Climax von lunalinn (OS Sammlung zu Abyss) ================================================================================ Kapitel 3: Education -------------------- „Midoriya!! Nimm verdammt noch mal die Beine in die Hände!! Da bin ich ja schneller!!“ Torinos laute, grantige Stimme schallt über den Parcours, während sie dem Grünhaarigen dabei zusehen, wie dieser sich alle Mühe gibt, die Hindernisse schnellstmöglich hinter sich zu bringen. Da das Wetter recht mild ist und es nicht regnet, haben sie sich für den Outdoor Platz entschieden. Midoriya ist nicht wirklich langsam, aber er hängt ein wenig hinterher, weswegen Torino, der vom alten Schlag ist, es wohl für eine gute Idee hält, ihn brüllend anzutreiben. Hawks weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, denn Midoriya zuckt zwar unter den Worten wie unter Peitschenschlägen zusammen – an seinem Tempo ändert sich aber nichts. Er ist ehrgeizig und fleißig, das weiß Hawks. Er trainiert viel härter als die meisten und irgendwann wird sich dies auszahlen. Laut dem, was Yaoyorozu erzählt hat, ist sein Weg wohl recht steinig gewesen, und vielleicht fühlt Hawks deshalb mehr mit ihm mit, als er sollte. Er sieht zu, wie sich Midoriya über die Mauer aus Holz zieht und schließlich ins Ziel stolpert, dabei beinahe stürzt. Mit seiner letzten Kraft kommt er zu ihnen herüber. Keuchend und japsend bleibt er dort gebeugt stehen, die Hände auf die Knie gestützt, während Torino mit der Zunge schnalzt – die Stoppuhr im Blick. „Na ja, schon besser als letztes Mal, aber beim nächsten Mal erwarte ich mehr!“ „Ja, Sir!“, presst Midoriya hervor, dessen Sommersprossen beinahe in seinem roten Gesicht verschwinden. Vermutlich ist er selbst am meisten über seine Leistung, die sich im Vergleich zum letzten Mal nicht viel verbessert hat, enttäuscht. Sorgen machen muss er sich wohl dennoch nicht, immerhin steigert er sich ja. Außerdem hat er in allen Fächern Bestnoten und darauf kommt es ja auch an. Hawks setzt ein Lächeln auf, ehe er zu ihm geht und ihm auf die Schulter klopft. „Ach was! Das war doch wirklich gut! Einfach dranbleiben, Midoriya!“, versucht er ihn aufzumuntern, woraufhin dieser ihn erschöpft anlächelt. „Danke, Hawks-san, ich-“ „Ihr seid nicht für Kaffeekränzchen hier!“, poltert Torino dazwischen. „Takami! Los! Du bist der Nächste!“ „Aye aye!“, erwidert Hawks grinsend und salutiert einmal, was Torino zum Kochen bringt. „Los jetzt!!“, regt sich der zu kurz geratene, alte Mann auf und startet die Zeit. Hawks flitzt los, kaum dass er das Brüllen vernimmt, und er müsste lügen, würde er behaupten, dass er sich Sorgen macht. Es ist, als würde man einen Schalter umlegen. Kaum ist er losgelaufen, gibt es nur noch den Parcours und ihn. Er kriecht unter Hindernissen hindurch, springt über sie drüber und klettert voran. Er weiß, dass er ziemlich schnell ist, und seine Sturheit, das Bestmögliche aus sich herauszuholen, trägt zusätzlich dazu bei. Er will das hier. Er will sein Ziel erreichen. Da er seinen Körper immer viel trainiert hat, ist es ein Leichtes für ihn, sich an dem dicken Seil über der Sandgrube entlang zu hangeln. Kaum ist er auf der anderen Seite, läuft er zur Holzwand und klettert an dieser hinauf, ohne zu wanken. Er hat ein gutes Gefühl für seinen Körper und damit auch keine Probleme mit dem Gleichgewicht. Als er schließlich am Ziel angekommen ist und Torino die Zeit gestoppt hat, erstarrt dieser kurz. „…nun…drei Sekunden schneller als beim letzten Mal“, brummt er schließlich, weil es daran nun einmal nichts zu meckern gibt. „Bestzeit. Nehmt euch ein Beispiel an Takami!“ Hawks hört wenige seiner Kameraden anerkennend murmeln, darunter Midoriya, doch umso mehr wünschen ihm vermutlich gerade die Pest an den Hals. Bakugous stechendem Blick begegnet er mit einem sonnigen Lächeln, das versteckt, wie unangenehm es ihm ist. Nicht, weil er denkt, dass es falsch ist, sein Bestes zu geben. Es ist einfach der Umstand, dass er noch nicht weiß, wie er mit den Feindseligkeiten umgehen soll. Im Club hat es da klare Regeln gegeben und er hat immer das Gefühl gehabt, dass seine Kollegen auf seiner Seite sind. Konkurrenz hin oder her, man ist ein Team gewesen. Hier ist das anders. Jedenfalls hat Hawks das Gefühl, dass es anders ist. Außerdem ist da dieses Gerücht über ihn. Einer der älteren Kollegen hat sich wohl an ihn erinnert. Hawks ist nicht so naiv, dass er