Climax von lunalinn (OS Sammlung zu Abyss) ================================================================================ Kapitel 1: Animal ----------------- Aizawa weiß wirklich nicht, warum er sich das antut oder warum er überhaupt zugesagt hat. Davon abgesehen, dass er Todoroki nicht leiden kann, ist er ein absoluter Feind von Doppeldates. Genau genommen ist er nicht mal für Dates zu zweit zu begeistern. In seiner Welt sieht man einander in die Augen, kurzer Wortwechsel und dann entscheidet man, ob man sich später durch die Laken wälzt. Als Barkeeper ist diese Art von Arrangement noch einfacher durchzusetzen – und in den besten Fällen bleibt es einmalig. Aizawa ist ehrlich – Beziehungen sind anstrengend und die meisten Menschen sind es nicht wert, mehr Zeit mit ihnen zu verbringen. Außerdem sind die wenigsten monogam. Nicht, dass ihn das stören würde. Das Problem in dieser Angelegenheit ist über 2 Meter groß, blond und etwas ausgemergelt. Nicht, dass da nicht immer noch viele Muskeln sind, aber man sieht ihm die harten Jahre an – und wie Toshinori einst gesagt hat, einige seiner Gebrechen bemerkt man auf den ersten Blick nicht. Was der Grund dafür ist, dass er ihn bei ihrem Kennenlernen ziemlich unfair behandelt hat. Aizawa ist bewusst, dass er scharfzüngig sein kann, weswegen ihn nicht jeder unbedingt leiden kann. Er ist ehrlich und steht dazu. Was er jedoch nicht möchte, ist, Menschen damit zu verletzen, die es nicht verdient haben. Toshinori ist einer von diesen Menschen und dennoch ist er ruhig und höflich geblieben. Etwas, womit Aizawa weniger gut umgehen kann. Ausgehend von ihrem schlechten Start kommt es ihm wie ein Wunder vor, dass der Blondschopf mittlerweile recht oft auf seiner viel zu kleinen Couch herumhängt und mit seinen beiden Katzen kuschelt. Es spricht für Toshinori, dass er immer wieder in seine kleine, schäbige Wohnung kommt, obwohl er selbst ein teures Loft mit XXL-Couch besitzt. Als Aizawa das einmal erwähnt hat, hat der andere nur lächelnd gemeint, dass Maki und Nigiri sicher traurig sind, wenn er wegen ihm ständig nicht zuhause ist. Vermutlich ist das der Moment gewesen, in dem Aizawa klar geworden ist, dass er von dem Kerl nicht mehr loskommen wird. Seine Katzen sind ihm so heilig wie anderen Leuten ihre Kinder. Deswegen steht er nun hier. Mit Toshinori, der in seiner schwarzen Lederjacke ziemlich attraktiv aussieht und Aizawa daran erinnert, warum er lieber mit ihm zuhause wäre. Er atmet schwer aus und schiebt die Hände in die Hosentaschen, während er den Eingangsbereich mustert. Eigentlich ist das hier aus mehreren Gründen absolut nicht sein Ding. „Sie sind sicher gleich da“, hört er Toshinori fröhlich sagen. „Kann’s kaum erwarten.“ „Ja, ich weiß ja, dass du Hawks-kun sehr vermisst.“ Toshinori ist ein Meister darin, seine spitzen Kommentare zu ignorieren und daraus etwas Positives zu machen. Er verdreht bei dem sonnigen Lächeln nur die Augen und lässt den Blick weiter schweifen. Das Wetter ist angenehm. Nicht zu kalt, nicht zu warm, wenig Wind. Leider haben sich die ganzen Familien mit Kindern das wohl ebenso gedacht und dementsprechend voll ist es. „Huhu!“ Hawks‘ vor Euphorie strotzende Stimme schallt zu ihnen herüber, sodass sie beide aufsehen. Scheinbar hat Todoroki auf diesen Ausflug ebenso wenig Lust wie er selbst, wenn er so dessen finstere Miene deutet. Leider haben sie beide einen viel zu kontaktfreudigen Blondschopf an ihrer Seite, weswegen es kein Entkommen gibt. „Sorry, dass wir zu spät sind, aber ihr kennt das ja…der Verkehr und so…“ „Wir sind zu spät, weil du nicht aus dem Bett gekommen bist.“ „Enji! Doch nicht vor unseren Freunden!“ „Das meinte ich nicht!!“ Aizawas Braue zuckt leicht bei dem Wortwechsel, während Toshinori mit großen Augen von einem zum anderen sieht. Dann lächelt er jedoch, auch wenn er etwas dabei verlegen wirkt, und hebt beschwichtigend die Hände. „Nun seid ihr ja da…egal, warum ihr zu spät seid und außerdem warten wir noch gar nicht so lange.“ Hawks grinst ihn breit an, ehe er zu Todoroki sieht. „Siehst du, Großer? Alles im Lot!“ „Hn.“ „Und? Gehen wir rein? Ich bin richtig aufgeregt! Ich war noch nie im Zoo!“, plappert Hawks direkt weiter und seine bernsteinfarbenen Augen leuchten. „Da verpasst man auch nichts“, brummt Aizawa missmutig. „Wildtiere sollten nicht eingesperrt sein.“ „Nun, da hast du sicherlich Recht“, meint Toshinori nachdenklich. „Allerdings habe ich gelesen, dass dieser Zoo sich den Bedürfnissen der Tiere, so gut es geht, anzupassen versucht. Sie haben hier weit mehr Fläche als in anderen Zoos und die Pfleger haben wohl eine sehr starke Bindung zu ihren Schützlingen.“ „Das ändert nicht die Tatsache“, widerspricht er ihm dennoch, woraufhin Toshinori schief lächelt. „Wohl nicht, nein.“ Todoroki schnaubt. „Gehen wir rein oder warten wir, bis Aizawa uns den Besuch so madig gemacht hat, dass wir nach Hause gehen können?“, fragt er schroff. Eigentlich keine schlechte Idee, aber das wird wohl leider nichts. „Ach was! Da ich anscheinend als Einziger noch nie im Zoo war, kann ich dazu nichts sagen. Also muss ich mich logischerweise selbst davon überzeugen, ob Zoos cool sind oder nicht! Los geht’s, Leute!“ Gegen die Ansage hilft dann auch kein anderer Einwand mehr. „Wie läuft die Ausbildung denn so, Hawks-kun?“, fragt Toshinori freundlich nach, während sie dem eingezäunten Weg folgen. „Kommst du gut zurecht?“ Hawks streckt den Daumen in die Höhe und grinst ihn mit einem Zwinkern an. „Jep! Sehr gut sogar! Mein Ausbilder ist so ein grimmiger, alter Mann, aber da meine Leistungen gut genug sind, kann er mich nicht so zusammenscheißen wie die anderen. Er ist zwar hart, aber fair, damit komm ich klar. Außerdem hab ich ja so einen Griesgram zuhause, nicht wahr?“, erwidert er und deutet amüsiert auf Todoroki, der daraufhin bloß schnaubt. „Und was die anderen angeht…einigen gehe ich, glaube ich, ein bisschen auf die Nerven, aber hey – irgendwann lieben auch die mich, haha!“ Aizawa runzelt die Stirn, während er sich fragt, ob das wirklich so lustig ist. Er kennt Hawks seit Jahren, hat ihn mit Menschen beobachtet und er weiß, dass dieser gut schauspielern kann. Er lächelt Dinge weg, auch wenn ihm nicht danach ist. „Solange sie trotzdem nett zu dir sind.“ „Die einen mehr, die anderen weniger, aber so ist das Leben. Oh! Schaut mal! Flamingos! Krass! Hab mir die immer viel pinker vorgestellt! Die sind ja eher rosa!“ Wie ein kleines Kind weicht er vom Weg ab und läuft zum Zaun, von wo aus man gut auf den von Schilf umrahmten See blicken kann, wo die Tiere stehen. Ihr helles Gefieder leuchtet regelrecht in der Sonne und man hört, wie sie ihre typischen Laute von sich geben. Aizawa folgt ihm ebenso wie die anderen zum Zaun, wobei ihm Toshinoris nachdenklicher Blick nicht entgeht. Er hat also gemerkt, dass Hawks abgelenkt hat. War wohl etwas zu offensichtlich. Dennoch sagt keiner von ihnen etwas. Sie gucken sich nur die Flamingos an, die dort auf einem Bein stehen. Einige von ihnen haben den Kopf im Gefieder vergraben und schlafen wohl. „Die erinnern mich total an Mina“, meint Hawks grinsend und macht ein Foto, um es ihr vermutlich zu schicken. „Sie sind wirklich hübsch“, kommt es von Toshinori. Todoroki scheint dem Zauber der Viecher nichts abgewinnen zu können und auch Aizawa ist kein sonderlicher Fan von Vögeln jeglicher Art. Ebenso wie er Hunde nicht mag – was ein bisschen kontraproduktiv ist, da Toshinori selbsternannter Hundefan ist. Hoffentlich kommen sie nie zu dem Punkt, an dem er so ein Vieh in seinem Leben will. „Da hinten geht’s zu den Giraffen! Ich hab noch nie Giraffen gesehen!“, ruft Hawks aus und deutet auf eines der Schilder. „Lasst uns als nächstes dahin!“ Er wuselt aufgeregt voran und freut sich dabei so sehr, dass es ihm keiner übelnimmt. Aizawa schiebt die Hände in die Hosentaschen und folgt ihm, während sich hinter ihm Toshinori an Todoroki wendet. Er versteht nicht alles, weil sie flüstern, aber er kann sich denken, dass sein Freund noch mal wissen will, ob alles in Ordnung mit Hawks‘ Ausbildung ist. Aizawa selbst macht sich da wenig Sorgen. Hawks mag einiges in seinem Leben weglächeln, aber er ist ein Kämpfer. Er wird die Steine schon selbstständig aus dem Weg räumen, sollten sie ihn behindern. Davon abgesehen…man kann nicht von jedem gemocht werden. „Schau mal, Aizawa! Die eine kommt sogar her! Miez, miez…na komm…lecker Blatt!“ Aizawa beobachtet mit neutraler Miene, wie das riesige Tier den Kopf über den Zaun schiebt und versucht, an das Blatt in Hawks‘ Hand zu gelangen. Er traut solchen großen Tieren nicht, aber Hawks scheint keine Bedenken zu haben. „Das ist keine Katze.“ „Aber sie ist niedlicher als eine Katze!“ „…nein.“ „Sorry, aber ich bin echt kein Katzenfan“, kommt es von Hawks, während die Giraffe das Blatt mit der Zunge aus seiner Hand rupft. „Die sind doch voll hinterlistig…und nutzen dich nur aus.“ „Vorurteile“, erwidert er knapp. „Dann komm ich demnächst mal vorbei und lerne deine Katzen kennen“, schlägt Hawks grinsend vor und wischt sich die Hand an seiner Jeans ab. „Heißen die nicht irgendwas mit Sushi?“ „Maki und Nigiri.“ „Haha, cool.“ Er funkelt ihn amüsiert an, sieht aber auf, als die anderen beiden sie einholen. „Oi, Enji! Ich hab die Giraffe gefüttert! Die hat so eine richtig lange, blaue Zunge!“ „Darf man die überhaupt füttern?“, brummt der Angesprochene und sieht zu dem meterhohen Tier, das sich die Schnauze leckt und sich langsam umdreht, um davon zu trotten. „Ach, war doch nur ein Blatt. Sie wird’s überleben“, meint Hawks und winkt ab. „Heh…die Giraffe erinnert mich an dich, Toshi!“ „An mich?“, fragt sein Freund irritiert nach. „Jep! Blonde Haare, gelbe Giraffe. Du bist auch so riesig und total sanftmütig wie das Viech eben“, erklärt er sich, woraufhin Toshinori sichtlich geschmeichelt wirkt. „Findest du?“ „Auf jeden Fall! Mal sehen…Enji wäre ein Bär! So ein griesgrämiger…ein richtiger Brummbär!“, plappert der Jüngste von ihnen weiter. „Und ich meine…du hast Pranken wie ein Bär.“ Todoroki scheint mäßig begeistert von dem Vergleich zu sein, doch Hawks richtet den Blick da schon auf Aizawa. „Und Aizawa wäre…ein Siebenschläfer! Oder vielleicht auch ein Faultier – und bevor du was sagst, die sind voll cool! Nur eben ziemlich träge, genau wie du!“ Er schnaubt nur leise, beschwert sich aber nicht über den Vergleich. Beleidigen kann er ihn damit nicht. Er kann hart arbeiten, aber wenn er ehrlich ist, geht er es wirklich lieber ruhiger an. „Und was wärst du deiner Meinung nach?“, fragt Todoroki ihn und verschränkt die massiven Arme vor der Brust. „Hö? Das ist doch klar! Ein majestätischer Falke natürlich! Ich nenne mich Hawks und – sieh mich an!“ Er dreht sich einmal und wackelt dabei mit den Augenbrauen, was Todoroki jedoch nicht zu überzeugen scheint. „Du bist eher eine Stadttaube“, gibt er prompt zurück. „Frisst einem die Haare vom Kopf, bist ständig am rumzwitschern und aufdringlich.“ Aizawa hebt langsam eine Braue, während er Hawks‘ verdutzte Miene betrachtet. Dann fängt er an zu lachen. „Und ich dachte, dass du gerade das an mir liebst“, erwidert er grinsend. „Dass du mit Chicken Wings für mein Wohl sorgen darfst und ich dich anschmachte wie ein frischverliebter Teenie aus einem Groschenroman. Also wirklich, Enji, du zerstörst mein perfektes Bild von unserer Beziehung!“ Auf den Mund gefallen ist Hawks noch nie gewesen. Obwohl Todoroki das vermutlich gewöhnt ist, wird er rot und funkelt den Jüngeren an, der sicherlich genau das mit seinen Worten bezwecken wollte. „Lass den Unsinn…“ „Damit musst du leben, wenn du mich eine dicke Taube nennst, Liebling.