vielleicht mehr überlebt. Und mir wäre oftmals die Entscheidung erspart geblieben, entscheiden zu müssen ob es sich lohnt sie zu retten, oder ob man ihnen nicht den Kopf abbeißt, damit sie wenigstens schnell sterben. Denn egal wie man sich entscheidet, es beschwert sich im Nachhinein immer jemand und meist die, die zu feige waren diese Verantwortung zu übernehmen.“ Er trank noch einen Schluck Tee, mit einer Seelenruhe, die Sanzomons Magen fast zum drehen brachte. Sie hörte ihm zu und konnte sich das Gesagte bildlich vorstellen. Um so weniger verstand sie, wie gelassen er das erzählen konnte. „Verantwortung zu übernehmen zahlt sich aber früher oder später aus. Irgendwann wurde ich aufgrund guter Leistung, Stärke und Intelligenz im Kampf Leutnant. Dann Oberleutnant. Dann Hauptmann. Dann Mayor. Irgendwann General. Und letztlich bekam ich die Krone, die mein Meister anstrebte.“ Sanzomon nickte vorsichtig. Auch wenn ihr Körper weiter einen versteinerten Eindruck erweckt, ein Blick in die Augen reichte um zu erkennen, dass ihr Verstand regelrecht auch Hochtouren lief. Insbesondere als ihr Verstand versuchte eine Zeit für das alles zu finden, eine Epoche, in die es diese einordnen konnte und sich mehr und mehr Fragen stellte. Ja, es gab solche Bürgerkriege. Um genau zu sein waren es mehrere, kleiner Kriege, die irgendwann die Grenzen überschritten und zu einem einzigen Chaos verschmolzen. Als die Kontinente sich teilten und der Abstand größer wurde, legte es sich etwas und neue, politische Strukturen innerhalb der Kontinente sorgten für Waffenstillstände (zumindest bis die Meister der Dunkelheit auf der Bildfläche erschienen). Aber wann war das? Sanzomon hörte davon selbst nur in Büchern. Digimon, die das noch aktiv miterlebt hatten, kannte sie keine. Eigentlich war Sanzomon sogar überzeugt davon, dass es keine Digimon mehr gab, die noch in diesem Krieg gekämpft hatten. Diese Ereignisse waren hunderte Jahre her. „Wie alt seid Ihr?“, fragte Sanzomon. Es war eine nebensächliche Frage, die sie nicht einmal besonders ernst meinte. Sie lachte sogar etwas, als sie diese stellte – und hörte sofort wieder auf, als Myotismon mit ihr lachte. „Alt genug“, antwortete er, mit einer Mehrdeutigkeit in seinem Grinsen, dass Sanzomon Gänsehaut bereitete. Alt, alt genug, alt genug um eine Zeit zu kennen vor den Meister der Dunkelheit, eine Zeit, die über das Alter ihrer Bücher hinausging. (Daten, die in die Digiwelt strömten) Sie fragte sich, was er alles schon sah. Was wusste er? Wie war die Digiwelt früher? Wie waren die Digimon früher? (wie war er früher?) So viele Fragen kamen ihr in den Sinn, aber sie sprach keine aus, auch wenn ihr dies schwer fiel. Gänsehaut zeichnete sich auf ihren Armen ab, doch Sanzomon traute sich nicht ihre Ärmel weiter hinunter zu ziehen. Das würde sie nur verraten. „U-Und mit Eurem ehemaligen Meister zusammenzuarbeiten kam Euch nicht in den Sinn? Zu Zweit hätte man den Krieg doch leicht für sich entschieden. Oder nicht?“, fragte sie weiter. Wenn sie das Thema weiter vorantrieb, würde dieser Erregungszustand vielleicht von selbst verschwinden. Oder wenn Myotismon anfangen würde sich klarer zu äußern, wie nur kurz zu antworten, aber anhand der Wortwahl doch so viel anzudeuten. Da er dies aber bewusst tat und er trotz Sanzomons Mühen sah, wie sehr seine Erzählungen sie fesselten, würde er es so schnell nicht tun. Es machte ihm Spaß sie zappeln zu sehen. Sanzomon griff nach ihrer Tasse, wie auch nach der Untertasse, statt sie aber nach einem große Schluck wieder abzulegen, behielt sie diese in ihrer Hand. „Ich sagte Euch doch, wir sind dissozial. Für uns ist der andere nur Konkurrenz. Meinesgleichen ist der Auffassung, dass je weniger von uns existieren, um so besser es für einen selbst ist. Andere Digimon begrüßen diese Einstellung selbstverständlich.“ „Und... was ist mit Eurem Meister passiert?“ „Was denkt Ihr denn, was passiert sein könnte?