Was wäre wenn... von DonnaHayley ================================================================================ Kapitel 14: Dreht sich der Boden, oder bin ich das? --------------------------------------------------- Die Uhr zeigte bereits halb zwei in der Nacht an, was aber weder Yasuo noch Seth störte. Letzterer hatte sich auf ein Wetttrinken mit Toyo eingelassen. Es galt 10 Shots so schnell wie möglich zu leeren, was in Anbetracht von Seth’s Alkoholpegel nicht so einfach war. Seine Augen-Hand-Koordination wollte nicht so, wie er wollte. Toyo hatte keine Probleme und gewann haushoch, denn er war viel trinkfester. Murrend schaute Seth auf die kleinen Gläser. „Fast hätte ich gewonnen.“ Fast wäre übertrieben gewesen, denn er hatte noch fünf volle Shots vor sich stehen. „Mach dir nichts draus.“, lächelte Rishid. „Du hast doch den Hauptgewinn abgestaubt.“ Fragend sah Seth den hochgewachsenen Mann an. „Den Hauptgewinn?“ Auch Haru mischte sich ins Gespräch ein. „Du hast unseren Chef abbekommen und dabei bist du ein Arzt, vor denen er sonst grundsätzlich das Weite sucht. Du musst etwas besonderes sein, sonst hätte Yasuo sich nicht auf dich eingelassen.“ Seth drehte sich um und schaute zu Yasuo, der von zwei seiner Kumpels in Beschlag genommen wurde. „Jetzt guck nicht so entgeistert.“, stieß Toyo ihn an der Schulter an. „Hol ihn da raus, bevor er vor Langeweile noch tot umfällt.“ Zögern stand Seth auf. Jetzt merkte er erst, das er viel zu tief ins Glas geschaut hatte, denn der Fußboden schwanke leicht. Oder war er es der schwankte? Wenigstens war er im Kopf noch klar genug um zu wissen was er tat. „Viel verträgt er nicht.“, stellte Rishid überrascht fest. „Als Arzt ist er mehr am Schuften und hat für Vergnügungen kaum Zeit.“, belehrte ihn Toyo. Rishid sah Seth lange nach. „Unser Yasuo hat mich schon so oft überrascht, aber das er sich ausgerechnet auf einen Mediziner einlässt, hätte ich nicht von ihm erwartet. Besonders weil Seth mit Leuten wie uns bisher noch nicht in Berührung gekommen ist. Wenn Yasuo sich da mal nicht in etwas verrannt hat.“ Wenn Yasuo noch länger zuhören musste, schlief er bestimmt gleich ein. Es interessierte ihn einfach nicht, ob sein Kumpel mit der Einen oder der Anderen Freundin Schluss machen sollte. „Sie sollten besser mit dir Schluss machen.“, war sein einziger Kommentar, der ihm am sinnvollsten vorkam. „Wie kannst du so etwas nur sagen?“, empörte sich der junge Mann. „Etwas mehr Verständnis hätte ich von unserem Chef schon erwartet.“ „Mach doch was du willst, ich bin doch nicht deine Mama.“, rollte Yasuo die Augen. Sein Blick wurde sanfter, als er Seth sah, der leicht torkelnd auf ihn zu kam. „Wie es aussieht hast du für heute genug.“ Seth schüttelte den Kopf. „So schlimm ist es nicht. Ich habe nur längere Zeit nichts mehr getrunken.“ „Du lallst ja gar nicht. Dann nehme ich alles wieder zurück. Wir sollten trotzdem gehen, du musst morgen schließlich wieder früh raus.“ Sehnsüchtig schaute Seth zu den anderen rüber. „Können wir nicht noch etwas bleiben?“ „Du magst die Jungs offensichtlich.“, stellte Yasuo erleichtert fest. „Ja, sie sind viel offener, als die Menschen, die ich kenne.“ „Das waren sie schon immer.“, erinnerte sich Yasuo zurück. „Als ich mich geoutet habe, haben sie keine große Sache daraus gemacht.