“ „Von dick war nie die Rede…“ „Tauben sind nicht gerade grazil, hm?“, widerspricht Hawks schmunzelnd, hakt sich dann aber bei Todoroki unter. „Aber schon gut. Du kannst dich nachher entschuldigen, indem du mir ein süßes Plüschtier kaufst oder einfach die Rechnung fürs Essen übernimmst – ganz, wie du willst~! Und jetzt komm, ich will die Brummbären sehen!“ Aizawa beobachtet, wie Hawks den Hünen einfach mit sich zieht und dabei weiter plappert. Vielleicht ist er nicht in der Position, darüber zu urteilen, aber sie sind schon ein seltsames Paar. Er hält inne, als Toshinori den Arm um ihn legt und ihn dabei sonnig anlächelt, wie er es oft tut. Sanftmütig wie eine Giraffe. Treffend formuliert. Für sie beide gilt das mit dem seltsamen Paar wohl ebenso. Es fällt Aizawa immer noch schwer, sich darauf einzulassen. Diese ganze Beziehung ist für ihn befremdlich. So viel Zeit miteinander zu verbringen, Dates…eben alles. Er ist es nicht gewöhnt und normalerweise fühlt er sich schnell eingeengt und unter Druck gesetzt. Dass Toshinori keine Erwartungen an ihn stellt, sondern von ihm lediglich verlangt hat, ehrlich zu ihm zu sein, mindert den Druck etwas. Den meisten Leuten missfällt zu viel Ehrlichkeit. Toshinori ist ganz offensichtlich keiner von ihnen. „Es ist schön, die beiden so zu erleben. Enji wirkt richtig gelöst.“ Aizawa runzelt die Stirn. „Da siehst du wohl mehr als ich“, meint er trocken, doch Toshinori schmunzelt bloß. „Ich kenne ihn einfach besser, würde ich behaupten, und glaube mir – diese kleinen Neckereien mit Hawks tun ihm gut.“ Aizawa widerspricht ihm nicht, denn was er sagt, stimmt. „Nun, folgen wir ihnen – schließlich willst du doch bestimmt noch zu den Raubkatzen?“, fragt Toshinori schmunzelnd. „Ja“, gibt Aizawa zu, ehe er schnaubt. „Auch wenn ich nicht denke, dass da artgerechte Haltung möglich ist.“ „Vermutlich nicht, nein“, stimmt Toshinori ihm schief lächelnd zu. Wenigstens widerspricht er nicht oder ist genervt von seinen Ansichten. Wo Aizawa oft schnell urteilt und harsch austeilt, respektiert der Blonde viele Meinungen. Er redet nicht direkt dazwischen, sondern lässt ausreden und denkt darüber nach. „Vielleicht haben sie sich ja ein bisschen daran gewöhnt und sind gar nicht so unglücklich? Deine Katzen leben ja auch in deiner Wohnung und sie wirken sehr zufrieden?“ Aizawa weiß, dass das kein Angriff auf ihn ist, um ihm zu zeigen, dass er falsch liegt. Es ist Toshinoris Versuch, ihm den Zoo etwas weniger madig zu machen. Der Vergleich hinkt etwas, aber er ist auch nicht völlig falsch. „Möglich“, brummt er dumpf. Er lässt zu, dass Toshinori seinen Arm streichelt – dann zögert er kurz, ehe er ihm einen schnellen Kuss ins Haar drückt. Aizawa lässt ihn, auch wenn er sich fragt, wie der andere es schafft, ihn mit so einer flüchtigen Geste aus dem Konzept zu bringen. Das haben sie gemeinsam. Die Scheu, Zuneigung, in der Öffentlichkeit zu zeigen, wenn auch aus anderen Gründen. Aizawa ist zu selten in einer Beziehung gewesen, als dass er so etwas vor anderen Leuten ausleben will. Manche Dinge sind eben privat. Toshinori dagegen kennt sich durch seinen einstigen Job als bekannter Footballspieler mit der Öffentlichkeit zu gut aus. Jahrelang hat er sein Privatleben bestmöglich geschützt und mit der Gewohnheit zu brechen, muss schwierig sein. Aizawa sagt nichts, aber als sie weitergehen und Toshinori seinen Arm löst, verschränkt er ihre Finger miteinander. Auch wenn er sich dabei lächerlich vorkommt, aber irgendwie…will er etwas erwidern. Er schaut absichtlich weg, um Toshinoris Gesicht nicht sehen zu müssen – bevor es noch peinlicher wird. Als der andere leicht seine Hand drückt, weiß er, dass es okay ist. „Aww, wie süß ihr seid!“ Kaum haben sie die anderen beiden eingeholt, schallt Hawks‘ Stimme zu ihnen herüber und Aizawa ächzt innerlich. Warum muss er direkt den Fokus auf sie beide legen. Unangenehm…aber es wird noch schlimmer. „Oi, Enji! Warum halten wir nicht Händchen?“ „Weil ich nicht wieder wie der Teufel angesehen werden will.“ „Ach was…so schlimm war das gar nicht!“ „Die Frau an der Kinokasse hat gemeint, dass sie es schön findet, dass du in dem Alter noch etwas mit deinem Vater unternimmst.“ „Ja und? Ich hab das doch aufgeklärt.“ „Du hast den Arm um mich gelegt, mit den Augenbrauen gewackelt und gesagt, dass man nie zu alt für seinen Sugar Daddy ist…“ „Sag ich ja. Ich habe es aufgeklärt.“ Hawks lächelt unschuldig und legt dabei den Kopf schief, während Todoroki ihn finster ansieht. Gut, bei dem Altersunterschied kann er sich vorstellen, was die Leute denken. „Ach, das Alter spielt doch keine Rolle!“, kommt es fröhlich von Toshinori. „Solange man glücklich miteinander ist, ist alles gut.“ „Jep! Da hat Toshi vollkommen Recht!“, stimmt Hawks ihm grinsend zu. „Also keine Scham, her mit dem Händchen, na komm…miez miez m-“ „Hawks!!“ „Haha, pass auf, dass du den Brummbären keine Angst machst, wenn du so laut bist!“, zieht dieser seinen Freund weiter auf. Den Brummbären scheint es recht egal zu sein, was sie tun, so wie sie gemächlich im Gehege herumtrotten, um sich wieder hinzulegen. Aizawa würde sie um ihre Ruhe beneiden, wenn er nicht etwas dagegen hätte, täglich von hunderten Menschen angegafft zu werden. Wider Erwarten ist das Gehege der Tiger recht groß, auch wenn er immer noch nicht überzeugt davon ist, dass gerade solche Tiere hierher gehören. Dennoch sind sie wunderschön. Majestätisch. Mit ihren runden Augen und Ohren…er könnte sie sich stundenlang ansehen. „Ich bleib dabei – Katzen sind mir suspekt.“ Hawks zuckt mit den Schultern, ehe er zu den anderen sieht. „Was ist mit euch? Team Katze? Toshi, du bist doch bestimmt ein Hundemensch, nicht wahr?“ Dieser lächelt schief. „Das stimmt schon. Ich hätte irgendwann gern wieder einen Hund“, überlegt er und Aizawa kann nicht verhindern, dass sich seine Mundwinkel nach unten verziehen. Hunde sind wirklich nicht sein Fall. Im Gegensatz zu Katzen sind sie treudoof und riechen stark. Andererseits akzeptiert Toshinori seine Katzen…es wäre unfair, sich gegen einen Hund zu sperren. Sollte das mit ihnen so lange halten, dass sie irgendwann zusammenziehen werden… „Eigentlich mag ich aber alle Tiere…und Aizawas Katzen sind wirklich lieb. Sie legen sich oft auf meine Brust oder in meinen Arm und schnurren.“ Tatsächlich belagern sie Toshinori, sobald er die Couch ansteuert – und ignorieren Aizawa. Manchmal ist das traurig. Andererseits…was kann man sich mehr wünschen, als dass der Freund die Haustiere liebt und umgekehrt? „Hm. Okay. Enji? Hund oder Katze?“, nimmt Hawks seinen Freund ins Kreuzverhör. „Eigentlich Hund. Aus Zeitmangel tendiere ich aber mehr zu Katzen. Die sind selbstständiger.“ „Du stellst unsere Beziehung gerade auf eine harte Probe…“ „Du hast gefragt, ich habe geantwortet. Ich habe nie gesagt, dass ich daran denke, uns ein Haustier zu kaufen.“ „Falls doch, komme ich mit Hunden und Vögeln klar.“ Er wackelt dabei mit den Augenbrauen, wodurch deutlich wird, dass er mit Vögeln nicht unbedingt…Vögel meint. Aizawa sieht lieber wieder zu den Tigern, während sich Toshinori verlegen räuspert. Enji blickt ihn kommentarlos an, dann schiebt er die Hände in die Hosentaschen und geht einfach weiter. „Oi!! Warte gefälligst!!“ Ein toller Ausflug… Am Ende des Tages sitzen sie im Zoorestaurant, in dem es eigentlich nur Pommes und anderes ungesundes Zeug gibt. Hawks hat gleich zweimal Chicken Nuggets abgestaubt und verspeist diese nun mit mehr Genuss, als es Aizawa bei dem Zeug für möglich gehalten hätte. Nicht, dass er es nicht auch oft aus Zeitmangel oder Faulheit isst, aber Hawks hält es offensichtlich für einen Gaumenschmaus. „Wer kocht eigentlich bei euch?“ Die Frage kommt unerwartet, weswegen Aizawa zunächst still von seinen Pommes aufsieht. „Meistens bin das wohl ich“, antwortet Toshinori mit einem Lächeln, woraufhin Hawks grinst. „Dachte ich mir!“ „Nun, ich darf ja nicht alles essen, daher macht es mehr Sinn, dass ich koche. Ich möchte keine Umstände machen und immer zu bestellen, ist ja auch auf Dauer teuer…“ „Als ob es dir an Geld mangelt“, brummt Todoroki, woraufhin Toshinori stutzt. „Er wollte nicht sagen, dass er meine Ernährung mangelhaft findet“, schaltet sich Aizawa monoton ein. Leider hat er damit nämlich Recht. Sonderlich gesund lebt er wirklich nicht. Er ist nicht so stur, dass er das nicht zugeben kann. „Haha, ja, das sagt Enji auch immer!“, meint Hawks grinsend. „Und dann kocht er leckere Reisgerichte! Liebe ist, wenn er dir eine Extra-Portion Hühnchen dabei macht~“ „Quatsch nicht…“ „Das muss dir doch nicht unangenehm sein! Ist süß von dir!“, fährt Hawks fort, ihn verlegen zu machen. „Hmpf.“ „Wer hätte gedacht, dass Aizawa und ich mal richtige Hausmänner abstauben. Heißer Gedanke, ihr beide mit der Schürze und-“ „Hawks!!“ „…wie ihr für uns kocht, damit wir keine Mangelerscheinungen bekommen“, endet Hawks definitiv anders, als er es zuvor vorgehabt hat. Das verräterische Zwinkern straft seine Worte Lügen. Dann schiebt er sich noch einen Nugget in den Mund und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. „Sag mal, Aizawa, wie sieht’s eigentlich aus im Club? Geht’s allen gut? Neue Tänzer da? Ich hab Mina schon eine Weile nicht mehr getroffen. Passt zeitlich nicht immer bei uns, auch wenn’s schade ist.“ Hawks kippelt ein bisschen herum, sieht ihn neugierig an. Tatsächlich ist er nicht mehr dort gewesen, seitdem er gekündigt hat. Ist sicherlich auch besser so, immerhin muss ihn keiner mit dem Milieu in Verbindung bringen, gerade zu Anfang seiner Karriere nicht. „Ja. Es geht allen gut. Sie haben gesagt, ich soll dir Grüße ausrichten.“ „Aww…auch von Miruko?“ „Nicht in dem Wortlaut, aber ja. Die neuen Tänzer sind keine Konkurrenz für sie.“ „Ha! Bestimmt langweilt sie sich ohne mich! Siehst du, Großer, ich hab dir gesagt, sie vermissen mich!“ „Das habe ich auch nicht bestritten“, erwidert Todoroki knapp. Hawks winkt ab, wobei er zwar lächelt, doch in seinen Augen liegt etwas, das nicht gerade fröhlich wirkt. Kein Wunder. Hawks ist lange Zeit ein wichtiger Teil des Teams gewesen. Im Club hat er Freunde gehabt, die ihn akzeptiert haben. Auch wenn er sicher nicht jeden Teil von sich preisgegeben hat. Das tun die wenigsten. „Wenn sie dir fehlen, lade halt ein paar von denen am Wochenende ein.“ Hawks runzelt die Stirn. „Du kannst Besuch doch nicht ausstehen…und die sind laut.“ „Du bist auch laut. Trotzdem lebe ich mit dir zusammen“, knurrt der Rothaarige zurück. „Die werden hundertpro Schnaps mitbringen und ne fette Party bei uns veranstalten“, macht Hawks weiter, als würde er ihn von der Idee abbringen wollen. „Hundertpro räumen sie das dann hinterher auf.“ Sie blicken einander einen langen Moment an und Aizawa weiß, dass es nicht nur um die Lautstärke geht, sondern auch darum, dass Alkohol fließen wird. Todoroki ist noch nicht lange genug trocken, um auszuschließen, dass er rückfällig wird. Vielleicht kann man sowas nie ausschließen. „Ich kann auch mit ihnen in eine Bar oder so gehen…“ „Du kannst machen, was du willst, aber es ist in Ordnung, wenn du deine Freunde zu uns einlädst.