Der Tag an dem ich dich nicht hassen konnte von Samantha_san ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Tag an dem ich dich nicht hassen konnte A/N: Also, bitte nicht beim Lesen dieser Story erschrecken - falls jemand sie liest - weil sie so sehr von dem abweicht was ich sonst so schreibe. Diese Story ist nämlich ein Feldversuch: Was passiert wenn zwei Leute, mit völlig unterschiedlichen Ansichten und einem völlig unterschiedlichem Schreibstil, eine Story zu einem wenigstens ansatzweise ähnlichem Thema schreiben, die mit dem Satz beginnt mit dem die andere endet und umgekehrt? Nun, diese Story und der Gegenpart von Harakiri sind die Resultate. Ich sollte an dieser Stelle anmerken, dass das Thema und die Idee auf ihrem Mist gewachsen sind und ich ursprünglich vorhatte eine andere Story zu schreiben, die aber ähnlich hätte anfangen sollen, wie diese es tut... nun ja egal, bevor es zu verwirrend wird, jedenfalls ist es also nicht meine Schuld falls dieses Schriftstück nicht jeden Geschmack trifft. Außerdem ist diese Geschichte schließlich in ihrer jetzigen Fassung, zumindest größtenteils (ich habe sie mehrmals geschrieben und ebenso häufig gelöscht) entstanden als ich wütend die Treppe wischen musste und als ich schwer enttäuscht und leicht depressiv aus der Schule zurückkam, nachdem man mich, obwohl ich nun wirklich nicht sehr sensibel war, ziemlich arg getroffen und beleidigt hatte... was dabei so herauskommen konnte... Bitte verbrennt mich nicht! Du hast mich verraten... Ich stand vor dem Spiegel in meinem Badezimmer, sah hinein und es brauchte eine Weile bis ich erkannte, dass die Frau mit den kalten, eisblauen Augen, den hellen, fast weißen Haaren und der dunklen, leicht golden schimmernden Haut, die aus dem Spiegel mit einem völlig ausdruckslosem Gesicht zurücksah, ich selbst war. Augenringe lagen unter meinen Augen, auf meiner Lippe sah man ein wenig Schorf, an der Stelle wo die Unterlippe aufgeplatzt gewesen war, meine Haut wirkte trotz ihrer natürlichen Brauntönung blass; ich sah aus wie jemand der Schlaf ganz gut vertragen könnte. Aber ich konnte und wollte nicht schlafen, denn jedes mal wenn ich die Augen schloss sah ich es wieder, erlebte und fühlte ich es wieder. Sah wie deine Lippen von meinem Blut rot und feucht waren, sich schließlich zu einem triumphierenden Grinsen verzogen, erlebte noch einmal jene schreckliche Nacht von vor drei Tagen und fühlte wie deine Hände, deren Haut sich sehr kühl auf der meinen anfühlte, mich mit unbarmherziger Kraft festhielten, zunächst gegen die massive Hauswand und später gegen die leicht nachgebende Matratze meines Bettes drückten. Deshalb wollte ich nicht schlafen, wollte meine Augen nicht schließen, obwohl ich wusste, dass es so nicht weiter ging, dass ich nicht pausenlos wachen, ja funktionieren konnte. Denn nichts anderes hatte ich den letzten Tagen gemacht, funktioniert. Ich war morgens aufgestanden, hatte mich angezogen und darauf geachtet, dass mein weißes Hemd, die Krawatte und mein Anzug die Bissspuren an meinem Hals und den dünnen Verband den ich darum gewickelt hatte verbargen, bevor ich meiner Arbeit wie immer nachgegangen war; alles wie immer, so als wäre nichts geschehen. Niemand hatte etwas bemerkt, nicht einmal Walter. Niemand hatte realisiert wie es mir ging, wie schrecklich ich mich fühlte und es immer noch tat. Wie sehr der Wunsch nach vergessen meinen Geist erfüllte. Die Frau im Spiegel weinte, Tränen rannen langsam, zunächst nur vereinzelt, dann als steter Strom ihre