nicht erwartet hätte, dass es irgendwann dazu kommen könnte. Bislang hat niemand den Mut gehabt, ihn direkt zu fragen, ob er ein Stripper gewesen ist, aber die Blicke und das Getuschel lassen ihn wissen, dass sie es liebend gern tun würden. Hawks ist kein Mensch, der Konfrontationen scheut oder sich für sich selbst schämt. Er hat Entscheidungen in seinem Leben getroffen, zu denen er steht. Die Sache ist nur, dass er nicht einschätzen kann, was passiert, wenn er damit so offen umgeht. Seine Vorgesetzten sind dazu in der Lage, ihm Steine in den Weg zu legen, und Hawks ist nicht so weit gekommen, um sich jetzt wegen Engstirnigkeit alles kaputtmachen zu lassen. Wenigstens scheint es Torino nicht zu beeinflussen, denn dieser behandelt ihn immer noch wie jeden anderen auch – er ist einfach von Natur aus ein grantiger, strenger Opa, der nach Leistung beurteilt. Also weiß er es entweder nicht oder er glaubt es nicht. Dass er das in Ordnung finden würde, daran zweifelt Hawks irgendwie. „Beispiel, sicher“, hört er Shishikura abfällig sagen und spürt, wie die Wut kommt. „Soweit kommt’s noch…“ Utsushimi flüstert Yaoyorozu etwas zu, woraufhin diese rot wird und den Blick abwendet. Hawks brennt eine entsprechende Erwiderung auf die Bemerkung auf der Zunge, doch er schluckt sie herunter. Nicht hier. Nicht jetzt. Er muss sich zusammenreißen, auch wenn das nicht seine Art ist. Lächeln. Er muss es weglächeln, wie er alles in seinem Leben weglächelt, was schiefläuft. „Ich will hier kein Getuschel hören!“, grollt Torino gereizt und funkelt die Mädchen und Shishikura an, der nur leise schnaubt. „Wir sind durch für heute. Geht duschen und verschwindet nach Hause!“ Freundlich wie immer. Hawks salutiert ein weiteres Mal grinsend und Torino sieht aus, als würde er ihn gleich erdrosseln, woraufhin er sich lieber umdreht und geht. Er wird seine Sachen packen und zuhause duschen. Tattoos sind bei der Polizei verpönt, auch wenn er seins auf dem Rücken trägt und es somit gut verstecken kann. Dennoch kennt er die allgemeine Haltung dazu und er braucht keine zusätzlichen Probleme. Noch etwas, das Hawks das Gefühl gibt, er müsste sich verstellen. Es ist so viel schwerer hier als im Club, wo ihn die Leute ebenso schnell ins Herz geschlossen haben wie er sie. „Uhm, Hawks-san?“ Hawks blickt auf, als er unerwartet angesprochen wird. Midoriya steht vor ihm und lächelt ihn zaghaft an. „Ein paar von uns wollen noch etwas essen gehen. Hast du vielleicht Lust, mitzukommen?“ Es ist das erste Mal, dass er gefragt wird, ob er mitkommen möchte. Vermutlich erweckt er einen abweisenden Eindruck, weil er nie mit ihnen zusammen duscht, sondern immer sofort geht. Dabei ist er doch eigentlich ein extrovertierter Typ, der bei seinen Mitmenschen gut ankommt. Eigentlich. Ja. „Sorry, Midoriya. Ich habe kein frisches T-Shirt mit. Will euch nicht aufhalten – aber nett, dass du fragst. Nächstes Mal bestimmt!“, versucht er ihm die freundlichste Absage zu geben, die ihm einfällt. „Oh, ich kann dir ein T-Shirt geben! Ich habe immer zwei dabei!“, strahlt ihn der Grünhaarige an und Hawks stockt. Soll er sich weiter rausreden? Enji hat bestimmt gekocht und wartet auf ihn. Andererseits hat er bisher keinen Anschluss gefunden und das hier ist eine Gelegenheit. „Da kann ich ja dann wohl schlecht nein sagen, hm?“, erwidert er gespielt gut gelaunt. „Okay, dann komm ich mit.“ „Lade nicht einfach irgendwelche Leute ein, Deku!“, knurrt Bakugou und funkelt sie beide finster an. „Man fragt gefälligst vorher die anderen, klar?! Das ist Anstand!!“ „Midoriya hat Yaomomo und mich gefragt!“, kommt es beiläufig von Sato, der sich in der Umkleide sein Shirt über den Kopf zieht. „Für uns ist das okay.“ „Für mich auch – und außerdem hättest du doch sowieso nur rumgemeckert“, unterstützt ihn Tokoyami monoton, der sich die struppigen, schwarzen Haare aus dem Gesicht streicht. „Was?!“, faucht Bakugou wie der Teufel. Hawks hebt eine Braue, wendet sich dann aber wieder Midoriya zu. „Ich ruf mal kurz jemanden an, dann mach ich mich fertig und bin dabei“, meint er mit einem Lächeln. „Okay! Dann bis gleich!“ „Ich bin’s. Ich komm später.“ „…ich habe gekocht. Wie spät?“ „Ich gehe mit Kollegen was essen, da konnte ich nicht nein sagen. Weiß nicht, wann ich nach Hause komme.“ „Mit…ja. Ist in Ordnung. Ich stelle deine Portion in den Kühlschrank.