Hassle - Pubertät 21
Kapitel 41:
Hassle - Pubertät 21
Sanjis Sicht
Ich brauche H, also schnell zu Tamara! Es ist vierzehn Uhr, ich sitze im Bus und habe vor, an Tamaras
Haltestelle auszusteigen. Mein Körper braucht jetzt H, dann wird alles in meinem Kopf wieder klar und
ich kann gescheit entspannen. Hasch rauchen bringt nicht viel, beruhigt höchstens meine Lungen und
die Atmung. Endlich dackelt der Bus in meine Zielstraße und lässt sich noch ein bisschen mehr Zeit. Ich
will weg von den anderen Busfahrern, die gehen mir tierisch auf’n Sack. Die tun so, als wäre das Leben
ganz normal und ganz okay und ganz gut. Von wegen! Und dann beschweren die sich auch noch, dass
ich im Bus rauche. Die sollen bloß still sein. Ist doch eh alles Scheiße! So eine verfickte Scheiße! Mama
ist gestorben und Seulgi krebskrank! Womit hab ich das Schicksal überhaupt verdient!? Ich jumpe aus
dem Bus und überquere ohne mich umzuschauen die Straße, mein Ziel ist Tamaras Zuhause.
Tamara ist nicht da, also nehme ich den Schlüssel unter’m Blumentopf neben ihrer Tür, um mir
aufzuschließen. Ich laufe durch die schmale Wohnung, werfe meine Jacke auf den Esszimmertisch und
schlüpfe aus den Schuhen, alles in Richtung Badezimmer. Ich mache die Tür zu, gehe zum Regal und
hole aus der Schublade das Besteck raus. Ich bereite mir den Schuss vor, muss dazu das H auf einem
Löffel erhitzen und die Spritze nochmals säubern. Ich brauche noch einen Moment Geduld, ziehe dann
das flüssige Zeugs in die Spritze und setze an meiner Hüfte an. Mir ist schon etwas schwindlig, ich
hab’s jetzt echt nötig. Tamara hat mir mal gesagt, dass man nicht so oft in dieselbe Stelle fixen soll,
weil die Vene sonst verstopft werden kann, aber ich will nicht so viele Einstichlöcher haben, darum
nehm ich immer denselben Punkt. Ich nehme extra nicht die Armbeuge wie die meisten, denn wenn ich
ein Shirt trage muss es nicht gleich jeder sehen. Ich drücke die Nadel rein, lasse die Spritze
runterfahren und spüre die ultimative Wirkung. Ein glorreicher Schuss durchfährt mich, mit der Nadel
stochere ich ein paar Mal in der Vene rum, dann ziehe ich sie wieder raus. Ich fühle mich wie auf Wolke
7, mir geht es glänzend!
Ich höre, dass Tamara nach Hause kommt und in mir findet ein Gefühlsumschwung statt. Zwar fühle ich
mich wie neu geboren, geradezu erfüllt, aber es staut sich eine richtige Trotzigkeit in mir auf. Sie
kommt ins Esszimmer, wo ich am Tisch sitze und was esse. „Hi, Sanji.“ Sie kommt auf mich zu, schlingt
ihre Arme von hinten um meinen Hals und küsst mir aufs Ohr. „Na, schönen Tag gehabt bis jetzt?“ Ich
antworte ihr nicht, habe keine Lust zu sprechen. Sie stupst mich mit der Nase an und wird ungeduldig.
„Hallo? Sprichst du nicht mehr mit mir?“ Ich beiße in mein Toastbrot und kaue darauf rum, wodurch sie
zickig mit mir redet. „Mann, wenn dir ne Maus über die Leber gelaufen ist brauchst du deine miese
Laune nicht an mir auslassen!“ Sie ist doch nur wütend, weil ich jetzt net mit ihr in die Kiste steig.
Dumme Gans, ich beiße noch mal in mein Toastbrot. Sie wartet wohl noch auf etwas, aber von mir
kommt nichts. Eingeschnappt läuft sie in die Küche.
