Amatory - Pubertät 5
Kapitel 7:
Amatory - Pubertät 5
Seulgis Sicht
Unser Haus ist groß und vor allem sehr gemütlich. Mit dem Eingangsbereich verbunden ist das
Esszimmer, dann gibt es noch die Küche mit dem Wohnzimmer im Erdgeschoß. Insgesamt führen zwei
Treppen in weitere Flure, oben ist Sanjis Zimmer und nebenan meines, gegenüber liegen ein Bad und
das Büro, und im unteren Stockwerk sind das gemeinsame Zimmer unserer Elternteile, auch ein Bad für
sie und zu guter Letzt die Waschküche.
Sanji und ich gehen auf dieselbe Schule, nehmen täglich den Bus, unsere Stundenpläne überdecken sich
meistens. Papa arbeitet in der Stadt, hat manchmal Geschäftsessen und Lydia hat einen Halbtagsjob. Sie
singt im Kirchenchor mit und geht wöchentlich zu Proben. Jeden Dienstag spiele ich Tennis im Verein,
Sanji macht Kickboxen. Es klappt alles so wunderbar, seit wir zusammengezogen sind.
Ich krame in meinem Geldbeutel nach dem Schlüssel, stehe vor der Haustür und sperre sie nun auf. Für
Sanji, der hinter mir reinkommt, halte ich sie noch kurz offen. Wir legen unsere Schulranzen ab und er
begibt sich in die Küche, ich werde den Tisch decken. Wir sind heute allein zu Hause und essen ohne Papa und Lydia. Nach getaner Arbeit gehe ich zum Briefkasten, und ich habe tatsächlich Post. Nur steht kein
Absender drauf, aber ich entdecke eine Briefmarke aus Griechenland. Mein Herz rutscht mir
sprichwörtlich in die Hose. Mama hat mir geschrieben!
„Sanji!“ rufe ich und renne in die Küche. Er ist gerade beim Kochen und sieht, dass ich aufgeregt bin. „Was gibt’s?“ fragt er neugierig. „Meine Mama hat mir geschrieben!“ „Echt?“ Ich fummele so lange an dem Umschlag rum, bis
er offen ist. Mit schon fast zittriger Hand hole ich das Schreiben heraus. Sanji stellt sich leicht hinter
mich, um über meiner Schulter mitzulesen. Sie hat mit einem Füller geschrieben und ich lese ihn
einmal, ohne die wirkliche Bedeutung der Wörter zu verstehen. Dann fange ich noch mal von vorne an.
Ich nehme die Sätze, die da stehen, ganz passiv in mich auf. Dass Sanji seine Hände auf meine
Schultern legt, kommt mir weit weg vor.
Ich fühle mich so miserabel, in mir braut sich ein Gefühl aus Enttäuschung und Wut zusammen. Dass
Mama nie mehr zu Papa zurückkommen wird, war mir ja die ganze Zeit klar, sonst hätte er ja nie Lydia
getroffen. Aber dass Mama jetzt in Griechenland bei ihrer Arbeit bleibt, das tut so weh! Sie fehlt mir so
schrecklich! Ich hatte immer irgendwie gehofft, dass sie mal wieder nach Deutschland kommt und so... aber jetzt... Ich ich bin so wütend auf sie! Sie hat dort bei ihren Archäologiearbeiten einen anderen
Mann kennen gelernt und in dem Brief steht jetzt, dass sie schwanger ist. Ich werde Halbgeschwister
haben, Zwillinge, die von einem Mann sind, den ich nicht kenne und nie kennen lernen will. Mama will
echt Kinder haben außer mir. Ich werde dann nicht mehr ihr einziges Kind sein. Ich könnte heulen, aber
es kommen keine Tränen in mir hoch. Meine Hände sinken nach unten und ich starre bloß auf den
Küchenboden. Sanji reibt mir liebevoll die Arme und mein Kopf fühlt sich so an, als ob er platzen würde
vor lauter Leere.