“ Aizawa ahnt, warum er das anbietet. Offensichtlich sitzt Hawks bei der Polizei noch nicht fest im Sattel. Vielleicht hat er sogar Probleme mit seinen Kollegen. Die Leute im Club sind in Ordnung. Jeder von ihnen auf seine Weise. Aber es wäre für Hawks ungünstig, mit dem Club in Verbindung gebracht zu werden. Oder auch nur mit einem Haufen betrunkener Leute – Miruko pöbelt gern mal herum, wenn sie einen zu viel hat, oder schließt fragwürdige Wetten ab. Man sieht Hawks an, dass er weiß, warum Todoroki das sagt. Man sieht ihm auch an, dass es ihn nervt und er es gleichzeitig als nette Geste empfindet. „Wenn du sturmfrei haben möchtest, kann ich Enji sicherlich für einen Abend mit alten Superheldenfilmen beschäftigen?“, bietet Toshinori es ihnen freundlich an. „Das haben wir lange nicht gemacht. Das wäre doch okay für dich, oder? Aizawa-kun?“ Aizawa blinzelt ihn an, denn eigentlich findet er nicht, dass er etwas dagegen einzuwenden hat. Die beiden sind Freunde und auch, wenn es ihm nicht passt, dass sie mal in einer Beziehung gewesen sind, so hat er sich da nicht einzumischen. Abgesehen davon, dass Toshinori kein Typ ist, der fremdgeht…und Todoroki hat Hawks, mit dem er es offensichtlich ernst meint. „Ist okay“, sagt er daher nur. „Ich brauche niemanden, der mich beschäftigt“, murrt Todoroki finster. „Ach was! Wir machen uns eine schöne Zeit!“, widerspricht Toshinori euphorisch, woraufhin Hawks schief lächelt. Sie alle wissen, worum es hier geht…und eigentlich spricht das wohl für diese verkorkste Art von Freundschaft, dass sie es eben nicht aussprechen müssen. Hawks scheint sich dasselbe zu denken, sodass er versucht, die gute Stimmung wieder aufleben zu lassen. „Aizawa kommt einfach auch zu uns! Immerhin gehört er zu meinen Club-Buddies! Das wird lustig!“, meint er und funkelt ihn an. „Dagegen habe ich nichts einzuwenden.“ Aizawa dreht den Kopf zu Todoroki, nicht wissend, wie er das nun aufnehmen soll. Sie mögen einander nicht sonderlich, weswegen die Aussage fast schon zu positiv klingt. Ist das der Versuch, das Kriegsbeil zu begraben? „Wenn er als Spaßbremse dabei ist, eskaliert eure Feier wenigstens nicht“, erklärt sich der Hüne nur einen Moment später. Aizawa schnaubt; so viel zum Kriegsbeil begraben. Er sieht nicht auf, als Toshinori seine Schulter tätschelt. „Enji meint damit, dass du ein sehr vernünftiger Mann bist, Aizawa-kun!“ „Sicher meint er das.“ „Überschätzt Aizawa mal nicht…wenn der richtig trinkt, hat er am nächsten Tag immer einen Filmriss, sagt Mic!“ Wozu hat man eigentlich Freunde, wenn sie einem ständig in den Rücken fallen? „Deswegen trinke ich selten richtig“, erwidert er, woraufhin Toshinori schmunzelt. „Siehst du? Vernünftig.“ „Buuuh, Aizawa!“, ruft Hawks und fängt sich von Todoroki einen Klaps auf den Hinterkopf ein. „Benimm dich.“ „Benimm dich selbst!“ Aizawa beobachtet, wie der Jüngste von ihnen seinem Freund die Zunge herausstreckt und ihn weiter provoziert. Das ist wohl ihr Ding. Dass Hawks selbst nie wirklich viel trinkt, ist ihm als Barkeeper schon öfter aufgefallen. Er ist jedes Mal so aufgedreht, dass man das leicht übersehen kann. Er hinterfragt es ebenso wenig, wie er sich von den Worten angegriffen fühlt. Es gibt Schlimmeres, als vernünftig genannt zu werden. Davon abgesehen, dass Toshinori das wohl an ihm gefällt… Als sich der Tag dem Ende neigt, muss Aizawa zugeben, dass dieses Doppeldate gar nicht so schrecklich gewesen ist. Den Zoo wird er zwar auch in Zukunft nicht freiwillig aufsuchen, da sich an seiner Meinung darüber nicht geändert hat, aber gut, nun hat er die Erfahrung gemacht. Hawks hängt sich an Todorokis breiten Arm, nachdem sie den Ausgang passiert haben. „Das sollten wir mal wiederholen, oder? Hat doch Spaß gemacht?“ „Das stimmt, es war ein wirklich schöner Tag“, stimmt ihm Toshinori lächelnd zu. Dass die beiden davon begeistert sind, wundert Aizawa nicht. „War in Ordnung“, kommt es gezwungen von Todoroki, wobei Aizawa diese Meinung teilt. „Cool! Dann sind wir uns ja alle einig, dass wir das noch mal machen!“, freut sich Hawks und grinst von einem Ohr zum anderen. Aizawa seufzt leise. „Solange wir nicht wieder in den Zoo gehen…“ „Toshi und ich denken uns was Neues aus!“ „Das habe ich befürchtet“, kommentiert Todoroki dies wenig begeistert. Hawks schmunzelt daraufhin, zwinkert dann und stupst seinen Partner in die Seite. „Erstmal macht ihr euren DVD Abend und Aizawa und ich unsere Party. Versprochen ist versprochen.“ Anscheinend hat Toshinori ihm vorhin die Bedenken genommen, was man nun positiv oder negativ werten kann. Nun, immerhin sehen sie sich auf die Weise alle mal wieder. Es könnte schlimmer sein. „Ja. Schon gut“, brummt Todoroki gar nicht mal so abgeneigt für seine Verhältnisse. Hawks lächelt, ehe er zu ihnen beiden sieht. „Also dann! Kommt gut nach Hause und bis bald!“ „Ihr auch. Wir melden uns“, kommt es freundlich von Toshinori, ehe sich ihre Wege trennen. Toshinoris auffälliger roter Sportwagen steht ein paar Ecken weiter – eine seiner Jugendsünden, wie er sagt, und an der er hängt. Auch wenn Aizawa protzige Karren nicht mag, kommentiert er es nicht mehr. Jedem das Seine. „Das war nett von dir.“ Toshinori blickt ihn aus seinen hellblauen Augen fragend an. „Hm?“ Aizawa lehnt sich im Auto zurück, nachdem er sich angeschnallt hat, und sieht nach vorn. „Dein DVD-Vorschlag.“ „Ah. Ich hoffe, es ist wirklich in Ordnung für dich. Enji und ich sind nur noch Freunde, dessen kannst du dir gewiss sein.“ Aizawa schnaubt, wirft ihm einen Blick zu. „Wäre ich mir dessen nicht gewiss, wären wir nicht hier. Ich zweifle nicht an dir.“ Das stimmt. Er mag Todoroki nicht sonderlich und dass dieser vor Jahren mit seinem Freund zusammen gewesen ist, macht das nicht besser. Dennoch weiß er, dass Toshinori nicht die Art Mann ist, die einen hintergeht. Wären da noch Gefühle, würde er es ihm sicherlich sagen. Die Geschichte scheint abgeschlossen zu sein. Toshinori lächelt bei seinen Worten warm und legt die Hand für einen Moment auf die seine, welche auf seinem Bein ruht. „Das freut mich.“ Die Berührung sendet dieses Kribbeln durch Aizawas Körper, das ihm das Gefühl gibt, er wäre wieder ein dummer Teenager. Was macht der Kerl mit ihm…ach, scheiß drauf! Er dreht sich zu ihm und packt ihn an seinem Shirt, ehe er ihn zu sich herunterzieht und ihn küsst. Es ist ein kurzer und rauer Kuss. Ohne Zunge, aber einer, der gut genug aussagen sollte, wie sehr Aizawa ihn will. Am liebsten gleich. Zuhause. Ausnahmsweise ohne Katzen im Schlafzimmer. Toshinori spannt sich im ersten Moment an – alte Gewohnheit, das kennt er schon. Sie sitzen im Auto und jeder kann es sehen. Sie befinden sich in der Öffentlichkeit, was lange Zeit ein Tabu gewesen ist. Doch dann erwidert Toshinori den Kuss, drückt seine Hand dabei fest. Als sie sich lösen, lehnt Toshinori die Stirn gegen seine, sieht ihn mit diesem Funkeln an. „Zu dir?“ „Zu mir.“ Toshinori schmunzelt, ehe er sich vollständig löst und Wagen startet. Aizawa atmet durch und lehnt sich zurück. Ja, dieser Tag ist besser als gelaufen, als er es erwartet hat…und vielleicht wird er gleich noch besser. Viel besser. Kapitel 2: Family ----------------- „Meinst du nicht, du solltest dich ein bisschen mehr entspannen?“ Enji übergeht den Kommentar und setzt das heiße Wasser für die Soba auf. Die Soße hat er bereits einen Tag vorher zubereitet, sodass er sich zumindest darum nicht kümmern muss. Auf dem Herd köchelt bereits das Mapo Tofu und er hofft, dass es genauso gut schmeckt, wie es riecht. Eigentlich kann er kochen, doch meistens belässt er es bei einem Gericht nebst Beilagen. Heute ist ein besonderer Tag. „Ich meine, nicht, dass ich es nicht heiß finde…du mit Schürze inmitten von so vielen Leckereien…“ Hawks‘ anrüchiger Unterton ist Absicht, genau wie die wackelnden, buschigen Brauen. Gerade heute hat er dafür aber keinen Nerv, wenn er auch sonst inzwischen darüber schmunzeln muss. „Wenn du dich langweilst, kannst du das Sashimi zubereiten, anstatt mir mit deinem Gequatsche auf die Nerven zu gehen“, brummt er angespannt. Hawks lächelt schief, dann kommt er näher und schlingt von hinten die Arme um seine Taille. Er lehnt den Kopf gegen seinen Rücken und seufzt leise. „Das willst du doch gar nicht“, mosert er herum. „Dann schneide ich es nicht ordentlich genug oder so…du weißt, ich bin scheiße, was kochen angeht.“ Enji schnaubt leise, widerspricht aber nicht, weil es genauso ist, wie der Blonde gesagt hat. Die Küche ist sein Revier – zumindest, was das Kochen angeht – und er lässt Hawks nur selten etwas anderes als die Mikrowelle benutzen. Manchmal macht dieser ihnen fettiges Rührei oder ein Omelette, aber damit hört es dann auch auf. „Es wird alles gut werden, okay? Ich meine…du versuchst, jedem deiner Kinder sein Lieblingsessen zu machen. Hey, mich hast du damit gekriegt! Liebe geht schließlich durch den Magen!“ „…ich habe dich mit Chicken Nuggets von McDonalds gekriegt?“ „Hach ja, unser erstes Date“, seufzt Hawks gespielt verträumt und lacht, als Enji ihn mit der Hand von sich weg scheucht. Den Klaps, den Hawks ihm auf den Hintern gibt, nimmt er nur halbwegs verärgert hin. Sein Freund nimmt das alles eindeutig zu locker, immerhin ist das hier sehr wichtig für Enji. Es ist der erste Besuch seiner Kinder nach dieser peinlichen Eskapade vor Monaten. Seitdem hat keiner von ihnen Interesse daran gezeigt, wieder mit ihm in Kontakt zu treten. Vor ein paar Tagen hat ihm dann plötzlich Fuyumi geschrieben und nach einem Treffen gefragt. Vielleicht liegt es daran, dass die Scheidung endlich durch ist. Daran, dass auch Rei endlich abschließen will und muss. Vor einer Weile hat er ein Gespräch mit ihr gehabt, das nicht so furchtbar gewesen ist, wie er es erwartet hat. Nach vorn schauen will sie nun. Sich ein neues Leben aufbauen. Von Hawks weiß sie, doch es scheint sie weder großartig zu schockieren, noch in irgendeiner anderen Form emotional zu berühren. Vermutlich ist das der beste Beweis dafür, dass ihre Ehe zu Ende ist. Sie ist weiterhin in Therapie und er hat ihr seine Unterstützung zugesichert, die sie wahrscheinlich nicht annehmen wird. Aber es hat sie wohl irgendwie gefreut, dass er selbst in Therapie ist. Zumindest hat sie ihn kurz angelächelt. Rei ist nicht der Typ, der ewig Groll hegt…anscheinend kann sie ihm eher verzeihen, als er sich selbst. Er weiß nicht, ob das ein gutes Gefühl ist. Es sorgt eher dafür, dass er sich noch mehr wie ein Arschloch fühlt. „Mach dir keinen Kopf.“ Hawks lehnt sich an die Anrichte und blickt ihn nun etwas ernster an. „Wenn’s heikel wird, spiel ich den Puffer. Du weißt, ich bin gut mit Worten.“ Enji hebt zweifelnd eine Braue, während er die Nudeln aus dem Schrank holt und die Packung öffnet. „…letztes Mal warst du eher das Streichholz.“ „Oi! Das war…einfach ne blöde Situation. Ich meine, sie wissen doch, dass wir zusammen sind. Wenn sie mich hassen würden, würden sie nicht kommen, oder?“ „Vielleicht denken sie auch, sie müssen dich vor mir retten…“ „Oh, dann zeig ich ihnen eben, dass man dich eher vor mir retten muss~“, zwitschert Hawks breit grinsend, woraufhin Enji knurrt. „Hawks.“ „Schon gut. Ich mach doch nur Spaß. Keine Sorge. Ich werde dich nicht blamieren und ich gebe mir Mühe, dass der Abend ein Erfolg wird, hm?“ „Gut.“ Hawks lächelt ihn an, ehe er neugierig auf die Arbeitsfläche schielt. „Kein Hähnchen?“, fragt er mit gewisser Enttäuschung. „Du stopfst genug Frittiertes in dich hinein.“ „Muss ja nicht frittiert sein“, mault Hawks und hängt sich an seinen Arm. Enji entzieht ihn ihm, weil er nun den Reis kochen muss; sie werden bald da sein. Das Sashimi zubereiten und die Nudeln kochen – dann ist er fertig. „Du kommst auch einen Abend ohne klar.“ „Wird aber eine Herausforderung!