Wangen herunter, verweilten einen Moment an ihrem Kinn und tropften dann herab auf den Kragen ihres Hemdes, benetzten das kleine schlichte Goldkreuz das über der Krawatte befestigt war. Es sah ganz danach aus als würde sie aufgeben, als könnte sie, was auch immer sie dazu brachte hier und jetzt zu weinen nicht länger ertragen. Ich überlegte einen Moment und realisierte, dass ich nicht verstand was ich sah. Warum weinte ich? Warum weinte ich erst jetzt? Warum konnte ich es vorher nicht, warum habe ich nicht geweint als es passiert ist, warum nicht unmittelbar danach? Warum jetzt? Diese Fragen würden sich hinten an die lange Kette von Fragen anstellen müssen, die seit jener Nacht meine Gedanken beschäftigten und, sosehr ich auch versuchte das alles zu verdrängen, zu vergessen, aus meinem Geist zu verbannen, einfach immer wieder in mein Bewusstsein drängten. Es war mir unmöglich zu verstehen was dich überhaupt dazu bewogen hatte, es auf diese Art und Weise zu tun. Du hättest es doch viel leichter haben können, du hättest mich damals als Kind töten, oder mir deinen Willen mit weitaus weniger Anstrengung aufzwingen können. Warum hattest du es nicht getan? So wie du immer wieder sagtest, dass du uns Menschen nicht verstehen konntest, so wenig konnte ich dich verstehen. Warum hattest du es erst jetzt getan, nachdem du zehn Jahre lang mein Vertrauen erarbeitet hattest? Damit es mehr weh tat? Damit ich wusste, dass du, dem ich so sehr vertraut hatte, mich die ganze Zeit über manipuliert und gelenkt hatte, um jetzt deine Freude zu haben? Damit du im Augenblick deines Triumphes sehen konntest, wie ich innerlich zerbrach, in Resignation versank, das, was ich dir damals in jener Zelle entgegenschleuderte verriet und einfach aufgab, mich dir unterwarf? Ich hatte es nicht getan. Ich hatte nicht aufgegeben, auch wenn es nichts am Ausgang dieser Nacht geändert hatte. Ich war stark geblieben, kämpferisch, hatte mich gewehrt, obwohl es sinnlos gewesen war und dir damit vermutlich diese Genugtuung versagt, auch wenn ich dir völlig hilflos ausgeliefert war. Warst du vielleicht eifersüchtig, weil ich mit diesem jungen Mann ausgegangen war und deshalb so wütend auf mich? Denn wütend warst du gewesen, sonst hättest du mich nie so hart geschlagen, so hart geschlagen, dass meine Brille davon geschleudert wurde, mit einem leisen Klirren die Gläser zerbrachen und meine Lippe aufplatzte, Blut mein Kinn herunterrann. Ich war einen Moment lang völlig erschrocken gewesen, als deine Lippen sich plötzlich auf die meinen pressten, wie du gierig das Blut ablecktest. Deine Haut fühlte sich kühl an als deine Hände mich grob packten, du meine, zu diesem Zeitpunkt einsetzenden Schreie mit heftigen Ohrfeigen zum Verstummen brachtest, mich regelrecht benommen schlugst und dann jegliche Hoffnung zerstörtest, indem du mir mit einem selbstgefälligen Grinsen erklärtest, dass niemand hier war um mein Schreien zu hören und dass ich mich nicht lächerlich machen sollte, indem ich weiterhin versuchte mich gegen dich zu wehren. Es war ohnehin sinnlos, reine vergebliche Kraftanstrengung, denn aus deinem Griff konnte ich mich nicht befreien, konnte sich niemand befreien. Ich glaube, einen Moment lang, warst du selbst darüber erschrocken, wie brutal du mich zum Schweigen brachtest und es tat dir vielleicht sogar leid, aber es sah nicht so aus, als würde es dich sonderlich berühren. Obwohl du zögertest, mich einen Moment lang ansahst und dann, fast so als wolltest du um Verzeihung bitten, deine