“ Hawks schweigt einen Moment und denkt darüber nach, was er sagen soll. Man merkt Enji an, dass er erleichtert über diese Nachricht ist. Befürchtet er, dass er nicht klarkommt? In den letzten Tagen haben sie sich öfter wegen solcher Dinge angezickt. Streit kann man das nicht wirklich nennen, aber Enji ist genauso genervt von ihm gewesen wie umgekehrt. Hawks weiß, dass es der Ältere gut meint und ihm nur helfen will, aber manches möchte er nicht ausdiskutieren. Er muss das auf seine Weise machen, auch wenn er noch nicht weiß, wie diese aussieht. „Gut, danke“, sagt er schließlich. „…und mach dir keinen Kopf. Ich komm zurecht.“ „Ich weiß.“ „Wirklich?“ „Hawks.“ „Schon gut, hab nichts gesagt. Lieb dich und so, bis nachher~!“ Er drückt einen Schmatzer auf das Handy und legt dann auf, ehe er tief durchatmet. Das kann ja was werden. Er weiß ja selbst nicht, warum er nicht einfach cool mit allem sein kann wie sonst auch. Vermutlich ist es die verdammte Unsicherheit. Vorher hat er gewusst, was er sagen darf und was nicht. Wie weit er gehen darf, bevor er sich in Schwierigkeiten bringt. Hawks wirft einen Blick in den Spiegel, während er vor dem Waschbecken steht, und seufzt über sich selbst. Langsam reicht es. Er muss sich fangen. Heute ist die perfekte Gelegenheit dafür. Er nimmt sein Handtuch und beginnt mit der Katzenwäsche, ehe er zu Midoriya zurückgeht, um sich das T-Shirt zu borgen. „…du bist ein All Might Fan, hm?“ Hawks lächelt breit, während er mit den anderen um den runden Tisch auf seinem Kissen sitzt und einen Schluck von dem süßen Zeug nimmt, das er sich bestellt hat. Melonen-Geschmack. Zu ihnen haben sich noch Yaoyorozu und Uraraka gesellt, die er beide in Ordnung findet. Midoriya scheint ein bisschen verknallt in Letztere zu sein, was irgendwie süß ist. „Ja! Total! Er ist zwar im Ruhestand, aber ich habe früher jedes seiner Spiele gesehen! Das war der Wahnsinn, wie er mit dem Texas Smash die Mauer der Gegenspieler jedes Mal durchbrochen hat! Und dann ist er auch noch so bescheiden! Ich habe jedes Interview gesehen und-“ „Hör endlich auf, rum zu schwafeln!“, zischt ihn Bakugou gereizt an. „Außerdem bist du nicht der einzige All Might Fan, also Schnauze!“ „Kacchan findet ihn auch klasse!“, klärt Midoriya ihn strahlend auf, obwohl der Blonde wirkt, als würde er ihm gleich eine runterhauen. „Wir sind zusammen zur Schule gegangen und hatten sogar einen Fanclub!“ „Das interessiert keinen!!“, wird er erneut angeblafft. Hawks sieht von einem zum anderen, ehe er langsam an sich heruntersieht. Toshinoris um einiges jüngeres Gesicht prangt auf seiner Brust. Enji wird ausflippen. Er sieht wieder zu seinen beiden Kollegen, überlegt einen Moment. „Ich kenne ihn. Toshi…also All Might. Er ist ein Freund von mir.“ „Was?!“ Die beiden rufen es zeitgleich aus und starren ihn an. Eigentlich hat Hawks immer das Gefühl, dass Bakugou ihn verabscheut, aber so wie er sich den anderen gegenüber verhält, ist das wohl einfach sein Charakter. „Jep. Kein Scheiß“, meint er und lächelt die zwei an, während er ihnen ein Foto vor die Nase hält, wo sie beide auf einem Selfie zu sehen sind. „Das ist ja unglaublich!! Kannst du uns vorstellen?! Ein Autogramm besorgen?! Ein-“ Bakugou haut Midoriya die flache Hand auf den Mund und funkelt ihn aus seinen roten Augen an. „Wie kommt so ein Knilch wie du an All Might, huh?!“ Vielleicht sollte Hawks nicht sagen, dass Toshi mal bei ihnen im Stripclub herumgelungert hat. Das wäre sicher auch diesem unangenehm. Zumal er das lieber für sich behält. Was er jetzt aber gut einfließen lassen kann, ist, dass er mit einem Mann zusammen ist. „Er ist ein Freund von meinem Freund. Wir hängen ab und zu ab.“ „Wie cool!!“, dringt es gedämpft durch Bakugous Hand. „Du hast einen Freund, Hawks-san?“, fragt Yaoyorozu interessiert, aber keinesfalls feindselig. „Das wird den Frauen auf dem Revier das Herz brechen“, murmelt Sato in sein Bier hinein. „Wobei durch das Gerücht ja-“ „Sato-kun!“, ermahnt ihn Uraraka streng, ehe sie ihn anlächelt. „Wie ist dein Freund so, Hawks-kun?“ „Müssen wir uns diesen Scheiß jetzt geben?“, knurrt ihr Bakugou dazwischen, bevor Hawks antworten kann. „Er ist schwul, er hat nen Freund und das halbe Revier redet darüber, dass er an der Stange getanzt hat. Ende. So. Erzähl mehr über All Might. Bist du deswegen so schnell? Hat er dich trainiert, oder was?