ZdM von RandomThoughts (Der Zirkel der Macht - Buch 1) ================================================================================ Kapitel 2 --------- 2 Komm bitte nach der schule zu bea. Dringend!! Die nacht des brennens steht bevor. Die kraft der sterne und der steine arbeiten zusammen. Und am ende kommt der tod! Dana schüttelte unwillkürlich den Kopf, als sie die SMS morgens im Bus las. Konnte Alex nicht einmal so reden – oder schreiben – wie normale Menschen auch? Aber er behauptete sicher nicht grundlos, dass es dringend sei. Sie überlegte, was sie heute Nachmittag vorhatte, aber Mittagessen zuhause und Hausaufgaben waren beide nicht so wichtig. Sie holte das Reli-Heft heraus, das sie eigentlich gesucht hatte, als ihr die SMS auf ihrem Handy aufgefallen war. Wahrscheinlich schrieb Herr Weber heute eine Ex. Genug Stoff hatten sie letztes Mal aufgeschrieben. Sie begann zu lesen, schweifte aber schon nach kurzer Zeit ab. Ihr Blick wanderte in die Ferne, während sie versuchte die Splitter zusammenzukehren, die durch ihren Geist wanderten: Unzusammenhängende Handbewegungen; eine ihr unbekannte Straße, die sie entlang ging; zwei ihr unbekannte Gesichter, der Kleidung zu Folge wahrscheinlich schon lange tot. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte die Vorerinnerungen aus dem Kopf zu kriegen. Sie hasste es, wenn sie in dieser Form kamen, unzusammenhängende Bilder, ohne Bedeutung, ohne Kontext. Schlussendlich kam ihr Blick wie so oft auf dem langhaarigen Jungen zur Ruhe, der morgens oft mit dem selben Bus fuhr wie sie. Sie kannte ihn nicht, hatte noch nie mit ihm geredet, aber er gefiehl ihr einfach. Es war schön, ihn anzusehen. *** "Hier bin ich", sagte Dana, als sie in Beas Wohnung kam. Sie war leicht außer Atem von den vier Stockwerken, die sie hoch laufen musste, was insgesamt aber durch den Ausblick über den Park und die Umgebung wieder wett gemacht wurde. Alex und Bea saßen in der Küche zusammen. Der Geruch verriet Dana sofort, dass er seine Gemüsepfanne gemacht hatte – nicht dass er nur dieses eine Rezept hatte, aber es ging schnell, und es ließ sich nach Belieben erweitern und verändern. Sie nahm sich ohne zu fragen eine Schüssel und einen Löffel – anders als Bea hatte sie sich von Alex noch nicht dazu missionieren lassen, Essstäbchen zu benutzen. Die Wohnung gehörte Bea, aber es war auch irgendwie ihre und Alex' Wohnung, in der sie sich so frei wie in ihren eigenen Wohnungen bewegten. Alex begann zu erzählen, während Dana sich Reis und Gemüse in die Schüssel schöpfte und anfing zu essen. "Und wir wissen bisher weder, was uns erwartet, noch wo wir überhaupt hin müssen", endete Alex schließlich. Dana nickte, wedelte dann mit dem erhobenem Zeigefinger. Sie hatte den Mund gerade voll und wollte ihm zu verstehen geben, dass sie einen Moment Ruhe brauchte. Bilder stiegen aus ihrem Gedächtnis hervor – nicht unbedingt ihre eigenen Erinnerungen; zumindest nicht in dieser Reinkarnation. Steinkreise vermischten sich zusammenhangslos mit Gesprächsfetzen und dem Geruch von handgeschnittenen Kräutern. "Konstellationen", sagte sie schließlich. "Eine Sternenkonstellation. Das ist die Kraft der Sterne. Himmel und Erde sind miteinander verbunden, sind Spiegelbild des jeweils Anderen – oder so ähnlich." Genauer konnte sie es nicht sagen. Sie war schon froh, das was sie in ihren Vorerinnerungen sah so genau formulieren zu können. "Ich kann mich an keltische Mond- und Sternenrituale erinnern", fuhr sie fort, "und