“ Sanzomons Mund öffnete sich zwar, doch dass, was sie sagen wollte blieb ihr im Hals stecken.Dass der ehemalige Meister tot war, war nicht schwer zu erraten. Doch die Frage war das Wie und dieses Wie wurde ihr in dem Moment bewusst, als sie Myotismon ins Gesicht sah. Sein Gesicht blieb erst noch neutral, dann schloss er kurz die Augen um zu blinzeln und als er sie wieder öffnete hoben sich auch seine Mundwinkel und plötzlich schien ihr, als wüsste sie auf einen Schlag alles. „Ich habe Euch doch verraten, dass mein Meister sehr lichtempfindlich war. Auch er konnte das Wetter beeinflussen, doch es half ihm nicht. Ich habe von ihm gelernt. Ich habe schon damals, als er mich mitnahm gespürt, dass ich es sein würde, der ihm irgendwann den Hals umdreht“, erklärte Myotismon weiter. Zwar klang er nicht anders wie zuvor, doch passend zu seiner Umschreibung ballte sich seine rechte Hand zu seiner Faust. „Er war mächtig, aber kein guter Anführer, in einer Zeit in der man gezielt Jagd nach blutsaugenden Digimon machte. Das machte ihn zusätzlich paranoid. Er sperrte sich ein und wir Soldaten müssten zusehen, wie wir zurechtkamen. Seine frustrierte Gefolgschaft auf meine Seite zu ziehen war mehr als einfach. Er hatte schon immer wenn es zu brenzlig wurde und er mit seiner Stärke nichts erreichen konnte die Verantwortung auf uns abgeschoben. So was gehört sich als Anführer nicht.“ Während Myotismon sich zu erinnern versuchte, wanderten seine blauen Augen zur Seite, schlossen sich für einen Moment, um nach dem Öffnen wieder Sanzomon zu fixieren, die steif da saß und sich vorzustellen versuchte, was geschehen war. Es gelang ihr zum Teil, doch das wahre Ausmaß dieses Chaos würde sie sich aufgrund der mangelnden Erfahrung nie vorstellen können, so sehr sie es versuchte. Und weil sie es eben weiter versuchte, behielt Myotismon sein Grinsen auf den Lippen. „Es geschah an einem sehr trockenem, aber düsteren Tag. Es waren sehr viele, dicke und schwarze Wolken am Himmel. So dicht, dass man nicht einmal sicher sein konnte, ob es Tag oder Nacht war. Nicht einmal mein Meister. Unsere innere Uhr sagt uns zwar, welche Tageszeit herrscht, doch der verlorene Krieg und diese Präsenz, die seit Tagen in seinem Schloss umher wanderte, die seiner so ähnlich war machten ihn schrecklich nervös und unvorsichtig. Seine Paranoia wurde von Tag zu Tag schlimmer. Sie beraubte ihn jeder Besonnenheit und statt zu kämpfen, wie es sich für einen Anführer gehörte, schlug er um sich wie ein dummes Tier-Digimon, dass man in die Ecke drängte. Und erst, als er nach einen langen Kampf erschöpft zu Boden ging und die ersten Sonnenstrahlen ihn berührten, erkannte er wer der Artgenosse und Verräter war. Binnen von Sekunden wurde er zu Asche. Selbst die Überreste seiner Daten, die sich im Winde verstreuten, rochen verbrannt und -.“ Das Klirren der Tassen unterbrach Myotismon. Sanzomon wäre sie beinahe aus der Hand gefallen, die mittlerweile so stark zitterte, dass sie die Porzellantasse mit beiden festhalten musste. Dann fasste sie sich an den Kopf. Lebhafte Fantasie, welch ein Fluch. Er erzählte und sie sah die Bilder vor sich. Sie schwor sogar, sie hätte die Datenreste in der Luft gerochen. Metallisch und erdrückend. Dass simpel gestrickte Digimon, die mehr aus animalischen Instinkten heraus agierten so waren war das eine. Sie kämpften um ihr Revier oder um Essen, zu meist waren sie friedlich. Die meisten zumindest. Die anderen hatten eine durch und durch aggressive Natur, gegen die keine gute Erziehung half. Aber wie vernunftbegabte Digimon, die so intelligent waren gleichzeitig doch so sadistisch und ignorant begriff sie nicht. „Wie wusstet Ihr, dass Euch das Sonnenlicht nicht so sehr zusetzen würde?“, fragte sie und holte dabei tief Luft. Das Entsetzen war ihr ins Gesicht geschrieben und der klägliche Versuch sich durch weitere Fragen zu fassen und auf andere Gedanken zu kommen halfen ihr kaum. Sie war blass im Gesicht geworden, selbst Myotismon bemühte sich, sich nicht über ihr unschuldiges Wissen lustig zu machen, sondern sagte ganz trocken: „Gar nicht.“ „Nicht?“, rief sie erschrocken, mit fast viel zu hoher Stimme. Ihr Gesicht war immer noch bleich, aber gleichzeitig warm. Dieses Digimon machte sie fertig. „Hattet Ihr keine Bedenken, dass Ihr auch so enden könntet?“ „Durchaus. Ich hegte jedoch nicht die Angst vor Licht wie mein Meister. Obwohl mir unwohl bei den Gedanken an Tageslicht war, sagte mir meine Intuition, dass ich nicht allzu viel zu fürchten hätte, solange ich mir meiner Grenzen bewusst blieb. Mattes Licht hielt ich stand, aber ob und wie lange ich in der direkten Sonnen überlebte, bis mein Meister ausgeschaltet sei, dass wusste ich nicht.“ „Wieso dann dieses Risiko?