Under these Scars von _Scatach_ (Teil Vier der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 49: It's been a lifetime -------------------------------- Mushis Schmerzschrei gellte wie eine Sirene.    Er explodierte geradezu und ertränkte das schrille, rapide Piepsen von Maschinen, die komplett durchdrehten.    Bekloppter, verrückter Hurensohn!   Fauchend stürzte sich Ibiki auf das BVM-Beatmungsgerät, während Kakashis Ninken Mushi zu Boden riss und mit dem gutturalen Knurren einer besessenen Bestie an dem Doktor herum zerrte. Ohne auf Mushis Wehklagen zu achten, verschwendete Ibiki keinerlei Zeit und legte so schnell er konnte die Maske über Naokis Mund und Nase, bevor er die Finger in einer Krabbenhaltung krümmte, um sie fest auf das Gesicht des Yamanaka zu pressen. Seine freie Hand krallte er um den Kompressionsbeutel und fing an, Luft in die darbenden Lungen zu pumpen.    Ruhig. Ruhig. Ganz ruhig.   Draußen begann eine Krankenschwester, gegen die Tür zu hämmern.    Ibiki ignorierte ihre Rufe, seine Augen auf den schwach piependen Herzmonitor fixiert.    Komm schon…komm schon…   In seinem Ohr hörte er das Knacken von Statik. „Inago an Morino!“   Shit.   Er konnte gerade keine Hand freimachen, um sein Mikrofon zu berühren. Er konnte seine Hände auch nicht freimachen, um das Jutsu zu wirken. Genauso wenig, wie er seine Hände freimachen konnte, um diese gottverdammte Tür zu verbarrikadieren.    Bleib ruhig. Bleib fokussiert.   Viel verlangt. Ibiki schätzte, dass ihm maximal zwei Minuten blieben, bevor KERN Agenten wie der Teufel und mit brennenden Jutsus durch die Tür geplatzt kamen.   Das EKG begann unregelmäßig zu blinken.    Komm schon…komm schon…   Vergeblich. Die Extraktion war gescheitert. Es war vorbei. Zeit, abzubrechen. Er wusste das. Wusste es ebenso sehr, wie er wusste, dass seine nächste Vorgabe darin bestand, das Ziel zu eliminieren, sollte die Extraktion nicht funktionieren.    ‚Sollte Tenka nicht von dort entfernt werden können, muss er eliminiert werden.‘   Und dennoch drückte Ibiki weiterhin auf diesen verdammten Luftsack und überwachte weiterhin den Herzmonitor. Er konnte spüren, wie die Zahnräder in seinem Maschinenverstand heftig ins Stocken gerieten.    Shit. Shit. Shit.   Noch mehr Rufen jenseits der Tür…   Noch mehr Alarme und Sirenengeheul…   Noch mehr um sich schlagen auf dem Boden, als Mushi seine bandagierte Faust in dem Versuch, die brutale Attacke abzuwehren, gegen den Kopf des Ninkens hämmerte. Doch das einzige, was er dadurch bewirkte, war, die fehl am Platz wirkende Sonnenbrille von der Nase des Tieres zu schubsen. Mit zurück gezogenen Lefzen biss der Hund noch härter zu.    Mushis Schreie wurden gellend spitz.    Knurrend drehte sich Ibiki in der Hüfte und trat mit seinem Fuß aus. Er erwischte Mushi direkt am Kinn. Ausgeknockt sackte der Doktor mit den Kiefern des Hundes um sein Handgelenk geschlossen zu Boden.    Und dann fiel Naokis Herzschlag auf dem Monitor auf die Nulllinie.    Ibikis Augen weiteten sich. „FUCK!“   Die Tür explodierte nach innen.    Ein KERN Agent kam herein gestürzt. Er schaffte kaum mehr als drei Schritte in den Raum, bevor Kakashis Ninken wie eine gottverdammte Kanonenkugel in ihn krachte und die Zähne im Fleisch des Armes des Agenten versenkte. Von Krallen und Fangzähnen völlig überwältigt, taumelte der Mann nach hinten.    Das erkaufte Ibiki zumindest ein paar Sekunden.    Er gab seinen Griff an dem Beatmungsgerät auf und begann stattdessen eine Herzdruckmassage. Doch er hatte kaum die ersten paar Pumpbewegungen gemacht, da erscholl ein scharfes, tierisches Jaulen und ein weiterer Agent erschien mit gezogenem Tantō im Türrahmen.   „WEG VON DEM AGENTEN, MORINO!“   Ibikis Augen zuckten nach oben und seine Hände erstarrten über Naokis angehaltenem Herzen.    Ihm blieb überhaupt keine Zeit, zu reagieren.    Ein inbrünstiges Gebrüll erfüllte die gesamte Intensivstation wie Donner. „DYNAMISCHER EINTRITT!“   Ein vertrauter Blitz eines eng anliegenden, grünen Trainingsanzugs und Maito Gais Fuß rammte sich ohne viel Federlesen in den Hinterkopf des KERN Mannes, was den Kerl in einem Salto quer durch den Raum katapultierte.    Ein blauweißer Blitz erhellte den Korridor. „CHIDORI!“   Ein elektrisches Zischen und Knacken von Chakra und das Beobachtungsfenster explodierte in einem Regen aus Funken und Blitzen. Ein weiterer KERN Agent kollabierte rücklings durch das zerschmetterte Glas, verfing sich in den Rollos und endete schlaff und knapp über dem Boden hängend wie eine Marionette an ihren Fäden.    All das passierte in unter einer Minute…   Und die Sirenen schrillten weiter…   Und die Geräusche eines Gefechts wurden lauter…   Und immer noch lauter war das Schreien in Ibikis Kopf: eliminieren, eliminieren, eliminieren.    Endgültig.   Hayates Gesicht erschien vor seinem inneren Auge wie ein weiteres, fehlerhaftes Dia. ‚Es ist tödlich, Ibiki. Endgültig.‘   Eine Schaltung stellte sich quer.    Die Zahnräder in Ibikis Verstand hielten an.    Endgültig…   Wie das Geräusch der Nulllinie…   ‚Es ist tödlich, Ibiki. Endgültig.‘   Unaufhaltbar, unvermeidbar…   Anders als das hier.   