Sonne und Mond I von Shino-Tenshi (Schattenwesen) ================================================================================ Kapitel 9: Gleich und doch verschieden 3/3 ------------------------------------------ Vor mir stand ein gedeckter Tisch für zwei Personen zum Abendessen. In meiner Hand lag noch die Butterdose, die ich nun lautlos abstellte und mir mein Ergebnis stolz besah. Es gab kein warmes Abendessen bei uns, sondern immer nur eine Brotzeit. Meine Mutter hatte zum Kochen keine Zeit. Sie aß selbst in der Mensa in ihrer Arbeit und brachte mir dann meistens eine Portion mit, die ich mir am nächsten Tag nach der Schule warm machen konnte.  Für mich war das in Ordnung und an sich kannte ich es nicht anders. Seit ich in die Schule ging und meine Mutter länger arbeiten konnte, war dies so. Auch wenn ich mir mehr Zeit mit ihr wünschte, so war mir schon sehr bald klar, dass sie dies nicht tat, um mir aus dem Weg zu gehen, sondern um mir ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Bei einer Frage von ihrer Seite aus, wäre meine Antwort aber, dass ich lieber mehr Zeit mit ihr hätte und dafür auf ein paar Unannehmlichkeiten verzichten würde.  „Puh, was für ein Tag. Ich bin froh, dass ich endlich zuhause bin.“ Sie kam in den Raum und streifte sich dabei einen blauen Pullover über den Kopf. Ihre braunen Mandelaugen sahen mich erschöpft an und sie strich sich eine ihrer losen, schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ein Rebell, der sich nicht in den Pferdeschwanz sperren lassen wollte. Die Jeans war genauso alt wie ihr Oberteil und verspottete die weißen Socken, die sie vom Fußboden trennten.  „Du hättest doch auf mich warten können, dann hätte ich dir beim Tisch decken geholfen.“ Sie sah mich kurz tadelnd an, bevor sie sich auf ihrem Stuhl niederließ und schon nach dem ersten Brötchen griff.  „Nein, das ist schon in Ordnung. Du hast ja den ganzen Tag gearbeitet und das Decken des Tisches bringt mich dann ja doch noch nicht um.“ Ich lächelte sie an und ließ mich ebenfalls nieder, bevor ich mir dann auch ein Brötchen nahm, um es aufzuschneiden. Die Abende mit meiner Mutter waren mir heilig. Dieses gemeinsame Essen war der wichtigste Moment des Tages für mich und ich hatte auch nicht vor einen davon zu verpassen. „Dann ist es ja gut.“ Sie lachte auf und das Lächeln blieb auf ihren Lippen. „Aber nun erzähl mal, was hat es mit deinem neuen Mitschüler auf sich? Am Telefon kam das Ganze zu kurz herüber und ich bin echt neugierig. Normalerweise erzählst du nichts aus der Schule.“ „Sein Name ist Taiyo Hikari.“ Ein angenehmes Ziehen erwachte bei deinem Namen in meinem Bauch und ich hielt meinen Blick gesenkt. „Er kam heute neu zu uns und hat sich sofort neben mich gesetzt.“ „Das klingt doch schön. Vielleicht könnt ihr ja Freunde werden“, unterbrach mich meine Mutter kurz und ich seufzte. Langsam schüttelte ich meinen Kopf und dachte an unsere Gespräche zurück, die nur einen Schluss zuließen. „Nein, er hat nur Interesse an mir, weil wir uns so ähnlich sehen. Die Lehrer verwechseln uns und das macht ihm Spaß, derweil müssten sie nur auf den Schmuck sehen. Denn dort unterscheiden wir uns. Seiner ist nämlich golden und rot anstatt silbern und blau.“ Ich beschmierte meine Hälften, um eine Ausrede zu haben, dass ich meine Mutter nicht ansah. Die Angst, dass sie etwas in meinem Gesicht erkennen könnte, war zu groß, sodass ich mich lieber weiter in mein Tun vertiefte. Sie mochte es nicht, wenn ich sofort beide Hälften belegte, doch ich aß eh immer mindestens ein Brötchen, sodass sie den Protest mittlerweile aufgegeben hatte. Die eine Hälfte belegte ich mit einer Scheibe Schinken, die andere bestrich ich mit Streichwurst und biss dann von dieser herzhaft ab.  „Das ist schon komisch.“ Ihre Stimme klang nachdenklich und sie stoppte kurz das Essen. Etwas huschte über ihr Gesicht, doch es war zu schnell, um es zu ergreifen. Verschwand schon hinter dem nächsten Bissen und Schulterzucken.  „Ich habe ihn heute noch einmal im Park getroffen. Sofort hat er mich mit Fragen gelöchert und irgendwann ist ihm dann auch mal mein Schmuck aufgefallen. Da ist er dann vollständig eskaliert.“ Ich schüttelte den Kopf und versuchte so, die Erinnerung an unser außerschulisches Treffen zu vergessen, doch es blieb in meinem Kopf. Du bliebst in meinem Kopf. „Weißt du, wie alt er ist?“, fragte sie nach und starrte weiter geradeaus, was ein nagendes Gefühl in meinem Bauch erweckte. Sie sah mich immer an, wenn wir miteinander sprachen. Jetzt wirkte es, als würde sie wo ganz anders zu sein. Vielleicht war irgendwas auf der Arbeit passiert und sie war erschöpfter als sie sich eingestand.  „Nein, er hat zwar nach meinem Alter gefragt, aber ich nicht. Ich schätze aber, dass er ungefähr in meinem Alter sein wird. Schließlich gehen wir in dieselbe Klasse. Es ist mir an sich egal, wie alt er ist.“ Ich zuckte erneut mit den Schultern und aß den Rest der ersten Hälfte auf, um mich dann auf die Zweite zu konzentrieren.  „Diese Ähnlichkeit ist wirklich komisch. Willst du ihn mir nicht einmal vorstellen? Am Wochenende wäre doch eine gute Gelegenheit oder nicht?“ Ich sah sie an, als wäre sie von einem anderen Stern. Hatte sie mir nicht zugehört? Ich hatte kein Interesse daran dich besser kennenzulernen. Du solltest wieder aus meinem Leben verschwinden und mich in Ruhe lassen. So wie alle anderen auch.  „Mum, ich bin nicht mit ihm befreundet und habe auch nicht vor es zu sein. Er ist so anders als ich. So aufdringlich und will mich bestimmt nur wie alle anderen ärgern. Der ist mir viel zu anstrengend, um mit ihm befreundet zu sein“, blockte ich ihren Vorschlag ab und schüttelte mit Nachdruck meinen Kopf.  Ein Bissen ermöglichte mir eine kurze Pause, bevor ich dann weitersprach, kaum dass ich herunter geschluckt hatte: „Er hatte eine Katze bei sich. Die lief neben ihm her wie ein Hund. Und da bezeichnen mich manche als total durchgeknallt, weil ich Akirai auf meiner Schulter trage. Da haben die noch nicht ihn mit seiner Katze gesehen.“ Ich konnte die gewisse Tierliebe verstehen, doch es wirkte so falsch auf mich, wie du mit deiner Katze umgingst, dass es außerhalb meines Verständnisses war und es mich nur meinen Kopf schütteln ließ. „Weißt du, wo er wohnt?“, überging meine Mutter meine Erzählungen und ich schnaubte trotzig, bevor ich noch einmal abbiss, um dann zwischen den Bissen zu antworten: „Hab ich nicht gesagt, dass ich mit ihm nichts zu tun haben will? Ist mir doch egal, wo der wohnt. Der kann bleiben, wo der Pfeffer wächst.“ Skepsis kroch in ihre Augen und ließ sie die Augenbrauen zusammenziehen. „Dafür redest du sehr viel über ihn. Sicher, dass du ihn nicht doch irgendwie magst?“ Was sollte das? Sie hatte doch nachgefragt und wollte alles Mögliche wissen! Jetzt sollte ich der Vernarrte sein?! Das ist lächerlich! Du warst mir egal. Ich brauchte deine Freunde. Nie wieder.  Ich schluckte die Wut hinunter und entlud sie in meinem nächsten Bissen, um meiner Mutter mit dem nötigen Respekt begegnen zu können. „Du warst doch diejenige, die mehr über Taiyo wissen wollte. Ich erzähle dir nur, was ich weiß. Also, hör auf mir, irgendein Interesse zu unterstellen.