“, fragte sie. Sie klang wieder etwas ruhiger. „Nun... Ich bin eben neugierig. Nur bin ich nicht das Digimon, dass Ewigkeiten nur kleine Versuche unternimmt oder passiv in einer Ecke sitzt und beobachtet. Ich teste die Dinge lieber selbst aus. Ich bin da etwas eigen.“ „Aber hatte Ihr keinerlei Bindung zu Eurem Meister? Er hat Euch aufgenommen. Hattet Ihr nicht eine Sekunde Bedenken?“ In dem Moment als Sanzomon ihre Frage aussprach wusste sie Antwort auch schon. Myotismon musste ihr nicht antworten, er tat nichts und das sagte genug aus. Natürlich war ihm das gleich, wie so viele andere Dinge. Darum klang alles, was er von früher erzählte auch so gefühlsarm. Manche Geschichten die man über ihn und seinesgleichen erzählte hatten also doch einen wahren Kern. „Wir sind keine sozialen Digimon. Wir sind unsere größten Konkurrenten. Wir denken alle so. Zur Evolution gehört nicht nur, dass die Starken sich anpassen, sondern auch dass die Schwachen sterben. Und glaubt mir – jede Digimon-Art verfolgt dieses Prinzip. Selbst die Eure, wenn auch nicht so brutal wie es meine Art pflegt. Die stärkste Art überlebt und entwickelt sich weiter, um schließlich über die schwachen zu bestimmen. Wer schwach ist und stagniert stirbt früher oder später aus. So ist es vielen Digimon-Arten ergangen und es werden in der Zukunft noch genug folgen. Erschüttert Euch das so sehr?“ Auf die Frage war Sanzomon nicht vorbereitet und weil es sie so überraschte, wusste sie nicht, was sie antworten sollte. Und weil sie keine Antwort hatte schaute sie beschämt zur Seite. Ihre Finger krallten sich in ihr Gewand. „Das gehört dazu, wenn man sich Wissen aneignen will. Man muss sich auch mit den unschönen Dingen beschäftigen. Hunger, Tod und Krieg gehören nun einmal in diese Welt. Das sind keine Abnormalitäten, die aus Mangel an Intelligenz entstehen. Vielmehr ist es das Natürlichste der Welt, anders wie die Schwachen durchzufüttern. So grausam es klingt, es garantiert, dass diese Welt sich weiterdreht und sich verändert. Das Streben nach Macht sichert unsere Position und unser Überleben. Ressourcen sind knapp in dieser Welt, darum sterben die Schwachen. Sie sind die Opfer die man bringt, damit man selbst, als treibende Kraft unserer so fragilen Gesellschaft überlebt.“ Myotismon nahm den letzten Schluck Tee zu sich, legte sacht die Tasse auf den kleinen Teller und ebenso leicht legte er beides auf den Tisch. Geduldig, behutsam, ohne zu hastig zu reagieren, ohne zittern und sie konnte es überhaupt nicht nachvollziehen. Jedes andere Digimon, dass über solch schreckliche Dinge erzählt hätte, würde zumindest ein wenig aufgewühlt sein oder man könnte es an seiner Körpersprache erkennen, egal wie viel Mühe es sich gab. Das erschreckte Sanzomon fast mehr wie seine Erzählungen und seine Einstellung. „Grundgesetz Null – Fressen oder gefressen werden. Die Welt da draußen ist nichts für Pazifisten. In der Regel sterben sie zuerst.“ „War dies ein Versprechen?“, fragte Sanzomon. Sie klang ernst, doch Myotismon lachte, als sei es ein düsterer Scherz gewesen, wenn es auch offensichtlich keiner war. Ihr Gesicht war klamm, ihre schwitzigen Hände verkrampften sich fester. Ihre Brust tat weh. Das Korsett der Nervosität spannte sie immer mehr an und wurde fast unerträglich fest, als Myotismon nicht nur aufstand, sondern auch noch direkt auf sie zu lief. Sanzomon realisierte dies aber erst nicht, bis sein Gesicht direkt vor ihrem war. Seine Arme stützte er auf beiden Armlehnen ab. Sein Schatten fiel direkt auf sie und hüllte Sanzomon in Dunkelheit. Sie war gefangen und glaubte Schweißperlen liefen ihre Stirn hinunter. Myotismons Finger legten sich unter ihr Kinn und hielten ihren Kopf fest. Nun konnte sie nicht einmal mehr wegsehen. Ihr Körper verkrampfte sich noch mehr. „Ihr müsst keine Angst haben. Ihr seid schließlich keine Konkurrenz. Außerdem würde es meine Ehre niemals erlauben Gäste anzugreifen, solange sie die Regeln des Hauses respektieren“, erklärte er. Jede einzelne Silbe aus seinem Mund klang, als unterdrückte er gerade so es loszulachen. Seine Selbstsicherheit, gepaart mit seinem arroganten Erscheinen raubte Sanzomon den Atem. Dennoch - Seine Augen, kreiste es in ihren Gedanken. Dass Myotismon einen Blick besaß, bei dem das digitale Blut schlagartig im Körper gefror hatte Sanzomon