Ibiki brauchte zwei Sekunden, um sich neu zu programmieren, eine weitere, um sich zu erholen und direkt wieder zurück zu seiner Herzdruckmassage zu springen. Er war sich kaum bewusst, dass Gai aus dem Raum zurückgewichen war und nach Kakashi rief. Die Welt schrumpfte zusammen, ein Ereignis, das um die Ränder herum schwarz zu werden drohte – und alles, worauf sich Ibiki fokussieren konnte, war, möglichst nicht Naokis Rippen zu brechen, als er verzweifelt um einen Herzschlag kämpfte.    Endgültig. Endgültig. Endgültig.    Nein. Nein. NEIN.   Eine weitere Gestalt drängte sich in den Raum, packte schnellstmöglich das BMV-Beatmungsgerät und fing an, den Luftbeutel zu pumpen. Ibiki hob nicht den Blick, um das Gesicht zu sehen, aber er kannte die Stimme. Yamato. Er sagte irgendwas, schrie vielleicht sogar, aber Ibiki hörte es nicht. Alles, was er hören konnte, war der harsche, unveränderte Ton der Nulllinie, der in seinen Ohren rang.    Er hasste dieses Geräusch…   „Ibiki!“   Hatte es viel zu viele Male zuvor gehört…   „Ibiki, hör auf!“   Kalte, metallene Operationstische…   „IBIKI!“   Ausgestreckte Körper, die mit ihren fehlerhaften Motoren dalagen…   „KAKASHI!“   All dieses Blinken und dieser Lärm…   Die Sirenen erstarben.   Da war lautes und heiseres Bellen…wie die Stimmen im Raum…   Ibiki wollte ihnen alle sagen, dass sie verfickt nochmal die Fresse halten sollten, weil er die Nulllinie nicht hören konnte. Doch Hände packten ihn und zerrten ihn zurück. Diese Hände mussten zu einem gottverdammt starken Hurensohn gehören, denn Ibiki war wie ein Monolith. Nur schwere Knochen und Massen an Muskeln. Mehr Maschine als Mensch. Ein Automat mit Fehlfunktion…   Versagend.   Wie das Herz unter seinen Händen.   Fluchend versuchte Ibiki, wieder nach vorn zu kommen, aber schon wieder waren da diese zwei Paar Hände, die ihn zurückhielten. Es waren harte, Gelenk verriegelnde Griffe, die dazu gedacht waren, ihn bewegungsunfähig zu machen. Knurrend peitschte Ibiki seinen Kopf von Seite zu Seite, fing einen peripheren Blick auf die beiden Gesichter an seinen Seiten auf; Gai, Raidō.    Und dann ein Aufblitzen silberner Strähnen…   Ein knisterndes Knacken von Blitzen…   Kakashis Hand donnerte auf Naokis Brust…   Das Stakkatoaufflammen von Chakra…ein defibrillierender Schock…   Ein Schock…   Zwei Schocks…   Er konnte Kakashi knurren hören. „Nicht. Tu ihm das nicht nochmal an.“   Ibiki musste sich verhört haben. Sein Hirn war auf nichts anderes als das ununterbrochene Dröhnen der Totenglocke des Monitors fixiert…ein schriller, monotoner Ton, der unter Kakashis Stimme unbeirrt weiter ablief, bis ein Biep, Biep, Biep jedem einzelnen Mann im Raum den Atem raubte…und Naokis Herz fing wieder an zu schlagen.    ~❃~   Nejis Herz hörte in der Sekunde auf zu schlagen, als er den Raum betrat.   Mein Gott.   Er brauchte eine lange Sekunde, um begreifen zu könne, was zur Hölle er gerade sah. Weiße Augen wurden rund, als er die Massen an Gekritzel auf den Tatamimatten und den Shojiwänden in sich aufnahm. Shikamarus Schrift, nur ein kratzigeres Gekrakel als seine übliche, träge Handschrift. Diese Striche waren kühner, schärfer…   Zorniger.   Fassungslos von dieser Szene mühte sich Nejis Verstand ab, die Bilder zu sortieren, während er gleichzeitig in seinem Unterbewusstsein nach klischeehaften Szenarien eines Meisterhirns bei der Arbeit herumwühlte. Gekritzel auf den Tafelwänden, die Codes, die Nummern, die mathematischen Gleichungen des Universums, dargelegt in Kreidestrichen; so etwas kam Neji in den Sinn. Ein genialer Verstand, der sich auf der feinen Linie zwischen Brillanz und Wahnsinn bewegte.   Es war ein flüchtiges Bild…   Ein kurzer Ausflug in das Reich der Phantasie, um sich nicht der harten, bitteren Realität stellen zu müssen. Eine Realität, die ihm wortwörtlich buchstabiert worden war – auf den Böden, auf den Wänden. Eine entsetzliche Wahrheit, für die Shikamaru Lüge für Lüge genutzt hatte, um sie zu vermeiden.    Du bist im tiefen, kalten Wasser, Nara…   Fürwahr. Und die eisige ANBU Logik, die in den hintersten Winkeln seines Verstandes kauerte, schmierte Warnungen auf seine eigenen Wände innerhalb von Wänden. Sagte ihm, dass, ja, Shikamaru sich im tiefen, kalten Wasser befand und dass wenn Neji nicht aufpasste, er zusammen mit dem Schattenninja von dem Strudel mit in die Tiefe gezogen werden würde.    ‚Was wirst du wählen?‘   Der Gedanke war so plötzlich und so alarmierend, kam wie aus dem Nichts und traf ihn wie ein Ball aus Eis. Das Frösteln dieser unbekannten Stimme ließ Neji erschaudern und es wirbelte den Bodensatz eines Traumes auf, der seit der vergangenen Woche in seinem Geist umher irrte.    Kein Traum…   Nicht wirklich. Mehr ein psychedelischer Nachtmahr, den er unter dem Einfluss der Opiate erlebt hatte. Er entsann sich an Fragmente. Schatten. Shikamaru. Blut. Das Empfinden, von etwas – jemandem - unten gehalten zu werden. Jemandem, der ihm befohlen hatte, zu wählen, eine Entscheidung zu treffen.    Zwischen was?   Als wüsste er das nicht bereits…weit, weit unten in den Tiefen seines Herzens...wohin die Wände nicht gehen und was die Zahnräder nicht erreichen konnten…wo das Nichts dem Bedürfnis in ihm wich…   Kami, als wüsste er das nicht.    