“ „Mach dich nützlich und deck den Tisch.“ „Aye aye!“ Hawks salutiert mit gespielt ernster Miene, ehe er schmunzelnd zu den Schränken geht und das Geschirr herausholt. Summend streckt er sich etwas, um besser heranzukommen, dann wendet sich Enji wieder dem Essen zu. Es ist immer noch seltsam, wie schnell er sich an das Zusammenleben mit Hawks gewöhnt hat. Ebenso wie die Tatsache, dass das zwischen ihnen bisher so gut funktioniert. Wenn er ehrlich ist, ist er davon ausgegangen, dass er es versauen wird. Er mit seinem Alkoholproblem und seinen Aggressionen…doch aus irgendeinem Grund fällt es ihm dank Hawks‘ Anwesenheit sogar leichter, damit zurechtzukommen. Er weiß noch, dass ihn Rei oft wütender gemacht hat, indem sie sich bei Diskussionen zurückgezogen hat. Er will ihr damit nicht die Schuld geben. Auf keinen Fall. Jedoch ist es einfacher, sich zu beruhigen, wenn Hawks ihn mit diesem stechenden Blick ansieht und einen schärferen Ton anschlägt. Etwas, das ihm signalisiert, bis hierhin und nicht weiter. Es rüttelt ihn wach, wenn er einen dieser schwachen Momente hat. Sie kommen selten. Aber sie sind da. Manchmal werden sie durch Hawks‘ eigene Schwächen hervorgerufen, wie zum Beispiel, wenn er einen schlechten Tag gehabt hat und dies vor ihm verheimlichen will. Er muss ihm nicht alles sagen. Aber er will nicht mit diesem falschen Lächeln belogen werden, wenn er spürt, dass etwas nicht stimmt. Er weiß, dass Hawks ein gebranntes Kind ist, was seine Probleme angeht. Ab und zu provoziert dieser ihn, damit er nicht mit ihm reden muss. Es ist nicht perfekt. Allerdings ist Perfektion weder Enjis Ziel, noch wünscht sich Hawks dies. Es funktioniert und sie ergänzen sich gut. Sie tun sich gut. Selbst ein kaputter Mann wie er scheint dem vorlauten Blondschopf gutzutun. Zumindest hat er Hawks‘ dubiosen Vater scheinbar endgültig verscheucht, denn dieser hat sich bisher nicht wieder gezeigt. Gut, sie haben eine neue Adresse, aber auch davor ist er nicht mehr wegen dem Geld gekommen. Hawks hätte ihm das gesagt, davon geht er aus. Er will davon ausgehen. Während die Nudeln kochen, holt er den frischen Fisch aus dem Kühlschrank und beginnt, ihn in gleichmäßige Stücke zu schneiden, um ihn auf der Platte zu platzieren. Er weiß, wie akkurat Fuyumi dies stets getan hat, und möchte es ebenso schön anrichten. Wenn er ehrlich ist, entspannt ihn das Kochen. Früher hat er nicht viel Zeit dafür gehabt, aber ab und zu hat er sich daran versucht. Es ist nicht schwer, wenn man sich damit befasst, und zumindest Hawks macht immer ein sehr glückliches Gesicht, während er das Essen genießt. Vor allem, wenn er Yakitori oder Karaage macht. Nein, es läuft wirklich gut mit ihnen. Schwer zu glauben, aber es ist so. Vielleicht sehen das ja auch seine Kinder und halten ihn dann nicht für das Monster, das sich einen jungen Liebhaber hält. Als es schließlich an der Tür schellt, ruft Hawks ihm zu, dass er schon aufmacht – und direkt ist Enji noch nervöser. Er zischt, als er sich die Finger am Topf verbrennt, und hält sie sofort unter kaltes Wasser. Nichts passiert. Das fehlt gerade noch. Innerlich seufzt er, hört dann aber auch schon die Stimme von Fuyumi. Sicher sind sie direkt zu dritt angekommen. Er dreht das Wasser ab und wirft einen Blick über die Schulter, wo Hawks gerade seine Kinder hereinführt, wobei er Fuyumi vollschnattert, welche ihn anlächelt. Natsuo hat die Mundwinkel nach unten verzogen und Shouto blickt wie so oft recht monoton drein. Das kann ja was werden. „…ja, echt! Er steht schon seit gestern in der Küche!“, hört er Hawks sagen und verflucht ihn stumm. „Also, dem Geruch nach wird das ein richtiges Festmahl!“ Haben sie sich einander bereits vorgestellt? Hawks hat nicht immer den besten Anstand, aber ist wohl besser, wenn er sich da nicht einmischt. „Hallo Vater. Danke für die Einladung“, kommt es von Fuyumi, die sich leicht verbeugt. Da die Küche offen zum Wohnzimmer grenzt, muss sich Enji nur zu ihnen umdrehen. Er tut es ihr gleich, während Natsuo und Shouto ihn bloß ansehen. „Danke, dass ihr…hergekommen seid. Hawks…kennt ihr ja.“ Natsuo gibt ein verächtliches Schnauben von sich, woraufhin ihn seine Schwester vorwurfsvoll ansieht. Sie setzt wieder ein Lächeln auf, doch Enji merkt, dass sie sich dazu zwingt. „…ich bin gleich fertig. Setzt euch schon mal“, brummt er und deutet auf den niedrigen Tisch im japanischen Stil. Die Einrichtung bei jemandem wie Hawks durchzusetzen, ist eine Herausforderung gewesen. Sein Freund setzt eher auf moderne Möbel, aber gut, er hat die Couch aussuchen dürfen. „Eigentlich kenn ich euch ja nur von dem einen peinlichen Mal, als ihr plötzlich vor der Haustür gestanden habt“, plappert Hawks los und Enji stöhnt innerlich. „Also…schießt los! Was wollt ihr über mich wissen?“ Die darauffolgende Stille lässt darauf schließen, dass das eher unangenehm für seine Kinder ist. Für jemanden in ihrem Alter ist Hawks nicht besonders feinfühlig. „Also, ich bin 23 Jahre alt, wobei – sind nur noch ein paar Monate, dann werde ich schon 24! Ich mache gerade die Ausbildung zum Polizisten – ist echt ein krasser Job! Oh, und ich futtere gern Hähnchen!“, nimmt er ihnen die Entscheidung ab. Enji ist froh, dass er noch nicht mit am Tisch sitzt. Allerdings stellt er schon mal einige der Schälchen und Platten auf den Tisch, wobei er nicht recht weiß, wo er hinsehen soll. Fuyumi stutzt kurz, ehe sie entschuldigend zu Hawks sieht und sich erhebt. Will sie raus aus der Situation oder kann sie nicht anders, weil es ihr der Anstand gebietet? „Warte, ich helfe dir!“, bietet sie sich an und wuselt in die Küche, so wie sie es schon früher getan hat. „Das riecht wirklich sehr gut.“ „…danke.“ „Du bist…Polizist?“, hört er Natsuo langsam nachfragen und es klingt ungläubig. „In Ausbildung.“ „Okay. Hätte ich jetzt nicht gedacht.“ „Weil ich dafür nicht spießig genug aussehe?“ „…alles irgendwie. Du…wirkst echt nicht wie ein Polizist…und keine Ahnung. Dann bist du mit dem da zusammen…“ Natsuo fängt früh damit an, zu sagen, was er über Hawks und ihn denkt. Er sieht aus den Augenwinkeln, wie sich Fuyumi versteift, aber keine Miene verzieht, sondern die Soba mit kaltem Wasser abgießt. „Nun, ich bin volljährig. Ist also nichts Illegales dran, oder? Und der da macht sich als Freund eigentlich ganz gut. Ich krieg immer leckeres Essen, die Wohnung wäre ohne ihn ein Chaos und obwohl ich eine ziemliche Nervensäge sein kann, beschwert er sich nur ganz selten.“ Er kann Hawks‘ breites Grinsen heraushören. Was er sagt, stimmt im Großen und Ganzen. Hawks ist unordentlich. Weil Enji aber nicht ständig herummeckern will, nimmt er es meistens selbst in die Hand. Davon abgesehen, dass er flexibel ist und oft von zuhause arbeitet, was bei Hawks nicht möglich ist. „Aha“, kommt es nicht sehr beeindruckt von Natsuo. „Aber genug von mir – was ist mit euch? Was macht ihr so?“ „…ich studiere Medizin. Shouto geht zur Schule.“ „Ihr seid ja richtig ambitioniert! Cool!“ Shouto runzelt die Stirn. „Zur Schule geht doch jeder.“ „Also, ich musste einiges nachholen. Ich war da nicht so hinterher, wenn ich ehrlich bin. Meine Eltern waren aber auch nicht so die Menschen, die einen fördern.“ Es ist mehr als selten, dass Hawks seine Eltern erwähnt, und Enji fragt sich, ob er das nun seinetwegen tut. Ein schlechtes Beispiel, denn er hat ihnen nicht verziehen und das offensichtlich auch nicht vor. Andererseits bemühen sie sich auch nicht um ihn. Enji will sich bemühen. Er will wieder einen Draht zu ihnen bekommen, wenn er Touya schon verloren hat. Es tut immer noch weh, an ihn zu denken. Das wird es immer. „Solange sie sich wenigstens um dich gekümmert haben. Leistung bringen, ist manchmal nicht alles“, ätzt Natsuo in seine Richtung. Damit hat er Recht. Er war nicht oft zuhause und wenn er es gewesen ist, hat er sich nach der Schule erkundigt. Noten und Erfolg sind wichtiger gewesen als alles andere. Wenn er sich mehr dafür interessiert hätte, wer sie sind und was sie brauchen, wäre vielleicht alles anders gekommen. Wenn er nicht die Hand gegen Touya erhoben hätte… „Na ja, damals haben sie mich entweder verprügelt oder ignoriert und noch vor ein paar Monaten kamen sie vorbei, um sich Geld für Bier und Zigaretten bei mir zu erschnorren. Weiß nicht, ob man das unter Kümmern versteht, aber hey! Jeder denkt darüber ja anders.“ Ja. Er sagt es definitiv, um ihn zu schützen – und es macht Enji wütend. Hawks soll nicht solche Vergleiche ziehen, damit er besser dasteht. Das hat er nicht verdient. Anscheinend sind seine Kinder sprachlos, so wie sie ihn ansehen. Enji stellt die Schüssel mit Reis auf den Tisch und wirft Hawks einen finsteren Blick zu, der mit einem Lächeln erwidert wird. Dann sieht er zu seinen Söhnen, während Fuyumi etwas wie „das tut mir leid, Hawks-san“, murmelt, woraufhin dieser abwinkt. „Schon gut. Wir haben keinen Kontakt mehr und das ist gut so. Übrigens weiß ich, dass euer Dad auch ne Menge Scheiße gebaut hat – und glaubt mir, er quält sich damit ziemlich rum. Es wäre also wirklich toll, wenn das hier ein ernsthafter Versuch werden könnte, ihm eine Chance zu geben. Er ist seit einem halben Jahr trocken – und das soll so bleiben.“ „Hawks!“, zischt er fassungslos, doch dieser sieht weiterhin vor allem Natsuo an. „Wenn ihr keinen Kontakt wollt – das kann keiner besser verstehen als ich. Aber ihr habt den Kontakt gesucht, also…geben wir uns Mühe, damit das hier ein netter Abend wird?“ Er lächelt und legt den Kopf schief. „Ihr könnt mich alles fragen, was ihr möchtet. Aber ich will nicht, dass ihr denkt, ihr müsst mich aufklären oder retten. Das mit uns ist was Ernstes und ich bin ziemlich glücklich. Einverstanden?“ Die Stille, die auf seine Worte folgt, ist mehr als unangenehm. Es ist, als würde sich keiner zu atmen trauen. Fuyumi steht neben ihm wie festgefroren, das Mapo Tofu in den Händen haltend. Zu seiner Überraschung ist es Shouto, der sich als erstes regt, indem er nickt. „Einverstanden.“ Natsuo sieht ihn perplex an, dann wirft er einen Blick zu seiner Schwester, die schief lächelt. Man merkt ihm an, wie schwer es ihm fällt, überhaupt etwas dazu zu sagen. „Ja. Ist gut“, brummt er schließlich zähneknirschend und Hawks strahlt ihn an. „Yay! Dann wollen wir mal das ganze gute Essen genießen und dann muss mir Fuyumi-chan noch verraten, was sie so macht!“ „Ich bin Lehrerin. In der Grundschule“, antwortet sie direkt und Hawks hebt beide Brauen. „Das passt richtig gut zu dir! Bestimmt bist du total beliebt bei den Kindern, oder?“ Schmeicheln kann er. Fuyumi wird rot und streicht sich eine weiße Strähne hinter ihr Ohr, doch sie lächelt dabei. „Nun, die Kinder mögen mich und ich mag sie. Es ist schön, etwas zu Ihrer Bildung beitragen zu können.“ „Du liebst deinen Job echt, oder?“ „Ja, das stimmt. Ich habe damals recht schnell gewusst, was ich werden wollte.“ „Ach echt? Ich auch! Ich habe nur nie gedacht, dass ich es schaffen könnte.“ „Wirklich? Du scheinst sehr ehrgeizig zu sein.“ „Heute bin ich das auch, aber früher…na ja…“ Enji sitzt mit ihnen am Tisch und hört ihnen dabei zu, wie sie sich austauschen. Dass Hawks gut reden kann, ist ihm nicht neu, und auch, wenn er es immer noch nicht gut findet, dass er Natsuo so unter Druck gesetzt hat, scheint es gut zu laufen. Fuyumi sympathisiert zweifellos mit ihm und auch die anderen beiden scheinen ihn als Person in Ordnung zu finden. Dass sie die Beziehung gutheißen, glaubt er nicht. Der Altersunterschied, sein schwieriger Charakter…aber Hawks hat eine Grenze gesetzt und die scheinen sie zu respektieren. Er beschützt ihn. Mehr, als Enji Hawks beschützen muss oder kann. Der Rückhalt seines Partners fühlt sich ebenso gut wie falsch an. Weil er immer noch nicht glaubt, dass er es verdient. Diese Gedanken verschwinden nicht, nur weil er nicht mehr trinkt und sich therapieren lässt. Es gibt gute und schlechte Tage. „Es ist gut.