“ Die Stille, die daraufhin am Tisch herrscht, ist wohl für jeden unangenehm. Abgesehen von Bakugou. Hawks weiß nicht, was er sagen soll. Eigentlich hat er sich diese Angelegenheit immer sehr schwierig ausgemalt, sollte sie zur Sprache kommen. Er hat gedacht, dass Bakugou deswegen so ätzend zu ihm ist, weil er ihn deswegen verachtet. Shishikura tut dies zumindest deswegen. Er hat den ein oder anderen Spruch zu viel gemacht, als dass es anders sein könnte. „Kacchan!“, entkommt es Midoriya entsetzt, kaum dass er die Hand von seinem Mund gezogen hat. „Das geht uns doch überhaupt nichts an!“ „Du hast wirklich keine Manieren“, murmelt Tokoyami zustimmend. „Was denn?! Jeder denkt das doch! Nur spricht’s keiner aus. Tse. Mir scheißegal, ob’s stimmt oder nicht, klar?! Mich juckt nur, warum das Spatzenhirn schneller ist als ich!“ Es ist nicht Hawks‘ Art, einfach nur dazusitzen und zu beobachten. Eigentlich hätte er sich längst zu Wort gemeldet, schon weil er es nicht leiden kann, wenn man über ihn redet, als wäre er nicht anwesend. Das kennt er zu gut von seinen Eltern. Es ist respektlos. Gerade ist es aber viel zu informativ, wie die einzelnen Personen auf Bakugous Herausposaunen reagieren. Die meisten von ihnen schämen sich anscheinend – aber wohl eher für ihren Kollegen. Sato hat den Blick gesenkt, ebenso wie Yaoyorozu, aber keiner schaut angewidert. Hawks atmet durch, ehe er einen Entschluss fasst. „Ehrlich gesagt bin ich fast erleichtert, dass mir das mal jemand ins Gesicht sagt“, unterbricht er sie und alle Augen richten sich auf ihn. „Und ich dachte schon, du benimmst dich mir gegenüber wie ne offene Hose, weil ich mal gestrippt habe. Was das angeht – ja. Das Gerücht ist wahr. Ich schäme mich nicht dafür und ich wurde auch nicht gezwungen. Es war einfach ein gut bezahlter Job, bei dem ich nebenbei viel Zeit zum Lernen hatte. Wer deswegen geringer von mir denkt – sorry, aber der kann mich mal.“ Abermals herrscht bleierne Stille. Anscheinend sind sie alle etwas befangen bei dem Thema, doch es ist Midoriya, der sich als Erstes fasst. „Wie Kacchan gesagt hat, es ist egal, ob es stimmt oder nicht. Du bist aus demselben Grund hier wie wir, oder nicht? Du willst ein guter Polizist werden und den Menschen helfen. Wer so ein Ziel hat, hat auch Respekt verdient.“ So einfach ist das? Und er hat sich darauf eingestellt, dass man ihn ausfragt und ihn verurteilt. Sicher, sie sind seine Kollegen, nicht seine Vorgesetzten, und sie sind jünger, aber dennoch… „Deku-kun hat Recht!“, pflichtet Uraraka ihm bei und ihr Lächeln wirkt ehrlich. „Welche Gründe du auch hattest, es geht niemanden etwas an.“ Hawks weiß nicht, was er dazu sagen soll. Es fühlt sich an, als würde nach und nach ein Knoten in seinem Inneren platzen. Er ist die ganze Zeit so angespannt gewesen und auch, wenn das hier nicht seine Probleme löst, ist es ein gutes Gefühl, zu wissen, dass ihn nicht jeder ablehnt. „Ja…das stimmt schon. Ich meine, ich versteh nicht, warum jemand…sowas tut, aber…es geht mich ja wirklich nichts an“, meint Sato langsam. „Ich…bist du deswegen immer gleich abgehauen? Weil du dachtest, wir würden dich deswegen niedermachen oder so? Ich dachte immer, du willst nichts mit uns zu tun haben, weil du dich für etwas Besseres hältst.“ Hawks stutzt. „Eh…nein. Das ist nicht der Grund, nur…“ Er zögert erneut und gleichzeitig hasst er es. Es ist nicht seine Art, so unsicher zu sein – und irgendwann werden sie es wohl sowieso erfahren. „Mein Rücken ist tätowiert. Das ist noch so eine Sache, bei der ich nicht wollte, dass sie sich herumspricht. Es wäre mir auch ganz lieb, wenn ihr nicht darüber redet. Weder über das eine, noch über das andere. Wie ich sagte, ich schäme mich nicht dafür und ich stehe zu den Entscheidungen, die ich getroffen habe. Ich möchte nur keinen schlechten Start.“ „Den hast du schon.“ Bakugou stützt sich schlecht gelaunt auf seinen Handrücken, sichtlich genervt von dem Thema. „Bakugou-san!“, kommt es entrüstet von Yaoyorozu, doch der Angesprochene schnaubt. „Was? Ist doch so. Fleischkloppsgesicht erzählt es eh überall rum. Der Zug ist abgefahren. Wer sich das Maul zerreißen will, tut’s auch. Wer dich deswegen scheiße behandeln will, wird das tun. Leb damit, box dich durch und fertig.