“ Damals wollte ich mein durchaus existentes Interesse an dir noch nicht wahrhaben. Denn laut Leonardo Davinci suchen wir alle nach unserem Abbild in unserem Gegenüber und desto mehr dies vorhanden war, umso attraktiver war dieser für uns. Durch meine Homosexualität warst du also der perfekte Kandidat für mich, doch ich wollte es nicht wahrhaben. Mich nicht in jemanden verlieben, der mich so bedrängte. Außerdem ging das doch niemals gut. Nur keine Schwäche zeigen. Ich durfte nie wieder Schwäche zeigen.  „Ist doch okay. Jetzt beruhige dich mal wieder. Ich habe nichts dergleichen behauptet, wenn es dir dann besser geht.“ Sie steckte ihren letzten Bissen in den Mund und ihr entspannter Gesichtsausdruck schürte die Wut in meinem Inneren. Es wirkte, als würde sie nur mit mir spielen und mich nicht ernst nehmen. Diese Gedanken hasste ich. Sie schmerzten und brachten diese alles verschlingende Leere in meinem Inneren zurück.  Ich schob mir auch den letzten Rest meines Brötchens in den Mund und beruhigte mich mit jedem Bissen ein Stück mehr. Die Wut verrauchte langsam wieder, doch die Angst blieb. Dieses flatternde Gefühl in meiner Magengrube, das eine leichte Übelkeit mit sich brachte. Ich wollte dich nicht in meiner Nähe haben, wenn du so interessiert an mir warst. All diese Informationen könntest du gegen mich verwenden und wenn ich dich in mein Herz ließ, dann war die Gefahr da, dass du es zerquetschtest.  Das waren alles Risiken, die ich nicht mehr eingehen wollte. Ich wollte nur noch die Zeit in dieser Schule überleben und dann hoffentlich in ein Umfeld kommen, in dem sie mich akzeptierten. Mich, mit all meinen Fehlern und Problemen, die man bis jetzt immer nur zu Sperren formte, um sie mir in den Leib zu rammen.  Wir standen auf und räumten stillschweigend den Tisch ab. Normalerweise saßen wir dann noch im Wohnzimmer zusammen, doch mir war die Lust auf Gesellschaft gründlichst vergangen. So zog ich mich in mein Zimmer zurück, um den heutigen Tag noch einmal Revue passieren zu lassen.  Ich habe dich schon in der Aula getroffen. Auch alle anderen haben dich dort gesehen und jeder war von unserer Ähnlichkeit fasziniert. Ganz besonders du. Immer ging es nur darum. Du wolltest nie etwas anders wissen. Sprachst kein anderes Thema an. Nur unser scheinbar gleiches Aussehen. Du wolltest nur mit mir reden und zwangst mir den Kontakt zu dir förmlich auf, indem du mir nicht mehr von der Seite wichst, bis zum Schultor. Erst da konnte ich dir entkommen, aber auch wenn du nicht mehr bei mir warst, aus meinen Gedanken verschwandest du nie. Als wir uns im Park trafen, wollte ich am Liebsten auch wieder weglaufen, doch du hast endlich mal an etwas anderem Interesse gezeigt. An mir und an Akirai. Nicht nur an unserer Ähnlichkeit, doch irgendwas ging auch da wieder schief. Die Frage nach meinem Wohnort war mir zu privat, weil ich Angst bekam, dass du mich dann gar nicht gehen lassen würdest.  Ich konnte dir nicht vertrauen. Egal, wie oft du es beteuertest, dass du anders warst und dir meine Mobber egal waren. Ich konnte dich nicht nähern an mich heranlassen. Was wenn auch du mich attackiertest? Insgeheim waren doch alle gleich, oder? Jeder schlug auf den Schwächeren ein, um sich selbst stärker zu fühlen, oder? Auch du? Oder warst du anders? Konnte ich dir vertrauen? Ganz bestimmt nicht. Denn am Ende waren sie doch alle gleich... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)