an die Kraft, die durch die Verbindung von Himmel und Erde an Kultplätzen aufwallte. Ich hab sie bisweilen genutzt, um mächtige Magie zu wirken, zu der ich alleine nicht in der Lage war, für die ich nicht stark genug war." Das war lange her. Mindestens an die Tausend Jahre. Die Erinnerungen waren tief begraben, und waren erst in diesem Moment nach Jahrhunderten erstmals wieder an die Oberfläche gekommen. "Na, was hab ich gesagt?!", platze da plötzlich Alex heraus. "Sternenkonstellation und ritueller Kultplatz! Genau das hab ich gesagt, oder nicht?" "Ja, hast du", brachte ihn Bea mit leicht genervtem Tonfall zum schweigen. "Viel wichtiger ist, was wir jetzt machen." "Und warum es überhaupt zu einer Katastrophe kommt", erwiderte Alex wieder mit ernster Stimme, aber noch immer ein Hauch von kindlicher Freude im Gesicht. "Ich hab keine Ahnung", erwiderte Dana mit gesenktem Blick. "Schaut mich nicht an. Ich weiß es auch nicht." Der Nachmittag verging ohne weitere Erfolge. Dana verbrachte einen großen Teil damit, aus dem Fenster zu blicken. Sie starrte den grauen Winterhimmel und den verlassenen Park an. Schnee gab es dieses Jahr keinen – wie meistens – aber der Blick aus großer Höhe über freie Landschaft – soweit man einen kleinen Park inmitten Münchens grauer Winterstraßen eine freie Landschaft nennen konnte; nicht zu vergleichen mit den tiefen Wäldern und weiten Ebenen vergangener Leben – gab ihr immer ein Gefühl von spiritueller Sicherheit. Ihre Magie war irgendwie mit den Bergen, mit großen Höhen und mit dem Land an sich verbunden. Warum wusste sie selbst nicht. Draußen wurde es langsam dunkel. Ein Hauch von Abendrot begann durch die Wolkendecke hindurchzuschimmern. Die Straßenlaternen gingen an, und die Zahl der Fußgänger stieg vorübergehend. Rush Hour, dachte Dana. Es war kurz vor Fünf, an einem Freitag Nachmittag, und die Leute kamen von der Arbeit. Die meisten steuerten wahrscheinlich auf direktem Weg nach Hause. Das war keine Jahreszeit, in der man unnötig verweilte. Immer wieder trieben Vorerinnerungen in ihr Bewusstsein, geweckt von der Aussicht, wie sie zu wissen glaubte. Aber sie fand wenig Hinweise in den losen Gesprächsfetzen, Ausschnitten aus Beschwörungsritualen, den Gerüchen, Geräuschen und Bildern, die ihre eigenen Sinne immer wieder überlagerten. "Willst du noch Tee", fragte Alex irgendwann, und füllte dihre Tasse auf, die manchmal vor ihr auf dem Fensterbrett stand und manchmal in ihrer Hand ruhte. Bea saß hinter ihr auf dem Sofa und zeichnete. Dana konnte leise das Kratzen der Bleistifte hören. Sie hatte den Vormittag damit verbracht, alle ihre Bücher auf Hinweise zu durchsuchen, und arbeitete nun weiter an ihrer nächsten Kollektion. Wahrscheinlich der Frühlingskollektion, wie Dana vermutete. Die Straßenlaternen gingen an. Die Fenster in den umliegenden Häusern wurden zunehmend hell. Der Nachthimmel verfärbte sich zu einem matten Rot, das er bis zum Morgen beibehalten würde. In München wurde es bei bewölktem Himmel nachts niemals ganz dunkel. Sehnsüchtig erinnerte Dana sich des Sternenhimmels, der hier vor langer Zeit sichtbar gewesen war. Sie hatte ihn selbst nie gesehen, nicht in diesem Leben, aber sie hatte Erinnerungen daran aus früheren. "Ich könnte es mit dem Kristalldreieck versuchen", sagte sie. Es kam keine Antwort. Die Anderen hatten nicht damit gerechnet, dass sie jetzt etwas sagen würde. "Doch, ich versuche es mit dem Kristalldreieck", wiederholte sie mit Überzeugung, während sie sich zu ihnen