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Dornen der Vergangenheit

von

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No. 1: Canvas torn to shreds

Dumpf dröhnten die Bässe, pulsierten in seinem Brustkorb wieder. Der ganze Club war zu einer wabernden Masse aus ineinander zerfließenden, im pulsierenden Licht gleißenden Farben geworden und machte ihn trunken. Vergessen in vollkommener Ekstase gab er sich der Reizüberflutung hin und genoss die Eindrücke, die er so sammelte. Von allen Seiten schmiegten sich weibliche Leiber an ihn, magisch von seinem offensichtlichen Wohlstand und Reichtum angezogen, berührten ihn, machten ihn wahnsinnig vor Begehren. Ein dünner Schweißfilm legte sich über seine Haut, schmeckte salzig auf seinen Lippen. Sein Herzschlag schlug im Rhythmus mit der Musik, und gierig ließ er sich von der lustvollen Orgie aus erregend überwältigender Stimulation aller Sinne um ihn herum anstecken. Lange schon konnte er nicht mehr nachvollziehen, welcher der Tänzerinnen welche Gliedmaße zuzuordnen war, die sich an ihn drängten und verspielt, verführerisch an seinen Kleidern hier keck lächelnd zupften, dort, von der Atmosphäre des bebenden Nachtclubs ihrer Sinne und Feinmotorik beraubt, an den teuren Stoffen, die seinen für diese Art der Reize sehr empfänglichen Leib bedeckten, ungeduldig zogen. Er liebte die Macht seines Geldes. Er liebte es, wie sich diese dummen Mädchen um den besten Platz zur Anbiederung förmlich rissen, um seine Gunst buhlten. Schönheit, die sich ihm ergeben vor seine Füße warf, nach seinen Berührungen lechzte und keinen Stolz, kein Ehrgefühl besaß. Künstliche Schönheit, die mit dem Make-up verrann, doch nichtsdestotrotz Schönheit darstellte. Vergängliche Schönheit, bereits am nächsten Morgen verwelkt.

Wahllos griffen seine Hände nach einem der sich wie tödliche Schlangen um ihn windenden Körper und presste ihn an sich. Er achtete nicht auf ihre Gesichter. Tat es nie. Auch nicht auf ihre Haare. Ihm waren nur zwei Dinge wichtig. Würde das kleine, dumme, so amüsant naive Kind seinen Ansprüchen genügen, und wenigstens für einen kurzen Moment das brennende Verlangen nach ihr stillen? War das Flittchen willig?

Willig war sie. Da bestand kein Zweifel. Die Art, wie sie ihm vertrauensvoll lüstern ihre gesamte Rückfront zuwandte und fordernd ihren Körper gegen den seinen bewegte, in einer Art, von der sie glaubte, erregend zu sein.

Würde sie seinen Ansprüchen genügen? Auch diese Frage ließ sich leicht beantworten. Seine Ansprüche waren nicht hoch, und als er grob, rücksichtslos und ohne auf eine Erlaubnis für sein Handeln wartend ihre Körperformen mit seinen Händen studierte und abtastete, stellte er zwar fest, dass die Kleine Einlagen in ihrem BH trug, sonst allerdings ein annehmbares Exemplar war. Sie würde ausreichend sein.

Er liebte dieses Nachtleben. Verrucht, hemmungslos und berauschend. Und er liebte den Rausch. Er konnte gar nicht genug davon bekommen – was auch die Einstiche und feinen Narben entlang seiner Armbeugen bewiesen. In der Nacht lebte er. Er trank den verschwenderischen Anblick sich feil bietender Schönheit, den Überfluss an Nahrung für seinen ausgezehrten, nach ihr hungernden Körper. Er atmete die Hitze, welche die knapp bekleideten Tänzerinnen mit ihren langsamen, suggestiven und schlangenhaften Bewegungen von ihren Podesten und Tribünen aus in der hirn- und verstandlosen Menge weckten. Er spürte den bebenden Rhythmus der Nacht, und wusste, dass er lebte.