Neji presste die Lider aufeinander und die Sehnen in seinem Hals zogen sich straff. Er wollte schreien, konnte bereits spüren, wie es an seinem Rachen kratzte.    „Neji.“   Als er die Augen öffnete, stählte Neji seine Miene und spähte über die Schulter. Sai stand im Türrahmen. Der Künstler schien nicht wirklich von der Szene verstört zu sein, sein blankes Gesicht hing einfach nur kühl und unergründlich da wie eine Maske.   Eine Maske…   Maske. Tsuno. ANBU. Mission. Er hätte wissen müssen, dass er niemals damit beauftragt worden wäre, ohne zum Handeln aufgefordert zu werden. Handeln. Fürwahr, das war der letzte Akt in diesem niemals endenden Spiel des Aufführens und Vortäuschens.    Shirataka.   Das musste er jetzt nach vorn bringen. Das war, wer er sein musste, um das wieder richten zu können. Er kannte seine Rolle. Seine Maske. Seine Mission. Und noch wichtiger, was diese Mission gefährden könnte. Und es war nicht Shikamaru.    Es waren diese Hitze und Kälte, die hinter seinen Rippen pochten…   Wände innerhalb von Wänden, Zahnräder innerhalb von Zahnrädern…   Tief durchatmend ließ sich Neji geistergleich in diese ANBU Haut sinken, in einer kalten und totalen Mondfinsternis verschwanden die Emotionen aus seinen mondweißen Augen. Und dann ergriff er das Wort. „Sai. Als Shikamaru dich zurückgelassen hat, hatte er da noch seinen Transmitter bei sich?“   „Ja.“ Eine Pause. „Aber er antwortet nicht.“   „Er wird antworten“, murmelte Neji. Und als er sich wieder Sai zuwandte, war seine Meine frostüberzogen. „Niemand, absolut niemand betritt diesen Raum und es wird auch niemand dieses Gelände verlassen.“   Sai blinzelte ihn an; ein maskierter Spieler, der einen anderen erkannte. Er nickte langsam. „Verstanden.“ Ein flüchtiger Blick auf die Wände. „Wie hast du vor, ihn zu finden?“   „Allein“, erwiderte Neji knapp, als er an Sai vorbei in den Korridor marschierte. „Unterstütze die Nagu. Du hast deine Befehle. Enttäusche mich nicht nochmal, Sai.“   Das musste man ihm lassen, Sai ertrug diesen Schlag mit Fassung. „Verstanden.“   Mit aufflammenden Byakugan Augen verlängerte Neji seine Schritte und ließ Sai zurück, als er den von Nagu bewachten Korridor entlang schritt und die verschiedenen Räume scannte, um rasch die Teammitglieder jenseits der Fusama Paneele zu mustern. Sakura und Naruto teilten sich das erste Zimmer. Sakura saß auf dem Boden, den Kopf mit geschlossenen Augen nach hinten gegen die Wand gelehnt. Täuschend ruhig. Aber ihr Herz raste.    Verängstigt.   Neji scannte den nächsten Raum. Shino und Tenten. Der Käferninja war in einen Kokon aus Chakra gehüllt und tankte offenbar neue Kräfte. Tenten spielte eine Art von Darts, indem sie ein Kunai und Shuriken eins nach dem anderen auf den eleganten Tokonomapfosten warf. Ihre Miene war verkniffen und grimmig.   Zornig.   Tür Nummer drei: Kiba.    Der Hundeninja war allein, abgesehen von Akamarus Gesellschaft. Die Nagu hatten ihn gefesselt – Hände und Füße – aber sein Mund bewegte sich immer noch und feuerte in einer wahnsinnigen Symphonie schiefe Noten ab. Akamaru winselte und tigerte an der Wand zum angrenzenden Raum auf und ab.    Tür Nummer vier: die beiden Chūnin, die das größte Risiko darstellten.    Sehr zu Nejis Überraschung stellte er fest, dass sie gemeinsam auf dem Boden saßen, Inos Kopf auf Chōjis Schulter gelegt, ihre Herzschläge ruhig und ihr Chakra stabil. Keiner von ihnen schien zu sprechen…was Bände sprach. Aber Neji blieb keine Zeit, um sich über ihre Ruhe zu wundern.    Zwei Nagu standen außerhalb ihrer Tür.    Sie nickten Neji flüchtig zu, als er vorbei marschierte. Das hätte ihn vielleicht rückversichert, wenn er nicht ohnehin schon außerhalb der Reichweite seiner in Käfige gesperrten Kameraden operieren würde. Er war Meilen weit weg, flog allein auf einem kalten Wind.    Draußen war das gesamte Gästehaus von Nagu Wächtern umringt.    Niemand kommt hier raus.    Oder zumindest war ihm das so versichert worden. Das letzte, was er jetzt noch brauchte, war ein ungewollter Kavallerieangriff von Konoha. Aufmerksam scannte er die Laufwege und erspähte dabei Katsu und Sui in kurzer Entfernung.    Katsu begegnete seinem Blick, nickte ein einziges Mal.    Das Signal gegeben und eine erhaltene Nachricht.    Während er die Geste erwiderte, strich Neji die Länge der Veranda entlang und schlug einen Pfad zu den Gärten ein. Als er hinaus auf den Weg zermahlener Muscheln trat, hielt er für einen langen Moment inne und ließ das Sonnenlicht über sich hinweg waschen. Er stand im klaren Sichtfeld von jedem, der vielleicht aus den Schatten heraus zusah. Er erwartete sogar halb, Tsunos ANBU Maske schwebend unter den Baumkronen vorzufinden.    Nichts.    Nichts. Nichts. Nichts.    Das Mantra in seinem Kopf, das ANBU Skript, der Klebstoff, der die Maske davor bewahrte, abzurutschen. Sollte Tsuno wirklich zusehen, dann gab Neji seinem Kommandanten gute zehn Sekunden, um seine Anwesenheit deutlich zu machen, bevor er nach dem Mikrofon an seinem Hals griff. Ein leiser Atemzug und dann sprach er in die Statik, seine Stimme glatt und tief. „Wo bist du, Nara?