“ „Wie alt warst du damals, als du dich geoutet hast?“ Seth setzte sich auf einen der Barhocker, während Yasuo am Tresen lehnte. „Ich war 19. Nachdem ich in meinem jugendlichen Leichtsinn meine damalige Freundin geschwängert hatte, habe ich schnell gemerkt, das Frauen nichts für mich sind. Damals war ich 17 und ich bin mit 18 dann Vater geworden.“ „Bei mir war es ähnlich, nur das es mir schon mit 15 klar wurde.“ Das wunderte Yasuo doch sehr. „Wie bist du dann zu deinem Sohn gekommen? Oder schwimmst du an beiden Ufern?“ Seth schüttelte den Kopf. „Ich habe lange versucht mich anzupassen und ich hatte sogar eine Freundin, mit der ich einige Jahre zusammen war. Nur kam ich damit irgendwann nicht mehr zurecht und ich beschloss etwas zu ändern, mich nicht mehr selbst zu belügen. Deshalb habe ich mich von ihr getrennt. Seto hatte ab diesem Tag keine Mutter mehr, weil sie den Gedanken nicht ertragen konnte, das er auch Schwul sein könnte. Sie kam aus einer sehr traditionellen Familie und konnte damit nicht umgehen. Also ist er bei mir geblieben.“ Seth ließ den Kopf hängen, in nüchternem Zustand hätte er nie so viel über sich preisgegeben. Der Alkohol half Seth einen Einblick in sein Innerstes zu gewähren, damit Yasuo ihn besser verstehen konnte. „Schnell hatte ich dann meinen ersten Freund, mit dem es ganz anders war, als mit meiner Freundin. Ich hatte mich viel wohler in der Beziehung gefühlt und endlich fühlte es sich richtig für mich an, aber leider...“ „Ging es in die Brüche.“ Yasuo umarmte Seth von hinten und legte seine Wange an die seines Freundes. „Diese Erfahrungen habe ich auch gemacht. Die Suche nach dem richtigen Partner kann quälend lang werden, wenn man eine Enttäuschung nach der Anderen erlebt. Davon solltest du dich nicht entmutigen lassen.“ „Das ist es nicht.“ Seth lehnte sich an seinen Yasuo und schloss die Augen. „Die meisten haben mich nur ausgenutzt. Zwar habe ich es bemerkt, aber ich wollte es nicht wahr haben und Seto... Irgendwann hat er angefangen jeden meiner Freunde anzugehen. Er war schon vorher nicht der umgänglichste, doch nach meiner ersten langen Beziehung war für Seto alles anders.“ ~*~Rückblende Anfang: 5 Jahre zuvor~*~ Anklagend sah der neunjährige Seto seinen Vater an. „Du hast schon wieder einen neuen Freund? Das ist dann der dritte in acht Monaten. Du wechselst die Männer, wie andere Leute ihre Unterwäsche.“ Seth fehlten für einen Moment die Worte. „Für dein Alter bist du ganz schön vorlaut.“ „Nicht vorlaut, sondern ehrlich.“ Seto seufzte hörbar auf. „Kannst du mit diesen Hiobsbotschaften in Zukunft solange warten bis wir zuhause sind?“ Er schaute missmutig auf die Einkaufstüte, die er in der rechten Hand hielt. „Was ist es denn diesmal für einer? Kann er wenigstens Lesen?“ „Also Seto, wenn du dich Tetsuya gegenüber so benimmst, wirst du keinen guten ersten Eindruck machen.“ „Das will ich auch nicht.“, keifte Seto bissig zurück. „Wozu soll ich mich zurückhalten, wenn du dich in ein paar Wochen doch eh wieder von ihm trennst!“ Seth konnte seinem Sohn schlecht erzählen, das die meisten sich kein Kind ans Bein binden wollten. „Es hat halt nicht gepasst. Das wirst du noch lernen, wenn du selbst in ein gewisses Alter kommst, mein Kleiner. Lass mir bitte die Chance mit Tetsuya. Er ist wirklich nett und er hat selbst einen Sohn. Er ist sogar in deinem Alter.