behandschuhten Finger sanft und zärtlich über meine Wange streichen ließest. Dein Verhalten war schon immer seltsam, aber auch in einem begrenzten Maße vorhersagbar, denn es wurde gänzlich von zwei großen Emotionen bestimmt. Lust, in deinem Fall Ekstase und leidenschaftlicher Rausch, und Unlust, das Fehlen von ebendiesen anderen Gefühlen, bei uns Normalsterblichen wohl am ehesten mit Langeweile zu vergleichen. Vielleicht gab es dann auch noch Zorn, Hass oder Wut, aber vermutlich wurden diese Emotionen auch durch die anderen beiden bestimmt und aufgebaut. Was also hatte dich dazu bewogen das zu tun? War deine Unlust durch mein Verhalten derartig gesteigert worden, dass du die einzige Möglichkeit sahst das zu kompensieren indem du über mich herfielst? Die Frau im Spiegel schluchzte, schloss die Augen und ihr Gesichtsausdruck war leidend. Sie starrte aus ausdruckslosen, tränennassen, verblasst wirkenden, blauen Augen in den Spiegel und schien kaum wahrzunehmen was sie sah, war offenbar in einer anderen Zeit, an einem weit entfernten Ort gefangen, von wo sie einfach nicht loskam. Die eisblauen Augen waren traurig und unfokussiert, außerdem ohne Brille kurzsichtig, sodass sie sich selbst wohl nur als undeutlich umrandet wahrnahm. Sie schlug die Hände vors Gesicht, konnte offenbar die eigene Situation und die Wirklichkeit, die sich ihr aufdrängte, nicht länger vor sich selbst verheimlichen und schien in sich selbst zusammenzusinken, sodass sie klein und schmal wirkte. Verzweiflung kam wie eine Schockwelle in mir hoch und riss jeden noch so kleinen Rest an Vernunft und übriggebliebenen Stolz mit sich, sodass ich mein Gesicht in den Händen verbarg, Schluchzer meinen gesamten Körper zum Beben brachten und ich mich schrecklich hilflos und verraten fühlte. Was konnte ich denn tun? Mit wem reden? Die Antwort auf beide Fragen war ernüchternd und schürte nur meine Hoffnungslosigkeit. Ich konnte nichts tun und mit niemandem darüber reden. Nicht einmal mit Walter. Sicher, ich vertraute ihm, er hatte stets versucht mir den Vater zu ersetzen als ich noch kleiner gewesen war, und er war zu einem festen Halt für mich geworden als ich älter und langsam erwachsen geworden war, aber das Problem war nichts was er wissen musste und jemand anderen gab es nicht, dem ich mich hätte anvertrauen können. Außerdem hatte ich Angst. Angst vor mir selbst, den Dingen die ich empfand, und vor dir. Wenn ich dich nicht mehr kontrollieren konnte, was du mir ja durch diesen Übergriff gezeigt hattest, wie sollte ich dann die Organisation weiter leiten? Wie konnte ich dir jemals wieder gegenübertreten um dir deine Befehle zu geben und noch wichtiger, würdest du sie befolgen? Ich wusste es nicht, hatte diese Situation bisher aus Angst vermieden und es hatte auch keinen Anlass gegeben dich auf eine Mission zu schicken, aber wenn sich nun ein Vorfall ereignete, der dein Mitwirken unumgänglich machte wenn ich Erfolg haben wollte? Die Frau im Spiegel kann ihren Anblick, wie sie da steht und schluchzt, nicht mehr ertragen. Ihre Faust trifft das kalte Glas des Spiegels und zunächst geschieht überhaupt nichts, nur ein kleiner Riss ist zu sehen, aber dieser Riss breitet sich aus, das Gesicht der Frau im Spiegel bekommt feine, zunächst kaum wahrnehmbare Rillen; ein Spinnennetzmuster auf dem spiegelnden Glas, bis es den Rahmen erreicht. Plötzlich , das Spinnennetzmuster löst sich auf, wie in Zeitlupe fallen die Spiegelscherben aus dem Rahmen und mit sehr erschreckendem Klirren ins Waschbecken. Ich starrte