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Schall und Rauch

Which path will you choose?
von

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„Ich kann nicht glauben, dass der Rauchzauber wirklich funktioniert hat!“, lachte Elphaba, noch immer fassungslos. „Bleib nicht stehen!“, keuchte Fiyero, „wir haben es gleich geschafft. Dort, wo der Wald beginnt, gibt es einen kleinen Unterschlupf!“

Sie waren auf der Flucht vor Dorothy und den Hexenjägern und auch eigentlich vor allen und jedem. Sie flohen aus Kiamo Ko in den Wald hinein, aber nur so lange, bis die Umgebung wieder sicher war.

Hand in Hand – nun, was man bei Fiyero noch Hand nennen konnte – rannten die grüne Hexe und die Vogelscheuche auf den Wald zu, der nun groß und dunkel vor ihnen auftauchte.

‚Nun bin ich also offiziell tot…’, dachte Elphaba verbittert. Der Rauchzauber hatte Dorothy und die Hexenjäger überzeugt, nur ihren Hut hatte sie als Beweis für ihren Tod dort lassen müssen. Ausgerechnet der Hut, den Glinda ihr damals in Shiz geschenkt hatte… Der Hut, mit dem alles begonnen hatte… Glinda…

„Fiyero?“, Elphaba blieb abrupt stehen. Fiyero schaute sie fragend an. „Kann ich nicht… also ich meine, können wir ihr nicht wenigstens sagen, nur ihr, dass ich noch... dass wir noch leben?“ Fiyero ließ Elphabas Hand los: „Warum ist dir das so wichtig?“, fragte er mit gesenktem Kopf, der Strohhut verdeckte seine Augen. „Ich habe dir doch vorhin schon gesagt, dass das nicht geht!“

„Aber warum denn nicht? Es würde ihr eine große Last abnehmen… denke ich.“ Elphaba ärgerte es, dass sie Fiyero nicht in die Augen sehen konnte.

Plötzlich hob Fiyero den Kopf, in seinen Augen stand Wut… und noch etwas anderes, was Elphaba nicht deuten konnte: „Eine Last ABNEHMEN?“, rief er empört aus. „Ihr Exverlobter und ihre beste Freundin beginnen ein neues Leben und DU glaubst, es würde IHR eine LAST abnehmen?“

Elphaba erschrak bei der Heftigkeit seiner Worte: „Shhht! Yero, nicht so laut!“, flüsterte sie.

„Ach was…!!“, zischte er, drehte sich um und ging strammen Schrittes weiter auf den Wald zu.

„Yero…“, flüsterte Elphaba, „…FIYERO!“, rief sie nun lauter, rannte hinter ihm her, packte seine Hand und drehte ihn zu sich um: „Ich habe mich mit Glinda ausgesprochen, kurz bevor Dorothy kam. Sie hat mir alles vergeben… Ich glaube wirklich, dass sie uns beide sehr vermisst!“

„Dich vielleicht!“, schnauzte die Vogelscheuche die Hexe an und wieder war etwas in Fiyeros Augen, was Elphaba nicht deuten konnte. „Kannst du ihr denn etwa auch vergeben? Dass sie dich an diese kleine Göre verraten hat? Ihr einfach die kostbaren Schuhe deiner Schwester gegeben hat? In die auch DU so viel Arbeit hinein gesteckt hast? Die Schuhe, die DEINE Liebe zu Nessa bewiesen haben? Na? Kannst du ihr das auch verzeihen?“

Nun war es Elphaba, die zu Boden blickte. Musste er wieder mit diesen dämlichen Schuhen anfangen? Ja verdammt, es ärgerte sie, dass Glinda, ohne darüber nachzudenken diesem dummen Gör die Schuhe geschenkt hatte. Oder hatte Glinda etwa genau darüber nachgedacht? Diese Schuhe waren auch nur wieder ein Beweis gewesen. Ein Beweis dafür, dass Frexspar, ihr Vater, Nessa mehr geliebt hatte, als er sie, Elphaba, geliebt hatte. ‚Wenn er mich überhaupt geliebt hat…’, ging es Elphaba durch den Kopf. Niemand hatte sich je wirklich um sie gekümmert und auch nicht geliebt, bis Fiyero kam. Er hatte sie vor den Hexenjägern bewahrt und somit war sie Schuld an seiner jetzigen Gestalt. Sie fühlte das Schuldgefühl wieder in sich hochsteigen. Und doch war er der einzige, der je seine Liebe bewiesen hatte.

Elphaba legte ihre Hände auf Fiyeros Wangen, der sie die ganze Zeit über beobachtet hatte: „Du hast Recht, Liebster. Es war dumm von mir. Schließlich hat sie mich auch an Madame Akaber verraten. Lass uns einfach nicht mehr über sie sprechen!“ Sanft zog Fiyero Elphaba an sich heran und küsste sie. „Ich liebe dich, Fae. Nichts soll uns jetzt noch aufhalten!“

Fiyeros Stroh hatte Elphaba an der Nase gepiekst, ihr schossen Tränen in die Augen: „Ich dich auch, Yero. Ich dich auch!“, antwortete sie leise, als Fiyero die Tränen aus ihren Augen wischte, die er ganz anders deutete.

Nach einer sanften Umarmung löste sich Fiyero von seiner Geliebten, nahm sie abermals bei der Hand und zog sie weiter: „Noch ein paar Minuten und wir haben die Stelle erreicht. Dann warten wir, bis es dunkel wird und schleichen uns wieder auf die Festung.“

Während Elphaba und Fiyero noch im Wald auf die Dunkelheit warteten, um ungesehen nach Kiamo Ko zurück zu fliegen, überlegte Glinda, was sie nun am Besten tun sollte.

Als Vorzeigefigürchen des Zauberers, den sie eben erst verbannt hatte, war sie dem Volk von Oz als „Glinda die Gute“ sehr wohl bekannt. Sie hatte eine Volksversammlung ausgerufen und stand nun auf einem Podest in der Mitte des smaragdischen Marktplatzes. Ihr hell-blaues Kleid mit den Pailletten am Dekolleté glitzerte im Sonnenschein. Mit dem Rücken stand sie zu der Menge, welche schon gespannt auf ihr neues Oberhaupt warteten.

‚Durchatmen! … Und los!’, dachte Glinda. Als sie sich umdrehte, ging ein Raunen und Staunen durch die Menge. Fragende Gesichter blickten ihr entgegen. Blitzartig hob Glinda die Arme, um die Menschen zu beruhigen: „Meine lieben Ozianischen Mitbürger! Es gibt sehr viel Neues, was ich zu verkünden habe! Ich bitte euch, erst einmal Ruhe zu bewahren und mir zuzuhören, bevor ich die Brillensache erläutere!“ Ein Murmeln ging durch die Menge. Noch nie hatte ein Mensch es gewagt, bzw. geschafft, die grüne Brille abzunehmen. Bis heute. Glinda stand mitten in der Menge, ohne Brille und leicht zitternd. „Zuerst“, setzte Glinda erneut an, „möchte ich verkünden, dass der Zauberer aus Oz verbannt wurde, aufgrund seiner geheimen Machenschaften gegen die Tiere, sowie aufgrund von Tier-Misshandlung und böswilliger Verbreitung von Propaganda!“ Die Menge schrie auf, Glinda ließ sich nicht beirren und fuhr fort: „Des Weiteren … meine lieben Ozianer, bitte! … Des Weiteren wurde Madame Akaber aufgrund der Kooperation mit dem Zauberer verhaftet und das Gefängnis der Smaragdstadt ist nun ihr neues Heim. Über sie wird mit der größten Sicherheit gewacht, seid also unbesorgt! Die Vorletzte Angelegenheit betrifft unsere kleine Heldin…“, Glindas Stimme brach bei diesem Wort. ‚Nicht jetzt!’, zwang sie sich, schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter und sprach weiter, das Volk von Oz schweigend: „… unsere kleine Dorothy aus dem fernen Kansas. Auch für sie fanden wir einen Weg der Heimkehr und zwar…“

Ein lautes und großes Jubeln unterbrach Glindas Monolog. ‚Ist vielleicht auch besser so…’, vermutete Glinda, ‚Ich erspare dem Volk besser den: Der-Zauberer-ist-gar-kein-Zauberer-sondern-ein-Lügner-Teil. Das wäre wohl zu viel für sie und schließlich hat der Zauberer ja nicht nur schlechtes vollbracht.’

Brutal wurde Glinda aus ihren Gedanken gerissen, als die Menge zum Volkslied des Jahres anstimmte: „Endlich ist die Hexe tot!“, krakelten die Alten, die Jungen und sogar die Kinder. Die blonde, zierliche Frau drehte sich zu einem Diener um und verlangte nach ihrem Zauberstab.

‚Elphaba, verzeih’ mir. Ich weiß, du wolltest das nicht, aber ich kann mit diesem schlechten Gewissen nicht leben. Ich MUSS es wenigstens versuchen!’ Mit einem leisen Zischen schwang Glinda ihren Zauberstab durch die Lüfte und es knallte zwei Mal sehr laut.

Urplötzlich verstummte die Menge und Glinda besaß wieder die vollste Aufmerksamkeit. „Bevor ich nun etwas verkünde, möchte ich euch, liebe Ozianer bitten, mit eurem Jubel bis zum Ende der Verkündung zu warten!“ Sie sah ein Nicken durch die Reihen gehen und setzte wieder an: „Ja, es stimmt. Die Hexe des Westens ist tot, doch…“, beschwichtigend und um Ruhe bittend hob Glinda ihre linke Hand: „Doch möchte ich euch etwas erklären: Die Hexe des Westens hatte es nicht leicht! Schon als Kind hatte sie es schwer, niemand liebte sie genug und auch ihre Familie hatte ihre Geheimnisse voreinander! Ihr müsst verstehen…“ „Wir verstehen schon!“, unterbrach eine laute Jungenstimme Glinda in ihrer Rede. „Keiner weint um Hexen!!!“, rief er. Die Menge schloss sich an und bald war der Singsang so laut, dass man ihn noch Meilen weiter hören konnte.

Fassungslos stand Glinda auf dem Podest. Was sollte sie nun tun? Sie hatte es versucht, sie wollte Elphies Namen reinwaschen… Sie wollte es so sehr. Neun Jahre waren seit Shiz vergangen. All die Jahre hatte Glinda ihre Elphie vermisst, die sich zurückgezogen hatte in ein dunkles Gemäuer irgendwo im Wynkiland. Doch nun war es anders… Nun war Glinda all’ die Hoffnung, ihre Freundin noch einmal wieder zu sehen, auf einen Schlag genommen worden.

Erneut rappelte sich Glinda auf und rief sich Elphabas Worte in Erinnerung: „Versprich mir, dass du nicht versuchen wirst, meinen Namen rein zu waschen!“ Und ja, Glinda hatte es versprochen, weil Elphie sich um sie gesorgt hatte. Und auch wusste Glinda nun, dass das Volk einen Sündenbock braucht und ein jemand, der sich auf des Sündenbocks Seite schlägt, auch zu einem wird.

Schließlich war „Glinda die Gute“ lange genug Vorzeigepüppchen des Zauberers gewesen, um etwas Einblick in die politische Drahtzieherei zu bekommen.

„Nun gut…“, seufzte sie, „nun bleibt nur noch eins zu tun.“ Abermals verschaffte sich Glinda Gehör mit ihrem kleinen Zaubertrick und erklärte den Tag, an dem die Hexe des Westens starb, zum Feiertag. Als der erneute Jubel abebbte und Glinda wieder an Fassung gewonnen hatte, sprach sie ganz ruhig: „Nun gibt es noch eine letzte Sache, mit der ich, Glinda die Gute, euch beweisen möchte, dass ich als neue Zauberin nicht dem Lügenprinzip des alten Zauberers nachgehen werde. Was nun passiert, wird euch schocken, liebe Mitbürger, doch glaubt mir, ich war nicht weniger entsetzt. Um euch nicht länger auf die Folter zu spannen, SEHT selbst!“

Mit einem Handzeichen deutete Glinda dem Diener an, er solle ihr das Grimorium geben. Sie schlug die markierte Seite auf. Es dauerte etwas und sie musste drei Mal genauer hinsehen, bis sie den Spruch wieder lesen konnte: „NON cum vitris suis!“, sprach sie laut und wie von Zauberhand öffneten sich die Brillen der Menschen.

Glinda nickte dem Volk zu, ihre blonden Locken hüpften mit jeder ihrer Bewegungen mit. Das Entsetzen und die Angst stand den Menschen in ihren Gesichtern geschrieben: „Es ist in Ordnung, nehmt sie ruhig ab. Ich bin auch nicht blind geworden.“

Nach kurzer Zeit des Zögerns konnten einige ihre Neugierde nicht unterdrücken. „Das kann doch nicht wahr sein?!“, schrieen die ersten, nun sehr aufgebrachten Bürger. Daraufhin geschah es wie ein Lauffeuer: Ein jeder nahm seine Brille ab und schaute sich verdutzt um, denn nun war irgendwie alles gar nicht mehr so grün, außer jenes, was oberhalb der Stadtmauer lag. Um einen Ausbruch zu verhindern, sprach Glinda sehr laut und deutlich, mit einem Schwang Autorität in ihrer Stimme, in das Mikrophon: „Ja, meine lieben Ozianer! Ihr seht also: Alles nur Schall und Rauch! Ihr habt sicher viele Fragen! Geht nun nach Hause, denn ein jeder von euch wird ein exklusives Nachrichtenblatt vorfinden, auf welchem die Gründe für unsere weiss-grüne Smaragdstadt zu finden sind! Mein erstes Ziel wird nun sein, eine Großzahl der Kristalle durch wirkliche Smaragde zu ersetzen, als eure Glinda die Gute!“

Erneut brach großer Jubel aus. Glinda nahm ihn nickend zur Kenntnis, hob eine Hand und winkte noch einmal der Menge zu, bevor sie vom Podest stieg und sich schleunigst in den Palast fahren ließ. Keine zwei Minuten später war der Marktplatz wie leer gefegt und ganz Oz wusste darüber Bescheid, dass der Zauberer ein Lügner gewesen war.

„… keina weintum …xeeeeeen….“ Fiyero saß an einen Baum gelehnt, lauschte dem fernen Gesang und wunderte sich, was dort, der Undeutlichkeit zur Folge meilenweit weg, vor sich ging. Elphaba, welche in seinen Stroharmen lag, Beine leicht angezogen und vor sich hin schlummernd, seufzte leise, bevor sie Augen öffnete.

Elphaba wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als sie unterbrochen wurde: „… naaa weinuuuum eeee … xeeeeeeen…“

Verwirrt löste sie sich von Fiyeros Arm, stützte sich auf die Ellebogen und setzte sich auf. „Sie singen ja.“, wunderte sich die grüne Frau. Fiyero nickte nur leise. Nach dem zweiten Hinhören wusste er nun auch, was das Volk von Oz vor sich hinträllerte.

Plötzlich brach Elphaba in schallendes Gelächter aus. „Was…?“, setzte Fiyero verdutzt an, wurde aber von seiner Geliebten unterbrochen:

„Das ist ein Tag zum Feiern, ein Feiertag! Wie herrlich!“, versuchte Elphaba zu singen, doch ihr Gelächter macht es ihr kaum möglich. „Stimmt ja! Ich bin ja tot! Na da würde ein jeder feiern!“ Sie tupfte sich mit ihren Ärmeln die Lachtränen weg.

Fiyero hingegen fand es gar nicht komisch: „Wir haben uns, Fae. Das ist alles, was zählt!“, sagte er leise, legte seinen Arm wieder um die schlanke Taille der schönen Frau und zog sie zu sich heran. Sein Mund suchte den ihren. Elphaba beruhigte sich, das Gelächter ging über zu einem Kichern, bis der lange Kuss sie ganz verstummen lies.

Plötzlich knallte es zwei Mal – auch, wenn es aus weiter Ferne kam, war es doch sehr laut gewesen. Erschrocken drückte Elphaba sich von Fiyero weg: „Gl…“, sie seufzte. Sie merkte, wie Fiyeros Blicke ihren Rücken durchbohrten. Die Hexe schluckte ihre brodelnden Emotionen wieder herunter und drehte sich mit einem warmen Lächeln zu ihrem Yero um: „Glücklich, wollte ich sagen. Yero, ich bin glücklich.“ Erneut kuschelte sie sich in seine Arme, das lästige Gekneife vom Stroh ignorierend und schlief vor emotionaler Erschöpfung sofort wieder ein.

Stumm in die Dunkelheit hinausstarrend, hielt Fiyero seine Elphaba fest im Arm. „Gl….ücklich.“, wiederholte er flüsternd.

Orez hatte geduldig in der Kutsche auf die hübsche, junge Dame gewartet und alles mit angehört. Nun sah er Glinda auf sich zustolpern. Sie wirkte erschöpft und stützte sich auf ihren Zauberstab. Sofort sprang er von der Kutsche ab, die Pferde erschraken und wieherten kurz auf. „Shhh, shh…“, flüsterte er zur Besänftigung und eilte zu Glinda. „Fräulein Hochborn, geht es Ihnen nicht gut?“

Glinda kämpfte mit den Tränen: „Alles in Ordnung. Ich bin nur furchtbar erschöpft!“ „Das glaube ich. Sie waren fabelhaft dort draußen!“, entgegnete der Kutscher, leicht errötend.

Glinda rang sich ein Lächeln ab: „Danke, Sie sind lieb.“ Orez begleitete die blonde Schönheit zur Kutsche und half ihr, einzusteigen. „Bitte, Orez, so schnell es geht auf zum Palast!“, sagte Glinda noch, bevor Orez die Kutschentür schloss. „Wie Ihr verlangt, Fräulein.“, nickte dieser.

Seufzend ließ sich Glinda in die hellbraunen, samtweichen Lederpolster der Kutsche sinken. Sie war verwirrt, sauer und traurig zugleich. ‚Nein, nicht jetzt darüber nachdenken. Warte noch…’, zwang sie sich innerlich.

Durch die matte Glasscheibe konnte Glinda Orez’ Konturen erkennen und sah, wie er sich einen Hut aufsetzte, als die Kutsche einen Ruck machte.

Plötzlich war der Himmel erhellt von einem hellen Blitz und sofort donnerte es heftig. Glinda machte einen erschrockenen Satz und rutschte noch tiefer in die Lederpolster. Sie seufzte. Sofort musste sie an Elphie denken. Der Regen lief in kleinen Bächlein die Kutschenfenster hinunter.

Glinda merkte, gerade noch in Gedanken versunken, wie die Kutsche anhielt. Die Tür wurde geöffnet und Orez bot ihr eine Hand an. Mit einem warmen Lächeln nahm Glinda sie dankend an.

„Oh. Hat es etwa hinein geregnet?“, fragte Orez verdutzt, mit einem Blick auf die dunkel-nassen Flecken auf dem hellbraunen Kutschenpolster. „Möglich…“, antwortete Glinda, drehte sich um und wischte sich die letzte Träne von der Wange.

„Orez, richten Sie bitte Elaine von mir aus, sie soll mir ein heißes Bad einlassen und mir eine kühle Flasche Rosé-Wein hinauf bringen. Danach möchte ich für den Rest des Tages nicht mehr gestört werden. Morgen steht noch viel an.“

Orez hob den Hut zum Zeichen, dass er ihre Bitte erfüllen würde. „Alles, was Sie wünschen, Fräulein Hochborn.“ „Danke, Orez.“, lächelte Glinda und verschwand im Eingang.

Orez seufzte: ‚Leider bin ich nur der Kutscher….’

Als Glinda die Tür hinter sich schloss, war sie froh, dass niemand in der großen Eingangshalle war. Seufzend lehnte sie sich gegen das Tor. „Erst die Arbeit….“, murmelte sie vor sich hin, als sie den langen Korridor entlang schritt, auf dem Weg in ihr Arbeitszimmer. Sie wollte erst noch sichergehen, dass alle wichtigen Sachen erledigt waren. Auf ihrem hell-rosanen Schreibtisch lagen diverse Briefe. Sie nahm den Stapel und blätterte durch: „An Fräulein Hohenhochborn vom Ministerium für… blabla…“, murrte sie. „Das kann auch bis morgen warten!“

Zwischen all den langweilig-weissen Umschlägen steckte noch ein knall-pinker. Verdutzt schnellten Glindas Augenbrauen in die Höhe. Als sie den Absender las, wäre sie fast vor Freude in die Luft gesprungen. „ Elanora und Gideon von Hohenhochborn – Mamsilein und Papsipups!“, rief sie vor lauter Freude aus und riss den Umschlag auf:

„Liebstes Lindalieschen,

wir hoffen, es geht dir gut.

Wir haben es ja schon aus den Nachrichten vernommen, dass unser kleines Lieschen nun das neue Oberhaupt von Oz ist und wir sind sehr stolz auf dich.

Den Brief haben wir sofort mit einem Eilaffen zu dir geschickt.

Solltest du uns brauchen, lass es uns wissen.

Wir sind für dich da!
 

Mamsie Elanor und Papsie Gid.“
 

Glinda seufzte abermals. Es tat ihr gut zu wissen, dass sie nicht alleine war. Sie liebte ihre Eltern und hatte auch schon daran gedacht, sie in die Smaragdstadt zu holen, aber sie würden Hochborn nicht verlassen wollen. ‚Ich werde morgen antworten…’, dachte sie erschöpft und löschte das Licht.

Als sie die Stufen zu ihrem Zimmer hoch stapfte, kam ihr Elaine entgegen. Glinda freute sich jedes Mal, wenn sie Elaine begegnete. Sie war etwas jünger als die blonde, junge Frau, hatte strahlend blaue Augen und schokobraunes, langes Haar, welches ihr in kleinen Locken ums Gesicht spielte.

„Elaine!“ Glinda lächelte. „Oh, hallo Fräulein Hochborn. Es steht alles bereit, wie Sie es gewünscht haben!“ „Danke, Elaine. Ich werde das Bad sehr genießen. Und bitte, ich möchte…“ „… nicht gestört werden“, beendete Elaine kichernd Glindas Satz. Glinda nickte nur lächelnd und verschwand in ihrem Zimmer. Sie schloss die Türe hinter sich ab und stellte ihren Zauberstab in den dafür vorgesehen glitzernden Halter.

Mit einem gekonnten Griff öffnete sie den Reißverschluss auf ihrem Rücken und befreite sich aus diesem engen Traum von Blau. Sorgfältig hängte sie das Kleid zurück in den Schrank. Als sie die Schranktüre öffnete, kam ihr eine Duftwolke von Rosenseife entgegen. Sie liebte es, wenn Elaine die alten Seifenstücke gegen neue austauschte, dann roch ihre Kleidung immer so gut.

Als sie sich umdrehte, erspähte sie am anderen Ende des Zimmers ihre Flasche des teuren Rosés. Daneben standen drei brennende Kerzen, die eine jeweils größer als die andere.

Mit einem Lächeln öffnete Glinda die Tür zum Badezimmer und wäre bald rückwärts wieder hinausgefallen.

Elaine war einfach umwerfend. Sie wusste genau, was Glinda nun brauchte. Das ganze Badezimmer erstrahlte in romantischen Kerzenglanz und der Rosenduft der pinken Kerzen hing im ganzen Raum.

Kurz auf der Schwelle stehen bleibend, inhalierte Glinda den wohltuenden und entspannenden Duft und schloss dann die Badtür hinter sich zu. Sie ging zum Spiegel, kämmte ihre sandfarbenen, schimmernden Locken und steckte sie sich mit einer Klammer hoch. Als sie in den Spiegel blickte, sah sie eine junge, müde Frau und zwinkerte sich zur Erheiterung selber zu.

Auf dem Weg zur Badewanne streifte sich Glinda ihren BH vom Körper und legte ihn auf den Stuhl, welcher neben der Badewanne stand. Über der Stuhllehne hing ein großes Frotteehandtuch. Auch ihr Höschen legte sie dazu, sodass die Aufschrift „Princess“ nach oben schaute.

Vorsichtig stieg sie mit einem Fuß in die Wanne. Das Wasser war noch sehr warm, aber zum Glück nicht mehr heiß. Sie ließ sich bis zum Kinn in die Wanne sinken und zauberte sich ein Blubber-Blasen-Bad. Seufzend und mit geschlossenen Augen griff Glinda nach dem Weinglas, von dem sie ohne hinzuschauen wusste, dass es dort stand. Seit den letzten Jahren war es eine Angewohnheit geworden, diese beiden Genüsse – baden und trinken – miteinander zu verbinden, wenn es für sie stressig war.

Nach einer halben Stunde und einem leeren Weinglas später stieg Glinda aus der Wanne. Sie schnappte sich das schneeweiße Handtuch mit der hellblauen Aufschrift ‚Glinda’ und wickelte sich darin ein. Die Fliesen unter ihren Füßen waren kalt und jagten ihr einen Schauer über den Rücken, sodass sie in ihre rosanen Plüschschluppen schlüpfte. Sorgfältig blies sie jede einzelne Kerze aus und öffnete das Fenster einen Spalt, sodass der Rauch nach draußen schwirren konnte.

Noch immer regnete es in Strömen.

In das Handtuch eingewickelt, nahm sie sich den rosa-schimmernden Nagellack vom Regal und ging in ihr Zimmer. Dort trocknete sie sich richtig ab und schlüpfte in ein dünnes rosanes Nachthemd mit dünnen Trägern, bordeauxroten Blümchen, einem leicht geriffelten Dekolleté und eine bordeauxroten Borde unter der Brust. Es war eines ihrer Lieblingsstücke.

Sie zog ihre Hausschuhe aus und ging langsam über den weichen, hellen Teppichboden zu ihrem kleinen Schreibtisch. Sie ließ sich in den gepolsterten Stuhl sinken und schloss kurz die Augen.

Galinda hatte das Geräusch des Regens an den Fensterscheiben immer geliebt und hatte bei Gewitter immer am Fenster gestanden, um dem entzückenden Naturspiel zuzusehen. Glinda hingegen hatte sich bei jedem Tröpfchen Regen gesorgt, wenn eine gewisse Person nicht im Sicheren war.

„Nun kann ich den Regen ja wieder unbeschwert genießen!“, sprach sie mürrisch zu sich selbst und goss sich ein volles Glas Wein ein. Sauer über sich selbst, dass sie wieder anfing, an diese Sachen zu denken, nahm sie einen großen Schluck des kalten Weines. Und noch einen. Und noch einen.

Das Glas war leer und Glinda goss sich noch einmal ein. Kalt und eisig rann der Wein ihre Speiseröhre hinunter. Es schmerzte fast ein bisschen. Ein stechender Schmerz. Ob Elphie sich so gefühlt hatte, wenn sie mit Wasser in Berührung kam?

Da war sie schon wieder. Elphaba. „Verdammt!“, Glinda schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, drückte sich dann tief und feste in den Schreibtischstuhl und legte die Unterschenkel verschränkt auf den Tisch.

‚Ich hätte so viele Fragen an dich, mein liebes Fräulein Thropp, wenn du noch hier wärst!’ Sie konnte nicht glauben, dass Elphaba wirklich nicht mehr da war. Sie fühlte sich noch so verbunden mit ihr… Sie kippte erneut ein halbes Glas Wein hinunter und griff in ihre oberste Schublade des Tisches. Nach kurzer Zeit fanden ihre suchenden Finger ein dünnes Stück Papier. Glinda zog es vorsichtig heraus und blickte auf ein weißes Rechteck – „Elphaba & Galinda, Sommer; Shiz – 17 n. Oz“ – las sie. Zitternd und langsam drehte sie das Stück Papier um. Elphaba saß an einen Baum gelehnt, ein großes Buch in der Hand, Glinda hatte ihren Kopf auf Elphabas Schoß gebettet und ihre Augen geschlossen.

Bevor die herabfallenden Tränen das wunderschöne Bild der beiden erreichte, legte Glinda es in Sichtweite auf ihren Schreibtisch. Sie erinnerte sich an keinen schöneren Sommer. Dieses Bild war nach den Prüfungen entstanden, kurz vor den Ferien. Milla hatte es heimlich gemacht und es Glinda dann später gegeben. Elphaba hatte auch so eines erhalten. Es war ihr vorletzter Sommer gewesen. Doch Elphies letzter. Danach hatten sie sich neun Jahre nicht gesehen und nun war es schon 27 nach Oz. Wie gestern kam es ihr vor, als Elphie an den Baum gelehnt im Park vor sich hingemurmelt hatte. Es war zu ihrem Ritual geworden, welches Glinda immer so schön einschlafen ließ.

Nun konnte sich Glinda nicht mehr halten, sie fing an zu schluchzen. Das Schluchzen wurde lauter und Glinda ließ sich vom Stuhl auf den Boden fallen. Dort kauerte sie dann, schlug mit der rechten Faust andauernd auf den Boden und wartete darauf, dass der erste Heulkrampf sie überkam. Als er abebbte, wimmerte die kleine blonde Frau vor sich hin: „Elphie… es tut mir so leid… es tut mir .. so leid.. Ich… wollte, aber ich … sie wollten mir nicht zuhör… ELPHABAAAA!“, schrie sie nun lauthals. Ihre Tränen versiegten, sie rappelte sich in Anbetracht des gerade genossenen Alkohols etwas zu schnell auf und schnappte sich erneut das Glas Wein. Mit einem Schluck war es leer.

Wütend packte sich Glinda nun das Bild vom Sommer 16 n. Oz und hielt es sich um eine Armeslänge vors Gesicht. Wütend schimpfte sie: „Elphaba Thropp…“, hickste sie, „Wie konntest du mich nach all den Jahren verla… verlassen…? Ich hab’ auf dich so lange gewartet! Damals war ich noch zu jung, um den Zauberer zu durchschau’n, aber mit den Jahren lernte ich! Ich wollt’s dir alles sagen, ALLES. Dass ich den Zauberer durchschaut hatte und Madamakaber und dass ich Firo… Fi-yer-o doch gar nicht liebe, aber er der einzige war, der mich hielt. Damals, mit 17 Jahren wollte ich nur gesehen werden… Jetzt werde ich gesehen und würde es am liebsten wieder … am liebsten wieder rückgängig mach’n.“

In wilden Kreisen stolperte Glinda durch ihr Zimmer. Den Blick noch immer auf das Bild gerichtet: „Alles wollt ich sagen und was machen Sie, Fräulein? Kommst her und schwups…“, plötzlich plumpste sie auf den Boden, „ .. und schwups schnappst du dir den Mann, weil du den Oz nicht haben kannst. Würde ja gegen alle Prinzipipien – oder so – verstoßen, die du dir da ja aufgebaut hast! Ich war so sauer und so verletzt… Und doch, mir was das alles ..gal, alles egal, als ich wusste, dass sie dich wollten – umbringen wollten. Ich kam zu dir in der Blubber-Blase…“, sie blonden Locken wippten bei ihrem Kichern in der Erinnerung an Elphabas Bemerkung über die Blase mit, „und wollte dir beistehen. Du hast mich weggeschickt…! Einfach weg!“

So langsam ließen die Karusselrunden in Glindas Kopf nach: „Du wolltest michnich… mich nicht auch noch in Gefahr bringen. Und dabei wollte ich dir doch nur beistehen. Alle habt ihr immer – mich immer klein gehalten und über meinen Kopf entschieden, was richtig für mich ist! Jetzt wird alles anders. Von nun an stehe ich zu allem, was ich möchte. Was ich wirklich möchte. Und mit wem ich möchte!“

Nach kurzem Verschnaufen von ihrem Atem raubenden Monolog, krabbelte Glinda zu ihrem Stuhl und zog sich an ihm hoch. Mit einem letzten Blick auf das Bild, kamen auch die Tränen wieder: „Ich vermisse dich so sehr, Elphie. Ich will dich wieder haben….“, schluchzte sie leise, verstaute dann das Bild wieder in der obersten Schublade, pustete die drei Kerzen aus und kroch in ihr Bett.

Erschöpft schlief sie ein.

Elphaba wurde durch ein vertrautes Geräusch geweckt… Dong … Dong … Dong…

Verwirrt öffnete sie ihre Augen und hatte erst noch Probleme, die Realität und ihren furchtbaren Traum zu trennen. „Du bist wach… Es war nur ein Traum…“, macht sie sich keuchend selber Mut.

Sie hatte geträumt, die Hexenjäger hätten sie gefangen genommen und abartig gefoltert: Auf einem Nagelbrett musste sie liegen, überall bohrten sich die Spitzen in ihre Haut und Glinda hätte über ihr gestanden. Glinda… Sie hatte im Traum geweint und die Tränen der beiden Frauen waren auf Elphabas Wangen miteinander verschmolzen.

Die dünne Frau wollte gerade aus dem Bett steigen, als sie eine stechend heiße Spur auf ihre Wange fühlte. Erschrocken sprang sie auf und rannte ins Bad. Rote Spuren kennzeichneten wie große Kratzer ihr Gesicht.

Nun musste alles sehr schnell gehen: Elphaba tunkte einen Lappen in ihr schmerzstillendes Kamillenöl und bearbeitete damit vorsichtig ihre Wunden. Dann riss sie ihr Nachthemd von sich und suchte nach weiteren Spuren. Nichts. Oz sei Dank, sie hatte also nicht geschwitzt.

Als die Schmerzen abebbten und die roten Spuren nur noch leicht brannten, wusch Elphaba auch den Rest ihres Körpers mit Öl ab und ging zurück in ihr Zimmer.

Fiyero war, wie meistens, nicht da. Die grüne Schönheit ging langsam zu ihrem Bett… „Ach du lieber Oz…“, murmelte sie und mit einem Schlag war ihr klar, warum sie diesen Traum gehabt hatte.

Im ganzen Bett war Yeros Stroh verteilt. Elphaba griff sich in die Haare und zog drei weitere Strohhalme heraus. Sie hasste es, wenn es sie nachts piekste.

Dong … Dong … Dong…

Elphaba fuhr mit einem Satz herum, wie eine scheue Katze und erspähte Chistery, welcher in einer dunklen Ecke des Zimmers saß und gegen einen undeutlichen Gegenstand klopfte.

Seufzend ließ sich Elphaba auf den Boden sinken und lehnte sich an ihr Bett: „Ach, Chistery, was hast du mir einen Schrecken eingejagt! Komm her, mein Kleiner!“ Chistery kam sofort angelaufen, eine Glasschale in seinen Händen haltend und kuschelte sich in Elphies Arme. DIE Glasschale…

Vorsichtig nahm die Hexe dem Affen das zerbrechliche Etwas aus den Händen und küsste seine feuchte Nase: „Danke, dass du mich geweckt hast. Meinst du etwa, es gibt Neuigkeiten?“

Wie von einer Tarantel gestochen riss sich der Affe von der Frau los und sprang wie wild im Zimmer herum: „Glinda! Miss Glinda!“, krakelte er.

Elphaba stand nervös auf: „Shhhhht! Nicht so laut, mein Kleiner!“ Vorsichtig lugte Elphaba die Turmtreppen hinunter: „Fiyero? …. YEROOOOO?“, schrie sie.

Nichts.

Keine Antwort.

Beruhigt schloss Elphaba die dicke Eichentür hinter sich und setzte sich erneut auf den Boden. Chistery wusste, was nun passieren würde und tat es ihr gleich.

„Maris Stella! Maris Stella!!!“, klatschte der Affe aufgeregt vor sich hin. „Jaja, shhht jetzt!“, befahl Elphaba.

Behutsam nahm sie die Glasschale in ihre grünen Hände, konzentrierte sich stark und murmelte: „Ad Maris Stella, ab hinc, ab imo pectore, ad fontes… ad Maris Stella.“

Chistery betrachtete seine Gebieterin mit großen Augen. Er hatte seit den vergangenen elf Monaten, nachdem seine Herrscherin mit diesem Scheuch zurückkam, gelernt, dass er in dessen Anwesenheit besser nicht von Miss Glinda sprach und schon gar nicht das Glas hervorholte.

Nun starrten die beiden Gestalten wie verzaubert in die schimmernde Schale, wie sie es von Zeit zu Zeit taten.

Der Affe hatte keine Ahnung, was die Frau dort drin sah, aber er hatte sie genau beobachtet.

Elphaba saß wie gebannt – das Glas in ihren Händen haltend. Irgendetwas musste Chistery gespürt haben, denn so ein Theater hatte er noch nie veranstaltet. Seit sie Glinda das letzte Mal durch das Glas beobachtet hatte, natürlich nur, um sich zu vergewissern, dass es ihr gut geht, war vielleicht gerade mal vier Wochen her. ‚Was soll sich nun groß geändert haben?’, fragte sie sich insgeheim. Vor einem halben Jahr hatte Glinda die Herrschaft über Quadlingen, den Winkus und Gillikin an drei ehrbare Vertreter und deren Parlamente abgegeben, sodass sie sich einzig und allein um die Smaragdstadt kümmern musste. Doch auch hier, so entnahm es Elphaba ihren Glas-Beobachtungen, hatte Glinda sich seit den letzten Monaten wieder stärker zurückgezogen und war eigentlich nur noch als Symbol des Guten anzutreffen. Die politischen Dinge überwachte sie hier und da, doch größtenteils hatte sie einer Frau namens Meredith die Verantwortung für größere Entscheidungen übergeben. Das Volk nannte sie Mutter Meredith.

Zwischenzeitlich, so hatten Fiyero & Elphaba auch gehört, sei es Madame Akaber gelungen, aus dem Gefängnis auszubrechen, aber anscheinend hatte man – und auch zum Glück – ihre Leiche aus dem Wahrheitsweiher gefischt. Elphaba erinnerte sich, wie passend sie die Titelgeschichte doch damals gefunden hatte: „Die Lügnerin vom Unwetter erfasst und im Wahrheitsweiher ertrunken!“.

Als Elphaba das letzte Mal Glinda durch die Schale erspäht hatte – natürlich während Fiyeros Abwesenheit – musste sie feststellen, dass Glinda & Meredith ein sehr gutes Team abgaben – Glinda die Gute und Junge und Meredith die Mutter des Volkes im mittleren Alter.

Urplötzlich wurde Elphaba aus ihren Gedanken gerissen, als in der Eingangshalle von Kiamo Ko das schwere Tor laut ins Schloss fiel. „Fiyero…“, keuchte Elphaba atemlos und hatte ganz vergessen, dass sie noch die Glasschale in der Hand hielt.

Schnell schaute sie hinein, denn sie musste nach Chistery lächerlicher Aktion sich doch davon überzeugen, dass es Glinda gut ging.

Elphabas zog ihre linke Augenbraue langsam nach oben, während sie die andere feste nach unten drückte… „Was zur Lurline wird denn da gespielt?“, stieß sie verdutzt hervor, als sie eine im Bett liegende Glinda erkennen konnte, welche sich gerade mit einer roten Rose von einem jungen, hübschen und genauso blonden Burschen wecken lies.

Elphaba wollte den Blick abwenden, sie wusste, Yero würde jeden Moment reinplatzen… Aber… sie konnte einfach nicht….

Kapitel 7
 

♪ „Du hast der Sonne ihren Glanz gestohlen

Und nun kommst du mein Herz dir holen.

Holde Schönheit, gut geborgen.

Einen wunderschönen

Guten Morgen…“ ♫

Glinda, bäuchlings im Bett liegend, öffnete verschlafen die Augen. Beim Anblick eines summenden Ramóns in ihrem Zimmer musste sie lächeln. „Guten Morgen, süßeste Frucht…“, flötete dieser gerade, als Glinda sich aufrecht hinsetzte. Müde rieb sie sich die Augen und gähnte: „Sie reden doch nur so, weil Sie wissen, dass ich am Morgen nichts erwidern kann … frisch nach dem Aufwachen.“

Ramón schenkte ihr eines seiner schönsten Lächeln: „Ja, das stimmt wohl, Fräulein Glinda. Wenigstens habe ich es schon geschafft, dass Sie mir Ihren Namen angeboten haben.“ Grinsend zwinkerte der gut gebaute, blonde junge Herr der blonden, hübschen jungen Frau zu.

„Das kann sich auch bald ganz schnell wieder ändern!“, maulte diese schauspielerisch, „und nun raus mit Ihnen, Herr Heidenbrunn!“

Glinda schnappte sich eines ihrer kleinen Kissen und lief dem Mann spielerisch hinterher. Dieser wich gekonnt aus und packte Glinda von hinten. Er zog sie zu sich heran.

Glinda war kleiner als er, sie stand mit dem Rücken an seinen muskulösen Oberkörper gelehnt. An den Oberkörper eines ehrenwerten Gastes, welcher sie in zwei Wochen zu einem Ball begleiten sollte. Glinda wurde schlecht. Ein Feiertagsball zu Ehren des Todes der Bösen Hexe des Westens…

Der Mann jedoch gab ihr keine Zeit, sich in diese Gedanken zu verflüchtigen…

Ramón umschlang mit seiner linken Hand Glindas Taille und griff mit seiner rechten nach der roten Rose zwischen seinen Zähnen. Glinda hielt den Atem an, sie konnte sein Herz pochen fühlen. Sie war auch von diesem ganzen hin und her rennen ziemlich außer Puste.

Plötzlich merkte sie, wie die Rosenblätter ihre rechte Hand berührten, welche schlaff herabhing.

In langsamen Kreisbewegungen arbeitete sich Ramón mit der Rose - Glinda streichelnd - zu ihrem Ellebogen vor… ihrem Oberarm, ihrer Schulter… bis hin zu ihrem Ohr. Von dort aus zog die Rose eine gerade Linie, hinunter an Glindas Hals, über ihre Brüste…

Nun hielt Ramón die blonde Schönheit mit beiden Armen auf ihren Bauch gelegt und die Rose dort festhaltend. Sanft senkte er seinen Mund zu Glindas Ohr hinab und flüsterte: „Guten Morgen, Fräulein von Hohenhochborn. Erwähnte ich schon, dass auch Ihre Eltern sich sehr auf den Ball freuen?“

Mit einem Ruck befreite sich Glinda aus Ramóns Umarmung und blickte ihn strahlend an, froh darüber, dass die sexuelle Spannung mit einem Mal der Freude gewichen war: „Dass hast du nicht getan!?“, klatschte Glinda begeistert und Ramón betrachtete den Anredewechsel von ‚Sie’ auf ‚Du’ als einen Erfolg.

Der Mann nickte nur strahlend und Glinda fiel ihm um den Hals, die Rose fiel zu Boden: „Oooooh, das ist ja trauuumhaft!“. Ramón löste sich von ihrer Umarmung, hielt die schmalen Hände in den seinen und sagte sanft: „Nun geh dich fertig machen, Engelchen. Ich möchte dich zum Frühstück ausführen.“ Als Glinda nickte, gab Ramón ihren Händen einen Kuss und Glinda verschwand im Badezimmer.

Leicht den Kopf schüttelnd und lächelnd drehte Ramón sich um und trat dabei auf den Kopf der Rose, welcher unter seinem Gewicht in die einzelnen Rosenblätter zerstob Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und verließ das Zimmer – wissend, dass sich die drei kurzen Wochen, in denen er erst hier war, jetzt schon gelohnt hatten.

Elphaba hatte die ganze Szene fassungslos mit angesehen und konnte nun erkennen, wie der Bursche die Tür zu Glindas Zimmer schloss.

Im gleichen Augenblick wurde die Türe zu Elphabas Zimmer geöffnet, was diese aber erst gar nicht merkte. Sofort brach der Verbindungszauber. „Greuel…“, stammelte Elphaba. Es war das erste, was sie nach einer Viertelstunde schweigend beobachtend ausgesprochen hatte. Vorsichtig stützte Elphaba sich auf ihre Hände und erhob sich vom Boden, leise fluchend: „Also so was. Du lieber Oz… Glin…“, plötzlich hielt Elphaba inne.

Fiyero stand, mit der Klinke in der Hand, an die Türe gelehnt und schüttelte langsam den Kopf, sodass ein paar Strohhalme herab segelten.

„Du hast es schon wieder getan, nicht wahr?“, sprach er leise, aber bestimmt. Und diese Bestimmtheit verwirrte Elphaba.

„Wieder? Was wieder?“ ‚Ich sehe nur WIEDER diesen Ausdruck von damals in deinen Augen, den ich nicht deuten kann…’, gestand sie sich im Stillen sauer ein.

„Du hast sie schon wieder beobachtet… was sie macht, wie es ihr geht…“, nun hob Fiyero die Stimme. Die Hexe versuchte den Scheuch zu beschwichtigen: „Ich… Chistery war so aufgeregt und da…“, stammelte sie vergebens. „Glinda hat einen neuen Mann!“, platzte es auf einmal aus ihr heraus.

Stille.

Nur Elphabas schweres Atmen war zu hören.

„… Und?“, fragte Fiyero, sichtlich ironisch.

„Und? UND? Und kümmert es dich denn gar nicht?“, fragte Elphaba fassungslos.

„Fae, ich habe damals mein Leben für dich gegeben, weil ich dich liebe und ich dachte, das hier ist alles, was ich je wollte. Du und ich. Aber wie mir scheint, kannst du nicht mit diesem Teil des Lebens abschließen. Das hier scheint nicht das zu sein, was du je wolltest. Ich scheine es nicht zu sein.“ Mit gesenktem Strohhut verließ Fiyero den Raum.

„Yero? Was soll das bed… BLEIB hier wenn ich mit dir REDE!“ Elphaba war außer sich vor Wut und Schmerz. Warum hatte Chistery ihr das antun müssen? Es war ihr doch Oz-egal, ob Glinda ihr Leben weiterlebte. Das hatte sie doch für ihre Freundin gewollt! Warum hatte sie sich nur dazu verleiten lassen, in dieses dämliche Glas zu glotzen… Ja, sie gestand es sich doch ein: Sie wollte dieses Leben hier nicht. Fiyero war ein schlecht gelaunter Vogelscheuch geworden, neben dem sie kaum schlafen konnte, mit dem sie keine Nähe mehr austauschen konnte – nichts dergleichen. Seit einem halben Jahr war ihre ‚Liebe’ wie auf Eis gelegt.