“ Enji dreht den Kopf zu seinem Jüngsten, als dieser die Worte murmelt. Beinahe hätte er es nicht verstanden, da sich Fuyumi und Hawks recht laut unterhalten und Natsuo zwischendurch miteinsteigt. Shouto nimmt erneut die Soba zwischen die Stäbchen, tunkt sie in die Soße und schlürft sie dann. „…das freut mich“, kommt es steif von Enji, der noch nicht viel gegessen hat. Durch die Anspannung hat er auch nicht das Gefühl, besonders viel herunterzubekommen. Shouto sieht ihn nicht an, während er weiterisst, den Blick auf Hawks gerichtet, der über irgendetwas lacht, das Natsuo gesagt hat. Er hat nicht zugehört. „Du hast dir Mühe gegeben.“ Dass er das anerkennt, tut ziemlich gut. Es ist traurig, dass er verlernt hat, mit seinen Kindern umzugehen. „Ja. Habe ich.“ Shouto nickt und schweigt einen Moment. Man sieht ihm nicht an, was er denkt. Seit dem Feuer damals hat er alles Kindliche verloren und wirkt immer sehr ernst. Es fällt Enji schwer, sich daran zu erinnern, wie er vorher gewesen ist, doch das ist wohl auch der versäumten Zeit geschuldet. „Er scheint dich wirklich gern zu haben.“ Dass er damit Hawks meint, steht außer Frage. „Also musst du wohl gut zu ihm sein. Er wirkt nicht so, als würde er sich einschüchtern lassen.“ Damit hat er Recht. Von ihnen beiden ist Hawks derjenige, der die mentale Stärke besitzt. Derjenige, der ihn aufbaut und ihm die Meinung sagt, wenn es sein muss. Enji wünscht sich nur manchmal, Hawks würde mit ihm offener über seine eigenen Probleme reden. Denn dass es welche gibt, daran gibt es keinen Zweifel. „Das ist auch so. Keine Sorge. Er wird sich von mir nicht mit herunterreißen lassen. Ich…versuche wirklich, klarzukommen. Es ist mir ernst. Das mit ihm…und auch mit euch. Ich weiß, dass ich viel falsch gemacht habe und dass ich es nicht wieder gutmachen kann. Aber…ich versuche, besser zu werden.“ Shouto erwidert zuerst nichts darauf und für ein paar Sekunden schallt lediglich das Lachen der anderen drei durch den Raum, als Hawks einen seiner Vorgesetzten nachahmt. Es ist lange her, dass sie so ausgelassen in seiner Gegenwart gewesen sind. Auch wenn sie ihn gerade nicht wirklich wahrnehmen und wohl nur wegen Hawks so locker sind. „Gut.“ Mehr kann Enji nicht erwarten. Es wird ein harter und steiniger Weg werden, aber vielleicht können sie irgendwann einigermaßen normal miteinander umgehen. Die Illusion einer richtigen Familie hat er schon längst aufgegeben, aber von Zeit zu Zeit ein Essen und ein kurzes Gespräch…der Gedanke, dass sie, wenn sie selbst einmal Kinder haben, ihn wenigstens an den Feiertagen besuchen…das wäre schön. Er weiß, dass er sich dafür anstrengen muss und es dennoch nicht zu sehr versuchen darf. Das heute ist ein Anfang in die Richtung, die er sich wünscht. Als seine Kinder nach dem Essen gegangen sind, räumt er mit Hawks den Tisch ab. Es ist plötzlich wieder so still, ein seltsamer Kontrast zu der Lärmkulisse, die vorhin noch geherrscht hat. Hawks hat es geschafft, seine Nummer mit Natsuo und Fuyumi auszutauschen. Er hat nicht erwartet, dass sie ihn so sehr mögen, vor allem, da er sein Freund ist. Jemand, der seine wenigen guten Seiten sieht. Vielleicht muss er das nicht verstehen…wobei es ihn bei Hawks‘ Charisma nicht wundern sollte. „Das lief doch gut?“, fragt Hawks und stellt die Schälchen auf der Ablage ab. „…du hättest das nicht sagen sollen.“ „Ich sage viel, wenn der Tag lang ist. Was genau?“ Enji weiß, dass Hawks weiß, was er meint, es aber von ihm hören will. Während er sich die Ärmel hochkrempelt, um das Geschirr zu spülen, sieht er ihn nicht an. „Dein Vergleich. Sie haben jedes Recht, wütend auf mich zu sein.“ „Hm…stimmt. Aber wie ich sagte, wenn sie keinen Kontakt wollen, zwingt sie keiner. Wenn sie aber welchen wollen, kann keiner von euch erwarten, dass ich still neben dir sitze und zusehe, wie du runtergemacht wirst.“ Hawks lehnt sich an die Anrichte, stützt sich mit den Händen darauf ab und Enji spürt seinen musternden Blick auf sich. „…meine Eltern sind für mich gestorben. Ich bin fertig damit“, fährt er fort. „Wenn ich aber…meine Meinung ändern würde, müsste ich mich überwinden, auch ihnen zuzuhören. Vorausgesetzt, da käme etwas raus, was mich interessiert. Du hast dir heute richtig viel Mühe gegeben und dich zurückgehalten. Das kann man schon anerkennen. Keiner muss dir direkt alles verzeihen, aber…sie sollen fair sein. Und wenn die Luft raus muss, dann vielleicht eher unter vier Augen und nicht…beim Essen, während wir alle am Tisch sitzen.“ Enji wirft ihm einen Seitenblick zu, während er mit dem Schwamm die Teller im heißen Wasser reinigt und sie zum Abtropften hinstellt. „Natsuo ist ein Hitzkopf. Das hat er von mir“, murmelt er, weil er das Gefühl hat, ihn in Schutz nehmen zu müssen. „Er sieht auch aus wie du. Nur mit weißen Haaren. Versteh mich nicht falsch, auch wenn er so feindselig ist – ich mag ihn. Er ist ganz schön schlau und hat coole Ziele, so mit seinem Studium Wirkt gar nicht so, als sei er erst 19. Er macht sich richtig viele Gedanken um seine Zukunft und will unabhängig sein. Und Fuyumi ist ja wohl ein Engel. Da glaube ich sofort, dass die Kinder sie lieben – und Shouto ist etwas trocken, aber irgendwie amüsiert er einen, wie er immer so stumpf alles raushaut. Sie sind super…und sie sind verletzt. Sie brauchen Zeit. Das ist okay.“ Ernst blickt er ihn aus seinen bernsteinfarbenen Augen an. „…aber du bist eben der Typ, den ich liebe. Ich will, dass es dir gutgeht. Und ich will nicht, dass meine Beziehung zu dir beurteilt wird. Nicht von Menschen, die mich ebenso wenig kennen wie ich sie. Oder die diese Seite nicht von dir kennen, die ich kenne. Egal, ob sie deine Kinder sind oder eine Kassiererin im Supermarkt.“ Enji hält für einen Moment inne und erwidert seinen Blick, auch wenn er nicht weiß, was er sagen soll. Es wird immer Menschen geben, die sie beurteilen, das wissen sie beide. Aber die meisten Menschen sind Enji egal. Seine Kinder sind ihm nicht egal. „Dir ist aber klar, dass das immer so sein wird, oder? Dass über uns geurteilt wird“, meint er ruhig, woraufhin Hawks schief grinst. „Ja. Na klar. Aber ich muss ja nicht danebenstehen und das hinnehmen, oder? Wenn ich eins nicht leiden kann, dann wenn Leute denken, ich bin nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen.“ Er verzieht den Mund. „Wie so ein blöder Uke aus diesen klischeehaften Boys Love Mangas.“ Enji schnaubt leise; den Vergleich zieht er öfter. Nicht, dass Enji jemals so etwas gelesen hat und das daher verstehen könnte. Manchmal merkt man den Altersunterschied eben doch. „Trockne ab, anstatt Unsinn zu reden“, brummt er, woraufhin Hawks schmunzelt. „Das sagst du, weil du keine Ahnung hast, wovon ich rede.“ „Das sage ich, weil du nicht mal ein Zehntel von unserem Haushalt machst und dich ständig davor drückst. Wer essen kann, der kann auch saubermachen – und du isst viel “, kontert er streng und wirft ihm das Handtuch zu. Hawks fängt es und zieht eine Schnute. „Oi! Ich mach vielleicht nicht viel im Haushalt – aber ich bin in anderen Bereichen ziemlich fleißig, findest du nicht?“ Er muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass Hawks anzüglich mit seinen buschigen Brauen wackelt. Vom Thema ablenken, das kann er gut. Vor allem mit Andeutungen über ihr Sexleben. Weil er weiß, dass Enji dagegen nicht viel sagen kann; er ist es nicht gewohnt, das so offen zu thematisieren. Das macht das Kontern schwer. „Das eine wiegt das andere nicht auf“, meint er daher nur, woraufhin Hawks etwas zu dramatisch seufzt. „Schade.“ Anstatt sich jedoch weiter zu beschweren, nimmt er das Handtuch und beginnt, das Geschirr abzutrocknen. Enji kommt wieder der Gedanke, wie harmonisch ihr Zusammenleben in der Regel ist, selbst wenn einige Aufgaben nicht gerade fair verteilt sind. Hawks würde vielleicht mehr im Haushalt machen, wenn Enji darauf bestehen würde. Die Wahrheit ist, dass es ihm nicht wichtig genug ist, um Diskussionen darüber zu führen. Der Jüngere ist nicht übermäßig schlampig. Zum Beispiel schmeißt er seine Kleidung in den Wäschekorb und lässt keine dreckigen Teller irgendwo herumstehen. Jedenfalls nicht länger als bis zum nächsten Tag. Das muss wohl reichen und nun, Enji hat vorher allein gewohnt. Er hat seinen Ablauf und irgendwie fügt sich Hawks in diesen so ein, dass es ihn nicht stört. Es gibt Wichtigeres in seinem Leben. „Hawks.“ Der Angesprochene sieht zunächst nicht von der Schüssel auf, die er gerade abtrocknet. „Mh?“ „Danke.“ Nun hebt er doch den Kopf, was Enji nur aus den Augenwinkeln sieht, da er weiter ins Spülbecken schaut, dann aber das Wasser ablaufen lässt. Sie sind fertig. „Wofür?“, hört er Hawks fragen. „Für heute. Für alles. Irgendwie“, brummt Enji, weil er nicht weiß, wie er sich ausdrücken soll, ohne dass es zu viel ist. „Es…war leichter als sonst.“ Hawks sieht ihn verdutzt an…dann schnaubt er leise. Er legt das Handtuch beiseite und stemmt die Hände in die Hüften, während er sich vor ihn stellt. „Wir sind ein Team, oder nicht? Du bist für mich da und ich für dich.“ Enji wendet sich ihm zu, mustert ihn einen Moment lang, ehe er nickt. Das sind sie wohl. Ein Team. Partner. Er lässt zu, dass Hawks einen Schritt auf ihn zumacht und die Arme um seinen Oberkörper schlingt, wobei er sein Gesicht in seine Brust drückt. „…und auch wenn du das immer runterspielst, ich weiß, dass es mit mir auch nicht immer einfach ist. Also mach dir keinen Kopf, Großer.“ Enji sieht auf ihn herunter, nicht wissend, was er sagen soll. Also drückt er Hawks einfach kommentarlos an sich und bleibt einen Moment so mit ihm, die Nase in seinen Haaren vergraben. Er weiß, was dieser meint. Die Tage, an denen Hawks nach Hause kommt und ihn mit diesem unechten Lächeln ansieht, das ihm deutlich macht, dass etwas nicht stimmt. Vermutlich sind es einfach die anfänglichen Schwierigkeiten, die neue Jobs oft mit sich bringen. Enji weiß es nicht sicher, aber Hawks immer wieder danach zu fragen, bringt nichts. Also beruhigt er sich damit, dass dieser schon mit ihm reden wird, wenn es an der Zeit ist. „Couch?“, hört er Hawks murmeln und nickt, während er ihn kurz drückt. Nichts ist perfekt. Sie beide schon gar nicht…aber es funktioniert und sie machen das Beste draus. Enji glaubt wirklich, dass sie einander guttun. Dass sie sich gegenseitig vor dem Fallen bewahren können. Es ist ein Prozess…und heute hat zumindest Enji, mit Hawks‘ Hilfe, einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Mehr kann man wirklich nicht verlangen. „Komm.“ Hawks lächelt ihn warm an. Ein ehrliches Lächeln. Zumindest glaubt Enji das. Kapitel 3: Education -------------------- „Midoriya!! Nimm verdammt noch mal die Beine in die Hände!! Da bin ich ja schneller!!