Dull - Pubertät 22
Kapitel 43:
Dull - Pubertät 22
Sanjis Sicht
Man darf Keine bzw. Keinen mit zu sich nach Hause bringen, denn sonst wissen die ja, wo man wohnt;
und jemanden in die Privatsphäre eindringen zu lassen ist tabu. Leuchtet einem ja auch ein. Wenn’s mal
gut läuft und sich Eine bzw. Einer immer wieder mit dir trifft, darf man keine Geschenke annehmen,
denn ansonsten könnte sie bzw. er sich Hoffnungen machen und sich schlimmsten Falls in dich
verlieben. Du kannst Preise selbst vereinbaren, und falls die mal nicht zahlen wollen, darfst du Gewalt
anwenden, aber mehr wie schlagen ist verboten. Du kannst selbst bestimmen, zu was du bereit bist zu
machen, ob volles Programm, oder nur Einzelaufträge, wie Finger, Zunge, Strippen, was weiß ich was es
da alles gibt. Kunden dürfen den anderen Kollegen ausgespannt werden, falls dein Typ verlangt ist,
aber nicht aus Rachegründen oder privaten Angelegenheiten. Mehr wie zwei Stunden dürfen nicht in
Anspruch genommen werden, denn die Zimmer werden noch gebraucht. Das sind alle Regeln, die
einzuhalten sind.
Meine Fresse, wie bin ich da nur reingerutscht, verdammte Scheiße! Da hab ich mich doch tatsächlich
auf die Parkstraße gestellt und Leute angegafft. Natürlich nur Frauen, für mich würde es im Leben nicht
in Frage kommen, für Geld einem Typen einen runterzuholen, bei dem Gedanken schüttelt’s mich am
ganzen Körper. Ich hab mir eine seelisch runtergekommene Frau angelacht, aber Geld hat sie, darauf
kommt’s an. Schon beim ersten Augenkontakt fand ich sie abstoßend, sie stank nach Parfüm und hat
mich abschätzend angeguckt, als ob sie was besseres wär, nur weil sie ne tolle Karre hat und eben viel
Zaster. Dazu kommt noch ihr Alter, bestimmt über achtundzwanzig und überhaupt nicht mein Fall.
Aber ich muss über dem allem stehen, sonst kann ich mir den Job hier abschminken.
Ich komme mir so vor, als wäre ich ein eingefrorener Klotz, den man von Außen formen, aber Innen
nicht mehr zum Schmelzen bringen kann. Ob ich überhaupt noch mal Wärme spüren werde? Jedenfalls
bin ich felsenfest davon überzeugt, dass ich mich nie, nie wieder in meinem ganzen Leben verlieben
werde. Seulgi war die Einzige, für die ich solche Gefühle empfunden habe, aber das war ein Fehler.
Wenn man verliebt ist, kann es einem einfach nur wehtun, klar ist die Zeit schön, die man hat, aber für
die Folgen lohnt es sich überhaupt nicht. Das sind meine Erfahrungen, und bevor ich noch mal so
leiden werde, lasse ich es gar nicht erst so weit kommen. Darum werde ich es gar nicht erst versuchen
oder sogar zulassen, mich noch mal zu verlieben, aus Angst, wieder die gleichen Fehler zu machen. Ich
verbanne alle Emotionen in mir, habe alles weggeschlossen, dafür ist hier kein Platz. Wie soll ich sonst
täglich bis zu drei Freier beschäftigen?