Irgendetwas war Elphaba an dieser „Blond und Blonder“-Szenerie sehr merkwürdig vorgekommen – ‚Aber was soll’s!’, dachte sie grimmig. Glinda hat alles unter Kontrolle, ist glücklich und alle Gefahren sind abgewendet. Nun kann ich sie auch in Ruhe lassen!

„AARG!“, rief Elphaba aus und fasste sich mit beiden Händen in die schönen, kräftig-glänzenden rabenschwarzen Haare.

Sie war sauer auf Chistery, dass er ihr so was zeigen musste.

Sie war sauer auf Fiyero, der seit Monaten kaum noch mit ihr sprach.

Sie war sauer auf sich selbst, dass sie sich hat aus der Bahn werfen lassen.

Und sie war sauer auf Glinda. Warum, wusste sie nicht genau.

„Was mache ich denn nun?“, seufzte sie. Zurück konnte sie nicht, so weitermachen konnte sie auch nicht. Doch was sie am allerwenigsten konnte, jedoch am meisten wollte, war, Glinda wieder zu sehen.

„Es – geht – nicht! Versteh – das – endlich!“, sagte sie im Stakkato-Takt zu sich selber.

Dann stand sie seufzend auch und machte sich auf die Suche nach Fiyero. Sie musste mit ihm reden.

Aufgeregt stand Glinda vor ihrem Kleiderschrank: „Puuuuh…“, stöhnte sie, „nicht gerade wenig…“ Mit einem Blick nach draußen in die gleißende Sonne, entschied sie sich für ein Sommerkleid: Es war weiß, gemustert mit rosanen und violetten Blumen, deren hellgrüne Blätter hier und dort hervorlugten. ‚Achja… Rosa passt gut zu grün.’, dachte sie seufzend. Es hatte keine Ärmel, besaß einen Kragen und ging bis kurz über die Knie. Geschwind zog sie es sich über, schloss die Knöpfe vom Saum her bis zum Dekolleté und ließ die obersten vier… ‚Nein, lieber nur drei…’, Knöpfe offen. Als sie gerade damit fertig war, die seidene Schleife um ihre Taille fester zu binden, klopfte es schon an der Tür: „Einen Moment noch!“, sagte sie laut und legte sich schnell noch ihre dreireihige Perlenkette um den Hals, schlüpfte in ein Paar weiße Sandalen mit kleinem Absatz und schnappte sich ihre violette Handtasche. Dann öffnete sie dir Tür.

Die Frau, welche Ramón nun gegenüber stand, war der Inbegriff der Schönheit. Er hätte am liebsten jeden Knopf an ihrem Kleid mit eigener Hand wieder langsam geöffnet, zwang sich aber dazu, ihr passendes Outfit zu bewundern.

Glinda konnte ihre Wirkung auf Männer nicht reduzieren und wusste auch genau, was sie ausstrahlte. Darum schob sie sich schnell die dunkelbraune Sonnenbrille in ihre Haare, sodass ihr Pony zurückgesteckt wurde und lief voraus. Die blonden Locken schwankten bei jedem Schritt mit. Lachend warf sie die Haare nach hinten, als sie sich umdrehte: „Worauf wartest du noch?“

Kurze Zeit später saßen Ramón und Glinda im Café „Gusto“. Es war sein Vorschlag gewesen und Glinda liebte es hier. Der Name wurde diesem Café nun wirklich gerecht.

Sie bestellten ein Frühstück für zwei; frischer Orangensaft, warmes Brot und Brötchen, Marmelade und Käse.

Ramón biss gerade in sein Marmeladenbrot, als Glinda zu ihm sagte: „Ich kann nicht glauben, dass wir uns erst seit drei Wochen kennen.“ Ramón nickte nur. Mit vollem Mund würde er nicht mit Glinda sprechen, weil er wusste, auf welche Manieren sie besonders achtete. Man hatte ihn ja vorher informiert. In Gesellschaft eines jeden anderen wäre ihm das ganz egal gewesen.

„Ich meine… Also, erst hatte ich große Angst, als Madame Akaber aus dem Gefängnis ausgebrochen war. Schließlich hatte sie wegen mir dort mehr als ein halbes Jahr verbracht… in dieser Zwangsanstalt. Jeder weiß ja, dass das smaragdische Gefängnis das schlimmste ist, in ganz Oz.“ Sie hielt kurz inne.

„… Aber…?“, der Mann gegenüber von ihr schaute sie fragend an.

Seufzend setzte Glinda fort: „Aber wenn sie nicht ausgebrochen wäre, hätten wir uns nicht kennen gelernt. Ich möchte dir danken. Danken dafür, dass du dich freiwillig bei meinem Wachpersonal gemeldet hast, um mich bei Gelegenheit persönlich zu beschützen. Und auch danke dafür, dass du nach ihrem Tod noch geblieben bist und mich ablenkst, zumindest, bis der Ball vorbei ist.“

Sie lächelte ihn an und hoffte, er würde etwas erwidern. Aber mehr als ein „Das habe ich doch gern getan.“ war nicht aus ihm rauszubekommen.

Glinda räusperte sich: „Hrkrmm… Ja, aber wieso denn eigentlich? Ich meine, wir kannten uns bis dahin doch noch gar nicht?“

Er hatte beobachtet, wie Glinda – ganz typisch für sie, wenn sie gestresst oder aufgewühlt war – mit ihrem rechten Mittelfinger zwei Mal hinter ihr rechtes Ohr gestrichen hatte. Nun musste er sich etwas einfallen lassen. Ramón sah Glinda in die kristallblauen Augen und senkte dann seinen Blick.

Er seufzte tief, was Glinda dazu veranlasste, seine Hand zu streicheln.

„Glinda … ich …“, seine Stimme brach. Er hob seinen Kopf und sah Glinda an: „Weißt du, ‚kennen’ tut dich ein jeder. Davon mal ganz abgesehen, kannte ich aber auch Madame Akaber ganz persönlich. Meine jüngere Schwester, Amélie, ist vor vier Jahren auch nach Shiz gegangen und lebt seitdem… seitdem in einem Wohnheim für undefinierbare Persönlichkeitsdefizite oder Störungen.“

Nun sah er Glinda abwartend an. Diese zog ihre Hand zurück und hielt sie sich vor Schreck vor den Mund: „Wie bitte? Was?“

„Ja…“, er sprach weiter: „Wir erhielten des Öfteren Briefe von ihr, in welchen sie uns beschrieben hatte, dass Makaber Akaber ganz fürchterlich sei und Amélie mit gewissen Dingen nicht zurecht kommt…“

Er untermalte das ‚gewissen Dingen’ mit einer groben Handbewegung. Glinda ermutigte ihn, durch ein verständnisvolles Nicken, weiter zu reden.

„Anscheinend hatte sie sich verweigert, als Akaber ihr befahl, irgendetwas für sie zu erledigen. Kurz darauf bekam sie einen Panikanfall, weil sie spazieren ging und im urplötzlichen Nebel Gespenster gesehen hatte, die sich wohl auch an ihr… Du weißt schon…“, sagte er mit schmerzender Miene. Es war schließlich bekannt unter den Shizer-Leuten, dass Akaber eine Wetterhexe war. Ramón dachte, der Nebel würde gut in den Kontext passen. Und er hatte Recht, Glinda sprang drauf an. Seine Stirn lag in Falten und er kaute nervös auf seinen Lippen.

Glinda puzzelte: „Du meinst also, Amélie hat sich geweigert und Akaber hat sie … wie von Geisterhand verschwinden lassen, sozusagen?“

„Naja, sie verschwand ja nicht, aber danach war sie nicht mehr sie selbst. Sie sprach wirres Zeug und war auf einmal ganz distanzlos gegenüber Menschen geworden. So, wie das manchmal bei kleinen Kindern der Fall ist. Sie ist wieder auf dem Stand einer vier-jährigen.“ Abermals seufzte er, nun sehr ungehalten.

„Mein lieber Ramón...“, Glinda nahm nun seine starke Hand in ihre zarte und streichelte sie. „Es tut mir so Leid… Und wo komme ich dann ins Spiel?“

Nun musste der gut aussehende Blonde sich sehr beherrschen, dass er nicht abwertend lächelte. Eine von Glindas Spezialitäten war es, egal bei welchem Thema, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er spielte mit.

„Als Makaber gefangen genommen wurde, dank dir, war ich so erleichtert. Meine Rachegelüste waren fürs erste gestillt. Schließlich hatte ich meine Schwester geliebt und sie fehlte mir so furchtbar.

Dann, ein halbes Jahr später erfuhr ich, dass sie ausgebrochen war und ich wusste, nun ist es an der Zeit für mich, etwas zu tun. Ich weiß, zu was diese Frau fähig ist und ich wusste auch, dass du dich in Gefahr befinden würdest. Natürlich sagte mir dein Wachpersonal, alles sei wunderbar und der beste Schutz aus ganz Oz und so weiter und sofort. Alles nur Schall und Rauch, dachte ich, ließ es mir aber nicht anmerken. Also habe ich den Frontmann deiner Wachen in meine Geschichte eingeweiht und ihm war auch klar, wenn jemand weiß, wie man mit dieser Schauder-Kabinettfigur umzugehen versteht, dann ich. Ich wollte in irgendeiner Weise meiner Schwester doch noch gerecht werden. Mein schlechtes Gewissen stillen. Ich meine, ich hätte sie doch damals besser beschützen sollen…“ Er zog seine Hand von Glinda weg und legte seinen Kopf in seine Hände.

„Woher solltest du denn wissen, dass sie nicht doch übertreibt? Ich weiß, wovon ich spreche… Auch ich war ja in Shiz und habe … Briefe geschrieben. Es ist nicht deine Schuld. Es ist allein ihre - Akabers. Doch nun ist es vorbei und ich freue mich, behaupten zu können, dass ich einen traumhaft klugen ersten Wachmann habe.“ Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln. ‚Darum hatte er wohl nie von seiner Schwester erzählt…’, dachte Glinda bei sich.

Verbittert lächelte er zurück. Aber nicht wegen der Trauer, so wie es Glinda vermutete, sondern weil Ramón gerade wieder an seine Begegnung mit dem Wachmann erinnert worden war:
 

Was bekomme ich von dir, wenn ich dich einstelle?’

‚Was willst du haben? Edelsteine?’

‚Ja, aber das reicht mir nicht!’

‚Was ist dein größter Wunsch?’

‚… Glinda!’

‚Ich verspreche dir eine Nacht mit ihr, in der sie dir gefügig sein wird. Wie ist dein Name?’

‚Wieso kannst du solche Versprechungen machen?’

‚Wenn du sie wirklich willst, frag nicht weiter. Ich bin Ramón.’

‚Ramón, es freut mich, dich im Team Sankt Glinda Willkommen zu heißen. Ich bin dein Vorgesetzter, Orez.’

„Oh Oz…“, stöhnte Elphaba außer Atem, als sie näher kam. „Hier bist du!“ Sich auf ihrem Regenschirm stützend, rang sie nach Atem.

„Vogelscheuchen werden eben nicht müde…“, grinste Fiyero, der dieses Szenario etwas amüsant fand.

Erschöpft ließ Elphaba sich neben ihn auf den umgefallenen Baumstamm plumpsen. Es war ein sonnig-heißer Morgen und ihr war mehr als warm.

„Warum bist du nicht geflogen?“, neckte Yero sie, obwohl er die Antwort kannte. „Klar doch, ich stehe auf die Presse!“, erwiderte Elphie nun auch lachend.

Dann entstand eine kurze Stille.

„Elphaba, ich…“, setzte Fiyero an. „Nein Yero, lass mich zuerst. Bitte.“, unterbrach sie ihn. Wann hatte er sie das letzte Mal so genannt?

Der Scheuch nickte und ein paar Strohhalme fielen zu Boden.

„Fiyero, ich kann so nicht mehr weiter machen. Du und ich – wo ist das wir? Keine Nähe mehr, keine Zärtlichkeit, nicht mal mehr nette Worte. Du scheinst immer häufiger mies gelaunt zu sein, bleibst mal hier mal da, machst mehrtägige Spaziergänge. Manchmal werde ich fast krank vor Sorge und auch wütend. Wütend, dass du nichts sagst, dass du nicht mit mir sprichst…

Zugeben muss ich, dass ich Glinda in letzter Zeit beobachtet habe. Vor allem, nachdem Akaber wieder frei war. Ich war besorgt und wusste, wenn die Akaber eine Chance bekommt, Glinda etwas anzutun, würde sie sie nutzen. Aber nun ist das alles vorbei und Glinda scheint ihr Leben neu zu beginnen…“

Mit jedem Wort war Fiyero wütender geworden, doch seine Stimme war nur leicht gereizt: „Das ist alles, was für dich zählt, ist es nicht so?“

Elphaba hob grotesk ihre Augenbrauen: „Wie bitte?“

„Dass es Glinda gut geht!“, fauchte der Scheuch nun zurück.

Nun war es an Elphaba, grantig zu werden. Ihre Gesichtsfarbe nahm ein dunkleres Grün an: „Ja was glaubst du denn? Dass ich die Beziehung und Gefühle zu ihr einfach so abstellen kann? Wir haben viel zusammen durchgemacht und am Ende hat sie zu mir gehalten. Ich habe Makaber miterlebt und sie hat auch mir gedroht UND ich habe auch erlebt, wie Glinda unter ihr damals gelitten hat. Ich sehe ein, dass ich dir wenigstens davon hätte erzählen sollen und es tut mir leid, dass ich es nicht getan habe. Ich wollte dich nicht verletzen!“

Fiyero überkam nun eine seltsame Ruhe. „Die Frage ist nicht, was ich glaube, Fae. Was glaubst du eigentlich? Weißt du, wie schwer es für mich ist, beinahe jede Nacht wach neben dir zu liegen, wenn du von ihr träumst?“

„WAS tue…“, unterbrach Elphie ihn schroff. Er hielt ihr seine Strohhand auf den Mund: „Sssshht. Jetzt spricht der Scheuch.“, flüsterte er und lächelte warm.

„Ja, schon oft lag ich wach neben dir, hielt dich in meinen Armen, bis du dich umgedreht hast und beinahe jedes Mal entwich nur ein Name deinen Lippen: ‚Glinda’. Du hast ihn unzählige Male im Schlaf gemurmelt. Ich konnte das nicht zuordnen. Ich bastelte mir alles so zusammen, wie du es mich hast sehen lassen: Deine Träume, deine Heimlichtuerei mit diesem Glasdingens, Chisterys merkwürdige Glinda-Ausbrüche, meist, wenn ich nicht mehr im Raum war. Ich nahm an, du würdest das hier nicht mehr wollen.

Kiamo Ko nicht. Das Verstecken nicht. Mich nicht. Uns nicht. Ich konnte dich nicht mehr ohne diese Gedanken in meine Arme schließen. Es schmerzte so sehr und darum habe ich es gelassen. Ich dachte, wenn ich weg sei, würdest du mich genug vermissen und ich ging auch, weil ich nachdenken musste. Mit Stroh im Kopf geht es bekanntlich etwas schwerfälliger – das Denken.“. Fiyero zwang sich zu einem müden Lächeln und blickte in Elphabas tränengefüllte Augen.

Elphaba wusste, dass Fiyero selber nicht mit seinem Aussehen zureckt kam. Es hatte sein Selbstbewusstsein auf -99 in der Skala von 1 – 100 schrumpfen lassen und sie hatte in der letzten Zeit nicht minder dazu beigetragen. ‚Ich bin es schließlich Schuld, verdammt!’, warf sie sich in Gedanken vor und ihre Augen füllten sich mit Tränen. ‚Wie konnte ich ihm das nur antun?!’.

Schnell wischte Fiyero ihr die Tränen von der Wange, welche nun leicht rötlich schimmerten.

„Fiyero, es tut mir so leid. Ich wollte dir das nicht antun. Ich wollte nicht, dass du dich ungeliebt fühlst. Ich habe eingesehen, dass ich nicht mehr zurück kann, auch wenn anscheinend irgendetwas in meinem Inneren noch gegen dieses Wissen angekämpft hatte. Nun habe ich es jedoch mit eigenen Augen gesehen und dieses etwas in meinem Inneren ist versummt. Es war dumm von mir, so vieles. Doch ich möchte … Yero, was ist?“, unterbrach Elphaba ihren eigenen Satz.

Fiyero hatte den Kopf gesenkt und murmelte nun leise: „Ich weiß, dass ich dir nicht das geben kann, was du brauchst.“

Elphabas Augen weiteten sich: „Ach mein lieber Yero…“, flüsterte sie und kuschelte sich in seine Arme. „Ich habe doch in meinem ganzen Leben nichts bekommen, was ich gebraucht hätte. Keine Liebe als Kind, keine Bewunderung als junge Frau und keine sozialen Kontakte. Physische Liebe habe ich nie erfahren und aus diesem Grund gibst du mir mehr als genug. Du gibt’s mir mehr, als ich je zu träumen gewagt habe. Und das ist die Wahrheit.“

Beide wussten, dass dies die Wahrheit war, aber genauso wussten auch beide, dass es eigentlich Fiyero und nicht Elphaba war, der nicht bekam, was er brauchte. Denn die Vogelscheuche hatte – im Gegensatz zur Hexe – Liebe als Kind, Bewunderung als junger Mann und auch später bekommen.

Elphaba wagte sich vorsichtig vor: „Ich habe meine Situation akzeptiert und bin bereit, mit dir nun noch einmal von vorne zu beginnen. … Nun glaube ich, musst du auch noch das Hier und Jetzt akzeptieren … und unser Sein.“, fügte sie leise hinzu.

Fiyero wusste, auf was Elphaba anspielte und sie hatte genau ins Schwarze getroffen. Anstatt ihr zu antworten, zog er sie noch ein Stückchen näher an sich heran, umschlang sie mit beiden Armen und küsste sie leidenschaftlich.

Hand in Hand gingen sie gemütlich den langen Weg zurück nach Kiamo Ko. Denn nun, so glaubten irrtümlicherweise beide, hatten sie alle Zeit der Welt.

Glinda seufzte und schaute dem Sonnenuntergang zu. Sie saß auf ihrem kleinen Balkon und ließ ihre Füße über das Geländer baumeln. Ein Glas Rosewein in Hand, summte sie leise vor sich hin.

Nun war eine Woche vergangen, seitdem sie mit Ramón im Café ‚Gusto’ gewesen war.

Noch immer grübelte sie über seine Schwester nach. Wie schrecklich musste das für ihn gewesen sein.

Heute war Samstag. Nur noch 7 Tage. Dann stand der Feiertagsball an.

Glinda wurde schwindelig bei dem Gedanken. Oder lag das am Wein?

Ein lautes Klopfen an der Zimmertür ließ sie aus ihren Gedanken hochschrecken. „Oz im Ballon!“, schimpfte sie leise. Durch die offene Balkontür rief sie laut: „Ist offen.“

Sie wendete ihr Gesicht wieder dem Sonnenuntergang zu und genoss das Gefühl der letzten warmen Strahlen auf ihrer Haut. Es war zwar erst früher Abend, dennoch hatte sich Glinda schon bettfertig umgezogen, da sie heute nichts mehr zu tun hatte. Alle lästigen Brief- und Dokumentangelegenheiten erledigte nun Meredith für sie.

Vorsichtig trat Ramón auf den Balkon. Er stand hinter Glinda und strich ihr mit einer Hand durch die Haare. „Guten Abend, blonde Sonne.“, sagte er zärtlich. Glinda kicherte.

Sanft legte er seine warmen Hände auf ihre zarten Schultern und begann, sie zu massieren.

„Hmmmmm….“, seufzte die zierliche Frau, „das tut gut.“

Die nächsten Minuten verbrachten sie beide schweigend. Ramón massierte Glindas Schultern, sowie ein Teil ihres Rückens und Glinda nippte hin und wieder mal an ihrem Wein. Sie mochte nicht so viel trinken in der Gesellschaft dieses Mannes.

Der blonde Schönling beendete die Massage mit einem Kuss in Glindas Nacken. Sofort bekam sie Gänsehaut und kicherte erneut. ‚Mit schlechter Laune gefällt sie mir besser, da ist sie wenigstens nicht so kindisch’, dachte er genervt.

Lächelnd setzte er sich auf den noch freien Stuhl, gegenüber von Glinda, nahm ihre Füße vom Balkonsims und machte damit weiter, womit er an Glindas Schultern aufgehört hatte.

„Womit habe ich das verdient?“, fragte Glinda grinsend und schloss die Augen.

„Ich möchte ja schließlich, dass meine Tänzerin sich am Samstag auf gesunden Füßen amüsieren kann! Das wird eine lange Nacht!“, zwinkerte Ramón ihr zu.

Verdutzt hatte Glinda die Augen geöffnet und erwiderte das Zwinkern mit einer Frage: „Was soll das denn bedeuten?“ „Nichts weiter! Ich will mit dir tanzen!“, beruhigte sie der Mann.

„Soso…“, Glinda streckte ihm die Zunge raus. „Na warte…!“, murmelte Ramón und fing an, Glindas Füße zu kitzeln.

„Oh du lieber Oz! Hör auf damit!“, sie konnte sie vor Lachen kaum halten und reflexartig trat sie nach ihm. Mit einem Griff hatte er Glindas Beine fest gepackt, sodass sie sich kaum mehr bewegen konnte.

„Aua, du tust mir weh!“, jammerte sie.

Errötend ließ er sie los: „Verzeih mir… Selbstverteidungskurs, fortgeschrittene Klasse, plus Judostunden.“, log er nervös.

„Na dass du dich um die Leibwächterposition beworben hast, wundert mich nun nicht mehr!“, lachte Glinda. Mit ihrer rechten Hand rieb sie ihre Fesseln, die noch immer von seinem Griff leicht schmerzten. „Du hast wohl als Kind zu viel Spinat gegessen!“, kicherte sie.

„Du meinst, wie deine grüne Freundin?“ Er lehnte sich genüsslich in seinen Stuhl und verschränkte die Arme auf seinem Brustkorb. Abschätzend sah er sie an.

Glinda merkte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht trat. „Was hast du da gesagt?“, flüsterte sie bleich. Vorsichtig stellte sie ihr Weinglas auf den Tisch.

Ramón sah, wie sie leicht zitterte. ‚Es stimmt also doch, was man sich so erzählt…’, dachte er.

„Hey Spaß!“, er knuffte sie vorsichtig in die Seite und Glinda zwang sich ein mattes Lächeln ab. „Haha…“, erwiderte sie tonlos.

„Nein, mal ehrlich.“, sagte er herausfordernd. „Ich denke, ich habe mal ein recht darauf, zu erfahren, wie das alles aus deiner Sicht passiert ist. Ich meine, am Samstag ist ihr erster Todestag. Du wirst doch wohl kein Schwarz anziehen?“, neckte er sie ironisch. „Ich besitze nicht mal etwas schwarzes!“, fauchte sie ihn an. „Und was steckst du deine Nase da überhaupt rein?“ Sie reagierte viel zu gereizt auf eine solch’ lapidar scheinende Frage.

„Wow!“, Ramón hob beschwichtigend die Hände. „Wunder Punkt? Das wollte ich nicht. Ich dachte nur, … also ich meine, du hast sie ja persönlich gekannt und die Leute erzählen ja schon viel Mist. Ich zum Beispiel glaube nicht, dass sie ein Extra Auge besitzt, welches immer wacht oder so einen Blödsinn…“

Ein verachtendes „Tze!“ war das einzige, was Glinda als Antwort von sich gab.

‚Mach jetzt bloß keinen Fehler. Das könnte makaber werden!’, dachte er und fand sein eigenes Wortspiel so lustig, dass er grinsen musste.

„Sag mal…“, begann Glinda fassungslos, denn sie hatte ihn beobachtet. „Geht es dir noch gut?“ Sie tippte sich mit ihrem rechten Zeigefinger an die Stirn, verschränkte dann wieder ihre Arme über der Brust und schmollte vor sich hin.

„Glinda, es tut mir leid. Ich wollte nichts aufwühlen. Meine Absicht war eigentlich eine ganz andere. Ich spüre, dass du die Hexe mit anderen Augen betrachtet hast, als die meisten Menschen und ich würde eben gerne wissen warum, damit ich mich auch am Samstag dir und ihr angemessen verhalten kann. Ich wollte dir damit nur zeigen, dass du auf mich zählen kannst, mir vertrauen kannst und ich dir den Rücken stärken würde. Es tut mir leid, wenn ich was Falsches gesagt habe, aber andere Absichten, als die, die ich gerade geschildert habe, hatte ich nicht.“

Er stand auf und gab ihr einen leichten Kuss auf die Haare. „Ich gehe dann wohl besser jetzt.“ Langsam drehte er sich um und wartete darauf, dass …

Glinda ergriff seine Hand. Ramón stand mit dem Rücken zu ihr, sodass sie sein verschmitztes Lächeln nicht sehen konnte.

„Warte, bitte…“, flüsterte sie. Der Mann drehte sich um und setzte sich wieder auf den Stuhl. Abwartend blickte er sie an. Nun würde er endlich das gewünschte Material bekommen, so jedenfalls erhoffte er es sich.

Glinda saß ruhig auf dem Stuhl und hatte ihren Blick auf die Hände gerichtet. In ihrem Inneren jedoch tobte ein heftiger Kampf.

Niemand wusste, wie nah Glinda und Elphie sich gestanden hatten. Niemand. Nicht einmal Fiyero, der es höchstens geahnt haben könnte. Seit nun fast zehn Jahren gab es wieder einen Menschen in ihrem Leben, der sich um sie sorgte, sie bewunderte und den sie bewunderte. Zärtlichkeit und Geborgenheit waren lange Fremdwörter für sie gewesen.

Sie hatte sich deshalb auch sehr verändert. Kein pinki-pinki-wusch-husch-kicher-kicher mehr, kein hibbeliges Rumhüpfen, kaum noch Euphorische Ausfälle und Aufrufe aufgrund von z.B. einem Paar schöner Schuhe oder sonst etwas ganz fabulösem.

Und nun saß sie hier. Sie wollte Ramón gerne erzählen, wie wundervoll Elphie gewesen war. Wie stark. Wie schön. Wie mutig. Und wie stur…

Doch dann hätte Ramón weitere Fragen gestellt – wieso, warum, weshalb? Und Glinda war nun nicht in der Lage, das durchzustehen. In 7 Tagen stand der Ball an. ‚Danach vielleicht…’, dachte sie.

Selber ganz verwirrt, wie sie sich oder was sie überhaupt fühlte, beschloss ‚Glinda die Gute’, ihrer Vorzeigepersönlichkeit gerecht zu werden und sprach:

„Nein, ich kannte diese grüne Hexe…“, Glinda schluckte und sprach weiter: „… diese Hexe auch nur so, wie man sie beschreibt.“ Nun hob Glinda den Kopf und sah einen verwunderten Blick in Ramóns Augen. Und was noch? War das etwa Ärger?

Unbeirrt redete Glinda weiter, nicht klar, ob sie mit Ramón redete oder gerade versuchte, sich selber etwas vorzulügen: „Natürlich stimmt es nicht, dass sie ein zusätzliches Auge oder so besaß, aber vieles stimmt schon. Sie war wirklich ‚WICKED’. Nicht alles nur Schall und Rauch, was die Leute über sie sagen. Sie war böse und gemein. Hysterisch und unsozial.“

Glinda steigerte sich in ihren Monolog hinein, als würde es ihr somit leichter fallen, mit Elphaba Thropp abzuschließen. „Fast eine Soziophobie hätte man ihr zuschreiben können. Ich hatte das Pech und wohnte mit ihr zusammen. Doch zum Glück ist sie ja dann im 2. Jahr in Shiz abgegangen. Am Ende hatte ich doch etwas Mitleid mit ihr, weil sie nicht so vom Glück verwöhnt war, wie ich und ich versuchte, dem Volk von Oz, natürlich erfolglos, etwas Mitleid abzuringen. Aber ein zweites Mal war mir das dann auch zu schade.“

Glinda schien es, als würde jedes Wort wie eine Nadel mit Faden durch ihr Herz rasen und es zunähen.

„Darum kann ich verstehen, wenn manche Leute behaupten, wir wären gute Freundinnen gewesen, aber das waren wir nicht.“

‚Und das ist ja nicht mal eine Lüge… denn es war… ja was? … Nein, denk es nicht… Es war … mehr… oder?.... ’, fügte Glinda noch in Gedanken hinzu. Nun war sie an der Reihe, Ramón abwartend anzusehen. Dieser verstand die Welt nicht mehr, ließ sich aber nichts anmerken.

‚Kleine Lügnerin…’, er war wütend. ‚Erkennst mich zum Glück nicht mehr, aber als ich dich damals in diesem Palast hier gepackt habe, weil wir dich für Elphaba hielten, hast du rumgekreischt und sie vorgewarnt. Hätten wir sie damals schon gepackt, wäre ich jetzt vielleicht an deiner Stelle!’

„Danke Glinda, für dein Vertrauen.“ Das waren jedoch schließlich die Worte, welche er aussprach. Glinda lächelte ihn an. ‚Er ist ja so verständnisvoll. Hoffentlich bin ich nach dieser Woche mit dem verdammten Elphaba-Thema durch.’

„Dann hoffe ich ja auf eine tolle Party, am Samstag!“. Grinste er, als er aufstand, ihr einen Kuss auf die Wange gab und das Zimmer verließ.

„Was für ein wundervoller Sonntagmorgen…“, schmunzelte Fiyero, als Elphie die Augen aufschlug.

Er saß aufrecht im Bett und schaute in die Morgensonne, während Elphie, geblendet vom Licht, sofort wieder ihre Augen schloss und sich in Fiyeros Arme kuschelte. Den Kopf auf seinem Schoß, streichelte Fiyero seiner Fae durch die Haare. Die Bettdecke hatte sich bis zur Hälfte ihres Rückens hinunter geschoben und durch das dünne Schlafoberteil mit schmalen Trägern konnte er Elphabas Wirbelsäule erkennen.

Sanft ließ er seine Hand an ihren Wirbeln entlang gleiten und schob die Bettdecke noch ein Stückchen weiter, sodass nun ihr Rücken ganz befreit war.

Fiyero sah, wie Elphaba lächelte, als er mit einem Strohhalm auf ihren Schultern kleine Kreise zog.

„Ja…“, stimmte sie verschlafen zu, „was für ein wundervoller Morgen!“ und kuschelte sich noch etwas fester in Fiyeros Stroh, bis es anfing zu pieksen.

Dann ging alles sehr schnell: Als Fiyero versuchte, unter ihr Hemd zu gelangen, setzte sie sich auf und eh sie sich versahen, waren sie schon wieder mitten im Streit:

„Ich verstehe dich nicht!“, maulte Fiyero gerade.

„Sag mal, was ist eigentlich dein Problem?“, fragte Elphaba und unterließ es, noch etwas anderes hinzuzufügen.

„MEIN Problem? Wie bitte? MEINES? Ha! … Was ist denn deines? Du bist nicht in der Lage, dich deinem Mann hinzugeben oder liegt es etwa an meinem Aussehen?!”, Fiyero war in Rage. Da war es wieder, dachte sich Elphaba, sein verletztes Ego.

„Mal ganz davon abgesehen, dass du keine sexuelle Lust mehr empfinden kannst – überhaupt Gelüste, ob es nun Essen oder Sex ist und weswegen ich diese Diskussion auch lächerlich finde, müsstest du eigentlich wissen, wie ich auf solche Dinge reagiere.

Was erwartest du von mir, Yero? Auch wenn wir die theoretische Frage außen vor lassen, wie du dir denn bitte gewisse Dinge, Sex eingeschlossen, mit mir vorstellst, ist da immer noch meine Vergangenheit und deine Zweifel.

Du kannst einfach nicht von mir erwarten, dass ich von jetzt auf gleich mich dir hingebe. Ich kenne diese Empfindungen nicht, die die Gesellschaft Wolllust oder wie-auch-immer nennt.“

Bei diesen Worten wurde Elphaba dunkel grün. Sehr dunkel grün.

„Ich meine, eine Person wie ich, die seit ihren ersten Lebensjahren keinen engeren menschlichen Kontakte pflegte, als ihre kranke Schwester in den Schlaf zu wiegen oder sich von wildfremden Menschen streifen zu lassen, aufgrund meiner Hautfarbe – von so einer Person kannst du doch nicht erwarten, dass ich weiß, wann ich was zu tun habe oder wann ich was empfinden soll.“

„Ich will dich doch nicht zwingen, etwas zu fühlen!“, schob Fiyero ein.

„So war das auch nicht gemeint!“, Elphaba setzte verärgert fort. ‚Wieso versteht er mich nicht?’

„Ich meinte damit, dass ich in eine solche intime Beziehung langsam, wirklich langsam und Schritt für Schritt hineinwachsen müsste. Für mich wäre das alles neu. Ich kenne davon rein gar nichts!“

Sie betonte ‚gar nichts’ extra und zog es lang, um die Wahrheit und auch die Verschiedenheit zwischen ihnen zum Ausdruck zu bringen.

„Und mal ehrlich, ich finde, dass du überreagierst. Die erste Zeit war das für dich auch nicht wichtig, weil du dich gar nicht mehr nach so etwas sehntest. Hat sich etwas daran so plötzlich geändert? Lächerlich fände ich es, wenn es für dich gleich wäre, ob nun ja oder nein und du es nur für mich tun würdest. Und da wäre die ‚Wie?’-Frage ja auch noch nicht geklärt. Aber wenn es für dich keinen Unterschied machen würde, will ich es auch gar nichts erst probieren, denn mit diesen Dingen will ich mich nicht auseinandersetzen. Ich bin nun 29 Jahre ohne Lust in der Liebe ausgekommen. Hat sich etwas geändert? Macht dich nun das Kuscheln, Halten und Schmusen nicht mehr glücklich?“

Fiyero merkte, wie dumm er sich benommen hatte: „Nein, es hat sich nichts geändert und an meinen Empfindungen würde es auch nichts ändern. Diese Lust-Gefühle haben sich im Stroh verloren… Ich dachte nur, es würde dich glücklich machen. Ich dachte…“

„Du dachtest, so wie du müssen sich auch alle anderen Menschen fühlen?“, fauchte Elphaba bissig.

Fiyero gab klein bei: „Ja, wahrscheinlich. Verzeih mir, Fae. Mir reicht deine Wärme vollkommen aus und deine Nähe, auch wenn ich oft wünsche, es wäre anders.“

„Fiyero…“, seufzte Elphaba, „Ich bin nicht wie alle anderen und ich dachte auch, dass du das langsam verstanden hast. Mir reicht deine Wärme und Nähe auch vollkommen aus. Es würde für mich viel psychischen Stress und Belastung bedeuten, wenn ich mich nun noch auf höhere Level einlasse. Ich wüsste nicht, wie ich damit umzugehen hätte und du wärst … auch nicht in der Lage dazu, mir dort viel zu helfen oder mit mir das durch zu stehen…“

„Weil ich nun eine Vogelscheuche bin…“, sagte Fiyero traurig.

Ein unangenehmes Schweigen trat ein.

„Die Wahrheit tut weh…“, flüsterte Elphaba nach einer Weile, „Aber Yero…“, sie legte ihre Hand unter sein Kinn und brachte ihn dazu, sie anzusehen, „Ich bin doch glücklich so. Ich brauche nicht mehr. Ich will keinen Stress, ich will keine emotionale Belastung, ich will dich und das hier. Morgens aufwachen und du liegst hier und hälst mich. Ich will mich geborgen fühlen und wissen, dass es dir gut geht. So bin ich glücklich. Auch ohne den Rest einer normalen Beziehung. Denn ehrlich, wir sind nicht in der Lage, eine solche zu führen. Darum lass uns endlich akzeptieren, wer wir sind und was wir haben… Bitte!“

Er schloss sie in die Arme und küsste sie sanft auf die Wange. „Ich habe dich nicht verdient…“, sagte er ruhig. Elphaba schloss die Augen, ihren Kopf an seine Brust gelehnt und erwiderte nichts.

‚Es ist ja kurz vor Mittag!’, wunderte sich Glinda, welche ‚schon’ wach war.

Nach dem gestrigen Abend… undefinierbar war er für sie, denn sie hatte beschlossen, besser nicht mehr drüber nachzudenken.

Nach diesem Abend hatte sie noch leichte Kopfschmerzen und es war ein Wunder, dass sie vor 12 Uhr auf den Beinen war.

Wie von der Tarantel gestochen lief sie in ihrem Zimmer umher: Mit der einen Hand kämmte sie sich die Haare, mit der anderen putzte sie noch immer Zähne, bis ihr auffiel, dass sie keine Zahnpasta benutzt hatte. Wieder lief sie zurück ins Badezimmer und wäre beinahe über ihr Paar oranger Pumps gefallen. Dennoch heile angekommen, legte sie die Haarbürste weg und schrubbte erneut ihre Zähne – diesmal mit Zahnpasta! Dann lief sie noch hierhin und dorthin, um ein Kleid auszusuchen oder den Schmuck oder sich zu schminken oder oder oder….

Nach zehn Minuten jedoch stand sie schon wieder im Badezimmer und wusch sich das Gesicht. Sie hatte so lange geschrubbt, dass ihr nun das Zahnfleisch etwas wehtat. ‚Frauen und multitasking…’, schmunzelte sie.

Gekonnt drehte Glinda ihre Haare ein und steckte sie schnell mit großen goldenen Haarnadeln fest, sodass sie in ihrem Haar unsichtbar blieben. Als die letzte Haarnadel zu Boden fiel, bückte sie sich schnell und hob sie auf.

‚Uuuuuuhhhfff….’, stöhnte sie schmerzend, als sie sich wieder aufrichtete, die Flasche Wein gestern hätte ich mir – laut meines Kopfes – doch sparen können….’.

Sich den blonden Kopf haltend, spazierte Glinda aus dem Badezimmer hinaus und hinein in ihr Zimmer. Nur in Unterwäsche vor dem Kleiderschrank stehend, griff sie sich ihr gelb grundiertes Sommerkleid mit orangen Blüten darauf, welches sie sich während des Rummrennens zurechtgelegt hatte. Abermals eine Seidenschleife um die Hüften, aber dies hier war trägerlos. Zu diesem Kleid kombinierte sie die Pumps, über die sie fast gefallen wäre, sowie eine Handtasche im leichten Orangeton ohne Henkel.

Komplett perfektioniert stand sie vor dem Spiegel – fast komplett.

„Ooooh!“, rief sie plötzlich aus und eilte zu ihrem Schreibtisch. Dort öffnete sie die bereit stehende Silber-Schatulle. Ramón hatte ihr diese zwei wunderschönen orangen Kristallohrringe vor kurzem geschenkt. Sie baumelten an einem silbernen Verschluss, schwangen bei jeder Kopfbewegung mit und reflektierten das Sonnenlicht, dass es nur so funkelte.

„Nun aber fertig…“, murmelte sie und drehte sich zum Spiegel um. „Fa – bu – lööööös!“, rief sie entzückt aus, als sie sich selber eingehend betrachtete und hielt ihre Hände graziös in die Luft.

Zum Abschied zwinkerte sie sich selber zu, steckte ihre Tasche unter den Arm und verließ das Zimmer.

Summend lief sie den Flur entlang. Auf dem Weg zu Ramóns Zimmer traf sie Elaine.

„Hallo Liebes!“, flötete sie.

Elaine errötete. „Hallo Fräulein Glinda. Es freut mich, Sie so wohl auf zu sehen. Genießen sie Ihren Tag!“ Und schon war Elaine wieder verschwunden.

„Das werde ich… Das werde ich…“, flüsterte Glinda, breit grinsend.

Dann stand sie vor Ramóns Zimmertüre und klopfte.

Nichts.

Und klopfte.

Nichts.

„Nanu?“

Und klopfte.

Nichts.

„ … “

Und hämmerte.

„Ramón? Überraschuuuung!“

Nichts.

„Tzeeee….“, Glinda schüttelte den Kopf verständnislos. „Versteh einer mal die Männer. Da will man sie am Sonntagmorgen überraschen und man - plus noch ein ‚n’ - ist nicht da. Püh!“

Glinda zerbrach sich, sauer und enttäuscht über ihre vergebene Müh, den Kopf darüber, wo Ramón wohl stecken könnte und rannte….

*KRAWUMMS*

…. in ein volles Tablett mir Geschirr, Kuchen, Safransahne, Servietten und … Elaine.

Es klirrte, knallte und zersprang. Die Servietten wirbelten im hohen Bogen durch die Luft und flatterten wie bunte Schmetterlinge schließlich zu Boden.

Elaine war auf dem Hosenboden gelandet und es hatte einen dumpfen Plumps gegeben. Sie saß mit dem Rücken zu Glinda, welche auf dem Boden lag. „Sag mal du dummes Huhn…“, setzte Elaine an und drehte sich um.

Als sie Glinda erblickte, errötete sie so stark, dass jeder Regenbogen sie beneidet hätte. Sofort hörte sie auf, sich den schmerzenden Hintern zu reiben und krabbelte rüber zu Glinda.

„Fräulein Glinda… wie peinlich. Entschuldigen Sie vielmals! … Sagen Sie mal, geht es Ihnen gut?“, fragte Elaine besorgt, als Glinda nicht antwortete.

Man sah nur den blond gelockten Hinterkopf, denn Glinda lag auf dem Bauch, Arme und Beine von sich gestreckt. Plötzlich hob sie den Kopf, doch drehte sich nicht zu Elaine um.

‚Wie eine Robbe sieht sie aus…’, dachte die jüngere Brünette.

„Elaine?“, kam Glindas fragende Stimme zaghaft. Es hörte sich mehr nach einem Wimmern an, als würde sie gleich anfangen zu weinen…

„Ja, hier!“, antwortete diese sofort und legte besorgt eine Hand auf Glindas Rücken.

„Bitte sagen Sie unserem Koch, ich hätte für dieses Jahr die Schnauze voll von Safransahne!“, sagte Glinda nun, drehte sich um und konnte das, was eben noch wie ein Weinen geklungen hatte, nicht mehr zurück halten und brach in ein tränenbegleitetes, herzhaftes Lachen aus.

Nun konnte sich auch Elaine nicht mehr kontrollieren und schrie auf vor lauter Lachen. Nach Atem ringend keuchte sie: „Die Schnauze voll, im wahrsten Sinne des Wortes!!!“ und beide Frauen brachen in einen erneuten Lachkrampf aus.

Als nun auch der zweite Lachkrampf abebbte und in ungehaltenes Gekicher überging, wischten Glinda und Elaine sich die Tränen aus dem Gesicht und die zierliche Blondine schüttelte Tränen sowie etwas Safransahne von ihren Fingern.

„Bäääääh!“, grinste sie.

Kopfüber war sie nach vorne gefallen, konnte den Sturz zwar noch rechtzeitig mit den Händen abfangen, aber ihr Gesicht war in die Schüssel voll mit Safransahne getaucht. Nun sah sie aus wie eine Schneefrau. Die Safransahne tropfte ihr langsam ins Dekolleté.

„Ich habe Sahne in der Naaaaase!“, quietschte sie und brachte Elaine erneut zum Lachen. Die hübsche Brünette griff sich eine Serviette und rutschte etwas näher zu Glinda. Sie saßen nun nebeneinander, beide hatten die Beine ein einem ‚V’ von sich gestreckt.

„Darf ich mal kosten?“, prustete sie und streckte Glinda die Zunge raus.

Etwas verwundert, aber auch erfreut darüber, dass Elaine nun nicht mehr so distanziert war, stieg Glinda auf das Spiel ein und antwortete frech: „Na klar, aber erst bitte die Sahne abwischen!“

Elaine kicherte abermals und machte sich dann daran, Glinda die Sahne aus dem Gesicht zu wischen. Sie fuhr sanft mit einer Serviette über Glindas Wangen, mit der nächsten über ihren Nasenrücken und ihr Kinn und mit der letzte über ihre Stirn. Zum Schluss hielt sie Glinda noch grinsend eine Serviette hin: „Bitteschön!“

Dankend nahm Glinda die Serviette an und schnaubte einmal kräftig hinein. „Uaah…“, machte sie, „… gleich viel besser!“ und grinste von einem Ohr zum anderen.

„Darf ich jetzt?“, grinste Elaine zurück und erntete einen verwirrten Blick der blonden, klebrigen Schönheit. „Wa..?“

Doch bevor Glinda etwas sagen konnte, hatte Elaine einen Kleckser, welcher auf Glindas rechtem Schlüsselbein gelandet war, mit ihrem Zeigefinger aufgewischt und ihn abgelutscht. Die Haare an Glindas Armen stellten sich zu einer leichten Gänsehaut auf.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Glinda verdutzt ihre Angestellte an. „Und?“, lachte sie.

Elaine verzog ihr Gesicht zu einer Miene, als hätte sie gerade eine ekelige Medizin geschluckt.

„Parfüüüm…“, brachte sie noch heraus, bevor beiden Frauen in einem erneuten Lachanfall die Tränen liefen.

„Herrlich…“, sagte Glinda und kicherte nur noch leicht, als sie sich erneut die Lachtränen wegwischte.

„Fräulein Glinda…“, setzte Elaine an.

„Glinda, bitte.“, unterbrach sie die Blondine, „Nach so einem Vorfall ist es mir nicht mehr möglich, Distanz zu waren!“, lachte sie kurz auf.

Elaine errötete leicht und setzte erneut an: „Glinda, willst du dich nicht schnell abwaschen gehen? Ich bringe dir auch ein Stück Kuchen vorbei! Ohne Sahne!“, flüsterte Elaine, lächelnd.

„Waschen, ja. Kuchen, nein!“, lachte Glinda.

Elaine rappelte sich auf und bot Glinda eine Hand an. „Danke!“, sagte Glinda. Mit ihrer rechten nahm sie nickend die ihr dargebotene Hand entgegen, doch kurz bevor sie sich hochzog, tunkte sie ihren linken Zeigefinger noch schnell in die Schüssel mit Sahne, welche hinter ihr stand.