Nichts brauchte er mehr, als stete Stimulation all seiner Sinne, denn sonst konnte er nicht arbeiten, hatte sein Leben verwirkt. Durch träge Nebel aus Lust und Rausch spähte er, geistig abgetreten, über die Köpfe der ebenso apathischen Tänzer hinweg und ließ seinen Blick schweifen, während sich seine Tanzpartnerin, derer er sich entweder auf der Toilette des Nachtclubs oder in einer abgelegenen Gasse bedienen würde, darum bemühte, ihn noch ein wenig weiter anzuheizen.

Das flackernde Licht blendete ihn für einen Moment, sodass er schnell den Kopf abwandte. Es zählte nicht, machte ihm nichts aus. Wohin er auch sah, überall sah er die gleiche sündhafte Hingabe den Trieben und Gelüsten gegenüber, überall konnte er seinen Hunger nach dem Anblick der primitivsten Form des Lebens stillen. Überall, überall war Licht, war Bewegung, war Hitze...

Und plötzlich war er nüchtern.

Gefroren in der Bewegung, verloren in der Welle der Erregung, die mit der tanzenden Menschenmasse um ihn herum einen Moment zuvor noch drohte, ihn zu überrollen, stand er stocksteif da und starrte in die abgedunkelte obere Etage des Clubs, die „Chill-out Lounge“, von welcher man einen guten Überblick über die Tanzfläche hatte.

Er konnte den Blick nicht abwenden. Dort, in der Mitte der sich in ständiger Bewegung befindlichen Schatten stand eine einzige Figur vollkommen still. Weder konnte er Geschlecht, noch Aussehen oder genauere Konturen ausmachen, aber die Gestalt flößte ihm Angst ein. Unbewegt starrte sie ihn direkt an. Wie er das zu erkennen vermochte, konnte er sich nicht genau erklären, aber er wusste mit absoluter Sicherheit, dass die Person ihn ansah. Ein kalter Schauer ergoss sich über seinen Rücken und er fühlte sich nackt, entblößt unter den Augen seines Beobachters.

Ein unerwarteter Stoß gegen seinen Brustkorb ließ ihn perplex nach unten und zum ersten Mal in das Gesicht seiner Tanzpartnerin sehen, die seine mangelnde Aufmerksamkeit mit einem zu einem Schmollen verzogenen Mund und einem Blick, der wohl niedlich wirken sollte, quittierte. Ihre Lippen leuchteten blutrot von Lippenstift und ihr unerfahren aufgetragenes, schlampiges Make-up war ein wenig verwischt. Gehetzt blickte er noch einmal nach oben, suchte jedoch mit den Augen vergeblich nach seinem Beobachter. Wortlos ließ er das über alle Maße erstaunte Mädchen zurück und steuerte zielstrebig auf die frei schwebende Wendeltreppe zu, die in die obere Etage führte. Irgendwas stimmte da nicht. Mit zitternden Knien erklomm er die Treppe und sah sich, im oberen Stockwerk angekommen, aufmerksam um. Hier jedoch lungerten nur schwer beschäftigte Paare auf den Couchen herum oder tanzten sturzbetrunken für sich ein wenig, ohne sich auf die Tanzfläche zu trauen. Mehrere Male drehte er sich um die eigene Achse und durchpflügte mit seinen Blicken jeden Verdächtigen.

Kalter Schweiß brach ihm aus, und er spürte ein flaues Gefühl im Magen. Dieser Mensch... hatte in ihm ein unbestimmbares Gefühl der Angst wach gerufen. Wie aus einer anderen Welt der Stille in diese seine der Hektik und Bewegung gekommen, hatte sich in ihm kein einziger Muskel bewegt, während alles um ihn herum keine Sekunde ruhig und still war.

Wurde er paranoid? Wahrscheinlich hatte der Typ ihn gar nicht direkt angesehen, sondern nur im allgemeinen generell in seine Richtung geblickt und war dicht, stoned, was auch immer. Kopfschüttelnd begab er sich zu den Herrentoiletten, davon überzeugt, er brauche lediglich etwas, um seine Nerven zu beruhigen. Dort scherte sich niemand um irgendetwas – weder sonderlich um Hygiene, noch darum, was dort getrieben wurde.

