Augenblicke

no time...

No time…
 

„Keiner hat Zeit! Mann!“, brüllte Horo und raufte sich die Haare.

Anna hatte Yoh zum einkaufen geschleppt, Manta war noch in der Nachhilfeschule und Ryu unterwegs. Selbst seine Schwester hatte keine Zeit für ihn! Und das an einem Samstag!

Völlig verzweifelt ging er trotz allem zu dem Asakuragrundstück.

Eigentlich hatte er selbst genug zu lernen, aber Hausaufgaben hatte er keine. Außerdem wollte er nicht römische und griechische Götter auswendig können! Was hatte das denn für einen Sinn?

Da Horo niemanden erwartete, sagte er auch kein Wort als er das Haus betrat. Anna und Yoh sollten höchstens in ein paar Stunden wieder da sein, in der Zwischenzeit musste er wohl wirklich etwas machen was er so gut wie nie machte.

Irgendetwas alleine machen.

Draußen hatten sie bereits schreckliches Herbstwetter, es sah aus als würde es gleich regnen. Kein Wetter zum draußen rumtoben! Obwohl er dafür natürlich auch schon wieder zu alt war.

Deprimiert setzte er sich vor den Fernseher und zappte durch die Programme. Nicht einmal Chips waren im Haus, also konnte er einfach nur auf den Bildschirm schauen. Anna hatte das neueste Versteck für Naschereinen entdeckt und er und Yoh hatten bis jetzt kein neues Versteck finden können. Leider.

Völlig in eine Seifenoper vertieft merkte der Ainu gar nicht, dass sich von hinten ihm einer näherte. Erst als er eine Hand auf der Schulter spürte schrie er vor Schreck auf und warf die Arme in die Luft.

„Ich hab nichts getan!“
 

Als er ein kleines Kichern hörte, etwas völlig untypisches, wusste er, dass Anna nicht eher heim gekommen war und ihm die Hölle heiß machte weil er auf ihrem Platz saß.

Ein gewisser Chinese beobachtete ihn mit kühlen goldenen Augen.

„Tja, schade das ich keinen Fotoapparat habe, dein Gesicht war zum schießen!“

„Ja, dein Pech! Hast du nichts zu tun?“

Er hatte den Chinesen nicht hier erwartet.

„Nicht wirklich, ich soll nur etwas von meiner Schwester für Anna abgeben. Aber da die ja nicht hier ist kann ich wenigstens wieder gehen ohne das ich putzen muss.“

„Ach, der große Ren Tao lässt sich Putzarbeiten aufdrücken? Ist ja süß.“

Rens Augenbraue zuckte gefährlich.

„Pass auf was du sagst, oder ich ruf Pilica an und erzähl ihr ganz böse Dinge über dich.“

„Ach, welche zum Beispiel?“, fragte Horo, kam aber nicht umhin sich zu wundern woher Ren Pilicas Nummer hatte; oder hatte seine Schwester seine?

„Zum Beispiel… das du schwul bist.“

Horos Augen wurden buchstäblich tellerrund und er krächzte.

„Wie?“

„Sie hat sich letztens mit mir unterhalten das sie sich Sorgen macht um dich, weil du bis jetzt noch keine Freundin hast und schon 17 bist und…“

Der Blauhaarige stand Hände wedelnd auf, schließlich saß er bis gerade eben noch. Nun war er wieder größer als der Chinese und sah ihn wütend an.

„Und wie kommt Pilica dazu, dich zu fragen?“

Ren zuckte mit den Schultern.

„Sie meinte wir streiten uns zwar oft, aber vielleicht hättest du mir etwas erzählt was man nur unter Männer bespricht. Jedenfalls macht sie sich Sorgen.“

„Diese…!“

Horo raufte sich die Haare. Pilica verstand mal wieder alles falsch! Natürlich hatte er bis jetzt keine Freundin, weil er einfach keine haben wollte. Schließlich liebte er eine andere Person, und so ganz Unrecht hatte die Blauhaarige mit ihren Vermutungen ja auch nicht…

Aber das sollte man lieber niemanden sagen, nicht?

„Sie macht sich halt nur Sorgen um dich, Dummerchen.“

„ja! Weis ich doch! Aber wie kommt sie auf so was?“

Ren zuckte nur mit den Schultern. Er hatte buchstäblich keine Ahnung. Schließlich hatte er ihr nur zugehört, weil sie Horos Schwester war. Und weil sie über manch andere Sachen bescheid wusste, die ihm eher einmal heraus gerutscht waren.

Aber das Horo sich so aufregte war schon komisch.
 

„Wenn du dich jetzt genug aufgeregt hast kann ich ja wieder gehen“, meinte der Chinese und wandte sich um. Er hatte seinen Auftrag erfüllt. Aber da hielt ihn jemand an der Schulter fest.

„Warte mal! Hast du heute noch was vor?“

Ren erblickte mal wieder das Grinsen des Ainus, wo er ahnte, dass dieser etwas Großes vorhatte, was meistens damit endete das Anna sie aus dem Haus warf.