„Ich glaube, ich gehe mir mal schnell das Gesicht waschen!“, kicherte Glinda, die linke Hand hinter ihrem Rücken haltend, „Und du besser auch!“, fügte sie noch hinzu.

„Waru…“ Doch bevor Elaine etwas erwidern konnte, drückte Glinda ihr die Sahne auf die Wange und gab ihr ein leichtes Küsschen. Schnell fuhr sie mit ihrer Zunge über die nun weißen Lippen und kicherte: „Yummy!“, bevor sie weglief.

„Glinda!!!“, hörte sie noch, als sie die Tür zu ihrem Zimmer öffnete und schnell hineinschlüpfte.

Mit schnellen Schritten überquerte Ramón die Hauptstraße der Smaragdstadt.

Obwohl es schon sehr warm war um die Mittagszeit, trug er lange Jeans, sowie ein dunkles Hemd. Den Kragen hatte er hochgestellt, seine blonden Haare waren zurückgegelt und er trug eine unmodische Sonnenbrille, was genauso untypisch für ihn war wie die gegelten Haare.

Aber er durfte schließlich nicht erkannt werden.

Er schaute hin und wieder nach links und rechts, sowie nach hinten, um sicher zu sein, dass ihm niemand folgte.

Er musste zwar in eine ganz andere Richtung, machte aber dennoch einen Abstecher auf dem großen Sonntagsmarkt in der Stadtmitte. Wenn ihn jemand verfolgt hatte, würde er ihn hier ohne weitere Probleme abwimmeln können, dachte er sich.

Er bog um die Ecke und erspähte Glinda mit einer hübschen Brünette an einem Schmuckstand. „Oz im Ballon!“, fluchte er leise und ging in die entgegengesetzte Richtung.

Eine Viertelstunde später verließ er den Marktplatz, mit der Überzeugung, dass Glinda ihn nicht gesehen hatte und schlenderte nun, schließlich war ja Sonntag und er musste sich auch dem Tempo anpassen, um nicht aufzufallen, in Richtung des alten und abgelegenen Ozma-Parks.

Dort angekommen setzte er sich auf eine Parkbank, zündete sich genüsslich eine Zigarette an und beobachtete die Leute. Die große Ozma-Statue stand, von Efeu umrankt, in der Mitte des Parks – alleine und verlassen.

‚Hmmm…’, dachte er abschätzend die Leute beobachtend. Er nahm noch einen tiefen Zug und inhalierte den Rauch. ‚Ein knutschendes Pärchen, drei alte Damen, die ihre wöchentliche Runde drehen und zwei fußballspielende Kinder. Sehr gut.’

Für Ramón bedeutete das, es bestand keine Gefahr und so warf er die brennende Zigarette ins Gras und ging geradewegs auf die Statue zu.

Er tat so, als würde er sich für die Inschrift interessieren:

„Ein Volk –

Ein Reich.

Ich herrsche für die Seeligkeit!
 

Ozma“
 

Ramón rollte die Augen. Wie oft hatte er diese dämliche Inschrift bitte gelesen in den letzten 4 Wochen, fragte er sich.

Als er sicher war, dass niemand ihn sehen konnte, drückte er auf das ‚ma’ von ‚Ozma’ und urplötzlich verschob sich eine der großen Steinplatten geräuschlos, sodass ein schmaler Eingang entstand.

Von weiter weg war dieser Eingang kaum zu erkennen, da er fast ganz bedeckt war von dem herabhängenden Efeu.

Bevor Ramón in die Dunkelheit schlüpfte, drehte er sich noch einmal um. Niemand war zu sehen. Niemand war ihm gefolgt.

Er spaltete das Efeu mit seinen Händen und schlüpfte in das dunkle Loch, woraufhin der schwere Stein sich wieder hervor schob. So, als wäre nie etwas anders gewesen.
 

Ramón hielt kurz inne. Seine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Vorsichtig tastete er sich an der dunklen, kalten Steinwand entlang, bis er die Treppe erreichte, welche in den Untergrund von Oz führte. Seine Hand war auf der Suche nach etwas, doch was er fühlte, war nur kalter Stein.

„Aha!“, stöhnte er auf, als seine Finger gegen etwas Weicheres stießen.

Er nahm die Fackel von der Wand und zündete sie mit seinem Feuerzeug an.

Dann stieg er die Stufen hinunter.

Als er unten ankam, folgte er dem Weg langsam und fand sich kurze Zeit später in einer Sternenkreuzung wieder. Hier liefen ganze fünf düstere Gänge ineinander. Ramón war hier nun schon so oft gewesen, dass ihn diese Stelle und so viele ähnliche, wie es sie hier noch gab, nicht mehr verwirrte.

Auch, wenn er den Weg auswendig kannte, suchte er immer noch jedes Mal die vier Millimeter kleinen Initialen ‚MA’, welche nur in den richtigen Gängen eingeritzt waren.

‚Wie viele Menschen hier unten gestorben sind, will ich gar nicht wissen…’, kam ihm der Gedanke, als er nun seinen Weg fortsetzte.

Nach einer kurzen Weile wurden die Wege breiter, bis er zu einer erneuten T-Kreuzung kam. Er bog links ab und kurz darauf noch einmal rechts und stand nun ein einer kleinen, hellen Halle.

„M hm…“, er nickte den anderen im Raume zu, grüßte mit der Hand, lächelte.

Er pustete seine Fackel aus und ging zu einem Tisch, auf welchem ein großes Buch lag. Hinter dem Tisch stand ein Mann in schwarzer Kutte.

„Ah, Meister Dom!“, grüßte ihn der Mann hinter dem Tisch freundlich. Ramón nickte.

„Hallo Edd. Wie lange dauert es noch?“ „Nicht mehr lange, sie ist schon da.“, entgegnete der Mann namens Edd.

Ramón – oder eher Dom – nickte lächelnd, schlug das große Buch auf und schrieb mit einem Blick auf die Uhr: „Master Dom, 13:34 Uhr“.

Dann drehte er sich um und schaute in die Runde. Zwei Männer kamen auf ihn zu. „Dom!“, sagten sie flüsternd, „wie weit bist du?“

„Hallo Teb, hallo Per!“, erwiderte der Angesprochene, „Ich werde gleich alles bekannt geben. Wartet doch noch. Sollen wir?“

Die anderen beiden Männer nickten und zu dritt gingen sie zu einer großen Eichentür und öffneten diese.

Hinter ihr erstreckte sich eine drei Mal so große Halle, als die, in welcher sie sich bis gerade aufgehalten hatten.

Diese Halle jedoch war gewaltig. Am Ende stand eine große Bühne und von dort bis zur Tür standen an die 1000 Stühle, ja, sogar noch mehr.

Die Wände bildeten die Sandsteine, welche unter dem Land Oz begraben lagen. An ihnen wucherte der Efeu auch und verlieh der ganzen Szenerie einen noch dunkleren Hauch.

Die Rückwand der Bühne, es sah aus wie eine riesige Tafel, war behangen mit Plakaten über die Tiere, sowie Bilder und Baupläne des Smaragdpalastes.

Als die Männer sich der Bühne näherten, erspähten sie auch das neuste Aufhängsel: Es war ein großes Bild von Glinda, welches Ramón im Café ‚Gusto’ von ihr gemacht hatte.

Seufzend setzte er sich in die dritte von 103 Stuhlreihen.

Die große Halle war schon ziemlich voll gewesen, als sie eingetreten waren, aber als Ramón … als Dom sich nun noch einmal umdrehte, war alles besetzt.

Auch in dieser Untergrundorganisation war es üblich, dass sie 3-buchstabige Decknamen benutzten und niemand den wirklichen Namen des anderen kannte.

Das war auch gut so, denn Dom konnte unter den übergezogenen Kapuzen oder angezogenen Brillen dennoch die bekannten Gesichter ausmachen, wie z.B. den ein oder anderen smaragdischen Polizisten, sowie aber auch den bekannten Sekretär von Mutter Meredith.

Dom wurde nun etwas ungeduldig und die ganze Sache langsam ernst. ‚Vielleicht, weil die ganze Sache langsam ernst wird, werde ich ungeduldig!“, dachte er gerade, als im Saal ein plötzlicher Windstoß durch die Runde ging und die Fackeln an den Wänden erloschen.

Nur eine einzige Fackelrunde spendete noch einen Lichtkreis auf der Bühne. Es wurde ganz still im Saal.

Jemand stieg die Stufen zur Bühne hoch. Hinein in den Lichtkreis, wenn auch schwach beleuchtet, aber dennoch unverkennbar – trat Madame Akaber.

Lachend ließ Glinda sich mit dem Rücken gegen ihre Türe fallen. Dann legte sie schnell ihr Ohr an das Holz, um mögliche Verfolgungsschritte zu hören.

Als es plötzlich an der Tür klopfte, wären ihr nicht nur beinahe die Ohren abgefallen, sondern fast hättte auch ihr Herz einen Aussetzer gehabt.

Vor Schreck schrie sie kurz auf, wich dann von der Tür zurück und hielt sich die Ohren zu, die nun leise fiepten.

„Herein!“, brummte sie.

„Oh, Meredith!“ Ihre schlechte Laune war sofort verflogen und sie fiel der rothaarigen großen Frau mit den stechend grünen Augen und der tiefen Stimme um den Hals. „Schön dich zu sehen!“

„Danke, Kleines. Dito. Wie geht es dir?“, fragte Meredith sie, wobei eine Augenbraue in die Höhe schnellte, als ihr Blick auf Glindas Dekolleté fiel.

„Gut danke, eigentlich sehr…“

„Ich dachte, Elaine hätte dir die ganze Sahne abge… wischt!“, unterbrach die Rothaarige sie mit einem frechen Grinsen und keckem Augenzwinkern.

Glinda lief puterrot an. „Ich, ahm… Du hast das gesehen?“ Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken.

„Ja.“, lachte die etwas ältere Dame. „Ich war auf dem Weg zu deinem Büro, als ich es laut scheppern hörte und da bin ich sofort die Treppe hoch gelaufen. Nun, ich habe gefunden, was ich gesucht habe!“ Nun grinste sie noch breiter.

Glinda wurde – sofern das noch möglich war – roter und roter.

„Wenn ich noch was sage, wirst du dann lila?“, lachte Meredith nun. Glinda schüttelte die peinliche Berührung ab. Das Lachen dieser wunderbaren Frau riss sie immer mit.

„Wieso hast du denn nichts gesagt?“, war es nun an Glinda zu fragen.

„Och, ich dachte, ich kann mir auch mal ein bisschen Unterhaltung gönnen. Und wann sieht man ‚Glinda die Gute’ noch süßer als mit Sahne im Gesicht?“ Wieder zwinkerten die grünen Augen.

Glinda knuffte ihren Arm. „Lass das!“, sagte sie böse, musste aber breit lächeln.

„Schon gut, schon gut!“. Meredith hob beide Arme in die Höhe, als Zeichen der Aufgabe.

„Aber weswegen ich eigentlich hier bin…“, begann Meredith und machte eine ernste Miene.

„Oh oh….“, entwich es Glinda. „Warte kurz, ja? Ich muss mich wirklich, wiiirklich erst vorher einmal abwaschen. Vor allem will ich nicht kleben bei schlechten Neuigkeiten. Setz dich doch.“ Und schon war sie im Bad verschwunden.

„Ist gut. Beeil dich.“, rief Meredith ihr hinterher. Sie blieb jedoch stehen.

Glinda wusch sich schnell ihr Gesicht mit einem Waschlappen. Dann ihr Dekolleté. Schnell eingeseift und abgewaschen und neues Parfüm. Dann war sie fertig.

Meredith stand noch immer mitten in ihrem Zimmer.

Die kleine Blonde wusste, dass immer eine gewisse Distanz zwischen ihnen bestehen würde und das war es, warum Glinda sie damals eingestellt hatte. Meredith hatte nicht nur einen ungemein guten Instinkt, was landesweite Entscheidungen anbelangte, sie wusste auch sehr genau, wie man richtige Entscheidungen auch im kleinen Kreis traf.

Aber sie war grundehrlich. Manchmal zu ehrlich.

Glinda stellte sich so hin, dass Meredith genau gegenüber stand, atmete einmal tief ein und wieder aus und sagte: „Okay.“

Meredith nickte: „Well, first of all… Es gibt nach einem Jahr – na ja, knapp einem Jahr – wieder Unruhen gegen die Tiere. Erst hielten wir es für Zufälle oder unglückliche Unfälle, aber es geht nun schon zwei Wochen so, dass hier und da ein Tier angegriffen wurde. Getarnt als Überfälle, Kutschenunfälle. Aber als gestern Nacht nun ein Professor – Spezialgebiet Ozenetik Mensch/Tier tod aufgefunden wurde, ohne weitere Anzeichen von Raub etc. und alles auf geplanten Mord hindeutete, konnten wir nicht länger abwarten. Wir haben die Wachtrupps wieder aufgestockt. Öffentliche Meldungen sind noch nicht raus. Wir wollen erst noch etwas abwarten. Ziviltarnung haben wir aus diesem Grund auch vorgezogen.

Wie auch immer, der Punkt ist – die Unfälle und Morde haben sich insgesamt auf über 50 angesammelt und das in nur 14 Tagen. Wir sind besorgt und es deutete alles auf eine reunionierte Organsiation – vielleicht U-Orga hin. Weiterhin denk…“

„U-Was?“ Glinda unterbrach Meredith sehr ungern, denn sie wusste, dass die Rothaarige das nicht leiden konnte. Dennoch war sie gewillt, alles zu begreifen.

„U-Orga. Untergrund-Organisation. Eine Gruppe von.. nun ja, quasi heimlichen Terroristen.“

Glinda erschrak.

„Und wir nehmen eben an, dass das die Fortführung des Werkes von „Ozakaber“ bedeutet.“ Plötzlich hielt Meredith inne. Sie hatte Glinda die ganze Zeit über in die Augen geschaut, doch nun sah sie weg.

Glindas Augenbrauen schnellten in die Höhe: ‚Nanu?’

„Mir schwant, das dass noch nicht alles ist?“, formulierte Glinda vorsichtig ihren Gedanken.

Nun sah Meredith sie wieder an: „Korrekt. Vor einem Monat ungefähr bekamen wir eine Meldung eines Obdachlosen. Alkoholiker – aus diesem Grunde nahmen wir seine Meldung auch nicht ernst.“

„Was für eine Meldung?“, nun war Glinda mehr als verwirrt.

„Er kam eines Nachts um ca. 2 Uhr sturzbetrunken mit einem Zeitungsausschnitt in die Wachstation getorkelt. Niemand verstand, was er wollte, doch der Mann bestand darauf, zu bleiben. Also ließ man ihn weitere 2 Stunden ausnüchtern, bis er vernehmungsfähig war. Er sprach mit Wachmann Edum und erzählte ihm, er habe diese Frau in ‚seinem’ Park gesehen. Und dabei zeigte er auf den Zeitungsartikel von Akabers Tod.“

Glindas riss ihre Augen weit auf. Sie war entsetzt. Wieso hatte man ihr davon nichts erzählt?

„Ich weiß, was du dich nun fragst. Wir sagten nichts, weil er unglaubwürdig war. Schließlich trank er wie ein Fass und nannte den alten Ozma-Park sein zu Hause. Aber gut, wir haben den Park überwachen lassen bis vor einer Woche und was war? Nichts. Niemand hatte sich dort herum getrieben, außer alte Damen, Pärchen und ein paar Schönlinge. Das einzige, was die Wachleute haben bewerkstelligen können, war es, den Park vor dem Abbrennen zu schützen, weil irgendein Dummkopf seine Zigarette nicht ausgetreten hatte. Und das wars.

Das Problem ist nicht Madame Akabers Tod, denn daran haben wir keine Zweifel. Aber diese Vorfälle summieren sich auf eine … eklige Art und Weise und so müssen wir eben ganz sicher gehen. Da ihre Leiche verbrannt wurde, fällt die Exhuminierung flach. Wir haben ihre Asche schon ins Labor liefern lassen. Hoffentlich finden die Experten noch etwas DNA, wobei der Prozess bis zu einem Monat dauern kann. Und genau diese Zeit haben wir nicht.“

Meredith blickte in ein total verstörtes Kindergesicht. ‚Seitdem Glinda sich so zurückgezogen hat, hat auch ihr landesweit kämpferischer Ehrgeiz nachgelassen…’, stellte sie traurig fest.

„Okay, ich fasse für dich zusammen: Fest steht für uns – eine Organisation hat sich gebildet, die es nun zu stoppen gilt. Wir gehen nicht davon aus, dass sie durch Akaber geleitet wird. Aber man soll ja auch das Schlimmste in den Blick nehmen, auch, wenn es unrealistisch scheint und das wäre dann eine U-Orga, aufgebaut von Akaber plus Helfern, die sich nun Oz unter den Nagel reißen wollen.“

Ihren Kopf in leichte Schieflage bringend, sah Meredith Glinda erwartungsvoll an. Das war ihr Zeichen, dass sie nun fertig war.

Glinda schaute zerknirscht drein: „Gibt es auch noch gute Nachrichten?“

„Ich fürchte, nein.“, war die schon geahnte Antwort.

„Nun gut und was schlägst du jetzt vor? Ich persönlich glaube kaum, dass Makaber Akaber SOWAS überlebt hat.“

„Das glaube ich auch nicht, Glinda. Aber: Die Gefahr ist da, ob es nun plus oder minus eine Frau ist, macht nichts aus. Die Zivilwachen sehe ich als sehr gute Möglichkeit, das alles erst einmal einzudämmen. Wir müssen auf jeden Fall noch bis nächste Woche warten, bevor wir etwas Landesweites unternehmen. Bisher sind diese Vorfälle auch nur in der Smaragdstadt auffällig geworden und sonst nirgends. Das lässt uns vermuten, dass es sich noch – und die Betonung liegt auf NOCH – um eine kleine Gruppe von Leuten handelt. Sobald wir ein oder zwei der etwas unfähigeren Mitglieder gefasst haben, wird dann der Rest auch kaum noch ein Problem darstellen.

Punkt ist nur: Der Ball ist Samstag. Jetzt einen riesen Tumult zu veranstalten, würde unser Volk in höchsten Unmut versetzen, so fürchte ich. Vielleicht haben wir Glück und die Sache kann geheim gehalten und hinter Staatsmauern geklärt werden. Wenn es so ist, dass wir jemanden fassen, der redet, können wir die ganze Orga ohne großes Aufsehen auffliegen lassen. Verstehst du, was ich meine?“

„Ich denke schon…“, entgegnete Glinda, die sich nun erst einmal von Meredith’s Redeschwall erholen musste. „Du meinst also, bis Samstag wird keine große Gefahr bestehen und du bist zuversichtlich, dass die Wachleute gute Arbeit leisten werden?“

„Ja, so sehe ich das. Richtig. Ich kann mir nicht erklären, warum die Orga ein Auge auf den Ball geworfen haben sollte. Mir geht es eben nur darum, dass wir dem Volk von Oz diese zwei Tage nicht versauen dürfen. Ansonsten könnte es passieren, dass der Tumult wieder auflebt und aufgrund von allgemeiner Unzufriedenheit über diese Sache tummeln sich dann die ahnungslosen Mitläufer. Das könnte für mich und auch für dich sehr gefährlich werden, sowie für ganz Oz.“

Leicht drückte sie Glindas Schulter. Diese seufzte: „Wow, okay. Das war wirklich keine so tolle Nachricht….“

„Ich muss dich jetzt auch leider mit deinen Gedanken alleine lassen, denn ich treffe mich nun mit meinem Sekretär um die Sicherheitsbedingungen für den Ball abzusprechen. Wir stocken dort auch in zivil auf. Er hat schon gute Arbeit bei dem Betrunkenen geleistet, sowie bei der Organisation der anderen zivilen Wachposten. Ich bitte dich jedoch, niemandem ein Wort über diese Sache zu verraten. Das können wir nicht riskieren.“

„Natürlich nicht! Ein bisschen kenne ich mich in der Politik auch aus!“, schmollte Glinda und Meredith grinste sie an.

„Mach dir keine großen Gedanken. Du weißt ja:

Alles nur Schall und Rauch,….“

Glinda setzte ein:

„…so ist des Politikers Brauch.

Politik in einem Wisch

kommt niemals auf den Tisch!

Sondern immer übertrieben,

sonst würden wir sie nicht so lieben.

Blabla!“, lachte Glinda nun, sichtlich komfortabler wieder in ihrer Haut und auch ihre Stimmung hatte sich wieder aufgehellt.

„Gut, ich gehe dann jetzt!“, sagte Meredith gerade. Sie hielt schon die Klinke von Glindas Tür in der Hand.

„Ist gut.“, antwortete die blonde Frau, „vielen Dank für alles!“

„Dafür werde ich bezahlt!“, lachte Meredith, aber Glinda wusste, sie hatte verstanden.

Meredith war schon halb aus der Tür raus, als sie sich noch ein letztes Mal umdrehte:

„Ach, Glindy?“

Verwirrt drehte sich Glinda um, ob sie richtig gehört hatte. Sie konnte nichts erwidern, nur starren.

„Du solltest das mal öfter kosten.“, kam es von der Tür her, lachend.

„Wie bitte, was?“, brachte ‚Glindy’ nun doch hervor.

„Na Frauen mit Sahne küssen. Ich weiß, wovon ich spreche!“, zwinkerte Meredith und schloss die Tür hinter sich, bevor Glinda etwas sagen konnte.

Sprachlos rang sie um Atem, lief rot an und ließ sich auf ihr Bett fallen. Dann find sie an zu kichern: ‚Ich wusste es doch schon die ganze Zeit! Bei diesem sexy Sekretär!’
 

Bei diesem Gedankengang fiel ihr auch wieder Elaine ein und die ganze Sahnegeschichte. Sie hatte Elaine fragen wollen, ob sie mit ihr zum Sonntagsmarkt gehen würde, da Ramón ja offensichtlich anderweitig beschäftigt schien. Aber dann hatte Meredith ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Glinda beschloss, mit einem Blick auf die Uhr, dass 13:35 Uhr noch viel zu früh wäre, um schlechte Laune zu bekommen.

Sie setzte sich im Bett auf und beschloss, sich von diesen Neuigkeiten nicht beunruhigen zu lassen. ‚Meredith hat ja selbst gesagt, es wäre nur halb so schlimm und alles wäre im Griff. Wahrscheinlich eh alles nur Schall und Rauch.’, dachte sie nickend.

Immer, wenn sie sich als Kind unwohl fühlte, hatte Mamsilein ihr einen Spiegel vor die Nase gehalten und „Fa – bu – löööös!“ geflüstert. Glinda verspürte nun den tiefen Drang nach ihrem Handspiegel, öffnete die Schublade ihres Nachttisches, kramte den Spiegel hervor und betrachtete sich. Die Hochsteckfrisur hatte den Sturz überlebt, ihr blondes Haar glänzte und ihre blauen Augen strahlten.

„Fa – bu – lööös…“, flüsterte sie. Sofort setzte ein leichtes Kribbeln in ihrer Magengegend ein und sie fühlte sich besser.

Lächelnd dachte sie an Elanora und Gideon. „Mamsilein und Papsipups!“, sagte sie kichern zu sich selber.

Dann hüpfte sie vom Bett, verstaute den Spiegel dort, wo sie ihn ausgegraben hatte und schlenderte die Treppe hinunter, um Elaine von ihrer Arbeit für den Nachmittag freizustellen, unter der Bedingung, dass Glinda ihr ein paar schöne Ohrringe auf dem Sonntagsmarkt kaufen dürfte.
 

Glinda fand Elaine in der Küche.

Nein, nicht ganz korrekt. Es war eher Elaine, die Glinda in der Küche fand.

Elaine war gerade dabei, die Gewürze zu sortieren, als sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde.

„Hey, Safrannase!“, rief sie lachend vom anderen Ende des Raumes her.

Glinda stieg in das Kichern mit ein und schlenderte zu Elaine.

Sie machte große, X-beinige Schritte, die Hände auf dem Rücken gefaltet und sagte mit einem breiten Grinsen: „Elaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaine?“

„Oh nein!“, lachte Elaine, „Was muss ich nun machen?“

„Mit mir auf den Sonntagsmarkt gehen!“, schoss es aus Glinda heraus und sie klatschte nun euphorisch in die Hände. Ihre Augen leuchteten.

Fragend blickte Elaine sie an.

„Jaaa, du hast natürlich frei. …“, die etwas ältere Blonde machte eine kurze Pause, „Aber nur, unter einer Bedingung!“

„Na das wird ja immer besser!“, murrte die Brünette spielerisch und konnte sich ein Grinsen aber nicht verkneifen. ‚Wie Elphie…’, schoss es Glinda plötzlich durch den Kopf. Sie entschied sich jedoch ganz schnell, diesen Gedanken sofort wieder fallen zu lassen.

„Ich darf dir ein Paar Ohrringe kaufen!“, platzte es abermals aus Glinda heraus und sie strahlte mit offenem Mund.

„Das kann ich nicht annehmen…“, Elaine errötete.

„Da reden wir dann drüber. Los komm!

Nimm endlich mal die Nase aus der Arbeit und lass uns Spaß haben, Elaine.“

‚Nimm endlich mal die Nase aus der Arbeit und lass uns Spaß haben, Elphie’, echote es in Glindas Kopf.
 

Der Nachmittag war ausgesprochen angenehm gewesen, so befand es Glinda am Abend, als die zwei Frauen auf dem kleinen Balkon zusammen noch ein Glas Wein tranken. Um kurz vor 14 Uhr waren sie dort gewesen – Menschenauflauf ohne Ende. Sie hatten einen Abstecher bei einem Schuhstand gemacht, danach waren sie zum Schmuckstand geschlendert und Elaine hatte sich selber Ohrringe gekauft.

Da war es auch das letzte Mal an diesem Tage passiert, dass Glinda Elaine mit Elphie verglichen hatte, denn Elphaba hätte nicht anders gehandelt.

Nach Abstechern an sämtlichen Modeständen waren sie zum Abendessen ins ‚Tierra Lemona’ gegangen und hatten die 14 Tüten voll mit ‚Mode’ schon einmal nach Hause bringen lassen.

Orez machte die extra Fahrt nichts aus. So hatte er die Gelegenheit genutzt und mal in jede Tüte einen ausgiebigen Blick geworfen…

Nach dem Essen saßen sie nun auf der Terrasse, bis es zu kühl geworden war.

Kurz bevor Glinda nach diesem unvergesslichen Sonntag einschlief, waren ihre Gedanken um die Worte am Schmuckstand zu Elaine gekreist:

„Oh Elphie! Die stehen dir ja wunderbar!“ – Elaine hatte die Anrede höflicherweise überhört.

Elphaba und Glinda hetzten Hand in Hand durch den Palast.

Die Wachen waren ihnen dicht auf den Fersen.

„Im Palast treibt sich eine böse Hexe herum!“, donnerte die Stimme des Zauberers durch die Hallen, „FINDET SIE!“

„Schnell, hier in die Bücherei!“, flüsterte Elphaba und mit einem Ruck zog sie die aufstöhnende Glinda in den Raum. „Autsch!“

Keuchend und nach Atem ringend standen die beiden an der Tür, doch dann liefen sie weiter, bis zu den hintersten Regalen. Glindas gelbes Kleid war nicht gerade unauffällig. Auch nicht in der Dämmerung.

Die grüne Hexe hielt der blonden ihren Besen hin: „Glinda, stell dir vor, was wir alles bewirken könnten, zusammen!“

Die Angesprochene streckte ihre Hand nach dem Besen aus, doch kurz bevor sie ihn berührte, zog sie ihn zurück. „Ich kann nicht!“, sie war den Tränen nahe.

Elphaba dachte: ‚So muss es sich anfühlen, wenn einem das Herz bricht…’

Glinda dachte: ‚So fühlt es sich an, wenn einem das Herz bricht!’

Doch keine der beiden jungen Damen war mehr in der Lage gewesen, etwas zu sagen. Glindas Hand suchte Elphaba und zog sie zu sich heran. Das grüne Gesicht verschwand bei einer engen Umarmung in blonden Locken.

Plötzlich wurde die Türe aufgerissen und die Soldaten strömten herein. Elphaba sprang erschrocken in eine dunkle Ecke.

Glinda jedoch, welche die abrupte Unterbrechung verärgerte, wurde gefasst. Zwei starke Männer umfassten ihre Arme, der eine auch ihre Taille. Elphaba versuchte, unter den dunklen Kapuzen jemanden oder etwas zu erspähen.

Einer der beiden Wachen drehte sich um und sie sah sein Gesicht, jedoch konnte er sie nicht erkennen. Auch sie war in einen dunklen Umhang gehüllt, wie der Mann, welcher mit seiner Hand auch Glindas Taille umschlang. Sie sah, wie er fester zudrückte und Glinda aufschrie.

In dem Moment hob der Mann den Kopf und Elphaba versuchte abermals, in sein Gesicht zu blicken.

Nichts.

Sie konnte nichts erkennen. Sein Gesicht war ein einziger Schatten.

Nun konnte sie nicht länger warten!

Als die Männer versuchten, Glinda mitzuschleifen, schrie sie: „Ich bin es, die ihr sucht! Ihr sucht MICH!“

Nun hatten die Wachen auch sie entdeckt und packten die grüne Hexe sehr brutal. „NEIN!“, schrie Glinda.

Halb benommen vor Schmerz sah Elphaba noch, wie der Mann mit dem unerkennbaren Gesicht Glinda wegzuschleifen schien. Elphaba streckte erschöpft die hand aus und schrie…

Sie schrie.

Fiyero, der neben ihr im Bett gelegen hatte, machte einen Satz und plumpste vor lauter Schreck aus dem Bett.

Seine grüne Schönheit glänzte fiebrig und warf sich wild im Bett herum. Ihr Körper krümmte sich, wie unter Schlägen. Ihre Haut glühte und dann bemerkte Fiyero erst, dass Elphaba schwitzte.

„Oh nein!“, fluchte er und war mit einem Sprung wieder neben seiner Geliebten. Sanft rüttelte er sie: „Fae, Fae, wach auf. Fae!“

Elphaba fühlte Hände und Griffe überall auf ihrem Körper. Überall brannte es, es schmerzte.

Verstört öffnete sie die Augen. Sie sah eine Vogelscheuche.

„… ae… Fae… Fa…“, hörte sie leise eine Stimme… Sie schloss die Augen wieder. Sie war müde und erschöpft. Es war ein anstrengender Kampf gewesen.

‚Kampf?’, dachte sie nun angestrengt.

Verwirrt davon, dass sie sich nicht bewegte, aber ihr Körper sich schüttelte, öffnete sie erneut die Augen.

„Yero…“, murmelte sie erschöpft.

„Ja, Fae. Ja, ich bin hier. Komm steh auf, du musst…“

„Wo bin ich?“

„…Was? In deinem Bett. Ist gut mein Schatz, es war nur ein Traum!“, flüsterte er besänftigend und streichelte ihr dabei über die Haare.

Als er fühlte, wie durchgeschwitzt sie waren, überkam ihn erneute Panik.

„Fae, steh auf, bitte. Du musst dich abwaschen!“

Noch immer verwirrt, warf Elphaba die Decke von sich. Fiyero erschrak.

Sie war übersehen von roten Brandflecken.

Nun begriff auch sie. ‚Ich hatte einen Albtraum!’, stellte sie beunruhigt fest.

So schnell es ging, rappelte sie sich auf und gelangte mit Fiyeros Stütze ins Badezimmer. Dort half er ihr, sich auf den Badewannenrand zu setzen und reichte ihr Kamillenöl und einen Waschlappen. Dann verließ er den Raum, genau wissend, dass Elphaba dabei keine Gesellschaft wollen würde.

Fiyero war noch nicht ganz zur Türe raus, da versuchte Elphaba sich ihr Nachthemd vom Leib zu reißen.

„Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhrrrr!!“, knirschte sie schmerzend, als sie merkte, dass das Hemd vom ganzen Schweiß an ihrem Rücken klebte.

‚Mein Rücken wäre eine einzige Wunde, würde ich da jetzt dran ziehen!’, dachte sie hilflos. Dann band sie sich die haare zu einem Dutt zusammen und griff nach der Ölflasche.

Vorsichtig griff sie mit der rechten Hand and die Kleideröffnung an ihrem Hals und zog sie von sich weg, sodass eine Öffnung entstand. In diese Öffnung goss sie mit der linken hand etwas Öl und fühlte, wie es mildernd und kühl ihren Rücken hinunterlief. Durch den Stoff ihres Nachthemdes verteilte sie das Öl mit den Fingern, bis sie sich sicher war, dass es an keiner Stelle Haut mehr klebte. Dann erst streifte sie es sich über den Kopf.

Daraufhin wusch sich Elphaba erst einmal ihren Köper mit Öl. Als sie damit fertig war, stellte sie sich vor den großen Standspiegel, um den Schaden abzuschätzen.

Ihren Nacken hatte es schlimm erwischt. Er leuchtete krebsrot. Auch die Mitte ihres Rückens sah nicht besser aus.

‚Die anderen Rötungen werden binnen einer Stunde verschwunden sein…’, nickte sie sich selber im Spiegel zu.

„Fiyero?“, rief sie durch die Badezimmertür.

Keine Antwort.

Also band sie sich das Handtuch nur um ihre untere Region und hielt ihre Brüste mit den Händen verdeckt. So öffnete sie die Tür.

Niemand war im Zimmer, aber Fiyero hatte schon eine frische Bettwäsche aufgelegt. Elphaba watschelte, noch immer etwas vom Schmerz benommen, zum Schrank und zog sich eine Unterhose an. Dann ging sie langsam zum Bett und legte sich vorsichtig auf den Bauch. Erschöpft schloss sie die Augen und versuchte, sich an den Traum zu erinnern.

Verschwommen erinnerte sie sich: ‚Irgendwas mit Glinda und dem Zauberer… und ich hatte Schmerzen… und die Wachen…’

„Fae!“, hörte sie eine sanfte Stimme nach ihr rufen und wurde so aus den Gedanken gerissen.

Elphaba öffnete die Augen.

„Wie geht es dir?“

„Ging schon mal besser!“, murrte Elphaba, dennoch lächelnd.

„Das ist mein Mädchen!“ Fiyero strich ihr sanft über die Wange für eine zeitlang, bis Elphaba fast wieder eingeschlafen war.

Er küsste sie auf die Wange und murmelte: „Schlaf gut, mein Mädchen.“ Dann ging er zur Tür.

„Ich bin nicht dein Mädchen…“, kam die leise Antwort.

Verdutzt drehte er sich um und sah eine tief und fest schlafende Elphaba in seinem Bett liegen.
 

In regelmäßigen Abständen schaute Fiyero in das Zimmer, um nachzusehen, wie es seiner Liebsten ging. Jedes mal schlief sie, aber diesmal schien es ein ruhiger Schlaf zu sein.

Fiyero seufzte: „Das ist es wohl, was sie nun dringend braucht.“

Jedes Mal, wenn er nach ihr sah, ließ er einige Tropfen Wund- und Heilsalbe auf Elphabas Rücken und Nacken fallen, dann verrieb er sie, so gut es ging, mit einem weichen Waschlappen.

Mit jedem Mal wurde er frustrierter, weil er sich über seine Strohhände ärgerte. Er würde Elphaba noch mehr Schmerzen hinzufügen, wenn er seine ‚Hände’ benutzen würde.

Gegen Abend erst wachte Elphaba auf. Als sie die Augen öffnete, war sie sichtlich erleichtert, dass sie sich im Schlaf nicht gedreht oder gewendet hatte.

Die Hexe lächelte. Fiyero hatte ihr ein weites Oberteil auf die andere Seite des Bettes gelegt.

Vorsichtig schlüpfte sie hinein. Erleichtert entwich ihr ein Seufzer.

‚Schon viel besser…’, dachte sie.

Dann zog sie sich eine weite und bequeme Hose an, sowie ein Paar dicker Socken.

Obwohl draußen noch die Sonne warm vom Himmel schien, war ihr kalt.

Als sie auf den Flur trat, hörte sie Geklimper und Geschepper.

„Nanu? Was ist denn da los?“, fragte Elphie sich selber und beschloss, nachzusehen.

In der Küche fand sie Fiyero, welcher gerade dabei war, zu kochen.

Erschrocken schrie Elphie auf: „Bist du etwa lebensmüde? Mit dem Feuer!!“

Erschrocken ließ Fiyero den leeren Topf fallen, welchen er gerade unter den Wasserhahn hatte halten wollen und es gab erneut ein ohrenbetäubendes Geräusch.

„Oz im Ballon!“, fluchten Fiyero und Elphaba zeitgleich.

Dann grinste Fiyero sie an: „Mir scheint, dir geht es besser?“

„Allerdings!“, nickte Elphaba. „Der Ballon hat’s in sich!“, lachte sie. „Komm, lass mich das machen!“

Aber Fiyero ließ sich nicht darauf ein. Er verwies die grüne Hexe aus der Küche, schimpfend und lachend. Dann machte er sich wieder ans Werk und Elphaba musste geduldig im Esszimmer auf ihn warten.

Sie setzte sich auf einen großen, weichen Stuhl und seufzte. Anlehnen konnte sie sich zwar, aber nicht lange. Der Schmerz saß noch zu dicht unter der Oberfläche. Also stand sie auf und schlenderte zu dem großen, weißen Flügel, der in der Ecke des Esszimmers stand.

Sie ließ sich auf den Hocker nieder, öffnete den Deckel und begann, ihre langen, grünen Finger über die Tasten gleiten zu lassen.

Eine wundervolle Melodie entstand und sie spielte und spielte.

Als sie, von einer unglaublichen Wärme durchzogen, die Finger wieder von den Tasten nahm und sie schüttelte, hörte sie Yero applaudieren: „Bravo!“

„Huch!“, sagte sie erschrocken und drehte sich um, „Wie lange stehst du denn schon da?“

Mit einem Blick zum Tisch sah sie, dass alles schon gedeckt und bereit stand.

„Lange genug!“, schmunzelte er und bot ihr einen Stuhl an.

Elphaba stand auf und setzte sich auf den dargebotenen Sitz: „Dankeschön!“

Fiyero beugte sich vor und gab ihr einen sanften Kuss.

Gemeinsam aßen und lachten sie.

„Ich habe schon ewig nicht mehr gespielt!“, stellte Elphaba mit vollem Munde fest, was Fiyero zum Grinsen brachte.

„Schade, eigentlich. Dabei kannst du es doch so gut!“, antwortete er. „Hat die Wundsalbe geholfen?“

„Wie? Ach, darum geht es mir waschreinlich schon so viel besser. Du warst das also!“, zwinkerte Elphaba ihn an. Fiyero nickte nur und nahm noch eine Gabel von dem köstlichen Gemüse.

„Wie oft hast du mich denn bitte damit eingeschmiert?“

„Oh, oft genug!“, lachte er, „Vielleicht sieben oder acht Mal?“

„Wow!“, war die erstaunte Antwort. „Dankeschön!“

„Fae?“

„Ja?“, Elphaba hob den Kopf.

„Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich dich liebe?“ Fiyeros Stimme war nun ganz ernst und weich.

Fiyero sah, wie seine Fae die Gabel sinken ließ.

In sich hineinhörend, suchte Elphaba die Stimme ihres Herzens.

Nichts. ‚Nein, nichts stimmt nicht. Es ist etwas da. Aber was nur?’, fragte sie sich verzweifelt.

„Ich dich auch, Yero.“, war schließlich ihre Antwort und schnell fügte sie hinzu: „Wollen wir nicht wieder ins Bett gehen? Ich bin immer noch unglaublich erschöpft…“
 

Als sie nach einer halben Stunde im Bett lagen, nachdem Fiyero den Abwasch und Elphie sich bettfertig

gemacht hatte, zog Fiyero seine Fae in die Stroharme seines Körpers.

Schweigend kuschelten sie eine Weile, bis Elphaba die Stille unterbrach.

Sie hatte sich seit dem Essen den Kopf über diese Frage zerbrochen und schließlich konnte sie niemand anderen fragen…

„Yero?“

„Ja?“

„Woher weiß man…“, sie machte eine kurze Pause, dann setzte sie erneut an: „Woher weiß man eigentlich, ob man jemanden liebt?“

Fiyero sah sie verdutzt an. Sie lag immer noch mit dem Kopf an seine Brust gelehnt und schaute geradeaus. Dann entspannte er sich wieder und kicherte.

„Was? Was ist? Hey, das war eine ernste Frage!“, nun sah Elphaba ihn an.

„Schon gut…“, sagte er sanft und streichelte ihre Wange. Sie legte sich in ihre ursprüngliche Position und wartete auf die Antwort.

„Fae, dabei geht es nicht um Wissen. Nicht um Glauben. Man fühlt es einfach. Es gibt keine Anzeichen, die Liebe belegen können. Keine Beweise. Keine Worte oder Handlungen. Nur das, was du in deinem Herzen fühlst. Liebe ist es oft dann, wenn du jemanden … jemanden immer an deiner Seite haben willst. Du kannst dir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen und willst es auch erst gar nicht. Du würdest ihm am liebsten jeden Wunsch erfüllen, denn das macht dich glücklich. Und wenn er dir etwas gibt, ist das Gefühl unbeschreiblich. Du willst ihn halten und küssen. Gehalten werden von ihm und geküsst werden. Du willst eine psychische und physische Beziehung. Du spürst Kribbeln im bauch, alleine schon, wenn er dich etwas anders ansieht oder deine Hand nur streift. Du willst ihn fühlen, riechen, schmecken und erk…“

„Oh…“, Elphie erdunkelgrünte.

„Entschuldige, Fae. Du hast danach gefragt!“, lachte Fiyero. Er wusste, dass Elphaba gewisse Dinge auf diesem Gebiet kaum kannte und dass sie damit auch nicht umgehen konnte. Noch nicht. Er war zuversichtlich, was die Zukunft betraf.

Also beschloss er, die Frage ein andermal aufzugreifen und begann, Elphaba einige Geschichten seiner Jugendliebe zu erzählen.

Den Rest des Abends amüsierte sich Elphaba köstlich und lachte auch die ein oder andere Träne, welche Fiyero schnell wegwischte, z.B. als er ihr erzählte, er habe einen Brief an die heilige Ozma geschickt, um seine Angebetete zu verzaubern.

Als Fiyero jedoch eine kurze Pause machte, um zu überlegen, was genau er in diesem Brief gereimt und gedichtet hatte, war Elphaba eingeschlafen und er hatte es dabei belassen.

‚Der Montag ist schrecklich genug gewesen…’, dachte er lächelnd, als er sich an die ersten Zeilen des Briefes erinnerte:
 

„Liebe Ozma,

alles klar?

Da gibt es ein Mädchen,

das find ich wunderbar….“

Als Glinda an diesem Morgen aufgewacht war, fühlte sie sich schrecklich.

Mal ganz davon abgesehen, dass sie Montage sowieso verabscheute, hatte sie auch noch schlecht geschlafen.

‚Was habe ich da wieder für einen Blödsinn geträumt?’, ließ sie ihre Gedanken kreisen, ‚Irgendetwas mit Elphie. Und… war das Ramón? Ach, keine Ahnung.’

Sie verwarf ihre Gedanken und versuchte, noch einmal einzuschlafen, auch, wenn es schon nach Mittag gewesen war.

Sie erinnerte sich daran, dass ihr Vater ihr einmal erklärt hatte, dass man von dem träumt, an den oder an was man als letztes vor dem Einschlafen gedacht hatte.

‚Das würde wohl auch den Elphie-Traum erklären. Aber wieso Ramón?’, wunderte sie sich. Sie konnte sich auch nicht mehr ganz an den Traum erinnern, er war nun viel zu verschwommen und undeutlich.

Also beschloss sie, den Gedanken nun endgültig fallen zu lassen. Sie schob die ganzen Elphaba-Thropp- Gedanken auf den kommenden Samstag und dachte kurz bevor sie abermals einschlief, an einen riesen Schuhladen, für sich ganz alleine.

Am späten Nachmittag erwachte Glinda aus ihren Träumen, in der festen Überzeugung, sie wäre shoppen gewesen. Doch als sie in ihrem bett aufwachte – ohne die 43 Tüten im Traum voller Schuhe – war sie etwas traurig.

„Wäre auch zu schön gewesen!“, lachte sie.

Mit einem Blick auf den rosa Wecker auf ihrem Nachttisch erschrak sie: „Was? Schon 17 Uhr? Heilige Lurline!“

Normalerweise vermied Glinda es, zu fluchen und wenn sie es tat, dann entweder nur im Namen von Oz und des Unionismus.

Aber irgendwie war sie gerade in dem Moment schlecht auf den Zauberer zu sprechen gewesen und hatte sich mal eben am Lurlinismus bedient. „Fluchen ist Fluchen…“, kicherte sie.

Irgendetwas sagte ihr, dass ihr aufsteigender Missmut dem Zauberer gegenüber etwas mit ihrem Traum zu tun hatte.

Die blonde Schönheit hüpfte aus ihrem bett und nahm ein schnelles Bad, bevor sie sich in ihren Morgenmantel einwickelte und zur Küche schlenderte. Dort stibitzte sie etwas zu Essen und setzte sich damit an ihren großen Schreibtisch im Arbeitszimmer. Sie hatte viel zu erledigen. Die ganze Post vom Wochenende war liegen geblieben.

Sie ließ sich in den großen, bequemen Schreibtischstuhl fallen und stellte ihre Tasse Kaffee auf den dafür vorgesehenen Untersetzer.

Als sie den Stapel Post durchging, hielt sie nach ca. 9 weißen Umschlägen abermals einen knall-pinken in ihren Händen, wie damals.

Erfreut öffnete sie ihn und las:
 

„Liebstes Lindalieschen,
 

geht es dir gut?

Wir haben schon lange nichts mehr von dir gehört – Nun, zumindest persönlich.

Die Leute erzählen sich hier, du hättest jemand Nettes kennen gelernt?

Wirst du mit ihm am Samstag zum Ball gehen?

Wir sind ja schon ein bisschen neugierig!