Hier war es bedeutend ruhiger, und nur noch die stampfenden Rhythmen drangen an seine Augen. Entnervt schob er ein eng umschlungenes Paar bekiffter Punker, deren Kleider durchdringend nach dem süßlich riechenden Rauch ihrer bevorzugten Droge rochen, aus seinem Weg und ging zu einem Waschbecken. Fahrig langte er nach seiner Jacke, in welcher er vorsorglich Nachschub verstaut hatte, nur, um sich daran zu erinnern, dass er das edle Designerstück an der Garderobe abgegeben hatte, an der andere Clubbesucher über die hohen Verwahrungspreise geflucht hatten. Er konnte sich alles leisten, wonach sein Herz verlangte, Geld war für ihn kein Problem – solange er gute Arbeit leistete.

Die beiden von ihren Hormonen Getriebenen kümmerten sich nicht um ihn, als er sich, wütend über die kindische Angst, die ihn Momente zuvor befallen hatte, mit kaltem Wasser das Gesicht wusch, in der schwachen Hoffnung, dass ihn das plötzliche Temperaturgefälle zur Besinnung bringen würde. Die kalten Tropfen perlten über seine wächserne Haut und mischten sich mit dem Schweiß. Sein Atem ging flach, ein wenig rau. Bald würde er wieder einen neuen Schuss brauchen... bald... denn er spürte bereits die ersten Ausläufer des Entzugs, wie ein Fisch, der von der Ebbe überrascht auf dem seichten Strand zur Eile getrieben wird, tiefere Gewässer aufzusuchen.

Seufzend beugte er sich nach vorne, um sich eine neue „Hand voll“ Wasser zu nehmen und sich damit das erhitzte Gesicht zu kühlen, versteifte jedoch augenblicklich in seiner Haltung, als er einen kühlen Atemhauch in seinem Nacken spürte.

„Verzieh dich, du Schlampe. Ich habe heute abend keine-“, er brach ab. Während er sprach, hatte er sich gelangweilt, langsam und betont lässig aufgerichtet, um die schlecht geschminkte Person mit zu knappem Minirock, die er erwartete, im Spiegel zu sehen, mit kühler Herablassung und Verachtung für ihre Dreistigkeit, ihm auf die Toilette zu folgen, zu strafen. Ihm war alle Lust auf fleischliche Vergnügungen vergangen.

Seinen Satz führte er nicht zu ende.

Starr blickte er in den Spiegel. Er war allein. Da war niemand. Nicht einmal mehr die Punker. In den engen Räumlichkeiten mit den lindgrünen, teils zersprungenen Kacheln, auf denen mit Filzmarkern Sprüche gekritzelt waren, huschten seine Augen schnell hin und her. Die Kabinen der Toiletten standen allesamt offen und waren verlassen.

Sein Atem ging merklich schneller, als er seine entblößten, vom teuren Marken-T-shirt nicht bedeckten Unterarme musterte und die Gänsehaut registrierte, welche die feinen Härchen aufstellte und ihm das Gefühl gab, eine leichte, elektrische Spannung liefe über seinen ganzen Körper und knisterte unangenehm auf seiner Haut.

Er hatte ganz deutlich einen kalten Luftzug in seinem Nacken gespürt und einen leichten Atemzug gehört. Er war sich absolut sicher.

Bebend spähte er noch einmal flüchtig Richtung Kabinentüren, um zu überprüfen, ob er tatsächlich allein war, doch auch ein zweiter Blick enthüllte nichts Neues – dort war niemand. Wurde er verrückt?

Wahrscheinlich brauchte er neuen Stoff. Das waren sicherlich alles nur Entzugserscheinungen. Er musste nur zu seiner Jacke gelangen und sich dann eine neue Spritze setzen...

Eilig stolperte er zur Tür und wollte diese gerade aufstoßen, als ein Geräusch an seine Ohren drang. Seine Nackenhärchen stellten sich mit einem prickelnden Gefühl auf, und er wagte es nicht, sich umzudrehen. Ein metallisches Surren war das gewesen... und ein Laut, als ob jemand sachte ausatmen würde. Dieses Mal war er sich sicher.