umdrehte. Bea hatte ihren Stift noch immer in der Hand und sah sie mit offenem Mund an. Alex saß ein Stück neben ihr, in einem der beiden Sessel, nicht auf dem Sofa wie sie. Er hatte eines ihrer Bücher auf dem Schoß, in dem er wohl noch immer vergeblich nach Hinweisen suchte. "Mit dem Kristalldreieck?", fragte Alex. Dana nickte. "Ja, mit dem Kristalldreieck." "Welchem Kristalldreieck", fragte er. "Dem, das Bea extra für mich hat machen lassen, nach meinen Angaben", erwiderte sie, und begann dann zu erklären, wozu sie es überhaupt in Auftrag geben hatte lassen. Aus den Erinnerungen ihrer früheren Leben wusste sie, dass sie Macht über den Fluss der Zeit hatte. Und das zentrale Hilfsmittel für diese Art der Magie war ein gleichseitiges Dreieck aus durchsichtigem Kristall. In einer jüngeren Wiedergeburt hatte sie Theorien aufgestellt, die den Kristall mit einem Prisma verglichen, in dem nicht das Licht gebrochen wurde, sondern die Zeit. Anders als beim Licht brauchte es dazu natürlich mehr als gewöhnlicher Physik, und das war der Punkt an dem ihre Magie ins Spiel kam. Sie hatte keine Ahnung, was sie selbst von dieser These halten sollte. Wenn sie ehrlich war, dann hatte sie überhaupt keine Meinung dazu. Es reichte ihr zu wissen, wozu das Kristalldreieck da wurde. Sie versammelten sich im Beschwörungsraum auf dem ausgebauten Dachboden über Beas Wohnung. Bea zündete die Kerzen an, Dana begann getrocknete Kräuter in kleine Rauschschalen zu füllen. Sie hatten viel Zeit damit verbracht, die richtigen Kräuter zu finden, waren dazu oft mit des S-Bahn bis weit in die Außenbereiche des Netzes gefahren, wo mehr oder weniger naturbelassene Wäldchen in Laufreichweite der Bahnhöfe lagen. Solange man nur wusste wie, konnte man von dort aus in die Tiefen Wälder gelangen, jene Gegenden, die von der modernen Welt übersehen worden waren, und die noch nicht durch Landwirtschaft, Ackerbau, Strom- und Wasserleitungen gebändigt worden waren. Dana nahm in der Mitte des Beschwörungskreises Platz. Sie setzte sich dazu wie üblich mit verschränkten Beinen hin. Die anderen Beiden standen außerhalb des Kreises, auf die Rolle einfacher Zuschauer beschränkt. Dana nahm den Kristall, der vor ihr im Kreis lag mit beiden Händen und hob ihn an ihre Stirn. Er war aus Bernstein, sah aus wie geschliffenes Eis und war größer als ihre beiden gespreizten Hände zusammen. Als nächstes stimmte sie ihren Geist ein. Sie benutzte dazu verschiedene Konzentrationsübungen, deren Sinn ihr selbst nicht verständlich war. Sie hatte sie so in ihren Vorerinnerungen gesehen, und hoffte sie fehlerfrei wiederholen zu können. Und tatsächlich, das Unmögliche geschah: Die Schleier der Zeit wichen vor ihrem inneren Auge zurück, und sie begann die Zukunft zu sehen. Mit stockender Stimme und immer wieder mitten im Satz innehaltend beschrieb sie den anderen, was geschehen würde. Sie beschrieb den Bahnhof, in dem sie aus der S-Bahn stiegen. Den Namen der Station konnte sie nicht sehen, genauso wenig wie die Nummer der S-Bahn. Dafür beschrieb sie die Landschaft, die sich ihnen außerhalb des Bahnhofs auftat: Die Autobahnunterführung; die Parkbänke, an denen die braune Farbe abzusplittern begann; die Uhr, an der sie vorbei kamen. Die Uhr war auf einem Mast angebracht, einem altmodischen Laternenmast vergleichbar, mit verschnörkeltem Stiel und einem viereckigen Aufsatz, auf dessen Seiten die Zifferblätter lagen. Die Uhr zeigte genau 23:17. Sie beschrieb den Weg, den sie entlang gingen, und