“ Auch wenn er sich wie ein Arschloch ausdrückt, hat er damit eigentlich Recht. Hawks kann nichts dagegen machen, wenn er sich nicht selbst verleugnen und lügen will. Irgendwie ironisch, wo er doch so gut vortäuschen kann, dass alles toll ist. „Du solltest echt an deiner Empathie arbeiten“, brummt Sato kopfschüttelnd, doch Hawks winkt ab. „Nein. Schon gut. Es stimmt ja, was er sagt. Eigentlich weiß ich das auch…“ Er hält für einen Moment inne, ehe er schief grinsend in die Runde blickt. „…ich bin sonst niemand, der sich zurückhält oder was auf die Meinung anderer gibt. Ich musste das bisher nicht. Aber da gab es andere Regeln und das hier ist neu. Es ist mir wichtig und ich will es nicht verkacken. Wenn ihr mich für arrogant gehalten habt, hab ich’s wohl nicht besonders klug angestellt, hm?“ „Also bei uns musst du dich nicht zurückhalten“, kommt es freundlich von Uraraka. „Wenn du möchtest, kannst du öfter mal mit uns mitkommen.“ „Vorausgesetzt, du erträgst Bakugou“, brummt Sato, wofür ihm von eben jenem mit der Faust gedroht wird. „Halt den Rand, Zuckerfresser!“ „Sato-san backt gern. Er bringt öfter mal Kuchen mit“, erklärt Yaoyorozu die ungewöhnliche Beleidigung. „Ah ja…jedenfalls danke. Ihr wisst echt nicht, was mir für ein Stein vom Herzen fällt, dass ihr so reagiert. Hab ich mir schwieriger vorgestellt…und ich werde Toshi mal fragen. Also wegen einem Treffen. Kann mir nicht vorstellen, dass er etwas dagegen hat. Er ist echt nett.“ „Wirklich?!“, entkommt es Midoriya und seine Augen glänzen vor Begeisterung. „Du bist der Beste, Hawks-san!!“ Hawks grinst schief und kratzt sich geschmeichelt an der Wange. „Ach was…“ Dass es so einfach sein würde, mit ihnen klarzukommen, das hat er nicht erwartet. Selbst Bakugou, der irgendetwas in sich hinein grummelt, scheint nicht mehr ganz so feindselig zu sein. Gut, bei ihm liegt es wohl eher an Toshinori, aber was soll’s. Das hier löst nicht all seine Probleme, aber damit allein zu sein, ist definitiv schlimmer, als zumindest ein bisschen Rückhalt zu bekommen. „Was habt ihr sonst noch für Hobbies? Sato backt ja scheinbar gern, ihr zwei mögt Football…“, zählt er auf und sieht zu Tokoyami und den beiden Mädchen. „Also ich lese unheimlich gern! Vor allem Enzyklopädien!“, schwärmt Yaoyorozu mit so leuchtenden Augen, dass man es ihr sofort glaubt. „Und ich mache in meiner Freizeit Kampfsport!“, strahlt Uraraka und boxt dabei in die Luft, um es zu veranschaulichen. Hawks stutzt. „Ach echt?“, entkommt es ihm, weil man ihr das überhaupt nicht ansieht. „Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.“ „Uraraka-san ist unglaublich!“, kommt es euphorisch von Midoriya, woraufhin sie ein wenig rot wird. „Ach was…“ „Und du, Tokoyami?“, erkundigt sich Hawks bei ihrem eher stillen Kollegen. Ruhig wird er aus roten Augen angesehen, dann neigt der andere leicht den Kopf. „Ich sammle okkulte Dinge.“ Irgendwie passt das zu ihm, vor allem, weil er ausschließlich schwarz und Nieten trägt. „Cool!“ „Und du, Hawks-san?“, fragt Midoriya gespannt. „Uhm, also, wie ihr euch das wohl schon denken könnt, tanze ich gern – oh, und Superheldenfilme! Mein Freund und ich sind jetzt fast mit allen Marvel-Filmen durch. Wir schauen gerade die X-Men-Reihe.“ „Echt?! Kacchan und ich lieben Superhelden!“ „Ich hab gesagt, sprich nicht über mich, verdammt!!“ Hawks muss grinsen, als Bakugou so los schnauzt, was den Grünhaarigen jedoch nur kurz zusammenzucken lässt, ehe er einfach weiterplappert. Die Stimmung fühlt sich so locker und natürlich an, dass es ihn ein bisschen an das Zusammensein mit den Leuten aus dem Club erinnert. Sie sind alle sehr unterschiedlich und dennoch scheinen sie sich gut zu verstehen. Zum ersten Mal, seit er bei der Polizei angefangen hat, fühlt er nicht dieses beklemmende Gefühl, als würde ihm jemand die Luft abdrücken. Er kann frei atmen. Wieder mehr er selbst sein. Es fühlt sich richtig an. Als er sich auf dem Rückweg befindet, ist das Gefühl immer noch da, auch wenn es etwas abgeschwächt ist. Bedenken mischen sich in seine Hochstimmung. Immerhin hat er ihnen heute Abend einiges anvertraut. Er glaubt zwar nicht, dass sie das ausnutzen werden, aber dennoch haftet ein bitterer Beigeschmack daran. Es spielt eigentlich keine Rolle, denn irgendwann hätte er ohnehin Stellung bezogen, aber dass er es jetzt wirklich getan hat, ist ein seltsames Gefühl. Er will glauben, dass es von nun an leichter wird, mit den Kommentaren umzugehen, die er gelegentlich bekommt. Bakugou mag nicht gerade feinfühlig sein, aber er hat Recht damit, dass er sich durchkämpfen muss. Er kann für sich kämpfen, wenn es nötig ist. Trotzdem ist es ein schöner Gedanke, dass er nun nicht mehr auf sich allein gestellt ist. Er schließt die Tür auf und sieht direkt das flackernde Licht des Fernsehers. Also ist Enji noch wach. Ob er auf ihn gewartet hat? Er zieht die Schuhe und Jacke aus und geht dann in Richtung Wohnzimmer, wo sein Freund auf der Couch liegt und wohl kurz vor dem Einschlafen ist. Müde wird Hawks angeblinzelt, dann reibt er sich die Augen und schaltet den Fernseher leiser. „Hey…“, brummt er und richtet sich ein wenig auf, damit sich Hawks zu ihm setzen kann. „Hey“, murmelt er zurück und küsst ihn auf die Wange. „Wie war’s?