“ Weißes Rauschen…   Ein höhnisches Zischen in seinem Ohr…   Für einen Moment lauschte Neji, spürte wie sich sein Herz zusammenzog, schloss die Augen und wisperte sanft: „Lass mich dich finden, Shikamaru.“   Ein paar Sekunden später veränderte sich das Zischen in seinem Ohr von Statik zu Stille und dann zu einem qual- und kummervollen Beben eingehaltenen Atems. „Neji…“   ~❃~   Ein Schlag, zwei Schläge, drei Schläge, ein steter Rhythmus in dem viel zu stillen Raum. Keuchend beobachtete Kakashi den Monitor des EKG, spürte, wie sein eigener Puls synchron mit jedem Biep, Biep, Biep, Biep von Naokis Herzschlag pochte.    Gai stieß einen triumphierenden Schrei aus und stieß eine Faust in die Luft. „Gute Arbeit, Kakashi!“   Eine sehr kurzlebige Erleichterung.    „TÜR!“, rief Raidō.   Kakashi schnellte mit absackendem Magen herum. KERN Agenten, ein ganzes verdammtes Rudel von ihnen, näherten sich der Intensivstation.    Yamato war der erste, der reagierte. „Raidō! Übernimm für mich.“ Rasch übergab er das BVM-Beatmungsgerät den Händen des Namiashi und stürmte an Kakashi vorbei. „Senpai! Dein Ninken!“   SHIT!   Kakashi stieß einen schrillen Pfiff aus. „AKINO!“   „Mokuton: Mokujōheki!“   Die Technik des Holzversteckes grollte wie ein Erdbeben durch die Böden und Wurzeln erhoben sich krachend durch den Beton, um sich zu einer Kuppel zu formen, die den Durchgang versperrte.    „MACHT DAS FENSTER FREI!“, brüllte Yamato.    Gai stürzte sich auf das zersprungene Observationsfenster, schubste den baumelnden KERN Agenten hinaus in den Gang und schwankte gleich wieder zurück, als Kakashis Ninken durch das eingeschlagene Fenster gesprungen kam, wobei er Gai als Sturzmatte nutzte.    Mit den Armen sicher um den Hund geschlungen, stolperte Gai nach hinten.    Ibiki fing ihn an den Schultern ab und zerrte ihn rasch aus dem Weg, als schon die zweite Runde aus Wurzeln aus dem Boden geschossen kam, um auch das Fenster zu verbarrikadieren. Luftdichte Defensive. Zumindest fürs Erste.    „AUF DEN BODEN!“, donnerte eine Stimme von draußen. „KINOE!“   Yamato versteifte sich schlagartig bei seinem alten KERN Decknamen. Kakashi zuckte zusammen, als er sich vorstellte, was für vollkommen falsche, aber tief verwurzelte Signale gerade in Yamatos Kopf abgefeuert wurden. Sanft berührte Kakashi seine Schulter, bevor er hart zupackte. „Tenzō.“   Dieser Name erdete ihn wieder, brachte ihn zurück. Mit den Fingern zu einem Zeichen verschlossen, schüttelte Yamato die Berührung ab. „Ich pack das. Bete einfach, dass sie keine Feuerattacken nutzen werden.“   „Sie werden nicht riskieren, ihre gesamte Krankenstation abzufackeln“, erwiderte Ibiki, während er mit gebleckten Zähnen auf Kakashi zumarschierte. „Was verfickt nochmal machst du hier, Hatake?“   Mit aufblitzendem, grauem Auge schnellte Kakashis Kopf herum. „Willst du ernsthaft jetzt das Zwanzig Fragen Spiel spielen?“   Ihre Blicke krachten in einer frontalen Kollision aufeinander, die stark genug war, um Funken zu schlagen. Oh, Moment, das waren die Blitze, die über Kakashis Knöchel leckten. Und es brauchte verdammt viel Zurückhaltung, diesen Schlag nicht auszuführen.    Mit steinernem Gesicht und eiskalt starrte Ibiki zurück.    Kakashis Auge zog sich zu einem schmalen Schlitz zusammen, die flackernden Blitze glühten blauweiß auf.    „Meine Herren“, unterbrach Gai und seine dichten Brauen zogen sich zu einem dunklen V zusammen, während er Kakashis Ninken absetzte. „So sehr ich es auch lieben würde, eine mannhafte Runde aus Fäusten und Wut mitzuerleben, jetzt ist nicht die Zeit dafür.“   „Und Zeit ist Geld“, blaffte Raidō durch das Zimmer, wobei er ununterbrochen den Luftbeutel betätigte. „Der Preis steigt. Wir müssen Naoki jetzt hier rausholen.“   Ibikis Augen loderten bei der Erwähnung von Naokis Namen auf und seine Nasenflügel bebten. „Herzlichen Glückwunsch, Hatake. Du hast gerade dreiundzwanzig Jahre vertraulicher Informationen in die Tonne getreten und jetzt wirklich alles so abgefuckt, dass es sich nicht wieder reparieren lässt.“   Kakashis finstere Miene löste sich auf und er krümmte die Finger zu einer Faust, um die Funken zu zertrümmern. „Ich musste schon mit Schlimmerem leben. Genau wie du. Und jetzt kannst du Zeit damit verschwenden, einen auf Feldwebel zu machen oder du kannst uns dabei helfen, diesen Agenten hier rauszuholen. Also was soll es sein?“   Eine zähneknirschende Pause, bevor Ibiki nach dem Mikrofon an seinem Hals griff. „Morino an Inago.“ Wegen des hohen Kreischens von Statik riss er den Kopf zur Seite.    Ein zischendes Knacken und dann erscholl eine Stimme. „Inago bestätigt. Was zur Hölle geht da vor sich, Morino?“   „Keine Zeit“, erwiderte Ibiki. „Seid ihr bereit?“   „Und warten.“   „Sehr gut. Bereithalten.“   Stirnrunzelnd spähte Kakashi an Ibiki vorbei. Seine Aufmerksamkeit prallte von dem bewusstlosen Doktor ab, der ausgestreckt in einer Ecke lag und verfing sich dann an den vertrauten, dreizinkigen Kunai, die in den Boden gerammt waren. Sein graues Auge weitete sich in Begreifen. Teleportationsjutsu. Die Art, die von dem Yondaime genutzt worden war.    Minato-sensei…   Energisch ignorierte Kakashi den Stich in seiner Brust und warf Ibiki einen schlitzäugigen Blick zu. „Bist du wahnsinnig?