schon am ersten Tag bemerkt. Der Boden der Bibliothek war ein einziger großer Teppich, doch die Kälte ging dennoch bis zu den Füßen. Nun aber so vom Nahen merkte sie erst, wie stechend, wie intensiv und vor allem wie er sie ansah, wie (Beute Beute und dann rammen sie ihre Zähne in deinen Hals und saugen die Daten aus dir heraus, bis nichts mehr von dir übrig ist) Nein. Nicht nur wie ein Digimon, dass seine Beute fixierte. Eher wie ein Digimon, dass versuchte ihre Gedanken zu lesen, dass jede ihrer Bewegungen genau beobachtete um zu verstehen, was in ihr vorging. Er hatte kalte Augen. Intelligente Augen. Und mal nicht der Beobachter zu sein, der das Objekt des Wissensdranges analysierte, sondern selbst von so einem ebenso intelligenten Digimon angestarrt und so genau beobachtete zu werden empfand Sanzomon, wenn sie es auch nicht so gerne zugab als interessant. Reizvoll. Was Sanzomon aber fast noch ansehnlicher fand wie seine Augen, waren die Lippen. Violett, bläulich, ein Anzeichen, wie kalt sie sein mussten, aber die Fülle und Form, zusammen mit seiner gräulichen Blässe schmeichelte ihnen. Nur seine langen Zähne bereiteten etwas Unbehagen – machten seine Lippen jedoch kein bisschen uninteressanter und Sanzomon erwischte sich selbst dabei, wie sie mit ihrer Zungenspitze kurz ihre eigenen berührte. Sie hoffte, es war, trotz dass ihr Halstuch über die Nasenspitze ging nicht aufgefallen. Sie hoffte es inständig. Den Ansatz eines Lächelns jedoch und das leichte Zucken in ihren Augen konnte sie nicht komplett unterbinden. „Meine Kriegs-Geschichten scheinen Euch doch zu gefallen“, stellte Myotismon amüsiert fest. „Ihr seid kein besonders guter Pazifist.“ „Mein Pazifismus scheint nur wie so oft meinem Drang nach Wissen zu unterliegen.“ „Aber obliegt Euer Wissensdrang auch Eurer Angst?“ „Angst ist der Neugierde größter Widersacher. Also gilt es für mich Angst zu überwinden. Auch wenn das Thema schon fast obszön ist.“ „Angst ist ein ganz normaler Überlebensinstinkt. Ohne Angst würden wir stets nur in unser Unglück rennen. Und die Schwachen würden, trotz des Luxus in dem sie aktuell leben vor mich treten und frech werden, ohne zu merken, dass sie damit nur ihr eigenes Grab schaufeln. Das widert mich, trotz vieler Fortschritte so sehr an an der heutigen Digiwelt an. Die Schwachen haben vergessen, am welchen Ende der Nahrungskette sie stehen.“ Zum ersten Mal wurde ihr wirklich warm unter dem Stoff und sie glaubte, ihr ginge die Luft aus. Ihr wurde geradezu schwindlig und Sanzomon glaubte sogar, sie halluzinierte. Kam Myotismons Gesicht ihrem wirklich näher, oder dachte sie das nur? Ihre Wangen glühten. Ihre Umwelt schien sich zu drehen. „Ihr habt ja plötzlich wieder Farbe im Gesicht. Habt ihr keine Angst nach meinen Geschichten?“ „Ich vertraue einfach darauf, dass Euch Euer Wort und Eure Ehre wichtiger sind wie einfachen Bedürfnissen zu unterliegen, wie Hunger oder Machtdemonstration.“ „Ihr haltet mich also nicht für brutal und gewaltig? Da fühle ich mich ja fast geschmeichelt.“ Diesmal war Sanzomon sich sicher, dass dass das Gesicht dieses Digimon ihrem näher kam. Zu nah. Viel zu nah. Ein Geruch kam ihr entgegen, den sie zuvor noch nie gerochen hatte. Erstickend süßlich, aber irgendwie auch so erdig, beißend und schwer. Rochen Untote-Digimon so? Roch so der Tod? „Aber Ihr habt Recht. Ich bin nicht an kämpfen interessiert. Vor zwei-, dreihundert Jahren hätte es vielleicht anders ausgesehen, aber auch Ihr genießt den Luxus, dass Digimon wie ich auf Alternativen zurückgreifen können und auch wir uns entwickeln. Und solange Ihr mich nicht angreift, sehe ich keinen Grund Euch zu attackieren.“ „Ihr haltet mich also für schwach?“, fragte Sanzomon. Ihre Augenbraue hob sich leicht und sie klang für ihren Geschmack über dieser Äußern empörter, wie sie es sich dachte, obwohl sie nicht einmal wusste, warum sie es auch nur im Ansatz abwertend empfinden sollte. Vielleicht, aber auch nur vielleicht weil sie sich das vorstellte, weil Myotismon nun einmal keine schwach Digimon mochte, wie auch immer er schwach definierte. „Schwach klingt so hart. Ich behaupte nur, zu meiner Zeit hättet Ihr nicht so sorglos durch die Digiwelt spazieren können.“ „Damals hat man wohl auch Kameraden einfach sterben lassen, weil es einfacher war. Dabei hat jedes Digimon Potenzial über sich hinauszuwachsen. Man muss ihm nur die Möglichkeit geben. Stark ist nicht automatisch stark.