“ Seto horchte auf. „Wirklich? Wie heißt er denn?“ Das klang nach Interesse. „Sein Name ist Dai. Er und sein Vater kommen heute zum Abendessen, damit ihr euch kennenlernen könnt.“ „Deshalb haben wir also so viel eingekauft?“ Seto schielte zu den beiden Tüten hinüber, die sein Vater trug. „Genau! Hilfst du mir beim kochen?“ „Wenn es unbedingt sein muss.“ Kurze Zeit später standen sie in der Küche und schwangen die Küchenmesser. Argwöhnisch schaute Seto auf das viele Gemüse. „Warum hast du so viele Karotten gekauft?“ „Ich mag sie.“ „Stimmt doch gar nicht!“ Seto kannte seinen Vater schließlich. „Seit neuestem schon.“ „Weshalb hast du die vielen Kartoffeln geholt? Die kaufst du so gut wie nie!“ „Ich wollte mal etwas anderes essen.“ „Aha, und was hast du mit den Auberginen vor? Wir mögen sie beide nicht und dann auch noch so viele.“ Seto’s blaue Augen blitzen auf. „Es hat dich ganz schön erwischt!“ „Ich habe ihn bis jetzt nur drei Mal getroffen.“, erklärte sich Seth mit roten Wangen. „Dabei hat er mir beiläufig gesagt, was er gerne mag. Da ist doch nichts dabei.“ „Jetzt darf ich dieses ekelhafte Zeug herunter würgen und so tun, als ob ich es mag, nur weil du Eindruck schinden willst.“ Was tat man nicht alles für seinen Vater. Eine Stunde später saßen die Vier am Esstisch. Seto beobachtete die Beiden mit kritischem Blick und würgte nebenbei die verhasste Aubergine hinunter. Seth erging es nicht anders und kämpfte zusätzlich mit den Karotten. „Macht dir die Schule Spaß?“, wollte Tetsuya von Seto wissen. „Geht so!“ Tetsuya sah stirnrunzelnd zu Seth, der verlegen seinen Sohn anschaute. Dieser sah den fremden Mann mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Dieser Schleimer mit seinen braunen Augen, diesen gegelten Haaren, die er streng nach hinten gekämmt hatte und dann diesem schwarzen Anzug, den er einfach nur unpassend fand. Mit einem Wort, Seto mochte ihn nicht. Bei Dai war er sich noch nicht so sicher, denn er verhielt sich still und hatte außer „guten Tag“ nichts weiter gesagt. Tetsuya räusperte sich und startete einen zweiten Versuch. „Hast du viele Freunde, Seto?“ „Nein, die meisten sind unter meinem Niveau!“, winkte Seto genervt ab. Wieder schaute Tetsuya zu Seth, dessen Gesicht ein immer dunkler werdendes rot annahm. „Was unternimmst du denn in deiner Freizeit, Seto?“, gab Tetsuya nicht auf. „Bist du oft auf dem Spielplatz?“ „Für wie alt halten Sie mich?“, empörte sich Seto und war kurz davor dieses ekelhafte Zeug auszuspucken. „In meinem Alter geht man nicht mehr auf den Spielplatz.“ „Stimmt auch wieder, was machst du denn dann in deiner Freizeit?“, drängte Tetsuya weiter. „Ich lese gerne.“ „Das mache ich auch. Was liest du denn besonders gerne?“ „Ich mag Krimis und Mafia-Geschichten.“ „Da haben wir etwas gemeinsam. Schaust du auch gerne solche Filme?“ „Vor ein paar Tagen war ich mit Papa im Kino und wir haben...“ Ohne es zu merken wurde Seto immer offener und erzählte alles, was Tetsuya ihn fragte. Einzig mit Dai verstand Seto sich nicht so gut. Sie hatten nichts gemeinsam und jeder ging seinen Weg. In den nächsten Wochen wurde das Verhältnis zwischen den beiden Jungen nicht besser, doch mit Tetsuya verstand Seto sich ausgesprochen gut. Sie unternahmen viel zu viert und wuchsen ganz langsam zu einer kleinen Familie zusammen. „Wie lange sind wir jetzt zusammen?