“    Ibiki sah ihn nur flach an. „In letzter Zeit fragen mich das die Leute ständig.“   Kakashi gestikulierte zu den Kunai. „Hast du überhaupt irgendeine Ahnung, wie man dieses Jutsu stabilisiert?“   „Ich weiß das“, schaltete sich Raidō ein und bedeutete Gai, die Atemübungen für ihn zu übernehmen. Rasch umrundete er die Liege, examinierte das Stabilisierungssiegel auf Naokis Brust und auch die, die auf den Boden geklebt waren, während er murmelnd erklärte: „Der Yondaime hat es den Goei Shōtai beigebracht. Diese Stabilisierungssiegel sind solide, aber idealerweise bräuchte ich-“   Akino begann zu bellen.    Ein lautes BANG erscholl von der anderen Seite der verbarrikadierten Tür und des Fensters.    Yamato verzog sein schweißbedecktes Gesicht und wimmerte leise. „Wollt ihr euch ein bisschen beeilen da drüben? Ich kann das nicht ewig gegen Erdversteckrammböcke aufrecht erhalten.“   „Raidō“, drängte Kakashi.    Raidō schnitt eine Grimasse und richtete sich auf, während er mit seinen Finger durch sein Haar fuhr. „Das Jutsu zu stabilisieren ist nicht das Problem. Ibikis Siegel sind solide. Genauso wie die Brücke zwischen hier und wo auch immer Ibiki ihn hinschicken wollte.“   „ANBU Intensivstation“, erklärte Ibiki, bevor Kakashi fragen konnte. „Also was ist dann das Problem, Namiashi?“   „Das Problem ist Chakra.“   Ibiki runzelte die Stirn. „Erklär das.“   Mit dem Kinn ruckte Raidō in Richtung der Kunai. „Diese Kunai sind alt und es sind zu wenige. Das Chakra, das sie noch enthalten, wird nicht genug sein, um einen Barriereraum zu öffnen, der die Teleportation ermöglicht. Anders als Minato-sama, kann ich das nicht allein machen. Dafür bräuchte ich Genma und Iwashi. So wie das Jutsu momentan aufgebaut ist, wird es Naoki eher umbringen, als ihn transportieren.“   Völlig eingefroren stand Kakashi da, sein Herz wild in seiner Kehle hämmernd und mit wirbelndem Verstand.    BANG, BANG, BANG vor der Tür.    Yamato würgte einen erstickten Atem hervor.    „Fuck“, zischte Ibiki. Er stemmte die Hände an die Hüften und drehte einen engen Kreis, bevor er sich Raidō zuwandte und Statistiken verlangte. „Gib mir eine Überlebensrate. Gib mir irgendwas.“   Hilflos hob Raidō die Hände. „Vierzig Prozentchance, dass das funktioniert. Und das ist schon optimistisch. Ohne einen weiteren Nutzer des Jikūkan Ninjutsu, um dieses Portal zu öffnen, gibt es einfach keinen Weg.“   „Doch den gibt es“, erwiderte Kakashi leise.    Alle Augen wandten sich ihm zu.    Kakashi atmete tief aus, bevor er eine Hand hob und sein schiefes Hitai-ate nach oben schob, um sein scharlachrotes Sharingan zu offenbaren. „Kamui“, sagte er.   Mit rund werdenden Augen erbleichte Gai. „Kakashi. Das letzte Mal, als du das genutzt hast, ist dein Chak-“   Abrupt hob Kakashi eine Hand, um jede Warnung abzuweisen, seinen Blick starr auf Naoki gerichtet. „Vertrau mir, Gai. Ich schaffe das.“   „Was genau?“, fragte Raidō gleichermaßen zweifelnd und besorgt.    Kakashi spähte zu ihm, dann zu Gai. „Die Raumzeit verzerren und einen Barriereraum öffnen, der groß genug ist, um Naoki zu umschließen. Aber dieses Stabilisationsjustu muss unerschütterlich sein, sonst riskiere ich, ihn in eine Dimension zu schicken, von der ich keine Ahnung habe, wie man sie erreichen soll.“   „Dann werde ich mit ihm gehen“, sagte Gai.   „Was?“   „Wir brauchen ohnehin auch jemanden auf der anderen Seite. Ich bin dein Mann, Kakashi.“   „Aber-“   „Du schaffst das.“   Sprachlos starrte Kakashi ihn an. Er konnte nicht dagegen argumentieren, aber er konnte auch unmöglich zustimmen. Zerrissen sah er zwischen Naoki und Gai hin und her.    Gai bellte ein nervöses, aber entschlossenes Lachen. „Das muss ich dir lassen Kakashi. Du weißt auf jeden Fall, wie du mich ins Schwitzen bringst!“   Angesichts der Umstände ließ Kakashi das einfach auf sich beruhen, ohne eine Grimasse zu schneiden. Gai legte sein Leben in die Hände des Kopierninjas. Aber hey, kein Druck. Gott. Er holte beruhigend Luft, bevor er nickte. „Ich werde dich nicht enttäuschen.“   Gai schenkte ihm ein breites, blitzendes Grinsen. „Das ist der richtige Wille!“   „Bei Kannons blutigen Tränen“, murmelte Ibiki der Decke entgegen, die Hände noch immer gegen die Hüften gestemmt. Seufzend ließ er seinen Kopf nach vorn fallen und funkelte Kakashi aus einem Augenwinkel an. „Wenn du das verbockst, dann bist du so gefickt, Hatake. Ich werde dich vom gesamten F&V durchnehmen lassen.“   Kakashis Miene verdüsterte sich angesichts dieser obszönen Drohung und er pinnte Ibiki mit einem vernichtenden, rotäugigen Blick fest, seine Tomoe wirbelten finster. „Wenn ich erfolgreich bin, dann sind wir beide quitt. Du wirst deine Bluthunde zurück pfeifen.“   Ibiki schmunzelte tatsächlich. „Netter Versuch. Auf gar keinen Fall.“   Schnaubend schmunzelte Kakashi beinahe zurück. Das hatte er erwartet, aber es schadete nie, ein bisschen zu feilschen. Er ignorierte Raidōs perplexen Blick und wandte sich Gai zu. „Du wirst ihn halten müssen. Je kleiner das Ziel, desto glatter verläuft der Übergang.