Ich kneife meine Augen fest zusammen, während mein Herz stark gegen die Brust pocht. Das ist so unfair! Mama will jetzt einfach ein neues Leben anfangen und Papa und ich sind ihr vollkommen egal. Wir gehören jetzt nicht mehr dazu, sind wohl zu viel für sie. Sie will nur noch ihren Typ da haben und ihre neuen Kinder kriegen. Oder urteile ich zu hart? Immerhin hat sie an mich gedacht und mir geschrieben. Sie hat auch geschrieben, dass sie mich vermisst. Toll, sie vermisst mich und macht ein paar Kinder mit einem anderen Typen als Papa. Sanji umarmt mich von hinten, ich kann mich richtig an ihn anlehnen. Er hat meine Mama nie kennen gelernt, genauso wenig wie ich seinen Vater. Mir steigt Wasserdampf in die Nase und das Wasser im Kochtopf fängt an zu kochen. Sanji muss sich umdrehen und runterschalten, ich nehme mir derweil die Nudelpackung und schneide sie auf. Sanji wartet einen Moment, bis er mich etwas fragt. „Zeigst du den Brief deinem Vater?“ Gute Frage. Aber das interessiert ihn nicht mehr, was mit
Mama ist. „Nein.“ Ich schütte die Teigware anklagend ins Wasser. Die nachher zu essen, darauf habe ich
keine Lust. Der Appetit ist mir vergangen.
///
Es gibt ja Probleme, über die man nicht spricht. Über die kein Ton verliert wird. Nicht in der Schule und
auch nicht im Fernsehen, das ist echt unglaublich, wenn man bedenkt, dass so was existiert. Und ich
denke da an das Thema: sexuelle Beziehung mit den Eltern. Es gab ja vor Jahrzehnten mal einen
Skandal, weil ein Schauspieler sich von seiner Frau scheiden ließ, um mit seiner Adoptivtochter
zusammen zu sein. Wie kann ein Mädchen an seinem Vater, oder ein Junge an seiner Mutter interessiert
sein? Es ist klar, dass der Erwachsene das Kind dann aufwachsen sieht und merkt, dass es heranreift,
aber das man sich dann wirklich so annähert ist für mich unvorstellbar.
Das ist ein Thema für sich, denn mich beschäftigt etwas anderes. Ich kann darüber mit niemandem
reden, das ist total schlimm. Carmen ist meine beste Freundin, aber sie hätte dafür kein Verständnis, an
Vertrauenslehrer wende ich mich im Leben nicht und an eine Mädchenzeitschrift würde ich auch nie
schreiben. Da bliebe höchstens noch das Internet übrig, aber in Chatrooms halte ich mich nicht gerne
auf. Also trage ich es weiter mit mir herum. Das ist das Beste, es für mich zu behalten.
Wenn ich mit Sanji in einem Raum bin, möchte ich in seiner Nähe stehen. Wenn er mit mir spricht, freue
ich mich total. Wir sehen uns jeden Tag, weil wir im selben Haus leben, und damit bin ich glücklich. Ich
befürchte immer, rot zu werden, oder dass man mir anmerkt, dass ich ihn oft ansehe. Es gibt bestimmt
zwei, drei Jungs die an mir interessiert sind, aber von denen will ich nichts wissen. Keiner kennt mich
wirklich, die finden ja bloß mein Aussehen toll. Der einzige, der mich zum Lachen bringt, bei dem ich
mich wohl fühle, den ich mag, ist Sanji. Er hat auf dem ersten Blick nichts besonderes, aber das wir auf
einmal miteinander leben bringt uns doch ziemlich nahe. Bei Carmen läuft das anders ab, sie redet mit
ihrem Bruder nur das Nötigste, der ist bloß in seinem Zimmer am Computer und sie macht ihr Ding.
Sanji und ich sind anders. Wir haben uns irgendwo als Geschwister akzeptiert, aber mir kommt es eher
so vor, als würden wir als WG zusammenwohnen, und es geht nicht in meinen Kopf hinein, dass es
immer so bleiben wird, dass er nun mein Bruder ist.
///
Da Papa und Lydia zusammen sind, ist es für uns alle ein Neustart. Alles läuft wie geschmiert, wir essen
abends immer zusammen wie eine richtige Familie, Sanji und ich haben viel Freizeit und an
Wochenenden Ausgehmöglichkeiten. Jetzt sitzen wir am Esstisch und Papa erzählt von einem
zerstreuten Kunden, den er heute hatte. Die Schmierpaste, die Lydia gekauft hat, schmeckt richtig gut.
Da sind wohl Oliven drin. Ich beiße genüsslich in mein Brot. „Soll ich dir Salat auftun?“ fragt Sanji, der
neben mir sitzt. Mit einem Nicken antworte ich, bei seinen Kreationen kann man ja nicht verneinen.
Alles was er anfasst wird ein kleines Meisterwerk, ich bin mir ziemlich sicher, dass er mal ein
Kochstudio oder so haben wird, würde jedenfalls zu ihm passen.