Lass uns nicht zu lange warten, mein Fräulein!
 

Kommen wir zu einem anderen Thema:

Dein Vater ist zurzeit unausstehsam! Er hat nun seit zwei Wochen Urlaub und entschieden,

es sei an der Zeit, unser Wohnzimmer mal neu zu streichen.

Nachdem er sich in künstlerischer Freiheit etwas verausgabt hat,

können wir auch direkt eine neue Inneneinrichtung kaufen.

Ich sagte ihm,

wenn wir uns nun keinen anständigen Maler ins Haus holen,

lasse ich mich scheiden! …“

An dieser Stelle des Briefes hatte ihr Vater an den Rand gekritzelt: „*Stimmt gar nicht, Mutti übertreibt wie immer. Dabei hatte sie äußerst viel Spaß an unseren gemeinsamen Malprojekten!“
 

An dieser Stelle musste Glinda laut auflachen. Sie hatte als Kind die künstlerische Ader ihres Vaters geliebt, bis zu dem Tag, als sie ihre Eltern dabei erwischt hatte, wie sie ‚gemeinsam’ ein Bild gemalt hatten.

Als sie dann älter geworden war, hatte sie sich immer gefragt, wie bei solchen Aktivitäten so tolle Bilder entstehen konnten und damals hatte sie sich vorgenommen, auch mal so etwas auszuprobieren.

Grinsend las sie weiter:
 

„… Falls dein Vater hier nun noch irgendetwas einfügt, beachte ihn gar nicht! Ich habe ihn nämlich gebeten, den Brief dem Eilaffen mitzugeben. Und du kennst ihn ja!“
 

Erneut lachte Glinda auf.
 

„Wie dem auch sei, Liebes,

bitte melde dich bald.

Ich dachte, dass du uns noch eine Einladung zu dem ball schicken würdest?

Das hattest du uns doch mal geschrieben.
 

Wir lieben dich!

Auf bald!
 

Mamsie & Papsi“
 

Nun war Glinda verwirrt. Sie hatte doch noch letzte Woche einen drei Seiten langen Brief an ihre Eltern geschrieben und ihn Londaro – Merediths Sekretär – mitgegeben.

‚Komisch…’, dachte sie.

In diesem Brief hatte sie ihren Eltern nämlich alles über Ramón berichtet, was es zu berichten gab und auch eine hochoffizielle Einladung zum Feiertagsball war dabei gewesen.

‚Die Post ist auch nicht mehr das, was sie einmal war!’, dachte Glinda mürrisch.

Also schrieb sie einen neuen Brief:
 

„Hallo meine beiden Liebsten Künstler der Nacht,
 

verzeiht mir, wenn ich euch warten ließ,

aber um ehrlich zu sein schrieb ich letzte Woche schon einen Brief,

welcher aber offensichtlich euch nicht erreicht hat.

Nun, vielleicht freut sich nun jemand anderes über zwei hochoffizielle Einladungen zum Feiertagsball.

Wie dem auch sei,

ihr seid natürlich eingeladen!

Diesen Brief schicke ich nun mit dem Eilaffen ab, damit er in den frühen Morgenstunden bei euch ist.

Ihr könnt kommen, wann es euch passt. Lasst es mich nur vorher bitte durch den Eilaffen wissen, damit ich euer Zimmer herrichten lassen kann.

Den Rest besprechen wir dann, wenn ihr hier seid.

Bitte meldet euch in den nächsten zwei Tagen!
 

Ich liebe euch,
 

euer Lindalieschen.“
 

Zufrieden steckte sie den Brief in einen dunkelblauen Umschlag, schrieb die Adresse des Hauses in Gillikin darauf und rief den Eilaffen zu sich. Sie erklärte ihm kurz, was er zu tun hatte und schon flatterte er davon.

Er war ein zuverlässiges Kerlchen, noch nie hatte er einen Brief nicht zum vorhergesehenen Zielort gebracht.

Seufzend blickte Glinda wieder in die Realität – ein Schreibtisch voll mit lästigem Bürokram.

Es war spät in der Nacht, als Glinda endlich mit allen Parlaments- und Politikbriefen und Dokumenten durch war. Sie war stolz auf sich. Ein bisschen hatte sie die Arbeit in letzter Zeit zu kurz kommen lassen.

Dafür machte es ihr jetzt wenigstens wieder ein bisschen Spaß, sich mit diesem ganzen Papierkram um 00:24 Uhr am Dienstagmorgen herum zu schlagen.

Zufrieden mit sich selber, legte sie sich nach einem halben Glas Wein wieder ins Bett und schlummerte bald ein.
 

Den Rest der Woche verbrachte Glinda damit, höflich Ramóns anscheinend andauernde Abwesenheit zu ignorieren. Sie hatte eh sehr viel um ihre eigenen Ohren.

Haare schnitten sich ja nicht von alleine, genauso wenig, wie sich Schuhe von selber anprobierten oder das perfekte Kleid für den Ball plötzlich in ihrem Kleiderschrank auftauchte.

Und so war ‚Glinda die Gute’ bis Freitagabend mit den Vorbereitungen für den Feiertagsball beschäftigt.

Elphaba und Fiyero verbrachten in dieser Woche so viel Zeit miteinander, wie sie es in den letzten Monaten nicht getan hatten. Jeden Morgen wachte Elphaba neben ihrem Strohmann auf, der über ihren Schlaf die ganze Nacht gewacht hatte.

Jede Nacht war, um die gleiche Uhrzeit, wie Fiyero festgestellt hatte, sehr unruhig geworden. Jede Nacht um 1:35 Uhr hatte er dann seine Strohhand sanft über ihren Rücken gleiten lassen und ihr liebe Worte ins Ohr geflüstert. Kurz danach war seine Geliebte dann jedes Mal wieder in einen traumlosen Schlaf verfallen.

Jeden Abend aßen sie zusammen und Elphaba spielte auf dem eleganten Flügel ein paar Lieder, nachdem sie tagsüber stundenlange Spaziergänge gemacht, oder in den weiten Wiesen unter der gleißenden Sonne gelegen hatten.

Fiyero fühlte sich in seiner Sicht der Dinge bestätigt, dass er nun nichts mehr für die Zukunft zu befürchten hätte. Er hatte sich damit abgefunden, dass er so war, wie er war und akzeptierte daher auch Elphabas Einstellung zu physischen Kontakten.

Elphaba hingegen war sich da nicht ganz so sicher…

Nachdem sie in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch und von Mittwoch auf Donnerstag wieder den gleichen Traum gehabt hatte, machte sie sich Gedanken darum.

Irgendetwas wollte ihr dieser Traum sagen. Zum Glück machte er ihr nicht mehr so viel Angst, dass sie Krämpfe des Nachts bekam, aber dennoch: Irgendetwas war nicht ganz richtig.

Jedoch wusste sie noch nicht was.

In der nächsten Nacht schlief sie gespannt ein. Sie hatte sich sehr auf den Traum konzentriert und wollte diese Nacht versuchen, irgendetwas anders zu machen.

Als sie einschlief, begann die nächtliche Reise in eine längst vergangene Zeit:

Elphaba war wieder mit Glinda im Palast, auf der Flucht vor den Wachleuten des Zauberers. Die Szene spielte sich exakt genauso ab, wie die beiden Male davor, bis zu dem Punkt, an dem Glinda sie umarmte. Während der Umarmung fühlte Elphaba nun Glindas Hände auf ihrem Rücken, während sie leicht hinauf und hinab streichelten. Glinda flüsterte auch irgendetwas, doch Elphaba verstand es beim ersten Mal nicht. Dann wurden sie wieder durch die Wachen unterbrochen und Elphaba stellte sich wieder in die dunkle Ecke und wieder wurde Glinda gepackt.

Doch irgendetwas sagte der grünen Hexe, dass diese Träumereien einen Sinn haben mussten, den sie nicht sehen konnte.

Doch das einzige, was sie im Traum nicht sehen konnte, war das Gesicht des vermummten Mannes.

In dieser Nacht nun versuchte die in der dunklen Ecke stehende Elphaba diesen Mann zu erreichen, um ihm die Kapuze vom Kopf zu ziehen.

Doch wie auch in den beiden vorherigen nächtlichen Erlebnissen wurde sie gepackt und der Mann nahm eine schreiende Glinda mit.

Frustriert wachte Elphaba in der dritten Nacht auf und spürte Fiyero neben sich.

„Shhhht, shhhht…“, hörte sie Fiyero gerade sagen.

Er wusste also nicht, dass sie wach war.

Kein Wunder, ihr Gesicht war zur Wand gedreht.

Also beschloss sie, auch nichts zu sagen und hoffte darauf, dass Fiyero die Träume nicht ansprechen würde.

Er tat es nicht.

Als sie dann am nächsten Tag ineinander verschlungen auf einer Wiese in der Sonne lagen, dachte Elphaba angestrengt darüber nach, was sie tun könnte.

Sicher, eine Möglichkeit wäre, in die Glasschale von Schildkrötenherz zu gucken, aber das wollte und konnte sie nicht. Auch Fiyeros wegen. Um Chistery davon abzuhalten, sich die Glasschale zu mopsen und damit lauthals krakeelend durch das ganze Schloss zu hüpfen, hatte sie die Schale in der aufziehbaren Wanduhr versteckt.

Also beschloss sie, in dieser Nacht noch einmal zu versuchen, dem vermummten Mann die Kapuze vom Kopf zu ziehen.

Als sie an diesem Freitagabend an Fiyeros Brust gekuschelt einschlief, war sie fest entschlossen, es diesem Kapuzen-Milch-Bubi zu zeigen.

Es dauerte nicht lange und wieder Elphaba hetzte mit Glinda durch den Palast. Doch diesmal war es anders. Elphaba fühlte sich stärker und sicherer.

Als Glinda sie umarmte, sie streichelte und ihr etwas Undeutliches zuflüsterte, wurden sie, wie die male davor, von den Wachleuten unterbrochen. Diesmal jedoch versteckte sich Elphaba hinter dem Regal, an welchem der Kapuzenmann und der andere Wächter Glinda fassen würden. In dem Moment, als Glinda schrie, stürzte sich Elphaba auch mit einem lauten Schrei auf den Mann mit Kapuze und warf ihn zu Boden. Er lag auf dem Bauch und sie saß auf seinem Rücken. Bevor die Wachleute eingreifen konnten, hatte sie ihm die Kapuze abgerissen und kurze blonde Locken sprangen ihr entgegen. Dann packten die Wachen sie und der Mann auf dem Boden drehte sich…

„FAE!“

Elphaba fuhr vor Schreck in die Höhe und saß aufrecht im Bett: „Was?“, fragte sie verwirrt.

Fiyero schloss sie in die Arme. „Du hattest wieder einen unruhigen Traum und du hast geschrieen. Ich habe deinen Namen gerufen, damit du aufwachst, Shhhhht… Es ist vorbei…“

„Fiyerooo!!“, maulte Elphaba mürrisch und drückte sich ein bisschen zu feste weg von ihm.

Verdutzt musterte er sie im Mondschein. „Was ist los?“, fragte er die offensichtlich frustrierte grüne Frau, die durch das Licht noch smaragdischer wirkte.

„Erstens hatte ich keinen Albtraum und zweitens habe ich nicht geschrieen, ich habe gebrüllt und das ist ein großer Unterschied! Ach verdammt!“ Elphaba schlug mit der Faust auf ihre Bettdecke.

Fiyero konnte nichts sagen. Er hatte keine Ahnung, was gerade geschehen war.

Elphaba merkte seinen verwirrten Blick. Sie lehnte sich mit dem nun wieder geheilten Rücken an das Kopfende des Bettes und seufzte.

„Die letzten Nächte habe ich immer den gleichen Traum. Erst konnte ich ihn nicht beeinflussen, jetzt schon. Ich muss irgendetwas in diesem Traum finden, denn er lässt mich nicht los. Und eben war ich fast soweit. Doch dann hast du mich geweckt…“

Fiyero war etwas erstaunt, das zu hören. Natürlich hatte er den unruhigen Schlaf bemerkt, aber er hatte eher gedacht, dass es an ihrem offiziellen ersten Todestag gelegen hätte.

„Und um was ging es in dem Traum?“, fragte er vorsichtig.

„Um den Zauberer…“, antwortete seine Fae. Das war nicht gelogen, aber eben auch nicht die ganze Wahrheit.

Aber beide, Fiyero als auch Elphaba wussten, dass der Name ‚Glinda’ zu weiteren Fragen geführt hätte.

„Okay…“, nickte Fiyero, der irgendwo in einem verlassenen Strohhirnwinkel verstand, was seine geliebte gerade durchmachte. „Meinst du denn, dass du es schaffst, wieder einzuschlafen und noch mal zu träumen?“

„Ich weiß es nicht…“, Elphaba zuckte mit ihren grünen Schultern. Sie sah ziemlich zerknirscht aus. „Wir haben auch schon fast 2 Uhr… Ich werde es wohl sehen… oder auch nicht!“, bemerkte sie sarkastisch und lächelte kurz.

„Komm her…“, sagte Fiyero leise und zog sie zu sich heran. Sie kuschelte sich in seine Arme, doch es vergingen Stunden, bis sie wieder einschlief.

Und sie träumte nichts.
 

Als sie dann schließlich am Samstagmorgen aufwachte, saß Fiyero neben ihr. Er war versunken in ein Buch mit dem Titel „Traumdeutung“. Elphaba lächelte mit müden Augen. ‚Es ist beinahe zehn Jahre her, dass er mir solche Aufmerksamkeit geschenkt hat…’, dachte sie schläfrig und gähnte laut.

Fiyero legte das Buch weg: „Guten Morgen, meine Fae-Fee. Wie geht es dir? Hast du noch geträumt?“

Elphaba setzte sich auf und ließ ihre Beine zur Seite hinunterbaumeln, sodass sie mit dem Rücken zum im Bett liegenden Fiyero saß und lachte kurz. Dann stand sie auf und ging langsam um das Bett herum. Sie schaute Fiyero an: „Erstens: Guten Morgen mein Fiyero-Filzmann? Zweitens: Sehr gut, ich habe heute Todestag! Und drittens: Nein!“ Bei dem Wort ‚Todestag’ hatte sie von einem bis zum anderen Ohr gegrinst.

Fiyero war erleichtert, denn scheinbar ging es seiner grünen Liebe besser. Nun stand sie vor ihm, beugte sich hinunter und gab ihm einen Kuss. Mit einem Blick nach draußen fragte sie: „Wie viel Uhr ist es denn bitte?“

„Oh, wir haben schon 13:45 Uhr. Du hast sehr lange geschlafen!“

„Was?“, fragte sie verblüfft. „Aber es ist doch noch ganz dunkel draußen…“

„Nein…“, erwiderte Fiyero. „Schon wieder dunkel. Heute Morgen schien die Sonne, doch seit einer halben Stunde hat es sich so rasch zugezogen, dass ich schon dachte, gleich fällt uns der Himmel auf den Kopf. So dunkel habe ich es selten erlebt. Noch regnet es nicht, aber lange kann es nicht dauern.“

Elphaba nickte nur. Dann verschwand sie im Bad, zog sich um und wusch sich.

Den Tag verbrachte das Pärchen mit Frühstücken und reden. Als Fiyero sich schließlich wieder seinem buch widmete, versuchte Elphaba, Chistery das Klavierspielen beizubringen, damit sie mit ihm mal gemeinsam spielen konnte. Meistens ärgerte es sie nämlich, wenn Chistery neben ihr saß und wahllos auf den tasten rumhämmerte. Gegen Abend übte sie dann auch noch etwas ‚Sprechen’ mit ihm.

Als sie gegen 20 Uhr zu Abend aßen, hörten sie leichtes Donnergrollen aus der Ferne. Die dicken Wolken hatten sich den ganzen Tag über gut gehalten, doch das Zentrum des Unwetters schien anscheinend die Smaragdstadt zu sein.

So sagte es zumindest Fiyero, als er aus dem Fenster in die Ferne geschaut hatte.

Als sie am gedeckten Abendtisch saßen, stocherte Elphaba in ihrem Essen herum. „Fae?“

Sie blickte auf.

„Was ist los?“, fragte Fiyero leise und sanft.

„Ach… ich… nichts…“, antwortete sie stockend.

Fiyero aß schweigend weiter. Er wusste, sie würde es gleich …

„Ich möchte dich um etwas bitten.“, kam es nun von der anderen Seite des Tisches.

„Gefallen!“, krächzte Chistery dazwischen.

Die beiden versuchten, ihn nicht zu beachten.

„Alles, meine Liebe.“, antwortete Fiyero und nickte ihr ermutigend zu.

„Und zwar… ich würde heute gerne alleine schlafen. Ich möchte heute Nacht wirklich dahinter kommen, was dieser nervige Traum zu bedeuten hat. Ich verliere sonst die Nerven!“

„Hm…“, machte Fiyero nur. Elphaba konnte seine Reaktion nicht deuten und setzte noch einen drauf:

„Es frustriert mich wirklich! Wenn ich da nicht hinter steige, erhänge ich mich noch!“, fügte sie noch lachend hinzu.

„Hängen! Hexe hängen!“, schnatterte Chistery.

„Kusch kusch“, machte Elphaba nun in seine Richtung und wedelte mit den Händen. Der Affe erschrak und mit einem Satz war er aus dem Raum geschlüpft.

„Dann werde ich das Buch wohl heute noch auslesen!“, grinste Fiyero. „Und vielleicht auch noch band zwei und drei!“

Elphaba grinste: „Hört, hört!“

Sie stand auf und umarmte ihn: „Dankeschön.“

Sie gab ihm einen langen Kuss und verschwand dann auf ihr Zimmer.

Bettfertig kuschelte sie sich in ihre Decke ein und wartete auf den Schlaf und den Traum, um sie zu entführen….

Glinda war so beschäftigt über die ganze Woche gewesen, dass sie beinahe vergessen hätte, wie sauer sie eigentlich auf Ramón war.

Sie hatte nicht nur tagelang Kleider und Schuhe anprobiert, wobei Elaine ihr zur Seite gestanden hatte, nein, sie war auch fleißig gewesen.

Nebst abendlichen Ausflügen zu netten Restaurants mit Elaine, hatte Glinda auch jeden Tag die Post bearbeitet und auf einen Brief von ihren Eltern gewartet.

Nichts war gekommen. Das verwunderte sie sehr. Nun, vielleicht waren sie ja verreist, da sie keine Einladung bekommen hatten und schließlich war es die letzte Woche von Vaters Urlaub gewesen.

‚Ärgerlich…’, dachte Glinda, ‚.. Aber nun ja, man kann ja nicht alles haben!’

Danach dachte sie auch nicht mehr darüber nach. Sie hatte vor, nach diesem Wochenende ein paar Tage hoch nach Gillikin zu ihren Eltern zu fahren. Die zierliche Blondine hatte eine gewisse Vorahnung, dass sie danach eine Auszeit brauchen würde.

Dennoch war sie die ganze Woche über voller Ehrgeiz gewesen und hatte sich Hals über Kopf in die Arbeit und Vorbereitung gestürzt. Vielleicht auch, weil sie nicht zu viele trübe Gedanken an den kommenden Samstag verschwenden wollte. So kam es auch, dass sie sich am Mittwochabend mit Meredith im ‚Tierra Lemona’ getroffen und mit ihr dort beim Abendessen über die Entwicklung der Dinge zu sprechen.

Während sie auf das Essen warteten, hatte die hübsche Rothaarige ihr erklärt, dass nicht nur alles an Sicherheit für den Ball geklärt und organisiert wäre, sondern dass sie auch so langsam hinter das offensichtlich vorhandene System der U-Orga gekommen waren.

Als Glinda sich gerade eine Gabel Curry-Hühnchen mit Gillikinsalat in den Mund schob, sagte Meredith: „Sie führen alles geplant und gezielt durch. Meist in einer Kleingruppe, um dieselbe Uhrzeit. Irgendwann zwischen 1 und 2 Uhr nachts, beziehungsweise morgens. In dieser Woche jedoch gab es nur zwei kleine Zwischenfälle: Eine Prügelei ohne große Schäden, sowie eine Brandstiftung im Tierheim. Aber auch hier ist nicht viel draus geworden, dank unseren Zivildienstleuten.“

„Das ist gut zu hören!“, warf Glinda ein.

Meredith nickte und fuhr fort: „Auch die Prügelei wurde von den Wachleuten beendet und man hat drei vermutliche Mitglieder der U-Orga verhört. Natürlich war nichts aus ihnen rauszubekommen, wir haben aber auch keine expliziten Fragen zu der Orga gestellt, da sie ihre Nase nicht an die Sache kriegen sollen, dass wir etwas vermuten. Wir ließen sie laufen, aber sie werden heimlich verfolgt und beobachtet. Sollte also in der nächsten Zeit irgendetwas geplant sein, werden wir durch ungewollte Informanten darauf aufmerksam.“

„Na das sind doch mal erheiternde Neuigkeiten!“, blubberte Glinda. Sie hatte nach dem ‚alles ist für den ball geklärt’ nicht mehr viel mitbekommen.

„Ach…“, riss Meredith Glinda aus ihren Ball-Gedanken, „Was ich noch fragen wollte: Ist alles in Ordnung bei dir?“

„Ja…“, verdutzt schauten die blauen Augen in die grünen, „Wieso fragst du?“

„Du bist in letzter Zeit wieder so engagiert, was die Politik und die Organisation angeht. Woran liegt das nur?“, fragte Meredith nun grinsend.

Glinda steckte ihr kurz die Zunge raus: „Sei nicht gemein zu mir. Du weißt, dass ich Politik so stinkend langweilig finde, wie … ach, da gibt es kaum einen Vergleich! Nein, ich habe vor, nach dem Wochenende ein paar Tage heim zu fahren. Wäre dir das recht?“

„Na klar!“, Meredith nickte, „Den Laden schmeißen wir schon. Kommen deine Eltern nicht auch? Ich habe dir doch extra von meinem Sekretär zwei Einladungen bringen lassen?“

„Ja, das dachte ich auch. Aber am Montag fand ich einen Brief von ihnen und da waren die karten noch nicht da. Ich habe dann sofort einen Eilaffen hingeschickt und warte nun seit gestern auf Antwort. Ich bin mal gespannt!“, Glinda zuckte mit den Achseln und nahm noch eine Gabel von dem herrlichen Salat.

„Ist der geschäftliche Teil nun vorbei?“, fragte Glinda mit vollem Mund.

Meredith zog eine Augenbraue hoch, wodurch Glinda an ihre Manieren erinnert wurde. Schnell kaute sie zu Ende, schluckte den bissen herunter und fragte das gleiche noch mal.

Meredith lachte und nickte nur.

„Oh, supi!“, Glinda klatschte in die Hände, wobei ihre Gabel im hohen Bogen durch den Raum flog und in Nachbars Suppe landete. Puterrot winkte Glinda dem Mann zu, der nun verärgert hinüberblickte und hauchte ein: „Entschuldiguuung… Entschuldigen Sie, es tut mir leid!“ herüber.

Meredith konnte sich vor Lachen kaum halten und sprach unter leisem Glucksen: „Messer, Gabel, Feuer, Licht – sind für kleine Kinder nicht!“

„Püh!“, machte Glinda, hob die Nase in die Höhe und schlug die Augen nieder. Dann setzte sie ihr schelmisches Lächeln auf und schnappte sich Merediths Gabel, um die letzten Bissen ihres Salats noch zu essen.

„Wo waren wir stehen geblieben?“, fragte Glinda, diesmal mit leerem Mund.

„Du wolltest dem Herren neben dir gerade sagen, dass es ungünstig ist, die Suppe mit einer Gabel zu essen!“, platze Meredith etwas zu laut heraus und der Herr am Nachbartisch hob den Löffel zum Gruße.

Erneut lief Glinda rot an: „Ist ja guuut. Hör auf, mich zu ärgern! Was ich dich fragen wollte: Du kommst sicher auch zum Ball, nicht?“

„Natürlich, natürlich. Ich muss ja schließlich eine kurze Rede halten und dich ankündigen.“

Glinda war perplex: „Mich was? Wozu das denn?“

„Sag bloß nicht, du hast deine rede noch nicht fertig?“, fragte Meredith nun offensichtlich geschockt.

„Was für eine REDE?“, Glinda wurde sauer. Niemand hatte sie informiert.

„Immer ruhig mit den jungen Pferden!“, beschwichtigte Meredith sie, „Ist kein großer Akt. Du sollst nur den Ball eröffnen, den Ozianern einen schönen Feiertag wünschen und eben kurz was zum Grund des Tages sagen.“

Glinda wurde es übel. Vor einem Jahr – diese Rede, diese Lügen, diese Falschheit – das war schon damals zu viel gewesen. Sollte sie das nun jedes Jahr durchmachen?

„Meredith, ich kann das nicht…“, setzte sie an.

„Papperlapapp!“, unterbrach diese, „Jetzt ist es eh zu spät. Nächstes Jahr kann ich das dann auch machen, aber nun können wir nichts mehr an dem Plan ändern, sonst reißt uns die Verwaltung den Kopf ab. Außerdem brauchst du mal wieder mehr öffentliche Präsens als stundenlange Shopping-Touren!“ Meredith zwinkerte sie an.

„Wenn es denn sein muss…Aber wieso wusste ich davon nichts?“, gab Glinda nach.

„Ich habe dir doch den Ablauf gegeben, da stand alles drauf. Dieser pinke, quadratische Papierbogen?“

„Ohweiha!“, Glinda errötete wieder leicht, „den habe ich als Glasuntersetzer benutzt!“

„Wechseln wir lieber das Thema!“, lachte Meredith. „Wolltest du mich nicht was zum Ball fragen?“

„Achja! Hast du schon was zum Anziehen? Wenn ja, was? Und mit wem gehst du hin?“ Glinda wusste, dass es ihr oft schwer fiel, ihre aufsteigende Euphorie richtig einzuteilen und lächelte beschämt.

Meredith jedoch amüsierte sich köstlich: „Natürlich habe ich das, aber das verrate ich dir doch nicht! Du musst schön warten. Und ich nehme meine Frau dort mithin.“ Abwartend sah Meredith Glinda an.

„Deine… wen nimmst du mit?“, Glinda dachte, sie hätte sich verhört.

„Meine Freundin. Meine Frau. Meine Geliebte.“, verdeutlichte Meredith zum Schock des Mannes am Nachbartisch das Bild. Der hatte nun genug und verlangte schlagartig die Rechnung.

Glinda hingegen kratzte sich am Kopf und zog eine Schnute. Eine eher untypische Bewegung für sie. Dann lachte sie: „So war das also mit der Sahne gemeint.“

Als sie sah, dass Meredith bejahend antworten und wahrscheinlich das Sahne-Erlebnis auch weiter ausführen wollte, hob Glinda die rechte Hand und sagte schnell: „Ja, ja… okay. Ja, ich habe begriffen. Danke, ja. Mehr möchte ich dazu gaaar nicht wissen!“

‚Wie viel Wein hat Meredith jetzt schon getrunken?’, schmunzelte sie innerlich. Sie hatten schon zwei Flaschen bestellt und Glinda verspürte nicht mal einen Anflug von Schwindel.

„Und wen nimmst du mit?“, Meredith quetschte sich mit diesen Worten in die Gedanken der blonden Frau. „Die schmucke Safranschnitte oder deinen Schnösel? Wie heisst er noch? Peugeot?“

„Ramón!“, lachte Glinda und sie schüttelte den Kopf. Da wurde sie wieder daran erinnert, dass sie ihn seit dem Wochenende nicht mehr gesehen hatte. „Ja, ich wollte mit ihm hingehen. Wie kommst du darauf, dass ich Elaine mitnehme? Das Personal hat doch die beiden Tage frei.“

„Nachdem was ich da auf dem Flurfußboden gesehen habe, liebste Glinda, war mir alles klar!“ Da Meredith diesen Satz mit so großer Überzeugung aussprach, bekam Glinda nur ein hauchendes: „Wie bitte?“ heraus.

„Ach, Kindchen, stell dich nicht so an. Ich bin nun bald 39 Jahre alt…“,

„Mer, du bist 41!“, unterbrach Glinda sie lachend.

„Ja, sage ich doch, fast 39!“, fuhr Meredith grinsend weiter fort, „Da werde ich doch wohl eine Schwester erkennen können!“

„Du willst also damit ausdrücken, dass du glaubst, ich wäre in Elaine verliebt?“, gluckste Glinda, die sich nun sicher war, dass ‚Mutter Meredith’ einen im sprichwörtlichen Kahn hatte.

„So ein Blödsinn. Sieh das doch nicht gleich so romantisch!“, meinte die Kahnfahrerin gerade, „Ich spreche doch nicht von verliebt. Ich spreche davon, dass du im Laufe deines Lebens noch eine andere Seite an dir entdecken wirst. Und schwöre mir, dass du dann nicht wegrennst!“

„Was redest du da?“, Verwirrung stand Glinda ins Gesicht geschrieben. Aber vielleicht wollte diese ja auch gar nicht verstehen.

„Das erkläre ich dir alles am Samstag! Da lernst du dann ja auch Reseda kennen, meine Reseda! Aber vorher, schwöre es!“

Die blonde Frau gab auf und rollte kichernd die Augen: „Ja, ich schwöre es!“

„Gut so!“, die rothaarige Dame war in diesem Moment sehr selbstzufrieden gewesen.
 

Über diesen Abend hatte Glinda auch lange nachgedacht und tat es auch noch immer. Es war Freitagabend, keine Post von ihren Eltern, keine Nachricht von Ramón…

Da klopfte es an der Tür. Glinda, welche im Bademantel auf ihrem Bett gesessen und ihr Haar gebürstet hatte, legte den Kamm weg und ging zur Tür.

„Wer ist denn da?“, fragte sie neugierig.

„Ich bins!“, es war Ramóns Stimme. Bei dem Gedanken an ‚Peugeot’ musste sie wieder lachen.

„Du lebst ja noch!“, sagte Glinda trocken, als sie die Tür öffnete.

Ungebeten trat Ramón ein und machte die Tür hinter sich zu.

„Spätestens morgen wirst du mir meine lange Abwesenheit verzeihen!“

„Hm?“ Glinda sah in fragend an.

„Überraschung!“, grinste der junge, hübsche Mann ihr zu.

Glinda rollte mit den Augen: „Das muss aber schon ne tolle Überraschung sein. Du warst sechs Tage verschollen und…“

„He, stopp mal! Ich war Mittwochabend hier, um dich zum Dinner auszuführen!“, unterbrach Ramón sie.

„Oh!“, sagte Glinda, etwas überrascht, aber nicht minder sauer.

„Nun ja, lassen wir das. Hast du Lust, mit mir noch ein Glas Wein zu trinken? Dann bin ich auch sofort wieder weg. Morgen wird ja ein spannender Tag!“ Er grinste von einem Ohr bis zum anderen.

Glinda nickte. „Ja, gern!“

Sie setzten sich auf den Balkon und Glinda erzählte mit viel Gestikulierung von der aufregenden Woche.

Ramón ließ dieses Schauspiel über sich ergehen und verabschiedete sich, wie versprochen, nach einem Glas Wein mit einem Gute-Nacht-Kuss auf Glindas Wange.

Sie lächelte und als sie hörte, wie die Türe ihres Zimmers ins Schloss fiel, nippte sie noch einmal an ihrem Wein.

Sie hoffte, diese Nacht etwas besser schlafen zu können. Dieser komische Traum hatte sie beinahe jede Nacht um kurz vor 2 wach werden lassen und das ärgerte sie.

Gerade wollte sie aufstehen und sich bettfertig machen, als die Turmuhr zu läuten begann.

Glinda zählte mit: „1 … 2 … 3 … 4 … 5 … 6 … 7 … 8 … 9 … 10 … 11 … 12 …“

Resigniert ließ Glinda sich zurück in den Stuhl fallen.

„Happy … Deathday…“, murmelte sie, nahm sich die noch recht volle Weinflasche und setzte sie an.
 

In dieser Nacht wachte Glinda nicht auf.

„Isn’t she looovely?“
 

Gähnend drehte sich Glinda in ihrem Bett um und suchte müde mit ihrer linken Hand nach dem Wecker.

Als sie ihn gefunden und abgestellt hatte, streckte und reckte sie sich unter ihrer Bettdecke und quietschte vor Vergnügen.

Sie schlug die Decke zurück und hüpfte aus dem Bett.

‚Nanu?’, wunderte sie sich. ‚Was ist ….’ Die blauen Augen wurden groß: „Du heilige Nase!“ flüsterte sie verblüfft.

Ihr heller Teppichboden war mit dunkelroten Rosenblättern übersäht, die eindeutig zum Badezimmer führten.

Neugierig tippelte sie auf Zehenspitzen zur Tür und lugte hinein. Im Badezimmer brannte eine der Duftkerzen und es roch himmlisch. Neben dem Waschbecken standen eine kleine Schatulle und ein weißer Umschlag.

Neugierig tigerte sie erst eine Runde drum herum, bevor sie über den Umschlag herfiel.

Laut las sie: „Guten Morgen, mein süßes Früchtchen. Schau mal in das schöne Päckchen hier und dann wirst du verstehen, warum ich so lange weg war. Seltene Sachen erfordern weite Reisen.

Sei um 11 Uhr unten. Orez wird auf dich warten.

Dein Ramón.“

Glinda wunderte sich. Sie hatte ihren Wecker doch auf 11 Uhr gestellt? Panisch sah sie auf die Uhr. Ramón musste ihn auf eine Stunde früher gestellt haben – was für ein Glück.

Neugierig zog sie an der großen Schleife

Zum Vorschein kam eine kleine Schmuckschatulle. Hibbelig öffnete Galinda sie … „Oz im BALLON!“, entwich es ihr und sie musste sich setzen.

Dieses Schmuckstück war eines der seltensten in Oz. Man konnte an zwei Händen abzählen, wie viele es davon gab – Glinda war sich nicht ganz sicher, aber das war ihr egal. Sie besaß eines von höchstens zehn!

Es war eine dünne, etwas längere, silberne Halskette an der ein Anhänger angebracht war: Auch der Anhänger war in das strahlende Silber eingefasst. Es war einer Träne der heiligen Aelphaba.

Glinda hatte erst zwei Mal in ihrem Leben ein solches Meisterwerk gesehen: Einmal, als sie noch recht jung war und in die Gesellschaft von Gillikin eingeführt wurde, hatte die Frau des Bürgermeisters eine solche Kette angehabt.

Am Tage darauf stand es sogar ganz groß im Neuigkeitenblatt.

Und ein anderes Mal… Glinda überlegte kurz – ‚Nein…’, dachte sie, ‚Das kann nicht wahr sein! … Akaber…’ Das andere Mal hatte sie diese Kette in Madame Akabers Büro bewundert, welche die fischige Erscheinung in einem Bilderrahmen aufgehängt hatte. In Anbetracht des Feiertagsballs an diesem Abend beschloss Glinda, sich nicht den Erinnerungen an Elphie-Aelphaba oder Madame Akaber hinzugeben, sondern sich einfach über dieses mehr als großzügige, ja beinahe schon übertriebene Geschenk zu freuen.

Glinda wollte sich lieber daran erinnern, was ihr Vater ihr einst über das Märchen der heiligen Fabala erzählt hatte:

Die heilige Aelphaba war damals unter die Menschen gekommen, um sie vor Unheil zu bewahren. Doch sie war tief traurig über so manche Gewalt gewesen, dass sie sich in eine Höhle hinter einem Wasserfall zurückgezogen hatte. Dann hatte sie niemand mehr gesehen.

Eines Tages jedoch kam ein junger Mann an den See, um etwas zu trinken. Er hatte sich verirrt und war ein guter Mensch. Da erschien ihm die heilige Aelphaba und weinte zehn Tränen, die sie dem Mann schenkte. Sie sagte zu ihm: „Wähle gut. Eine jede Träne hat Macht und wenn sie zu dem richtigen Besitzer gelangt, wird sie ihm von großen nutzen sein können.“ Und dann war sie wieder verschwunden.

In Rekordzeit von 20 Minuten war sie fertig angezogen und gewaschen. Passend zur neuen Kette zog sie eine weiße Bluse und einen dunkelblauen Rock an. ‚So kommt die Kette besser zur Geltung!’, dachte sie kichernd.

Schnell schlüpfte sie in ihre weißen Ballerinas und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie überlegte nicht lange, kritzelte dann ein paar Worte auf ein leeres Blatt Papier und sagte stolz zu sich selber: „Fa – bu – lööös, Glinda. Supi! Die Rede für heute Abend … ‚Rede’ – haha, wäre dann auch fertig!“

‚Die Rede ist nicht der Rede wert…’, fügte sie etwas philosophisch in Gedanken hinzu.

Mit einem erneuten Blick auf die Uhr wurde ihr klar, dass sie nur noch ein paar Minuten hatte. Schnell schnappte sie sich ihre beige Handtasche und rannte aus dem Zimmer.

Orez empfing sie wie immer sehr freundlich und reizend, doch heute kam Glinda etwas komisch vor. So, als läge mehr Wärme und Zuneigung in allen Dingen, die er tat.

‚Vielleicht liegt es daran, dass er heute und morgen eigentlich frei hat?’, fragte sie sich und stellte in ihrem Kopf Hypothesen darüber auf, was Ramón bezahlt hatte, damit Orez sie noch für diese nächsten Stunden begleitete.

Sie ließ es sich nicht anmerken und quengelte den ganzen Weg, er solle ihr doch verraten, wo es hinginge.

Er sagte nichts.

Ramón empfing ‚sein süßes Früchtchen’ im Café ‚Gusto’ und lud sie zu einem schon bereitstehenden, atemberaubenden Frühstück ein.

Während des Essens fragte er grinsend: „Und? Ist mir nun verziehen?“

Glinda lächelte frech: „Ich lasse mich doch nicht kaufen! Ich verzeihe dir nur, wenn du heute Abend mit mir den Ozianischen Walzer tanzt!“

Eigentlich hatte sie mit einem verblüfftem Gesicht gerechnet, denn dieser Walzer war einer der schwersten überhaupt. Nur wenige konnten ihn wirklich gut tanzen, unter anderem ihre Eltern, denn er hatte über 412 Schrittfolgen und komplizierte Drehungen.

Aber nein, Ramón hatte sie angelächelt und gesagt, er würde das wohl auch noch bewerkstelligen können.

Seit Glinda – damals noch Galinda – fünf Jahre alt gewesen war, hatte sie private Tanzstunden genommen. Aber jeder normale Mensch bräuchte mehr als ein Leben, um diesen Tanz perfekt zu können.

‚Noch ein Grund mehr, sich auf heute Abend zu freuen!’, feierte sie schon innerlich.

Nach dem Frühstück gingen sie noch etwas spazieren. Obwohl es sehr nach regen aussah, war Ramón sehr zuversichtlich, dass es noch trocken bleiben würde – und er hatte Recht behalten.

Um 14:00 Uhr musste Glinda dann jedoch los. Zusammen mit Ramón fuhr sie zurück zum Palast und bedankte sich für diesen umwerfenden Morgen.

Während der Kutschenfahrt brachte Glinda auch anstandshalber das Thema der Kette auf. Sie gab vor, es nicht annehmen zu können, da es ja viel zu kostbar sei.

Ein altes Spiel der gehobenen Zivilisation. Die eine Seite schenkte, die andere Seite nahm an, woraufhin sie die Bewunderung ausdrückte, indem sie das Geschenk zurückgeben wollte.

Ramón bestand natürlich darauf, dass sie es behielt. Ganz zu Glindas Freude.

Im Palast angekommen, bedankte sie sich abermals und lief in die große Eingangshalle, um das dort bereitstehende ‚Beauty-Ball-Ensemble’, wie sie es nannte, in Empfang zu nehmen.

Den Rest des Nachmittages verbrachte sie dann damit, sich vom Ensemble ‚beautyfizieren’ zu lassen: Pediküre, Maniküre, Frisur, Gesichtsmasken und schließlich noch das Make-up.

In vier Stunden schaffte das Ensemble ein Meisterwerk, für welches andere Leute mehr als eine Woche benötigt hätten.

Dankend verabschiedete sich Glinda von den gut bezahlten Helfern. Sie stand in ihrem Bademantel an der großen Eingangstür und winkte den Leuten nach.

Es war nun 18:15 Uhr. Glinda puzzelte in ihrem Kopf: ‚Der Ball beginnt um 20 Uhr, ich muss um 19 Uhr dort sein, d.h. Ramón kommt mich in einer Viertelstunde abholen. Nun aber los!’

Gerade, als sie die Tür schloss, fielen die ersten Regentropfen. Schnell sprang sie zur Seite, damit sich ihr Haar nicht wieder krauste und lief in ihr Zimmer.

Sie zog den Bademantel aus und warf ihn auf ihr Bett.

Dann ging sie zu ihrem Schrank, an welchem DAS Kleid schon auf hing und sie schlüpfte hinein.

Es saß perfekt. Vorsichtig drehte sie sich zum Spiegel um und sah hinein… „Fa – bu – lööös……“

Sie sah eine Frau mit langen Korkenzieherlocken und ihre strahlend blauen Augen waren sanft umrandet von schwarzer Wimperntusche und etwas schwarzem Kajalstift, welcher das Blau noch intensiver werden ließ. Ihr dunkel- blauer mit etwas rotem Schimmer aufgetragener Liedschatten passte genau ins Bild. Ihre Lippen hingegen waren in ein seichtes dunkel-rot getaucht.

Als Ohrringe hatte sie ein einfaches Paar silberner Perlen ausgesucht und um ihren Hals baumelte die Träne der heiligen Aelphaba.

Glindas Kleid war ein Traum – eine Komposition aus dunkel-blau Tönen, gemischt mit dunkel-rot-Effekten an gewissen Stellen.

Dieses Meisterwerk an Kleid hatte dünne Träger, welche unterhalb ihren Brüsten zu einem ‚V’ zusammenliefen. Es gab selten die Gelegenheit, ‚Glinda die Gute’ mit einem solchen Ausschnitt zu erwischen. Dieser V-Ausschnitt war am äußersten Rand mit kleinen, silbernen Pailletten verziert, sodass dies einen hervorragenden Übergang von Kette zu Kleid bildete.

Unterhalb ihrer Brust setzten dunkel-rote und blaue Querstreifen im Riffelmuster ein, in welches silberner Glitzer eingenäht war.

Ab der Hüfte erstreckte sich ein bodenlanger, aufgepushter Seidenrock aus etwas hellerem Blau. Darüber war noch eine Schicht Tüll, gemischt aus dunkel-rot und –blau, sowie kleinen Glitzersteinchen, der den einzigartigen Übergang vom oberen zum unteren Teil des Kleides bildete.

Ihre Schuhe, aus dem gleichen Rot mit winzigen Glitzersteinchen bildeten somit den krönenden Abschluss und bildeten den unvergleichbaren Bogen.

Etwas von sich selbst verblüfft, betrachtete sie sich im Spiegel. Dann drehte sie sich einmal schnell um ihre eigene Achse und das Kleid bewegte sich wunderbar mit ihrem Körper. Genau wie bei der Anprobe.

Es war seit der Jugendzeit Glindas Angewohnheit gewesen, ihre Kleider immer auf den letzten Drücker zu kaufen, denn es machte sich auf jeder Party gut, wenn man sagte: „Ach, das Kleid…. Nein, das habe ich mir erst vor drei Tagen gekauft.“ Und dann auch noch fabulös aussah.

Trotzdem hatte Glinda nie auf den Luxus des Unikats verzichtet.
 

Hufgetrappel rief sie in die Realität zurück und verscheuchte die Jugend-Gedanken.

Lächelnd zwinkerte sich Glinda im Spiegel zu, bevor sie ihr Zimmer verließ und die Treppen hinunter glitt.

Als sie die Eingangstür öffnete, standen – zu ihrer Verblüffung – Ramón und Orez an der vorgefahrenen Kutsche und unterhielten sich vertraut.

Sie schloss die Tür lautstark hinter sich, um die gewünschte Aufmerksamkeit zu bekommen.

Die beiden Männer drehten sich um.

Ramón strahlte sie lächelnd an und nickte anerkennend, als er sie von oben bis unten musterte,

Orez hatte seinen Hut vor Erstaunen fallen lassen, als er die Perfektion aus Schönheit, Eleganz und Modebewusstsein mit offenem Mund anstarrte.

Eine frische Brise erwischte Glinda und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Der Regen war stärker geworden und nun war sie wirklich sehr froh gewesen, dass sie damals den Vorschlag ihrer Mutter, ein Regendach vom Kutschenplatz bis zum Eingang zu erbauen, umgesetzt hatte.

Langsam schritt sie auf die beiden Männer zu und gab Ramón einen Kuss auf die Wange. Orez gab sie die Hand, welche dieser sachte küsste und lächelte: „Fräulein Hochborn, Sie sehen… atemberaubend aus!“

„Danke Orez, wie lieb von Ihnen. Aber sagen Sie mal, gehen Sie etwa nicht auf den Ball? Sie haben doch frei!“, fragte Glinda, so freundlich wie es ihr nur möglich war. Sie wollte ihre ungehaltene Neugier ungern auf dem Silbertablett servieren.

Ramón lachte und antwortete für den Mann: „Natürlich geht er auf den Ball, nicht wahr, Orez?“ Fragend klopfte Ramón ihm auf die Schulter.

Nervös antwortete der Kutscher: „Ja, so ist es wohl. Aber Fürst von Heidenbrunn hat mir ein unablehnbares Angebot gemacht.“

„So ist das also!“, grinste Glinda und ließ ihren Blick vom einen zum anderen schweifen und wieder zurück.

„Nun Liebes, darf ich bitten?“, fragte Ramón und bot Glinda seinen Arm an.

„Mit Vergnügen!“, erwiderte diese und sie stiegen in die Kutsche ein.

Orez schloss die Tür hinter ihnen und stieg vorne auf. Durch die matte Fensterscheibe beobachtete Glinda, wie er sich sein Regencape überstülpte und den Hut tief ins Gesicht zog.