“ „Man muss Prioritäten setzen. Nur die besten Daten setzen sich durch. Einmal schwach, immer schwach.“ „Wie lässt sich das damit vereinbaren, dass Ihr Digimon beschäftigt, deren Daten beschädigt sind, so wie die Bakemon?“ Als Myotismon stutze, vergrößerte sich der Abstand zwischen ihren Gesichtern wieder. Sanzomons verwirrter und verunsicherter Ausdruck verschwand, stattdessen stierte sie das Digimon vor ihr nun an. Überraschend stur und überraschend überzeugt von dem, was sie sagte. Die beiden Ultra-Digimon blickten sich stumm in die Augen, beinah wie in Trance. Wie so oft versuchte Sanzomon zu erahnen was in Myotismons Kopf wirklich vorging, aber wie so oft scheiterte sie daran. Sie fing an sich zu fragen, was diese Augen noch in all den Jahren gesehen hatten. Zu gern würde sie noch mehr von seiner Geschichte hören. Nicht nur um die Vergangenheit der Digiwelt, sondern auch ihn vielleicht besser verstehen zu können. Gelächter holte Sanzomon aus ihren eigenen Gedanken und sie war sich sogar erst gar nicht sicher, ob das wirklich von Myotismon kam. „Eure scharfe Zunge gefällt mir. Ihr seid witzig“, lachte er und es war tatsächlich sein überhebliches Lachen, dass Sanzomon allmählich von ihm gewohnt war, sondern einfach nur ein Lachen. Ein Lachen wie jedes andere normale Lachen auch. Und weil es so normal schien wirkte es bei Myotismon nicht nur untypisch, sondern aufgesetzt und Sanzomon war sich einig, dass das viel unheimlicher an ihm war, wie sein sonst typisches Verhalten. Es fehlte nur noch dass er ihr fast kumpelhaft auf die Schultern klopfte, wie das Digimon machten die im Pub in der Runde saßen und vor Lachen fast erstickten, tat er aber nicht. Er blieb auf Distanz, mied den Körperkontakt, ob der Abstand zwischen ihnen mittlerweile so gering schien, dass nicht einmal mehr ein Blatt zwischen ihnen Platz gefunden hätte. „Meine Bakemon oder auch der Rest meiner Dienstschaft mag nicht so stark sein. Aber manche haben Potenzial. Und wichtig ist, sie schmarotzen nicht, sondern machen sich nützlich. Sie sind sehr anpassungsfähig. Auch das ist Stärke und Entwicklung, nicht einfach nur zu digitieren. Aber das wisst Ihr, nicht? Ihr seid nämlich gar nicht so arglos, wie Ihr Euch gibt. Ich bin aber sicher nicht das erste Digimon, dem Eure störrische, nicht ganz so brave und fromme Art ins Auge sticht.“ „I-Ich...“ Eigentlich wollte sie Myotismon zustimmen. Er war wirklich nicht das erste Digimon, dass zu diesem Schluss kam. Sorceymon hatte das schon zu ihr gesagt, die Sistermon hatten dies schon gesagt, jedoch haben sie sich weniger direkt ausgedrückt. Und doch bekam sie kein Wort heraus. Als hätte sie schlagartig vergessen, was ihr auf der Zunge lag. Sie kam sich Myotismon gegeben über so dumm vor. Sie kannte sich so nicht. „Ihr besitzt auch Potenzial. Das sieht man in Euren Augen. Ich weiß nur nicht, ob ich das begrüßen oder verfluchen soll.“ „Ich bin nicht besonders stark. Ich war schon immer ein Bücherwurm“, erklärte sie nervös. Angespannt. Sie wusste nicht einmal warum sie das ihm offen zugab. Er würde sie nicht angreifen, dafür war ihm sein Ansehen als Schlossherr zu wichtig und es gab kaum etwas ehrloseres als Gäste, die unter dem Schutz des Hauses und der Einladung des Herrn standen zu attackieren. Obwohl Sanzomon sich das immer wieder sagte, glaubte sie mit jedem Mal weniger daran. Eingepfercht hier zu sitzen vermittelte ihr das Gefühl von Gefangenschaft. Die Hände zitterten, ihr Magen drehte sich und der Hals war staubtrocken. „Ihr wiederholt Euch. Und reine Stärke ist nicht alles und ich sehe Euch an, dass Ihr das ganz genau wisst und Ihr Eure Fähigkeiten ganz genau kennt. Ansonsten würdet Ihr nicht so unbeschwert hier bleiben.“ „Mich interessiert nur, wie Ihr und die anderen Untoten-Digimon leben. Angst würde meine Nachforschungen nur behindern.“ „Also habt ihr keine Angst?“ Sanzomon versuchte den Kopf zu schütteln, denn Worte bekam sie aus ihrer Kehle keine heraus. Doch auch ihr Nacken blieb steif, die Bewegungen ihres Kopfes waren minimal. „Wirklich nicht?