„Im März veranstalten die Tylestons wieder ein Frühlingsfest.“ sagt Papa zu mir. Da sind wir die letzten
drei Jahre hingegangen, die haben einen schön großen Garten. An Lydia und Sanji gewandt ergänzt er
noch „Das sind Freunde von mir, die habe ich geschäftlich mal kennen gelernt. Da wird jährlich immer
ein Fest veranstaltet, wo man mit seiner Familie hin kann.“ „Und wir gehen da auch mit?“ fragt Sanji,
bevor er wieder seine Gabel zum Mund führt. „Ja.“ lautet die Antwort. „Es ist aber schon ganz schön
früh, so was zu planen. Wir haben doch grad mal Herbst, das ist in nem halben Jahr.“ spreche ich
meinen Gedanken laut aus. „Die planen halt schon weit im Voraus.“ „Hm.“ Ich esse weiter. Lydia
wechselt das Thema. „Jeff und ich gehen am Samstag essen. Ich kauf morgen noch ein und ihr könnt
euch dann selbst was zubereiten.“ Das übernimmt ganz bestimmt Sanji, mir soll’s recht sein. „Ok.“ sagt
er und denkt bestimmt genauso. Ich habe mich kein einziges Mal in die Küche gestellt, seit wir
umgezogen sind, da das Sanjis Job ist. „Und keine Partys, ihr könnt höchstens ein oder zwei Freunde
einladen.“ ermahnt Papa uns. Auf solche Ideen kann auch nur er kommen, an so was hätte ich jetzt
nicht gedacht.
///
Papa und Lydia sind vor zehn Minuten weggefahren und ich sitze im Wohnzimmer auf der Couch. Dabei
blättere ich in der Fernsehzeitung, um nach einen Film für heut Abend zu suchen. Sanji kommt aus der
Küche und platziert sich in den Sessel. „Ich hoffe, du bist mit Hühnchen in Preiselbeersoße
einverstanden?“ fragt er mich und die Vorstellung daran, dass meine Geschmacksknospen etwas Neues
ausprobieren werden, lässt mich ihn anlächeln. So einfallsreich ist auch nicht jeder. „Und was gibt’s
dazu?“ „Frische, grüne Bohnen.“ Und er macht eine Verbeugung wie ein unterwürfiger Kellner, der
immer seinen Unterarm vor den Rippen hält. An Humor fehlt es uns ganz sicher nicht. „Ich habe uns
dafür einen Film rausgesucht, der heute Abend kommt. Und zwar ist das ’Pretty Woman’, der ist aus
den 80ern.“ „Ist das ne Romanze oder so?“ „Nein, eher eine Komödie, aber mit Oskars war der nicht
ausgezeichnet.“ „Ok, wir können ja bis zur ersten Werbung schauen und wenn’s nix ist, schalten wir auf
was andres um.“ „Meinetwegen.“ Ich stehe auf und steuere kurzerhand auf mein Zimmer zu, um dort
eine Decke runterzuholen.
Nachdem wir gegessen haben, deckt Sanji den Tisch ab und ich mache die Runde im Haus. Überall
müssen die Rollläden runter und die Fenster geschlossen sein. Meine Armbanduhr zeigt 20.10 Uhr, also
kann der Fernseher eingeschaltet werden. „Kommst du, es fängt gleich an.“ rufe ich Sanji zu und setze
mich. „Ja.“ und schon kommt er zu mir aufs Sofa. Ich freue mich, dass er sich neben mich setzt. „Kannst
du bitte lauter machen?“ Ich hebe die Fernbedienung und drücke den Plusknopf. „Danke.“ Ich breite die
Decke auf meinem Schoß aus und lege sie über meine Füße. Der Winter steht wirklich schon vor der
Tür, und meine Füße und Hände sind immer ganz kalt, da sind Wärmekissen oder Decken genau das
Richtige für mich. Der Film fängt gleich an.
Schon die dritte Werbung, das kann wieder bis zu zehn Minuten dauern, bis es weitergeht. Sanji macht
den Ton weg und ich starre auf den flimmernden Kasten vor uns. „Der müsste danach zu Ende sein.“
sagt er. Ich blinzele nur noch wenn es nötig ist, ich habe den Fernseher total fixiert, das macht wohl die
Müdigkeit. Sanji sieht mich von der Seite an. „Willst du dich schon hinlegen?“ Wie in Trance drehe ich
meinen Kopf nach rechts, in seine Richtung. „Warum?“ frage ich mit müder Stimme. Mein Körper ist
etwas schlapp, aber eigentlich bin ich noch fit, nur kommt das wohl grad nicht so gut rüber. Sanji lacht
leise und findet mein erschöpftes Auftreten amüsant. „Mit den Hundeaugen, die du grad hast! Leg dich
doch oben hin, ich erzähl dir morgen wie es ausgeht.“ bietet er mir an. Ich muss nun auch lächeln und
schüttele leicht den Kopf. Wenn wir schon mal einen Videoabend haben und ich neben ihm sitze...