Die Kutsche machte einen kurzen Ruck, als Ramón seinen Arm um die blonde Schönheit an seiner Seite legte.

Reseda: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Reseda-2-97663359
 

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Kapitel 21
 

Die Kutsche erreichte den 'smaragdischen Ballsaal' um kurz nach 19 Uhr.

Während der Fahrt hatte Glinda als auch Ramón geschwiegen.

Der Mann jedoch hatte gemerkt, wie die Frau in seinem Arm immer hibbeliger geworden war, denn sie begann, nervös mit ihren Fingern herumzuspielen und strich sich mit zwei Fingern hinter ihr rechtes Ohr.

Seufzend versuchte sie sich daran zu erinnern, was auf diesem Ablaufpapier gestanden hatte. Glinda konnte es nicht leiden, wenn sie in der Öffentlichkeit stand und nicht genau wusste, was auf sie zu kam oder was sie zu erwarten hatte.

Der Abend würde schon aufreibend für sie genug werden! Sie fühlte sich noch immer unwohl in ihrer Haut... 'Diese blöde Rede...' ärgerte sie sich.

Dann beruhigte sich 'Glinda die Gute' selber mit dem Gedanken, dass sie nicht einmal fünf Minuten reden würde und zwang sich nun, ihre Konzentration auf das pinke Papier zu lenken.

Gestern Abend, bevor sie ins Bett getorkelt war, hatte sie es gesucht und unter ihrem Weinglas gefunden. Es war beinahe ganz durchnässt gewesen und Glinda hatte nur noch wenig von der verlaufenen Schrift lesen können: "1. Se...fang, 2. ..rteze..., ... Erö..de..."

Wütend hatte Glinda dann den Zettel weggeworfen und sich auch an diesem Morgen, im nüchternen Zustand nicht mehr entsinnen können, wo dieses blöde Stück Papier abgeblieben war.

"Muss ich mich wohl überraschen lassen...", murrte sie flüsternd vor sich hin.

"Wie bitte?", fragte Ramón, der selber in Gedanken versunken gewesen war.

"Ach, schon gut!", sie lächelte ihn an.

"Oh sieh nur, wir sind da!" Begeistert hatte die blonde Frau in die Hände geklatscht, denn sie hatte sich fest vorgenommen, diesen Abend so wenig es ging über traurige oder aufreibende Sachen nachzudenken. Darunter fielen Kategorien wie Shiz, Akaber und Elphaba, Fiyero eingeschlossen oder ihre nicht anwesenden Eltern.

Orez hatte die Kutsche direkt vor dem Eingang geparkt und auch hatte dieser Ballsaal eine Regenüberdachung, welche über dem roten Teppich bis hin zum Eingangstor verlief.

Dann wurde die Kutschentür geöffnet und Ramón stieg aus. Mit einem kurzen Nicken in Richtung Orez ließ er ihn wissen, dass er sich um Glinda kümmern würde.

Mit einem Blick in die Kutsche ging er sicher, dass er sich außerhalb von Glindas Hörweite befand und flüsterte Orez schnell zu: "Sei gegen 00:30 Uhr wieder hier."

Orez nickte und setzte sich wieder auf den Kutschersitz.

Dann ertönte die Stimme des Veranstalters: "Fräulein Glinda von Hohenhochborn, Glinda die Gute in Begleitung von Fürst von Heidenbrunn."

Ramón streckte seine Hand in die Kutsche, die Fotografen, welche schon hinter den Absperrungen gewartet hatten, setzten ihre Fotoapparate in die richtige Position und kaum war Glindas Hand in der von Ramón zu sehen, entstand ein Blitzgewitter.

Vorsichtig und geblendet vom Licht setzte Glinda einen Fuß auf das Trittbrett und den zweite Fuß gleich daneben. Wie auf einem kleinen Podest stand sie dort, Ramón hielt noch immer ihre Hand auf seiner.

Sie richtete sich auf und winkte mit elegantem Schwung und Lächeln der Menge zu.

Eigentlich wollte sie gerade die Stufe herabsteigen, als Ramón sich vor sie stellte und seine beiden Hände an ihre Hüfte legte.

Das Blitzgewitter war abgeklungen, doch nun setzte es erneut mit doppelter Heftigkeit ein.

Bevor Glinda wusste, was passierte, hatte Ramón sie im hohen Bogen von der Trittleiter gehoben und sie vorsichtig vor sich auf den Boden gestellt.

Nun standen sie eng beisammen, er hatte seine Hände auf ihren Hüften, während ihre Vorderarme bei ihm auf der Brust lagen und ihre Hände seine Schultern festhielten.

"Ein Bild für den namenlosen Gott!", rief ein Fotograf und abermals blitzte es.

Dann befreite sich Glinda, leicht errötet von Ramón und zischte ihm zu, während sie der Menge ein umwerfendes Lächeln schenkte: "Lass uns reingehen!"

Ramón bot ihr nickend einen Arm an, welche Glinda akzeptierte. Die Reporter schrien ihren Namen und Glinda wusste, es wäre inakzeptabel, nicht mindestens einem von ihnen ein paar Fragen zu gewähren.

Unter den wenigen Dingen, über die Glinda und Ramón in der Kutsche gesprochen hatten, war das öffentliche Auftreten eines davon gewesen.

Wohl ahnend, dass ihr blonder Schönling schon die Grundprinzipien kannte, hatte sie zu ihm gesagt: "Weißt du, die Presse erwartet von dir ein paar Worte. Ein Satz reicht schon, damit sie ein ganzes Interview herzaubern. Von größter Wichtigkeit ist jedoch, dass du immer gut aussiehst. Gelassen und freundlich. Immer lächeln, auch, wenn dich irgendetwas überrascht oder schockt. Hat ein Reporter von dieser Piranhaherde Glück, dich mit gelangweiltem oder schockiertem Gesicht einzufangen, macht er eine Titelstory daraus und unterstellt dir Drogenkonsum oder eine Affäre. Ist alles schon passiert!"

Ramón hatte nur verständnisvoll genickt und gedacht: 'Ich weiß wohl, was ich heute Abend zu tun habe.'

Aus diesem Grunde suchte Glinda nun ihren Lieblingspiranha in der Herde, mit dem sie bisher nur gute Erfahrungen gemacht hatte.

"Ah, da ist Acer. Lass uns dort hin..."

Bevor sie jedoch ihren Vorschlag beenden konnte, hatte Ramón sie schon an den Rand zu einem anderen Reporter gelenkt. Es war eine Frau.

Verdutzt sah sie den Mann an ihrer Seite an, welcher gerade undefinierbare Blicke mit der Frau wechselte.

Das Gesicht der Dame kam Glinda bekannt vor, doch erinnern konnte sie sich nicht daran, wo sie es schon mal gesehen hatte.

"Fräulein von Hohenhochborn!", rief die Frau gerade entzückt aus. Sie hielt ein Diktiergerät in der Hand.

Ramón tätschelte ihren Arm und lächelte ihr ermutigend zu. Die Reporterin, welche einen sehr freundlichen und offenen Eindruck machte, drückte einen Knopf und die Bänder des Gerätes bewegten sich.

"Guten Abend.", erwiderte Glinda lächelnd.

"Schön, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, sie sind nicht nass geworden?", lachte die Frau.

"Danke, mir geht es gut und nein, ich bin nicht nass geworden."

"Nun, wir wollen ja nicht, dass gerade sie uns wegschmelzen!", flötete die Dame mit einem fiesen Lächeln.

Glinda drehte sich der Magen um, sie kicherte freundlich.

"Wen haben Sie uns denn da mitgebracht?", fuhr die Reporterin fort.

Ramón stellte sich vor und die Frau stellte ihm ein paar weitere Fragen.

Es hatte sich ein ganzer Pulk von Reportern im Halbkreis um sie versammelt. Einige schrieben mit, andere machten Bilder.

'Gott sei Dank hat irgendjemand diese Zäune erfunden!', dachte Glinda erleichtert.

"Und wann werden Sie sich verloben?", riss die Frauenstimme Glinda aus den Gedanken.

"Was?", entwich es Glinda, die nun die Frau mit verstörtem Gesichtsausdruck anstarrte.

Kurz hatte sie vergessen, dass sie sich in der höheren Gesellschaft befand, doch das folgende Blitzgewitter erinnerte sie sofort wieder daran.

Augenblicklich setzte Glinda ihre Maske der Freundlichkeit wieder auf, als sie hörte, dass Ramón antwortete: "Wir lassen uns Zeit. Das Leben ist ja noch lang."

"Soll das bedeuten, in der Liebe braucht man nicht zu hetzten?", fragte die Reporterin nun laut, offensichtlich an Glinda gewandt.

Zum ersten Mal fühlte sie sich überfordert. Schon oft hatten Reporter versucht, ihr etwas in den Mund zu legen, was natürlich nicht der Wahrheit entsprach.

Ramón nickte, was Glinda augenblicklich verärgerte. Gerade, als sie es richtig stellen wollte, fiel der Frau anscheinend jetzt erst ihre Halskette auf.

Bellend setzte sie fort: "Und ist es wahr, dass sie die Träne der heiligen Aelphaba heute Abend zu Ehren der bösen Hexe des Westens angezogen haben? Vermissen Sie sie? Was würden Sie ihr sagen, wenn sie noch leben würde? Und was halten Sie eigentlich von dem Denkmal?"

Die Fragen dieser Frau trafen Glinda wie ein Hagelsturm.

Plötzlich fühlte sie das starke Bedürfnis nach einem Stuhl.

'So schnell, wie diese Frau mir Dinge unterstellt, kann ich ja gar nicht denken!'. Sie war verzweifelt.

Doch in diesem Moment fuhr mit lautem Pferdewiehern eine pompöse Kutsche vor, welche das Zeichen des Palastes trug.

Alle Anwesenden, inklusive Glinda, Ramón und der Oberpiranha, wie Glinda nun empfand, drehten die Köpfe.

Die Kutschentür wurde geöffnet und heraus trat...

"Mer...", hauchte Glinda verblüfft.

Meredith stieg die Stufen der Kutsche hinab. Ihr rotes, langes Haar fiel ihr glatt auf die Schultern. Ihr bodenlanges, dunkelgrünes Kleid passte exzellent zu dem Rot ihrer Haare und dem stechenden Grün ihrer Augen.

Die Menge raunte und staunte. Aber nicht ganz so stark, wie sie es bei der blonden Schönheit getan hatten. Das stellte auch Glinda zufrieden fest.

Meredith erntete aber auch nicht so viel Blitzgewitter, bis...

Ganz im Gegenteil zu dem gewohnten Bild von Meredith und ihrem Sekretär, auf den nun alle warteten, da er auch ein 'Augenschmaus' sei, wie die Presse verkündet hatte, trat noch eine Frau aus der Kutsche.

Sie war kleiner als Meredith, doch da sie nun auf dem Trittbrett stand, war es anders herum.

Ihr rückenlanges, dunkelbraunes Haar war zum Teil hochgesteckt. Jedoch nur die Deckhaare, sodass noch ein paar braune Locken auf ihrem Rücken tanzten.

Ihre großen, blauen Augen leuchteten in die Menge hinein. Sie trug ein knielanges Ballonkleid, ohne Träger, in einem Traum von Bordeaux-Rot.

Sogar die Piranhaherde hielt verwirrt inne. Zum ersten Mal passierte es, dass es auf dem roten Teppich totenstill war.

Dann ertönte die Stimme des Veranstalters: "Meredith Schiforsan, Mutter Meredith in Begleitung von Reseda Schiforsan."

Nun ging ein verwirrtes Gemurmel durch die Menge.

Ein Mann in der Nähe Glindas murmelte: "Seit wann hat sie eine Schwester?"

Glinda beobachtete Meredith mit offenem Mund. BLITZ.

Glinda beobachtete Meredith milde lächelnd und innerlich verärgert.

Nun wurde die Menge Zeuge eines öffentlichen Déjà-vus: Meredith hob Reseda genau so von der Kutsche, wie Ramón es mit Glinda gemacht hatte.

Hand in Hand drehten sie sich zur Menge um und Meredith sprach laut: "Und nein, liebe Ozianer, das ist nicht meine Schwester."

Um die Beziehung zwischen den beiden zu verdeutlichen, hob Meredith ihre linke Hand, welche die rechte Hand der anderen Frau hielt und küsste sie sanft.

Nun lächelte Glinda ein echtes Lächeln und das Blitzlichtgewitter begann, bis kaum noch jemand etwas erkennen konnte.

Ein jeder wollte der erste sein, der die nun öffentlich bekannte Frauenliebende Frau befragte. Schließlich war sie 'Mutter Meredith'!

Ramón hatte das ganze Spektakel verblüfft verfolgt.

'Ob alle Frauen in hohen politischen Positionen so ticken?', hatte er sich gefragt.

Bei Meredith war es nun klar. Von seiner Mutter, Oberfürstin von Heidenbrunn, kannte er auch ein paar merkwürdige Gerüchte, aber bei Glinda kam er auf diesem Gebiet nicht weiter.

Ramón war der Ansicht, dass so was bei Frauen bestimmt nicht vorgesehen war und sie genau wie die Tiere behandelt werden sollten.

Aus diesem Grund würde er auch alles versuchen, um endlich mal als MANN im Lande Oz etwas zu sagen zu haben.

In dem ganzen Blitzlichtgewitter erkannten Glinda und Ramón nur die Konturen der beiden Frauen, welche sich, noch immer Hand in Hand, den blonden Geschöpfen näherten. Ramón ließ Glindas Arm los.

Oder war es Glinda, die sich aus Ramóns Arm befreite?
 

Aus Höflichkeit hauchte Meredith, als sie alle beisammen standen und um Atem rangen noch schnell: "Glinda - Reseda, Reseda - Glinda", bevor die drei Frauen lächelnd und der eine Mann verwirrt die Sicherheit im Inneren des Gebäudes suchten.

Die Reporterin blickte auf die Vorschau des letzten Bildes, welches sie gemacht hatte:

Zu sehen waren Glinda und Reseda, die sich lächelnd die Hand schüttelten, eine Meredith, welche ihre Hand an Glindas rechte Wange gelegt hatte und ein Ramón... Ein äußerst geschockt dreinschauender Ramón.

'Perfekt...', dachte die Frau schmunzelnd, 'DAS gibt eine Story!"
 

Lachend lief das kleine Grüppchen durch das Eingangstor und fand sich prompt in der unglaublich schönen Empfangshalle wieder.

A/N: "Konserozionist" abgeleitet von konservativ
 

Kapitel 22

„Ohje! Was ist das nur für ein Wetter!“, stöhnte Meredith, als sie sich sicher im inneren des Gebäudes befanden. Reseda nickte und lächelte sie an.

„Wow…“, entwich es Glinda, welche bewundernd ihre Blicke durch den großen Raum wandern ließ. Ramón und Reseda folgten ihren Blicken.

Glinda war schon einmal hier gewesen, doch da hatte sie keine Zeit gehabt, die unglaublich atemberaubende Architektur dieser Räumlichkeiten zu bewundern.

„24 vor Oz erbaut….“, hörte Glinda Ramóns Stimme. Oder war es die von Reseda?

Verdutzt schaute nicht nur die blonde Frau die beiden anderen an, sondern auch Merediths Blick trug etwas Verwirrung in sich. Dann lachte sie auf.

Reseda grinste: „Ich glaube, liebe Glinda, du hast zwei Führer an deiner Seite, die dich durch Oz’ Geschichte begeleiten werden, heute Abend!“

Auch Ramón lächelte, als er fortfuhr: „Man ist sich nicht einig, was die Bemalung der oberen Dielen zu bedeuten hat. Die S-förmigen Schwingen des oberen Gebälks sind handangefertigt und die Herstellung dauerte mehr als vier Jahre.“ Zufrieden mit sich selber hielt er inne.

Glinda und Meredith wechselten erstaunte Blicke, als Reseda antwortete: „Nicht ganz korrekt. Neue Forschungen haben ergeben, dass auf dem Gemälde der kommende Oz zu sehen sein soll in der Gestalt einer Frau und…“

„Alles klar!“, unterbrach Meredith die beginnende Diskussion der beiden, „Ich glaube, Glinda und ich brauchen uns nicht zu sorgen, wenn wir euch jetzt mal kurz alleine lassen. Ihr wisst schon: Organisatorischer Dienst!“ Mit einem Zwinkern in Richtung Ramón und einem Kussmund in Richtung Reseda, schnappte sie sich Glindas Hand und zog sie weiter.

Als die beiden Frauen außer Hörweite der anderen beiden des Vierertrupps waren, begannen sie zu lachen, als nun Ramón wie ein wilder anfing, zu gestikulieren.

Es sah noch komischer aus, wenn man nicht wusste, was er sprach.

„Ich hatte ja keine Ahnung…“, kicherte Glinda.

„Ich sagte doch, er ist ein Schnösel!“, Meredith kniff Glinda sanft in die Seite.

„Heee!“, erwiderte diese und steckte der Rothaarigen schnell ihre Zunge heraus.

„Mal ganz von deiner Frechheit abgesehen, siehst du heute Abend atemberaubend sexy aus, Gute Glinda!“, lachte Meredith. Glinda errötete: „Danke…“, flüsterte sie.

„Nun müssen wir aber los. Ich will meine Schöne nicht zu lange mit deinem Schnösel alleine lassen. Ich zeige dir den Saalplan und das Podest. Du kannst kurz testen, wie hoch oder tief du nachher sprechen wirst. Für mehr bleibt keine Zeit. Den Ablaufplan schaffen wir nicht mehr durchzugehen. In 14 Minuten beginnt der offizielle Teil.“

Glinda nickte: „Ist gut, ist gut. Dann mal los.“
 

Während Glinda und Meredith Arm in Arm in den Hauptsaal eintraten, wurde die Diskussion zwischen Ramón und Reseda noch heftiger: „Wann bitte sollen diese Forschungen denn gemacht worden sein und von WEM?“, rief er empört aus.

Reseda blieb gelassen. Dieser Mann hatte gut in der Schule aufgepasst, das war es aber auch schon. Sie selber hatte die Geschichte des Landes Oz mit Unterfach Malerei vier Jahre lang studiert und war nun Leiterin von rund fünf großen Kunstausstellungen in ganz Oz.

Ramón hingegen war sehr verärgert. ‚Schon wieder so eine Leitwölfin…’, dachte er verbittert, ‚Und dann auch noch eine vom anderen Ufer. Ihgitt!’

Er konnte es nicht ertragen, wenn Frauen ihn dermaßen degradierten. So empfand er das.

Die Wahrheit war jedoch, dass Frauen ihn nicht degradierten, sondern er sich nur so fühlte, wenn eine Frau ihm das Wasser reichen konnte oder sogar noch mehr.

Als Kind hatte er oft genug miterlebt, wie seine Frau Mutter seinen Vater rumkommandiert hatte. In seiner Jugend erfuhr er dann ungewollt über Mutters abartige Neigungen zu anderen Frauen, als er eines Tages früher von der Schule nach Hause kam. Das erklärte für ihn dann auch, warum es zwischen seinen Eltern nie liebende Worte oder Handlungen gegeben hatte. Zumindest nicht, als er dabei war.

All diese Erinnerungen an seine Kindheit machten ihn noch wütender…
 

„Das ist ja … Du lieber Oz!... Wahnsinn!“ Glinda war in einer anderen Welt:

Sterne leuchteten hell von der hohen Decke herab, die marineblauen Wände des Saals waren mit kleinen Glitzergirlanden geschmückt und in der Mitte des Saals befand sich eine riesengroße Tanzfläche.

Um diese Fläche waren die Tische und Stühle aufgestellt. Es mussten über Tausende sein.

Große, Geschmackvolle Bilder gaben dem Raum noch einen eleganten Schimmer und auf jedem Tisch war eine Kerze angebracht.

Meredith zog die noch immer verblüffte und beeindruckte Glinda an ihrer Hand hinter sich her.

„Kind, stell dich nicht so an. Du warst doch schon oft hier!“, riss eine Stimme sie aus den Gedanken.

Dass Meredith stehen geblieben war, hatte die zierliche Blondine gar nicht gemerkt, lief weiter und wäre fast über die erste Stufe der Bühne gefallen, hätte Meredith sie nicht rechtzeitig zurückgezogen.

„Hopalla!“, entwich es Glinda und sie lächelte beschämt.

„Immer ruhig mit den jungen Pferden!“, lachte Meredith.

„Schau.“, nun deutete die Rothaarige in den Ballsaal hinein, „Dort hinten wird gerade das Buffet aufgebaut. Da und dort – siehst du die zwei riesen Türen? Durch die rechte sind wir ja eben gekommen. Na ja, jedenfalls werden da auch um 20:30 Uhr die Gäste eingelassen, wenn wir sicher sind, dass der Großteil angekommen ist. Wir sitzen an einem Tisch und ich gebe dir das Zeichen, wann du deine Rede halten musst. Ich werde dich ja eh ankündigen. Ich denke, dass das so um 21 Uhr sein wird, wenn alle sitzen und ein Getränk haben. Nach dem Essen….“

Ein lautes Donnergrollen unterbrach Meredith, welche erschrocken innehielt. Glindas Blick fiel auf die große Uhr an der hinteren Wand. Schnell schnappte sie sich Meredith Hand: „Los! Wir haben schon 20 Uhr!“ und die beiden Frauen schlüpften ungesehen wieder in die vordere Eingangshalle.
 

Nun begann der offizielle Teil der Veranstaltung und die eingeladenen Gäste strömten in die Eingangshalle. Überwältigt blieben die beiden Frauen – noch immer Hand in hand – stehen.

„Das sind ja drei Mal so viele Menschen wie eben!“, entfuhr es Meredith, die ungläubig in die Runde schaute.

„Seit wann sind Ozianer wieder so pünktlich?“, ergänzte Glinda und beide Frauen mussten grinsen.

„Liegt vielleicht am erfreulichen Anlass!“, mutmaßte Mutter Meredith.

Glinda wurde übel.

Dann bemerkte sie die neugierigen Blicke der anderen Gäste. ‚Nanu?’, wunderte sich die kleine Blonde, bis ihr auffiel, dass sie noch immer Meredith Hand hielt.

‚Na das hat sich ja schnell herumgesprochen…’ , doch bevor sie sich von dem festen Griff der Rothaarigen lösen konnte … BLITZ.

Verärgert blickte Glinda in die Richtung der Lichtquelle. Nun hatte Meredith ihre Hand losgelassen und ließ ihre Blicke über die Menschenmenge schweifen, auf der Suche nach Reseda und Ramón.

Eine lächelnde Frau winkte Glinda zu. Sie hielt den Fotoapparat in ihren Händen. Es war die Piranhafrau von vorhin.

‚Nein…’, dachte Glinda, ‚Das ist nicht möglich.’ Nun war es ihr wieder eingefallen, woher sie dieses Gesicht kannte.

Es war die hübsche, junge Dame, die Ramón begleitet hatte, als er im Palast angekommen war.

„Lass uns mal die beiden Geschichts-Professoren suchen!“, flüsterte sie Meredith ins Ohr. Sie musste mit Ramón reden.

„Da drüben sind sie doch!“, Meredith hatte die beiden an der Bar entdeckt. Sie hatten sich schnell vor der einströmenden Menschenmasse an die Theke gerettet und tranken nun, beide etwas entspannter dreinblickend, ein Glas Wein.

Die Blondine nickte und schob den Kopf kurz nach vorne, zum Zeichen, dass sie gehen wollte. Meredith ging vor ihr, die Menschenmasse spaltend, während Glinda, den Rock ihres Kleides etwas hochhaltend, hinter ihr herlief.

Ganz verwundert, aber sichtlich erleichtert, dass sie niemand angesprochen hatte, kamen die beiden Oberhäupter der Smaragdstadt bei ihren Liebsten an.

Sie hörten noch das letzte Stück von Ramóns Satz: „… und darum denke ich, hat der namenlose Gott so etwas nicht vorgesehen.“

Meredith Augenbrauen schnellten in die Höhe und fragend sah sie Reseda an. Erst da bemerkten die beiden, welche nun offensichtlich nicht mehr über Geschichte diskutierten, die Anwesenheit der anderen Hälfte des Vierertrupps.

„Mer!“, rief Reseda entzückt aus. Mit einem Schritt war sie bei ihr und umarmte sie.

„Was war denn das gerade? Der namenlose Gott?“, flüsterte die Rothaarige fragend in das Ohr ihrer Liebsten. Reseda löste sich aus der Umarmung, rollte mit den Augen und nahm ‚Mutter Meredith’ an die Hand. „Komm…“, flüsterte sie.

Auch Glinda war etwas verwirrt. Als die beiden Frauen Hand in Hand mit einem „Bis gleich.“ auf den Lippen davon stolziert waren, stellte sie sich dem blonden Schönling gegenüber, welcher ihr lächelnd ein Glas Roséwein reichte. „Wie aufmerksam!“, lächelte Glinda. „Worum ging es denn gerade?“, fragte sie und versuchte, ihre Neugier zu unterdrücken.

„Ach, nichts besonderes. Habt ihr zwei alles geschafft?“, wechselte Ramón nun sehr auffällig das Thema. Er sah, wie sich Glindas Augenbraue wölbte, ließ sich aber nicht verunsichern.

Auch Glinda wollte es dabei belassen, sie wollte eh etwas anderes wissen: „Ja, haben wir. Hast du den Donner gehört?“ Natürlich war das eine rethorische Frage, denn der Donner war ohrenbetäubend laut gewesen, als setzte sie fort: „Aber zum Glück hat er uns daran erinnert, dass wir schon 20 Uhr hatten. Wurde da auch die Presse rein gelassen?“

„Nur die mit Einladung, denke ich.“, mutmaßte Ramón. „Wieso?“, fügte er noch hinzu.

„Weil diese Frau von eben anscheinend ein Auge auf mich geworfen hat. Sie ist hier und hat mich direkt geknipst! Du kennst sie doch, oder?“

„Wen?“, Ramón stellte sich dumm.

Genervt von dieser offensichtlichen Schauspielerei rollte Glinda mit den Augen: „Na die Reporterin von eben am Zaun!“, antwortete sie gedehnt.

„Nein!“, lachte Ramón nun gekünstelt, „Woher soll ich sie denn bitte kennen?“

„Sie hat dich doch zum Palast begleitet!“, Glinda wurde langsam sauer. Sie war zwar blond, aber nicht blöd.

Nun musste sich Ramón schnell etwas einfallen lassen. Zum Glück sah er seiner Schwester nicht ähnlich… Da kam ihm eine Idee: „Achso, ja. Aber ich kenne sie nicht!“, kicherte er.

„Das ist doch unlogisch!“, maulte Glinda ihn an.

„Nein, Liebes. Sie und ich sind zusammen mit dem Zug angekommen und es war nur noch eine Kutsche frei. Also sind wir zusammen bis zum Palast gefahren, ich bin ausgestiegen und sie fuhr weiter. Das ist alles. Ich habe sie wieder erkannt und erinnerte mich daran, dass sie mir im Zug erzählt hatte, sie würde für ‚Alles in Oz’ schreiben…“

„Das ist ja das größte Neuigkeitenblatt in Oz!“, rief Glinda aus.

„Richtig. Und als ich sie eben am Zaun stehen sah, dachte ich, es wäre eine tolle Publicity für dich!“. Nun lächelte er sie warm an.
 

Meredith und Reseda hatten sich etwas abseits von dem ganzen Tumult in eine Ecke des Raumes verzogen.

„Jetzt brauch ich erstmal eine Zigarette!“, stöhnte Reseda lachend auf. Sie griff in ihre weiße Handtasche, passend zu den weißen Schuhen und dem Schmuck und zog eine Schachtel Zigaretten heraus. Lächelnd bot sie Meredith eine an, welche dankend annahm.

„Habe ich dir heute schon gesagt, wie wunderschön und sexy du aussiehst?“, säuselte die Rothaarige ihrer Frau ins Ohr.

„Vielleicht sieben oder acht Mal!“, lächelte diese zurück und gab der Frau an ihrer Seite einen Kuss auf die Wange.

BLITZ, BLITZ.

„Das darf doch nicht wahr sein!“, rief Meredith verärgert aus und gab dem Wachmann ein paar Meter weiter von ihnen das Zeichen, das sie nicht gestört werden wollten. Der Wachmann redete leise auf die Frau ein, welche Glinda als DIE Piranhafrau und Ramón als seine Schwester identifizieren würden. Die Dame nickte und verschwand in der Menge.

Lächelnd inhalierte Reseda den Rauch und machte kleine Kringel beim Ausatmen.

Meredith sah sie fragend an: „Ich darf mal ganz wild mutmaßen, dass es eben nicht um ein religiöses Thema bei euch zwei Hitzköpfen ging?“

„Ich und Hitzkopf?“, grinste Reseda, dann wurde sie ernst: „Nein, schön wär’s gewesen. Dieser Ramón ist mir bis aufs Blut unsympathisch. Nachdem er erstmal eingesehen hat, dass er mir in Kunst und Geschichte nicht das Wasser reichen kann, ist er richtig … ich finde keine Worte dafür. Als ihr gekommen seid, hat er mir erklärt, warum eine Frau nicht eine andere lieben darf.“ Sie hielt inne.

Meredith stieß den Rauch ruckartig aus: „Wie bitte? Wie seid ihr denn von Geschichte und Kunst zu einem solchen Thema gekommen?“

Reseda schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern: „Frag mich was leichteres. Ich glaube, er ist ein eingefleischter Konserozionist!“

„Nur um das mal klar zu stellen: Du glaubst also, er hat noch die Vorstellung von Beziehung, in der der Mann über der Frau steht und sie ihm nur jeden Tag aufs Neue ihre Liebe beweisen muss?“

„Nein..“, Reseda schüttelte abermals leicht den Kopf. „Ehrlich gesagt, glaube ich es nicht. Ich weiß es.“

Meredith seufzte: „Na das kann ja heiter werden.“

„Glinda muss sich in Acht nehmen!“, Reseda drückte ihre Zigarette aus.

„Resi, glaub mir. Glinda ist uns ähnlicher, als du es siehst…“, Meredith nahm noch einen Zug von ihrer Zigarette.

„Soll das bedeuten, du glaubst sie ist… Wie kommst du darauf, Mer?“, Resi war verblüfft.

„Mal ganz von dem Klatsch und Tratsch abgesehen, den sich die Ozianer erzählen, habe ich sie letztens mit … Elaaaaaine!“, rief Meredith nun leicht errötet aus.

Elaine hatte die beiden gesehen und war zu ihnen durchgekommen.

Reseda beobachtete ihre Frau leicht verwundert.

„Guten Abend Frau und Frau Schiforsan!“, nickte Elaine freundlich lächelnd in Richtung der beiden Damen. „Ich wollte nicht lange stören. Wissen Sie vielleicht, wo ich Fräulein Glinda finde?“

„Sie stören nicht, Elaine. Dort drüben ist sie…“, antwortete Meredith und deutete mit der Zigarette in der Hand in Richtung Theke.

„Vielen Dank! Wir sehen uns bestimmt nachher noch mal!“, verabschiedete Elaine sich freundlich und ließ die beiden Damen wieder alleine.

„Was war das denn für eine Vorstellung? Muss ich etwa eifersüchtig werden oder gibt es einen triftigen Grund, warum du bei der Anwesenheit dieses wirklich hübschen jungen Dings errötest?“, bohrte Reseda neugierig nach.

„Ach Blödsinn!“, wehrte die Gefragte mit einer schnellen Handbewegung ab und drückte nun auch ihre Zigarette aus. Den Rauch blies sie in eine andere Richtung und drehte sich dann zu Resi um:

„Es gibt nur die eine für mich.“, murmelte sie und ihre Lippen suchten die der anderen.

Ein sanfter Kuss und die beiden lösten sich voneinander.

Meredith lächelte. Dann setzte sie erneut an: „Eben mit diesem hübschen Ding erwischte ich Glinda in einer sehr lustigen Situation und ich schwöre dir, sie haben geflirtet.“

Resi schwieg. Sie ahnte, dass ihre Frau noch nicht fertig war, mit ihrer Analyse. Es musste noch einen besseren Grund für ihre Annahme geben. Und sie sollte Recht behalten, als Meredith fortfuhr:

„Aber das ist noch nicht alles. Als die Planungen für diesen Ball anfingen, ca. vor einem Jahr, schien sie gar nicht glücklich über den beschlossenen Vorschlag vom ‚Komitee für staatliche Zufriedenheit’. Ich hatte damals vergessen, ihr die Essensvorschläge für das Buffet mitzugeben, die sie in den nächsten zwei Tagen ausarbeiten sollte. Darum war es spät abends, als ich sie noch mal aufsuchte, um ihr die Papiere mit den Vorschlägen zu bringen. Ich klopfte…“ Kurz hielt die Rothaarige inne.

Reseda beobachtete, wie die Erinnerungen ihrer Geliebten ihr einen Schauer über den Rücken jagten. Sie nahm ihre Hand und ermutigte sie nickend, fort zu fahren.

„Ich klopfte… Aber sie machte nicht auf. Es war an dem Tag, als Glinda den Tod der Hexe verkündet hatte und damals habe ich ja noch unter ihr gearbeitet und nicht mit ihr. Also stand ich vor dieser Tür und wusste mir nicht so ganz zu helfen. Als ich jedoch ein dumpfes Geräusch hörte – es klang wie ein Fall – habe ich reflexartig nach der Klinke gegriffen und die Türe geöffnet. Ich sah Glinda, die weinend auf dem Boden lag. Ich glaube, sie nahm mich gar nicht wahr. Andauernd schlug sie mit der Faust auf den Boden. Dann plötzlich schrie sie den Namen der verstorbenen Hexe und sie sagte ihr, es täte ihr leid.

Mir war damals gar nicht wohl und darum wollte ich auch gerade wieder gehen, als Glinda sich aufrappelte. Sie fing an zu torkeln und als sie zu ihrem Schreibtisch ging und nach einem Foto oder so etwas in der Art griff, sah ich die leere Weinflasche.

Ich weiß noch, dass ich damals gedacht habe: ‚Kindchen, was machst du nur?’ Ich fühlte mich wie ein Eindringling, wie jemand, der verbotenerweise eine Art Selbstgespräch, was zur Verarbeitung dienen sollte, mitbekam. Also ging ich rückwärts, so leise es ging wieder raus.

Glinda stand mit dem Rücken zu mir. Ich erreichte die Tür… Und dann…“, Meredith Stimme versiegte.

Zwischen den beiden Damen war es stille, während um sie herum der Tumult immer lauter wurde.

Beide hatten ihn ausgeblendet und Reseda fragte vorsichtig: „Und dann…?“

„Dann…“, setzte Meredith erneut ein und hielt erneut inne. Sie schaute ihrer Frau nun direkt in die Augen: „Resi, ich erzähle dir jetzt etwas sehr persönliches über Glinda, aber nur, weil ich mich wirklich um sie sorge. Das hier heute Abend ist mehr als schwer für sie und wenn ich zu Ende erzählt habe, wirst du verstehen, warum. Ich erzähle dir das nur, weil ich dich bitten möchte, dass du auch heute Abend ein Auge auf sie hast…“

Resi nickte verständnisvoll: „Ist gut, Liebes. Das werde ich!“

Ermutigt nahm Meredith den faden wieder auf: „Dann stand ich im Türrahmen und griff gerade nach der Klinke, als Glinda erneut zu reden begann. Nicht reden, nein. Sie klang sehr sauer, enttäuscht, verletzt vielleicht auch, ja..“

Nun machte Meredith eher den Eindruck, als würde sie zu sich selber sprechen: „Sie schimpfte und verriet mir ungewollt ihre Gefühle. Diese Worte habe ich auch aus diesem Grund nicht vergessen, weil sie mich in diesem Moment so an mich erinnert hat, als dein Vater dir verboten hatte, mich zu treffen. …

Glinda schimpfte vor sich hin und ihre Worte waren: „Elphaba Thropp…„Wie konntest du mich nach all den Jahren verlassen…? Ich hab’ auf dich so lange gewartet! Damals war ich noch zu jung, um den Zauberer zu durchschauen, aber mit den Jahren lernte ich! Ich wollte dir alles sagen, ALLES. Dass ich den Zauberer durchschaut hatte und Madame Akaber und dass ich Fi-yer-o doch gar nicht liebe, aber er der einzige…“

Weiter konnte ich einfach nicht zuhören, ich wollte auch nicht. Darum schloss ich schnell und leise die Türe und lief davon. Die Papiere habe ich in der Nacht noch selber bearbeitet…

Glinda weiß bis heute nicht, dass ich damals in ihrem Zimmer war und ich bringe es auch nicht übers Herz, mit ihr darüber zu sprechen… Vor allem nicht in den letzten Wochen, denn sie leidet ungemein…“

Meredith war erschöpft, das sah Reseda ihr an. Liebevoll nahm sie die Rothaarige in den Arm und streichelte ihr über die Haare: „Meine Starke…“, flüsterte sie, „Du kannst nichts daran ändern, dass Glinda sich verlassen fühl. Du hilfst ihr, wo du nur kannst, worauf ich ja auch manchmal etwas gereizt reagiert habe…“ Sie schob Meredith ein Stück von sich weg, damit sie ihr in die Augen schauen konnte. Dann lächelten sich die beiden Frauen an, Meredith seufzte: „Ja, ich weiß…“

Daraufhin drückte Reseda ihre geliebte Frau wieder feste an sich: „Glinda ist stark. Sie wird das durchstehen. Nur Ramón macht mir Bauchschmerzen.“

Beim Gedanken an Ramón befreite sich Meredith sanft aus der Umarmung und sah ihre Frau angewidert an: „Dieser Schnösel!“, bellte sie verächtlich, „Ich traue ihm nicht über den Weg…“

„Mutterinstinkte der Mutter Meredith!“, grinste die Brünette, was Meredith auch lächeln ließ.

„Exactement! Elaine hingegen tut ihr gut. Sie lachen zusammen, sie reden miteinander, sie vertrauen sich. Wenn auch erst oberflächlich, aber sie ist ein gutes Mädchen. Und sie hat das richtige Alter!“

Sehr amüsiert durch die Verkupplungsgedanken ihrer Liebsten kicherte Resi: „Genau, du bist eh viel zu alt für sie, du 39-jährige!“

Meredith zog eine Schnute, beugte sich langsam zu Reseda vor und pustete ihr kurz in Ohr.

Diese quietschte auf: „Aaah! Lass das! Du weißt, wie fies ich das finde!“

Meredith lachte, nahm sie bei der Hand und zog sie in der Menge hinter sich her: „Lass uns mal zurückgehen. Gleich werden die Türen geöffnet.“
 

Als die beiden Frauen näher kamen, sahen sie, wie Glinda und Elaine lachend zusammenstanden. Ramón stand an der Theke, sichtlich um die Aufmerksamkeit des Kellners bemüht.

Meredith und Reseda tauschten viel sagende Blicke, als sie diese Szene beobachteten.

„Meeer!“, Glinda machte einen Sprung vor Freude. Sie schien sich wieder gefangen zu haben. Meredith vermutete, es läge an Elaine und war sichtlich erleichtert.

„Hallo ihr Lieben, da sind wir wieder!“, erwiderte Meredith, zog Reseda an ihre Seite und legte den rechten Arm um ihre Hüfte.

Glinda machte Elaine bekannt und andersherum. Sie unterhielten sich gelassen miteinander und die drei anderen Damen bewunderten Elaines schlichtes, aber doch sehr elegantes ‚kleines Schwarzes’. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt und trug Perlenschmuck.

Als Elaine und Glinda über eine Frau mit unsagbar schrägem Kleid kicherten, drehte Reseda ihren Kopf, sodass ihr Mund an Meredith Ohr reichte und kicherte: „Elaine sieht zum Anbeißen aus.“

Meredith kicherte und flüsterte: „Aber nur halb so gut wie ich.“

Ramón hatte es endlich geschafft, eine Runde Wein zu bestellen und kam mit einem vollen Tablett zurück. Drei Mal Rosé.

„Oh..“, sagte er verlegen. „Ich wusste nicht, dass Sie schon wieder hier sind. Soll ich Ihnen auch noch etwas von der Theke holen?“

Meredith Antwort wurde von einem hellen Blitz mit darauf folgendem lauten Donnergrollen verschluckt. Erschrocken kuschelte Reseda sich etwas fester in den Arm ihrer wundervollen Begleitung, Glinda hatte reflexartig Elaines Hand geschnappt und sie leicht gedrückt, was Meredith mit großer Freude wahrnahm.

„Ich sagte: Nein danke, es wird wohl gleich losgehen. Wir haben schon 20:35 Uhr.“

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, erklang nach einem lauten Dong die Stimme des Veranstalters: „Wir bitten nun, alle Gäste Platz zu nehmen. Sie haben freie Platzwahl!“

Dann wurden die zwei dicken Eichentore geöffnet und die Menschenmassen strömten in den Ballsaal.

„Freie was? Ich dachte, für uns wäre reserviert?“, fragte Glinda, die sich schon auf dem Sprung befand.

Meredith hielt sie im letzten Moment noch zurück, als sie nach ihrer Hand griff: „Kindchen, ruhig Blut. Wir haben einen Tisch nahe der Bühne reserviert für zehn Personen!“

Alle mussten lachen, Glinda errötete.

Sie warteten noch kurz, bis der Großteil der Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, erst dann schlossen sie sich dem Rest der einströmenden Masse an.

Meredith und Reseda gingen Hand in Hand voraus, da Mer als einzige wusste, wo der reservierte Tisch stand. Kurz hinter den beiden gingen Ramón und Glinda, Arm in Arm, während Elaine in der Menge Orez erspäht hatte.

„Orez!“, rief sie vorsichtig. Der Kutscher drehte sich um.

„Hier!“, winkte die zierliche Dame in schwarz. Orez eilte zu ihr.

„Ah, euch habe ich schon gesucht. Guten Abend, die Dame!“, nickte Orez ihr lächelnd zu und bot ihr seinen Arm an. Elaine akzeptierte ihn dankend und die beiden schlossen sich dem Kleintrupp an, der nun den reservierten Tisch erreicht hatte.

Ramón, Orez und Meredith übernahmen die Rolle der Männer und boten ihren Damen den Platz an und schoben ihnen die Stühle heran. Eine jede lächelte ihren ‚Seater’ dankend an.

Als alle saßen und nun auch die letzten Gäste angekommen waren und ihre Plätze gefunden hatten, bestellten sie eine Runde Getränke.

Ramón entschuldigte sich und eilte dem Kellner hinterher. Glinda unterhielt sich derweil angeregt mit Reseda und Elaine über Ozianischen Walzer, während Orez die Buffetkarte studierte. Meredith war mit ihren Blicken Ramón gefolgt und sah, wie er dem Kellner irgendetwas in die Hand drückte und ihm ins Ohr flüsterte. Dann verschwand er auf der Toilette.

Reseda bemerkte die gedankliche Abwesenheit ihrer Sitznachbarin und stupste sie an: „Alles in Ordnung?“, fragte sie leise.

Murmelnd antwortete Mer: „Ramón wird mir immer unsympathischer.“

Reseda wollte gerade weiterfragen, als Ramón zum Tisch zurückkehrte und mit seinen Fingern Glindas Rücken streifte. Diese schenkte ihm ein Lächeln.

„Was hast du denn mit dem Kellner verhackstückt?“, rief Meredith zur Verblüffung von allen über den Tisch.

Resi liebte ihre Direktheit, doch manchmal konnte das auch zu Problemen führen. Sie hielt die Luft an.

Ramón lachte: „Ich habe ihm gesagt, dass dieser Tisch hier den ganzen Abend mit Getränken versorgt werden soll, sobald ein Glas leer ist!“

„Oh supi!“, Glinda klatschte in die Hände und gab Ramón einen Kuss auf die Wange.

„Bravo!“, antworte Meredith mit einem zerknirschten Lächeln.

Bevor Ramón sich zu Glinda wendete, sah er sie kalt an und dachte: ‚So leicht nicht, meine Liebe. So leicht nicht.’

Elaine und Reseda hatten die Blicke zwischen den beiden bemerkt, sahen sich an und zuckten mit den Schultern.

„Falsches Aas!“, knurrte Meredith und Reseda legte eine Hand auf ihren Rücken.

Ramón und Glinda saßen mit dem Gesicht zur Bühne. Neben Glinda saß Orez, gefolgt von Elaine, dann Reseda und zum Schluss Meredith. Noch vier Plätze waren frei. Zwei davon waren für Glindas Eltern vorgesehen, welche noch immer auf einen Überraschungsbesuch hoffte.

„Es tut mir leid wegen eben…“, säuselte Ramón der blonden Schönheit gerade ins Ohr, „Ich wollte dich nicht verärgern.“

„Mir tut es auch leid…“, antwortete Glinda und bekam als Antwort einen Kuss auf die Wange.

Sie konnte nicht riskieren, dass sie diesen Abend alleine durchstehen musste und da Orez sich neben sie gesetzt hatte, obwohl sie auf Elaine oder Meredith gehofft hatte, blieb nun nur noch Ramón.

„Londaro! Hier drüben!“, Meredith winkte ihrem Sekretär zu, der lächeln zu ihrem Tisch herübereilte.

„Oh, wunderbar!“, sagte er begeistert und setzte sich auf seinen Platz. „Guten Abend meine Damen und Herren!“, er nickte freundlich in die Runde und nahm neben Ramón Platz.

„Für wen sind denn jetzt die letzten drei Plätze?“, fragte Elaine neugierig.

„Oh!“, kam Ramón Glinda zuvor, „Nachdem Glindas Eltern anscheinend verhindert sind, war ich mal so frei und…“

„Guten Abend!“, eine flötende Frauenstimme durchschnitt das Gemurmel am Tisch.

Glinda sprang vor Freude und Erstaunen auf: „MILLA!“, rief sie aus und fiel der etwas rundlicheren Frau um den Hals. „Sag bloß nicht du bist…??“, fragte die verblüffte Blondine. Milla nickte lachend und deutete auf den Mann neben ihr: Darf ich vorstellen, mein Mann Marec.“

„Schön, Sie endlich mal kennen zu lernen, Fräulein Hochborn!“, nickte der Mann.