“, wollte Tetsuya von Seth wissen, der über seinen Unterlagen hing. „Fast sieben Monate.“, antwortete er abwesend. „Sieben Monate aber Dai und Seto reden kaum miteinander.“ Seth legte seine Mappe auf den Wohnzimmertisch und schaute seinen Freund an. „Wir haben alles versucht, ich wüsste nicht was wir noch machen könnten. Sie streiten sich glücklicherweise nicht. Sie haben ihren jeweils eigenen Freundeskreis und tolerieren sich.“ „Sie leben aneinander vorbei.“ Tetsuya wollte das die Jungs mehr miteinander unternahmen. Seth legte nachdenklich seine Hand ans Kinn. „Sie haben vollkommen unterschiedliche Interessen und Seto ist nicht der zugänglichste Junge. Das werden wir akzeptieren müssen.“ Tetsuya verschränkte beide Hände am Hinterkopf. „Leider unterscheiden sie sich auch im schulischen Bereich.“ „So groß ist der Unterschied nicht.“ „Finde ich schon.“, wurde Tetsuya strenger. „Dai hat einen glatten Einser Schnitt und Seto tendiert mehr zum Zweier. Das liegt nur an seiner Faulheit.“ „Seine Noten sind dennoch sehr gut.“, wurde auch Seth’s Tonlage strenger. „Er soll seine Kindheit ausleben dürfen und nicht die ganze Zeit in der Bude hocken um zu lernen. Außerdem kommt er immer zu mir, wenn er in einem Fach Hilfe braucht.“ „Darum geht es nicht. Er wäre viel besser, wenn er mehr tun würde. Er will so werden wie du und den Beruf des Arztes ergreifen, aber um dies zu schaffen muss er fleißiger sein.“ „Dieser Preis ist zu hoch.“, sagte Seth in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Tetsuya gab für die nächsten Monate Ruhe, bis zu einem bestimmten Tag. Aufgeregt rannte Dai zu seinem Vater, der ihn und Seto zusammen mit Seth von der Schule abholte. „Ich hab mein Zeugnis bekommen. Alles Einsen und die Bemerkungen der Lehrer sind alle gut ausgefallen.“ „Ich bin stolz auf dich.“, lobte Tetsuya seinen Sohn. Seto stand stumm daneben und klammerte sich an seine Schultasche. Sein Zeugnis war nicht so gut ausgefallen, jedenfalls reichte es nicht an Dai’s ran. Seth ging vor seinem Sohn in die Hocke und lächelte ihm aufmunternd zu. „Mach nicht so ein Gesicht, dein Zeugnis ist gut und ich bin stolz auf dich.“ Erleichtert lächelte Seto zurück und entspannt sich. „Worauf bist du denn stolz?“, wollte Tetsuya wissen. „Seit dem letzten Halbjahr hat er sich verschlechtert.“ Seto biss sich auf die Unterlippe und senkte den Kopf. Dieses Gefühl der Scham, welches er empfand, war schier unerträglich. Wütend stand Seth auf und sah seinen Freund aufgebracht an. „Fängst du schon wieder an.“ „Du bist viel zu lasch, ein bisschen mehr Strenge würde dir nicht schaden. Seto kann sich ruhig mal auf seinen Hintern setzten und etwas für die Schule tun.“ Dai und Seto sahen von Einen zum Anderen und besonders Dai verstand die Welt nicht mehr. Seine braunen Augen fielen auf Seto, der mit Tränen in den Augen ihre Väter anstarrte. „Mach dir nichts draus.“, versuchte Dai ihn aufzumuntern. „Die vertragen sich schon wieder.