Ein Mädchen, Kornblumen und ein Todesfall
Ein Mädchen, Kornblumen und ein Todesfall
Der zwölfte Schlag der Kirchturmglocke verklang und Stille kehrte in dem Vorort Tokios ein. Alle waren jetzt in ihren Betten und schliefen, nur einige wenige Fenster waren beleuchtet. Doch auch jene Lichter würden bald verlöschen und der Ort würde in die vollkommende Schwärze der Nacht gebettet werden. Selbst die Straßenlaternen schalteten sich nun leise aus.
Plötzlich erhellte weißes Scheinwerferlicht die verlassenen Straßen. Die wenigen Leute, die noch wach waren, eilten zu ihren Fenstern und beobachteten, wie ein weißer Toyota die Hauptstraßen entlang raste. Am Steuer war ein älterer Mann zu erkennen, der äußerste aufgeregt aussah.
Sozo Hira hatte einen erfolgreichen Tag hinter sich. Die Geschäfte waren perfekt gelaufen, die Aktien hätte nicht besser sein können und er so war er glücklich nach Hause gefahren. Doch sobald er das Haus betreten hatte, war die Schwermut zurückgekehrt. Seine Verlobte und Mutter seiner Tochter war zusammen mit eben jener Tochter im Krankenhaus. Saena hatten nun doch die Nachwirkungen der Geburt eingeholt und da die Ärzte sich nicht sicher waren, ob auch das Kind etwas abbekommen hatte, weilten sie nun beide im Tokioter Krankenhaus.
Sozo seufzte und stellte seine Aktentasche auf dem Boden ab. Dann lief er zum Telefon, um sich noch etwas zu bestellen. Doch gerade, als er nach den Hörer greifen wollte, klingelte das Gerät.
“Sozo Hira”, knurrte er mit seiner tiefen Stimme.
“Guten Abend, Hira-san. Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber hier ist Doktor Soto.”
“Doktor Soto! Guten Abend. Was gibt es denn? Ist mit Saena irgend etwas nicht in Ordnung?”
“Nun, das kommt darauf an, wie Sie ‘in Ordnung’ definieren.”
Nun jagte er voller Wut auf den Straßen entlang. Sein Ziel war das Krankenhaus. In seinen Kopf gab es nur noch einen Gedanken: //Saena.//
Er hatte gewusst, dass dieser Tag irgendwann einmal kommen würde, doch nicht, dass es so schnell sein würde. //Na warte Saena, dafür wirst du bezahlen.//
Doch er würde keine Gelegenheit mehr dazu haben, sich an ihr zu rächen.
Er jagte um die nächste Kurve...
Ein lauter Knall.
Glas zersplittert.
Der Schrei Jugendlicher.
Ein unerträglicher Schmerz.
Und dann...
Nichts mehr.
Sozo Hira war sofort tot.
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Hallihallo!!!!!!
Da bin ich wieder. Mit einem frischen, neuen Kap von Another Day in Paradise.
Mit diesem Kapitel beginnt nun offiziell der Handlungsstrang dieser FF. Alles, was über den Strich da oben ist, also auch die vorherigen Kapitel, war eine Art Vorwort, um die Situation zu erklären... Wenn ihr versteht, wie ich das meine...
Doch sobald ich mit diesem Mittwort (anders kann man es ja nicht bezeichnen) fertig bin, beginnt der offizielle Handlungsstrang.
Nun, was erwartet uns und die Charaktere? Also... Tränen, Hass, Trauer, Liebe, Freude, Familie, Freundschaft,... also eine gesunde Mischung vom Leben. Es wird zwei wichtige neue Charaktere geben, aber auch einige aus der Vergangenheit werden wieder auftauchen, zum Beispiel unsere liebe Khira oder der gutmütige Mr. Teen.
Also, lehnt euch zurück und lasst euch entführen in den Abschluss dieser wunderbaren Trilogie. Und lasst mir bei Gelegenheit ein Kommi da, ja?
Danke im Vorraus und viel Spaß!!!!!
Eure Ayako
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Das kleine Mädchen saß zwischen den Bausteinen und versuchte, ein Haus zu bauen. Ihre Haare, die zu zwei Zöpfen zusammengebunden worden waren, waren ungewöhnlich hell. Sie machte einen glücklichen Eindruck. Ein Teddybär, der viel zu groß für das kleine Mädchen war, wachte über das friedliche Spiel.
“Das ist sie”, sagte Shin traurig. “Saya. Deine Mutter hat sie einfach hier zurückgelassen, ohne ein Wort des Abschieds.”