„Gleichfalls!“, nickte Glinda. „Aber für Ehemänner meiner Freunde bin ich Glinda!“, ergänzte sie lachend. Die ganze Runde kicherte, begrüßte dann das neue Pärchen und unterhielt sich wieder miteinander. Ramón war aufgestanden und hatte seinen Arm um Glinda gelegt.

„Was macht ihr beiden hier? Ich dachte, ihr wärt zurück nach Gillikin gezogen?“, blubberte Glinda erfreut.

Milla lachte: „Sind wir auch, aber zum Fest wurden wir von dem netten Herren da“, sie zeigte auf Ramón, „eingeladen und konnten natürlich nicht ablehnen!“

Ramón lächelte, als Glinda ihn dankend umarmte.

„Fabulööös!“, kicherte sie. Ihre Locken hüpften mit. „Setzt euch doch, setzt euch doch!“ und beide Pärchen nahmen Platz.

„Woher kennst du Milla?“, fragte Glinda ihren Begleiter nun leise und offensichtlich verwirrt.

„Ich kenne sie nicht.“, entgegnete Ramón schmunzelnd.

„Ach, wieder so eine tolle Zuggeschichte?“, fragte Glinda, etwas schnippisch.

„Nein, ganz und gar nicht. Erinnerst du dich an unsere Gespräche über Shiz? Du hast Milla und Schenschen erwähnt, nur eine der beiden war verhindert und die andere habe ich erreicht – wie du siehst!“, antwortete er gelassen und sehr selbstzufrieden.

Dann fiel sein Blick auf eine näher kommende Frau: „Apropos Zuggeschichte. Sieh mal, wer da noch kommt.“

„Oh nein, bitte nicht!“, zischte Glinda, als sie die Reporterin näher kommen sah.

„Guten Abend zusammen!“, grüßte die Frau die Runde. „Guten Abend!“, hallte es wieder.

„Ich lade mich ja ungern selber ein… “

‚Ja, da wette ich drauf.’, dachte Glinda genervt.

„… aber ich würde gerne wissen, ob ich mich solange zu Ihnen setzen kann, bis die Veranstaltung eröffnet wird?“ Die Frau lächelte freundlich in die Runde.

Glinda antwortete, so freundlich wie es ihr möglich war: „Tut mir leid. Hier ist reserviert.“

Zur ihrer Verblüffung antwortete die Frau: „Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber Ihre Eltern sind doch verhindert, nicht? Und wie ich sehe, wurde ein Platz schon umreserviert, dann wäre der zweite Platz ja noch frei?“

Bei den Worten über ihre Eltern hatte Glinda gestockt: ‚Woher weiß sie das denn?’, hatte sie misstrauisch gedacht.

Ramón hatte seiner Schwester einen warnenden Blick zugeworfen, Londaro hatte sich geräuspert und Orez tat so, als würde er die Speisekate nun schon zum 99. Male studieren.

„Ja, bitte, setzen Sie sich doch. Es macht uns nichts aus!“, hatte Ramón dann die Initiative ergriffen und Glinda lächelte nickend: „Ja genau, es macht uns nichts aus. Ich vergaß!“

Sie wollte der Frau nicht den Genuss gönnen und schmollen.

Reseda hatte Meredith zugeflüstert: „Wer ist das?“, doch ihre Frau hatte nur ahnungslos dreingeblickt und mit den Schultern gezuckt.

Nun war der Tisch komplett. Ramón war zufrieden. So hatte er das geplant. Jetzt musste Londaro nur noch mit seiner Show beginnen…

Und das tat er auch. Offensichtlich von der ‚fremden’ Frau begeistert, stellte er sich vor und fragte sie nach ihrem Namen. Sie antwortete so laut, dass sogar Glinda es verstand:

„Ich bin Elfina Rob. Aber nenne Sie mich bitte Elfi. Ich bin extra für diese zwei Tage aus dem Winkus angereist.“

Bei dem Namen wurde es Glinda schwarz vor Augen. Irgendwie hatte sie plötzlich das Gefühl, in ein abgekartetes Spiel involviert zu sein.

„Aaaah!“, sagte Londaro gerade verständnisvoll, „Kann es sein, dass Sie aus einer adligen Familie abstammen? Das würde Ihr herausstechend gutes Aussehen erklären. Normalerweise sind die Leute aus dem Winkus ja eher…“ „Durchwachsen? Wetterfest?“, lachte Elfi. „Ja, das haben Sie gut beobachtet, aber den Adelstitel habe ich abgelegt. Da habe ich kein Interesse dran.“

„Entschuldigt mich bitte kurz…“, murmelte Glinda und stützte sich auf den Tisch, um aufzustehen. Meredith hatte mitgehört und war sofort neben ihrer Freundin, um sie zu stützen. Gemeinsam entfernten sie sich ein paar Schritte vom Tisch.

Meredith wusste, was los war, also fragte sie auch nicht nach. Glinda jedoch fühlte sich lächerlich der Rothaarigen gegenüber, weil sie vermutete, dass nur sie selber wüsste, dass es am Namen der unglaublich arroganten Frau gelegen hatte, der sie hart getroffen hatte.

Glinda rang nach Atem: „Ich glaube … mein Kleid sitzt einfach ein bisschen eng!“

„Beruhige dich, Liebes. Wir sind jetzt gleich dran!“, antwortete Meredith mit einem Blick zur Bühne, welche der Veranstalter gerade bestieg. Dann schaute sie auf das Zifferblatt: 21 Uhr.

„Jetzt geht es los!“, flüsterte Meredith der kleineren Blonden zu und das Licht wurde von Zauberhand gedämmt, nur der Herr im weißen Frack, der auf der Bühne stand, war noch hell erleuchtet.

Die etwas ältere, rothaarige Frau nahm Glinda bei der Hand, sah ihr in die Augen und fragte leise: „Bist du okay?“ Glinda nickte nur, ihr Blick war auf den Boden gerichtet.

Dann merkte sie, wie Meredith sie wieder zu ihrem Platz führte.

Im Saal wurde es still und ein Applaus setzte ein.

Glinda setzte sich wieder auf ihren Platz und fühlte sofort Ramóns Hand auf ihrem Knie.

„Gib mir bitte mal meinen Zettel…“, hauchte sie, noch immer war ihr nicht ganz wohl in ihrer Haut.

Ramón schob ihr einen pinken Papierstreifen zu, auf welchen Glinda ein paar Worte gekritzelt hatte.

Sie hörte dem Veranstalter gar nicht zu.

„… Begrüßen Sie mit mir Meredith Schiforsan, unsere ‚Mutter Meredith’!“

Lauter Applaus ließ Glinda von dem Stück Papier aufblicken.

Elegant nahm Meredith Stufe für Stufe. Als der Applaus abebbte, nickte sie dankend in die Menge:

„Guten Abend, meine lieben Damen und Herren. Ich freue mich, dass Sie alle so zahlreich erschienen sind. Zu Anfang….“

Glinda hörte nicht mehr hin. Sie wollte sich ihre eigene rede abermals zu Gemüte führen, denn wenn sie dort oben im Rampenlicht nur einmal den faden verlieren würde, dann … ‚Ja..’, gestand sich Glinda ein, ‚Dann ist es vorbei. Dann breche ich zusammen. Ich kann das nicht… Erst dieser dumme Auftritt an der Kutsche, dann diese blöde Reporterin und ihr Name und dann noch eine Milla, die mich vollquatscht, wie sie Elphaba verabscheut hat… Ich kann nicht mehr.’

Ramón bemerkte, dass seine blonde Schönheit angespannt war und langsam verzweifelte. Der Plan mit Milla war unglaublich gut aufgegangen.

Glinda hielt das Papier in beiden Händen, ihre Unterarme lagen auf dem Tisch. Bereit, endlich aufzugeben, legte sie ihren Kopf auf die Unterarme.

Plötzlich fühlte sie eine weiche, warme Hand ihren Oberarm streicheln. Sie blickte auf und sah in Elaines schönes Gesicht, welches sie besorgt anschaute. Orez hatte sich weit in seinem Stuhl zurückgelehnt, als Elaine über ihn nach Glindas Arm gegriffen hatte. Er wollte die interessante Interaktion der beiden Frauen nicht stören.

Glinda lächelte sie dankend an und fühlte sich etwas sicherer. „He, Safrannase, schönes Köpfchen hoch!“, flüsterte Elaine so leise, dass Glinda es selber kaum verstand.

Beide Frauen kicherten und grinsten sich geheimnisvoll an.

Glinda hatte nur mit halbem Ohr zugehört, während Meredith irgendetwas über das Wetter und Notausgänge gefaselt hatte.

Reseda schien ganz gefesselt und starrte ihre Mer mit liebenden Blicken an.

Elfi hatte die Tischrunde inklusive ihrer Kamera verlassen und knipste nun mal hier und mal dort.

Glinda nahm einen Löffel von ihrem Platzdeckchen und versuchte, sich in der Wölbung zu spiegeln. Ramón strich ihr mit seinem Handrücken über die Wange und kicherte: „Du siehst fantastisch aus, mein süßes Früchtchen.“

Peinlich berührt legte Glinda den Löffel wieder hin, als Meredith Stimme gerade die Halle füllte: „… und aus diesem Grund darf ich Ihnen nun Fräulein Glinda von Hohenhochborn ankündigen, meine Vorgesetzte und Freundin und unsere ‚Glinda die Gute’….“

Ein tosender Applaus brach aus und von irgendwoher wurde Glinda mit einem Lichtstrahl beleuchtet, der mit ihr zu wandern schien. Lächelnd stand sie auf und bahnte sich ihren Weg zur Bühne. Die Stufen, die sie hochstieg, wollten kein Ende nehmen und Glinda dachte, sie würde rückwärts wieder hinunterfallen.

Doch dann stand sie oben. Meredith trat vom Mikrofon zurück und deutete ihr mit beiden Armen den Platz, wo sie selber vorher gestanden hatte.

Glinda atmete tief ein und wieder aus. ‚Jetzt oder nie…’, dachte sie, ‚Nur fünf Minuten. Kurze fünf Minuten…’

Dann konzentrierte sie sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Auch als Glinda vor dem Mikro stand, nahm der Applaus kein Ende.

Beschwichtigend hob sie beide Hände und setzte endlich ihr Lächeln auf. Meredith dachte schon, sie hätte es auf ihrem Platz vergessen. Sie hatte sich nicht weit hinter Glinda gestellt um im Falle eines Falles die zierliche Blonde auffangen zu können.

Doch Glinda richtete sich auf und schob mit aller Kraft die Gedanken an Elphaba zur Seite. Dann stellte sie sich einen großen Schrank vor, in dem sie alle ihre Emotionen aufbewahrte und machte ihn in Gedanken zu. Sie konnte es bildlich vor sich sehen.

Dann ebbte auch ihr Applaus endlich ab.

Nur eins hatte Glinda sich vorgenommen – sie würde Elphabas Namen weder aussprechen, noch weiter beschmutzen.

Sie holte Luft und sprach:

„Meine Lieben ozianischen Mitbürger!

Dies ist ein Tag dankbarer Freude!

Lasst uns jubilitiern, der Tugend droht nicht mehr

die Bösigkeit von der ‚ihr wisst wer’.

Am Ende siegt doch steht’s - das ist das Wunderbare-

das Gute, Schöne, Wahre.

Was vor so langer Zeit auch war,

genau heute ist es ein Jahr,

dass wir feierten so groß

im ganzen Lande Oz.

Und heute ist der erste Feiertag,

drum feiert wie es Glinda mag –

Feiert ausgelassen und seid fröhlich,

denn auch ein Regentag ist herrlich,

wenn der Anlass dieser ist,

dass niemand die Hexe hier vermisst.
 

Hiermit ist die Veranstaltung offiziell eröffnet! Bedient Euch am herrlichen Buffet und lasst es Euch schmecken!“

Tobender Applaus schlug Glinda entgegen. Sie atmete tief durch. ‚Geschafft!’, dachte sie erleichtert. Meredith trat einen Schritt nach vorne und bot Glinda den Arm an. Diese nickte noch einmal lächelnd in die Menschenmenge, flüsterte ein „Danke, danke!“, in die Runde und harkte ihren Arm in den von Meredith.

Der Applaus der Menge fand diesmal ein schnelles Ende, da der Hunger der anderen größer war, als ihre Applaudierausdauer.

Als die beiden Frauen von der Bühne stiegen, beobachtete Meredith das wilde Treiben an den drei Buffettischen: „Sieh dir das an!“, lachte sie, „Wie die Ausgehungerten!“

„Allerdings!“, nickte Glinda lachend.

„Oh oh…“, kicherte Meredith plötzlich neben ihr. Die Blondine sah die kichernde Frau fragend an und folgte dann ihrem Blick. Sie sah, wie Reseda auf die beiden zugelaufen kam.

„Was ist denn?“, Glinda verstand nicht, was Meredith ihr damit sagen wollte.

„Du musst wissen, meine öffentlichen Auftritte haben auf Resi eine… sehr …. spezielle Wirkung.“ Nun hatte Glinda verstanden, doch Meredith redete weiter: „Sie wird davon…“

„Jaaaaaaaaaaaa…!!!“, unterbrach Glinda, die nun einen hochroten Kopf hatte. „Ich habe es verstanden.“

Meredith lachte auf, als Reseda die beiden erreichte. Bevor Glinda sich versah, stand sie alleine auf der untersten Stufe. Resi hatte ihre Mer an die Hand genommen und sie davon geschliffen. Über die Schulter hatte sie Glinda zugerufen: „Du entschuldigst uns mal bitte kurz…“ und Meredith hatte ihr einen viel sagenden Blick zugeworfen und dabei hilflos mit den Schulter gezuckt. Glinda hatte Meredith angelacht und tonlos mit den Lippen ein ‚Viel Spaß’ formuliert.

Beruhigt stellte sie auf dem Weg zurück zum Tisch fest, dass die Vorstellung mit dem Gefühlsschrank ihr wirklich half. Sicher wusste sie, dass sie die Gefühle irgendwann rauslassen und verarbeiten müsste, aber nicht heute Abend, sagte sie sich.

Erleichtert sah sie, dass das Fräulein Elfi Rob nicht am Tisch saß. Genau genommen saß eigentlich niemand mehr am Tisch, außer Elaine. Verwundert erreichte sie ihren Stuhl.

Als Elaine sie kommen sah, sprang die jüngere Frau auf und drückte Glinda schnell. „Glinda, du warst toll! Ich mag deine Stimme sehr.“

„Oh… Danke. Das freut mich!“ Beide Frauen erröteten leicht.

„Aber sag mal, wo sind denn all die anderen hin?“, fragte Glinda nun.

„Milla und Marec stehen am Buffet an. Meredith und Reseda sind auf Toilette, glaube ich und die drei Männer von uns sind raus. Ich glaube, sie rauchen eine. Darf man ja nur draußen oder in der Vorhalle.“, kam die Antwort prompt.

„Wie? Ramón raucht?“, Glinda war verwirrt.

„Ein rauchender Schönling!“, nickte Elaine.

‚Ein rauchender Schönling, rauchender Schönling, Schönling’ hallte es in Glindas Kopf wieder. Wie viel Wein hatte sie schon getrunken? Irgendwann nach fünf Gläsern hatte sie den Überblick verloren. Aber erst jetzt merkte sie, wie ihr leicht schwindelig wurde.

Sie setzte sich.

„Möchtest du nichts essen?“, fragte Elaine verwundert. Alleine bei dem Gedanken an Essen wurde Glinda schon übel. Sie hatte es zwar geschafft, nicht über diese ‚Dinge’ nachdenken zu müssen, aber ihr war es nicht möglich gewesen, die Wirkung dieser ‚Dinge’ auf ihren Körper abzustellen.

Sie fühlte sich noch immer Fehl am Platze und alles andere als wohl in ihrer Haut.

„Ich habe keinen Hunger.“, war jedoch schließlich die Antwort, die Elaine erhielt.

„Okay!“, antwortete die Brünette und ließ sich auf den Platz fallen, auf welchem Orez vorher gesessen hatte.

„Wie? Neeein, geh du doch bitte zum Buffet! Das Essen ist erste Sahne.“, kaum hatte Glinda das ausgesprochen, fingen beide Frauen an, herzhaft zu lachen.

Als Elaine sich einigermaßen beruhigt hatte, sagte sie: „Ja, gleich. Wenn Milla wieder da ist. Oder einer von den Männern. Aber sag mal ehrlich… Du bist mit so einem schnatternden Weibsbild befreundet gewesen?“

Glinda schaute sie nun mit großen Augen an. In solchen Situationen fiel ihr immer wieder auf, wie Direkt ihre Freundin doch war. Aber das lag vielleicht auch an ihrer eher weniger adeligen Abstammung. „Gesellschaftliches Geplänkel…“, antwortete Glinda murrend, musste aber grinsen.

„Ich verstehe!“, nickte Elaine lachend.

Es dauerte nicht lange, als Marec und Milla wieder kamen. Glinda blickte zum Buffettisch in ihrer Nähe. Er war total überfüllt. Bewundernd fragte sie: „Sagt mal, wie habt ihr das denn geschafft?“

„Baby-Bonus!“, meinte Milla und grinste breit. Sie hatte sich zwei ganze Teller vollgeladen und Glinda stellte beruhigend fest, dass nicht jede so zunehmen musste, wenn sie schwanger war.

Glinda leerte abermals ihr Weinglas und wunderte sich. Es war doch eben noch leer gewesen, als sie auf die Bühne gestiegen war.

„Ich werde mal Ramón suchen gehen!“, sagte sie zu den dreien und verschwand in der Menge. Elaine machte sich auf den Weg zum Buffet.

Glinda fand Ramón in der Vorhalle und … „Also so was…“, murmelte Glinda. Er hielt eine Zigarette in der Hand. Als er Glinda kommen sah, machte er sie schlagartig aus.

„Liebling!“, er grinste breit. „Na du kleiner Raucher.“, murmelte sie und wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum, zum Zeichen, dass er müffelt.

„Verzeihung!“, er errötete.

„Na? Was macht ihr Feines?“, fragte Glinda neugierig.

„Männerthemen!“, Ramón lachte.

Orez und Londaro hoben zum Gruße die Hand. Glinda erwiderte den Gruß und meinte nur: „Ist gut. Bis nachher!“ als sie sich umdrehte und ihrem Ramón einen Kussmund zuwarf.
 

Meredith und Reseda kamen gerade kichernd aus der Damentoilette in der Vorhalle, als sie Glinda weggehen sahen. Resi umarmte ihre Frau noch ein letztes Mal und knabberte ihr kichernd am Ohr, als Meredith eine bekannte lachende Stimme vernahm: „Das wird ein Kinderspiel!“

Sie drückte Resi sanft von sich weg. „Hee?“, wunderte sich diese.

„Sssht!“, war die Antwort und Meredith drehte sich um. Sie sah Londaro, der lachte. Es war seine Stimme gewesen. Orez und Ramón waren auch dort, sie nickten und stiegen mit in das Gelächter ein.

Reseda hatte begriffen, was gerade passiert war und murmelte: „Das gefällt mir irgendwie gar nicht…“

Orez hatte die beiden Frauen im Augenwinkel entdeckt. ‚Mist!’, dachte er. Nun musste er sich etwas einfallen lassen.

Gerade so laut, dass die beiden es hören konnten und so leise, dass es nicht auffiel, wie geplant diese Aussage war, meinte er: „Na klar wird das ein Kinderspiel! Der Heiratsantrag wird unsere Glinda aus den Schuhen hauen!“ Die anderen beiden Männer hielten inne.

Die beiden Frauen sahen sich verwundert an. Orez saß mit dem Rücken zu ihnen, was auch der Grund war, warum sie seine Blicke nicht sehen konnten. Nach einer kurzen Pause plauderten die drei Männer über diesen besagten Antrag, als wäre nichts geschehen.

„Ich glaube davon nicht ein Wort!“, zischte Meredith, als sie wieder zurück in den Hauptsaal gingen. „Dito.“, murmelte die Brünette an ihrer Seite.

Als das Pärchen wieder an den Tisch zurückkehrte, fanden sie nur Elaine, Milla und Marec, die beim Essen eine Diskussion über das richtige Putzmittel begonnen hatten. Nun, Marec saß eher gelangweilt daneben, als Milla gerade meinte, es wäre ein großer Unterschied, ob man mit weißem oder grünem Ozopper putze.

„Rette du Marec, ich hole uns etwas zu Essen!“, flüsterte Resi und Meredith setzte sich neben den armen einzigen Mann am Tisch. Keine zwei Minuten später waren sie in das stinklangweilige Thema, so befand es zumindest Milla, ‚Politik’ vertieft.

Reseda machte sich auf zum Buffet. Auf dem Weg dorthin fand sie Glinda, die sich gerade angeregt mit einem anderen Politiker unterhielt. „Resi!“, rief sie, als die Brünette sich näherte. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment. Ich bin gleich wieder da!“, versprach sie dem älteren Herrn lächelnd.

Die Brünette, welche Glindas Größe hatte, musste die Blondine festhalten, damit sie nicht umfiel. „Glinda, geht es dir gut?“, fragte sie besorgt. Glinda kicherte beschwipst: „Böser Wein! Bööööser Wein!“, sie kicherte weiter. „Aber Resi, weißt du was?“, fragte sie angespannt. Reseda sah sie skeptisch an: „Was?“, fragte sie trocken. „Ich habe eben mit einer Frau gesprochen, die ihrem Kind tatsächlich erzählt hat, die böse Hexe würde schlafen. Für immer und ewig. Ist das nicht bescheuert?“ Glinda wollte sich mit ihrer rechten Hand an die Stirn tippen. Beim ersten Versuch tippte sie vorbei und ihr Finger streifte ihren Hinterkopf. „Hupsi!“, kicherte Glinda und versuchte es ein zweites Mal, mit Erfolg.

„Ist ja auch egal!“, lachte Glinda schrill und drehte sich wieder zu dem älteren Herrn um, der geduldig gewartet hatte.

Mit dem Schlaf der Hexe hatte die Frau nicht unrecht gehabt. Doch er war nicht für immer und ewig. Genau genommen sollte die Hexe keine fünf Stunden Schlaf mehr haben. Doch davon wusste niemand etwas. Nicht einmal sie selber…

Reseda wusste nicht so ganz, was sie tun sollte. Am Buffet war nicht mehr allzu viel los, also holte sie sich zwei Teller und eilte, so schnell es die Menschenmasse zuließ, zurück zum Tisch. Es war schon 21:30 Uhr und soweit sie von Meredith informiert worden war, sollte der Tanzteil nun bald beginnen.

„Meredith?“, flüsterte sie, als sie sich auf den Stuhl neben ihrer Geliebten niederließ. Diese sah sie fragend an: „Ja?“

„Ich glaube, Glinda ist betrunken…“

Meredith seufzte: „Wo ist sie denn?“ „Eben stand sie noch am ersten Buffettisch mit einem grauhaarigen Mann und lustigem ZickZack-Schnurrbart!“, war die Antwort.

„Ohje, sie muss wirklich betrunken sein!“, stellte Meredith fest und erntete dadurch einen fragenden Blick ihrer Frau.

„Naja…“, fuhr sie fort, „Das ist Fürst von Niedertal und es ist allbekannt, dass er auch gegen die Tiere damals vorgegangen ist. Ich suche sie besser. Glinda hasst ihn!“

Und schon war die Rothaarige in der Menge verschwunden. Reseda ignorierte die neugierigen Blicke der drei anderen an ihrem Tisch und begann zu essen.

‚Oz im Ballon! Wo steckst du, Glinda?’, schimpfte Meredith in Gedanken. Fürst von Niedertal saß am Tisch und aß, einzig und allein in Begleitung seiner Frau und seinen Freunden. Ein Blick in die Vorhalle verriet Meredith, dass die Männer noch immer alleine einen über den Durst tranken und mal wieder eine rauchten. Beim genaueren Hinsehen jedoch fiel ihr auf, dass es nicht Ramón war, der nun dabeisaß.

Sie hatte nun keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen: ‚Ich muss Glinda finden…’

Ruckartig drehte sie sich um und hätte beinahe eine ältere Dame umgelaufen. „Oh, Verzeihung!“, entschuldigte sich Mer, leicht errötend und eilte davon.
 

Auf der anderen Seite des Raumes hatte Ramón endlich seine Schwester gefunden: „Aylin! Wo hast du gesteckt?“, fragte er böse. „Lass mich los, Ramón! Ich arbeite für die Presse. Hast du das schon vergessen?“ Ramón rollte genervt mit den Augen. „Ist ja schon gut. Hast du ein paar tolle Aufnahmen?“

Aylin nickte: „Na klar. Einer von uns beiden muss seinen Job richtig machen.“

Ramón trat einen Schritt näher an seine Schwester heran und flüsterte zischend: „Was bildest du dir eigentlich ein, du klei…“

„Ramón und … El… Fräulein Rob! Sagt mal ihr zwei, findet ihr das nicht ETWAS unverschämt?“, maulte Glinda, die hinter Ramón aufgetaucht war. Sie konnte den Vornamen dieser bodenlos hinterhältigen Frau nicht aussprechen.

„Glinda!“, erschrocken fuhren die beiden auseinander und Ramón drehte sich um.

Die blonde Schönheit warf ihm einen viel sagenden Blick zu, drehte sich um und wollte gehen, als Ramón sie am Arm packte. „Ich habe sie doch nur gebeten, dass sie ein paar Fotos löscht!“

Trotz des Alkohols spürte Glinda etwas Merkwürdiges in sich vorgehen. Als hätte etwas *KLICK* gemacht. Irgendetwas missfiel ihr an dieser Frau. Irgendetwas war noch nicht ganz klar. Irgendwas…

„Glinda?“, Ramón legte seine Hand auf ihren Arm. „Lass mich los! Meinst du, ich glaube dir so eine dumme Geschichte?“, maulte die Blondine ihn an.

‚Meine Güte, mein Bruderherz hat null Ahnung davon, wie reiche Frauen ticken…’, Aylin alias Elfi rollte mit den Augen und griff ein: „Nein, sollst du nicht. Wenn du es genau wissen willst, du kleines Blondchen, ich finde deinen Kerl zum Anbeißen und nun hat er mich schon zum zweiten Mal abgewiesen. Im Zug wollte er auch nicht. Hast ihn wohl feste um deinen kleinen, dummen Prinzessinenfinger gewickelt, was?“, bellte Elfi Glinda entgegen.

Aus den Gesichtern der blonden Geschöpfe konnte man nicht entnehmen, wer von ihnen mehr verblüfft war, aber anscheinend fruchtete diese Lüge besser, als die von Ramón.

„Noch einen Ton und ich lasse Sie entfernen, meine Liebe.“ Der Alkohol hatte nachgelassen und Glinda konnte sich beherrschen, den Satz ohne Zischlaute zu sprechen.

Das war auch der Grund, warum Glinda nun die Frage formulieren konnte, die bisher in ihrem Inneren gebrodelt hatte: „Ach und erklären Sie mir doch mal bitte, was Sie vorhin am Eingang mit der Frage gemeint haben, wie ich das Denk….“

„Glinda!“, unterbrach Meredith die angespannte Atmosphäre. Sie spürte, dass sie da gerade in etwas reingeplatzt war.

„WAS?“, rief Glinda und drehte sich zu der Stimme um. Als sie in Meredith grüne Augen schaute, die sie fest anblickten, entwich ihr ein: „Ohje, Entschuldige… Ich..“

Meredith ließ die nun verwirrte Frau nicht ausreden, nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich: „Komm. Wir müssen uns mal unterhalten.“

Ramón wollte ihnen folgen, aber als Meredith sich vor ihm aufbaute, blieb er wie angewurzelt stehen: „Mein Freundchen, DU bleibst besser mal hier. Und deine komische Freundin da drüben auch!“ Der Satz kam der Rothaarigen ganz ruhig über die Lippen, aber innerlich brodelte sie. Ihre 41 Jahre verliehen ihrer Stimme eine Autorität, der selbst Ramón nicht standhalten konnte. Er erwiderte nichts und konnte nur zusehen, wie Meredith mit seinem ‚Früchtchen’ an der Hand in der Menge verschwand.
 

Meredith führte Glinda in die Vorhalle, wo sich beide Frauen in eine stille Sitzecke zurückzogen. Glinda hatte ihre Hände gefaltet und ihr Blick ruhte auf den ineinander verflochtenen Fingern.

„Glinda, ich werde jetzt ganz ehrlich zu dir sein. Denkst du, du verkraftest das?“

Die angesprochene Frau hob den Kopf nicht, sie nickte nur.

„Okay!“, Meredith atmete ein. Sie wusste, dass Glinda momentan in keiner guten Verfassung war. Außerdem wusste sie, dass Ramón gefährlich und ihre Liebste gerade alleine war. Die Zeit drängte also. ‚Die einzige, die hier bei diesem Desaster richtig aufgeräumt hätte, wäre wohl Elphaba gewesen…’, fügte Meredith in Gedanken noch hinzu.

„Glinda, ich traue Ramon nicht. Noch weniger traue ich diesem Weibsbild. Irgendetwas geht hier vor. Ich weiß nicht was es ist. Aber er ist ein Schnösel. Und er ist falsch. Sag, liebst du ihn?“

Nun hob Glinda den Kopf. Fassungslos starrte sie Meredith an: „Für was hälst du mich? Ich finde ihn nach heute Abend nicht mal mehr ‚nett’. Ich traue ihm auch nicht mehr und ja, auch ich glaube, ich bin hier in einem abgekarteten Spiel gefangen. Diese komische… Elfina – bei der ist mir nicht wohl. Die stecken bestimmt unter einer Decke, wenn hier irgendwas läuft. Glaubst du, das hat was mit den Unruhen zu tun?“

Meredith zuckte mit den Schultern, dann fragte sie: „Aber was hast du denn an diesem Schnösel gefunden?“

Glinda blickte nun schuldbewusst drein: „Das hört sich jetzt vielleicht sehr kindisch und egoistisch an, was es im Endeffekt auch ist, aber… aber er hat mir das Gefühl gegeben, wieder ich selber zu sein. Er hat mich auf Händen getragen und mich abgelenkt. Ich dachte, wenn das für immer so weitergeht, komme ich vielleicht irgendwann über…“, Glinda stockte.

„Elphaba?“, fragte Meredith vorsichtig. Bewusst benutzte sie nicht die Verniedlichung ‚Elphie’, was in Anbetracht der Anwesenheit von Elfi-Presse-Piranha zu Missverständnissen hätte führen können.

Die blonde Frau blickte in stechend grüne Augen und irgendwie überkam sie das Gefühl, dass Meredith mehr wusste, als sie selber. „Du weiß es, oder?“, flüsterte Glinda, den Tränen nahe.

Vorsichtig nickte die Rothaarige: „Ich glaube, ja. Zumindest weiß ich genug, um dich zu verstehen, dass das hier eine größere Last für dich ist, als du ertragen kannst. Willst du gehen?“

Glinda konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, ihr Gefühlsschrank platzte in Gedanken unter dem Druck auf und sie ließ ein paar Tränchen kullern. Meredith hatte sich auf die Stuhllehne von Glindas Stuhl gesetzte und wiegte sie sanft im Arm. Auch sie kämpfte um Fassung und Kontrolle und sagte dann: „Wir können direkt jetzt fahren, wenn du das willst. Du kannst auch heute bei uns schlafen.“

Glinda schnüffte einmal kurz auf und sagte dann etwas kontrollierter: „Ja, bitte. Lass uns gehen!“

Meredith stand auf und bot Glinda ihre Hand an. Mit der anderen wischte sie Glindas Tränen weg.

Die Blonde Frau, nun ein wenig erleichterter, griff die Hand und die beiden betraten wieder den Hauptsaal.

„Fräulein Hochborn!“, ertönte eine Stimme, kaum dass sie den Saal betreten hatten. „Da sind Sie ja endlich! Kommen Sie, Sie müssen den Ball eröffnen und den ersten Tanz tanzen!“

„Ach du heilige Lurline…“, hauchte sie, als der Veranstalter Glindas Arm nahm und sie von Meredith wegzog. Hilflos blickte Glinda sich zu einer noch hilfloser dreinblickenden Meredith um.
 

Als Meredith mit Glinda verschwunden war, stand Ramón wie angewurzelt und funkelte der Rothaarigen böse hinterher. „Na Bruderherz, der kannste wohl nicht das Wasser reichen, was?“, hatte seine Schwester lächelnd gefragt. „Halt den Mund!“ Er wäre beinahe handgreiflich geworden. Schließlich hatte er Übung darin.

Seine Schwester ignorierte den befehl ihres älteren Bruders: „Was machen wir mit den beiden? Mit der Rothaarigen und ihrer Freundin, meine ich. Ich glaube, sie werden uns einen Strich durch den Plan machen, wenn wir nichts unternehmen!“

Ramón nickte, er hatte da schon eine Idee. „Hör mir jetzt genau zu…“, hatte er begonnen und nach kurzer Zeit war seine Schwester in der Menschenmenge verschwunden.

Der blonde Herr hatte Ausschau nach dem Veranstalter gehalten und ihn gefunden. Es hatte ein wenig Überzeugungskraft in Form von seltenen Edelsteinen gekostet, bis der gute Herr genickt hatte und abgerauscht war.

Zufrieden hatte Ramón sich an den Tisch gesetzt und Orez losgeschickt, die kleine Änderung des Plans weiterzugeben.
 

Glinda rauschte an ihm vorbei. Sie blickte sich ständig um, als suchte sie irgendwas oder irgendwen. Dann sah er, wie die rothaarige Person herbeieilte, doch Glinda stieg schon die Stufen zur Bühne hoch. Meredith warf ihm einen verächtlichen Blick zu und flüsterte mit ihrer Frau. Ramón verspürte das Bedürfnis, sie bei den Schultern zu packen und zu rütteln und zu schütteln, bis sie nichts mehr sagte. Seine Hände verkrampften und kniffen sich in die eigenen Oberschenkel. Vor Schmerz stöhnte er auf, dann wurde es dunkel im Saal.

Ramón ließ seine Blicke im Dunkeln schweifen und nickte dem Kellner zu, der Elaine, Reseda und Meredith daraufhin ein neues Glas gab und die alten mitnahm. Die Frauen schienen nichts zu bemerken, ihre Blicke starrten die Frau auf der Bühne an, welche dort oben sichtlich um Fassung rang. Gespannt wartete Ramón ab… Meredith war die erste, die an ihrem Wein nippte, während Reseda kurze Zeit später drei kräftige Schlücke nahm. Elaine nippte hin und wieder, bis ihr Glas nur noch halb voll war. Zufrieden lehnte sich Ramón in seinem Stuhl zurück und blickte nun auch zur Bühne.

Glinda hatte die Tanzfläche zur allgemeinen Zufriedenheit mit einem netten Lächeln und einer kleinen Anekdote eröffnet. Sie war eben schon zu lange Vorzeigepüppchen gewesen, sodass sie sich auch unter solchen Belastungen nichts anmerken ließ.

Als schon einige Paare aufgestanden waren und Ramón schon panisch mit seinen Füßen gewackelt hatte, riss der Veranstalter das Mikro aus der Hand und sagte einen Tick zu laut: „Meine lieben Damen und Herren. Bleiben Sie bitte noch sitzen. Die Ehre des Eröffnungstanzes geben uns nämlich heute Abend das bezaubernde Fräulein von Hohenhochborn hier an meiner Seite und ihre Begleitung, der Fürst von Heidenbrunn und zwar mit…“, der Veranstalter machte eine gekünstelte Pause, dann rief er aus: „ … mit einem OZIANISCHEN WALZER!“

Nun brach ein lauter Applaus aus, der nicht mehr abzuklingen schien. Der Kellner, welcher gerade eben erst die drei Damen mit ‚neuen’ Getränken versorgt hatte, wurde nun vom Veranstalter heran gewunken. Der alte Mann nahm das letzte Glas Roséwein vom Tablett und reichte es Glinda. Verdutzt sah sie den Wein an. ‚Ist der etwa mit Kohlensäure?’, wunderte sie sich. Sie schaute noch einmal hin. Nichts regte sich im Weinglas. Oder nicht mehr?

„Doch vorher!“, donnerte die Stimme des Veranstalters, „Einen Toast auf die beiden!“

„Hurra, Hurra, Hurra!“, schrie die Menge monoton und alle hoben ihre Gläser. Dann nahm jeder einen großen Schluck, auch Glinda.

Ramón war schon aufgestanden und hatte beruhigt zugesehen, wie die blonde Schönheit genug von dem Wein getrunken hatte. Er sah auf die Uhr: 22:30 Uhr. Lange würde es nicht mehr dauern.

Der blonde Schönling streckte den rechten Arm nach Glinda aus, welche noch oben auf dem Treppenansatz stand. Beide wussten, dass sie keine andere Wahl hatte.

Stufe für Stufe schritt sie langsam zu ihrem Begleiter hinab.

Dann nahm sie seine Hand und als sie in die Mitte des Parketts gingen, konnte Glinda fühlen, wie die Leute im Saal den Atem anhielten.

Sie war mehr als verwirrt. Was sollte sie noch denken? Was sollte sie noch tun? Hier bleiben oder einfach weglaufen?

Sie hatte Angst. Jetzt wusste sie, was das für ein Gefühl war. In den Armen dieses Mannes hatte sie Angst. Und diese Angst hatte sich seit dem Tag auf dem Balkon in ihren Körper geschlichen, als er sie zu feste an den Füßen gepackt hatte.

Panisch blickte sie sich um. Sie sah Elaine und Meredith. Beide lächelten sie ermutigend an. ‚Gut, sie sind noch alle da. Nach dem Tanz gehe ich rüber zu ihnen und wir verschwinden ungesehen. Der offiziellste Teil ist ja jetzt vorbei!’, dachte sie, um sich selber zu beruhigen.

Als die Musik einsetzte, nahm das Paar die komplizierte Tanzhaltung ein und wartete den ersten Takt ab. Dann begann Ramón, Glinda zu führen.

Als sie das Lied erkannte, stieg erneut Panik in ihr auf. Es dauerte sieben Minuten. Und abermals kämpfte sie um Kontrolle. ‚Das schaffst du schon!’, sagte sie sich.

Sieben Minuten konnten beim Ozianischen Walzer eine Ewigkeit bedeuten.

Beide, Ramón als auch Glinda waren fabelhafte Tänzer und ergänzten sich glänzend in diesem Tanz. Der Herr wirbelte die Dame in atemberaubenden Figuren über die Tanzfläche, sodass Glinda schwindelig wurde. Aber irgendwie wurde sie das Gefühl nicht mehr ganz los.

Sie versuchte sich, zu konzentrieren. Von dem ganzen Getanze wurde ihr heiß. Schwindelig, heiß, schwindelig, heiß. „Oz im Ballon!“, stöhnte sie und endlich endete das Lied. Glinda sah Sternchen, doch Ramón stützte sie und zischte: „Lächle, du Püppchen. Lächle!“

Glinda fühlte sich, als wäre sie im dichten Nebel gefangen und tat was ihr befohlen. Mit letzter Kraft verbeugte sie sich und Ramón führte sie zurück zum Tisch.

Ihr war kotzeübel und auf einmal war sie mehr als müde. Sie ließ sich in ihren Stuhl fallen und wäre fast mit dem nach vorne kippenden Kopf auf den Tisch geknallt, wenn Milla sie nicht aufgefangen hätte: „Oh Gott, Kindchen, geht es dir gut?“

„Ich glaube, ich war etwas zu ausdauernd!“, kicherte Ramón und nahm Glinda in den Arm.

„… Laine? Mer?“, murmelte Glinda, die Augen nur noch halb geöffnet. Milla war nun ernsthaft besorgt: „Schätzchen, ich denke, du solltest auch nach Hause gehen. Die anderen drei Damen haben sich auch schon verabschiedet. Dieser Arez, oder wie er heisst, hat deine neue Freundin Elaine begleitet und der hübsche, junge Mann, Londoro, hat die beiden anderen reizenden Damen nach Hause begleitet!“

‚Nein! Nein!’, wollte Glinda schreien, doch mehr als ein Gestöhne brachte sie nicht heraus. Sie konnte noch denken, aber ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen.

„Wie reizend von Orez und Londaro. Ja, Liebes, ich glaube, wir sollten gleich gehen. Aber vorher…“, Ramón liebte solche Situationen.

In Glinda stieg nun mehr als Panik auf. Sie wollte weg. ‚Was hat …. Der Wein! Der verdammte Wein. Was war da drin? Der verdammte Wein…’ Das war das letzte, an was Glinda in ihrer Todesangst denken konnte. Dann fiel sie in Ohnmacht.

Glinda befand sich irgendwo. Irgendwo, wo es nebelig war und es war niemand da. Aber gleichzeitig war es auch laut. Viele bunte Lichter. Viele Stimmen.

„DONG… DONG… DONG… DONG…“ Glindas Kopf dröhnte. „DONG… DONG… DONG…“

Sie öffnete die Augen und sofort fielen sie wieder zu. „DONG… DONG… DONG…“

Leiste stöhnte sie auf. „DONG.. DONG…“

Um sie herum wurde es wieder dunkel. Aber diesmal lag es nicht an ihr. Erneut öffnete sie die Augen. Sehen oder erkennen konnte sie kaum etwas, außer ein Paar verschwommenen hellen Punkten.

Die zierliche Frau versuchte sich, zu erinnern… ‚Angst… der Wein… Ramón.’ Die Panik stieg wieder in ihr hoch. Sie versuchte, Arme und Beine zu bewegen. Ihre Beine rührten sich, dafür aber ihre Arme.

Mit ihrem rechten Arm langte sie nach oben und wischte sich mit der Hand einen dünnen Speichelfaden aus dem Mundwinkel.

„Sssshhh…“, machte es ganz nah an ihrem Ohr. Verwirrt versuchte sie den Kopf zu drehen. Ihre Kraft reichte nicht aus. Sie spürte, dass ihr Körper kämpfte und ließ ihn gewähren. Sie lauschte den Geräuschen um sich und wartete darauf, dass ihr glasiger Blick klarer wurde.

Noch nie in ihrem leben war ihr so übel gewesen. Nicht einmal bei der quadlingischen Grippe, die sie sich mit 14 Jahren aus Versehen eingefangen hatte.

„Meine lieben Gäste!“, ertönte eine Stimme und Glinda konnte sie schon wieder identifizieren. Es war die Stimme des Veranstalters. Sie war also noch auf dem Ball. ‚Ich bin nicht alleine!’, dachte sie etwas erleichtert.

„Nun ist es Zeit, die letzte Überraschung für diesen Abend zu enthüllen, auch, wenn ich Ihre wundervollen Tänze ungern unterbreche. Da es anscheinend eine kurze Regenpause gibt, bitte ich alle Gäste, sobald ich zu Ende gesprochen habe, nach draußen zu gehen. Der oder die Spenderin dieser wundervollen Überraschung möchte nicht genannt werden. Dennoch bitte ich um einen Applaus!“

Die Menge klatschte und strömte sogleich nach draußen. Glinda fühlte, wie sie hochgezogen wurde. Ihr Arm lag um den Hals eines anderen Menschen, der sie nun mitschleifte.

Dann konnte sie noch einen anderen Menschen fühlen, der sie nun von der anderen Seite aus stützte. Sie war sich sicher, dass es zwei Männer waren und irgendeiner von ihnen war bestimmt Ramón. Glinda überkam eine Welle der Übelkeit, doch sie bekämpfte sie erfolgreich.

„Sie muss aufwachen!“, flüsterte der Mann an ihrer linken Seite. „Gleich…“, kam es von ihrer rechten Seite. Sie versuchte, einen Fuß vor den anderen zu setzen und bis auf ein paar Aussetzer klappte es auch ganz gut.

Das Gehen brachte ihren Kreislauf wieder in Schwung, ihr Blick wurde klarer und sie konnte die Dinge wieder erkennen. Sie blickte nach rechts und sah Ramóns Profil. Dann wanderte ihr Kopf nach links und…

„Orez?“, nuschelte sie verwirrt.

„He, Ramón!“, zischte der Angesprochene und deutet mit dem Kopf auf die schlaff in den Armen der Männer hängende Blondine.

Ramón nickte und sie gingen als letzte durch das Tor der Eingangshalle ins Freie. Glinda inhalierte die frische Luft und merkte, wie sich der Nebel in ihrem Kopf lichtete. Als sie wieder einigermaßen gescheit gehen konnte, ließ Orez sie los und beugte sich runter zu Ramóns Ohr: „Ich warte an der Kutsche!“

Der blonde Mann nickte nur.

Glinda wollte sich befreien und versuchte, ihren rechten Arm zu bewegen. Ramón hatte seine linke Hand auf Glindas Hüfte gelegt und mit der rechten hielt er Glindas Hand im festen Griff. „Lass mich los!“, zischte die junge Frau wütend. Ramóns Griff wurde fester. Glindas Handgelenk fing an zu schmerzen.

„Lass mich los!“, fauchte Glinda nun, etwas lauter mit schmerzverzogenem Gesicht. Blitzartig stellte sich eine Frau vor Glinda, sodass die Menschen, die sich nun aus Neugierde umgedreht hatten, nichts erkennen konnten.

Die Stimme des Veranstalters lenkte ihre Aufmerksamkeit jedoch wieder nach vorne auf das Geschehen.

Glinda blickte ungläubig in das Gesicht der Frau: „DU!“, zischte sie.

„Noch ein Sterbenswörtchen, und deine Elaine hat nicht mehr lange!“, flüsterte diese ganz gelassen und hielt zum Beweis Elaines Perlenkette in die Höhe.

„Nein…“, wimmerte Glinda.

Ramón drückte sie brutal mit einem kurzen Ruck an sich und zischte: „Halt den Rand und sieh dir das an!“

Wieder überfiel Glinda eine Welle von Übelkeit, doch sie gab nicht nach. Stattdessen blickte sie nun hoch.