“, wird er gefragt und lehnt sich an die breite Brust des anderen. Obwohl es in letzter Zeit schwierig gewesen ist, brauchen sie die Nähe zueinander. Sie können beide nicht darauf verzichten. Wie gesagt, es ist nicht so, dass sie streiten. „Meine Kollegen wissen jetzt, dass das Gerücht, dass ich mal Stripper war, die Wahrheit ist. Sie wissen, dass ich tätowiert bin…und sie denken nicht mehr, dass ich mich für etwas Besseres halte, weil ich immer direkt verschwinde, anstatt mit ihnen zu duschen. Scheinbar ist auch keiner von ihnen homophob oder so – hat keiner hinterfragt, dass ich einen Freund habe.“ Das ist mehr, als er Enji die ganzen Monate erzählt hat, aber es fasst die Situation wohl ganz gut zusammen. Sein Freund schweigt einen langen Moment, ehe er schnaubt. „Ich wusste, dass du mir etwas verschweigst…“ „Du hättest da nichts machen können, Enji“, erwidert Hawks ruhig. „Es gibt Dinge, da muss ich einfach durch. Ich wusste ja selbst nicht, wie ich damit umgehen soll – und nur weil es jetzt für ein paar Leute kein Problem ist, ist die Sache auch nicht komplett vom Tisch.“ Enji dreht ihm den Kopf zu, funkelt ihn aus seinen türkisfarbenen Augen an. „Mobbt dich jemand?“ „Bisher nicht. Aber es kann dazu führen, dass die Leute anders mit mir umgehen.“ „Heutzutage kann man dagegen angehen“, fängt Enji an, woraufhin Hawks genervt stöhnt. „Das weiß ich. Mir ist bewusst, dass ich das kann, aber noch ist nichts passiert. Dumme Sprüche oder dass man jemanden nicht mag, das gibt es immer. Ich kann noch nicht einschätzen, wie es sich auswirkt, wenn klar wird, dass es nicht nur Gerede ist. Deswegen habe ich nichts gesagt. Ich muss damit auf meine Weise fertig werden – und ich weiß noch nicht, wie die aussieht. Heute…war einfach ein guter Anfang.“ Er kann sich vorstellen, wie schwer es für den Älteren sein muss, zu merken, dass es ihm nicht gutgeht, und nichts tun zu können. Dennoch…das ist seine Sache. „Warum sagst du das nicht einfach?“ Er stutzt und schaut zu diesem hoch. „Hab ich doch jetzt.“ „Ja. Jetzt. Du hättest einfach sagen können, was los ist und dass du es allein machen willst. Stattdessen lächelst du mich an, sagst, es ist alles in Ordnung, und wenn ich noch mal frage, wirst du biestig. Du vertraust mir nicht.“ Hawks weiß nicht, was er sagen soll. Er richtet sich auf und setzt sich vor ihn hin, runzelt die Stirn. „Ich vertraue dir ja wohl genug.“ „Nicht in Bezug auf dich. Du vertraust mir, dass ich nicht hinter deinem Rücken trinke und dass ich weiter zur Therapie gehe, aber was dich persönlich betrifft, machst du es noch genau wie bei der Sache mit deinen Eltern.“ Hawks spürt, wie er automatisch in Abwehr gehen will und wie sein Blut bei dem Thema hochkocht. Er will nicht, dass Enji seine Eltern erwähnt. Das ist nicht dasselbe. „Das stimmt nicht.“ Enji schnaubt, was deutlich macht, dass er das anders sieht. „Anstatt Ausflüchte zu suchen, sag mir einfach den Grund. Du willst Ehrlichkeit von mir – aber wenn das einseitig ist, bringt das nichts, Hawks. Sag mir, warum du meinst, mir ins Gesicht lächeln und lügen zu müssen, wenn du Probleme hast. Wenn ich dir das Gefühl gebe, dass du das tun musst, dann-“ „Nein!“, faucht er ihm dazwischen, weil mit jedem Wort seine Wut größer wird. Er wird selten wütend, weil er sich eigentlich ganz gut kontrollieren kann. Weil er derjenige ist, der sich zusammenreißen muss. Enji versucht sich zu bessern, aber er besitzt keine lange Zündschnur. Er will nicht mit ihm streiten. Er hasst Streit. „Was dann?!“, grollt der Rothaarige ebenfalls erzürnt und sie starren einander an. „Du mischst dich bei mir ein – und ich kann nichts dagegen machen. Aber du schließt mich aus!“ „So ist das nicht!