Noch einen Moment zögerte er, bevor er herumwirbelte, um seinen Verfolger verärgert zur Rede zu stellen – nur, um kühler Leere, die wie ein akustisches Vakuum alle Geräusche aufzusaugen schien, und bedrohlicher Stille zu begegnen. Für einen kurzen Moment glaubte er, den Boden unter den Füßen zu verlieren, und schwarze Flecken trübten kurzzeitig flackernd seinen Blick. Ungeduldig schüttelte er den Kopf, um sich der lästigen Schwäche zu entledigen und ärgerte sich über sich selbst. Was war er doch für ein Trottel! Ängstlich wie ein kleines Mädchen! Dabei hatte er sich nun schon mehrmals vergewissert, dass außer ihm niemand in der Herrentoilette war. Unwirsch stieß er die Tür mit weit mehr Kraft auf, als nötig gewesen wäre und setzte einen Fuß in den dämmrigen Gang, welcher wieder zum Zentrum des Gebäudes, der Tanzfläche und den Bars führte, als das Quietschen einer der Toilettentüren ihn für einen Sekundenbruchteil inne halten ließ, bevor er den Gang hinunter stürzte, so schnell es ihm sein schwächelnder Körper erlaubte.

Als er wieder hinaus in die Menge trat, wirkte die Musik nicht mehr wie eine magische Droge, die Farben nicht mehr berauschend, sondern eher angsteinflößend und einengend. Die schnellen Stroboskopblitze jagten hinter seinen Lidern weitere Farbschauer über seine Netzhaut. Der Kontakt zu den sich windenden Körpern, als er die Tanzfläche überquerte, war ihm zuwider, und ihm war, als ob er nicht mehr atmen könnte. Die ekstatisch verzerrten Gesichter der Tänzer schienen ihn wie Bestien zu verfolgen, als sich die Welt um ihn drehte – plötzlich sah er sich nicht mehr als Teil eines einzelnen, sinnlich wiegenden Körpers – sondern umringt von Dämonen, deren hässliche Fratzen und glühenden Augen ihn verfolgten und zerrissen. Der dröhnende Bass brachte seinen unnatürlich lauten Herzschlag durcheinander – sein Herz schlug unregelmäßig, und er fühlte, wie der Boden unter ihm wankte. Gehetzt blickte er um sich, da er wieder glaubte, beobachtet zu werden, eilte, von unbestimmter Angst getrieben, zu der Garderobe.

„Nummer 57“ blaffte er den überraschten Angestellten an, gehetzt, gedrängt und mit bebenden Knien und unstetem Atem.

„Sir, ist alles in Ordnung mit ihnen? ... Sir?“

Er beachtete gar nicht den Angestellten, der sich besorgt nach seinem Wohlbefinden erkundigte und ihm, verwundert den Kopf schüttelnd, mitleidig hinterher sah. Was war nur los mit ihm?

Neuer Stoff, neuer Stoff...

Als er vor den Türen des Nachtclubs an der kühlen Nachtluft angekommen war, stützte er sich mit einer Hand an dem rauen Putz der Mauer des Gebäudes ab und griff direkt ohne Umschweife mit der anderen, zitternder Hand in seine linke Jackentasche und erwartete, das kühle Plastik der Spritze, das kleine Glasfläschchen und die steril verpackte Kanüle zu spüren, nach denen sein Körper verlangte, doch seine suchenden Fingerspitzen fühlten nichts dergleichen. Stattdessen fühlte er etwas Weiches – etwas Kühles von samtiger Textur. Verblüfft griff er nach dem „Etwas“, bekam es jedoch nicht ganz zu fassen, da einige Teile dieses „Etwas“ aus seiner Hand fielen. Als er die Hand hervorzog und fassungslos öffnete, lagen nur Rosenblätter auf seinem Handteller – Blütenblätter von so einem tiefdunklen Rot, dass sie fast schon schwarz waren. Der schneidend kalte Wind riss an den Blättern und fegte sie davon. Mit gemischten Gefühlen sah er ihnen nach. Da war Wut in ihm. Bezahlte er an der Garderobe solche Unmengen, um statt seines ohnehin schon teuren Stoffs irgendwelche dämlichen Rosenblätter vorzufinden?!

Doch da war noch etwas anderes in ihm. Er fühlte sich unwohl. Und obwohl niemand auf der Straße war, die Stadt fast schon unwirtlich und unheimlich still friedlich schlief, konnte er das Gefühl nicht abschütteln, beobachtet zu werden.