Sie kommt zurück, gibt keinen Ton von sich. Ich schmiere mir noch ein Brot, schneide eine Tomate in
dünne Scheiben und lege sie drauf. Tamara nimmt sich auch was davon, bei uns ist echt ein
schweigsamer Krieg ausgebrochen. Mir ist das sowieso egal, ich brauch mich nicht mehr mit ihr zu
verständigen. Ich merke aus dem Augenwinkel ganz genau, dass sie mich mustert. Ist mir shit egal, was
du über mich denkst, Mara! „Sanji.“ Ich sehe sie immer noch nicht an, kaue einfach weiter. Sie schnaubt
und ist sichtlich gereizt. „Sanji, schau mich an!“ Weil ich heute einen guten Tag hab, befolge ich ihrer
reizenden Bitte. „Was ist?“ Sie funkelt mich an, ist ganz schön geschlaucht von meinem Verhalten. „Ich
hab’s langsam echt satt, dass du bei mir nur noch rumhängst und dich voll gehen lässt! Mach mal
etwas Sport!“ Was!? Was hat sie da gesagt? Ich verschlucke mich zum Glück nicht und entgegne sauer
ihrer frechen Aussage. „Ich soll allen Ernstes Sport machen?“ Ihr Blick lässt nicht von mir ab, sie
verarscht mich echt nicht. Das ist schon ewig her, dass mich jemand so beleidigt hat. Ich tippe mit dem
Zeigefinger an meine Schläfe. „Bist du bekloppt?“ „Pffff.“ Sie lehnt sich zurück in ihren Stuhl und sieht
mich gestresst an. Ihre Wangen sind total gerötet und ich glaube echt, dass das unser erster richtiger
Streit ist. Vielleicht auch der letzte.
„Sag mal, legst du’s wirklich drauf an?“ sagt sie bissig, doch ich habe kein Problem damit, zu kontern.
„Tu ich doch schon. Ich lass mir von dir nix sagen, kapiert?“ Sie schüttelt verständnislos den Kopf, dann
steht sie mit gebündelter Energie auf. „Mir reicht’s, mach hn Abflug!“ Sie zeigt aus ihrer Wohnung, aber
ich rühre mich nicht. Das bringt sie nicht, mich rauszuschmeißen, das bringt sie wirklich nicht. „Hast du
Tomaten in den Ohren? Du sollst verschwinden!“ Ich absorbiere ihren Blick, lasse sie noch einen
Moment zappeln. Die größte Niederlage wäre es doch jetzt, sich ihrem Willen zu beugen und den
Schwanz einzuziehen. Aber ich bin kein Arschkriecher, ganz bestimmt nicht, ich stehe mit Schwung auf
und laufe mit meiner Jacke zur Haustür. Du wirst mich nie wieder sehen, Mara. Ihr fallen wohl keine
Worte mehr ein, anders kann ich mir ihr plötzliches Schweigen nicht erklären. Sie hat wohl damit
gerechnet, dass ich jetzt austicken würde oder sonst was, jedenfalls kommt sie nicht hinter mir her. Ich
öffne die Haustür, zerre sie hinter mir zu und laufe zur Feuertreppe. Hasta la vista, Baby, war ne schöne
Zeit.
///
Der Streit war nicht der Auslöser für das Ganze, es hat einfach nicht mehr gepasst. Das war mir von
vorneherein schon klar gewesen, irgendwie, aber jetzt hab ich die Erfahrung gemacht und gut so. Ich
bin wieder auf der Szene gelandet, wo hätte ich auch anders hingehen sollen? Ich bahne mich durch das
überdachte Parkgeschoss zu Kodama und Edward. „Hey, was geht?“ grüßt Kodama und ich zünde mir
eine Black Devils an. „Geht so. Hab hn bisschen Stress mit meiner Alten.“ „Ah.“ wurde ich kurz
bemitleidet und das Thema war gegessen. „Wo ist denn Agotogi?“ erkundige ich mich, da ich H
brauche. „Da hinten.“ zeigt mir Kodama und hält für sich nach einem Weg nach draußen Ausschau. Sie
will sniefen und muss dazu in ein ruhigeres Eckchen. Mein Körper macht total schlapp, aber wenn ich
ein bisschen H nehme komm ich wieder auf die Beine. Achja, das ganze Besteck liegt ja noch bei
Tamara, so ein Shit! Also kann ich mir gar nicht fixen, muss Folie rauchen oder so, na ganz toll. Ich
wende mich an Edward und rufe, um zu kommunizieren. „Edward, könntest du mir dein Besteck
leihen?“ Er zieht die Mundwinkel auf der einen Seite nach oben und guckt mich komisch an. „Ich bin
kein Fixer!“ ruft er mir zu, da hab ich ihn wohl mit jemand verwechselt. Ich bin gearscht, noch wen
andres kann ich ja net gerade fragen, ob ich mir ne Spritze leihen darf.
„Sanji, du kannst dir Ecstasy schmeißen, ich hab noch welche!“ schlägt mir Edward vor und lieber nehm
ich sein Angebot an, besser als nichts. Wir verdrücken uns und gehen vor den Platz, wo nur wenige
Typen rumlungern. Die Nachtluft ist ganz schön kühl und mich friert’s komischerweise. Ich hab einen
kleinen Horrortrip, weil ich schon länger keine Pillen mehr genommen hab, aber ich werd’s überleben.