das Gebäude, bei dem sie schließlich ankamen. Es wirkte von außen wie ein halb verfallener Wehrturm, war aber eine Disco. Die beschrieb genau die Farbe der Neonreklame über dem Eingang. Den Namen selbst konnte sie in ihrer Vision derweilen nicht erkennen. Es folgten Bilder, wie sie zu dritt durch die Disco liefen, im Halbdunkel, zwischen roten und blauen Scheinwerferspots, laute Techno-Musik in den Ohren. Alex und Bea gingen voran, sie selbst einige Meter hinter ihnen. Sie beschrieb ein Mädchen, genauso klein und zierlich wie Bea, aber mit dunklen Haaren, das sich die Seele aus dem Leib zu tanzen schien. Sie sprang wie verrückt umher, ihre Arme und Beine wirbelten, ihr Gesicht von ihren wild fliegenden Haaren verborgen. Das Letzte, das sie beschrieb waren Bea und Alex, die auf das Mädchen zugingen. Das war aber nicht das Letzte, das sie sah. in ihrer Vision sah sie Flammen um das Mädchen herum entstehen, die zunächst ihren Bewegungen zu folgen schienen, aber sich binnen weniger Herzschläge auszudehnen begannen und drohten die gesamte Disco zu verschlingen. Und dann war da gar nichts mehr, nur noch ein abrupter Schnitt. Es war, als ob die Zeit einfach aufhörte zu laufen. Ein Fetzen aus einem Traum kam ihr unwillkürlich in den Sinn: Du wirst nicht alt werden. Der Tod holt dich in jungen Jahren. Sie konnte sich an nichts anderes aus diesem Traum mehr erinnern, aber sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass der Traum wahr gewesen war. Sie dachte nicht oft an diesen Traum, aber manchmal überfiel sie die Erinnerung daran einfach, stets begleitet von einem düsteren Gefühl der Vorahnung. So auch in diesem Moment. Sie hatte gesehen, was sie gesehen hatte, und die panische Angst setzte sich in ihrem Herz fest, dass es ihr Tod war. Ihr eigener, der von ihren beiden Freunden, und der unzähliger unwissender Discobesucher. Ihr Körper begann zu zittern, und apathisch ließ sie sich von Alex und Bea zurück ins Wohnzimmer bringen. Sie hielten ihre Reaktion wohl für eine Nachwirkung des Zaubers, denn sie legten ihr eine Decke um, drückten ihr eine weitere Tasse dampfenden Tee in die Hand und ließen sie dann in Ruhe. Die Stunden vergingen. Die anderen Beiden diskutierten, was sie wohl erwarten mochte, was es mit der Tänzerin auf sich haben könnte, und was sie für Vorkehrungen treffen konnten. Dana hörte ihnen kaum zu. Die Bilder in ihrem Kopf ließen ihr keine Ruhe. Sie mochte die Wiedergeburt einer mächtigen Magierin sein, und ihre Seele mochte die Lebenserfahrung unzähliger Leben in sich tragen, aber sie selbst, Dana, war nicht mehr als ein gewöhnliches, fünfzehnjähriges Mädchen, das mühsam versuchte mit Dingen Schritt zu halten, die sie kaum verstand. Sie versuchte sich aus ihrem Schock zu lösen, wollte mit den anderen reden, aber es ging nicht. Sie konnte einfach nicht. Es ging einfach nicht! Und so blieb sie in ihre Decke gehüllt in ihrem Sessel sitzen, den Blick fest auf den Grund ihrer Tasse fixiert. Gelegentlich ergriff ein Zittern von ihrem Körper Besitz. Alex versuchte derweilen im Internet anhand ihrer Beschreibungen die Disco zu finden, in der die Konstellation stattfinden würde. Es dauerte, bis sie sich schließlich zusammengepackt hatten und sich auf den Weg machen konnten. Die Zukunft ist nicht festgeschrieben, versuchte Dana sich fieberhaft einzureden. Es war nur eine Möglichkeit, die keinesfalls eintreten muss! Irgendwann gegen halb neun kamen sie an der ersten Station an, die nach Danas Beschreibung in Frage