“   Zögernd stockten Gais Finger an dem Luftsack. „Aber was ist mit-“   „Er hat drei Minuten“, unterbrach Ibiki. „Dauert es länger, dann wird es es nicht mehr wert sein, ihn zu retten.“    Kalt, aber wahr. Jenseits dieser Grenze drohten einem sauerstoffarmen Hirn irreparable Schäden.    „Es wird keine drei Minuten dauern“, versicherte Kakashi.    Während er die Backen aufblies, bewegte sich Raidō in Position, um das Jutsu zu stabilisieren. „Na schön. Lasst uns anfangen.“    „Nach meiner Zählung: Auf drei“, sagte Kakashi angespannt, richtete all seine Aufmerksamkeit auf Gais Brust und schloss sein linkes Auge. „Eins.“   Ibiki blaffte in sein Mikrofon. „Bereithalten!“   „Zwei.“   Gai ließ das BVM-Beatmungsgerät fallen, hob Naoki auf seine Arme und drückte ihn gegen seine Brust.    „DREI!“   Kakashis Auge flog auf und die wirbelnden Sharingan Tomoe veränderten sich zum Mangekyō. „KAMUI!“   Ein kaleidoskopartiges Wirbeln von Chakra, ein zerfetzendes Empfinden, als sich das Gewebe der Realität ausdehnte und langzog und sich in einer Spirale um Gai legte.   „ANTEI!“, bellte Raidō und formte seine Finger zu einem Siegel.    Die Spirale hielt, wobbelte leicht in einer verdrehten Sternenexplosion, die implodieren wollte. Und dort, auf der anderen Seite, schimmernd wie ein Fata Morgana und direkt hinter Gais Schulter – eine ANBU Einheit und ein Notfallteam.    Ohne zu blinzeln starrte Kakashi und sein blutunterlaufenes Auge verzog sich vor Schmerzen. „LAUF!“   Ein einziges Nicken und Gai sprang hindurch auf die andere Seite. Die Wirbel aus Chakra schrumpften hinter ihm zu einer Nadelspitze zusammen, bis sie zwinkernd ins Nichts verschwanden. Weniger als dreißig Sekunden. Keuchend presste sich Kakashi eine Hand über seine pochende Augenhöhle und taumelte einen Schritt nach vorn.    Ibiki fing ihn auf und zog ihn wieder in die Aufrichtung.    Raidō stellte sich an seine andere Seite. „Sie kommen.“   Sag bloß.    Yamatos Holzkuppeln knackten wie Eierschalen.    Keuchend schüttelte Kakashi Ibikis Griff ab, ging in die Hocke, riss zwei der Kunai seines alten Senseis aus dem Boden und ließ sie um seine Finger wirbeln, bis die Hefte kalt gegen seine Handflächen klatschten. „Lass sie kommen“, murmelte er, als er sich aufrichtete.    Neben ihm schnaubte Raidō kopfschüttelnd. „Wieso haben eigentlich alle meine Freunde einen Todeswunsch?“   Ibiki grinste. „Mach hinne, oder lass es bleiben, Namiashi.“   „Fick dich, Morino.“   „Oh, das hat Kakashi schon übernommen. Hat mich und diese ganze Operation gefickt.“   Das Hämmern gegen die Kuppeln wurde lauter und zu einem splitternden Knarzen.    Kakashi ignorierte das Geplänkel zu seinen Seiten, neigte die Klingen gegen seine Unterarme und blinzelte durch sein blutrotes Auge. „Akino.“   Der Hund humpelte zu ihm hinüber und sah gehorsam zu ihm auf.    Kakashi hielt seine Augen nach vorn gerichtet. „Sag Tsunade, dass es erledigt ist. Ich will, dass das ganze Rudel zu Gai geht; sag ihnen, dass sie unter keinen Umständen Naokis Seite verlassen dürfen, außer die Hokage befiehlt es. Pass auf dich auf.“   Ein leises Wuffen und der Ninken wirbelte herum, sprang hinauf in den offenen Lüftungsschacht und verschwand, um den Befehl auszuführen. Kakashi spürte, wie er von Ibikis Augen aufgespießt wurde, aber er machte keine Anstalten, den Kopf zu drehen. „Wenn die mich nicht kaltmachen, Morino, dann kannst du es gerne versuchen.“   Ibiki schüttelte den Kopf. „Du hast keine Ahnung, was du getan hast.“   Vielleicht nicht, aber als die Kuppeln nach innen explodierten und KERN herein strömte, konnte Kakashi einfach nicht anders, als sich zu fragen, ob er überhaupt lang genug leben würde, um es bereuen zu können.    ~❃~   Die Stimmen sprachen schon wieder…   Gedämpft und weit entfernt…   Stimmen in meinem Kopf…   Mushi würde sich sofort darauf stürzen. Vielleicht würde er ihn sogar von paranoid zu schizophren befördern. Nett. Genma hätte vielleicht gelacht, wenn er denn Kontrolle über seinen Körper besessen hätte. Aber so wie es war, besaß er im Moment ja kaum seine Sinne. Er schlingerte. Schwamm stromaufwärts durch einen Fluss aus Lava…seine Haut brannte in einem grellen Lachspink…Pink…Pinke Pillen…hätte eine vertragen können…er hatte einen üblen Trip…Mizugumo hatte gesagt, dass das passieren würde…   Bitch.   Jemand sprach seinen Namen. Ein leiser Altton. Weiblich.   Keine Bitch.    Er kannte diese Stimme. Mochte diese Stimme. Mochte diese Frau. Manchmal, nach ein paar Gläsern Shōchū und keinem Sinn für Grenzen mehr, mochte er diese Frau ein bisschen zu sehr. Wusste aber, dass sie tabu war. Asuma hätte ihm die Haut von seinem Hintern gezogen und ihm mit seinen Grabenmessern ein zweites Arschloch verpasst.    Nur sagte eine nervige, kleine Stimme, dass das gar nicht möglich war, denn Asuma war…   Fort…   Das Wort hakte sich in Genmas trudelnden Verstand, holte ihn ein und zerrte ihn zurück flussabwärts in die schwarzen, schwarzen Wasser und die dunkle, dunkle Vergangenheit.    Fot. Fort. Er ist fort.   Zuerst machte es sich gar nicht als Problem bemerkbar. Vielleicht war der Junge einfach nur früh aufgestanden – oder er war, was wahrscheinlicher war, zum pissen gegangen. Stirnrunzelnd stand Genma im Türrahmen zu der stickigen Kammer und lauschte dem klapprigen Drehen des Deckenventilators, während das heiße Morgenlicht durch das offene Fenster herein strömte; zusammen mit dem Geruch gebratener Nudeln und süß salzigem Yakisoba.    