Black Hole Sun von Dels ================================================================================ Kapitel 9: [ Mad world ] ------------------------ Da das Haus allem Anschein nach verlassen ist, gebe ich mir auch keine Mühe mehr leise zu sein, sondern laufe hastig zum Fenster und sehe nach draussen. Es regnet. Ich hätte nie gedacht, dass mich der Anblick eines verregneten Tages in solch eine überschwängliche Stimmung bringen könnte. "Wir sind oben! Ich fass es nicht!" murmle ich immer wieder ungläubig und sehe hinaus auf die Strasse, die ebenso leer ist wie das Haus. Ausser diesem unsrigen kann ich noch drei weitere Bruchbuden erkennen, von denen eins schon fast zusammengepurzelt ist vor Alter und Verfall. Sicher war das hier mal eine kleine Bauernsiedlung mit nicht mehr als einem Dutzend Häusern. Und scheinbar stehen sie jetzt alle leer. Kein Wunder, in welcher Einöde wir hier auch gelandet sind... Auf der anderen Seite des Flurs blicke ich aus dem Fenster, das halb blind und so staubig ist, dass ich erst mit der Hand den Dreck wegwischen muss. Auf der Rückseite des Hauses sehe ich in einiger Entfernung einen Wald. Ob das der Wald ist, unter dem die Forschungsstation liegt? Sicher, die Richtung könnte in etwa stimmen. Wenn ich auf meinen Orientierungssinn vertraue, der mich allerdings schon viel zu oft im Stich gelassen hat. Da dies aber der einzige Wald hier zu sein scheint, muss er es wohl sein. Aber das ist wirklich ein ganz schönes Stück entfernt. Soviel zu Griechenland. UFF! Mit einem bequemen Seufzen lasse ich mich in den dickgepolsterten, altmodischen Sessel fallen, der nebenan im Wohnzimmer steht. Dabei staubt es erstmal gewaltig - Scheiss drauf. Meine Füsse! Welche eine Wohltat! Ich glaube, ich könnte sofort einschlafen. Aber halt. Erstmal sehen, ob ich etwas zu essen finde, sonst falle ich noch um vor Hunger! Gute Idee. Essen. Schlafen. Und dann... vielleicht kann uns ja später ein Auto mit in die Stadt nehmen, wenn hier mal eins vorbeikommen sollte. Apropros "uns"... "Kleiner?" Im Aufzug ist er nicht mehr. Auch im Raum dahinter nicht, wo diese komische Maschine steht. Is er schon wieder ausgebüxt? In der Küche nicht. "Hey, Junge! Ich tu dir schon nix!" Im Wohnzimmer nicht. "Haaallooo!" Endlich finde ich ihn im Schlafzimmer hinter einem Schrank, wo er sich offensichtlich zu verstecken versucht hat. Ach herrje, dieses Häufchen Elend.. ist ja nicht mitanzusehen. Bin ich wirklich so furchterregend? Vielleicht sollte ich bei Gelegenheit mal wieder innen Spiegel schauen. Ich glaube, jetzt sollte ich ihm auch mal seine Hände wieder frei machen, eine Bedrohung ist er sowieso nicht für mich und ausserdem habe ich hiermit meine Schuldigkeit getan. Wir sind wieder auf der Erde und nun kann er tun und lassen was er mag. Soll er doch weglaufen oder sich hier verkriechen für den Rest seiner albinösen Tage. Er misstraut mir auch jetzt noch und zuckt zusammen, wenn ich den Arm nach ihm ausstrecke, um seine Hände zu entknoten. Aber wenigstens das scheint er zu verstehen - nämlich, dass er jetzt frei ist. "Ja los! Ich halte dich nicht, lauf weg, wenn du magst! Lauf Forest, lauf! Hehe." Mit einer feierlichen Geste weise ich ihm den Weg aus dem Schlafzimmer und nachdem er mich einige Momente lang gross angesehen hat, läuft er auch langsam und seeehr wachsam an mir vorbei, als könnte ich es mir nochmal anders überlegen und ihn doch noch anfallen. Ah geh. Soll er doch weglaufen. Ist mir gleich. Obwohl er sich vorher noch was anziehen sollte, sonst fällt er gleich dem erstbesten Kinderhändler in die Hände. Komisch, wenn jemand die ganze Zeit nackt vor deiner Nase rumläuft, merkt man es nach einer Weile gar nicht mehr, dass das eigentlich nicht die