Du?
Du?!
Als Kiandra nach einigen Minuten aufwachte, lag sie flach auf dem Waldboden. Zwei Hände hielten ihren Kopf und sie hörte jemanden ihren Namen sagen. Langsam drang die Stimme zu ihrem Gehirn durch.
„Kiandra, ist alles in Ordnung? Geht es dir gut?“ Sie hörte die Worte, konnte aber niemanden sehen, ihre Augen versagten noch ihren Dienst. Ganz langsam verschwand die Schwärze aus ihrem Blickfeld und verschwommen nahm sie über sich die Bäume und ein Gesicht war. Sie konnte es nicht erkennen aber etwas darin leuchtete im trüben Licht des anbrechenden Abends. Zwei Augen, hellgrau. Die hatte sie schon mal gesehen. Sie war aber noch zu benommen, um klar zu denken. Erst nach einer Minute ließ die Ohnmacht ganz von ihr ab.
„Wo bin ich? Was ist denn passiert? Au, mein Kopf tut weh.“
„Du bist ohnmächtig geworden. Du wolltest den Abhang runterspringen, erinnerst du dich?“ Vorsichtig setzte sich Kiandra auf und hielt sich ihren schmerzenden Kopf. Ihr Sichtfeld war wieder klar und ihr Gehirn arbeitete auch wieder. Sie erinnerte sich.
„Mein Gott, was habe ich getan? Wie konnte ich nur auf so eine bescheuerte Idee kommen? Danke, dass …“ Sie stutzte plötzlich. Wer hatte sie denn da eigentlich gerettet? Ohne ihren Retter anzusehen, der hinter ihr kniete, stand sie auf, immer noch etwas wackelig auf den Beinen, und hörte, dass auch er sich aufrichtete. Wie in Zeitlupe drehte sie sich zu ihm um.
„Du?“ Mehr brachte sie nicht heraus. Zu groß war die Überraschung. Ihr Blick traf auf zwei hellgraue Augen, die sie voller Liebe und Zärtlichkeit anstrahlten.
„Ja, ich“, antwortete Lars zärtlich.
„Aber was machst du denn hier? Wie hast du mich gefunden? Und warum?“ Kiandra war vollkommen irritiert.
„Ich bin zu deiner Wohnung gefahren und hab dich wegfahren sehen – du sahst so merkwürdig aus, dass ich Angst bekam. Da bin ich dir gefolgt.“
„Und was wolltest du bei meiner Wohnung?“ fragte Kiandra erstaunt.
„Ich kam, um dir zu sagen, dass Rita die Schuldige war.“
„Na sieh mal an!“ Kiandra war nicht wirklich überrascht obwohl sie die Hintergründe noch nicht kannte. Man konnte Rita eben doch alles zutrauen. Triumphierend baute sie sich vor Lars auf und fragte ihn: „Und, tut es dir leid, dass du mich verdächtigt hast? Ich hab dir ja gleich gesagt, du würdest es bereuen.“ Lars trat einen Schritt näher und sagte dann: „ Ich habe es schon bereut, bevor ich überhaupt mit dir gesprochen habe. Ich hätte es auch bereut, wenn du jetzt da unten liegen würdest, weil ich dich zu unrecht beschuldigt habe.“ Er zeigte in die Schlucht und trat noch einen Schritt näher. Kiandras Herz klopfte schneller.
„Kiandra, ich muss dir etwas gestehen.“ Doch sie unterbrach ihn sofort.
„Ich glaube, ich weiß schon, was jetzt kommt. Du hast eine Freundin, richtig? Das habe ich mir schon gedacht und Sigi hat auch was bemerkt. Tja, ich hoffe, du bist wenigstens richtig verliebt.“ Sie ließ den Kopf sinken.
Eigentlich wollte sie jetzt einfach weggehen aber wieder trat Lars einen Schritt näher. Er berührte schon fast ihren Körper, so nah war er. Sein Duft hüllte sie wieder ein und an seinem Hals konnte sie seinen Pulsschlag sehen. Er hämmerte gegen die Ader als wollte er jeden Moment explodieren. In dem Moment als sie fühlte, wie die Schmetterlinge in ihrem Bauch Flicflacs machten, hatte Lars schon seine Arme um sie gelegt. Einen Augenblick setzte ihr Herz aus und sie schloss die Augen in der Hoffnung, sich zu beruhigen. Da hörte sie durch ihren eigenen viel zu schnellen Puls hindurch das eine Wort, das ihre Tränen wie einen Wasserfall fließen ließ, diesmal vor Glück.
„Rettungslos.“
Sein Kuss war wie eine Explosion von Leidenschaft und Sehnsucht. Kiandra erwiderte ihn, bis ihre Lippen schmerzten. Sie warf ihre Arme um Lars und spürte seine Hände auf ihrem Rücken. Ein Schauer durchlief sie und ließ sie vor Erregung fast wieder ohnmächtig werden. Seine Erregung spürte sie ebenfalls und als er sie langsam und vorsichtig unter Küssen wieder auf den Waldboden drückte und ihre Jacke öffnete, um unter ihrem Pulli ihre Brüste zu streicheln, schlang sie ihre Beine um seine Hüften und flüsterte: „Ich auch. Aber diesmal rette mich bitte nicht.“ Und dann bestand ihre Welt nur noch aus hellgrauen Augen und zärtlichen Händen.
Später erklärte Lars der verblüfften Kiandra, was er herausgefunden und warum Rita so gehandelt hatte. Er sagte ihr, dass Rita die Firma verlassen würde. Und er erzählte ihr auch, wie Sigi Kiandra in Schutz genommen hatte. Dann sah er beschämt auf den Boden.
„Es tut mir so leid, Kiandra. Ich bin ein Trottel gewesen. Ich war ja selbst von deiner Unschuld überzeugt aber trotzdem hab ich dich verdächtigt. Und beinahe hätte ich dich verloren.“ Er nahm ihre Hand und drückte sie zärtlich. Kiandra legte ihren Kopf an seine Schulter und versicherte ihm: „Dieser Gefahr werde ich dich nie wieder aussetzen.“
Auf einmal fiel ihr auf, dass ihr Traum mehr oder weniger real geworden war. Der Abgrund, die Rettung, die Hand, alles wie sie es geträumt hatte, nur ohne den Wind. Und sie erzählte Lars davon.
„Verrückt“, war alles, was er dazu sagen konnte. Und Kiandra meinte: „Allerdings. Irgendwie schräg.“ Dann fiel ihr noch etwas ein.
„Sag mal, wie hast du eigentlich Rita soweit gekriegt, sich zu verraten?“ Lars blieb stehen und eine sanfte Röte floss über sein Gesicht als er an Ritas nackte Brüste dachte.
„Sagen wir es mal so: ich habe die richtigen Knöpfe gedrückt. Frag lieber nicht weiter.“ Aber Kiandra ließ nicht locker. Die richtigen Knöpfe? Das konnte nur eins bedeuten…
„Du hast doch nicht etwa mit ihr…?“ fragte sie entsetzt. Aber Lars beruhigte sie.
„Nein, soweit ist es zum Glück nicht gekommen. Aber viel hätte auch nicht mehr gefehlt. Glücklicherweise hat sie sich im richtigen Moment verplappert. Und eins kann ich dir sagen: ich will diese Frau nie wieder nackt sehen müssen! Egal wie gut der Grund ist, nie wieder!“
Kiandra riss erstaunt die Augen auf.
„Nackt? Wie nackt?“