“ Doch Dai sollte nicht recht behalten. ~*~Rückblende Ende ~*~ Seth lehnte immer noch an Yasuo und schaute auf seine Hände. „Diese Streitereien gingen noch einige Monate so, bis ich einen Schlussstrich gezogen habe und mich schlussendlich von Tetsuya getrennt habe. Seto hat geglaubt er sei Schuld daran. Zwar habe ich ihm oft erklärt das dem nicht so ist, aber er hat mir nie geglaubt.“ „Deshalb hat er jeden weg gebissen, der sich dir genähert hat?“ Seth nickte traurig. „Er mochte Tetsuya und wir haben eine schöne Zeit zusammen gehabt, doch durch mein damaliges Studium habe ich immer weniger Zeit gehabt und das war der Hauptgrund, weshalb es auseinander ging.“ Yasuo runzelte die Stirn. „Deshalb? Das widerspricht sich mit dem, was du mir eben mit Seto erzählt hast. Ist er etwa?“ „Ja, er ist fremd gegangen. Monatelang hat er mich betrogen und ich Idiot hatte nichts bemerkt, weil ich ständig beschäftigt war.“ Yasuo wechselte seine Position und stelle sich vor seinen Freund. Sanft nahm er Seth’s Gesicht in seine Hände und sah ihn warm an. „Dann muss ich mich bei Tetsuya bei Gelegenheit für seine Dummheit bedanken, denn so habe ich dich abbekommen.“ Diese Worte rangen Seth ein Lächeln ab. „Ein traurigeres Lächeln habe ich ja noch nie gesehen.“ Betrübt strich er Seth die braunen Haarsträhnen aus den Augen. „Lass uns nach Hause gehen, sonst wird der morgige Arbeitstag zu hart für dich.“ „Ihr geht schon?“, kam es entrüstet von Toyo. „Mein Arzt muss im Gegensatz zu mir morgen zur Arbeit.“ „Kann er nicht einen Tag blau machen?“ Verständnislos schüttelte Yasuo den Kopf. „Wenn er so eine Einstellung hätte, wäre er kein Arzt geworden.“ „Ihr seid voll langweilig.“ Rishid stieß Toyo an der Schulter an. „Jetzt sei nicht sauer, außerdem musst du doch morgen auch wieder ran.“ „Erinnere mich nicht daran. Der Alte ist manchmal nicht zu ertragen. Ständig mault der mich an.“ Seth selbst wollte noch nicht gehen. Wie sehr er es manchmal hasste vernünftig zu sein. „Wir kommen wieder.“, raunte Yasuo in sein Ohr. „Am Wochenende haben wir mehr Zeit, dann sag ich den Jungs Bescheid und wir machen zusammen einen drauf.“ „Okay“, dennoch war Seth frustriert. So gern wäre er noch geblieben. * Schnarchend lag Masao auf der Couch und bemerkte nicht, wie Seto und Atemu sich an ihm vorbei schlichen um in die Küche zu kommen. „Wir bekommen doch bestimmt Ärger.“, war Seto wenig von diesem Vorhaben überzeugt. „Wenn mein Onkel schläft, weckt ihn so schnell nichts mehr auf. Eine bessere Gelegenheit werden wir nicht bekommen.“ Atemu stellte sich einen der Küchenstühle an die Arbeitsplatte und kletterte rauf. Ihm fiel beinahe die Kinnlade runter, als er einen leeren Schrank vorfand. „Mist, mein Vater hat sich ein neues Versteckt gesucht.“ „Dann sollten wir wieder zurück ins Bett gehen.“ Atemu stellte den Stuhl zurück und sah Seto entschlossen in die Augen. „Wir suchen im Schlafzimmer. Dies ist der einzige Ort, wo meine Schätze sein könnten.“ „Das möchte ich nicht. Dein Vater wird bestimmt sauer, wenn er das heraus bekommt.“ Seto gab es nur ungern zu, aber vor Yasuo hatte er großen Respekt. „Stell dich nicht so an, da ist doch nichts dabei.“ Atemu zog Seto einfach mit sich. Wenn es um seine Süßigkeiten ging, kannte er keine Grenzen. * „Du hast ganz schön einen sitzen.“, stellte Yasuo fest, der Seth am Ende doch stützen musste, da dieser nicht mehr richtig geradeaus laufen konnte. „Hab ich nicht.