Regel ist. Also - Klamotten. Er ist schon fast draussen, als ich pfeiffe und er sich umdreht. "Na komm, zieh dir wenigstens was an!" Stattdessen bleibt er an der Tür stehen und sieht mir naiv zu, wie ich die Kleiderschränke durchwühle in der Hoffnung, etwas Passendes zu finden. Das finde ich auch.. mehr oder weniger. Tja. Was sagt man dazu? Der nächste Schrank und ich muss plötzlich schief grinsen. Ich hole etwas aus dem Schrank und halte es vor mich in die Luft. "Na, was meinst du? Steht dir sicher gut. Ist leider nichts anderes da." Der Junge versteht mal wieder nichts, verständnislos sieht er das blaue Kleid an, das ich ihm gezeigt habe und das auf dem Bett landet. "Hier, ein rotes.. oder eins mit Blumen.. und eins mit Rüschen, wobei ich das ja zu arg finde.. aber das kleine schwarze könnte passen.. ähäm!" Schande über mich, ich mache aus einem unschuldigen Jungen einen Transvestiten, der diese Verwandlung ohne mit der Wimper zu zucken hinnimmt. Aber man muss nehmen, was man kriegt. Einem geschenkten Gaul und so weiter. Ausserdem verzieht er wirklich keine Miene, scheint ihm also gleich zu sein, was ich da mit ihm vorhabe. Womöglich hat er ja noch nie Kleidung angehabt. Pah, was sind das für Perverse gewesen, tz! "Mach dich vorher sauber, sonst ist das auch gleich verdreckt!" Keine Reaktion, er sieht mich immernoch an, ohne irgendwas zu verstehen. Ach blödes Russisch! Seufzend drehe ich ihn an den Schultern um und schiebe ihn vor mich her ins Bad. "So! Waschen! Wa-schen! Hier! Saubermachen!" versuche ich ihm mit Hilfe von ein paar olympiaverdächtigen pantomimischen Verrenkungen zu erklären und schliesslich scheint er doch zu kapieren, was ich ihm sagen will. Um sicherzugehen, bleibe ich kurz an der Tür stehen, nur um zu sehen, ob er jetzt den Wasserhahn auffrisst oder nicht. Als ob ich es geahnt hätte, fängt der Kleine natürlich NICHT an, sich sauberzumachen, sondern stösst plötzlich einen Schrei aus und geht auf den Spiegel los. Dabei ruft er immer wieder ein Wort, das ich nicht richtig verstehe, es hört sich an wie ein russischer Laut, aber ziemlich holprig - das erste Mal überhaupt, dass ich den Jungen sprechen höre, fällt mir grade auf. Himmel, der Junge is total verstört. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der beim Anblick seines Spiegelbilds solche Panik bekommt. Gut, wenn man's so betrachtet, hab ich im Leben noch keinen so seltsamen Menschen getroffen wie den hier. Immer wieder für Überraschungen gut. Aber irgendwie auch immer wieder bemitleidenswert... "Ja, das bist du! Sieht komisch aus, nicht wahr?" Er beachtet mich garnicht. Er starrt nur weiter in den Spiegel und scheint fast darin zu versinken. Er ist auch nicht mehr überrascht, eher verbittert, wie er mit diesen traurigen Augen sein Gesicht betrachtet und jetzt auch noch zu heulen anfängt. Oh Mann. Was muss ich denn heute alles mitmachen. Soll ich ihn jetzt auch noch trösten oder was? Ich bin doch nicht Mutter Theresa! "So schlimm siehst du jetzt auch wieder nicht aus." Aber er versteht mich sowieso nicht. Er hört mir ja nichtmal zu. "Hey?" Die weissen, fast durchscheinenden Finger gleiten so langsam und vorsichtig über die Spiegelscheibe, als wäre sie ein kostbares Gemälde, das bei Berührung zerfallen könnte. Gruselig.. wirklich unheimlich! Der Junge streicht über den Spiegel und ich kann förmlich sehen, wie er sich anstrengt, seine Lider zittern. Erst lächelt er leise, dann wird sein Audruck fragend, bittend, bis hin zur Verzweiflung. Was macht er da nur? Ich gehe einen Schritt näher, aber er registriert mich garnicht, seine Lippen bewegen sich ganz sachte und lautlos, als würde er etwas flüstern nur ohne Ton. Und irgendwann scheint er zu verstehen, dass