Sein Magen verkrampfte sich.    Aber nicht vor Hunger.    Während er das Zimmer scannte, wanderte Genmas Blick über das Chaos, sah aber nur die Leere…den unbesetzten Rattansessel, die Fläche des unberührten Bettes. Kaum eine Falte in den Laken. Das Fenster sperrangelweit offen.    Shit.   „Dieser gottverdammte Rotzlöffel“, knurrte Genma und biss hart auf sein Senbon. Er trat zurück in den Korridor und marschierte zum Empfangsbereich, während er seinen Kopf in jeden Raum steckte, der auf dem Weg dorthin lag.    Panik drohte.    Er schrieb es als Zorn ab.    Und dieser Zorn stand ihm gut; gut genug, dass alle Chūnin Proktoren und Jōnin Aufpasser im Frühstücksraum sofort eine ‚Oh Shit‘, ‚Abstand halten‘, ‚Passt auf euren Hintern auf‘-Haltung annahmen, die normalerweise nur von Ibiki ausgelöst wurde.    Tz. Wie gut, dass ich mir auf so bescheuerte Machtspielchen keinen runterhole.    Stell man sich das mal vor? Genma dachte sich, dass es entweder ein Wunder oder eine Gnade war, dass er nicht als Angestellter bei F&V geendet war. Verdammt. Seine alten, masochistischen Tendenzen gepaart mit Ibikis Sadismus? Oja. Ein Paar wie aus der Hölle gemacht. Haus des Glücklichen Schreckens. Während er sich auf diesen Gedanken schwarzen Humors konzentrierte, durchstreifte er das gesamte Gasthaus, kam aber mit leeren Händen zurück.    „Scheiße“, raunte er und kehrte zu Shikamarus Zimmer zurück, gegen jede Vernunft hoffend, den Jungen vorzufinden, wie er sich träge in seine Flakjacke schob und über frühmorgendliche Aktivitäten und nervig neurotische Senpais maulte und ächzte.    Sei da. Sei da. Sei da.    Aber das war er nicht.    Fluchend wirbelte Genma auf dem Absatz herum und wollte gerade wieder den Raum verlassen, als sich ein weißes Flattern an der Peripherie seines Sichtfeldes bemerkbar machte. Sofort hielt Genma inne, spähte über seine Schulter und schlagartig wurde ihm eiskalt; gepackt von dem Frösteln dessen, was er sah.    Ein Fetzen aus weißem Papier baumelte von dem offenen Fenster, festgepinnt mit einer Klinge.    Auf das Papier war eine Nachricht gekritzelt, die Tinte noch immer nass und tropfend: Zwei Symbole und ein Name. Die Symbole zeigten: Kusagakure, KERN. Der Name war: KAIKA.   Kaika…   Genmas Körper versteifte sich. Es war die eine Sache, den alten Decknamen zu hören. Und eine ganz andere, ihn geschrieben zu sehen. Wie ein Fetzen aus seiner Seele. Wie ein Heraufbeschwören.    Wie ein Schlag ins verfickte Gesicht.   Krampfig zog Genma den Kopf zurück und seine Finger krümmten sich an seiner Seite. „Hurensohn“, wisperte er.    Rasch marschierte er hinüber, schnappte sich das Papier und zerknüllte es in seiner Faust. Es brauchte verdammt viel Zurückhaltung, es nicht aus dem Fenster zu schmeißen. Knurrend zuckten seine Augen nach oben und weiteten sich sofort wegen dem, was er sah. Eine verhüllte Gestalt kauerte auf dem gegenüberliegenden Dach.    Sein mysteriöser KERN Mann hoffte wohl auf ein Rendezvous.    Der Mann hob leicht den Kopf in einer Geste der Bestätigung, die dem Sonnenlicht gestattete, den Schatten seiner Kapuze zu durchdringen. Die scharlachrote Noh Maske schimmerte.    Genmas Knurren verwandelte sich in ein rasiermesserscharfes Feixen.    Und dann spuckte er sein Senbon.    Ein Aufflammen von Stahl und der KERN Mann lenkte den Schlag ab, ließ das Senbon wie eine Sternschnuppe davon wirbeln und folgte dann der Nadel. Genmas Grinsen verschwand, als er beinahe komplett ausrastete. Er riss die Klinge aus der Wand über sich, schoss aus dem Fenster und begann die Jagd, während er sich fragte, wie zur Hölle es eigentlich sein konnte, dass immer er derjenige war, der sich in dieser Dynamik wie der rotsehende Vollpsychopath benahm.    Verdammt, dieser Kerl regt mich auf…   Er sagte sich selbst, dass es gerechtfertigt war. Mal ganz zu schweigen von dem ganzen kryptischen Gerede, hatte KERN Mann eine deutliche Grenze überschritten, indem er Genmas alten Decknamen benutzt hatte. Es war gleichbedeutend damit, einen schlafenden Dämon mit einem Stock anzustupsen. Und als Krönung zu dieser Beleidigung kam noch, dass Genma überhaupt keinen Zweifel hatte, dass sein rätselhafter, Nohgesichtiger Stalker ganz genau wusste, wo Shikamaru war. Und daher spielte er seinen Part und ließ zu, dass der KERN Mann ihn von Dach zu Dach führte, weiter und weiter weg vom Herzen des Dorfes und hinaus in Richtung der isolierten Grenzen.    Bäume…Vegetation…Wildblumen unter ihren Füßen…   „Nimmst du mich zu einem verfickten Picknick mit!?“, rief Genma und spuckte zur Verdeutlichung ein weiteres Senbon ab.    Die Nadel schnitt sich durch den Mantel, hatte vielleicht sogar etwas Haut getroffen, denn der KERN Mann schwankte mit flatterndem, schwarzem Mantel zur Seite. Auch Genma bog ab, um ihm zu folgen, krachte durch verworrenes Gestrüpp und wurde beinahe von einem tiefhängenden Ast aufgehängt, der sich auch den Mantel des KERN Mannes geschnappt hatte. Fauchend rutschte Genma unter dem flatternden Stoff durch und kam auf der anderen Seite der Baumgrenze heraus; keuchend und schwitzend und allzu bereit dazu, Blut zu vergießen.    