“, entfährt es ihm lauter, als er will. „Es ist…du weißt nicht…du verstehst nicht-“ „Was versteh ich daran nicht?!“ „Hör auf, mich anzuschnauzen!“ „Dann hör du auf, herumzustammeln! Sonst haust du auch alles raus, was dir nicht gefällt!“ „Das geht eben gerade nicht so einfach!!“ Er spürt seinen Puls rasen, merkt, wie er aus der Situation flüchten will. Der Stress der letzten Wochen hat scheinbar seine Spuren hinterlassen, wenn ihn das jetzt so mitnimmt. Anders kann er es sich nicht erklären, denn seine eigene Reaktion erschreckt ihn. Vermutlich, weil er sich in die Enge getrieben fühlt und damit hat er noch nie gut umgehen können. Der Widerwillen, über sich zu reden, ist stark. Vielleicht, weil es bisher niemanden interessiert hat, wie er sich fühlt. Oder weil er sich nicht wieder schwach fühlen will. Er weiß nicht, was es ist, doch es sorgt dafür, dass etwas in ihm aussetzt. Ähnlich einem Blackout…und Enji scheint das nicht zu entgehen. Sein seltsamer Blick macht es noch schlimmer und Hawks weicht unweigerlich einen Schritt zurück, sieht ihn mit geweiteten Augen an. Es fällt ihm schwer, sich zu fokussieren. In seinen Ohren rauscht es und er spürt, wie sich die Welt um ihn herum zu drehen beginnt. Was zum… „Hawks.“ Ihm fällt erst jetzt auf, wie sehr er zittert. Ihm ist plötzlich eiskalt. Scheinbar muss er auch dementsprechend aussehen, denn Enjis Miene ist von wütend zu besorgt gewechselt. Er weiß nicht, was er sagen soll, kann ihn nur anstarren. Er bekommt schwerer Luft als sonst und…irgendwie kommt ihm das alles bekannt vor. Er wehrt sich nicht, als Enji ihn in seine Arme zieht und ihn so fest hält, wie es nur geht. Sein Geruch ist so vertraut und beruhigend, dass er sich einfach an ihn lehnen und loslassen will. Da ist so viel Druck in seinem Inneren, mit dem er nicht wohin weiß. Dennoch…hindert ihn etwas daran. „Hab ich…ne Panikattacke?“, murmelt er gepresst gegen Enjis Hals. „Vermutlich.“ Es ist das erste Mal, dass Enji ihn halten und beruhigen muss. Sonst ist es umgekehrt. Er versteht nicht, warum das jetzt passieren muss. Eigentlich ist heute ein guter Tag gewesen. Der Kloß in seinem Hals scheint anzuschwellen, doch Hawks weigert sich, dem Drang nachzugeben. Er wird nicht heulen. Das macht nichts besser. Es lässt einen nur furchtbar aussehen. Wenn er früher geweint hat, hat ihn niemand so gehalten. Also hat er damit aufgehört. „Ich denke deswegen nicht anders von dir.“ Hawks lächelt bitter gegen seinen Hals, doch er kann nichts erwidern. Irgendwie fällt ihm kein Spruch ein, der das Ganze hier weniger unangenehm macht. Da ist nur Leere in ihm und sein zugeschnürter Hals. „Ich lass uns ein Bad ein.“ „…Bad?“ „Um dich aufzuwärmen. Du bist eiskalt.“ Hawks nickt nur müde, auch wenn es ihm schwerfällt, sich aus der Umarmung zu lösen. Es geht ihm nicht gut, ganz und gar nicht. Als Enji ins Bad hinübergeht, wischt er sich kurz verstohlen über die Augen. Mann…er hat wirklich ein Problem. Als sie wenig später in der großen Badewanne liegen, Enji hinter ihm, fühlt sich Hawks tatsächlich etwas besser. Sein Kreislauf scheint nicht mehr ganz im Keller zu sein und die Nähe zu seinem Freund ist angenehm. Obwohl er weiß, dass er es nicht muss, schämt er sich für seinen Ausbruch und wenn er jetzt über alles nachdenkt, wird ihm klar, dass Enji Recht hat. Sein Blick fokussiert sich auf die weißen Kacheln an der Wand, während er mit dem Kopf an Enjis Schulter lehnt, wobei dieser locker die Arme um ihn gelegt hat. „…schätze, ich wollte es mir selbst nicht eingestehen“, murmelt er nach einer Weile. „Ich hab mich so darauf gefreut und alle haben sich für mich gefreut und gemeint, ich schaffe das locker. Polizist werden, war immer mein Traum. Es ist mein Traum.“ Er atmet tief durch, streckt die Beine kurz aus, ehe er sie wieder etwas anwinkelt. „Ich hab damit gerechnet, dass ich anecke. Als das Gerücht dann aufkam, wollte ich am liebsten allen sagen, dass es stimmt und dass ich mich nicht dafür schäme. Dass ich bin, wie ich bin, und dass meine Leistung zählt.“ Er presst kurz die Lippen zusammen. „Aber irgendwie konnte ich das dann nicht. Ich hab so hart dafür gearbeitet, dorthin zu kommen, und meine Leistungen sind über dem Durchschnitt – ich hatte Angst, dass es etwas ändert, wenn ich…ich bin. Und mit dir darüber zu reden, hätte mir dann bewusst gemacht, wie feige ich mich verhalte. Also hab ich weitergemacht und mich auch vor dir verstellt. Ich wollte keine Erwartungen enttäuschen. Weder meine eigenen, noch die anderer. Ergibt das…irgendwie Sinn?