Auf seinem Heimweg, den er zu Fuß zurücklegte, ging er schnell. Er hatte seinen Wagen zu Hause stehen gelassen, da er nicht weit entfernt wohnte und sich nach einer solchen Nacht nicht zutraute, seine europäische Edelkarosse, sein Schätzchen, wieder sicher in den Stall zu bringen. Nun jedoch verfluchte er sich für diese Entscheidung. Die Randerscheinungen seines Entzuges schienen ihn in den Wahnsinn zu treiben. Überall sah er huschende Schatten und glaubte, in den Gassen das Echo eines boshaften Lachens zu vernehmen. Er zitterte, kalter Schweiß brannte eisig im kalten Wind, und das sinkende Gefühl in seinem Magen half auch nicht. Irgendetwas stimmte nicht, konnte nicht stimmen. Ihm war zum Erbrechen schlecht, und in seinem Wahn glaubte er beinahe, sein Magen kröche seine Kehle hinauf. Die Welt verlor mit dem Puls, mit jedem Schlag seines jagenden Herzens ihre Konturen, nur, um sich verzerrt wieder zusammenzusetzen. Seine Eingeweide wanden sich wie eine Ansammlung von Maden und Würmern in ihm. Die Straßenlaternen flackerten und warfen ihr tückisches Licht auf schwankende Mauern, dunkle Vorsprünge – ihr Licht schien rhythmisch zu verblassen, sodass sie die Dunkelheit nicht mehr durchdringen konnten und sich dann wieder so enorm zu intensivieren, dass er die Augen kaum geöffnet halten konnte.

Erleichtert sah er das altmodische Haus, in welchem er wohnte, und eilte die Stufen zur Vordertür hinauf, glücklich, nicht zu stolpern.

Nun würde alles gut werden. Er war sicher. Er war daheim. In Sicherheit.

Seine Hände zitterten so sehr, dass es ihm nicht leicht fiel, die Tür aufzuschließen. Einmal entglitt ihm sogar sein Schlüsselbund. Das plötzliche Geräusch des Aufpralls der metallisch klirrenden Schlüssel auf dem bröckelnden Sandstein der obersten Stufe in der unnatürlichen Stille der Nacht erschreckte ihn, ließ ihn zusammenzucken und gepresst nach Luft schnappen. Kalter Schweiß schien seinen Körper zu verbrennen, und wieder fühlte er sich für einen schrecklichen Augenblick völlig nüchtern. Gehetzt griff er nach dem Schlüsselbund, der auf dem blanken, groben Stein lag, rügte sich in Gedanken für sein kindisches Verhalten, beobachtete jedoch trotzdem mit fliegenden, weit aufgerissenen Augen die Straße. Da war nichts, er machte sich verrückt.

Da war nichts. Nichts Ungewöhnliches. Die Straßenlaterne flackerte ein wenig und der Wind pfiff kalt um die Ecken.

Energisch packte er den richtigen Schlüssel und schob ihn in das Schlüsselloch, ruckelte mit geübter Hand ein wenig hin und her, bis das alte, klemmende Schloss seinem Willen nachgab und die Tür sich bewegte. Schnell trat er ein, warf erleichtert die Tür hinter sich zu und lehnte sich aufatmend gegen das kühle Holz, von dem der Lack abblätterte. Er hatte es geschafft. Hier konnte ihm nichts mehr geschehen. Er war sicher. Trotzdem schienen ihm die Schatten, in welcher seine unbeleuchtete Wohnung lag, nach den bisherigen Ereignissen der Nacht nicht so ganz geheuer. Tastend griff er nach dem Lichtschalter und knipste das Licht an. Beziehungsweise: Er versuchte es. Nach einem kurzen Aufflackern erlosch das Oberlicht. Er seufzte. Dieses heruntergekommene, alte Haus benötigte eine komplette Restauration – sonst würde ihn die Instandhaltung mit all den anfallenden Kleinigkeiten noch seinen letzten Yen kosten. Warum war er noch gleich hier hin gezogen? Achja, wegen der schönen Aussicht. Und weil es sein Wunsch gewesen ist. Wegen ihr[/i.] Er nahm sich vor, für den nächsten Tag den Elektriker zu bestellen, maß der Angelegenheit jedoch keine größere Bedeutung mehr zu. Jetzt galt es, die Nerven zu beruhigen. Er war zuhause. Jetzt musste er sich nur noch eine Spritze ansetzen und dann lange, lange schlafen... Was für eine Nacht!