Statt auf ihn zu hören setze ich mich etwas schräger, mein Gewicht geht nach rechts und ich lehne mich
an seine Schulter. „Schön bequem.“ meine ich darauf und liege wirklich gemütlich. Sanji zieht seinen
Arm weg, auf den ich mich wohl gesetzt habe und legt ihn um mich. „Hast Recht, so ist das schon viel
besser.“ sagt er netterweise. Ich sehe weiter nach vorne, wo für Toyota gewerbt wird. Für einen Moment
möchte ich meine Augen schließen. Sanjis Arm ist genauso warm wie der Rest seines Körpers, und ich
fühle mich so geborgen wie selten zuvor. Seinen Geruch kann ich nun auch einatmen, und am Liebsten
würde ich so angelehnt bleiben. Meine Gedanken wandern zu Mama. Eine gewisse Traurigkeit taucht
wieder in meiner Brust auf, und dieses Gefühl will ich verdrängen. Ich komme zurück zur Wirklichkeit
und möchte mich auf Sanji konzentrieren. Ich bin froh, dass er mein Bruder –Stiefbruder- ist, und dass
wir uns so gut miteinander verstehen. Und auch, dass ich mich sogar an ihn lehnen darf, was ja vielleicht
nicht so ganz selbstverständlich ist.
Gleich müsste der Film weitergehen, noch vier oder fünf Werbeblocks tippe ich, und möchte nach der
Fernbedienung greifen, die rechts neben Sanji liegt. Ursprünglich war sie das Ziel meiner Hand, doch
als ich vor Sanji vorbeilangte ließ meine Kraft irgendwie nach. Mein Unterarm und die dazugehörige
Hand legt sich auf Sanjis Schoß nieder und er legt sogar, nach kurzem Überlegen, seine Hand darauf. Er
hält ganz real meine Hand mit seiner fest. Ich sehe nur auf diese Stelle und muss unmerklich schlucken.
Das ist ja noch normal, das überschreitet keine Grenzen. Aber ungewohnt ist das schon ein bisschen und mein
Herz legt einen kleinen Gang zu. Von ihm geht so viel Wärme aus, ich habe Angst, weitere Bewegungen
zu machen. Seine Hand jetzt zu streicheln würde ich nicht über mich bringen. Ich hebe meinen Kopf
kurz an, um ihn gleich wieder auf seiner Schulter hinzuplazieren.
Sanjis linke Hand, die ja samt seines Armes über meinen Rücken bis zur Schulter hängt, setzt sich nun
auch in Bewegung. Mit seiner Hand kommt er meinem Kopf näher und berührt meine Haare. Ich muss
noch mal schlucken und schließe wieder die Augen. Er legt sie oberhalb meines Ohres leicht ab und er
ist sich wohl unsicher, ob er mir jetzt übers Haar streichen soll, kann, darf oder nicht. Mit meiner
rechten Gesichtshälfte drehe ich mich weiter zu ihm, will mehr von seinem T-Shirt damit berühren, und
er fängt wirklich an einer Haarsträhne entlangzufahren. Der Moment ist irgendwie magisch. Was läuft
da eigentlich ab? Um der Situation nicht ganz ausgesetzt zu sein, sagt er etwas. "Du hast richtig schöne Haare." Ich bin froh, dass er die Stille unterbrochen hat und etwas Normales gesagt hat, nichts, dass mit unseren Handlungen zu tun hat. "Mhm." kommt es dankend für das Kompliment von mir und ich spüre geradezu, wie schüchtern ich bin. Ich habe noch Überwindungsangst, meinen Kopf anzuheben und ihn anzusehen, also tut sich etwas in meiner Hand, die auf seinem Schoß liegt. Ich streiche nur ganz kurz über seine Finger, das ist schon mutig genug, und er fährt mit seinem Handrücken in meiner Handinnenfläche entlang.