“Was ist mit ihrem Vater?”, fragte Kyoko und betrachtete ihre kleine Schwester nachdenklich.
“Tot”, entgegnete Shin ruhig. “Auf dem Weg hierher hatte er einen Unfall bei dem er tödlich verunglückt ist.”
Kyoko seufzte. “Armes Ding. Innerhalb einer Nacht beide Eltern zu verlieren ist wirklich hart.”
“Das Problem ist, dass ich nicht weiß, was ich jetzt mit ihr machen soll. Meine Eltern haben keine Zeit für ein kleines Kind und ich selbst bin mit der Arbeit zu gestresst. Aber ich will die Kleine auch nicht in ein Waisenhaus schicken. Das wäre ungerecht. Immerhin hat sie ja noch Familie.”
“Ja, eine Familie, die sie nicht haben will.”
Shin sah Kyoko wütend an. “Das ist nicht wahr, wir haben einfach keine Zeit.”
Die Schwarzhaarige musterte Saya noch einmal, dann seufzte sie. “Na schön, ich kümmere mich um sie.”
“Bist du dir sicher?”
“Ja. Ich möchte ihr das Schicksal ersparen in einer lieblosen Umgebung aufzuwachsen. Das hat sie wirklich nicht verdient.”
Shin drückte seiner Cousine fest an sich. “Danke, Kyoko-chan, du bist die beste.”
Die Jüngere verdrehte die Augen, riss sich los und ging auf das kleine Mädchen zu. Diese blickte neugierig auf, als sie näher kam und nahm die Fremde in Augenschein.
Kyoko kniete sich vor sie und streckte ihr die Hand hin. “Hallo Saya. Ich bin Kyoko, deine große Schwester. Ab heute sind wir eine Familie.”
Saya blieb noch eine Weile im Krankenhaus bis Kyoko mit Hilfe von Kaede, Shin, Yashiro und Sho ein Kinderzimmer für das Mädchen eingerichtet hatte. Außerdem kaufte sie ein paar Bilderbücher und Spielzeug und ließ sich erklären worauf sie beim Umgang mit kleinen Kindern achten musste. Schließlich kam der Tag, an dem das kleine Mädchen in sein neues Zuhause kam.
Es dauerte nicht lange und die beiden Schwestern waren der Schatten der jeweils anderen geworden. Saya lief ihrer “O-nee-chan” immer hinterher und versuchte ihr alles nachzumachen. (Sie hatte bereits bei ihrer Mutter das Laufen gelernt.)
Kyoko derweile machte es einen Heidenspaß, der Kleinen Märchen vorzulesen und sie in süße kleine Kleidchen mit vielen Rüschen zu stecken, die Maria-chan der Kleinen geschenkt hatte, als sie einmal zu Besuch da gewesen war. Jeden Tag sah man die beiden über den Strand spazieren, während Sen vor ihnen herumsprang und Saya ihn einzuholen versuchte. Und endlich konnte man Kyoko wieder lachen sehen. Aber ihre Trauer war noch nicht vorbei, auch wenn ihre kleine Schwester sie ablenkte. Immer wenn sie in einer Zeitung ein Bild von Ren erblickte oder er in einem Film mitspielte, verkrampfte sich etwas in ihr und sie brach sofort in Tränen aus. Das führte soweit, dass sie irgendwann den Fernseher nur noch anschaltete, damit Saya ihren Lieblingsanime angucken konnte oder sie sich den Wetterbericht für den nächsten Tag ansah. Zeitungen schlug sie überhaupt nicht mehr auf.
Einmal in der Woche brachte sie ihre kleine Schwester zu Midori, die gerne ein paar Stunden auf sie aufpasste und fuhr mit dem knallpinken Smart, den der Präsident ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, mit der Bitte, wieder in die Agentur zurückzukehren, zum Friedhof, um Ren zu besuchen.
Unter den Bäumen und zwischen den Toten fand sie den Frieden, den sie sonst nirgends finden konnte. Hier konnte sie in Ruhe ihren Gedanken nachgehen und Ren alles erzählen, was ihr auf dem Herzen lag. Nebenbei kümmerte sie sich um die Blumen.
Als sie an diesem Tag dorthin kam, fand sie Kaede vor, die eifrig dabei war, Kornblumen auf das Grab zu pflanzen und mit dem Pfarrer plauderte, der öfters seine Runden durch die Grabsteine drehte. Auch Kyoko hatte sich schon einige Male mit ihm unterhalten.