Keine Ahnung, über was Edward mit mir reden will, aber hier ist es totenstill und man kann richtig
normal miteinander sprechen. Auf einmal stößt Agotogi zu uns und grüßt erstmal mit seinem geilen
Augengezwinker. Widerlich, aber vielleicht findet das die Eine oder Andere ja anziehend, ich jedenfalls
nicht. Was denk ich schon wieder für nen Stuss, ich bin doch net mal ein Mädel, ich könnt mir echt
auf’n Kopf haun... ich bin so kaputt! Scheiß Horror! „Hey, ihr Kerle!“ grüßt und Agotogi, zu Edward: „Na,
alles fit?“ und zu mir: „Wie geht’s, wie steht’s?“ Ich muss ihn jetzt einfach nach mehr H bitten, ich
brauch Nachschub, um zu Hause auch was auf Lager zu haben. „Kannst du mir ein bissel H abdrücken?“
Einschätzend sieht er mich an, redet aber, bevor er handelt. „Stress mit Tamara gehabt?“ Ich nicke als
Bestätigung, doch da macht mich überraschenderweise Edward runter. „Dein Pech, dann musst du jetzt
erst Mal für Kohle aufkommen.“ Was? Was labert der da? Ich gehe sofort in Abwehrposition, was soll der
Mist? „Wieso sollte ich?“ So als wäre ich ein Kleinkind stellt er sich hin, spielt mir den Dummen vor.
„Weißt du, Sanji, Tamara hat die ganze Zeit für dich mit gezahlt, aber wenn du nicht mehr so dicke mit
ihr zusammen bist, musst du eben selbst für deinen Plunder aufkommen.“ Ich verziehe mein Gesicht,
wieso kommt der mir auf einmal damit!?
Da begebe ich mich schon auf sein Niveau hinab, schnorre Agotogi an und jetzt – „Sanji, du kannst
eben net immer auf Tamaras Kosten schmarotzen. Sie hat mich vorhin angerufen und auf hn neusten
Stand der Dinge gebracht. Glaubst du etwa, dass sie sich so leicht abservieren lässt?“ Jetzt wär’s mal
Zeit, ein bisschen Kickboxen anzuwenden, hab ich Recht? Ich ziehe ein letztes Mal an meiner Fluppe
und schnippe sie dann weg. Edward prahlt ununterbrochen mit seinem Wissen weiter, immer top
informiert zu sein. „Du kannst mir dann mal demnächst ein bisschen Geld zustecken, um deine
Schulden wieder wett zu machen!“ Sarkastisch lache ich auf. „Klar doch, grad weil ich dir was in den
Arsch stecken würd. Wie kommst du nur darauf, dass ich so blöd wäre, dir nachzugeben!?“ Agotogi
mischt sich bei Edward und mir ein, aber er ist nicht auf meiner Seite. „Hör mal zu, Sanji, wenn du
Tamara einfach so abschießt, steht sie vollkommen im Recht, dir die Kosten zu übertragen. Du hast
keinen Anspruch mehr auf nichts.“ Sag mal, geht’s noch!? Grad weil ich auf diese Säcke hören würd! Ich
will kontern, doch Edward kommt mir zuvor. „Sanji, ich sag’s ja nicht gerne, aber du wirst mir alles
zurückzahlen, sonst geht’s dir an den Kragen.“ Am Liebsten würd ich ihm sein dämliches Grinsen aus
dem Gesicht schlagen. Ich versteh nur nicht, was das jetzt soll, der ganze Stoff kommt doch immer von
Agotogi, wieso droht mir jetzt dieser kleine Wichser auf einmal? „Träum weiter, Milchgesicht.“ Aber er
lässt sich nicht beirren und reißt sein großes Maul wieder auf. „Wenn du nicht zahlen solltest -was du
wirst- dann wird’s dir eben schlecht bekommen. Willst du etwa im Knast landen?“ Wenn die mich
verpfeifen wollen, verpetze ich die eben auch bei der Polizei. „Und komm nicht in Versuchung uns zu
hintergehen, sonst...“
Ich stehe also mit Geldschulden alleine da, Tamara hat sich ganz schön clever aus der Affäre gezogen.
Mir einfach alles gut zu schreiben und sich aus dem Staub machen, die hat se wohl nicht mehr alle. Und
so wie ich das sehe, hat sie sich bestimmt schon einen anderen Blödian gesucht, den sie erst paarmal
flachlegt und dem sie dann auch die Kosten aufhalst. Ich darf’s ausbaden, so schaut’s aktuell aus. So
eine Bitch aber auch! Aber sich jetzt aufzuregen und dagegen zu wehren führt zu nichts, dass haben
die sicher schon mehrmals abgezogen. Solche Wichser! Zum Notfall habe ich noch H mitbekommen, zu
gütig aber auch. Ich schlendere nach Hause, ein Glück hab ich das ja jetzt, ich bin zum ersten Mal
dankbar dafür. Ich mache die Lichter nicht an, gehe nur zu meinem Bett und leg mich hin. Morgen sieht
die Welt schon anders aus, entweder nur beschissener oder null verändert.
erstellt am 10.05.2007
4Kolibris,
Elena