Das es so gekommen ist, war irgendwo genauso unmöglich, wie es nun möglich ist. Genauso
unwahrscheinlich mir das vorkommt, genauso war es geplant, das es jetzt so ist. Mein Herz ist richtig
glücklich vor Verwirrung, was Sanji wohl gerade denkt? Aber ihn fragen kann ich nicht, ich bringe sicher
kein Wort raus! Ich schwanke immer noch und überlege, ob ich meine Augen nun geschlossen oder
offen halten soll. Ich habe Angst, dass er irgendwie zu mir runterschaut und dann direkt in die Augen
blickt. Meine Spucke bleibt für einen Moment aus. Ich brauche was zu Trinken! In mir stockt alles, nur
Sanji bewegt sich. Er dreht seinen Kopf leicht in meine Richtung, genau das, was ich befürchtet habe,
was soll ich jetzt machen? Sein Gesicht ist halb zu meinem Gesicht gedreht. Ich sehe ihm nicht höher
als bis zu seiner Nase, also bleibt mein Blick an seinem Mund hängen. Im selben Moment scheint er
auch auf meinen zu sehen, jedenfalls heben wir gleichzeitig unseren Blick, da wir uns ertappt haben,
und sehen uns genau in die Augen. Seine Iris mit Pupille wirkt so stechend, dem kann ich nicht
standhalten! Ich war ihm noch nie, nie so nahe gewesen. Eine Sekunde vergeht. Meine Hand will zittern,
aber rührt sich nicht. Seine Hand, die mit meiner Haarsträhne fertig war, wiederholt denselben Akt. Eine
weitere Sekunde vergeht. Ich muss schlucken, fühle mich blass, und zeitgleich schießt mir Hitze ins
Gesicht, in meine Wangen. Ob er mir gleich über sie streichen wird? Ich bin so aufgeregt, wieder
verstreicht eine Sekunde. Seine Augen nehme ich wieder wahr und meine Augenlieder schlagen nach
unten, ich sehe auf seine Lippen und wir sind uns näher wie noch gar nie zuvor.
Seine Wärme kann ich schon spüren, gleich werden wir uns küssen. Er ist mit seinen Fingern durch
meine Haaren durchgefahren und unten angekommen, sie sind ja hüftlang und zum Glück ist er nicht
in einem Haarknoten hängen geblieben oder so. Ich sehe nur noch seine einladende Lippen und
schlucke ein letztes Mal, schließe meine Augen und gehe ein kleines Stück zu ihm. Sanji tut es mir
gleich und unsere Münder legen sich vorsichtig aufeinander. Dabei durchfährt mich das wärmste und
weichste Gefühl, das ich je gespürt habe. Einen Moment verweilen wir so, bis er sich ein paar
Zentimeter von mir entfernt, aber bleibt mir noch genauso nah. Als seine Lippen meine verlassen, ist
ein hauchdünner Atem zwischen uns. Gezwungenermaßen öffne ich meine Augen wieder und sehe ihn
noch mal schüchtern an, er ist ebenso verlegen und beugt sich wieder zu meinem Mund hinunter.
Meine Mundwinkel wollen lächeln, dieser Kuss ist noch schöner, noch perfekter. Ein neuer beginnt,
dauert an, hört auf, beginnt, hört auf, wir werden beide mutiger und küssen, küssen, küssen uns.
Immer wieder, die Wärme ist genauso unerträglich umhüllend wie sie angenehm ist, ich will schmecken,
wie er küsst, will nicht seitlich neben ihm sitzen sondern ihn richtig umarmen, ich will so vieles und bin
dabei so zufrieden, mit dem, was er mir gibt. Sehr viele, unterschiedliche Ströme durchfahren meinen
Bauch, meinen Oberkörper, von der Brust bis zum Hals, dabei bin ich nur konzentriert, seine Küsse
anzunehmen und richtig zu atmen. So ein Chaos von Glücksgefühlen hatte ich noch nie verspürt, und
die Tatsache, dass Sanji mich so fühlen lässt, verschönert die Situation um vielfaches. Er öffnet
zurückhaltend den Mund, und um ihm wissen zu lassen, dass ich auch einen Zungenkuss will, mache
ich den weiteren Schritt. Weich und schüchternd fordernd küssen wir uns, ich kann noch das Aroma des
Abendessens schmecken, es schmeckt süß und es gibt auf der ganzen Welt keinen anderen Menschen,
den ich jemals küssen will, das ist mir in diesem Moment sonnenklar. Dieses Liebesgefühl ist so
umwerfend, wir küssen uns, immer weiter, immer wieder, küssen, küssen, küssen, küssen uns, ich weiß
ganz genau, dass Sanji dasselbe fühlt, es gibt keine Zweifel, wir lassen alles zu, nichts von Außen kann
uns stören, das hier gehört nur uns beiden, seine Zunge, seine Lippen, sein Mund, seine Hand, die mein
Gesicht hält, die andere, die mit meiner Hand Streicheleinheiten austauscht, alles gehört hierher, diese
Wärme, diese Glücklichkeit, alles andere verschwindet, es soll nie aufhören, nie wieder, ich liebe ihn so
sehr in diesem Moment, ich liebe ihn aus tiefstem Inneren.
erstellt am 7.04.2007
4Kolibris,
Elena