Für mich gibt es weder Seulgi, noch Tamara, die beiden schwirren zwar immer in meinem Hinterkopf
herum, aber ich muss mich davon lösen. Die beiden werden sich nie wieder in mein Leben einmischen,
Seulgi kommt doch eh ins Krankenhaus und Tamara hat mich nur benutzt, diese durchtriebene
Schlange! Aber selbst Schuld, wenn man sich so blindlings einlullen lässt... ohne sie wäre ich überhaupt
nicht auf’m Strich gelandet, hätte nie mit Drogen angefangen. Aber vielleicht sollte ich nicht ihr alles in
die Schuhe schieben, ich war ja wohl auch wie ein gefundenes Fressen für all die Dealer hier. Wenn ich
jetzt weiter H nehme, steigen die Schulden immer weiter an, ich müsste es mir stufenweise
abgewöhnen, also wöchentlich immer weniger H konsumieren, dann hätte ich irgendwann alle Schulden
begleicht. So langsam schaltet es sich auch schon in meinem Kopf um, dass es so nicht weitergehen
kann, ich will ja nicht ganz drauf kommen und von H abhängig sein. Einen Turkey hab ich noch nie
erlebt, also dass mein Körper Entzugserscheinungen aufzeigt, und so soll es auch bleiben. Ich kann
noch davon wegkommen, und ich werde es schaffen.
Heute treffe ich eine Brünette, ein klassisches 0-8-15 Gesicht, sie ist total hübsch und hat einen schön
geformten Körper. Wieso soll sich so eine wie sie mit einem Stricher abgeben? Die bräuchte doch nur in
den nächst besten Nachtclub gehen und sich irgendeinen angeln, ich kapier das nicht. Aber sie zeigt
Interesse an mir, bewundernswert, wir kommen ins Gespräch und die Falle schnappt zu. Wir
vereinbaren einen Preis, verziehen uns auf eines der Zimmer, die uns Edward freistellt und den
restlichen Ablauf möchte ich ausblenden. Später erklärt mir Agotogi, dass es eigentlich viele Weiber
gibt, die sich alle Mal zu gut sein könnten für einen von uns, aber sie wollen nicht als Schlampe
dastehen und das ihr Ruf geschändigt wird. Hier bleibt ja alles unter uns, wir prahlen auch nicht damit
rum, wer welche geknallt hat und wer nicht. Sie wollen ganz einfach keine Beziehung, haben keine Lust
auf so ’nen Stress und sind nur an dem Einen interessiert, so kommt es also zustande. Ohne Reden
wird direkt zur Sache gekommen, mir sollen ihre Gründe recht sein, sind die eben notgeil, wenigstens
stimmt’s bei mir in der Kasse.
Ein paar Tage drauf treffe ich so eine Blondine, auch extrem hübsch und sie hat auch etwas an mir
gefressen. Sie heißt Pola und nagt geradezu an mir, sie wollte keinen von den anderen, die dort auf
Fang aus waren. Ich kapiere ziemlich schnell, wie das alles abzulaufen hat und was erlaubt ist und was
nicht. Ich bin vormittags Zuhause, keine Ahnung, was ich da so treibe, nachmittags komme ich auf die
Szene und abends schaffe ich mir Freier an. Nach kurzer Zeit habe ich sogar schon zwei, drei
Stammkundinnen, die im Moment nur mit mir auf die Zimmer gehen. Eigentlich könnte mich das
schmeicheln, aber ich finde das alles so widerlich, ich bin jedes Mal froh, wenn es rum ist! Zuhause
onaniere ich nicht mal mehr, wie denn auch, ich fühle mich nur noch benutzt und abgestumpft. Ich hab
schon alles verschenkt, meinen Körper, meine Würde, meine Gesundheit, mein ganzes Ich. Für mich
sehe ich keine rosige Zukunft, aber irgendwie hoffe ich noch darauf, dass sich bald etwas ändern wird.
Eine Wende in meinem Leben, ein Aufschwung durch den alles wieder gut wird. Träumen tue ich sehr
gerne, auch wenn alles total unrealistisch ist, aber meine Fantasie hilft mir echt weiter. Werde ich halt
gehasst, verachtet, missbraucht, aber ein Fleckchen in zeugt noch immer Selbsttreue, und das lasse ich
mir von keinem kaputt machen, weiter runter in den Schmutz ziehen lasse ich mich ganz sicher nicht.
erstellt am 11.05.2007
4Kolibris,
Elena