Auf einem Podest, um welches sich die Menschenmenge im Halbkreis gestellt hatte, stand ein riesengroßes Etwas, bedeckt mit einem dunkelgrauen Leinentuch.

„Et voilà!“, schrie die Stimme des Veranstalters und das Leinentuch wurde heruntergerissen. Im gleichen Augenblick hatte jemand Lichter um dieses riesige Etwas gezaubert.

Glinda konnte nichts erkennen. Sie hörte, wie die Menge raunte und staunte, Luft einsog und pfiff, wie Applaus startete und in ein lautes Getöse von Rufen und Schreien überging. Die Euphorie war spürbar für jeden, der nah genug an der Menschenmasse stand.

„Was für ein fabelhaftes Mitternachtsgeschenk!“, schrie ein Mann in den hinteren Reihen und erntete damit erneuten Applaus. Nachdem so gut wie jeder seine Bewunderung preisgegeben hatte, schlenderten die Menschen schwatzend erneutem plötzlichen Einsetzen des Regens wieder in das schützende Gebäude.

Glinda kam es wie 15 Minuten vor, doch in Wahrheit hatten sie eine gute Dreiviertelstunde draußen gestanden. Ein heller Blitz mit anschließendem lautem Donnerknall ließ sie aufschrecken und kurz darauf war keine Menschenseele mehr auf dem Forderplatz, außer Ramón, Elfi und Glinda.

Von dem Blitz geblendet, kniff Glinda die Augen zu. Die Lichter waren durch den Regen erloschen und dieses riesige Ding stand monströs in Schatten gehüllt vor ihnen.

„Sieh hin, du kleine Schlampe!“, hörte Glinda die Stimme der Frau. Die blonde Schönheit hob ihren Kopf und wollte etwas erwidern, als sie einen lauten Klatsch vernahm, auf den ein stechender Schmerz an ihrer linken Wange folgte.

„Aylin!“, rief Ramón geschockt aus.

„Was?“, blaffte die Angesprochene zurück. „Das Miststück hat’s nicht anders verdient! Wegen ihr bin ich von der Shiz-Akademie geflogen!“

Glindas Atem stockte: „Ay… AYLIN?“

„Was, Miststück? Erkennst du mich nun wieder? Hat es dir damals Spaß gemacht, mich mit deinen Schicki-Micki-Freunden zu triezen und zu quälen? ‚Ooooh, Ayliiiiiiiiiiiiiiiiin’“, äffte die Frau Glindas Stimme nach: „’Was hast du denn da wieder…. Für exotische Sachen an? Oh Aylin, wieso hast du denn ein Loch in deiner Hose? OH AYLIN; WARUM WAR DENN DA PINKE FARBE IN DEINER SHAMPOO-FLASCHE?!’“

Glinda wollte erschrocken zurückweichen, doch Ramón hielt sie eisern fest.

„Oh Gott, Aylin…“, war das einzige, was Glinda raus brachte.

Ja, sie erkannte das Mädchen von damals nun wieder. SchenSchen, Milla und sie hatten sich manchmal einen Spaß daraus gemacht, Boq zu irgendwelchem Unsinn anzustiften und weil SchenSchen Aylin damals aus irgendwelchen ‚Die-hat-mir-meinen-voraussichtlich-Verlobten-Dingern’ gehasst hatte, war die Wahl der ‚Späße’ immer auf das arme Ding gefallen. Was die drei Freundinnen damals aber nicht gewusst hatten, war, dass Aylin eine furchtbar schlechte Frustrationstoleranz hatte.

Eines Nachts war sie in Glindas Zimmer geschlichen und hatte versucht, das Bett des Mädchens in Brand zu stecken. Elphaba war, aufgrund ihres leichten Schlafes, wach geworden und hatte sie auf frischer Tat ertappt. Danach hatte man nie mehr was von Aylin Heidenbrunn gehört.

„DARUM kam dein Gesicht mir bekannt vor… und der Name…!“, stammelte Glinda.

„Halt endlich den Mund und sieh dir das an!“, schnauzte Aylin und wich aus Glindas Blickfeld.

Die Blondine versuchte, etwas in der Dunkelheit zu erkennen, doch erstens erschwerte ihr der Regen und zweitens die Dunkelheit die Sicht.

„Ich kann nichts sehen!“, hauchte Glinda weinerlich und spürte, wie Ramón ihr einen erneuten, diesmal nicht ganz so schmerzvollen Ruck gab: „Sei – leise!“

Dann, plötzlich, hagelte es Blitze vom Himmel, aber kein Donnergrollen folgte. Die Statue wurde mehrere Sekunden hell erleuchtet.

„Nein….!“, wimmerte Glinda, „Elphie…“

Die Statue war ein Zweiteiler: Auf der linken Seite befand sich Dorothy. Sie war aus reinem Silber gemacht worden und der Eimer in ihren Händen trug eine goldene Verzierung. Das Mädchen war so in Szene gesetzt worden, dass der Eimer Wasser hoch über ihrem Kopf angebracht war und die kleinen Ärmchen das Wasser aus ihm schütteten. Für das Wasser wurden anscheinend Saphire benutzt, die in dem Blitzgewitterte das Licht tausendfach brachen.

Geblendet blickte Glinda weg.

Da packte Aylin ihr Kinn mit einer solchen Heftigkeit, sodass ihr Kiefer knackste und sie aufschrie. Aylin drehte Glindas Kopf mit einer starken Bewegung in Richtung der Statue. Glinda wimmerte leise vor Schmerzen.

Dann folgte das zweite Blitzszenario und Glinda überkam beim Anblick der rechten Figur eine erneute Welle der Übelkeit. Sie ließ sie zu. Vor Schreck und Ekel ließen Aylin, als auch Ramón die blonde Person fallen.

Glinda stürzte auf die Knie, ihr Körper knickte vor Schmerz ein und die zierliche Frau hielt sich mit ihrer schmerzenden rechten Hand die Magengegend.

Aylin machte Anstalten, sie wieder aufzuheben, doch Ramón hielt seine Schwester zurück.

Als die Welle der Übelkeit abebbte, fühlte Glinda sich besser. Alles, was sie so benommen gemacht hatte, war nun jedenfalls nicht mehr in ihrem Körper. Schlaff stützte sie sich auf ihre beiden Hände und ließ den Kopf hängen. Dann blitzte es erneut und ‚Glinda die Gute’ blickte auf.

„Nein…“, wimmerte sie wieder, stellte sich vorsichtig, aber torkelnd auf ihre Füße und ging Schritt für Schritt auf die rechte Seite der Doppelteiligen Statue zu.

Sanft fuhren ihre Finger über das chemisch gealterte Kupfer, welches auch ohne Blitze grün aufleuchtete.

Die rechte Statue sollte Elphaba darstellen. Doch diese Hexe hatte ein grauenvolles Gesicht mit einer langen Nase und einem hässlichen, zum Schrei verzogenen Gesicht.

Glindas Hände fuhren über die angebrachte Steintafel und sie las: „Zu Ehren der tapferen Dorothy, ausgesandt von Glinda der Guten, um das Volk von Oz von der Bösen Hexe des Westens zu befreien.“

Die blonde Schönheit war nun völlig durchnässt. Ihr Make-up war verlaufen, teils von Regen und teils von den Tränen, die sie nun salzig auf ihren Lippen schmeckte. Ihre blonden Locken klebten wie nasse Leinentücher an ihren Schultern und der Tüll an ihrem Kleid hatte einige Risse.

„Das darf so nicht sein!“, keuchte Glinda und ließ sich auf die Knie fallen. Die linke Hand hatte sie flach auf den Steintafel gelegt und mit der rechten Hand, die zu einer Faust verkrümmt war, schlug sie heftig gegen das Wort ‚Böse’.

Dann fing sie an zu schreien.

Weder Aylin noch Ramón hatten mit diesem grellen und lauten Geschrei gerechnet, doch Ramón war so oder so schon auf etwas vorbereitet gewesen. Er hielt ein Tuch in der Hand, welches vorher im Saft der Gillikinrose eingeweicht worden war. Normalerweise diente es zu Muskelentspannung, doch bei Überdosierung konnte es zur Ohnmacht führen.

Mit einem Satz kniete er hinter Glinda und drückte ihr das Tuch auf Mund und Nase. Erschrocken kämpfte Glinda um Frischluft, doch der Duft durchströmte ihren ganzen Körper und sie merkte, wie sie sich ungewollt entspannte.

Ramón traute seinen Augen nicht: Die Kette um Glindas Hals hatte tiefblau aufgeleuchtet, doch die Leuchtkraft schien zeitgleich mit Glindas Bewusstsein zu sinken.

Aylin kam angerannt und packte Glindas Füße und zischte: „Sie hat zu laut geschrieen!“ Dann griff Ramón Glinda unter die Arme und antwortete: „Los, hinter die Statue!“

Sie hatten die bewusstlose Frau gerade hinter das Silber-Kupfer-Monstrum geschleppt, als drei Wachmänner in zivil aus dem Gebäude gesprintet kamen.

Verwirrt blickten sie sich an, zuckten mit den Schultern und gingen wieder ins Gebäude.

Dann ging alles sehr schnell: Wie eben transportierte das Geschwisterpaar die noch immer bewusstlose Frau zur Kutsche. Dort angekommen übernahm der schon wartende Orez die Stellung Aylin und die beiden Männer hievten die blonde Frau auf den Rücksitz.

„Los! Ihr beiden geht nach hinten. Ich fahre das Ding. Um die Uhrzeit ist nichts los auf den Straßen der Smaragdtstadt. Falls sie aufwacht, haut ihr eine runter. Das blonde Püppchen hat’s nicht anders verdient!“, forderte Aylin forsch.

Die beiden Männer stiegen in die Kutsche ein und Orez schloss die Tür hinter sich.

Bevor er die Gardine vom Kutschenfenster zuzog, fiel sein Blick auf die Uhr: 1:12 Uhr.

Die Kutsche machte einen heftigen Ruck und nur noch das Hufgeklappere war in der stillen Nacht zu hören.

Fiyero saß im Kerzenschein mit seinem Buch auf dem strohigen Schoß. Den ganzen Abend hatte er sich nur halb konzentriert und durch die Seiten gequält mit dem Wissen, seiner Liebsten würde diese Nacht wieder etwas im Traum widerfahren.

Ein starker Windstoß riss plötzlich das Fenster auf, die Kerze erlosch augenblicklich und Fiyero legte genervt, mit einem lauten Seufzer, das Buch auf den kleinen Tisch neben dem Sessel, in welchem er saß. Dann stand er erst auf und schloss mit aller Kraft das Fenster wieder.

Sein Blick sah in die dunkle Nacht hinaus. Doch es war so dunkel, dass er sich selber in der Scheibe spiegelte, auch wenn das Kerzenlicht nicht mehr brannte.

Der Sturm tobte laut, der Wind heulte um die Ecken der Festung und Fiyero versuchte möglichst vorsichtig, die Kerze abermals anzuzünden. Ihm gelang es, ohne auch nur einen Funken abzubekommen. Schließlich hatte er lange genug dafür geübt!

Er stellte den Kerzenhalter wieder auf den Tisch und wollte sich gerade setzten, als…

„Nanu?“, fragte er sich selber ganz verwundert und ging erneut zum Fenster. Es war nicht mal mehr ein leises Zischen zu hören.

Er öffnete das Fenster. Nichts. Kein Regen, kein Sturm, kein Donner, kein Blitz. Es nieselte ja nicht mal mehr. So stand er da, seine Stroharme hielten die Fenstergriffe in der Hand und er starrte in die Nacht heraus.

„Ding-dong, Ding-dong…“ Erschrocken fuhr er zusammen. „Diese verdammte Uhr!“, maulte Fiyero. Der Strohmann hatte sie noch nie leiden können. Geduldig wartete er das zwölfte ‚Ding-Dong’ ab, obwohl er gerne irgendetwas in Richtung Ziffernblatt geworfen hätte. Dann erst schloss er die Fenster.

„Na komm schon, du langweiliges Buch. Wann kommen deine spannenden Kapitel?“, fragte er nun und lachte leise über sich selber, als er sich vorstellte, was das Buch antworten würde.

Ganz zu Fiyeros Überraschung waren die letzten Kapitel sehr interessant. Es handelte von dem Thema ‚Wache oder Soldat im Traum’.

Leise las der Scheuch: „Soldat: Vor allem bei Frauen kommt darin zuweilen der Wunsch nach einem sexuellen Abenteuer zum Ausdruck. Sieht eine Frau Soldaten, so ist ihr Ruf in Gefahr. … Wa…?“ Erst stutzte er, danach musste er grinsen. „So so…“, murmelte er vor sich hin und entschloss zu seinen eigenen Gunsten, den ersten Teil der Analyse und Deutung als wahrheitsgemäß zu befinden. Über den zweiten machte er sich gar keine Gedanken, denn das war ja eh schon lange der Fall gewesen und damit, seiner Ansicht nach, passé. Denn er wusste ja, wie wundervoll seine Fae in Wirklichkeit war.

Doch dass die Deutung vielleicht Elphabas Ruf bei Fiyero meinen könnte, das kam der Vogelscheuche gar nicht erst in den Sinn.

Gespannt las Fiyero weiter und ließ jenes aus, wovon er ausgehen konnte, dass Elphaba nicht von solchen Dingen geträumt hatte. Er stieß auf eine andere interessante Stelle: „Sehen Sie einen Zauberer, werden Sie eine einfache Lösung auf eine Frage finden.“, las er laut.

‚Ich bin mir zwar nicht sicher, inwiefern man diesem Humbug hier vertrauen kann, aber ich wünsche es ihr – dir, meine geliebte Fae.’, in Gedanken sah er sie vor sich im Bett, wie sie sich umher warf, schwitzte und weinte.

Ein heller Blitz fing seine Aufmerksamkeit ein und der darauf folgende laute Donnergroll ließ ihn aufschrecken. Er sah auf die Wanduhr: 00:45 Uhr.

‚Was ist das für ein verhextes Wetter?’, dachte er sauer, um den Schlaf seiner Geliebten besorgt. ‚45 Minuten hat es nun kein Lüftchen gegeben und nun so was? Wir haben doch keine Wetterhexe mehr!’

Seine Sorge um Elphaba steigerte sich mit jedem Blitz, jedem Grollen, jedem dicken Tropfen, der feste und laut gegen die Fenster klatschte.

Fiyero versuchte, sich selber etwas zu beruhigen und die Kontrolle über die aufsteigende Panik zu gewinnen. Doch als er im Buch irgendetwas über Speere las und sie die Gefährdung der eigenen Interessen bedeuten würden, konnte er es nicht mehr aushalten.

Er schloss das Buch, knallte es auf dem Tisch, was durch einen Donnerschlag begleitet wurde und er stiefelte die Stufen zu ihrem Zimmer hinauf.

Leise öffnete er die Tür und horchte. Nichts. Nur ein regelmäßiges Atmen.

Dann schlüpfte er durch den winzigen Spalt. Sein Körper machte dabei Geräusche, als würde man mit einem Blatt Papier herumwedeln. Als seine Blicke durch das Zimmer schweiften, blieben sie an der Uhr hängen. Das Zifferblatt zeigte 1:00 Uhr an und Fiyero wusste, lange würde es jetzt nicht mehr dauern.

Er schlich zum Bett und setzte sich auf die weiche Decke auf seiner Seite. Ein paar Minuten beobachtete er Elphaba im Schlaf, doch da er wusste, wie sehr sie das hasste und wie verzweifelt bemüht sie darum gewesen war, heute Nacht alleine zu sein, drehte er sich um und wollte aufstehen, als Elphaba leise aufstöhnte.

Ihre Stirn zog sich langsam in kleine Falten. Er widerstand dem Instinkt, sie in seine Arme zu schließen, denn er wusste, die Träume begannen.

„Schneller…“, flüsterte sie gerade fordernd, leicht nuschelnd, aber dennoch verstand die Scheuche es.

‚Nun ist es Zeit zu gehen!’, dachte sich Fiyero, lehnte sich hinüber zu Elphaba, gab ihr vorsichtig einen sanften Kuss auf die Wange und flüsterte: „Ich liebe dich, Elphaba Thropp!“

So leise, wie Fiyero gekommen war, so leise verschwand er auch wieder. Doch im Gegensatz zu eben war er nun ein wenig beruhigt und er beschloss, sich auch noch das Ende des Buches zu Gemüte zu führen.
 

Kaum war Fiyero zur Türe draußen, stöhnte Elphaba erneut auf. Ihre Augenlieder flatterten. Dann bewegte sich der großer Zeiger der Uhr und blieb auf ‚12’ stehen. 1:12 Uhr und …

Elphaba und Glinda hetzten Hand in Hand durch den Palast.

Die Wachen waren ihnen dicht auf den Fersen.

„Im Palast treibt sich eine böse Hexe herum!“, donnerte die Stimme des Zauberers durch die Hallen, „FINDET SIE!“

„Schnell, hier in die Bücherei!“, flüsterte Elphaba und mit einem gekonnten Ruck zog sie die aufstöhnende Glinda in den Raum. „Wow!“

Keuchend und nach Atem ringend standen die beiden an der Tür, doch dann liefen sie weiter, bis zu den hintersten Regalen. Glindas gelbes Kleid war nicht gerade unauffällig. Auch nicht in der Dämmerung.

Die grüne Hexe hielt der blonden ihren Besen hin: „Glinda, stell dir vor, was wir alles bewirken könnten, zusammen!“

Die Angesprochene streckte ihre Hand nach dem Besen aus, doch kurz bevor sie ihn berührte, zog sie ihn zurück. „Ich kann nicht!“, sie war den Tränen nahe.

Elphaba dachte: ‚So muss es sich anfühlen, wenn einem das Herz bricht…’

Glinda dachte: ‚So fühlt es sich an, wenn einem das Herz bricht!’

Plötzlich schüttelte Elphaba den Kopf: „Das hier ist kein Traum!“, sagte sie. Die zierliche Blonde, die verängstigt nicht weit von ihr stand, schien ihr nicht zuzuhören.

Die Frau kam näher und stand nun genau vor Elphie.

Glindas Hand suchte Elphaba und zog sie zu sich heran. Das grüne Gesicht verschwand bei einer engen Umarmung in blonden Locken.

Die grüne Hexe fühlte Glindas Atem auf ihrer Wange und dann fühlte sie eine wohlige Wärme in ihrem Körper aufsteigen, noch bevor sie richtig realisiert hatte, dass Glinda ihre Wange geküsst hatte. Vorsichtig und sanft.

Plötzlich wurde die Türe aufgerissen und die Soldaten strömten herein. Reflexartig wollte Elphaba in die dunkle Ecke springen, doch Glinda hielt sie fest umarmt, noch immer den rosigen Mund an grünen Wangen. Die sonst immer so schreckhafte Frau schien nun alles andere als verängstigt zu sein.

Elphaba spürte, wie Glinda ihr noch etwas ins Ohr hauchte.

Dann endlich, ließen sie einander los und die grüne Hexe hockte sich schnell auf dem Boden, direkt hinter dem letzten Regal. Hatte sie gerade richtig gehört?

Glinda wurde gefasst. Zwei starke Männer umfassten ihre Arme, der eine auch ihre Taille. Elphaba versuchte nicht mehr, unter den dunklen Kapuzen jemanden oder etwas zu erspähen.

Einer der beiden Wachen drehte sich um und sie sah sein Gesicht, jedoch konnte er sie nicht erkennen. Auch sie war in einen dunklen Umhang gehüllt, wie der Mann, welcher mit seiner Hand auch Glindas Taille umschlang. Sie sah, wie er fester zudrückte und Glinda aufschrie.

In dem Moment hob der Mann den Kopf und Elphaba wusste, jetzt oder nie. Leise und flink wie eine Katze sprang sie aus der Hocke dem Mann genau an den hals, sodass dieser nach hinten umkippte. Elphaba saß auf seiner Brust, als sein Kopf dumpf aufknallte und die Kapuze noch immer sein Gesicht verdeckt.

Sie konnte nichts erkennen. Sein Gesicht war ein einziger Schatten.

„He!“, maulte sie ihn an und langte in Richtung seiner Kapuze, um sie ihm vom Kopf zu reißen. Doch plötzlich fühlte sie starke Männerhände überall auf ihrem Körper, die sie wegzogen. Sie wehrte sich nicht. Ihr war es viel wichtiger, die Konzentration zu halten.

Stöhnend stützte sich der Mann auf seine Ellebogen auf und rieb sich die Haare, wodurch seine Kapuze zu Boden fiel.

„Nein…“, hauchte Elphaba fassungslos, „NEEEEEEEIN!“, schrie sie.

Ihr wilder Blick suchte Glinda, nun fing sie an zu kämpfen: „Glinda! Glinda?“

Die Männer hatten Elphaba fest im Griff. Sie war erschöpft und Glinda sah zu ihr herüber, als die Männer sie mitnahmen, darunter auch der Kapuzenmann.

„NEIN! GLINDA!“, schrie Elphaba erneut, aber nicht Glinda schien sich von ihr zu entfernen, sondern … sie von Glinda!

Elphaba sah noch, wie die blonden Locken beim Kopfschütteln der anderen Hexe mitschwangen. Nun bewegten sich Glindas Lippen, aber Elphaba konnte nicht mehr hören. Sie starrte auf die wundervollen Lippen und stellte fest, dass sie nun den Satz formten, den Elphaba eben mit warmen Atem an ihrem Ohr gehört hatte: „Ich liebe dich, Elphaba Thropp!“.

„GLINDA! Nein, GLINDAAA!“, schrie Elphaba…
 

Fiyero hatte es sich im Wohnsaal wieder auf dem Sofa bequem gemacht und im schimmernden Kerzenschein las er neugierig im letzten Kapitel seines Buches. Erst hatte er gedacht, seine Fae hätte geschrieen, doch dann hatte es aufs heftigste vom Himmel herab geknallt und so sank er wieder beruhigt in seine Polster.

„Dieses Unwetter treibt mich noch in den Wahnsinn!“, murrte er vor sich hin, dann hielt er plötzlich inne.

„Wie bitte?“, hauchte er in die Dunkelheit hinein und die kleine, etwas Licht spendende Flamme flackerte. Tatsächlich hatte Fiyero das Buch beinahe durchgelesen, nun war er beim letzten Kapitel angekommen. Den letzten Abschnitt las er noch einmal und noch ein drittes Mal. Da Yero sich nicht sicher war, ob er das alles richtig verstanden hatte, las er es ein viertes Mal, diesmal laut:

„Der Besen hat viele verschiedene Bedeutungen im Traum, bzw. kann viele verschiedene Bedeutungen haben. Nebst sexuellem Verlangen nach einem (anderen) Mann, was alle Phallusähnlichen Gegenstände in den Träumen bedeuten können, tendiert die Mehrheit jedoch zu einer anderen Erklärung.

Benutzen Sie den Besen zur Flucht vor etwas oder jemandem, bedeutet, dass Sie eine emotionale, aber auch physische Auszeit von Ihrer bisherigen Situation brauchen. Sie fühlen sich unwohl, ja in manchen Fällen sogar bedroht. Am besten wäre Ihnen mit Abstand geholfen, so sollte aber die mit betroffene Person sich um sanfte Aufmerksamkeit bemühen.“

Dann hielt die Scheuche inne und las den zweiten Abschnitt noch einmal. „Sanfte Aufmerksamkeit! Bedroht! Auszeit?!“, maulte er das Buch an, „Was verkaufst du mir hier für einen Mist, du dummes Buch?“ Wütend klappte er es zu und warf es in die Dunkelheit des Zimmers hinein, welche das Blätterquadrat mit einem dumpfen Aufprall verschluckte.

Fiyero hasste solche Situationen, in denen er nicht wusste, was er nun zu tun hatte. ‚Ja, ich habe bemerkt, dass Fae diese Woche etwas… etwas… anders war. Isolierter vielleicht.’, gestand er sich selber ein. Ihm kamen die Worte ‚sanfte Aufmerksamkeit’ wieder in den Sinn, doch er hatte keine Ahnung, was er damit anfangen sollte. Sein wütend ging zu aggressiv über und er huschte rüber zu dem Buch, welches in der Ecke lag und trat danach: „Scheiß Buch! Komm du mir noch mal mit irgendwelchen Ratschlägen!“, zischte er, nun etwas lauter.

„Komm mit Ratschlägen!“, krächzte es von der Tür her.

„CHISTERY!“, rief Fiyero nun halb aggressiv, halb zu Tode erschrocken aus. Auch der kleine Affe war ganz bestürzt gewesen, über die Heftigkeit der Worte, welche ihm entgegenschlugen und da hatte er schnell wieder kehrt gemacht und war verschwunden.

„Na wunderbar!“, Fiyero warf seine Hände verzweifelt in die Luft.

‚Luft…’, dachte er. ‚Das brauche ich jetzt!’

Es war eine Angewohntheit, die er sich von Elphaba abgeschaut hatte: Immer, wenn er nicht weiter wusste, ging er spazieren. Vor allem tat er es gerne, weil ihm weder Wind noch Wetter irgendetwas anhaben konnten. ‚Es sei denn, es würde urplötzlich anfangen, Feuerfünkchen zu regnen.’, dachte er, sehr selbst-ironisch.

Nachdem er diesen Entschluss gefasst hatte, nahm er ganz vorsichtig den Kerzenhalter in eine Hand oder eher Strohballen und ging in die große Abstellkammer. Dort suchte er sich einen dicken Stift und ein großes Blatt Papier, aus bester Quadlinger-Eiche hergestellt.

Wieder zurück in der Wohnhalle stellte er den Kerzenhalter behutsam auf den Schreibtisch, legte das Blatt Papier darauf und versuchte etwas zu schreiben. Fiyero stutzt. ‚Schreiben?’, fragte er sich selber.

Brummend und murrend setzte er den Stift an, doch was ein Wort werden sollte, wurde zu einer Zick-Zack-Linie. Also benutzte er dieses Blatt für ein paar Schreibübungen.

‚Das fühlt sich ja an, als wäre ich wieder drei Jahre alt und würde gerade das Schreiben lernen!’, schwirrten mürrisch die Gedanken durch seinen Kopf und er hörte die Stimme seiner Mutter: „Aber nein, Yeroleinchen, nicht über den Rand malen. Neeein, schau mal, so muss man den Stift halten. Neeein… och, Yeroleinchen, nein…“

Fiyero wäre beinahe rot vor Zorn angelaufen, nur dazu fehlte ihm das Blut. Genervt holte er sich ein zweites Blatt und kritzelte einigermaßen leserlich drauf: ‚Bin spazieren. Bald wieder da!’

Etwas zufriedener betrachtete er sein Werk. Seit wann hatte er sich diesen aufbrausenden Charakter zugelegt?, wunderte er sich über sich selber.

Als er spürte, das neue Wut in ihm aufstieg, die er nun nicht so ganz zuordnen konnte, warf er die noch brennende Kerze in den Kamin, inklusive dem ‚Kriggel-Kraggel’-Blatt, sah genügsam zu, wie es verbrannte und marschierte dann mit schnellem Schritt in den Regen hinein.

Er wollte seine Fae nicht auch noch mit seinem Geschrei und Gebrummel aufwecken.

Doch was er nicht ahnte war, dass ‚seine’ Fae schon längst aufgewacht war…

Mit einem Schlag saß Elphaba aufrecht im Bett. Ihr eigenes Geschrei hatte sie geweckt. Die ersten Sekunden war ihr Blick noch verschwommen, doch dann klärte er auf. Sie schaute auf das Ziffernblatt der Wanduhr und erkannte schwach: 1:35 Uhr.

„Verdammt!“, fluchte Elphaba. Sie wusste, diesmal hatte es geklappt mit dem Traum. Aber ihre Erinnerungen waren nebelig.

„Verdammt, verdammt, verdammt!“, fluchte sie und sprang aus dem Bett. Sie rannte ins Bad und stellte sich vor den Spiegel, ihr eigenes Gesicht vor Augen: „Elphaba Thropp, beruhige dich und komm runter! Erinnere dich…

In ihrem Kopf hallte ein leiser Satz wieder, der mit jedem Herzschlag lauter wurde… ‚Elphaba Thropp… Elphaba Thropp… erinnere dich… dich… dich… Elphaba Thropp… dich… Elphaba Thropp… Ich liebe dich, Elphaba Thropp…’

„Glinda!“, hauchte Elphie tonlos. Ihre Augen wurden vor Angst riesengroß und einige Sekunden stand sie starr vor dem Spiegel, als die Erinnerungen an den Traum über sie hereinfielen: Glinda und sie, ein Kuss, dieser Blondschopf…

Ihre Lippen formten eigenständig ein Wort: „Ramón…“, spuckte Elphaba fast aus.

Als sie den Zusammenhang zwischen dem Traum und diesem Mann verstand, fühlte sie, wie große Fäuste auf sie einschlugen und in ihre Magengrube boxten, sodass sie sich vor Schmerz krümmte und auf die kalten Badezimmerfliesen fiel.

Als die Übelkeit abebbte und die Schmerzen nachließen, verfluchte die grüne Hexe ihre starke Psyche, die offensichtlich große Macht über ihren Körper hatte.

Beinahe hätte sie sich übergeben, doch noch gerade rechtzeitig gewann sie die Kontrolle über das grüne Etwas zurück. Schnell rappelte sich Elphaba auf, riss sich das Nachthemd über den Kopf und schlüpfte schnell in ein Leinenkleid mit Gewand.

Dann hielt sie inne. Elphaba wusste nicht genau was passiert war, aber sie ahnte, dass Glinda in Gefahr war. Ihr Herz wusste es, ihr Verstand war alles andere als überzeugt.

‚Es war doch nur ein Traum…’, dachte sie verwirrt.

Die grüne Frau war nie eine Quelle der Spontaneität gewesen. Immer, bevor sie handelte, war die Hexe sicher gegangen, auf was sie sich einließ und für wen sie etwas tat. Und das schon seit frühster Kindheit.

Ihre Instinkte schrieen nach Gewissheit. „Sieh in die Glasschale!“, konnte Elphaba ihren Verstand förmlich schreien hören.

„NEIN!“, brüllte sie entschlossen, riss sich das Nachthemd vom Körper und stülpte sich ein schwarzes Leinenkleid über. Es kostete sie mehr, als es Worte ausdrücken könnten, nicht in die Glasschale zu sehen. Denn Elphie ahnte, sie kämpfte um Sekunden.

Dann schnappte sie sich ihren Besen und wollte das Fenster öffnen, doch als sie ihre Hände an den Griff legte und leicht daran zog, flog es auf und die Heftigkeit des Schwungs ließ die dünne Frau ein paar Meter zurückfliegen.

Mit einem dumpfen Geräusch prallte sie gegen die Standuhr und ihr Ellbogen schlug an der Raufasertapete auf. Schmerzend rieb Elphaba sich Kopf und Gelenke. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie in die Nacht heraus und hörte nun zum ersten Mal bewusst das laute Donnergrollen und den prasselnden Regen.

„Was um alles in Oz?!“, stöhnte Elphaba, halb vor Erstaunen mit gemischter Verzweiflung und halb vor Schmerz, welcher ihr langsam den Rücken hoch kroch.

Sie rutschte ein kleines Stück nach vorne, von der Wanduhr weg, um die Quelle des Schmerzes ausfindig zu machen. Also drehte sie sich um und erkannte, dass sie mit voller Wucht gegen den kleinen Schlüssel am Unterkasten der Uhr geknallt war.

Dann setzte der automatische Mechanismus ein; der Verstand übernahm den Körper. Elphaba sah, wie ihre grüne Hand den Schlüssel umdrehte, die Schranktüre öffnete und die Glasschale herauskramte.

Sie selber konnte ihre Worte nicht hören, jedoch fühlte sie, wie ihr Mund sich bewegte und ihre Hände über der Schale kreisten.

Das Fenster schlug unter den kräftigen Windböen im fortschreitenden Takt gegen die Wand und die Wassertropfen glichen einem wütenden Bienenschwarm, der andauernd versuchte, in das Zimmer zu gelangen, es aber nie weiter als ein paar Meter schaffte.

Elphaba saß in einem Winkel, in welchem sie zu ihrem Glück nicht nass werden konnte und summte weiter.

Als endlich nach einer endlos scheinenden Zeit das Bild von Glinda in der Glasschale auftauchte, hielt Elphaba inne in ihren Bewegungen. Sie wurde bleich und spürte einen stechenden Schmerz in der Herzgegend, als sie die zierliche Blondine entweder schlafend oder ohnmächtig in den Armen zweier Männer sah, die sie zur Treppe hinaufschleppten.

All das hätte keine Gefahr bedeutend müssen – ein normaler Abend nach einer ausgelassenen Feier – … wenn nicht Madame Akaber am Treppenansatz gestanden hätte…
 

Mit einem Satz stand Elphaba aufrecht in ihrem Zimmer. Die Präsenz der Makaber-Akaber erklärte für Elphaba natürlich auch dieses anomale Wetter. Verzweifelt dachte sie nun darüber nach, wie sie es schaffen sollte, dort hinauszufliegen ohne wirklich nass zu werden.

In Windeseile zog sie sich ihre dicke Strumpfhose für besonders kalte Tage an, darüber die einzige Hose, die sie besaß. Über diese Hose streifte sie noch ihre kniehohen Lederstiefel, womit ihre unteren Körperregionen soweit abgesichert waren.

Schnell griff sie nach einem eng anliegenden Pullover, streifte ihn über und steckte den Saum in den Hosenbund. Darüber zog sie einen Rollkragenpullover und dann noch eine Lederjacke mit Halsansatz. Den Reisverschluss zog sie bis an ihr Kinn zu und drehte mit einer gekonnten Bewegung ihre Haare in einen Dutt.

Dann suchte sie sich hektisch ein großes Halstuch aus der Schrankschublade und band es sich um Mund und Nase. Mit einem dicken Knoten befestigte sie das Tuch am Hinterkopf.

„Wo ist der verdammte Sonnenhut?“, fluchte sie nuschelnd durch den beinahe verbundenen Mund. Der Hut war nicht aufzufinden. Nur eine alte Kappe. ‚In der Not muss die auch reichen!’, sagte sich die grüne Hexe und zog die Kappe auf den Kopf. Der Dutt gab genug Halt, um nicht die Kappe bei einer Böe davon wehen zu lassen.

Schnell zog sie sich die Lederkapuze soweit es der Kappenschirm zuließ und band sie mit einem festen Knoten in der Mitte zu. ‚Fast geschafft!’, dachte das nun schwarze Wesen und schon war sie mit einem Sprung neben ihrem Bett um die auf dem Nachttisch liegende Brille anzuziehen. Aus der Schublade des Nachttisches kramte sie noch ihre Lederhandschuhe und endlich war sie soweit.

Komplett in Schwarz eingehüllt schnappte sie sich ihren Besen, flüsterte ein paar Worte und flog durch das Fenster in den strömenden Regen.

Kaum war sie außerhalb der schützenden Turmmauern, erfasste sie eine starke Windböe und beinahe wäre sie vom Besen gefallen.

Ihr Herz pochte wie wild. ‚Das ist reiner Selbstmord!’, gestand sie sich ihre Angst ein, doch durch den Schirm der Kappe und ihre leicht gesenkte Kopfhaltung kam noch nicht mal ein Tröpfchen des Regens an die noch freie Haut im Gesicht.

Elphaba wusste nicht, was in diesem Moment in ihrem Körper vorging. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich freiwillig dem Wasser ausgesetzt oder sonst irgendeiner wirklich großen Gefahr.

Und nun war sie in Lebensgefahr. Das wusste sie.

Aber auch wusste Elphaba, dass nicht nur sie in Lebensgefahr schwebte. ‚Glinda…’, echote es immer wieder in dem grünen Kopf.

Auch wenn Elphaba ahnte, dass es etwas mit Glinda zu haben musste, warum sie gerade durch die nasse Hölle flog – abgesehen von der Lebensgefahr. Es war noch etwas anderes da. Doch Elphaba hatte keine Zeit, in einem solchen Augenblick darüber nachzudenken.

Sie merkte, ihre Oberschenkel langsam feuchter wurden, obwohl der Ledermantel sonst eigentlich immer lang genug gewesen war.

Plötzlich wurde Elphaba von einer kräftigen Böe erfasst. Sie klammerte sich an ihrem Besen fest, schob ihren Hintern zum Ende des Stiels und legte sich flach auf die Stange, sodass ihr Bauch den Stiel berührte.

Erneut erwischte sie eine Böe, doch anstatt ihr Gleichgewicht aus der Bahn zu werfen, trieb diese Böe sie nur noch schneller an.

‚In der Dunkelheit kann ich ja kaum etwas erkennen!’, ärgerte sich Elphaba, als plötzlich das grüne Leuchten der Smaragdstadt in nicht mehr allzu weiter Ferne vor ihr zu sehen war…
 

Nachdem die beiden Männer Glinda aus der Kutsche gezogen hatten, öffnete Aylin ihnen die Eingangstür: „Rein mit dem blonden Bastard!“, fauchte sie.

„Aber, aber, mein Kind!“, kam es tadelnd vom Treppenansatz her. Die drei Köpfe flogen nur so in diese Richtung, als sie die Stimme vernahmen.

„Verzeihung!“, murmelte Aylin eingeschüchtert. Sie wurde immer wieder beim Anblick von Madame Akaber in ihre Jugendzeit zurückgesetzte und fühlte sich unbeholfen und dumm. Auch, wenn Makaber-Akaber nun etwas von ihrer Substanz verloren hatte und eher wie eine platte Flunder aussah, hatte sie keinen Deut an Autorität verloren – ganz im Gegenteil:

Die Zeit im Gefängnis hatte sie zwar Unmengen Pfunde verlieren lassen, aber anscheinend war für jedes verlorene Pfund an Gewicht eines an Macht dazu gekommen.

„Bringt sie mal her zu uns!“, befahl Madame Akaber, die mit Londaro noch immer am Treppenansatz verweilte. Orez und Ramón gehorchten und hievten Glinda, die noch immer bewusstlos in den Armen der Männer lag, hinüber zu der Befehlshaberin.

„Glinda, mein Kind…“, flüsterte die platte Flunder zärtlich und strich ihr mit den Handknöcheln vorsichtig über die Wange. Die knochigen Hände wanderten hinunter an Glindas Hals bis hin zu ihrem Ausschnitt, in welchem sie Träne der heiligen Aelphaba ruhte. Mit dem Zeigefinger fuhr Madame Akaber geistesabwesend über den Anhänger der Kette. Als Londaro sich räusperte, zog die Flunder ihre Hand ruckartig zurück und befahl: „Bringt sie in ihr Zimmer, dann ruft mich. Ich habe noch eine Rechnung zu begleichen. Danach gehört sie dir, Ramón. Aber bedenke unsere Vereinbarung.“

Ramón nickte, wie könnte er vergessen, dass er ‚Glinda die Gute’ heute Nacht noch umbringen sollte.

Dann stiefelten die beiden Männer mit der Frau in ihren Armen in Richtung Glindas Zimmer…
 

Elphaba hatte sich nun an das Gedrücke und Geschubse des Windes gewöhnt und in dieser neuen Haltung bestand auch keine Gefahr mehr, dass sie vom Besen fiel. Jedoch merkte die grüne Hexe, dass das Unwetter stärker wurde, je näher sie der Smaragdstadt kam, welche nun schon groß und grün vor ihr auftauchte.

Krampfhaft versuchte Elphie, ihre Oberschenkel mit den Unterarmen zu bedecken und die merkwürdige Position, die sie auf ihrem Besen eingenommen hatte, ermöglichte ihr dies. Als sie abermals nach vorne blickte, konnte sie schon die Umrisse des Palastes erkennen und die Stadtmauer war genau unter ihr.

Plötzlich merkte Elphaba, wie die Magie aus ihrem Besen wich. Panisch versuchte sie, sich zu konzentrieren, doch das blöde Ding wollte partout nicht mehr gehorchen.

Einen Schrei unterdrückend und rapide an Höhe verlierend, blickte Elphaba sich um. ‚Was mach ich denn jetzt?’, fragte sie sich hilflos und in Angst versunken.

Schließlich saß sie auf einem Besen in nicht gerade ungefährlicher Höhe, der nun rapide an Flugkraft und Höhe verlor.
 

„Erzählen Sie bitte weiter, Londaro.“, forderte Madame Akaber den Sekretär zur gleichen Zeit auf. Sie waren von Glinda und den Männern unterbrochen worden, also setzte er dort an, wo er eben innegehalten hatte: „Es dauerte nicht lange, bis beide mehr als benommen waren und ich geleitete sie raus zum Eingang. Dort warteten schon unsere Leute, die dann die beiden, nun schon ohnmächtigen Frauen mitgenommen haben. Sie werden, wie Sie es gewünscht haben, im smaragdischen Gefängnis festgehalten. Aber es wird erst heute früh passieren, dass sie wieder zu sich kommen.“

„Das reicht mir völlig aus!“, nickte Madame Akaber, „Haben Sie vielen Dank. Ihr haben exzellente Arbeit geleistete! Sehe ich Sie morgen in der Früh?“

„Aber gewiss doch!“, nickte Londaro, wünschte noch eine gute Nacht und verschwand in der Dunkelheit des Ganges.

Die Flunder blickte ihm noch kurz nach und zog dann das Mädchen, welches sich vorsichtig neben sie gestellt hatte, zu sich heran und legte den rechten Arm auf ihre Schulter.

Seufzend sagte sie: „Aylin, meine Kleine. Wie gut, dass ich mich damals deiner angenommen habe! Du wirst eine prächtige Wetterhexe werden! Das, was wir beide da heute Abend zusammengebraut haben – das hat noch kein Ozianer jemals erlebt. Und eine solche Präzision in der Zeit habe ich auch selten vollbracht! Und dieser Bann um die komplette Stadt erst! Ich bin unglaublich stolz auf dich, wie auch auf uns beide.“

Aylin nickte und wollte gerade antworten, als sie die Stimme ihres Bruders vernahm, der nun oben auf dem Treppenansatz aufgetaucht war: „Es wäre dann soweit, Madame.“

„Fantastiös!“, murmelte die Wetterhexe und ließ Aylin los. Dann stapfte sie die Stufen hoch, ging nickend an Ramón und Orez vorbei und schloss Glindas Zimmertür hinter sich, als sie eingetreten war.
 

„Oz im Ballon!“, flüsterte Elphaba, „Hilf mir!“, als sie mit dem Besen abstürzte. Sie befand sich nicht in Schwindelerregender Höhe, aber dennoch weit genug über dem Boden, dass es ihr einiges zugesetzt hätte, wäre sie senkrecht von ihrem Besen hinunter zum Boden gefallen.

Die grüne Hexe hatte jedoch zu viel Schwung und so raste sie mir fallender Geschwindigkeit und Höhe geradewegs auf ein Haus zu. Schnell wechselte sie die Stellung auf dem Besen:

Mit beiden Händen hielt sie sich am Stil fest und machte einen leichten Buckel. In sekundenschnelle stellte sie beide Füße auf den Besenstab. Das Haus kam rapide näher. Elphaba wusste, sie hatte keine Zeit mehr.

Mit einem festen Tritt war sie vom Besen geglitten, hatte den Kopf eingezogen und knallte mit lautem Krach auf das harte Flachdach des Hauses auf. Über ihre linke Schulter, die schmerzend aufgeprallt war, rollte sie sich ab.

Der Besen flog durch die Luft und fiel irgendwo hinter dem Haus auf die Straße. Die grüne Hexe hatte jedoch zu viel Schwung und überschlug sich einmal zu viel – das Dach war zu Ende.

In letzter Sekunde griff Elphaba nach der Regenrinne und bekam sie zu packen. Ihr Mantel rutschte etwas den Arm hinunter und entblößte ein kleines Stück von ihrem Unterarm – dort, wo die Handschuhe aufhörten. Sofort brannten sich die Wassertropfen wir heiße Kohlen in ihre Haut. Reflexartig ließ sie die Regenrinne los und stürzte hinab, Beine und Arme wedelnd nach Halt suchend von sich gestreckt.
 

„Komm mit Ratschlägen! Schlägen! Hexen hängen!“, schnatterte Chistery fröhlich vor sich hin, als er durch das Schloss hüpfte. Der Regen nervte ihn, er wäre viel lieber draußen gewesen. „Elphaba!“, krächzte er und schob den Riegel der Zimmertür zurück. „Hexe?“ Chistery sah sich suchend im Zimmer um. Auf allen vieren watschelte er bis zum Bett wollte darauf hüpfen. Der Windstoß jedoch blies ihn ein Stück weiter zurück, als er hochsprang und er landete auf seinem Affenhintern. Verärgert plapperte der Affe: „Scheiß! Scheiß! Oz im Ballon!“

Trotzdem hatte er das leere Bett gesehen und umrundete es nun, um auch sicher zu gehen, ob seine Besitzerin auch wirklich nicht mehr zu Hause war.

Eben hatte sie doch noch geschlafen?

Menschen sind komisch, hatte der Affe schon lange festgestellt. Aber noch komischer waren Zauberer und Hexen oder Dinge, die sich wie Menschen benahmen, aber in Wirklichkeit aus Stroh oder Zinn waren.

Nun stand das Äffchen auf der anderen Seite des Bettes, von welcher normalerweise eine grüne Hand baumelte. Doch nichts war dort. Als es plötzlich blitzte und donnerte, fuhr der Affe vor Schreck herum und starrte das offene Fenster an.

Als er den fehlenden Besen in der Ecke und die unachtsam liegen gelassene Glasschale auf dem Boden bemerkte, stelle er laut und aufgeregt fest: „Glinda. Glinda!!“

Dann hoppelte er auf allen Vieren zur Glasscheibe, hob sie auf und brachte sie in ein – seiner Ansicht nach sicheres – Versteck, hoch oben im Gewölbe des Westturms. Denn dieser komische Mensch aus Stroh würde das tolle glasige Ding bestimmt vor Wut zerstören.
 