„Eigentlich nicht, aber ich…“

„Prima! Da können wir ja etwas zusammen unternehmen!“

Ren verdrehte die Augen, als Horo fast schon wieder wie ein kleines Kind rum sprang, das einen Lolli bekommen hatte.

„Was willst du den bitte machen? Ich habe eigentlich keine Lust mir dir rumzuhängen…“

Horo kannte die Ausflüchte die kommen würden bereits. Er grinste nur weiter und zog ihn aus der Stube heraus Richtung Korridor.

„Du wirst schon sehen! Los, zieh dich an.“

Ren ließ sich schieben. Er hätte mit dem Ainu endlose Diskussionen führen können, aber das hätte nichts gebracht. Am Ende wäre er hier geblieben und hätte später das Bad putzen dürfen. Da war ein Unternehmen mit Horo doch schon die bessere Variante, wenn er nur einmal ernst sein könnte. Und zudem hatte er wirklich nichts zu tun, und sich langweilen war ja kein Hobby von ihm.
 

Wenig später befanden sich sowohl der strahlende Ainu als auch der Chinese auf den belebten Straßen Tokios. Der Wind zog leicht an ihren Sachen, aber wenigstens regnete es nicht, obwohl eine dicke Wolkendecke über sie hin wegzog.

Ren hatte noch immer nicht erraten können, auf welche ach so tolle Idee der Ainu den nun gekommen war. Er lief einfach mit, während Horohoro sich den Mund fusslig redete. Wenn der Chinese nichts zu dem Thema beizutragen hatte, musste Horo halt die Stille durchbrechen.

Aber der Chinese hatte weder ein Interesse an dem Gespräch, noch dessen Inhalt. Als Pilica ihm so sorgenvoll Fragen über Horos Beziehungsstatus stellte, war er selbst stutzig geworden.

Wenn er sich den Blauhaarigen so besah, musste er doch fast ein Frauenschwarm sein. Als erstes fällt einem natürlich die ungewöhnliche Haarfarbe auf, welche einem so entgegen strahlte. An seinem Gesicht konnte man auch nichts aussetzen. Es war offen und ehrlich, zudem auch attraktiv.

Ren bemühte sich, seine Gedanken nicht noch weiter abgleiten zu lassen. Nachdem er aber automatisch mit stehen blieb als Horo es tat, erkannte er ihren Zielort.

Ein Lese-Café.

Ren hatte schon von solchen gehört, aber war noch nie in einem. Man konnte neben dem essen oder trinken hier wirklich alles machen. Lesen, sich unterhalten oder im Internet surfen. Ren fand das zwar mehr als unpassend, aber die Idee schien vom Erfolg gekrönt zu sein. Das Café schien auch in diesem Moment relativ gut besucht, aber das lag wahrscheinlich eher an der Uhrzeit oder dass Samstag war.

Bevor Ren einen seiner sarkastischen Kommentare abgeben konnte, zog der Blauhaarige ihn aus der kälte in den warmen Laden. Sie wurden sofort von einem Mädchen begrüßt, das freundlich lächelte und sie fragte, was für einen Tisch sie haben wollten und mit welchem Zubehör. Ren hörte nur zu, während der Ainu alles regelte und sie sich wenig später an einer der Stellen gegenübersaßen, wo beide zugriff zu Mangas, Zeitschriften und den neuesten Bestsellern hatten. Bücher konnte man auch gleich kaufen, wenn man wollte. Natürlich nicht die angelesenen Exemplare. Trotz das das Café so gut besucht war, herrschte eine entspannte Atmosphäre. Nachdem beide einen Kakao bekommen hatten, fing ihr Gespräch wieder an.

„Was macht Run so? Nervt sie dich noch immer?“

Denn entgegen der allgemeinen Vermutung, machte Rens Schwester sich große Sorgen um ihren Bruder. Außerhalb ließ er niemanden etwas mitbekommen, aber schon die ganze Zeit wurmte ihn etwas, und nur Run hatte es bisher erfahren – aber auch nur weil sie ihn lesen konnte wie ein offenes Buch.

„Sozusagen, aber derzeit hat sie die Mode für sich entdeckt. Du glaubst nicht, was sie an mir ausprobiert.“

Ren nahm sich, da er schon einmal in so einem Café war, die nächstbeste Zeitschrift die er finden konnte. Es war zwar nur die Tageszeitung, aber heute hatte er sie wie aus Zufall noch nicht gelesen. Horo grinste aber nur.

„Ach, musst du ein Tütü anziehen?“

Ren murrte nur, kannte er doch Horos Art bereits, ihn bis auf das Blut zu reizen.

„Bis jetzt noch nicht. Kommt aber vielleicht noch, obwohl man mir doch inzwischen ansieht, das ich männlich bin, finde ich.“

Denn der Chinese wusste sehr wohl, wie er wirkte, oder gewirkt hat. Inzwischen war er gewachsen, hatte noch mehr Muskeln zugelegt. Der Ainu war so sehr in das Gespräch vertieft, das er seine nächsten Worte später bereuen sollte.