er selbst das ist, der ihm aus dem Spiegel entgegenblickt. Und als ich ihm so zusehe - ganz plötzlich fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren! Die Kinder! Was hatte Sladis gesagt, als Elena ihn getroffen hat? Einer wäre noch da, der andere wäre geflohen. Warum ist mir das nicht früher eingefallen? Das hier ist garnicht der Junge, den Elena erschossen hat, es ist sein Bruder. Sein Zwillingsbruder, der damals geflohen war und sich hinter der Wand versteckt hatte! Und ich dachte noch, dass er mir verändert vorkam. Dann.. dann würde das bedeuten, dass dies hier garkein untoter Zombie ist. Statt dessen glaubt er wohl, seinen Bruder zu sehen, der hinter Glas steht. Ach herrje. Aber nun haben es alle kapiert. Der Kleine, der jetzt nur noch vor sich hinplärrt und ich, der zugegebenermaßen schon viel früher darauf hätte kommen sollen. Aber ich hatte doch ganz andere Sachen um die Ohren, also wirklich. Ausserdem ändert das jetzt auch nicht mehr viel. Er hat seinen Bruder verloren, und? Ich habe Steinbeck und Elena verloren, das ist ein Mensch mehr. Und wie gehe ich damit um? Ich heule nicht rum und verfalle in Melancholie, sondern unternehme was dagegen. Zudem kannte ich Elena ja nicht mal einen Tag lang. Obwohl ich sie schon sehr mochte. Oh, dieser Blick.. und dieses Lächeln.. und diese hinreissend gute Figur. Ein Jammer, wirklich. Ich bin sicher, sie war im Grunde doch ein guter Mensch. Aber was rede ich, ich weiss ja nicht einmal, ob sie überhaupt tot ist! Vielleicht hat sie ja doch überlebt? Genau wie Steinbeck. Sicher haben sie es irgendwie geschafft und sind einfach durch einen anderen Ausgang gekrabbelt. Steinbeck zumindest gibt nicht so schnell auf, der schlägt sich schon durch. Das hat er schliesslich all die Jahre gemacht und leicht war es nicht immer. Dauernd diese Vertuscherei, wenn die Gesundheitspolizei unsere kleine Alchimistenküche inspizierte. Wie oft bin ich bei ihm im Labor gewesen und welche Scherze haben wir uns erlaubt.. Ein lustiger Mensch war er, immer einen Witz auf Lager und dabei konnte er auch richtig respekteinflössend sein, oh ja. So ein netter Mensch, niemals hätte ich gedacht, dass er in soetwas hier verwickelt sein könnte. Aus der Scheisse geritten hat er mich auch schon oft genug.. als ich damals den Unfall hatte mit dem Cabrio, ach du Schande, mein Alter hätt mir den Kopf abgerissen. Boah, verflixt! Jetzt tropft mir auch noch die Nase, verdammt nochmal! Jetzt reicht es echt! "Hör endlich mit dieser Flennerei auf, das steckt ja nur an verflucht! Wenn du weiter einen auf Mitleidstour machst, werf ich dich so wie du bist auf die Strasse! Das zieht bei mir überhaupt nicht! Das kotzt mich nämlich an, ich sollte froh sein, dass ich aus dieser Hölle da unten raus bin und was machst du? Verbreitest hier Depristimmung - auf dass ich doch noch Mitleid hab und dich wie ne Glucke umsorge, was? Pah! Das kannst du vergessen, weißt du das? Du bist ja selber schuld an dem ganzen Chaos hier! Ja genau, hör auf zu flennen, das geht mir auf die Eier! Meine Freunde sind auch tot und ich mach hier kein Gezeter! Mach, dass du fertig wirst und dann verschwinde." Oh Wunder, er scheint plötzlich doch was verstanden zu haben. Zumindest hat er aufgehört zu heulen, was für mich ein echter Fortschritt ist. Aber dieser Blick jetzt gefällt mir nicht. "Lass das!" Es wird warm. Oder nur mir? Auf jeden Fall ist es stickig. Liegt das an dem alten Haus? An dieser abgestandenen Luft? Mir wird mulmig. Es fühlt sich an, als würde die Luft sich immer mehr verdicken wie ein abkühlender Pudding. Staub rieselt von der Decke, ganz feiner. Und segelt ganz langsam durch den Raum. "Bist du das..? He.. ich sagte, du sollst aufhören!" Urplötzlich