auf meine Hand, sah wie das Blut herunterrann und fühlte doch keinen Schmerz, sosehr ich ihn mir auch gewünscht hatte. Offenbar hatte ich mich geschnitten, obwohl ich im ersten Augenblick nicht einmal verstand wobei ich das getan hatte, weil ich noch immer alles in dieser seltsamen, watteartigen Realität wahrnahm, die mich geistig scheinbar lähmte und einhüllte, seit jener Nacht immer wieder eine Art Zuflucht für mich gewesen war. Blut rann über meine Fingerknöchel, tropfte langsam ins Waschbecken, auf die Spiegelscherben und hinterließ rote Schlieren. Plötzlich ekelte ich mich, ekelte mich vor mir selbst, meinem Blut, aber vor allen Dingen vor meiner Schwäche, die mich soweit gebracht hatte, dass ich heulend vor dem zerschlagenen Spiegel stand und auf mein mehrfach wiedergegebenes Antlitz in den Scherben starrte, während Tropfen um Tropfen meines Blutes die spiegelnden Fragmente weiter benetzte und schließlich die Bruchstücke meines Gesichtes auf der zerbrochenen silbernen Oberfläche rotverfärbte. Das Gesicht in den Scherben sieht verwirrt aus, noch immer rinnen Tränen über die Wangen der Frau, deren Hautfarbe von einem erstaunlich dunklen Braunton ist. Sie schüttelt den Kopf, wobei fast weiße, helle Haare leicht wirbeln und wendet sich ab, sodass sie nicht mehr in den schimmernden, von Blut befleckten Scherben zu sehen ist, nicht länger von ihrem eigenen Anblick, von der Schande, die sie hinter diesem Anblick sieht, gemartert wird. Du hattest feierlich erklärt du würdest mich beschützen. LÜGE! Du hattest gesagt ich wäre dein Meister. LÜGE! Du hattest mir Treue geschworen. LÜGE! Du hattest geschworen mir niemals weh zu tun. LÜGE! LÜGE! LÜGE! Und du hattest mir nie gesagt warum das alles... Ich hatte allen Grund dich zu hassen, ich hatte das Bedürfnis dich zu hassen, aber... ich konnte es nicht. Ich hatte es versucht, ich hatte versucht dich zu hassen, dich zu verabscheuen, dich dafür zu verdammen, was du mir angetan hattest, aber... ICH KONNTE ES NICHT! Ich wünschte ich könnte schreien, könnte meine innere Qual und Zerrissenheit laut herausschreien und mir dadurch Linderung verschaffen, aber ich konnte auch das nicht. Es sah so aus, als hättest du mich, die frigide Eisprinzessin, wie du mich manchmal gern betiteltest um mich zu ärgern, wirklich letztendlich zu Fall gebracht. Nie würde ich deine blutroten Augen vergessen, die mich an jenem Abend so gierig ansahen. Nie würde ich deine kräftigen Hände vergessen, die mich so brutal festhielten. Nie würde ich vergessen was in jener Nacht passierte. Nie würde ich das Gefühl vergessen können, als deine Zähne sich in meinen Hals gruben und ich keinen Ton herausbrachte. Nie würde ich dieses befremdende Gefühl vergessen können, dass ich hatte, während du langsam das Blut aus meinem Körper saugtest... und nie würde ich vergessen können, wie sonderbar enttäuscht ich mich fühlte, als du damit aufhörtest. Ekel kam in einer so heftigen Woge in mir auf, dass ich befürchtete mich vielleicht übergeben zu müssen. Oh Gott... Ich wollte mich selbst hassen, mich selbst für das verabscheuen was ich fühlte, aber... nicht einmal das brachte ich zustande. Ich war zu einer solch bemitleidenswerten Person geworden, dass ich nichts anderes konnte als mich zu ekeln, mich zu fürchten und verwirrt von mir selbst Abstand zu nehmen. Leere, Leere und Kälte, Eiseskälte, waren alles was noch in mir zu sein schien, genau wie ich es mir immer gewünscht hatte, wenn all jene Emotionen so störend gewesen waren und jetzt, jetzt wünschte