“ „Hauptsache du glaubst es.“ Yasuo schloss die Tür zu seiner Wohnung auf und befreite sich umständlich von seinen Schuhen. „Jetzt kipp bloß nicht um.“ „Oh, mir ist schlecht.“ „Auch das noch.“ Masao gähnte herzhaft und schaute verschlafen zu seinem Bruder, der verzweifelt versuchte seinen Freund ins Badezimmer zu bekommen. „Muss er kotzen?“ „Blöde frage“, keifte Yasuo. „Hilf mir lieber anstatt so blöde zu glotzen.“ „Ich komm ja schon.“ Träge stand er auf und stütze Seth auf der anderen Seite. „Trinkfest ist dein Arzt jedenfalls nicht.“ „Ich schätze er geht zu selten aus.“ „Lästert ihr?“, brummte Seth, dem das furchtbar unangenehm war. Doch der Drang rechtzeitig ins Badezimmer zu kommen war größer als die Scharm. „Unsinn, so ist es uns auch schon ergangen, stimmt’s, Masao?“ Masao grinste breit. „Einmal habe ich mich über den Schoss meines großen Bruders übergeben, da ist dies hier wirklich nicht der Rede wert.“ Seth wurde grün im Gesicht und hechtete die letzten Meter zur Toilette, über der er sich übergab. Masao beugte sich zu Yasuo und flüsterte in sein Ohr. „Ist er so voll, das er sich morgen an nichts erinnert?“ „Ich fürchte nicht.“ „Dann wird es ihm furchtbar peinlich sein, oder er ist so abgeklärt, das es ihn nicht die Bohne interessiert.“ „Es wird irgendwas dazwischen sein.“ Seth setze sich auf den Badewannenrand und schaute resigniert zu Boden. So etwas war ihm wirklich noch nie passiert. „Du hast dich über deinen Bruder übergeben?“, kam er darauf zurück. Zuerst war Masao von der Frage überrascht aber dann begann er zu erzählen. „Das ist noch gar nicht so lange her. Wir waren Abends in einer Bar und...“ Yasuo merkte schnell, das sein Bruder die Geschichte ausschmückte und es viel dramatischer erzählte, als es wirklich gewesen war. Dafür war Yasuo seinem Bruder sehr dankbar, denn Seth schien sich dadurch besser zu fühlen. Jedenfalls schien es ihm nicht mehr so unangenehm zu sein. „Aber mein Brüderchen hat mir verziehen und das zeigt, wie großherzig er ist.“ „Jetzt wird’s peinlich“, murmelte Yasuo vor sich hin, doch Seth fing an zu lachen. „Du scheinst deinen Bruder sehr zu mögen.“ „Hast du denn auch Geschwister?“, wollte Masao wissen. „Nein, obwohl ich mir immer einen Bruder gewünscht habe.“ Seth stand vorsichtig auf, denn der Schwindel war noch nicht vorüber. Yasuo war sofort an seiner Seite und half ihm ins Wohnzimmer und auf die Couch zu kommen. „Danke.“ „Am besten gebe ich dir frische Kleidung.“ Masao setze sich in der Zwischenzeit zu Seth und unterhielt sich noch mit ihm. Yasuo stutzte als er in sein Schlafzimmer kam. Die Tür zum Kleiderschrank war weit geöffnet, davor lagen einige Kleidungsstücke und die Vorhänge waren zugezogen. „Dieser Junge“, murmelte er und öffnete einen der Vorhänge. „Und er hat sogar einen Komplizen.“, schmunzelte Yasuo, als er nicht nur Atemu, sondern auch Seto erblickte. „Hallo Papa, da bist du ja wieder.“, schwitzte Atemu. „Weißt du nicht wie spät es ist?“, wurde Yasuo streng. „Ihr solltest längst schlafen und wieso habt ihr in meinem Kleiderschrank herumgewühlt? Habt ihr verkleiden gespielt?“ „Als ob wir so einen Kinderkram machen würden.“, gekränkt, aber auch beschämt schaute Seto auf den Teppich. „Was habt ihr denn dann hier gemacht?