„Ach, du bist auch jetzt noch süß.“
 

Danach guckte Ren ihn über die Zeitung hinweg an wie ein Eichhörnchen. Und Horo wurde sich schlagartig bewusst was er gesagt hatte. Er spürte die Röte in sein Gesicht schießen. Er war so vertieft in den Ausdruck des Chinesen gewesen, seine Art wie seine Augenbrauen sich hoben und senkten, wie seine Lippen sich bewegten. Er hatte ihn eine Zeit lang nicht gesehen und sich abdriften lassen. Er konnte nun nur noch versuchen die Situation zu retten, aber seine Röte verriet ihn bereits.
 

Ren guckte immer noch überrascht, aber eher entsetzt als positiv. Als würde er zum ersten Mal eine bestimmte Spezies ansehen. Oder er fragte sich, warum der Blauhaarige noch rot wurde.

„Ah, du weist was ich meine. Etwas nicht männlich bist du schon noch, und in einem Kleid wärst du sicher auch zu bestaunen… ah, äh, so meine ich das nicht…“

Je mehr Horo es versuchte, desto mehr verstrickte er sich in seine eigenen Worte. Ren blinzelte indes nicht einmal. Er schien es nicht glauben zu können. Horo konnte nur ahnen was er denkt, und das machte ihn noch verrückter. Er schnappte seinen Kakao und trank daraus, auch wenn er noch relativ heiß war. Er wusste nicht mehr weiter, und Zweifel erschütterten ihn.

Ren indes guckte noch ungläubig. Dann legte er die Zeitung ordentlich zusammengefaltet beiseite. Er schaute nun eher grübelnd, nachdenklich.

„Was … soll mir das jetzt bitte sagen, Horokeu?“

Er sprach ihn mit seinem vollen Namen an, es war ernst. Horo wimmerte fast. Jetzt hatte er alles zerstört. Würde Ren sich freuen, das er Gefühle für ihn hätte, würde er sicher eine andere Reaktion zeigen.

„Eigentlich nichts.. ich weis nicht was du meinst.“

Er konnte nur versuchen zu retten, was zu retten war.

Ren schaute ihn wieder mit seinen goldenen Augen an, die Horo, trotz dessen was hier abging, in ihren Bahn zogen. Erst jetzt erkannte er, das in ihnen etwas wie Enttäuschung zu lesen war, und er schüttelte sich fast.

„Dann.. lassen wir es am besten.“

Seine Stimme erklang auch so, betrübt und fast enttäuscht. Horo schluckte. Hatte er die Reaktion falsch gedeutet? Hatte er einfach nur erwartet, dass Horo es richtig erzählte, und dass dann sein Gesicht vielleicht gestrahlt hätte?

Die Möglichkeit, die sich bot, konnte er nicht ignorieren. Er würde es auch den Rest seines Lebens bereuen, wenn er es jetzt nicht genau erfahren würde.

Der Chinese trank bedächtig und zu ruhig seinen Kakao aus. Horo wusste nicht wie er anfangen sollte, eine Liebeserklärung war nicht einfach. Sie war kompliziert, mit Gefahren und unvorhergesehenen Folgen verbunden. Aber das Risiko musste er eingehen.

„Ren?“

Der Kleiner sah sofort auf. Horo meinte fast zu denken, das er auf so etwas gewartet hatte. Traute er sich nicht, den Anfang zu machen?

„Ich… na ja… finde dich schon süß.“

Rens Blick wurde konzentrierter, und Horo konnte nur erahnen, wie seine eigenen Gesichtszüge waren. Aber er sah deutlich Anspannung in dem Gesicht seines Gegenübers. Natürlich war das noch nicht alles, was er zu sagen hatte.

„Und, ich denke… ja, ich weis das ich mich in dich verliebt habe. Würdest du mit mir gehen?“

Und nun trat das ein, was Horo so lange erwartet hatte. Rens Gesicht hellte sich auf, seine Augen leuchteten fast. Der Ainu vermutete, dass sie um die Wette strahlten. Über Rens Lippen zog sich ein leichtes Lächeln, und als er zu einer Antwort setzen wollte, wurde ihnen die Rechnung für den Kakao vorgelegt. Die Kellnerin schien nicht zu bemerken, in welcher Situation sich beide befanden. Beide mussten aufpassen nicht zu lachen, weil das alles so absurd war. Horo bezahlte, und beide gingen immer noch fast lachend hinaus. Ren beruhige sich eher wieder, während Horo, der einfach nur froh war es endlich gesagt zu haben, noch länger grinste.

Aber dann wurde er wieder ernst. Schließlich hatte er noch keine Antwort, obwohl es nur eine sein konnte.

Der Chinese blieb mitten in der Menge stehen, wo sie sich gerade mit bewegt hatten. Jetzt, wo Ren viel gelöster schien, war er für Horo noch schöner.

Und als die lang ersehnten Worte mit seiner tiefen Stimme kamen, hätte Horo die ganze Welt umarmen können.

„Ich dich doch auch, du Baka.“
 

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