ich mir alles, nur nicht diese schreckliche Leere und diese lähmende Kälte, die mich langsam erstarren lassen würde, dessen war ich mir sicher. Ich hatte es gefühlt, all die Jahre lang, deine Augen, die mich immer und überall beobachteten, jede meiner Bewegungen verfolgten; fast als wärest du ein Jäger, der seine Beute immer weiter in die Enge treibt. Dass es tatsächlich so gewesen war, dass dein Verhalten sich so dramatisch in jener Nacht verändern sollte, weil mein Blut mit so übermächtiger Stimme nach dir schrie, hatte ich zu spät bemerkt, denn ich war zu naiv dazu gewesen es zu erkennen, als ich noch eine Chance gehabt hätte dir zu entgehen. Dem zu entgehen, zu dem du mich in all den Jahren langsam gemacht hattest, in denen du mit mir und meinen Gedanken spieltest, mich immer mehr in die Richtung dirigiertest, in die du mich haben wolltest. Offenbar hattest du dennoch auf diese Art und Weise keinen Erfolg, was dich schließlich zu dieser drastischen Tat getrieben hatte, von dem Locken meines Blutes animiert. Ich hatte nicht aufgeben wollen, niemals hatte ich aufgeben, oder nachgeben wollen, schon gar nicht vor dir. Ich hatte es auch nicht getan. Hatte mich bis zuletzt gewehrt, selbst als ich schon wusste dass ich überhaupt keine Chance mehr hatte meinem, von dir bestimmten, Schicksal zu entgehen. Erst als ich die Wildheit in deinem Blick an jenem Abend sah, die völlig ungezügelte Blutlust, das Siegel blutrot und hell um mich herum erstrahlte und deine Hände mich packten, hatte ich gewusst was für einen schrecklichen Fehler ich begangen hatte. Aber deine Handlung hatte keinen Sinn. Du hattest mich nicht zu deinesgleichen gemacht, du hättest es mir einfach so aufzwingen können, genauso leicht wie du hattest über mich herfallen können, mich einfach überwältigen konntest. Du hattest es nicht getan und du hattest mich nicht getötet. Genau wie damals. Warum hattest du mich all die Jahre lang beschützt? Was war es, was dich an mich band, dich daran hinderte mich zu töten, dich damit zu befreien? Ich wusste längst, dass du es könntest, wenn du wolltest. Warum wolltest du nicht? Brauchtest du mich vielleicht? Warum? Ich verstand es nicht, verstand deine Handlungen nicht, verstand meine Gefühle nicht und hasste mich schließlich doch, weil ich jetzt, nach Tagen, gewillt war aufzugeben und damit alles verriet was ich mir selbst und in gewisser Weise dir geschworen hatte. Ich fühlte deine Anwesendheit; meine Nackenhaare sträubten sich, Eiseskälte rauschte meine Wirbelsäule entlang, während mein Herz anfing wie verrückt zu schlagen und Adrenalin durch meine Adern zu jagen begann. Meine Instinkte schrieen ich sollte weglaufen, meine Vernunft sagte es hätte ohnehin alles keinen Sinn und meine Verzweiflung riet mir mich einfach fallen zu lassen und mich umzubringen. Ich ignorierte sie alle und zwang meinen Körper sich aufzurichten, eine defensive, aber stolze Haltung anzunehmen. Meine Waffe lag auf meinem Nachttisch im Nebenzimmer, sonst war ich völlig unbewaffnet, aber selbst mit voller Bewaffnung hätte ich keine Chance gehabt mich wirksam zu verteidigen, wenn du es darauf anlegen solltest. Ich würde zum einen an deiner übermenschlichen Kraft scheitern und zum anderen, vermutlich an mir selbst, denn... so seltsam es klang, so wenig wie ich dich hassen konnte, so wenig wollte ich gegen dich kämpfen. Du standest da, ungefähr drei Meter von mir entfernt, vor der anderen Wand des Badezimmers und sahst mich aus deinen blutroten Augen an, die irgendwie traurig