“ Atemu und Seto schauten sich ratlos an. Was sollten sie sagen? „Wir haben eine Wolldecke gesucht.“, versuchte Atemu sich herauszureden. „Du bist so ein schlechter Lügner, mein Junge. Die Wolldecken sind nämlich in der Kommode an der Wand und das weißt du auch. Was wolltet ihr wirklich?“ Geduldig wartete Yasuo auf eine Antwort, die allerdings aus blieb. „Wenn ihr es nicht sagen wollt, soll es mir recht sein. Geht jetzt bitte ins Bett.“ Erleichtert atmete Atemu durch. „Gute Nacht, Papa.“ Schmunzelnd schaute Yasuo den Beiden hinterher. „Da haben sich zwei gesucht und gefunden. Seto scheint jedenfalls Atemu’s Dummheiten mitzumachen.“ „Wo kommt ihr denn her?“ Masao schaute verdattert auf die halbwüchsigen Jungs, die wie geschlagene Soldaten an ihm und Seth vorbei schlurften. „Wir wurden erwischt.“, seufzte Atemu. „Du musst deine Spuren rechtzeitig verwischen bevor Jemand rein kommt. Ich habe es dir schon so oft gesagt.“ Seth schaute Masao blinzelnd an. „Stachelst du ihn etwa zu diesen Dummheiten an?“ „Was? Nein, niemals! Wie kommst du denn darauf?“, wurde Masao nervös. „Ich würde meinen Neffen niemals zu so einem Blödsinn verleiten.“ Seto konnte diesen Erwachsenen nicht ernst nehmen und auch von Yasuo hatte er eine gehörige Standpauke erwartet. „Warum glaube ich dir nur nicht?“, schaute Seth ihn eindringlich an. „Mein Bruder ist wie ein großes Kind.“, mischte sich Yasuo ein. „Aber als Onkel ist er toll und er behandelt Atemu wie seinen eigenen Sohn.“ „Du übertreibst.“, wurde Masao rot. „Das habe ich bereits gemerkt.“, schmunzelte Seth und kuschelte sich in die weiche Rückenlehne. „Ich sollte ins Bett gehen.“ „Das sollten wir alle machen.“ Yasuo schaute zu Masao. „Willst du hier bleiben? Du kannst auf der Couch schlafen.“ „Das Angebot nehme ich gerne an. Zum fahren bin ich eh viel zu müde.“ * Mit dröhnenden Kopf schaltete Seth den Wecker aus und drehte sich auf die andere Seite. Auf diesen Kater hätte er am liebsten verzichtet, aber der gestrige Abend war wirklich schön. Schade das er zum Schluss über der Kloschüssel hing. „Stimmt ja, Yasuo und sein Bruder waren dabei...“ Seth beschloss doch aufzustehen und zog sich seinen Morgenmantel über. In den wenigen Tagen hatten viele seiner Kleidungsstücke ihren Weg hierher gefunden. Wie schnell alles ging. Es kam Seth nicht wie ein paar Tage, sondern wie viele Monate vor. Als würden sie sich schon ewig kennen. „Guten Morgen.“, grüßte Seth die anderen, die bereits am Frühstückstisch saßen. „Du siehst aber fertig aus.“, feixte Masao, während er sich gerade eine Tasse Kaffee einschenkte. „Dir mache ich besser einen extra starken. So wie du aussiehst kannst du ihn gebrauchen.“ „Danke.“ Seth ließ seinen Blick durch die Küche schweifen. Diese Kulisse, die eine echte Familie widerspiegelte, war alles, was er in seinem Leben je wollte. Es fühlte sich so warm und angenehm an. „Guten Morgen, Papa.“, sagte Seto leise und aß sein Brötchen weiter. „Wie geht es dir, mein Junge?“ „Besser, ich kann wieder zur Schule gehen.“ „Kannst du nicht!“ Tadelnd hob Yasuo den Zeigefinger. „Nur weil du eine Nacht kein Fieber hattest, bist du längst nicht gesund. Zwei Tage bleibst du noch daheim.“ „Dann kann ich erst am Montag zur Schule.“, echauffierte sich Seto und knallte die Fäuste auf den Tisch. „Die ganze Zeit habe ich auf dich gehört aber heute will ich wieder zur Schule.