“ „Nein. Ich habe keinen Grund“, sagte sie beinahe atemlos. „Und was macht Euch so sicher, dass ich Euch nicht doch einfach überwältige, wie jedes andere Digimon auch, dass es wagt in mein Reich einzutre-“ Zwischen Myotismon und Sanzomon lag nun auch ihre Malakette, die das Mönch-Digimon in ihren gefalteten Händen hielt. Noch in der selbe Sekunde begannen die einhundertundacht Perlen nach und nach zu leuchten an, während Sanzomon, nicht laut sondern nur in ihren Gedanken ein Sutra sprach. Sie wusste nicht einmal was für eines es war, es war ihr auch egal, solange es wirkte und dies tat es. Was sich in ihren Händen nur leicht warm anfühlte, glich dieses wenn auch schwache Licht für ein Digimon wie Myotismon einem unerträglich heißen Feuer. Er sprang regelrecht von Sanzomon fort und hielt sich seinen schwarzen Umhang vor das Gesicht, um dieses vor dem heiligen Licht zu schützen. Sein schlaksiger Körper zitterte, auch noch als Sanzomon vorsichtig ihre zugekniffenen Augen wieder öffnete, ihre innere Stimme verstummte und das Licht nachließ. Sie wollte sich entschuldigen, sie war sich plötzlich nicht mehr sicher gewesen ob er sich nur einen Scherz erlaubte oder nicht und hatte überreagiert. Doch Myotismon so zu sehen, krümmend und geschwächt von dieser Kraft war plötzlich so surreal, dass ihr die Worte wegblieben. Er war eben doch wie die Myotismon in den Horrormärchen, auch wenn er es überaus überzeugend kaschierte. Sie hatte ihn fauchen gehört. Fauchen. Wie ein in die Ecke getriebenes Tier-Digimon. Er krümmte sich. Er atmete hastig und immer mal wieder schnappte Myotismon nach Luft. Was jedoch erst wie ein Würgen klang – und Sanzomon konnte sich kaum vorstellen dass so etwas simpeles und ein Hauch von Licht so einen Effekt auf ein Digimon haben sollte – waren Lacher. Er fing an zu Lachen. Selbst in so einem Zustand nach so einer Situation. Sanzomon schüttelte den Kopf, ihren Mund versuchte sie zu schließen, schaffte es aber nicht. Auch überlegte sie, ob sie Angst haben oder wütend sein sollte. „Ihr könnt ja doch kämpfen“, lachte Myotismon laut, wie Sanzomon empfand auch viel zu arrogant und von Oben herab, dafür dass sie ihn zuvor noch einen Schreck einjagte. Sie hatte sich somit für Wut entscheiden, war aber zu empört, um zuvor zu antworten. „I-I-Ich wehre mich nur wenn es sein muss. Ich bin und bleibe Pazifist“, antwortete Sanzomon energisch. Die Perlenkette verschwand in ihrer Hand, dafür sprang Sanzomon nun aus dem Sessel. Für einen Moment fehlte jedes Gefühl in den Beinen und sie verlor etwas den Halt, stürzte sich aber nicht, allein dem Trotz Willen Myotismon keinen weiteren Grund zu geben sie auszulachen. Er lachte immer noch, aber leiser. Dieses Lachen klang tatsächlich komisch, als hätte er sich wirklich amüsiert, nicht von oben herab wie sonst. Selbstverständlich war alles an Myotismon getränkt von Hochmut, selbst wenn er nur dastand und gar nichts tat. Aber dieses Lachen, das allmählich erstarb klang nicht wie das, was Sanzomon von ihm kannte. Es klang schon fast natürlich. Das war fast genauso unheimlich. „Schon gut, schon gut. Ich mache doch nur Witze. Ihr seid einfach zu leicht aus der Fassung zu bringen. Zu schade, würde man das nicht auskosten. Ich weiß nicht was davon amüsanter war, dass Ihr mich wirklich angreifen wolltet oder Euer unbeholfenes Gesicht.“ „Ich – Bin – Pazifist. Ich greife niemanden an“, zischte Sanzomon deutlich und biss sich dabei auf die Zähne. Myotismons Lachen wurde eher ein Kichern, das leiser und leiser beim Anblick von Sanzomon, die ernst vor ihm stand und die Arme vor ihrer Brust verschränkte. Dann blieb sein Lachen aus. Ehe Sanzomon etwas sagen konnte, griff Myotismon nach ihrer Hand und das, was sie sagen wollte vergaß sie augenblicklich. „Verzeiht. Ich scheine wirklich übertrieben zu haben“, sagte er reuevoll, ohne dabei ihre Hand loszulassen. Auch wenn die Geste Sanzomon etwas überrumpelte, lenkte sie das kalte Gefühl von Myotismons eigener Hand sie ab. Das war nicht einfach wie Eis oder Stein, dafür waren seine Hand zu weich. Trotz des Handschuhs spürte sie es ganz deutlich. Die Finger waren lang und dünn unter den Stoff. Und kalt. So fremdartig. Diese Hand fühlte sich nicht wie die Hand eines Digimon an, obwohl sie doch offensichtlich einem gehörte. Sie fühlte sich leblos an, obwohl der Körper dazu noch intakt war. Untot eben. „Ich hatte viel zu lange kein Besuch von einem Digimon meines Levels, mit dem man sich ungezwungen unterhalten konnte. Einsamkeit macht sehr eigen und zynisch. In all den Jahren scheine ich meine Manieren und mein Gefühl für Diskretion vergessen zu haben. Solches Verhalten gehört sich nicht. Ich hoffe, Ihr nehmt meine Entschuldigung an.