wirkten wenn sie meinen Blick trafen. "Verzeihst du mir?" Du batest nicht um Vergebung, vermutlich weil du wusstest, dass nur Gott vergeben konnte und dass du darauf schon lange keine Chance mehr hattest. "Ja." Meine Stimme klang fest, obwohl ich innerlich kurz davor war, vor Panik zu zerspringen. Es war nicht gelogen, ich würde dir verzeihen, weil ich ein Mensch war, weil Menschen fähig waren zu verzeihen, aber ich würde es nicht vergessen und ich würde dir nicht vertrauen. Denn wenn ich dich auch nicht hassen konnte, vertrauen, wie ich es früher so naiv getan hatte, würde ich dir auch niemals mehr. Du kamst näher und ich wich zurück, fühlte Angst in mir aufwallen, die ich nur mit Mühe und Not unterdrücken und wie ich hoffte vor dir verbergen konnte, was einen seltsamen Ausdruck auf deinem Gesicht erscheinen ließ. "Komm nicht näher!" sagte ich und fühlte einen Klumpen aus Eis in meinem Bauch entstehen, als du nicht stehen bleiben wolltest. "Ich dachte du verzeihst mir, Integra." Sagtest du sanft, mehr eine Frage denn eine Feststellung und strecktest deine Hand nach mir aus. "Bleib wo du bist! Rühr mich nicht an!" Ich wich weiter zurück, meine eine Hand krampfte sich um das goldene Kreuz und ich fühlte mich in die Enge getrieben als mein Rücken die Badezimmerwand erreichte und ich nicht weiter zurückweichen konnte. "Vielleicht verzeihe ich dir, aber vergessen kann ich nicht!" "Bitte... es tut mir leid." "Es tut DIR leid? MIR tut es leid! MIR tut es leid, dass ich dir jemals vertraut habe..." meine Stimme überschlug sich fast vor Hysterie und Angst und ich fühlte das schon wieder Tränen in meinen Augen prickelten. "Integra..." deine Stimme war flehend, so hatte ich meinen Namen noch nie von jemandem gehört, schon gar nicht von dir, deine Hand noch immer, beinahe bittend, nach mir ausgestreckt und langsam kamst du noch immer näher. Verzweiflung. Verzweiflung war alles was ich fühlte, gepaart mit Angst, möglicherweise Todesangst. Während ich meine eine Hand weiterhin um das goldene Kreuz klammerte, krallte meine Andere sich eine der Spiegelscherben im Waschbecken. Der Schmerz, den das wohl hätte auslösen müssen, als die Scherbe grob in meine Handfläche schnitt und Blut heruntertropfte, kam nie in meinem Gehirn an, sodass ich ihn nie fühlte. Ich fühlte lediglich, dass etwas warmes, leicht klebriges zwischen meinen, sich fest um die Scherbe schließenden Fingern hindurchrann und sah wie die rote Flüssigkeit auf den Boden tropfte, kleine Spritzer sich weit verteilten. Du kamst noch immer langsam näher, hattest mich fast erreicht. "Bleib weg! Was kannst du an diesen zwei Worten nicht verstehen!" "Integra... hör mir doch zu... bitte, ich will dir nicht wehtun..." "Lieber bring ich mich um, als noch einmal zuzulassen, dass du mir nahe kommst!" Ich meinte es ernst. Ich würde lieber sterben. Ich würde lieber sterben und das alles weit hinter mir lassen, denn ich fürchtete den Tod nicht. Nein, der Tod war für mich nichts Grässliches. Aber das was du warst, was du mit mir tun könntest und zu was ich selbst dabei werden könnte, weil ich meine eigene Schwäche überdeutlich in jenem Moment fühlte, ja das war etwas wahrhaft grässliches, dämonisches, monströses. Etwas so abgrundtief verabscheuungswertes in meinen Augen, dass ich lieber den Tod wählen würde, als zuzulassen, dass du Recht behalten würdest, dass ich würde miterleben und zugeben müssen, dass du recht hattest, dass du das einzigste warst, wonach ich mich wirklich sehnte, was ich wirklich wollte und