wird mir wieder bewusst, was dieser Junge ist und was er für eine Gefahr ist. Und die Wärme breitet sich in meinem Körper aus, und ich kann nichts dagegen tun. Wie gelähmt. Aber es ist.. es ist wie dieses Gefühl, das ich empfand, als ich seinen Bruder durch die Scheibe hab im Zimmer sitzen sehen. Eine seltsame Kraft, die sich langsam und schleichend durch meine Gedanken windet, sie anfängt zu manipulieren. Ich starre den jungen Kerl an, dieses schöne Geschöpf mit diesen wunderschönen roten Augen, die voller Wut, Hass und Schmerz sind. Und wieder fühle ich mich angezogen und gleichzeitig aber abgestossen durch diese gigantische Feindseeligkeit, die mir entgegenprallt. Es ist so warm und fühlt sich gut an, und doch weiss ich, dass das vollkommen falsch und nur Illusion ist. Aber mit einem Mal ist mir das völlig egal.. Es knistert in dem kleinen Badezimmer, ganz leise. Der Junge steht am Waschbecken völlig regungslos, nur seine Augen zittern, vor blankem Hass, starren direkt hinter meine Stirn und die Hitze tut jetzt weh, verdammt weh! Als wollte er mir das Hirn herausbrennen. Aber nicht einmal mehr schreien kann ich, nicht einen einzigen Muskel bewegen, ich bin gelähmt, aber der Schmerz wird trotzdem heftiger. Und dann wird er erträglich. Oh ja.. welch ein süsser Schmerz! Er quält nicht einmal mehr. Ich kann jetzt alles viel klarer sehen, diese Welt, diese schöne Welt! Alles ist schön, der Boden auf dem wir gehen, die Luft, die wir atmen.. jedes Geräusch, jeder Geruch ist ein Schatz, ein unschätzbarer Schatz, jeder einzelne Augenblick. Einfach wunderschön! Aber nichts ist so schön wie dieser junge Mensch mit den langen, schneeweissen Haaren. Jede Faser dieses Körpers eine Symphonie aller Sinne, jeder Blick wie ein... ja, wie eine heilige Reliquie.. oh was willst du mir sagen mit deinen wundervollen Augen? Soll ich ihren Schmerz teilen, oh wie gerne nur, jeder Wunsch soll dir erfüllt sein. Was zeigst du mir? Oh wie schön, nein eine wundervolle Klinge, so scharf und stumpf wie sie nach so langer Zeit nur sein kann, und doch so wundervoll anzuschauen, wie sie sich auch anfühlt, willst du wissen, mein kleiner Schatten? Sie.. ist doch scharf mein junger Freund, das sehe ich und fühle ich und.. du willst mir mehr süssen Schmerz verschaffen? Du gottesgleiches Wesen, so strahlend wie ein.. kleines Lamm.. mit braunem Fell? Nein nicht braun, weiss,.. nein braun.. ich.. * * * * Mit einem erstickten Keuchen lasse ich das Rasiermesser fallen und stolpere einen Schritt zurück. Das.. das darf doch nicht wahr sein!! Das kann nicht sein! Um Gottes Willen! Dieses Monster! Ein feiner Schnitt ist schon zu sehen, aber Blut kann ich nicht entdecken. Dieser Dreckskerl! Entgeistert starre ich abwechselnd auf diese Missgeburt, meinen Arm und der Klinge am Boden, mit der ich mir gerade fast die Pulsadern aufgeschnitten hätte. Fassungslos! "Du.. mieser kleiner, dreckiger Bastard!! Das warst du! Du wolltest, dass ich mich umbringe, was?!" Ich glaube, ich war noch nie so ausser mir in meinem Leben. Das ist auch wirklich ein Schock! Erst ist alles wie ein schöner Traum und dann aufwachen und feststellen, dass man grade dabei ist, sich umzubringen?! Dieser Teufel! So sehr er jetzt auch zittern und schwitzen mag, ob er einen auf kraftlos macht und winselt - von mir wird er keine Gnade mehr erfahren! Und das kapiert er auch, als ich ihm zeige, dass er das jetzt erst recht vergessen kann, nach dieser Gehirnwäsche. Ja, jetzt zeigt dieser kleine Satan sein wahres Gesicht, er tritt und beisst, kratzt und schreit, boxt und zappelt und wird mit jedem Tritt, den er von mit kassiert schwächer, reisst sich aber jedes Mal wieder hoch und starrt mich aus diesen hasserfüllten roten Augen