“ „I-Ihr müsst Euch nicht entschuldigen. Ich war nur überrascht und habe es versäumt zu sagen, dass es mir unangenehm war“, nuschelte Sanzomon. Sie zog ihre Hand wieder zu sich und hielt ihre andere darüber. Das Zittern ließ aber nicht nach. „Außerdem sind mir die Digimon, die etwas eigen sind die liebsten.“ „Ist dem so?“ Nun war kein Hauch von Betroffenheit mehr zu hören. Sie war so schnell verschwunden, wie sie erschienen war. Sanzomon war sich sogar nicht einmal sicher, ob es von Myotismon nicht einfach geschauspielert war. „Ist es, weil sie aus dem Raster fallen, dass man sonst kennt?“ „Weil sie meiner Erfahrung nach die Aufrichtigeren sind.“ Zeitgleich, als das Zittern in ihrer Hand erstarb traf sich Sanzomons Blick wieder Myotismons. Wieder überkam ihr das Gefühl von Schwindel und Benommenheit. Sie glaubte bunte Flecken vor ihren Augen zu sehen und der Boden schaukelte wie auf einem Boot bei aber doch gemäßigten Wellengang auf hoher See. Woran lag das? Lag es am Schloss? Lag es an der erdrückenden Art seines Herrn? Seine blauen Augen wirkten so leer. Sanzomon glaubte nicht einmal wirklich, dass sie eine schwache Spiegelung ihrer Gestalt darin sah. Sie wirkten bedrohlich und (untot) Leer. Wie alles an diesem Digimon. Dann sah sie auf seine Lippen. Und seine Zähne. Nur kurz, höchstens eine Millisekunde, dann wieder in die Augen. (saugen dir das Blut aus) Myotismon war gefährlich. Sie musste ihn im Augen behalten und ihn genau studieren. Er war nicht so freundlich wie er tat. Sie musste ihn genau studieren und kennen. Bis ins kleinste Detail. Vielleicht erfuhr sie dann mehr über seine Art und natürlich auch mehr über ihn und als Sanzomon sich sogar für einen Moment vorstellte seine Haut, seine Lippen und sogar die Zähne zu berühren, riss Myotismon sie aus ihrer Trance, indem er einfach nur einen Schritt von ihr zurücktrat. „Ihr seht müde aus. Ihr solltet Euer Gästezimmer endlich einmal nutzen“, sagte er nüchtern zu ihr. Sanzomon blinzelte zweimal etwas ungläubig. Das Schwindelgefühl war fort, nicht aber das Gefühl, das dem nach einem zu großzügigen Schluck Alkohol glich. „Ich glaube, Ihr habt Recht“, sagte Sanzomon schwach. Sie rieb sie über die Augen. „Könnte ich vorher jedoch etwas essen? Ich glaube, ich habe die letzten zwei Mahlzeiten verpasst.“ „Ich werde meine Diener darum bitten. Und bitte, esst dieses Mal wirklich. Ich mag es nicht wenn Essen verschwendet wird.“ Noch einmal fuhr sich Sanzomon über das Gesicht. Der Schwindel kehrte kurz zurück, in der Sekunde als Myotismon an ihr vorbei lief und dabei war den Raum zu verlassen, den Eindruck hinterlassend, dass ihm Sanzomons Zustand nicht auffiel. Oder nicht auffallen wollte. Sie selbst war zu müde um zu realisieren, dass er es mehr wie nur zu offensichtlich ignorierte. Sie blinzelte. Sie sah für einen Moment wieder Farben, die vor ihren Augen erliefen, überwiegend in rötlichen Tönen. Fast wie die Bäume zu Hause. Oder das Feuer, lieber Himmel, das Feuer... Sie hörte Regen prasseln. „Myotismon...“ Ihr Ruf, war mehr wie ein Flüstern. Sie hatte noch etwas gesagt oder sagen wollen, sie hatte gespürt dass ihre Lippen sich noch bewegten um Worte zu formen, doch ihre Stimme verstummte zu schnell und letztlich kam nur ein schwaches, tonloses Hauchen heraus, während Sanzomon allmählich aus dem Karussell im ihrem Kopf zu entkommen schien und die Farben von der Dunkelheit, die das Schloss innen und außen dominierte wieder verschlungen wurde. Sanzomons erst trüber Blick wurde wieder ganz klar, aber man las aus ihnen, dass sie sich selbst fragte, was sie denn eigentlich gerade wollte und hoffte, Myotismon würde etwas sagen, damit sie sich wieder daran erinnerte, was es denn war. Mit ihrem aufgeklarten Augen kam auch Sanzomons Sinn für die Realität zurück und ihre Erinnerungen an die Flut von Informationen, die ihr Verstand in nur dieser kurzen Zeit aufnahm. Sie fing wieder an Myotismon von oben bis unten anzusehen. Viel zu lange und viel zu intensiv, wie sie selbst bemerkt. Sie blieb erneut an seinen Lippen hängen und an seinen Zähnen. Sie schluckte und ihr Herz schlug für einen Augenblick schneller. „Könntet Ihr mir beim nächsten Mal wieder etwas von damals erzählen? Bitte?