begehrte. "Integra..." Du warst so viel schneller als ich, dass ich nichts anderes tun konnte, als hilflos zuzulassen, dass deine Arme mich von hinten umfassten, du mir, milde, aber bestimmt, die Scherbe aus meiner zerschnittenen Hand nahmst, meinen blutigen Fingern entwandtest, so als wäre ich ein kleines Kind, dass mit einem gefährlichen Gegenstand gespielt hatte und mich festhieltest, meinen Körper fest gegen dich gedrückt. Ich zappelte und schlug nach dir, vermutlich schrie ich auch, aber es hatte keinen Sinn, weder lockertest du deinen Griff, noch reagiertest du sonst irgendwie auf meine sich in dieser Aktion manifestierende Verzweiflung. "Lass mich los! Lass mich los..." Was ich sagte war wohl kaum verständlich, obwohl ich davon ausging, dass du wusstest was ich sagte. Ich schluchzte wieder, meine Beine gaben nach, wollten mich nicht länger tragen, als ich den Kampf gegen die innere Hoffnungslosigkeit verlor, sodass das Einzige, was mich noch stehen ließ deine Arme waren, die mich sanft gegen dich drückten und hielten, und diesmal sich so ganz anders anfühlten, so warm, ja beinahe regelrecht zärtlich und lebendig. "Integra..." wispertest du, deinen Mund so nah an meinem Ohr, dass ich deinen kühlen Atem fühlen konnte. "Bitte hör auf... hör auf dich selbst zu hassen... bitte." Deine Hand streichelte sanft meine Wange und ich konnte nicht mehr. Ich konnte die Gefühle, die ich so lange hinter einem Panzer aus Eis verborgen hatte, nicht länger zurückhalten. Verzweiflung, Angst, Panik, alles was ich in den letzten Tagen in mich hineingefressen hatte, brach aus mir hervor und ließ mich erzittern, erschütterte mich in meinen Grundfesten. Ich schluchzte hemmungslos, schlang meine Arme um deine standhafte, irgendwie trostspendende Gestalt, drückte mein Gesicht fest gegen deinen Oberkörper, in den weichen Stoff deiner Sachen und war dir plötzlich dankbar, dankbar dafür, dass du stumm bliebst, kein Wort sagtest, mich einfach nur festhieltest und sanft mein Haar streicheltest. Ich konnte dich nicht hassen und du würdest nicht zulassen, dass ich mich selbst hassen würde... ich war seltsamerweise zufrieden, fühlte mich Geborgen, vielleicht sogar geliebt, wenn auch allenfalls auf eine andere Art und Weise als dieses Wort sonst von uns Menschen gebraucht wurde und ich genoss es, diese Umarmung des Dämons, der Dunkelheit, die mein bisheriges Leben bestimmt hatte, mein Leben bestimmte und so wie es aussah, auch weiterhin bestimmen würde. Wir standen fast reglos und völlig schweigend da, mein Körper von Schluchzern geschüttelt; ich ließ mich von dir halten, mich von dir beschützen, versuchte mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, konnte nichts dagegen tun dir dankbar zu sein, dir zu verzeihen, ein stummes Gebet zum Herrn zu schicken, dass er dir zumindest dies vergeben möchte und Vertrauen zu dir zu haben, während du mich zärtlich leicht hin und her wiegtest und mich mit deinen Armen umfingst, so als wolltest du versuchen mich vor der restlichen Welt zu verbergen. Damit wurden auch alle meine Fragen, meine Fragen nach dem warum, dem wieso, dem Grund und folglich deinen Beweggründen, erstickt, hinweggewischt, aus meinem Geist verbannt und ich wusste, ich würde sie nie stellen und du würdest diese ungestellten, aber dennoch vorhandenen Fragen, vermutlich nie beantworten. Was im Prinzip auch eine Art von Antwort war. Nur eine Frage blieb und würde mich weiterhin quälen. Wie konntest du das tun... 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