an, die wie das Höllenfeuer lodern! Und ich wette, hätte er Kraft genug gehabt, er hätte noch einmal versucht meinen Geist durcheinander zu werfen und mich diesmal endgültig in den Selbstmord zu treiben. Aber er ist zu schwach und muss sich auf das Körperliche beschränken, wobei er hier klar den Kürzeren zieht. Du kleiner Scheisser denkst, ich hätte das nicht gemerkt? Kostet wohl immense Kraft, so einen starken Willen beeinflussen zu wollen, was? "Das ist dein Dank, dass ich dich aus diesem Labor rausgeschleift habe? Dreckiger Wichser! Hätte ich dich nur da unten gelassen! AH!" Dieses Mistding hat sich in meinen Arm gebissen, aber sofort habe ich ihn abgeschüttelt und gebe ihm einen deftigen Schlag gegen den Schädel mit auf den Weg. Sein Kopf knallt auf den Boden und er hustet, ist einen Moment benommen, fixiert mich aber gleich darauf wieder mit demselben, grauenhaften Ausdruck in den Augen, der mich nur noch zorniger werden lässt! Er hat kein Recht dazu! Er hat verdammt nochmal kein Recht mir so zu begegnen, nach allem, was ich für ihn getan habe! Er ist ein verflixter Schauspieler und hat kein Recht, so einen Hass auf mich zu haben! "Undankbares Balg! Kaum reicht man dir den kleinen Finger, willst du mir an die Kehle!" Ein paar weitere Schläge und ich glaube er hat genug. Hustend und röchelnd bleibt er in der Ecke liegen und versucht nicht mehr, sich auf mich zu stürzen. Zumindest nicht sofort. Ich bemerke, wie ich zittere und trete nochmal ordentlich zu. Verdammt ich habe Angst! Dieser Bastard wird bei nächster Gelegenheit wieder versuchen, mich umzupolen und vielleicht schafft er es ja das nächste Mal, bevor ihm die Kraft ausgeht. Ich! Mich umbringen! Das ist... das ist doch Wahnsinn! Und ich war so gutmütig! "Ich hätte dich da unten jämmerlich verrecken lassen sollen!!" Ein paar Minuten später ist es still. Ich sitze auf dem Beckenrand der Badewanne und sehe mich verloren um. Der Junge hat Ruhe gegeben. Mein Puls jagt und ich schliesse die Augen um mich zu beruhigen. Nach einer Weile bin ich tatsächlich etwas ruhiger, nachdem ich mir klar gemacht habe, dass überhaupt keine Gefahr mehr droht. Mein Entschluss steht ebenfalls fest. Der Junge kommt sofort zurück in den Schacht und ich verlasse das Haus unverzüglich. Egal, wie sehr mich mein Gewissen plagen wird, es ist besser, als ständig in Todesangst zu leben! Pah! Und ich hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, ihn mitzunehmen. In die Stadt zumindest, ihn in einem Waisenhaus abgeben oder sowas. Pff! Ihm Kleider gesucht! Ihm was zu Essen gegeben. Nix! Nada! Wenn ich dran denke, ich hätte ihn in der Stadt abgeliefert... Vielleicht wäre ich dann für zahllose Morde verantwortlich geworden! Elena hatte einfach recht. Zu gefährlich. Ausschalten, solange es noch geht. Einen hat sie ja dann schon umgebracht. Und dieser hier..? Von den Schlägen muss er ohnmächtig geworden sein, er bewegt sich schon eine ganze Weile nicht mehr. Etwas verdreht liegt er in der Ecke und produziert sicher grade eine ganze Palette von hübschen blauen Flecken, die ich ihm verpasst habe. Er ist auch wirklich nicht mehr so bleich wie vorher. Aber sind das blaue Flecken? Vorsichtig rutsche ich näher ran und starre auf die Haut des Jungen, die nicht weiss, sondern grau ist. Helles Grau, auch die Haare. Meine Augen gleiten weiter und halten entsetzt inne. Ich kann über die schmale Schulter sehen und der Anblick dahinter schnürt mir die Kehle zu. Rot. Überall Rot. Der ganze Boden ist voller Blut, das Gesicht des Jungen fahl wie Asche, die Augen nur einen Spalt geöffnet. Und jetzt fällt mir auf, dass er nicht mehr atmet. "Sch... Scheisse!" Er ist tot. Ich habe ihn zu Tode geprügelt. "Nein, das.. das ist doch nur