“ Enji hat bisher geschwiegen, ihm einfach nur zugehört und er ist dankbar dafür. Er hört ihn seufzen. „Ja. Tut es.“ Hawks ist froh, dass er das sagt, denn er ist immer noch etwas durcheinander. „Auch wenn du ein Idiot bist“, fügt er wenig sensibel an. „Danke“, erwidert Hawks trocken. „Es ist völlig normal, dass man sich erstmal zurückhält, wenn man irgendwo neu ist“, fährt sein Freund fort. „Dass man erstmal die Situation abschätzt und dann schaut, wie man damit umgeht…alles andere wäre dumm. Es ist, wie du sagst, du bist nicht mehr im Club. Bei der Polizei gelten andere Regeln und du musst selbst entscheiden, was richtig ist.“ Kurz hält er inne, ehe er dann doch weiterredet. „Ich will dich weder bevormunden noch kritisieren. Alles, was ich will, ist, dass du es mir sagst, wenn es dir nicht gut geht…und dass du dich bei mir nicht zurückhältst.“ Hawks verzieht unweigerlich das Gesicht, denn er weiß, was dieser meint. „Ist nicht so, dass ich das mit Absicht mache. Ich…irgendwas in mir…sperrt sich da. Ist…wie eine Automatik.“ „…du redest immer von Klischees. Dass Männer nicht heulen, ist eins“, kommt es so prompt von Enji, dass Hawks tatsächlich sprachlos ist. „Eh…“, erwidert er gedehnt und lehnt langsam den Kopf in den Nacken, um ihn ansehen zu können. „Wenn ich es also verkraften kann, vor dir zu heulen, kannst du auch das dämliche Grinsen weglassen, wenn es dir schlecht geht.“ Man sieht Enji an, wie viel es ihm abverlangt, so offen darüber zu reden. Enji ist um einiges älter als er und er ist die Generation, der diese Grundsätze vom starken Mann noch eingebläut worden sind. Auch wenn er sich bei ihm fallen lässt, fällt es ihm jedes Mal schwer. Hawks weiß, dass er das hier für ihn sagt, damit er sich nicht blöd vorkommt. Es rührt etwas in ihm und vielleicht brennen seine Augen deswegen so plötzlich. Weil er gerade begreift, was er an dem anderen hat und wie verletzt dieser von seinem Verhalten gewesen sein muss. „Okay…“, quetscht er hervor und spürt gleichzeitig, wie Enjis Umarmung fester wird. „Ich versuch’s…aber du musst echt geduldig mit mir sein. Ich kann nicht einfach…umschalten. Das ist…ich hab das jahrelang so geregelt und…jetzt…“ Selbst jetzt will er lächeln und es einfach herunterspielen. Weil er das gut kann. Weil er das sein ganzes Leben lang so gemacht hat. Weil es funktioniert hat. Für jeden um ihn herum. Als Ergebnis davon hat er heute eine Panikattacke bekommen, weil Enji ihm etwas ruppiger auf den Zahn gefühlt hat. Hawks ist stur, aber nicht so stur, dass er nicht einsieht, dass es an der Zeit für Veränderung ist. Nicht komplett oder von jetzt auf gleich, aber er muss wohl auch an sich arbeiten. In diesem Moment möchte er an sich arbeiten. „Ich bin geduldig. Keine Sorge“, brummt Enji ihm zu, woraufhin Hawks den Kopf neigt. „Sicher? Ist sonst nicht so deine Stärke…“ „Ich geb dir gleich…“ Hawks muss trotz allem schmunzeln, weil ihn gerade die Erleichterung überkommt. Er lehnt sich an den Hünen, verschränkt ihre Hände miteinander und atmet tief durch. Irgendwie fühlt es sich nun an, als könnte er freier atmen. Vielleicht kann er ja wirklich lernen, seinen Verhaltensmustern zu entkommen. Zumindest muss er es versuchen, wenn er will, dass das mit Enji und ihm dauerhaft funktioniert. Wahrscheinlich ist es längst an der Zeit. „Oi“, murmelt er, während er an der breiten Brust lehnt. „Hm?“ „Danke.“ „Wofür?“ „Dafür, dass du so hartnäckig versuchst, mir zu helfen, obwohl ich wohl ein hoffnungsloser Fall bin.“ „Nun, das dachte ich auch über mich…und dann kam so eine Nervensäge und meinte, sich überall einmischen zu müssen.“ Hawks muss lächeln, als ihm Enji bei den Worten durch die feuchten Haare streicht. Er schließt die Augen, um es besser genießen zu können. „Stimmt wohl“, gibt er leise zu. „…und Hawks?“ „Mh?“ „Ich habe nicht vor, mich einzumischen…aber wenn du mich brauchst, bin ich da.“ Und da ist es wieder. Das Gefühl, das er sonst immer unterdrückt. Er tut es auch jetzt, obwohl es ihm schwerfällt. Noch ist er nicht so weit. Irgendwann bestimmt. Er vertraut Enji. Er liebt ihn. Das ist mehr als genug. „Weiß ich doch“, erwidert er, trotzdem er es sich erst bewusst machen muss. Enji belässt es dabei und hält ihn. Es ist alles, was Hawks im Moment braucht. 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