“Oh, guten Tag Mogami-san”, sagte er freundlich, als er sie entdeckte. “Wieder da?”
“Guten Tag, Pater”, erwiderte sie lächelnd. “Hallo Kaede.”
“Hi Kyoko. Wie geht es dir?”, fragte sie fröhlich und erhob sich. “Ich gehe kurz Wasser holen, nicht dass uns die Blumen jetzt schon verdursten.”
Sie lief in Richtung Pumpen davon.
“Sie ist wirklich ein sehr fröhlicher Mensch”, sagte der Pfarrer warmherzig und wandte sich der Schwarzhaarigen zu. “Sie hat ihr Leben wiedergefunden und auch du scheinst dorthin zurückzukehren. Das ist sehr beruhigend.”
Er lächelte ihr zu. “Nun, ich muss nun meiner Arbeit nachgehen, eine erneute Beerdigung steht an und ich möchte die Familie nicht zu lange warten lassen. Einen schönen Tag noch.”
“Ihnen auch, Pater.”
Sie beobachtete, wie er Richtung Kirche verschwand. Dann setzte sie sich auf die Parkbank, die vor Rens Grab unter einer alten Eiche stand und betrachtete die Blumen, die Kaede eben eingepflanzt hatte.
Diese kam auch schon einige Momente später mit einer Gießkanne zurück und schenkte den Pflanzen Wasser. Danach brachte sie die Kanne wieder dahin, wo sie hingehörte und ließ sich neben Kyoko auf der Bank nieder.
“Warum eigentlich Kornblumen?”, fragte die Jüngere. “Schon bei der Trauerfeier hast du eine Kornblume auf sein Grab gelegt und nun wieder.”
Kaede lächelte. “Kennst du die Blumensprache?”, fragte sie.
Kyoko schüttelte mit den Kopf.
“Früher hatten Liebende nur wenige Möglichkeiten, sich miteinander zu verständigen bevor sie verheiratet wurden. Deshalb überbrachten sie mit Hilfe von Blumen ihren Angebetenen Nachrichten. Rote Rosen zum Beispiel bedeuten Liebe und Lindenblumen bedeuten ‘Träume süß, ich denk an dich’.”
“Und was bedeuten Kornblumen?”, fragte Kyoko neugierig.
Kaede lächelte traurig. “Sie bedeuten ‘ich gebe die Hoffnung nicht auf.’”
Kyoko öffnete den Mund um etwas zu sagen und schloss ihn wieder. Ein langes Schweigen kehrte ein, bis sie sagte: “Ich glaube, ich sollte demnächst auch Kornblumen mitbringen.”
Die Ältere schüttelte mit den Kopf. “Es ist falsch, Kyoko. Du solltest lieber wieder leben, anstatt dich an einen Toten zu klammern. Ren hätte das auch so gewollt.”
“Aber du glaubst doch auch nicht an seinen Tod.”
“Doch, an Ren Tsurugas Tod glaube ich”, sagte sie ernst. “Und den möchte ich auch nicht wieder sehen.”
“Aber...”
“Es ist Kuon, an dessen Leben ich glaube. Und zwar nur Kuon.” Sie blickte hinauf in den Himmel und seufzte. “Es sieht nach Regen aus, wir sollten besser gehen.”
“Nein, ich bleibe noch ein bisschen.”
Kaede sah sie nachdenklich an, dann seufzte sie. “Wenn schon nicht für dich, dann lerne wenigstens für Saya zu leben, Kyoko.”
Damit ging sie davon.
Die inzwischen Neunzehnjährige blieb alleine auf der Parkbank zurück und wartete darauf, dass der kommende Regen ihre Tränen davon wusch.
Kaede hatte Recht. Sie durfte sich nicht in ihrer Trauer verkriechen! Sie musste wieder nach draußen und leben! Sie musste wieder ‘Kyoko’ werden!
Entschlossen stand sie auf und sah hinauf in die dunklen Wolken.
“Na warte, Kuon! Ich werde zurückkehren und du wirst das gefälligst auch tun!”
Lächelnd lief sie schnellen Schrittes über den Kiesweg zu ihrem Smart. Sie wusste, was sie nun zu tun hatte.
Kyoko Mogami war zurück und so schnell würde sie nichts mehr unterkriegen können.
Kaede beobachtete zufrieden, wie Kyoko in ihr Auto stieg.
“Na endlich”, murmelte sie grinsend. “Wurde ja auch Zeit.”