käme. Dana erkannte nichts konkret wieder, konnte aber auch nicht ausschließen, dass es diese Station gewesen war. Die Zukunft steht nicht fest. Du hast eine Möglichkeit gesehen, die eintreten kann. Nicht mehr! Als sie die Disco schließlich fanden, die Alex im Netz entdeckt hatte, war Dana sich sicher, dass sie falsch waren. Die Suche ging weiter. Bei den nächsten beiden Stationen wusste sie bereits beim Aussteigen, dass sie falsch waren. Dann kam es zu einem unerwarteten Zugausfall, der sie vierzig Minuten lang aufhielt, gefolgt von einem weiteren Fehlversuch. Die Kälte begann sich langsam aber sicher in Danas Gliedern festzusetzen, als sie das nächste Mal aus der Bahn stiegen. Dana konnte nun sicher sagen, dass sie richtig waren. Innerlich kämpfte sie weiter mit der Angst vor einer unabwendbaren Katastrophe. Der Eindruck, wie die Flammen sich auszubreiten begannen und das Bild dann einfach abriss hatte sich in ihre Erinnerung eingebrannt. Danach hatte sie Zeit einfach aufgehört, als gäbe es kein Nachher mehr. Es ging bis zu diesem Punkt, und nicht weiter. Die Panik in ihrem Herzen bekam neuen Auftrieb, als sie die Uhr aus ihrer Vision passierten. Sie erkannte sie wieder, konnte sich an jede Verzierung und jeden Schnörkel erinnern. Und sie zeigte genau 23:17. Dana versuchte krampfhaft sich zu überwinden und die anderen anzubetteln, dass sie umkehren sollten. Aber es war als schneide eine unsichtbare Wand sie vom Rest der Welt ab. Sie liefen weiter, und erreichten das Gebäude aus ihrer Vision. Dana bemerkte kaum, wie Alex sie mit den Worten "Wir sind nicht die Droiden, die ihr sucht. Wir können passieren", an den Türstehern vorbeiführte, die sie einfach hindurchwinkten, ohne Passkontrolle, ja sogar ohne zu zahlen. Auch im Inneren des Gebäudes lief alles genauso ab, wie sie es gesehen hatte. Sie lief passiv hinter den anderen her, innerlich noch immer mit sich ringend, wie sie sie aufhalten sollte. Da entdeckte sie das Mädchen mit den braunen Haaren. Sie tanzte, und wirbelte. Flammen begannen wie eine Aura Borealis über ihren Körper zu tänzeln, wuchsen an, begannen sich auszudehnen. Die Panik in ihrem Herzen wurde stärker als der Kloß, der seit Stunden in ihrer Kehle zu stecken schien. Voller Verzweiflung brüllte sie: "Stop!" Ein silberner Faden schien mit einem lauten Schnappen zu reißen. Der Pulsschlag der Welt verstummte. Die Flammen rasten nicht länger auf Dana zu. Dunkelheit umfing sie. *** Bea konnte die Bündelung magischer Macht bereits spüren, als sie die Disco erreichten. Es war wie ein weißes Pulsieren, wie der Duft von Flieder und Wein, wie die Brandung des Meeres an einer Steinküste. Anders war es mit menschlichen Begriffen nicht zu beschreiben. Sie erlaubte es sich, einige Momente lang in den unerwarteten Sinneseindrücken zu baden, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder der bevorstehenden Krise zuwandte. Alex ging derweilen zielstrebig weiter und erreichte als erster den Eingang. Lichtpalast, hieß der Laden, wie Bea mittlerweile lesen konnte. Sie nahm es zur Kennnis, zuckten mit den Schultern, vergaß es wieder. Sie waren jetzt hier. Sie brauchten den Namen nicht länger. "Wir sind nicht die Droiden, die ihr sucht", hörte sie Alex zu den Türstehern sagen. "Wir können passieren." Der magische Kraftfluss war kaum zu bemerken vor dem Hintergrund der geballten Entladung im Inneren des Gebäudes, und sie verkniff sich ihn für den leichtfertigen Einsatz von Magie zu rügen. Es war wahrscheinlich der