“, fragte Sanzomon vorsichtig, aber freundlich. „Ich würde mir sehr gern mehr über die vergangenen Epochen der Digiwelt hören. Ich bin überzeugt, wenn ich die Vergangenheit die Digiwelt verstehe, dann begreife ich auch ihre Zukunft. Erzählt mir bitte alles, was Ihr wisst. Alles.“ Myotismon blieb still. Eine Augenbraue hob sich. Man konnte nicht sagen, dass er skeptisch gegenüber diesem Wunsch war, eher überrascht davon, dass so ein viel zu junges, noch viel zu naives und unerfahrenes Digimon solle Dinge wissen oder hören wollte. Vielleicht waren die Erwartungen und Hoffnungen zu hoch, aber wenn Myotismon Sanzomon so ansah, schien sie diese Äußerung nicht leichtfertig von sich zugeben. Sie wirkte plötzlich so ernst. So reif und gewillt nicht nur zu lernen, sondern auch zu verstehen. Er konnte nicht sagen, ob es wirklich der Wille war oder einfach Neugierde. Aber es brachte ihn zum schmunzeln. „Natürlich dürft Ihr. Ach und, Sanzomon -“ Sie freute sich zuerst, als Myotismon seine Zustimmung gab, hielt aber innen, als sie ihren Namen hörte. Sanzomon war sich sogar sicher, dass das das erste Mal war, dass er ihren Namen überhaupt aussprach in all der Zeit. Mit Myotismons Stimme hatte es einen merkwürdigen Klang. Aber er gefiel ihr. Sie spürte wie ein Mundwinkel sich unter ihrem Halstuch hob und ein Lächeln andeutete. Myotismon hob die Hand und deutet auf etwas hinter ihr. „Schließt das Fenster, wenn Ihr geht. Es regnet. Ich will nicht das meine Bücher durch die Luftfeuchtigkeit beschädigt werden.“ Ihr mehr gehauchtes „Selbstverständlich“ war kaum hörbar und wurde nur durch ein Nicken deutlich. Grinsend ging Myotismon aus dem Raum und wurde von der Schwärze umschlungen. Sie hörte keine Schritte, sah keine Schemen in der Finsternis. Er hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst. Mit seinem Verschwinden löste sich auch das elektrisierende Feld der Anspannung wieder auf und versickerte irgendwo in den Tiefen des Schlosses. Ein kalter Wind streifte Sanzomons Rücken. Als sie sich umdrehte flatterte der weinrote Vorhand, aufgescheucht durch den Wind und wie Sanzomon feststellte, als sie danach griff schon an einigen Stellen nass vom Regen. Hatte sie das Fenster geöffnet? Sie konnte sich nicht erinnern wann sie das getan haben sollte. War es eines der Bakemon gewesen? Aber warum sollten sie? Der Regen war nicht all zu stark wie der Wind erst vermuten ließ und Sanzomon wagte einen ausschweifenden Blick nach draußen. Das Dach eines andern Flügels war nicht weit weg. Das Fenster des Nachbarzimmers auch nicht. Aber warum klettern? Genug von Myotismons Gefolgschaft konnte fliegen... Dann begann sie ihren Kopf zu schütteln. Nun wurde sie wirklich paranoid. Sanzomon streckte, als auch der Wind nach ließ ihren Arm hinaus in die Nacht. Einige Tropfen sammelte sich auf ihrer rosigen Haut, andere verliefen und flossen ihren Arm hinunter. Dann klatschte sie sich die nasse Hand ins Gesicht und nun liefen einzelne Tropfen ihr Gesicht entlang. Müde... War sie wirklich nur müde? Hatte sie wirklich Hunger? Ihr war nicht wirklich nach Essen zumute, sie war zu... aufgeregt. Es war der Ort. Dieser Ort war von negativen Karma benebelt und wahrlich von den Digi-Göttern verlassen. Für sie hier zu sein war, wie wenn ein Meeres-Digimon sich in der Wüste verirrte oder ein Maschinen-Digimon im Dschungel. Es war geradezu widernatürlich so lange hier zu verweilen. Als Sanzomon das Fenster schloss, beschloss sie nach dem Essen sogar richtig zu schlafen. Sie schlief nicht viel, zudem meist spät in der Nacht, um dann früh morgens wieder aufzustehen, aber vielleicht täte ihr das gut. Sie brauchte Kraft, wenn sie weiter der dunklen Aura dieses Schlosses trotzen wollte und mit ihr die unheimlichen Stimmen und Schatten, die sie hörte und sah und überall zu seien schien. Und sie würde hier noch eine Weile bleiben. Solange bis sie das Gefühl hatte ausreichend über die Untoten-Digimon erfahren zu haben. Insbesondere über Myotismon wollte sie noch mehr wissen. Sie hatte so viele Fragen. Sie hatte so viele... Ideen. Sie spürte ein Ziehen im Bauch. Hunger. Sicher doch nur Hunger. Sie sollte wirklich essen. Das redet sich Sanzomon zumindest ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)