“ Torinos laute, grantige Stimme schallt über den Parcours, während sie dem Grünhaarigen dabei zusehen, wie dieser sich alle Mühe gibt, die Hindernisse schnellstmöglich hinter sich zu bringen. Da das Wetter recht mild ist und es nicht regnet, haben sie sich für den Outdoor Platz entschieden. Midoriya ist nicht wirklich langsam, aber er hängt ein wenig hinterher, weswegen Torino, der vom alten Schlag ist, es wohl für eine gute Idee hält, ihn brüllend anzutreiben. Hawks weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, denn Midoriya zuckt zwar unter den Worten wie unter Peitschenschlägen zusammen – an seinem Tempo ändert sich aber nichts. Er ist ehrgeizig und fleißig, das weiß Hawks. Er trainiert viel härter als die meisten und irgendwann wird sich dies auszahlen. Laut dem, was Yaoyorozu erzählt hat, ist sein Weg wohl recht steinig gewesen, und vielleicht fühlt Hawks deshalb mehr mit ihm mit, als er sollte. Er sieht zu, wie sich Midoriya über die Mauer aus Holz zieht und schließlich ins Ziel stolpert, dabei beinahe stürzt. Mit seiner letzten Kraft kommt er zu ihnen herüber. Keuchend und japsend bleibt er dort gebeugt stehen, die Hände auf die Knie gestützt, während Torino mit der Zunge schnalzt – die Stoppuhr im Blick. „Na ja, schon besser als letztes Mal, aber beim nächsten Mal erwarte ich mehr!“ „Ja, Sir!“, presst Midoriya hervor, dessen Sommersprossen beinahe in seinem roten Gesicht verschwinden. Vermutlich ist er selbst am meisten über seine Leistung, die sich im Vergleich zum letzten Mal nicht viel verbessert hat, enttäuscht. Sorgen machen muss er sich wohl dennoch nicht, immerhin steigert er sich ja. Außerdem hat er in allen Fächern Bestnoten und darauf kommt es ja auch an. Hawks setzt ein Lächeln auf, ehe er zu ihm geht und ihm auf die Schulter klopft. „Ach was! Das war doch wirklich gut! Einfach dranbleiben, Midoriya!“, versucht er ihn aufzumuntern, woraufhin dieser ihn erschöpft anlächelt. „Danke, Hawks-san, ich-“ „Ihr seid nicht für Kaffeekränzchen hier!“, poltert Torino dazwischen. „Takami! Los! Du bist der Nächste!“ „Aye aye!“, erwidert Hawks grinsend und salutiert einmal, was Torino zum Kochen bringt. „Los jetzt!!“, regt sich der zu kurz geratene, alte Mann auf und startet die Zeit. Hawks flitzt los, kaum dass er das Brüllen vernimmt, und er müsste lügen, würde er behaupten, dass er sich Sorgen macht. Es ist, als würde man einen Schalter umlegen. Kaum ist er losgelaufen, gibt es nur noch den Parcours und ihn. Er kriecht unter Hindernissen hindurch, springt über sie drüber und klettert voran. Er weiß, dass er ziemlich schnell ist, und seine Sturheit, das Bestmögliche aus sich herauszuholen, trägt zusätzlich dazu bei. Er will das hier. Er will sein Ziel erreichen. Da er seinen Körper immer viel trainiert hat, ist es ein Leichtes für ihn, sich an dem dicken Seil über der Sandgrube entlang zu hangeln. Kaum ist er auf der anderen Seite, läuft er zur Holzwand und klettert an dieser hinauf, ohne zu wanken. Er hat ein gutes Gefühl für seinen Körper und damit auch keine Probleme mit dem Gleichgewicht. Als er schließlich am Ziel angekommen ist und Torino die Zeit gestoppt hat, erstarrt dieser kurz. „…nun…drei Sekunden schneller als beim letzten Mal“, brummt er schließlich, weil es daran nun einmal nichts zu meckern gibt. „Bestzeit. Nehmt euch ein Beispiel an Takami!“ Hawks hört wenige seiner Kameraden anerkennend murmeln, darunter Midoriya, doch umso mehr wünschen ihm vermutlich gerade die Pest an den Hals. Bakugous stechendem Blick begegnet er mit einem sonnigen Lächeln, das versteckt, wie unangenehm es ihm ist. Nicht, weil er denkt, dass es falsch ist, sein Bestes zu geben. Es ist einfach der Umstand, dass er noch nicht weiß, wie er mit den Feindseligkeiten umgehen soll. Im Club hat es da klare Regeln gegeben und er hat immer das Gefühl gehabt, dass seine Kollegen auf seiner Seite sind. Konkurrenz hin oder her, man ist ein Team gewesen. Hier ist das anders. Jedenfalls hat Hawks das Gefühl, dass es anders ist. Außerdem ist da dieses Gerücht über ihn. Einer der älteren Kollegen hat sich wohl an ihn erinnert. Hawks ist nicht so naiv, dass er nicht erwartet hätte, dass es irgendwann dazu kommen könnte. Bislang hat niemand den Mut gehabt, ihn direkt zu fragen, ob er ein Stripper gewesen ist, aber die Blicke und das Getuschel lassen ihn wissen, dass sie es liebend gern tun würden. Hawks ist kein Mensch, der Konfrontationen scheut oder sich für sich selbst schämt. Er hat Entscheidungen in seinem Leben getroffen, zu denen er steht. Die Sache ist nur, dass er nicht einschätzen kann, was passiert, wenn er damit so offen umgeht. Seine Vorgesetzten sind dazu in der Lage, ihm Steine in den Weg zu legen, und Hawks ist nicht so weit gekommen, um sich jetzt wegen Engstirnigkeit alles kaputtmachen zu lassen. Wenigstens scheint es Torino nicht zu beeinflussen, denn dieser behandelt ihn immer noch wie jeden anderen auch – er ist einfach von Natur aus ein grantiger, strenger Opa, der nach Leistung beurteilt. Also weiß er es entweder nicht oder er glaubt es nicht. Dass er das in Ordnung finden würde, daran zweifelt Hawks irgendwie. „Beispiel, sicher“, hört er Shishikura abfällig sagen und spürt, wie die Wut kommt. „Soweit kommt’s noch…“ Utsushimi flüstert Yaoyorozu etwas zu, woraufhin diese rot wird und den Blick abwendet. Hawks brennt eine entsprechende Erwiderung auf die Bemerkung auf der Zunge, doch er schluckt sie herunter. Nicht hier. Nicht jetzt. Er muss sich zusammenreißen, auch wenn das nicht seine Art ist. Lächeln. Er muss es weglächeln, wie er alles in seinem Leben weglächelt, was schiefläuft. „Ich will hier kein Getuschel hören!“, grollt Torino gereizt und funkelt die Mädchen und Shishikura an, der nur leise schnaubt. „Wir sind durch für heute. Geht duschen und verschwindet nach Hause!“ Freundlich wie immer. Hawks salutiert ein weiteres Mal grinsend und Torino sieht aus, als würde er ihn gleich erdrosseln, woraufhin er sich lieber umdreht und geht. Er wird seine Sachen packen und zuhause duschen. Tattoos sind bei der Polizei verpönt, auch wenn er seins auf dem Rücken trägt und es somit gut verstecken kann. Dennoch kennt er die allgemeine Haltung dazu und er braucht keine zusätzlichen Probleme. Noch etwas, das Hawks das Gefühl gibt, er müsste sich verstellen. Es ist so viel schwerer hier als im Club, wo ihn die Leute ebenso schnell ins Herz geschlossen haben wie er sie. „Uhm, Hawks-san?“ Hawks blickt auf, als er unerwartet angesprochen wird. Midoriya steht vor ihm und lächelt ihn zaghaft an. „Ein paar von uns wollen noch etwas essen gehen. Hast du vielleicht Lust, mitzukommen?“ Es ist das erste Mal, dass er gefragt wird, ob er mitkommen möchte. Vermutlich erweckt er einen abweisenden Eindruck, weil er nie mit ihnen zusammen duscht, sondern immer sofort geht. Dabei ist er doch eigentlich ein extrovertierter Typ, der bei seinen Mitmenschen gut ankommt. Eigentlich. Ja. „Sorry, Midoriya. Ich habe kein frisches T-Shirt mit. Will euch nicht aufhalten – aber nett, dass du fragst. Nächstes Mal bestimmt!“, versucht er ihm die freundlichste Absage zu geben, die ihm einfällt. „Oh, ich kann dir ein T-Shirt geben! Ich habe immer zwei dabei!“, strahlt ihn der Grünhaarige an und Hawks stockt. Soll er sich weiter rausreden? Enji hat bestimmt gekocht und wartet auf ihn. Andererseits hat er bisher keinen Anschluss gefunden und das hier ist eine Gelegenheit. „Da kann ich ja dann wohl schlecht nein sagen, hm?“, erwidert er gespielt gut gelaunt. „Okay, dann komm ich mit.“ „Lade nicht einfach irgendwelche Leute ein, Deku!“, knurrt Bakugou und funkelt sie beide finster an. „Man fragt gefälligst vorher die anderen, klar?! Das ist Anstand!!“ „Midoriya hat Yaomomo und mich gefragt!“, kommt es beiläufig von Sato, der sich in der Umkleide sein Shirt über den Kopf zieht. „Für uns ist das okay.“ „Für mich auch – und außerdem hättest du doch sowieso nur rumgemeckert“, unterstützt ihn Tokoyami monoton, der sich die struppigen, schwarzen Haare aus dem Gesicht streicht. „Was?!“, faucht Bakugou wie der Teufel. Hawks hebt eine Braue, wendet sich dann aber wieder Midoriya zu. „Ich ruf mal kurz jemanden an, dann mach ich mich fertig und bin dabei“, meint er mit einem Lächeln. „Okay! Dann bis gleich!“ „Ich bin’s. Ich komm später.“ „…ich habe gekocht. Wie spät?“ „Ich gehe mit Kollegen was essen, da konnte ich nicht nein sagen. Weiß nicht, wann ich nach Hause komme.“ „Mit…ja. Ist in Ordnung. Ich stelle deine Portion in den Kühlschrank.“ Hawks schweigt einen Moment und denkt darüber nach, was er sagen soll. Man merkt Enji an, dass er erleichtert über diese Nachricht ist. Befürchtet er, dass er nicht klarkommt? In den letzten Tagen haben sie sich öfter wegen solcher Dinge angezickt. Streit kann man das nicht wirklich nennen, aber Enji ist genauso genervt von ihm gewesen wie umgekehrt. Hawks weiß, dass es der Ältere gut meint und ihm nur helfen will, aber manches möchte er nicht ausdiskutieren. Er muss das auf seine Weise machen, auch wenn er noch nicht weiß, wie diese aussieht. „Gut, danke“, sagt er schließlich. „…und mach dir keinen Kopf. Ich komm zurecht.“ „Ich weiß.“ „Wirklich?“ „Hawks.“ „Schon gut, hab nichts gesagt. Lieb dich und so, bis nachher~!“ Er drückt einen Schmatzer auf das Handy und legt dann auf, ehe er tief durchatmet. Das kann ja was werden. Er weiß ja selbst nicht, warum er nicht einfach cool mit allem sein kann wie sonst auch. Vermutlich ist es die verdammte Unsicherheit. Vorher hat er gewusst, was er sagen darf und was nicht. Wie weit er gehen darf, bevor er sich in Schwierigkeiten bringt. Hawks wirft einen Blick in den Spiegel, während er vor dem Waschbecken steht, und seufzt über sich selbst. Langsam reicht es. Er muss sich fangen. Heute ist die perfekte Gelegenheit dafür. Er nimmt sein Handtuch und beginnt mit der Katzenwäsche, ehe er zu Midoriya zurückgeht, um sich das T-Shirt zu borgen. „…du bist ein All Might Fan, hm?“ Hawks lächelt breit, während er mit den anderen um den runden Tisch auf seinem Kissen sitzt und einen Schluck von dem süßen Zeug nimmt, das er sich bestellt hat. Melonen-Geschmack. Zu ihnen haben sich noch Yaoyorozu und Uraraka gesellt, die er beide in Ordnung findet. Midoriya scheint ein bisschen verknallt in Letztere zu sein, was irgendwie süß ist. „Ja! Total! Er ist zwar im Ruhestand, aber ich habe früher jedes seiner Spiele gesehen! Das war der Wahnsinn, wie er mit dem Texas Smash die Mauer der Gegenspieler jedes Mal durchbrochen hat! Und dann ist er auch noch so bescheiden! Ich habe jedes Interview gesehen und-“ „Hör endlich auf, rum zu schwafeln!“, zischt ihn Bakugou gereizt an. „Außerdem bist du nicht der einzige All Might Fan, also Schnauze!“ „Kacchan findet ihn auch klasse!“, klärt Midoriya ihn strahlend auf, obwohl der Blonde wirkt, als würde er ihm gleich eine runterhauen. „Wir sind zusammen zur Schule gegangen und hatten sogar einen Fanclub!“ „Das interessiert keinen!!“, wird er erneut angeblafft. Hawks sieht von einem zum anderen, ehe er langsam an sich heruntersieht. Toshinoris um einiges jüngeres Gesicht prangt auf seiner Brust. Enji wird ausflippen. Er sieht wieder zu seinen beiden Kollegen, überlegt einen Moment. „Ich kenne ihn. Toshi…also All Might. Er ist ein Freund von mir.“ „Was?!“ Die beiden rufen es zeitgleich aus und starren ihn an. Eigentlich hat Hawks immer das Gefühl, dass Bakugou ihn verabscheut, aber so wie er sich den anderen gegenüber verhält, ist das wohl einfach sein Charakter. „Jep. Kein Scheiß“, meint er und lächelt die zwei an, während er ihnen ein Foto vor die Nase hält, wo sie beide auf einem Selfie zu sehen sind. „Das ist ja unglaublich!! Kannst du uns vorstellen?! Ein Autogramm besorgen?! Ein-“ Bakugou haut Midoriya die flache Hand auf den Mund und funkelt ihn aus seinen roten Augen an. „Wie kommt so ein Knilch wie du an All Might, huh?!