schnellste Weg, um hinein zu kommen, und die Nacht des Brennens hatte nun absoluten Vorrang. Das Echo von Findracors donnernde Stimme hallte noch immer in ihrem Kopf nach. Das Innere des Disco empfand Bea als unangenehm laut und gedrängt. Sie war kein Disco-Mensch, wie die anderen beiden auch, soweit sie wusste. Sie schloss im Gedränge zu Alex auf, kämpfte sich neben ihm zwischen den Leuten hindurch. Sie brauchte nun keiner Anweisungen mehr, konnte einfach den magischen Strömungen folgen. Weiter innen in der Disco liefen sie zusammen, und zwar genau im Zentrum einer silbern glitzernden Discokugel, die sich hoch über den Köpfen der Tanzenden langsam drehte. Rote und blaue und weiße Lichter spiegelten sich darin, und nur für Bea sichtbare Energieströme und Wirbel umflossen sie, kräuselten sich, bilden kleine Energieballungen, die sofort wieder im Chaos des Stroms zerstoben. Das Ziel der Entladung war das junge Mädchen, das Dana ihnen beschrieben hatte. Bea konnte sehen, wie die Energien sich um ihren Körper sammelten – nein, wie sie die Energien im ihren Körper herum sammelte. Denn sie konnte nun klar und deutlich die Aura des Mädchens herausschmecken, eine sanfte, tiefgründige Aura, die wie Seide glänzte. Eine andere Magierin, wurde Bea klar. Die junge Frau war eine Erwachte, so wie sie auch. Sie ging auf das Mädchen zu, unsicher, was sie tun oder sagen sollte. Da begann die gebündelte Kraft rund um das Mädchen herum plötzlich zu kreischen – zumindest empfand Bea es so. Es war, als wäre eine Grenze überschritten, eine kritische Masse erreicht. Die magischen Energien verwandelten sich in loderndes Feuer, das sich unaufhaltsam auszudehnen begann, einer flammenden Sintflut gleich. Bea war auf Feuer vorbereitet gewesen, war immer auf Feuer vorbereitet, aber noch während sie die Realität nach ihrem Willen umzuformen begann erkannte sie, dass sie dieser Urkraft nicht gewachsen war. Die Flammen dehnten sich schnell aus, kamen in ihre Richtung, und sie versuchte verzweifelt einen Schild zu errichten, der stark genug sein würde, um sie selbst zu beschützen.Voller Verzweiflung erkannte sie, dass sie für ihre Freunde nichte mehr tun konnte. Überhaupt nichts mehr. Und für die Discobesucher noch viel weniger. Verdammter Idiot!, warf sie sich selbst vor, noch unter Schock, noch gar nicht in der Lage das volle Ausmaß der Situation zu begreifen. Da geschah irgendetwas. Bea konnte den zusätzlichen Kraftfluss spüren. Ein weiterer Zauber war gewirkt worden. Woher der Zauber kam, konnte sie im generellen Chaos nicht erkennen. Und dann hörte ihr Verstand auf zu arbeiten. Ihr Geist erstarrte, ihr Bewusstsein versank in Dunkelheit. *** Bea verstand nicht, wo sie war. Der Raum war vage vertraut. Es war dunkel. Alles war in ein tief dunkelblauen Licht gehüllt, das mehr verbarg als dass es beleuchtete. Ihre übernatürlichen Sinne spielten verrückt, lieferten ihr widersprechende Eindrücke. Der ganze Raum schien von Magie erfüllt zu sein. Kein winziges Bisschen Magie schien mehr zu existieren. Die Konstellation war kurz vor dem Höhepunkt. Die Konstellation existierte nicht. Verwirrt versuchte sie sich mit ihren normalen Sinnen zu orientieren. Alex und Dana standen neben ihr. Dana redete in einem Fort auf sie beide ein, schnell, überstürzt, ohne Zusammenhang. Alex blickte sich derweilen so verwundert um, wie Bea selbst auch. Um sie herum waren grotesk verzerrte menschliche Körper, in sonderbar verdrehten Haltungen, die Gesichter starr und maskenhaft. Sie