Ohne sich den Umstand zu machen, vorher Jacke und Schuhe auszuziehen, stolperte er eilig die Treppe hinauf in sein Studio, in welchem er neben seinen Utensilien auch seinen Stoff aufbewahrte und versteckte. Dringend brauchte er etwas, dringend... Lächelnd trat er auf die Kommode mit seinem Arbeitsmaterial zu und zog die unterste Schublade auf... und hielt inne. Es war unnatürlich kalt in diesem Zimmer, und er war sich sicher gewesen, die weiten Flügeltüren, die zum Balkon hinausführten, vor seinem Aufbruch in die Clubszene geschlossen zu haben. Er war so auf seine Drogen fixiert gewesen, dass er beim Betreten des großräumigen, in Finsternis, die nur vom Licht des Vollmondes durchbrochen wurde, getauchten Zimmers nicht auf die Kälte geachtet hatte. Nun jedoch beobachtete er erstaunt, wie sein Atem kleine Wölkchen bildete.

Mit einem Schlag kehrte jenes undeutbare Gefühl zurück, und er drehte sich langsam um. Beide Flügel standen sperrangelweit offen und schlugen mit leisem Klappern, vom Wind bewegt, gegen ihre Fassungen. Doch das war es nicht, was ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Auf dem Boden verstreut lagen dunkelrote, fast schwarze Blütenblätter – und wurden sie auch vom Wind ein wenig hin- und hergeweht, so legten sie doch eindeutig eine Spur. Eine Spur, welche sich auf ihn zu bewegte und unter seinen Füßen ins Dunkel fortsetzte.

Ein metallisches Surren.

Entsetzen.

Bevor er sich umwenden konnte, spürte er einen kühlen Atemzug in seinem Nacken.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Deepdream
2006-12-23T17:03:21+00:00 23.12.2006 18:03
Eine sehr gute Geschichte. Aber ich denke einmal, dass ich dir meine Meinung bezüglich deinem schriftlichen Werken eingängig geschildert habe. Und nein, kein Widerspruch! *g*

Du bist eine formidable Autorin. Bewusst sage ich nicht perfekt. Weil du noch viel ungenutztes Potential hast. Da bin mir zusehends sicherer.
Dass du über genügend Ideen verfügst, steht außer Frage. Dass du zu wenig Zeit hast, ebenso. Dennoch, viele deiner Überlegungen sind es wert auf Papier - respektive Word - gebannt zu werden.

Denn du hast deine Fähigkeit mit den Emotionen des Lesers zu spielen nicht verlernt. Wenn überhaupt, bist du noch besser geworden. Die Grundstimmung vibrierte nämlich noch lange lange nach Beendigung des Kapitels hinter meiner Stirn.
Wie du weißt, habe ich einen Faible für derartige Szenarien, woraus auch meine ehrliche Begeisterung für diese Fanfiktion entsteht. Die Panik des reichen Playboys ist äußerst exzessiv und eindringlich beschrieben worden, wobei das Wort "beschreiben" inadäquat erscheint. Formulieren wir es lieber anders. Es wurde "erlebt". Viel besser, oder? Ha, eigene Komposition! *g*
Denn es handelt sich ja mehr um eine Schilderung seines Erlebens als sein Verhaltens. Und genau dieses Erleben der langsam herankriechenden Angst hast du wunderschön in Worte gefasst.
Und deswegen freue ich mich bereits enorm auf Kapitel 2, dass du ja so gut wie vollendet hast. ;-)

Au revoir mon amour... *g*,

Deepi.
Von: abgemeldet
2006-12-18T07:13:12+00:00 18.12.2006 08:13
Wow! Unglaublich, wie du seine Emotionen beschreibst. Man könnte denken, du hast selbst schon einen Entzug durchgemacht. Das ist jetzt nicht böse gemeint oder so! Ich will damit nur ausdrücken, wie unglaublich detailverliebt du alles beschreibst und dass einem das ganze sehr real vorkommt.

Gibts noch 'ne Fotsetzung?

Bussi, Flora


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