“ Vielleicht sollte Hawks nicht sagen, dass Toshi mal bei ihnen im Stripclub herumgelungert hat. Das wäre sicher auch diesem unangenehm. Zumal er das lieber für sich behält. Was er jetzt aber gut einfließen lassen kann, ist, dass er mit einem Mann zusammen ist. „Er ist ein Freund von meinem Freund. Wir hängen ab und zu ab.“ „Wie cool!!“, dringt es gedämpft durch Bakugous Hand. „Du hast einen Freund, Hawks-san?“, fragt Yaoyorozu interessiert, aber keinesfalls feindselig. „Das wird den Frauen auf dem Revier das Herz brechen“, murmelt Sato in sein Bier hinein. „Wobei durch das Gerücht ja-“ „Sato-kun!“, ermahnt ihn Uraraka streng, ehe sie ihn anlächelt. „Wie ist dein Freund so, Hawks-kun?“ „Müssen wir uns diesen Scheiß jetzt geben?“, knurrt ihr Bakugou dazwischen, bevor Hawks antworten kann. „Er ist schwul, er hat nen Freund und das halbe Revier redet darüber, dass er an der Stange getanzt hat. Ende. So. Erzähl mehr über All Might. Bist du deswegen so schnell? Hat er dich trainiert, oder was?“ Die Stille, die daraufhin am Tisch herrscht, ist wohl für jeden unangenehm. Abgesehen von Bakugou. Hawks weiß nicht, was er sagen soll. Eigentlich hat er sich diese Angelegenheit immer sehr schwierig ausgemalt, sollte sie zur Sprache kommen. Er hat gedacht, dass Bakugou deswegen so ätzend zu ihm ist, weil er ihn deswegen verachtet. Shishikura tut dies zumindest deswegen. Er hat den ein oder anderen Spruch zu viel gemacht, als dass es anders sein könnte. „Kacchan!“, entkommt es Midoriya entsetzt, kaum dass er die Hand von seinem Mund gezogen hat. „Das geht uns doch überhaupt nichts an!“ „Du hast wirklich keine Manieren“, murmelt Tokoyami zustimmend. „Was denn?! Jeder denkt das doch! Nur spricht’s keiner aus. Tse. Mir scheißegal, ob’s stimmt oder nicht, klar?! Mich juckt nur, warum das Spatzenhirn schneller ist als ich!“ Es ist nicht Hawks‘ Art, einfach nur dazusitzen und zu beobachten. Eigentlich hätte er sich längst zu Wort gemeldet, schon weil er es nicht leiden kann, wenn man über ihn redet, als wäre er nicht anwesend. Das kennt er zu gut von seinen Eltern. Es ist respektlos. Gerade ist es aber viel zu informativ, wie die einzelnen Personen auf Bakugous Herausposaunen reagieren. Die meisten von ihnen schämen sich anscheinend – aber wohl eher für ihren Kollegen. Sato hat den Blick gesenkt, ebenso wie Yaoyorozu, aber keiner schaut angewidert. Hawks atmet durch, ehe er einen Entschluss fasst. „Ehrlich gesagt bin ich fast erleichtert, dass mir das mal jemand ins Gesicht sagt“, unterbricht er sie und alle Augen richten sich auf ihn. „Und ich dachte schon, du benimmst dich mir gegenüber wie ne offene Hose, weil ich mal gestrippt habe. Was das angeht – ja. Das Gerücht ist wahr. Ich schäme mich nicht dafür und ich wurde auch nicht gezwungen. Es war einfach ein gut bezahlter Job, bei dem ich nebenbei viel Zeit zum Lernen hatte. Wer deswegen geringer von mir denkt – sorry, aber der kann mich mal.“ Abermals herrscht bleierne Stille. Anscheinend sind sie alle etwas befangen bei dem Thema, doch es ist Midoriya, der sich als Erstes fasst. „Wie Kacchan gesagt hat, es ist egal, ob es stimmt oder nicht. Du bist aus demselben Grund hier wie wir, oder nicht? Du willst ein guter Polizist werden und den Menschen helfen. Wer so ein Ziel hat, hat auch Respekt verdient.“ So einfach ist das? Und er hat sich darauf eingestellt, dass man ihn ausfragt und ihn verurteilt. Sicher, sie sind seine Kollegen, nicht seine Vorgesetzten, und sie sind jünger, aber dennoch… „Deku-kun hat Recht!“, pflichtet Uraraka ihm bei und ihr Lächeln wirkt ehrlich. „Welche Gründe du auch hattest, es geht niemanden etwas an.“ Hawks weiß nicht, was er dazu sagen soll. Es fühlt sich an, als würde nach und nach ein Knoten in seinem Inneren platzen. Er ist die ganze Zeit so angespannt gewesen und auch, wenn das hier nicht seine Probleme löst, ist es ein gutes Gefühl, zu wissen, dass ihn nicht jeder ablehnt. „Ja…das stimmt schon. Ich meine, ich versteh nicht, warum jemand…sowas tut, aber…es geht mich ja wirklich nichts an“, meint Sato langsam. „Ich…bist du deswegen immer gleich abgehauen? Weil du dachtest, wir würden dich deswegen niedermachen oder so? Ich dachte immer, du willst nichts mit uns zu tun haben, weil du dich für etwas Besseres hältst.“ Hawks stutzt. „Eh…nein. Das ist nicht der Grund, nur…“ Er zögert erneut und gleichzeitig hasst er es. Es ist nicht seine Art, so unsicher zu sein – und irgendwann werden sie es wohl sowieso erfahren. „Mein Rücken ist tätowiert. Das ist noch so eine Sache, bei der ich nicht wollte, dass sie sich herumspricht. Es wäre mir auch ganz lieb, wenn ihr nicht darüber redet. Weder über das eine, noch über das andere. Wie ich sagte, ich schäme mich nicht dafür und ich stehe zu den Entscheidungen, die ich getroffen habe. Ich möchte nur keinen schlechten Start.“ „Den hast du schon.“ Bakugou stützt sich schlecht gelaunt auf seinen Handrücken, sichtlich genervt von dem Thema. „Bakugou-san!“, kommt es entrüstet von Yaoyorozu, doch der Angesprochene schnaubt. „Was? Ist doch so. Fleischkloppsgesicht erzählt es eh überall rum. Der Zug ist abgefahren. Wer sich das Maul zerreißen will, tut’s auch. Wer dich deswegen scheiße behandeln will, wird das tun. Leb damit, box dich durch und fertig.“ Auch wenn er sich wie ein Arschloch ausdrückt, hat er damit eigentlich Recht. Hawks kann nichts dagegen machen, wenn er sich nicht selbst verleugnen und lügen will. Irgendwie ironisch, wo er doch so gut vortäuschen kann, dass alles toll ist. „Du solltest echt an deiner Empathie arbeiten“, brummt Sato kopfschüttelnd, doch Hawks winkt ab. „Nein. Schon gut. Es stimmt ja, was er sagt. Eigentlich weiß ich das auch…“ Er hält für einen Moment inne, ehe er schief grinsend in die Runde blickt. „…ich bin sonst niemand, der sich zurückhält oder was auf die Meinung anderer gibt. Ich musste das bisher nicht. Aber da gab es andere Regeln und das hier ist neu. Es ist mir wichtig und ich will es nicht verkacken. Wenn ihr mich für arrogant gehalten habt, hab ich’s wohl nicht besonders klug angestellt, hm?“ „Also bei uns musst du dich nicht zurückhalten“, kommt es freundlich von Uraraka. „Wenn du möchtest, kannst du öfter mal mit uns mitkommen.“ „Vorausgesetzt, du erträgst Bakugou“, brummt Sato, wofür ihm von eben jenem mit der Faust gedroht wird. „Halt den Rand, Zuckerfresser!“ „Sato-san backt gern. Er bringt öfter mal Kuchen mit“, erklärt Yaoyorozu die ungewöhnliche Beleidigung. „Ah ja…jedenfalls danke. Ihr wisst echt nicht, was mir für ein Stein vom Herzen fällt, dass ihr so reagiert. Hab ich mir schwieriger vorgestellt…und ich werde Toshi mal fragen. Also wegen einem Treffen. Kann mir nicht vorstellen, dass er etwas dagegen hat. Er ist echt nett.“ „Wirklich?!“, entkommt es Midoriya und seine Augen glänzen vor Begeisterung. „Du bist der Beste, Hawks-san!!“ Hawks grinst schief und kratzt sich geschmeichelt an der Wange. „Ach was…“ Dass es so einfach sein würde, mit ihnen klarzukommen, das hat er nicht erwartet. Selbst Bakugou, der irgendetwas in sich hinein grummelt, scheint nicht mehr ganz so feindselig zu sein. Gut, bei ihm liegt es wohl eher an Toshinori, aber was soll’s. Das hier löst nicht all seine Probleme, aber damit allein zu sein, ist definitiv schlimmer, als zumindest ein bisschen Rückhalt zu bekommen. „Was habt ihr sonst noch für Hobbies? Sato backt ja scheinbar gern, ihr zwei mögt Football…“, zählt er auf und sieht zu Tokoyami und den beiden Mädchen. „Also ich lese unheimlich gern! Vor allem Enzyklopädien!“, schwärmt Yaoyorozu mit so leuchtenden Augen, dass man es ihr sofort glaubt. „Und ich mache in meiner Freizeit Kampfsport!“, strahlt Uraraka und boxt dabei in die Luft, um es zu veranschaulichen. Hawks stutzt. „Ach echt?“, entkommt es ihm, weil man ihr das überhaupt nicht ansieht. „Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.“ „Uraraka-san ist unglaublich!“, kommt es euphorisch von Midoriya, woraufhin sie ein wenig rot wird. „Ach was…“ „Und du, Tokoyami?“, erkundigt sich Hawks bei ihrem eher stillen Kollegen. Ruhig wird er aus roten Augen angesehen, dann neigt der andere leicht den Kopf. „Ich sammle okkulte Dinge.“ Irgendwie passt das zu ihm, vor allem, weil er ausschließlich schwarz und Nieten trägt. „Cool!“ „Und du, Hawks-san?“, fragt Midoriya gespannt. „Uhm, also, wie ihr euch das wohl schon denken könnt, tanze ich gern – oh, und Superheldenfilme! Mein Freund und ich sind jetzt fast mit allen Marvel-Filmen durch. Wir schauen gerade die X-Men-Reihe.“ „Echt?! Kacchan und ich lieben Superhelden!“ „Ich hab gesagt, sprich nicht über mich, verdammt!!“ Hawks muss grinsen, als Bakugou so los schnauzt, was den Grünhaarigen jedoch nur kurz zusammenzucken lässt, ehe er einfach weiterplappert. Die Stimmung fühlt sich so locker und natürlich an, dass es ihn ein bisschen an das Zusammensein mit den Leuten aus dem Club erinnert. Sie sind alle sehr unterschiedlich und dennoch scheinen sie sich gut zu verstehen. Zum ersten Mal, seit er bei der Polizei angefangen hat, fühlt er nicht dieses beklemmende Gefühl, als würde ihm jemand die Luft abdrücken. Er kann frei atmen. Wieder mehr er selbst sein. Es fühlt sich richtig an. Als er sich auf dem Rückweg befindet, ist das Gefühl immer noch da, auch wenn es etwas abgeschwächt ist. Bedenken mischen sich in seine Hochstimmung. Immerhin hat er ihnen heute Abend einiges anvertraut. Er glaubt zwar nicht, dass sie das ausnutzen werden, aber dennoch haftet ein bitterer Beigeschmack daran. Es spielt eigentlich keine Rolle, denn irgendwann hätte er ohnehin Stellung bezogen, aber dass er es jetzt wirklich getan hat, ist ein seltsames Gefühl. Er will glauben, dass es von nun an leichter wird, mit den Kommentaren umzugehen, die er gelegentlich bekommt. Bakugou mag nicht gerade feinfühlig sein, aber er hat Recht damit, dass er sich durchkämpfen muss. Er kann für sich kämpfen, wenn es nötig ist. Trotzdem ist es ein schöner Gedanke, dass er nun nicht mehr auf sich allein gestellt ist. Er schließt die Tür auf und sieht direkt das flackernde Licht des Fernsehers. Also ist Enji noch wach. Ob er auf ihn gewartet hat? Er zieht die Schuhe und Jacke aus und geht dann in Richtung Wohnzimmer, wo sein Freund auf der Couch liegt und wohl kurz vor dem Einschlafen ist. Müde wird Hawks angeblinzelt, dann reibt er sich die Augen und schaltet den Fernseher leiser. „Hey…“, brummt er und richtet sich ein wenig auf, damit sich Hawks zu ihm setzen kann. „Hey“, murmelt er zurück und küsst ihn auf die Wange. „Wie war’s?“, wird er gefragt und lehnt sich an die breite Brust des anderen. Obwohl es in letzter Zeit schwierig gewesen ist, brauchen sie die Nähe zueinander. Sie können beide nicht darauf verzichten. Wie gesagt, es ist nicht so, dass sie streiten. „Meine Kollegen wissen jetzt, dass das Gerücht, dass ich mal Stripper war, die Wahrheit ist. Sie wissen, dass ich tätowiert bin…und sie denken nicht mehr, dass ich mich für etwas Besseres halte, weil ich immer direkt verschwinde, anstatt mit ihnen zu duschen. Scheinbar ist auch keiner von ihnen homophob oder so – hat keiner hinterfragt, dass ich einen Freund habe.“ Das ist mehr, als er Enji die ganzen Monate erzählt hat, aber es fasst die Situation wohl ganz gut zusammen. Sein Freund schweigt einen langen Moment, ehe er schnaubt. „Ich wusste, dass du mir etwas verschweigst…“ „Du hättest da nichts machen können, Enji“, erwidert Hawks ruhig. „Es gibt Dinge, da muss ich einfach durch. Ich wusste ja selbst nicht, wie ich damit umgehen soll – und nur weil es jetzt für ein paar Leute kein Problem ist, ist die Sache auch nicht komplett vom Tisch.