“ Ohne es zu merken, hatte Seto Yasuo zum ersten Mal geduzt. „Reg dich so viel auf wie du willst, du bleibst trotzdem hier.“ Yasuo schaute zu Seth. „Willst du dich nicht setzten? Mit leeren Magen lass ich dich jedenfalls nicht gehen.“ „Doch! Natürlich.“ „Du kannst nicht die ganze Zeit über mich bestimmen.“, schimpfte Seto weiter, was ihn allerdings nur ein heiteres Lachen von Masao einbrachte. „Du kannst so viel meckern wie du willst. Yasuo wird nicht die Geduld verlieren. Ich habe es früher auch oft versucht und mir die Zähne ausgebissen.“ Da wurde Seth hellhörig. „Kannst du das genauer erzählen?“ Masao stellte Seth die Tasse Kaffee hin und setzte sich auf seinen Stuhl. „Yasuo ist acht Jahre älter als ich und war nach dem Tod unseres Vaters sozusagen sein Ersatz. Ich war gerade 8 Jahre alt geworden, als unser Vater ermordet wurde und Yasuo war zu diesem Zeitpunkt 16. Von heute auf Morgen wurde mein großer Bruder erwachsen und hat von da an auf mich aufgepasst. Vorher hatte er ständig seinen Kopf durchgesetzt und hat immer nur das getan, was er wollte. Ich war zu diesem Zeitpunkt komplett durch den Wind und ich habe nur Yasuo an mich herangelassen. Das war eine schlimme Zeit.“ „Euer Vater wurde ermordet.“, sagte Seth langsam. Yasuo antwortete für seinen Bruder. „Damals lief es überall in den Nachrichten. Jedoch wurde der Täter von der Polizei nie gefasst.“ Seth senkte betroffen den Kopf. „Das tut mir leid.“ „Jetzt schau doch nicht so bedrückt.“, meinte Masao beiläufig. „Das ist viele Jahre her und keiner von uns macht sich noch Gedanken darum.“ Seto wagte es nicht mehr sich zu beschweren und trank stumm seinen Tee. Zwar hatte er vorhin versucht an eine Tasse Kaffee zu kommen, doch es stellte sich heraus, das Masao sich zu seiner Überraschung genauso gut durchsetzen konnte, wie Yasuo. Atemu stopfte sich sein Brötchen in den Mund und trank seinen Kakao aus. „Ich mach mich dann auf den Weg.“ Bevor Atemu die Küche verließ schaute er seinen Vater noch einmal an. „Ich bringe nachher ein paar Freunde mit.“, und dann verschwand er. „Das sagst du mir jetzt erst? Darauf bin ich nicht vorbereitet. Hey, jetzt geh nicht einfach so weg.“ Yasuo rannte seinem Sohn empört hinterher. Wieder einmal stellte Seth fest, wie wohl er sich hier fühlte. Diese familiäre Atmosphäre hatte er so viele Jahre vermisst und er hat sich immer vorgestellt, wie es sich anfühlte. Trotz der kleinen Streitereien war es harmonisch und auch Seto fühlte sich wohl, auch wenn er gerade schmollte. Seth’s Blick fiel zum Herd, der ordnungsgemäß an seinem Platz stand. „Ist der etwa angeschlossen?“ Masao nickte eifrig. „Das hat Yasuo gleich nach dem Aufstehen gemacht. Ruck zuck war er fertig und hat sich dann ums Frühstück gekümmert.“ „Dann hatte Atemu wirklich recht!“ Jetzt mit mehr Eifer aß Seth sein Frühstück und machte sich dann für die Arbeit fertig. „Und ich darf mich hier wieder langweilen.“, brummte Seto verstimmt. Masao winkte ab. „Wir können gerne wieder Karten spielen.“ „Du bist aber grottenschlecht.“ Beleidigt verzog Masao das Gesicht. „Das nehme ich als Herausforderung. Nach dem Frühstück legen wir los.“ „Ich bin dabei.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)