bewegten sich nicht, waren wie Statuen an ihren Plätzen festgefroren, die Körper teilweise noch in der Luft, in Drehungen und Sprüngen, aber ohne jegliche Bewegung. Dann sah Bea die Flammen. Es war wie eine Kugel, die sich um das tanzende Mädchen gebildet hatte, eine annähernd perfekte Oberfläche, bestehend aus dunkelblau festgefrorenen Flammenzungen. Endlich drangen die Worte Danas bis in ihr Bewusstsein vor, sonderbar tief und verzerrt, wie das Hallen des Meeres selbst. "Ich verstehs ja selbst nicht!", donnerte der Bass ihrer Stimme durch Beas Eingeweide. "Ich hatte einfach nur noch Panik, und dann hab ichs einfach gemacht." Aber schließlich vernahm Bea: "Ich hab die Zeit angehalten. Irgendwie. Ich hab sie einfach angehalten. Danach hab ich euch irgendwie in den Raum zwischen den Momenten, oder den Sekunden, ich weiß es doch selbst nicht, geholt. Und irgendwas müssen wir jetzt machen! Irgendwas müssen wir doch machen können!!" Sie war geradezu hysterisch. Alex nahm sie da in den Arm und begann leise auf sie einzureden, während er sie sanft an sich drückte. "Alles wird gut", tönte seine Stimme in tiefem Bass durch Beas Körper. "Wir finden einen Weg. Ich weiß schon, was wir machen können." "Und was", fragte Bea mit gereizterer Stimme, als sie beabsichtigt hatte. Sie wollte ihre Freunde nicht noch zusätzlich unter Druck setzen, aber die Situation verlange auch ihr viel ab. "Wir löschen die Flammen", erklärte Alex. "Wir benutzen unsere Magie und löschen damit die Flammen." Bea funkelte ihn an. "Und wie stellst du dir das vor?", fragte sie. "Das ist kein einfaches Feuer, das ist ein Inferno. Keiner von uns hat die Macht, DAS zu tilgen, nicht mal wenn wir zusammen helfen." "Was denkst du, wo wir sind?", erwiderte er darauf. "Im Zentrum einer magischen Entladung. Hier gibt es alle Kraft, die wir brauchen. Wir müssen sie uns nur nehmen!" Bea verstand. Sie begannen Energien in sich aufzunehmen. Bea war später nicht in der Lage, den Prozess zu beschreiben. Die magischen Energien waren zugleich in der Zeit verhaftet und festgefroren, und zeitlos und ungebunden. Sie schöpften reichhaltig, und mit dieser zusätzlichen Kraft war es nicht weiter schwer, die Flammen vollständig zu löschen. Dann zerstreuten sie die letzten magischen Energien, die um das Mädchen herum noch vorhanden waren. "Kannst du die Zeit wieder in Gang bringen?", fragte Alex Dana mit sanfter Stimme. Sie blickte ihn zuerst ratlos an. "Ich weiß es nicht", antwortete sie dann. "Versuch es einfach!", sagte er. Sie nickte. "Hat von Euch jemand das Kristalldreieck dabei?", fragte sie schließlich mit unsicherer Stimme. Bea schüttelte den Kopf. "Das liegt wieder bei mir zuhause, im Beschwörungsraum, an seinem Platz im Regal." Dana schluckte. "Versuch es ohne!", sagte Alex zu ihr. "Du hast es eben auch ohne geschafft!" Sie nickte, versuchte sich zu konzentrieren, und mit einem Mal war alles wieder wie zuvor. Die Flammen waren verschwunden. Die Tänzer tanzten. Die Beats der Musik hämmerten. Die bunten Scheinwerfer kreisten. Und das Mädchen unter der Discokugel erwachte aus einer Art Trance und sah sich irritiert um. Auf einmal begann Dana an Beas Seite zu lachen. "Ich habe die Zeit angehalten", brachte sie begeistert heraus. "Das war es also, was ich gesehen habe!" Ihr Lachen wirkte ansteckend, denn auch Bea konnte spüren, wie die Anspannung von ihr abfiel, als sie auf das sich verwirrt umsehende Mädchen zusteuerten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)