“ Enji dreht ihm den Kopf zu, funkelt ihn aus seinen türkisfarbenen Augen an. „Mobbt dich jemand?“ „Bisher nicht. Aber es kann dazu führen, dass die Leute anders mit mir umgehen.“ „Heutzutage kann man dagegen angehen“, fängt Enji an, woraufhin Hawks genervt stöhnt. „Das weiß ich. Mir ist bewusst, dass ich das kann, aber noch ist nichts passiert. Dumme Sprüche oder dass man jemanden nicht mag, das gibt es immer. Ich kann noch nicht einschätzen, wie es sich auswirkt, wenn klar wird, dass es nicht nur Gerede ist. Deswegen habe ich nichts gesagt. Ich muss damit auf meine Weise fertig werden – und ich weiß noch nicht, wie die aussieht. Heute…war einfach ein guter Anfang.“ Er kann sich vorstellen, wie schwer es für den Älteren sein muss, zu merken, dass es ihm nicht gutgeht, und nichts tun zu können. Dennoch…das ist seine Sache. „Warum sagst du das nicht einfach?“ Er stutzt und schaut zu diesem hoch. „Hab ich doch jetzt.“ „Ja. Jetzt. Du hättest einfach sagen können, was los ist und dass du es allein machen willst. Stattdessen lächelst du mich an, sagst, es ist alles in Ordnung, und wenn ich noch mal frage, wirst du biestig. Du vertraust mir nicht.“ Hawks weiß nicht, was er sagen soll. Er richtet sich auf und setzt sich vor ihn hin, runzelt die Stirn. „Ich vertraue dir ja wohl genug.“ „Nicht in Bezug auf dich. Du vertraust mir, dass ich nicht hinter deinem Rücken trinke und dass ich weiter zur Therapie gehe, aber was dich persönlich betrifft, machst du es noch genau wie bei der Sache mit deinen Eltern.“ Hawks spürt, wie er automatisch in Abwehr gehen will und wie sein Blut bei dem Thema hochkocht. Er will nicht, dass Enji seine Eltern erwähnt. Das ist nicht dasselbe. „Das stimmt nicht.“ Enji schnaubt, was deutlich macht, dass er das anders sieht. „Anstatt Ausflüchte zu suchen, sag mir einfach den Grund. Du willst Ehrlichkeit von mir – aber wenn das einseitig ist, bringt das nichts, Hawks. Sag mir, warum du meinst, mir ins Gesicht lächeln und lügen zu müssen, wenn du Probleme hast. Wenn ich dir das Gefühl gebe, dass du das tun musst, dann-“ „Nein!“, faucht er ihm dazwischen, weil mit jedem Wort seine Wut größer wird. Er wird selten wütend, weil er sich eigentlich ganz gut kontrollieren kann. Weil er derjenige ist, der sich zusammenreißen muss. Enji versucht sich zu bessern, aber er besitzt keine lange Zündschnur. Er will nicht mit ihm streiten. Er hasst Streit. „Was dann?!“, grollt der Rothaarige ebenfalls erzürnt und sie starren einander an. „Du mischst dich bei mir ein – und ich kann nichts dagegen machen. Aber du schließt mich aus!“ „So ist das nicht!“, entfährt es ihm lauter, als er will. „Es ist…du weißt nicht…du verstehst nicht-“ „Was versteh ich daran nicht?!“ „Hör auf, mich anzuschnauzen!“ „Dann hör du auf, herumzustammeln! Sonst haust du auch alles raus, was dir nicht gefällt!“ „Das geht eben gerade nicht so einfach!!“ Er spürt seinen Puls rasen, merkt, wie er aus der Situation flüchten will. Der Stress der letzten Wochen hat scheinbar seine Spuren hinterlassen, wenn ihn das jetzt so mitnimmt. Anders kann er es sich nicht erklären, denn seine eigene Reaktion erschreckt ihn. Vermutlich, weil er sich in die Enge getrieben fühlt und damit hat er noch nie gut umgehen können. Der Widerwillen, über sich zu reden, ist stark. Vielleicht, weil es bisher niemanden interessiert hat, wie er sich fühlt. Oder weil er sich nicht wieder schwach fühlen will. Er weiß nicht, was es ist, doch es sorgt dafür, dass etwas in ihm aussetzt. Ähnlich einem Blackout…und Enji scheint das nicht zu entgehen. Sein seltsamer Blick macht es noch schlimmer und Hawks weicht unweigerlich einen Schritt zurück, sieht ihn mit geweiteten Augen an. Es fällt ihm schwer, sich zu fokussieren. In seinen Ohren rauscht es und er spürt, wie sich die Welt um ihn herum zu drehen beginnt. Was zum… „Hawks.“ Ihm fällt erst jetzt auf, wie sehr er zittert. Ihm ist plötzlich eiskalt. Scheinbar muss er auch dementsprechend aussehen, denn Enjis Miene ist von wütend zu besorgt gewechselt. Er weiß nicht, was er sagen soll, kann ihn nur anstarren. Er bekommt schwerer Luft als sonst und…irgendwie kommt ihm das alles bekannt vor. Er wehrt sich nicht, als Enji ihn in seine Arme zieht und ihn so fest hält, wie es nur geht. Sein Geruch ist so vertraut und beruhigend, dass er sich einfach an ihn lehnen und loslassen will. Da ist so viel Druck in seinem Inneren, mit dem er nicht wohin weiß. Dennoch…hindert ihn etwas daran. „Hab ich…ne Panikattacke?“, murmelt er gepresst gegen Enjis Hals. „Vermutlich.“ Es ist das erste Mal, dass Enji ihn halten und beruhigen muss. Sonst ist es umgekehrt. Er versteht nicht, warum das jetzt passieren muss. Eigentlich ist heute ein guter Tag gewesen. Der Kloß in seinem Hals scheint anzuschwellen, doch Hawks weigert sich, dem Drang nachzugeben. Er wird nicht heulen. Das macht nichts besser. Es lässt einen nur furchtbar aussehen. Wenn er früher geweint hat, hat ihn niemand so gehalten. Also hat er damit aufgehört. „Ich denke deswegen nicht anders von dir.“ Hawks lächelt bitter gegen seinen Hals, doch er kann nichts erwidern. Irgendwie fällt ihm kein Spruch ein, der das Ganze hier weniger unangenehm macht. Da ist nur Leere in ihm und sein zugeschnürter Hals. „Ich lass uns ein Bad ein.“ „…Bad?“ „Um dich aufzuwärmen. Du bist eiskalt.“ Hawks nickt nur müde, auch wenn es ihm schwerfällt, sich aus der Umarmung zu lösen. Es geht ihm nicht gut, ganz und gar nicht. Als Enji ins Bad hinübergeht, wischt er sich kurz verstohlen über die Augen. Mann…er hat wirklich ein Problem. Als sie wenig später in der großen Badewanne liegen, Enji hinter ihm, fühlt sich Hawks tatsächlich etwas besser. Sein Kreislauf scheint nicht mehr ganz im Keller zu sein und die Nähe zu seinem Freund ist angenehm. Obwohl er weiß, dass er es nicht muss, schämt er sich für seinen Ausbruch und wenn er jetzt über alles nachdenkt, wird ihm klar, dass Enji Recht hat. Sein Blick fokussiert sich auf die weißen Kacheln an der Wand, während er mit dem Kopf an Enjis Schulter lehnt, wobei dieser locker die Arme um ihn gelegt hat. „…schätze, ich wollte es mir selbst nicht eingestehen“, murmelt er nach einer Weile. „Ich hab mich so darauf gefreut und alle haben sich für mich gefreut und gemeint, ich schaffe das locker. Polizist werden, war immer mein Traum. Es ist mein Traum.“ Er atmet tief durch, streckt die Beine kurz aus, ehe er sie wieder etwas anwinkelt. „Ich hab damit gerechnet, dass ich anecke. Als das Gerücht dann aufkam, wollte ich am liebsten allen sagen, dass es stimmt und dass ich mich nicht dafür schäme. Dass ich bin, wie ich bin, und dass meine Leistung zählt.“ Er presst kurz die Lippen zusammen. „Aber irgendwie konnte ich das dann nicht. Ich hab so hart dafür gearbeitet, dorthin zu kommen, und meine Leistungen sind über dem Durchschnitt – ich hatte Angst, dass es etwas ändert, wenn ich…ich bin. Und mit dir darüber zu reden, hätte mir dann bewusst gemacht, wie feige ich mich verhalte. Also hab ich weitergemacht und mich auch vor dir verstellt. Ich wollte keine Erwartungen enttäuschen. Weder meine eigenen, noch die anderer. Ergibt das…irgendwie Sinn?“ Enji hat bisher geschwiegen, ihm einfach nur zugehört und er ist dankbar dafür. Er hört ihn seufzen. „Ja. Tut es.“ Hawks ist froh, dass er das sagt, denn er ist immer noch etwas durcheinander. „Auch wenn du ein Idiot bist“, fügt er wenig sensibel an. „Danke“, erwidert Hawks trocken. „Es ist völlig normal, dass man sich erstmal zurückhält, wenn man irgendwo neu ist“, fährt sein Freund fort. „Dass man erstmal die Situation abschätzt und dann schaut, wie man damit umgeht…alles andere wäre dumm. Es ist, wie du sagst, du bist nicht mehr im Club. Bei der Polizei gelten andere Regeln und du musst selbst entscheiden, was richtig ist.“ Kurz hält er inne, ehe er dann doch weiterredet. „Ich will dich weder bevormunden noch kritisieren. Alles, was ich will, ist, dass du es mir sagst, wenn es dir nicht gut geht…und dass du dich bei mir nicht zurückhältst.“ Hawks verzieht unweigerlich das Gesicht, denn er weiß, was dieser meint. „Ist nicht so, dass ich das mit Absicht mache. Ich…irgendwas in mir…sperrt sich da. Ist…wie eine Automatik.“ „…du redest immer von Klischees. Dass Männer nicht heulen, ist eins“, kommt es so prompt von Enji, dass Hawks tatsächlich sprachlos ist. „Eh…“, erwidert er gedehnt und lehnt langsam den Kopf in den Nacken, um ihn ansehen zu können. „Wenn ich es also verkraften kann, vor dir zu heulen, kannst du auch das dämliche Grinsen weglassen, wenn es dir schlecht geht.“ Man sieht Enji an, wie viel es ihm abverlangt, so offen darüber zu reden. Enji ist um einiges älter als er und er ist die Generation, der diese Grundsätze vom starken Mann noch eingebläut worden sind. Auch wenn er sich bei ihm fallen lässt, fällt es ihm jedes Mal schwer. Hawks weiß, dass er das hier für ihn sagt, damit er sich nicht blöd vorkommt. Es rührt etwas in ihm und vielleicht brennen seine Augen deswegen so plötzlich. Weil er gerade begreift, was er an dem anderen hat und wie verletzt dieser von seinem Verhalten gewesen sein muss. „Okay…“, quetscht er hervor und spürt gleichzeitig, wie Enjis Umarmung fester wird. „Ich versuch’s…aber du musst echt geduldig mit mir sein. Ich kann nicht einfach…umschalten. Das ist…ich hab das jahrelang so geregelt und…jetzt…“ Selbst jetzt will er lächeln und es einfach herunterspielen. Weil er das gut kann. Weil er das sein ganzes Leben lang so gemacht hat. Weil es funktioniert hat. Für jeden um ihn herum. Als Ergebnis davon hat er heute eine Panikattacke bekommen, weil Enji ihm etwas ruppiger auf den Zahn gefühlt hat. Hawks ist stur, aber nicht so stur, dass er nicht einsieht, dass es an der Zeit für Veränderung ist. Nicht komplett oder von jetzt auf gleich, aber er muss wohl auch an sich arbeiten. In diesem Moment möchte er an sich arbeiten. „Ich bin geduldig. Keine Sorge“, brummt Enji ihm zu, woraufhin Hawks den Kopf neigt. „Sicher? Ist sonst nicht so deine Stärke…“ „Ich geb dir gleich…“ Hawks muss trotz allem schmunzeln, weil ihn gerade die Erleichterung überkommt. Er lehnt sich an den Hünen, verschränkt ihre Hände miteinander und atmet tief durch. Irgendwie fühlt es sich nun an, als könnte er freier atmen. Vielleicht kann er ja wirklich lernen, seinen Verhaltensmustern zu entkommen. Zumindest muss er es versuchen, wenn er will, dass das mit Enji und ihm dauerhaft funktioniert. Wahrscheinlich ist es längst an der Zeit. „Oi“, murmelt er, während er an der breiten Brust lehnt. „Hm?“ „Danke.“ „Wofür?“ „Dafür, dass du so hartnäckig versuchst, mir zu helfen, obwohl ich wohl ein hoffnungsloser Fall bin.“ „Nun, das dachte ich auch über mich…und dann kam so eine Nervensäge und meinte, sich überall einmischen zu müssen.“ Hawks muss lächeln, als ihm Enji bei den Worten durch die feuchten Haare streicht. Er schließt die Augen, um es besser genießen zu können. „Stimmt wohl“, gibt er leise zu. „…und Hawks?“ „Mh?“ „Ich habe nicht vor, mich einzumischen…aber wenn du mich brauchst, bin ich da.“ Und da ist es wieder. Das Gefühl, das er sonst immer unterdrückt. Er tut es auch jetzt, obwohl es ihm schwerfällt. Noch ist er nicht so weit. Irgendwann bestimmt. Er vertraut Enji. Er liebt ihn. Das ist mehr als genug. „Weiß ich doch“, erwidert er, trotzdem er es sich erst bewusst machen muss. Enji belässt es dabei und hält ihn. Es ist alles, was Hawks im Moment braucht. 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