Nur um stattdessen abrupt innezuhalten…   Und sein Herz kam direkt danach zu einem krachenden Halt…   KERN Mann stand nur wenige Schritte vor ihm, seinen Rücken ihm zugewandt, seine Noh Maske abgelegt und seine charakteristische Kleidung von KERN und die standardmäßige Tantōklinge deutlich sichtbar. Aber alles, was Genma sehen konnte, war dieser lange, flachsfarbene Pferdeschwanz, der auf dem Wind ritt. Ein silbrig goldener Wimpel direkt aus einem unmöglichen Traum.    Ein unmöglicher Anblick…   Unmöglich…   Verängstigt zu blinzeln, unfähig zu atmen, starrte Genma mit weiten Augen…fühlte, wie die Scharniere seiner Welt zu knacken und zu ächzen begannen, als sein Kopf in einem betäubten Driften auf eine Seite kippte, als könnte das vielleicht die Welt davon abhalten, sich unter seinen Füßen zu neigen. „Nao…“ Seine Stimme brach, seine Kehle schnürte sich zu, sein Herz verkrampfte sich in seiner Brust.    Reiß dich verfickt nochmal zusammen. Das ist nicht…er ist nicht…   Und dann drehte sich der Agent zu ihm um.    Er kannte dieses Gesicht.    Er hätte es immer und überall wiedererkannt.    „Es ist ein Menschenleben her, Genma.“   ~❃~   Genma hörte auf zu atmen.    Seine plötzliche Regungslosigkeit ließ Kurenai aufgeschreckt und mit taumelndem Herzen aufwachen.   Sie hatte gar nicht realisiert, dass sie eingeschlafen war; vornüber gebeugt mit ihren Armen auf der Matratze verschränkt, ihr Kopf nahe an Genmas Rippen ruhend. Eingelullt von Shizunes Kräuterheilmittel und dem Heben und Fallen von Genmas Brust, dem leisen, sanften Rasseln seines Atems.    Das abrupte Ende von Geräusch und Bewegung hatte sie zu vollem Bewusstsein gebracht.    Vollem Alarm.    Genma!   Ruckartig setzte sie sich auf, drehte sich halb aus ihrem Stuhl und holte Luft, um nach Shizune zu rufen, nur um gleich darauf zu erstarren und sich wieder umzuwenden. Ihr Atem stockte ihr in der Kehle. „Genma…?“   Er war wach.    Wach und an die Decke stierend…bronzefarbene Seen von einem nassen Schein überzogen…die Sehnen seines Halses waren so straff gezogen, dass sie sehen konnte, wie der Puls heftig unter seinem Kiefer und an der Basis seiner Kehle hämmerte…Lippen öffneten sich zitternd und schlossen sich wieder um ein Wort…oder einen Namen…   „Ngh…Nao…“ Seine Zähne bissen sich an der zerbrochenen Silbe fest, während sich sein Kopf zurück gegen das Kissen drückte und steif von Seite zu Seite zuckte.    Kurenais Herz verdrehte sich qualerfüllt.    Er erinnert sich…er erinnert sich daran, was Kakashi ihm gesagt hat…   Der dumpfe Schmerz von Kummer packte Kurenai, als sie sich langsam wieder auf den Stuhl sinken ließ und ihre Brust hob sich ruckartig, als sie nach seiner Hand griff. „Genma…“   Bei ihrer Berührung zuckte er zusammen und seine Brauen fielen tief, der Kiefer verkrampfte sich. Noch immer atmete er nicht, sein Körper hielt sich stocksteif, als würde er sich mit aller Kraft gegen die Agonie von Emotionen stemmen, die seine Augen füllten…sein Blick auf irgendeinen weit entfernten Punkt jenseits der Decke fixiert…starrend, starrend…   Oh, Genma…   Kurenai schniefte das Salz nach oben, das in ihrer Nase brannte. „Genma“, wisperte sie heiser, legte ihre Finger um seine und drückte behutsam. „Bitte…“   Die Berührung erreichte ihn…oder vielleicht auch die Verzweiflung in ihrer Stimme…   Was auch immer es war, sein Kopf drehte sich schwach in ihre Richtung. Ihre Blicke trafen und hielten sich…so stark wie ihr Griff an seiner Hand. Eine Berührung, um nicht unterzugehen…weil der Kummer zu tief für Worte war.    Sie legte ihre Wange gegen seine Knöchel.   Tränen brachen an seinen Augenwinkeln aus.    Und dann sprach er, seine Stimme wie zermahlener Fels; zerbrochen, zerschmettert. „Er ist gestorben…sag mir…er…“   Mit zugeschnürter Kehle kam Kurenai nach vorn und berührte mit ihrer Stirn seine Schläfe, fühlte, wie sich sein Körper in Ablehnung anspannte, bevor er anfing zu zittern…   Anfing zu beben…   Schwer schluckend zog Kurenai ihre verschränkten Hände an ihre Brust und wisperte: „Er lebt.“   Genmas Brust hob sich unter ihr; ruckartig, brutal, plötzlich und der erste Atemzug war der härteste, riss sich von so tief in ihm nach oben, dass sich seine Zähne vor Qual zusammenpressten und sein Kopf nach hinten kippte, die Lider krampfhaft verschlossen, als die Tränen schließlich kamen und aus ihm flossen wie Blut…   Und Kurenai konnte diese Blutung nicht stoppen…   Konnte das animalische Geräusch nicht aufhalten, das aus seiner Kehle brach…   Also hielt sie ihn stattdessen. Hielt ihn, so wie er sie vor Tagen gehalten hatte. Inmitten der tiefsten Trauer, der dunkelsten Stunde. Die Zeit strich an ihnen vorbei, durch sie…und Genmas Körper bebte und hob sich und schwankte wie ein Schiff, das unterging…   Beraubt…   Brechend…   Kurenai blieb an seiner Seite, beständig und solide wie die Felsen eines weit entfernten Ufers…sah zu, wie die Trauer durch ihn rollte, wartend darauf, dass sein Herz auf Grund lief.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)