gespielt, du Luder!" fahre ich auf und weiss überhaupt nicht, was ich machen soll. Das ist ein Witz, oder? Ich meine.. ich hab zwar die ganze Zeit gedacht, dass es besser wäre, wenn er tot wär.. aber.. das.. das wollte ich doch nicht!! Oh mein Gott! Ich habe ihn umgebracht! Ich!! Mein Gott, das kann doch nur ein Alptraum sein! Mir wird heiss! Furchtbar heiss, mein Herz klopft wie ein Vorschlaghammer! Das kann nicht sein, sicher wieder einer seiner Tricks! Ja, bestimmt! Dann sehe ich einmal nicht hin und er stürzt sich auf mich, um mich zu töten! Dieser Bastard! Darauf falle ich nicht rein, niemals! Mit dem Fuss stubse ich ihn an, in die Seite, an der Hüfte. Nein nein.. nein, das gibt's nicht! Selbst das Fleisch bewegt sich kaum, gibt kaum noch nach. Oh mein Gott! Er ist wirklich tot? Ein Blick auf sein Gesicht, es ist grauenhaft! Er sieht aus wie ein alter Greis, die Haut wird immer aschfarbener.. und.. so trocken, wie Pergament! Das gibt's doch garnicht! Und seine Augen.. oh mein Gott, diese Augen! Obwohl sie nur halb offen sind, stechen sie noch heraus, dieses rote Blut, das dunkel geworden ist, die feinen Adern, die unnatürlich deutlich vorstechen, aus der Nase ein Rinnsal festgetrocknetes Blut. Die hellen Lippen liegen in einem See aus Rot, das sich auf den Kacheln verbreitet hat und durch die Rillen sickert. "Nein.. das.." Ich bin völlig fertig. Jeder, der jetzt meint, genau das wäre wohl das Beste, was mir passieren konnte, dem schlag ich die Fresse ein. Oh mein GOTT! Ich habe jemanden getötet!! Einen kleinen Jungen, hier! Da liegt er tot in seinem eigenen Blut, da hab ich jetzt meinen Mord! Es ist grässlich! Es ist grausam! Niemals.. niemals hätte ich das getan aus freien Stücken.. ich bin ein Mörder! Der kalte Schweiss klebt mir die Kleider an den Leib und meine Herzpumpe donnert mit jedem Schlag schmerzhafter in meiner Brust. Was hab ich getan? ... ich muss hier raus! Meine Knie sind weich wie Pudding und ich habe das Gefühl ich falle bei jedem Schritt mehr, denn ich laufe. Aber ich muss weg hier, raus hier! Aus dem Zimmer, aus dem Haus .. aus diesem ganzen, gottverdammten Land! Stolpernd komme ich im Flur an und renne Richtung Wohnzimmer. Nur raus hier! Auf die Strasse, zurück nach Moskau.. und wenn ich die ganz Strecke in Rekordzeit rennen muss! Ha.. niemand hat mich gesehen, niemand weiss davon! Keiner kennt den Jungen, keiner vermisst ihn. Die denken sicherlich, dass alle im Labor unten umgekommen sind! Also wird mich keiner deshalb ansprechen. Keine Panik, Klement! Niemand wird dahinterkommen! Nur so schnell wie möglich raus hier, und.. Mitten in der Bewegung zucke ich zusammen, verliere die Balance und pralle gegen die Wand. Vor Grauen wage ich nicht einmal zu atmen. Vor mir das Wohnzimmer. Der gemütliche, alte Ohrensessel steht noch immer mitten ihm Raum. Mir zugewandt. Darin sitzt ein nackter, grauer Junge. Keine Spur von Blut, keine blauen Flecken. "Kleiner..?" Leblos. Die Information sickert schwerfällig wie Honig in mein Gehirn. Sein Kopf hängt schlaff auf die Seite. "Nein.. das... das ist doch nicht wahr! Das war ich nicht!!" Panisch reisse ich mich wieder auf und renne zur Seite, die Fenster! Aus dem Fenster klettern! Dieses Haus ist verflucht, ich muss hier raus!! Schlafzimmer! Aber kaum ist die Tür auf, kann ich einen Aufschrei nicht mehr zurückhalten. Als hätte ich es geahnt, liegt auf dem Bett der Junge. Beziehungsweise das, was von ihm übrig ist. Kahl, dürr, Knochen, die hervortreten, mit grauer Haut bespannt, verdorrte Haare, blaues Gesicht, aufgedunsen, in qualvoller Langsamkeit im Hunger verendet. "UAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHH!!!!!!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)