Vom Schmerz noch ganz benommen und vom Sturz noch halb ohnmächtig, rubbelte Elphaba vorsichtig die Stelle ihres Unterarms trocken, der sich fast durchgebrannt anfühlte. Sie war mitten in einem riesigen Rosenbusch gelandet.

‚Was für ein Glück, dass es gilikinesische Rosen sind!’, dachte sie, während sie sich aufrappelte.

Gilikinesische Rosen hatten keine Dornen.

Unter anderen Umständen hätte sich die grüne Hexe gefragt, was dornenfreie Rosen denn für Rosen wären, aber dazu hatte sie weder Zeit noch Muße. Sie musste weiter.

Also krabbelte sie unter dem Busch hervor. Das Leder ihres Mantels war beim Sturz an der linken Schulter gerissen, als sie sich so brutal abgerollt hatte. Nun klaffte eine offene Stelle dort, anstatt des schützenden Gewands. So gut es ging, drückte Elphaba die Stelle zu. Dann suchte sie ihren Besen.

Er lag keine zehn Meter weiter auf der Straße – unter einer Straßenlaterne. Noch stand sie schützend im Dunkeln und da sie so oder so eine schwarz-vermummte Gestalt war, hatte sie kaum die Befürchtung, erkannt zu werden. Dennoch schaute sie erst nach links, dann nach recht und abermals nach links, bevor sie losrannte, um den Besen aufzuheben.

Sie stieg auf, doch nichts tat sich.

Fluchend sah sie sich um. Sie hatte doch keine Ahnung, wo sie nun war…
 

Als Madame Akaber Glindas Zimmertür hinter sich schloss, kam Ramón den Gang zurück und stellte sich vor die Tür, neben Orez. Einige Minuten standen sie schweigend nebeneinander. Der eine, weil er hören wollte, was im Inneren des Raumes vor sich ging und der andere, weil er nicht wusste, was er sagen sollte.

Als jedoch der eine nichts hören konnte und der andere eine Formulierung für sein Gedachtes gefunden hatte, sagte Ramón: „Also, pass auf…“

Orez hob aufmerksam seinen Kopf.

Daraufhin senkte Ramón seine Stimme und flüsterte: „Wenn Accursia mit Glinda fertig ist, dann bist du dran. Ich habe es dir versprochen und du wirst es heute Nacht bekommen….“, zerknirscht hielt Ramón inne. Normalerweise benutzte er Akabers Vornamen nicht, aber er musste noch ein Band zwischen sich und Orez aufbauen, damit er die noch ausstehende Forderung halbwegs autoritär über die Lippen bekam.

Der Angesprochene nickte nur, mit einem scheuen Lächeln um die Augen. Ramón hatte dem Dummkopf natürlich verschwiegen, dass Glinda noch heute Nacht ermordet werden sollte – und zwar von ihm höchst persönlich – blond und blond. ‚Was für eine Komposition…’, dachte er gelüstend.

Endlich hatte Ramón die Worte gefunden, um seine Forderung zu artikulieren: „Wenn du fertig bist, lass sie liegen, so wie sie ist. Ich kümmere mich um den Rest.“

Zufrieden mit sich selber, grinste Ramón. Er fand, dass es sich nicht danach angehört hatte, als würde er Glinda den zweiten Männerbesuch in der Nacht bescheren. Doch das hatte er natürlich vor.

Orez war sich nicht sicher, was er von diesem Befehl zu halten hatte. Sein Plan war gewesen, morgen in der Frühe neben Glinda aufzuwachen.

Er fragte verdutzt: „Um was kümmerst du dich?“

„Oooorez…“, erklang eine genervte Frauenstimme hinter ihnen. Sie hatten Aylin nicht kommen gehört und wendeten sich erschreckt in ihre Richtung.

Aylin grinste sie an und säuselte Orez ins Ohr: „Wenn du mit einem Mal zwischen den Beinen der halbtoten Hirnlosen nicht genug hast, sag mir nur Bescheid. Mein Gehirn hat auch schon lange keine Nahrung mehr bekommen, falls du verstehst, was ich meine… Weißt du, man wird nämlich dumm, wenn man keinen Sex hat. Sieh dir doch unser blondes Weibchen da drinnen an. Von Vögelleien mit Weibsbildern wird man nicht schlau…“

„Du lieber Oz..“, stöhnte Ramón, der nur einen Bruchteil von dem Gewisper seiner Schwester mitbekommen hatte. ‚Wie kann ein einzelner Mensch SO vulgär und abartig sein?’, fragte er sich immer wieder. Angewidert wendete er sich von den beiden ab.

Orez hingegen schaute die hübsche Frau verwundert an. Er verstand nicht, worum es gerade ging. „Ich will doch aber nur Glinda.“, murmelte er geschockt.

Genervt verdrehte Aylin die Augen und schubste ihn gegen die Wand. Dann stellte sie sich hinter ihren Bruder und legte beide Arme verschränkt über seine Schultern. Mit ihren Händen rieb sie ihm die Brust und flüsterte ganz leise: „Und was ist mit dir, mein Bruderherz?“

Nun war sie echt zu weit gegangen, doch Ramóns Wut erlosch, als er ihre Alkoholfahne roch. Hart nahm er ihre Hände von seiner Brust, drehte sich zu ihr um und quetschte ihre Handgelenke. Sie schrie auf: „Ramóóón! Lass loooos… Du tust mir weeeh!“

„Geh schlafen, du kleine … Geh einfach schlafen! Und lass uns in Ruhe!“, maulte er sie an, dann ließ er ab von ihr.

Mit Tränen in den Augen lief sie den Gang entlang, hinein in die Dunkelheit.

Orez sah den blonden Mann verwirrt an. Ramón starrte zurück.

Als der Wachmann beschämt den Kopf senkte und abwartend dastand, stellte Ramón beruhigt fest, dass der Trottel vor ihm die Frage von vorhin vergessen hatte.
 

Elphaba konnte nicht lange zögern, sie wusste, die Zeit war momentan ihr größter Feind. Im strömenden Regen stand sie mitten auf der Straße, blickte wild nach links und rechts und entschied sich dann, zur nächsten Kreuzung zu rennen. Sie wendete sich nach links und rannte los. Glücklich und auch verwundert darüber, dass ihr Regenanzug den Sturz bis auf die Schulter überlebt hatte.

‚Ein normaler Mensch müsste doch Schmerzen empfinden!’, wunderte sie sich, als sie auf die Kreuzung lief. Doch was sie nicht wusste – ihr Adrenalinspiegel war zu hoch. All’ ihre Schmerzen schienen sich außerhalb ihres Körpers zu befinden.

Und da – als die Häuser aus ihrem Blickfeld wichen, ragte vor ihr in den dunklen Nachthimmel grün schimmernd der Palast vor ihr in die Höhe.

Der Himmel war ein atemberaubendes Phänomen – hässlich und Furcht einflößend, aber so einzigartig, dass es ihr die Sprache verschlug.

Normalerweise verlief der Wetterzyklus in Oz im Kreis, was bedeutete, dass alle Wolken im Zirkel über das Land dahin wanderten. Meistens blieben sie jedoch im Süden zwischen den Tälern und Bergen in Quadlingen hängen, wo sie sich ausregneten. Dies erklärte auch die häufigen Dürreperioden im Osten. Doch nun sah es so aus, als hätte der Sturm sich von Osten und Westen in der Mitte des Landes – genau über der Smaragdstadt – getroffen. Die Wolken verliefen in einer geraden Bahn, erst fingen sie flach an, aber exakt in der Mitte ragten riesige Wolkenberge vom Himmel herab.

Jemand musste den Wind und die Richtung gelenkt haben. ‚Doch eine Person kann den Wind auch nur in eine Richtung lenken… Hier waren ZWEI Wetterhexen am Werk!’, stellte die grüne Hexe beunruhigt fest. Zu allem Überfluss also, wurde die Gefahr nur noch größer, aber das half Elphaba Thropp nun auch nicht mehr. Sie musste weiter!

‚Nur zwei oder drei Straßen noch…’, schätzte sie erleichtert ab und setzte zum Sprint an, als es erneut blitzte und krachend donnerte.
 

Accursia Akaber schloss Glindas Zimmertüre hinter sich. Das Licht brannte und ihre Augen mussten sich erst von der Dunkelheit des Flures an die Helligkeit dieses Raumes umstellen. Blinzelnd sah sie sich um: ein heller Teppichboden mit passendem Schreibtisch, dazu ein pinker Plüschstuhl. Ein verachtendes „Tze…“ entwich Accursias Lippen beim Anblick dieses Mädchenhaften Accessoires. Und dann das rosafarbene Himmelbett, in welchem Glinda lag. Madame Akaber, nun an die Helligkeit gewöhnt, ging hinüber zum plüschigen Schreibtischstuhl und schob ihn zum Ende des Bettes. Vorsichtig ließ sie sich hinein fallen.

‚Vor einem Jahr hätte ich nicht in ein solches Stück Mobiliar gepasst!’, schmunzelte sie sehr selbstzufrieden. Die Gewichtsabnahme hatte auch bewirkt, dass sie beinahe ungesehen oder unerkannt durch die Stadt hatte spazieren können. Nur ein einziges Mal war sie etwas unvorsichtig gewesen und so ein betrunkener Penner hatte sie im Ozma-Park angequatscht.

Sie hatte ihm eine Flasche smaragdischen Rum gekauft und war dann in der Statue verschwunden, nachdem sie sichergegangen war, dass der Obdachlose wohlig und besoffen auf der Parkbank eingeschlafen war.

„Auria, du driftest ab!“, ermahnte sie sich selber laut. Im Gefängnis hatte sie es sich angeeignet, mit ihrem Spiegelbild oder eben mit sich selber zu sprechen, da ein solcher Ort nicht gerade von Sozialismus geprägt gewesen war. Es hatte nur der berühmte ‚Unter-der-Hand-Sozialismus’ existiert.

„Nun, Damsell Galinda…“, sprach sie die durchnässte Blondine an, „Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“

Glinda regte und bewegte sich nicht. „Damsell Galinda?!“, murrte Akaber nun lauter. „Glinda, zum Donnerwetter noch mal!“

Madame Akabers Schrei wurde beantwortet durch einen krachenden Donnerschlag.

„Oh Oz…“, seufzte sie nun etwas enttäuscht, „Das hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Wie viel Opium hat mein dummer Neffe dir denn da nur gegeben? Du bist ja wort-wörtlich ab von der Welt.“

Unentschlossen, was sie nun tun sollte, trommelte Accursia im regelmäßigen Takt mit ihren langen Fingernägeln auf der Stuhllehne herum.
 

Keuchend stand Elphaba nun am Tor des großen Palastes. Als sie sich umblickte, stellte sie fest, dass ein hoher Zaun das gesamte Grundstück abschirmte. Sie wollte schon über den Zaun klettern – es zumindest versuchen – als ihr Verstand sich mal wieder meldete und die Hexe dazu brachte, erst einmal zu probieren, ob das Tor vielleicht nicht abgeschlossen war.

Sehr pessimistisch drückte Elphaba die Klinke der Personentür hinunter – die Klinke an der Kutschetür hatte sie gar nicht erst versucht – und zu Elphabas Erstaunen sprang die Türe mit leisem Quietschen auf.

‚Entweder’, dachte die Hexe, ‚war jemand sehr unvorsichtig und ungenau oder man geht davon aus, ungestört zu bleiben…

Mit dem Besen in der linken Hand huschte die schwarz vermummte Gestalt durch die offene Tür und rannte so leise es ihr möglich war und im Schatten versteckt den Weg bis hin zum Palast hinauf.

Der riesige Gebäudekomplex lag in seiner ganzen grünen Pracht dunkel vor ihr. Noch immer stand sie im Schatten und spähte in die Dunkelheit. Ihr war es kaum möglich, etwas zu erkennen. Im schwachen Licht der Eingangsbeleuchtung konnte sie zwei prachtvolle Kutschen erkennen. Doch nur vor einer Kutsche waren noch zwei Gäule gespannt, die vor Müdigkeit – oder war es Angst? – ihre Hälse übereinander gelegt hatten. Es sah aus, als würden sie sich gegenseitig halten.

Zu Elphabas mehr oder minder Vorteil blitzte es auf, als sie erneut versuchte, irgendetwas ausfindig zu machen. In der Sekunde des Lichts konnte sie nichts und niemanden sehen, was bedeutet: Sie sah, dass niemand dort war, außer ihr.

Eigentlich hatte sie sich auf einen vollständig umstellten Palast eingestellt, ‚… aber diese Angelegenheit soll wohl nicht die allgemeine Bekanntschaft machen…’, dachte die grüne Hexe bitter.

Endlich traute sie sich aus ihrem Schattenversteck heraus und lief auf die weite Grasfläche, sodass sie möglichst viele Fenster sehen konnte. ‚Bitte, bitte, hab kein Zimmer im fünften Stock!’, flehte Elphie zu niemandem.

Der regen machte ihr zu schaffen, denn durch den Wind war es kaum möglich, den Kopf so zu heben, dass eben kein Tropfen ihr zwischen Brille und Stirn geweht wurde. Dennoch wusste Elphaba, es wäre unmöglich, durch das Gebäude zu Glinda zu gelangen. In der Glasschale hatte sie vier Menschen gesehen und einer davon war ihre Glinda gewesen. Aber irgendetwas sagte ihr, dass vier nicht die endgültige Zahl war.

Erneut versuchte die ehemalige ‚Damsell’ Elphaba, ihren Kopf zu heben um möglicherweise das richtige Zimmer ausfindig machen zu können. Doch wie heiße Glut traf sie ein Wassertropfen an der Schläfe und reflexartig senkte sie wieder ihr Haupt. „Verdammt!“, zischte sie, als das Brennen langsam nachließ.

Beim nächsten Versuch ließ sie den Besen fallen, legte sie ihre beiden durch Lederhandschuhe geschützten Hände an die Schläfen und sie konnte ungehindert hochsehen. Zwar fühlte sie sich, als würde sie Scheuklappen tragen, doch sie wusste auch, es war die einzige Möglichkeit, überhaupt irgendetwas ausfindig machen zu können. Elphaba wünschte sich nur, dass Glinda in einem Zimmer auf dieser Seite des Palastes war.

„So ein Mist!“, stöhnte die grüne Frau auf, als zwei beleuchtete Räume in ihr Blickfeld kamen. Eines war auf der untersten Etage und eines, so vermutete Elphaba, im ersten Stock mit einem kleinen Balkon.

Schnell tastete sie nach ihrem Besen, hob ihn auf und lief zum erleuchteten Fenster im Erdgeschoss.

Vorsichtig spähte sie in den hellen Raum. Was oder eher wen sie dort sah, ließ die sonst so gefasste Hexe drei Schritte zurückweichen und sie fiel rückwärts auf ihren Hintern. Verwirrt saß sie auf dem nassen Rasen: „Aylin… Aylin Heidenbrunn!“, stammelte sie ungläubig.

‚Dieses verdammte Puzzle bekommt immer mehr Teile!’, dachte sie verärgert, doch sie hatte keine Zeit mehr, um die fehlenden Teile zu suchen.

Mit einem Sprung stand sie wieder auf den Beinen und lief auf das andere erleuchtete Fenster zu, in der Hoffnung, dort das Puzzleteil zu finden, was sie so dringend suchte.
 

Schweigen saß Accursia an Glindas Bettende und starrte die durchnässte Schönheit mal wütend, mal aggressiv und mal träumerisch an.

„GÜTIGE LURLINE!“, rief sie ungeduldig aus, „So funktioniert das nicht! Ich kann nicht länger warten. Ein Land braucht einen Führungswechsel, also wach auf, zum Henker noch mal!“

Als Antwort gab die schlafende Schönheit nur ein leises Stöhnen von sich.

Vor Wut bekam Makaber-Akaber nun einen hochroten Kopf und stand wuchtig auf von ihrem Stuhl. „Auria, beruhige dich!“, ermahnte sie sich abermals. Dann ging sie um das Bett herum, sodass sie an Glindas linker Bettseite stand und fasste der nassen Blondine unter ihre Arme. Dann zog sie sie ein Stück hoch, sodass es den Anschein machte, als säße Glinda von alleine gegen das Kopfende des Bettes gelehnt. Nur der Kopf stand noch in einer verräterischen Schieflage.

„Auch egal!“, entschied Akaber, „Zeit ist Macht und von dem ersten brauche ich heute noch viel um dann das andere zu erreichen!“

Vorsichtig ließ sich Accursia neben Glinda nieder. Den Rücken hatte sie zur Balkontüre gedreht und schaute ‚Glinda der Guten’ nun ins Gesicht.

„Ich hoffe, dass er dir wenigstens dein Unterbewusstsein nicht auch noch weggedröhnt hat, denn du sollst meine Worte schon noch in irgendeiner mentalen Sphäre mitbekommen, mein Kind!“, setzte Accursia Akaber in mahnender Stimme an, bevor sie in einen langen Monolog verfiel:

„Du fragst dich bestimmt, was der ganze Zirkus hier soll. Gut, ich werde es dir verraten. Dann wirst du die einzige sein, die wissend stirbt. Mein Geheimnis wird heute verraten und heute begraben! Wie poetisch!“ Sie lachte kurz auf.

„Fangen wir am Besten vorne an: Als ich so jung war, wie meine Nichte Aylin jetzt ist, hatte ich gar nichts. Meine Familie war arm und ich musste niedere Tätigkeiten vollbringen, um uns alle am leben zu erhalten. Irgendwann fand ich den Quell meiner Kräfte und studierte sie ausgiebig. Ich brachte mir selber bei, wie, wann und wo ich das Wetter kontrollieren konnte. Daraufhin riet ich meinem Vater, in die Landwirtschaft zu gehen und wir hatten Erfolg. Unserer Familie ging es besser, doch mir persönlich nicht wirklich. Ich wollte in die Welt hinaus und sie verändern. Ich stellte mir vor, wie ich den Menschen helfen konnte durch meine Gaben. Doch als meine Eltern herausfanden, zu was ich fähig war, versuchte mein Vater mich für viel Geld zu verkaufen.

Ich kann dieses Gefühl, was ich damals empfand, wirklich kaum beschreiben. Vielleicht eine Mischung aus Schmerz, Trauer, Enttäuschung, Wut und Einsamkeit.. Ja, so könnte man das formulieren.

Nun denn, jedenfalls war dieses Gefühlschaos der Grund, warum ich von zu Hause weglief und mich die erste Zeit selber durchschlagen musste. Ich log, klaute und stahl, um irgendwie zu überleben.

Zu dieser Zeit war ich dann ungefähr 20 Jahre alt und du, liebste Glinda, warst noch nicht mal in Planung!

Dies war dann jedenfalls auch die zeit, als der Zauberer nach Oz kam. Ich hatte von ihm gehört und machte mich auf, ihn zu suchen.

Damals war er noch schwach und ohne jeglichen Ruf, aber das sollte sich bald mit meiner Hilfe ändern.

Ich überzeugte ihn mit ein paar einfachen Phänomenen. Hier ein Blitz, da ein Hagelsturm. Er war begeistert und ich hatte nichts und niemanden. Der Zauberer nahm mich auf und sorgte sich um mich. Wir schmiedeten Pläne bis tief in die Nacht und er gab mir mein neues zu Hause.

Im gleichen Jahr wurdest du erst geboren!

Vier Jahre später, als er schon ein mächtiger Mann in Oz war und die Smaragdstadt so langsam Form annahm, ließ er mich zur Direktorin ausbilden. Ich sollte die jungen Köpfe mit seiner Meinung füllen.

Ich habe ihn damals angehimmelt, ja, wenn nicht sogar geliebt. Tja und ein Jahr später kam dann unser Sohn zur Welt… Er ist also ein Jahr jünger als du. Der Zauberer wusste davon nichts und ich gab den Jungen an meiner Schwester ab. Eine Zukunft hätte ich mir mit ihm nicht ausmalen können. Meine Schwester taufte ihren Sohn ‚Ramón’.

So kam eines zum anderen: Ich studierte weiterhin, ließ mich ausbilden und stand unter des Zauberers Fittiche. Als ich dann meinen 30. Geburtstag gefeiert hatte, wurde in Shiz das Kolleg eröffnet und ich wurde als Direktorin dorthin versetzt. Mein Herz brach, aber ich hätte alles für … ihn getan.“

Accursia biss sich auf die Lippen. Beinahe hätte sie seinen richtigen Namen verraten. Auch, wenn Glinda einen ‚abwesenden’ Eindruck machte, wollte sie nicht riskieren, dass sie als Tote zur Mutter Erde sprechen würde.

„Du warst also gerade zehn Jahre alt, als ich anfing, zu arbeiten. So arbeitete ich seit sieben Jahren in diesem Beruf, als ihr beiden – du und deine grüne Freundin – meine ganze Welt auf den Kopf gestellt habt. Ich erkannte früh genug das Potential dieser Spinatdame und hoffte, wenn ich sie dem Zauberer anvertraue, wählt er sie aus und ich kann meinen Posten räumen, um wieder in den Palast zu ziehen. Nichts da. Das dumme Gör ließ sich nicht darauf ein. Ihr beiden habt einen riesen Wirbel veranstaltet und als ich euch gegeneinander ausspielen wollte, ist es mir am Ende doch misslungen.

Ich war froh, dass wenigstens das Fräulein Thropp uns frühzeitig verlassen hatte vor genau einem Jahr, doch dann musstest du ja wieder mitmischen.

Inzwischen schreiben wir das Jahr 25 nach Oz, was dich zu einer 25-jährigen jungen Dame macht und mich zu einer 55-jährigen … Frau.

Was hat sich nicht alles verändert in dem Jahr, als die ‚Böse Hexe des Westens’ starb…“
 

Als Elphaba lautlos über den Rasen zu jenem beleuchteten Fenster huschte, kreisten ihre Gedanken wie wild durch den Kopf: ‚Wach mache ich hier? Was ist, wenn Ramón nur die betrunkene Glinda nach Hause gebracht hat? Ach, Blödsinn… Was sollte dann die Akaber hier? Und was um alles in Oz hat Aylin damit zu tun? Diese Brandstifterin – emotional unkontrolliertes Weib. Was mache ich, wenn ich Glinda in meinen Armen halte? Wer wird überhaupt in dem Zimmer sein? Was machen sie gerade mit ihr? Was wird mit Fiyero, wenn ich Glinda…’ Dann konnte Elphaba ihre eigenen Gedanken nicht mehr hören. Teils wegen des erneuten Donners, teils aber auch, weil ihr Herz so laut und feste Schlug, dass sie den Puls an den Halsschlagadern, auch ohne ihre Fingerspitzen darauf zu legen, fühlen konnte.

„Halt jetzt die Klappe, Kopf!“, zischte sie, nachdem das Donnergrollen abgeklungen war.

Endlich stand sie schräg unter dem beleuchteten Fenster, an welches ein kleiner Balkon grenzte. Erleichtert sah Elphaba pinkfarbene Gardinen in der Zugluft von draußen sehen.

„Glinda…“, hauchte sie. Nun musste die grüne Hexe es nur noch schaffen, dort hinauf zu kommen.

Mit prüfendem Blick sah Elphaba sich um. Links und rechts verliefen Weinranken an der Mauer hoch und diese reichten bis in den dritten Stock, schätzungsweise.

Die grüne Hexe hob ihre Arme und begann, etwas zu summen: „Scala, scala da vignito!“, sie schloss die Augen und summte noch einmal.

Noch bevor sie die Augen öffnete, wusste sie, dass es nicht funktioniert hatte. „So ein Mist!“, fluchte sie und trat dicht vor die Mauer.

Mit ihrer rechten Hand prüfte sie die Festigkeit und die Beschaffenheit der Reben. Elphaba musste feststellen, dass zwischen den wirklich festen, mittel alten Reben auch sehr junge, rutschige und alte, morsche Reben wuchsen.

Unwillig stellte Elphie fest, dass sie ihren Besen hier zurück lassen musste. Aus Sicherheit hatte sie ihn den ganzen Weg mitgeschleppt, auch, wenn er lästig war. Aber eine Hexe ohne Besen?

Für Elphaba war es ihre Eintrittskarte in die Abschirmung oder eher ihre Austrtittskarte bei Gefahr. Eine wahrhaftig schnelle und sichere Variante.

Dennoch blieb ihr nichts anderes übrig: Sie lehnte ihren Besen gegen die Mauer, genau unter dem kleinen Balkon und griff dann nach der ersten Rebe. Ihre andere Hand erfasste die zweite, sie zog sich hoch und fand mit den Füßen Halt. In diesem Rhythmus arbeitet sich die grüne Hexe an grünen Reben in schwarzer Nacht und noch schwärzerem Regen in Richtung des gelb erleuchteten Balkons hoch.

Sie keuchte, doch Stück für Stück ging es aufwärts. Nach drei Metern hielt sie kurz inne, um Luft zu schnappen und griff dann unvorsichtig nach einer herausstehenden Weinranke.

Plötzlich fühlte sie, wie die ergriffene Pflanze nachgab und ein Stück aus der Wand riss. Elphabas Füße glitten von der Mauer ab…
 

Als Fiyero schon die Kirchturmspitze des nächsten Dorfes sehen konnte, stellte er erstaunt fest: ‚Nun bin ich schon zwei Stunden gewandert und noch immer habe ich keine Lösung für diese komische Forderung des Buches gefunden…’

Langsam wanderte er weiter, bis hin zu einer Scheune auf weiter Flur, die die baldige Siedlung der Menschen signalisierte. Dort angekommen legte er sich unter das Dach ins Stroh, ‚Welch’ Ironie!’, dachte er bissig und schaute durch die Holzbalken in den Himmel.

Sein Gesicht war ein bisschen nass geworden und er hatte geplant, seine Fae zu späterer Stunde darum zu bitten, seine Augen und den Mund mit einem Stift nach zu ziehen.

Seufzend lag er dort eine Weile. Hin und wieder blitzte es und Fiyero genoss das unsagbare Naturschauspiel. ‚Es tut so gut, Fae sicher zu Hause im bett zu wissen…’, schmunzelte er, als es plötzlich wieder blitzte.

Mit diesem Blitz kam Fiyero endlich auch der ersehnte Gedankenblitz.

„Natüüüürlich!“, stöhnte er, setzte sich auf und klatschte sich eine Hand gegen den Strohkopf. „Am besten wäre Ihnen mit Abstand geholfen, so sollte aber die mit betroffene Person sich um sanfte Aufmerksamkeit bemühen…“, rezitierte er murmelnd. „Sie braucht Abstand und fühlt sich bedroht, warum, weiß der Zauberer, aber das ist ja auch egal!“, die Vogelscheuche schien zu sich selbst zu sprechen, „Das bedeutete für mich, ich muss mich etwas zurücknehmen, ihr Zeit geben, nichts erwarten und physisch natürlich auch nicht zu nahe kommen. Sanfte Aufmerksamkeit… Ich mache ihr Frühstück!“, rief Fiyero nun begeistert aus.

Sehr selbstzufrieden stemmte sich der ehemalige Fürst von Kiamo Ko in die Höhe und setzte seinen Weg in die Richtung fort, aus welcher er gekommen war. Die Scheuche rechnete damit, gegen 6 Uhr früh endlich wieder in Kiamo Ko zu sein.

‚Zeit genug für ein atemberaubendes Meisterwerk an Frühstück!’, dachte Fiyero mit großer Vorfreude.
 

Orez und Ramón standen noch immer wartend vor der Türe. Unmerklich waren beide immer ein Stückchen näher zur Tür gerutscht. Merkwürdigerweise waren die Ohren der beiden Männer näher an der Türe, als der Rest ihres Körpers.

„Verstehst du irgendwas?“, fragte Ramón neugierig im Flüsterton. Man hörte nur leises Gemurmel.

„Wenn du mir die ganze Zeit ins Ohr brabbelst, bestimmt nicht!“, antwortete Orez ungewohnt heftig.

„Nanu?“, Ramón stutzte und richtete sich wieder auf. „Was ist denn mit dir? Etwa noch was vor, heute Nacht?“ Er lachte dreckig.

„Was ist eigentlich dein Problem, Ramón? Wieso habe ich das Gefühl, dass du nichts Gutes mit Glinda im Sinn hast?“ Verwirrung stand dem Wachmann ins Gesicht geschrieben.

‚Wie kann ein einzelner Mensch so dumm sein, dass es für 100 andere Leute reichen würde?’, waren Ramóns Gedanken, welcher er doch lieber für sich behielt.

„Orez…“, begann Ramón schlichtend und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Dieser jedoch wich zurück und maulte: „Nein! War doch alles nur Schall und Rauch, was du mir damals verkauft hast! Da bleibt nichts von zurück! Ist es nicht so?“

„Sei leise, du dämlicher Hund!“, entwich es nun doch Ramón und im nächsten Augenblick wünschte er, es nicht gesagt zu haben. Doch nun gab es kein Zurück mehr: „Ich versprach dir damals eine Nacht. Die wirst du kriegen. Und danach wird dein blondes Flittchen von mir empfangen und danach sorge ich dafür, dass sie nicht mehr aufwacht!“

Nun war es Orez, für den es zu viel war. Sein Gesicht spiegelte den inneren Kampf wieder. Seine Emotionen waren zum Überlaufen hoch gekocht und seine Muskeln klingelten und rasselten förmlich in seinem Körper.

Blitzartig setzte sein Verstand aus, die niederen Instinkte gewannen Überhand und wie ein Tier stürzte sich der Wachmann auf den blonden Kerl, der doch nur ein Lügner war.
 

Elphaba fühlte, wie ihre Füße sich durch den Fehlgriff nicht halten konnten und schloss die Augen, aber hielt mit ihrer linken Hand so fest an der anderen Rebe fest, wie sie nur konnte. Sie hatte erwartet, jeden Moment auf dem Gartenboden aufzuschlagen. Doch zu ihrem Glück war die andere Rebe stark genug und Elphaba machte sich eilig daran, wieder in Position zu kommen und kletterte dann auch noch die restlichen zwei Meter hinauf zum Balkon.

Elphaba befand sich, an der Wand hängend, links neben der Brüstung und langte mit ihrer rechten Hand hinüber. Dann stellte sie auch den rechten Fuß in einen der Zwischenräume des Geländers und zog dann ihren restlichen Körper hinüber. Den linken Fuß warf sie über die Brüstung und mit einem Sprung stand sie auf dem Balkon, vor der angelehnten Balkontür. Die Gardinen im Inneren des Zimmer wehten noch immer hin und her und so war sich die Hexe sicher, dass sie im Schutz der schwarzen Nacht und den pinken Gardinen kaum von draußen gesehen werden konnte.

Neugierig, mit wildem Herzklopfen sah sie hinein. Sie war auf das Schlimmste gefasst.

„Was um alles in Oz…“, entwich es ihr leise, als sie Madame Akaber sah, die seelenruhig vor Glindas Bett in einem pinken Plüschstuhl saß schwieg. Aber plötzlich stand sie auf.

‚Ist das wirklich… Das ist ja nur noch die Hälfte von der uns bekannten Frau!’, schoss es der grünen Hexe durch den Kopf, aber ja, sie war es wirklich.

Makaber-Akaber setzte sich auf die linke Seite des Bettes… „MIST!“, zischte Elphaba, als die Gardine in ihr Blickfeld wehte.

Nach zwei oder drei Sekunden, die wie eine Stunde schienen, konnte die grüne Hexe nun Glinda erkennen. Die beiden Frauen schienen sich zu unterhalten.

‚Was wird denn das?’, Elphaba war verwirrt. Glinda sah irgendwie komisch aus: Die blonden Haare schienen ihr am Kopf zu kleben und ihr Kopf war irgendwie…

‚SIE SCHLÄFT!’ Elphaba verstand die Welt nicht mehr: ‚Was soll das denn? Verdammt…!’

Wenn Glinda damals während ihrer ‚Lernzeit’ wirklich mal gelernt hatte, war sie meistens nach einer halben Stunde eingeschlafen und hatte sie dabei gesessen, war ihr Kopf immer in diese wirklich amüsante Schieflage gefallen. Nur jetzt gerade war es alles andere als amüsant.

Doch Elphaba war sich sicher: Eben hatte noch niemand im Bett aufrecht gesessen!

‚Ich muss es tun. Ich muss einfach…’, ermutigte Elphaba Thropp sich und bekämpfte ihren drohenden Panikanfall.

Leise stupste sie die Balkontüre etwas weiter auf. Die Hexe brauchte keinen großen Spalt, um durchzuschlüpfen. Schließlich war sie kaum mehr als Haut und Knochen. Accursia Akaber saß mit dem Rücken zur Balkontüre, was es Elphaba um einiges erleichterte. Als Elphie durch den dünnen Spalt schlüpfte, stieß ihre Schulter leicht gegen den Türrahmen und die grüne Hexe musste einen verbitterten Schmerzensschrei unterdrückten. Tränen traten ihr in die Augen, aber sie konnte aufgrund des Sturms nicht riskieren, die Türe noch weiter zu öffnen.

Sie biss die Zähne zusammen, ignorierte ein leichtes Brennen im Gesicht und schon stand sie in dem Zimmer von ‚Glinda der Guten’, damalige Damsell Galinda, Elphabas erst gehasste, dann sehr vertraute Freundin.

„…Was hat sich nicht alles verändert in dem Jahr, als die ‚Böse Hexe des Westens’ starb…“, vernahm Elphaba die Worte der Madame Akaber, die irgendwie wie eine Bestätigung der eigenen Gedanken klangen.

„Was hat sich nicht alles verändert in dem Jahr, als die ‚Böse Hexe des Westens’ starb…“, Accursia hielt kurz inne, als würde sie nachdenken.

Elphaba stand stocksteif hinter dem pinken Vorhang und wartete ab, was als nächstes geschehen würde.

Die Frau neben Glinda seufzte: „Ach, Glinda mein Kind. Ohne euch… nein, eher ohne dich wäre so vieles einfacher gewesen. Ohne dich, hätte ich bestimmt dieses grüne Ding auf meine Seite ziehen können!...“

Vorsichtig hockte sich das ‚grüne Ding’ nieder.

„… Sie hat viel zu viel um dich gesorgt, auch, wenn dir das vielleicht nie aufgefallen ist. Keine wirklich sozial-verträgliche Person war sie, ja!...“ Madame Akaber lachte kurz auf, bei der Erinnerung an Elphaba.

Diese hingegen bewegte sich lautlos auf allen Vieren in Richtung Glindas Bett…

„Wie dem auch sei! Das muss ich jetzt nicht erklären, aber ich habe oft genug bemerkt, wie besorgt sie um dich war. Und du vielleicht auch um sie und exakt DIESES Band, Glinda, hat es mir schwer gemacht. Meine Sprüche haben bei ihr kaum gewirkt und du hast gelernt, was wahre Gefühle sind. Was es bedeutet, jemand wirklich um seinetwillen zu mögen, nicht um des Statuswillen oder des Geldeswillen. Aber nein! Nein, nein!

Du musstest dich ja unbedingt mit ihr anfreunden und so wurde sie mir auch viel zu selbstsicher. Ich konnte sie nicht mehr fassen, es war zu spät!

Ohne dich hätte sie bestimmt meine Stellung übernommen!“

Elphaba beeilte sich, die andere Seite des Bettes zu erreichen, als sie merkte, wie Madame Akabers Stimme schriller und aggressiver wurde.

„Und ICH hätte wieder zurück gehen können zu IHM! Zu MEINEM Zauberer! Ich hätte ihm gebeichtet, dass Ramón mein Sohn ist…“, nun schrie die platte Flunder unter Tränen, Elphaba musste ein verwunderten Aufschrei unterdrücken und erreichte die anderen Bettseite.

„… und wir wären eine richtige Familie geworden. Ich wäre glücklich gewesen! Wenn DU, Glinda, DU ganz allein, nicht leben würdest! Du verdammtes Miststück!“

Elphaba rollte sich schnell unter das Bett der gerade verfluchten und hörte kurze Zeit nichts, außer ein Geräusch das klang, als hätte jemand ein Stück Papier durchgerissen. Sie ärgerte sich, dass sie nichts sehen konnte, außer den Füßen der Akaber.

Dann setzte die Stimme erneut an, aber Elphaba hatte unter den ganzen Schluchzern Schwierigkeiten, den Kontext zu verstehen: „Aber nun ist er weg! Meine große Liebe. Und da gibt es auch keinen Grund mehr für dich, du Biest, weiter zu leben. Mir wäre es jetzt von nichts mehr nütze, wenn du an meine Stelle trittst würdest. Meine Zukunft ist schwarz. Ich habe nur die Möglichkeit, ihm nahe zu sein, indem ich mir ganz Oz unterwerfe. Und glaube mir, Glinda du Gottlose, ich werde…“

Beide Frauen und wenn Glinda ansprechbar gewesen wäre, sie bestimmt auch, hatten sich furchtbar erschrocken bei dem plötzlichen Knall an der Tür, der vom Flur kommen musste.

Die grüne Hexe unter dem bett konnte sehen, wie Makaber-Akaber mit einem Hüpfer auf den Füßen stand, zur Tür marschierte und sie öffnete.

Ramón und Orez fielen in den Raum, nicht klar war zu erkennen, wer oben lag oder wer mehr blutete.

Auch war nicht feststellbar, welche der beiden Hexen in diesem Raum mehr geschockt war.

Reflexartig hielt Elphie sich die Ohren zu, als Madame Akaber ein mütterliches Donnerwetter losließ, beide Männer vom Boden hob und mit ihnen kurz aus dem Zimmer trat.

„Jetzt oder nie!“, sagte Elphaba sich, krabbelte schnell unter dem Bett hervor und stellte sich hin.

Beinahe wäre sie wieder zurück gefallen, als sie in Glindas wunderschönes, aber blutumrandetes Gesicht blickte.

Niemand hatte Papier durchgerissen. Drei grausam lange Fingernägel hatten das schöne Gesicht der blonden Frau so scharf erwischt, dass drei tiefere Kratzer auf der linken Wange einen kleinen Rinnsal Blut verloren.

Die grüne Frau unterdrückte den starken Impuls, Glinda in die Arme zu nehmen, ihr zu helfen, sich um sie zu kümmern…

Stattdessen sah sie sich gehetzt suchend um. In sekundenschnelle musste ihr jetzt etwas einfallen.

Draußen vor der Türe im Flur konnte sie Accursia Akaber noch wettern hören. Der Kampf zwischen den beiden Männern hatte eher wie eine heftige Rauferei ausgesehen, doch der Blick in den Augen des ihr unbekannten Mannes, den sie hatte unter dem bett erspähen können, war alles andere als friedlich gewesen.

‚Er hätte ihn getötet…’, dachte Elphaba geschockt und dann sah sie es.

Dieses Ding stand glänzend und poliert auf Glindas linken Nachttisch. Es war ein Silber-Pokal auf einem Marmorfuß.

Auf dem Flur wurde es stiller.

Schnell griff Elphaba nach dem ca. 50 Zentimeter großen Pokal.

„Uff…“, machte sie, als sie die zweite Hand gebrauchte, um ihn nicht fallen zu lassen.

„Hmpffff…“, stöhnte es leise vom Bett her.

„Glinda!“, flüsterte Elphaba und drehte sich um. Tröpfchenweise war das Blut auf das weiße Laken zusehen und die blonde Frau war weiter nach rechts gesunken, sodass ihr Kopf nun auf dem anderen Kissen lag.

Schnell stellte Elphaba den Pokal auf dem Bettrand ab und hielt ihn mit der rechten hand vom Fall ab. Ihre linke Hand streckte sie nach Glinda aus, als sie hörte, dass die Türklinke heruntergedrückt wurde.

Ihr Herz schien zu explodieren vor Angst und Druck, als die grüne Frau ihre Hand ohne Berührung zurückzog, den Pokal wieder mit beiden Händen in die Höhe hievte und mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit und Gewandtheit sich hinter die aufgehenden Türe stellte.

Madame Akaber blieb in der Türe stehen und Elphaba konnte zwischen ihrem starken Herzklopfen, welches ihr so laut in den Ohren dröhnte, dass sie beinahe Angst hatte es würde sie verraten, noch die Worte der Wetterhexe hören:

„Noch einen Mucks und keiner bekommt, was ihm versprochen! Gebt mir noch zwei Minuten, dann bist du dran, Orez. Ausziehen kannst du sie ja wohl selber!“

Dann schloss sie die Türe.

‚Aus… WAS?’, Elphaba war geschockt. ‚Du bekommst keine zwei Minuten mehr!’, dachte sie erzürnt, als Madame Akaber, mit dem Rücken zur Türe, auf Glindas Bett zuschritt.

Elphaba tat einen Schritt nach vorne, hob den Pokal mit beiden Händen über den Kopf und im Silber spiegelte sich blitzend das Licht.

Da erst erkannte Elphaba die Aufschrift: ‚Für die nun offizielle „Glinda die Gute“; überreicht vom Zauberer von Oz & Mme Akaber’.

„Wie passend!“, zischte Elphaba.

Nicht klar, ob Accursia das gespiegelte Licht im Augenwinkel wahrgenommen hatte oder ob es Elphabas Worte waren, drehte sich die Wetterhexe erschrocken um.

Die schwarz vermummte grüne Hexe konnte nur noch die weit aufgerissenen Augen und den Schock, sowie Verwirrung im Gesicht von Accursia Akaber erkennen, als sie den silbernen Marmorpokal mit voller Wucht auf die andere Hexe niedergehen ließ.

Es gab einen dumpfen Knall.

Mit leisem Stöhnen ging Madame Akaber in die Knie und Elphaba musste ausweichen, damit ihre ehemalige Direktorin ihr nicht auf die Füße fiel.

Der dicke Teppichboden hatte zum Glück den lautesten Teil gedämpft.

Die grüne Hexe hörte noch immer das Geknirsche in ihren Ohren, als sie gerade eben erst diesen Pokal auf den Schädel der nun am Boden liegenden Frau gehämmert hatte.

Als Elphaba nun zu dieser Dame hinunterblickt und das Geknirsche wie in ekelhaftes Echo nicht weichen wollte, wurde ihr beim Anblick des sich langsam rot färbenden Teppichs übel.

Reflexartig legte sie sich eine Hand auf den vermummten Mund und unterdrückte ein Würgen. Den Pokal hatte sie fallen gelassen und er lag blutverschmiert neben Accursias Kopf.

‚Sie atmet noch!’, dachte Elphaba ein wenig erleichtert. Egal, wie sehr sie diese Frau auch verabscheute – die grüne Hexe wusste, einen Mord würde sie sich selber niemals verzeihen. Auch nicht an Accursia Akaber!

Als die vermummte Gestalt es dann doch endlich schaffte, ihren Blick von der am Boden Liegenden abzuwenden, schlich sie geschwind zur Türe und drehte kaum hörbar den Schlüssel um.

Dann lief sie herüber zu Glindas Bett und sprang mit angezogenen Beinen darauf, sodass sie letztendlich vor Glinda kniete. Da erst erkannte sie, dass Glinda völlig durchnässt war.

Auch Elphaba hatte eine nasse Spur auf dem hellen Teppichboden hinterlassen.

„Na super!“, seufzte Elphie ärgerlich. Nun war es ihr nicht mal möglich, Glinda mit einer nicht behandschuhten Hand zu berühren.

Vorsichtig zog sie Glinda wieder in die vorherige Position, ihr Kopf hatte immer noch den starken Seitendrang.

„Ach egal!“, flüsterte Elphaba frustriert. Dann biss sie mit den Zähnen auf die Fingerspitzen des rechten Lederhandschuhs, während sie Glinda mit der linken, noch behandschuhten Hand, stützte. Sie zog den Handschuh aus und griff mit der nun freien hand unter Glindas Kinn. Sofort fühlte sie ein leichtes Brennen, aber es war erträglich. Sie wischte der blonden Frau das blutverschmierte und nasse Haar aus dem Gesicht und strich zärtlich mit dem Zeigefinger über die unverletzte Wange.

„Oh Glinda…“ Sie schluchzte beinahe.

In dem Moment seufzte Madame Akaber, bevor sie das Bewusstsein verlor.

„Was..?!“, entwich es Elphaba, die spürte und auch sah, wie ihre grüne Haut kurz smaragden aufleuchtete. Plötzlich fühlte sie eine wohlige Wärme in sich aufsteigen.

Nein, das war keine Wärme. Es war..

„Meine Zauberkraft!“ Erleichtert bewegte sie Glinda so, dass die zierliche Frau längs auf dem Bett lag. Dann zog sich die grüne Hexe wieder ihren Handschuh an, hob die Arme in die Luft und murmelte: „Ramazza, scopa, provenire da tenebra!“

Sie brauchte den Spruch nicht ein zweites Mal zu summen, denn schon schoss der Besen durch das Fenster. Lautes Klirren war die Folge.

„Was ist da drinnen los?“, schrie eine aufgebrachte Männerstimme vom Flur her. „MUTTER?“

Es musste Ramón sein.

Elphabas Herz fing wieder an, schmerzend zu pochen.

Schnell befahl sie dem Besen, an ihre Seite zu kommen, auf passable Höhe.

Nun warf sich einer der Männer gegen die Türe. Er hörte nicht auf zu schreien.

Der linke Arm glitt in Eile unter Glindas Kopf, während der rechte unter ihren Oberschenkel, nahe den Kniekehlen Halt suchte. So hielt die grüne Hexe die blonde Zauberin in den Armen.

Stöhnend kichernd flüsterte sie: „Du bist schwerer, als du aussiehst, meine Liebe!“

Im Damensitz nahm Elphaba schnell auf ihrem Besen Platz und stützte Glinda auf dem Besenstab ab. ‚So fällt sie mir bestimmt vom Besen!’, stellte Elphie fest und drehte Glinda zu sich um, sodass der Kopf der Blonden in Elphabas linker Halsmulde lag und ihre Beine über denen von Elphaba lagen, sodass die grüne Hexe sie während des Fluges stützen konnte. Damit sie nicht zu den Seiten abrutschte, legte Elphaba Glindas Arme um die schwarz bekleideten Hüften. Ihr linker Arm war nach vorne ausgestreckt und hielt den Besenstiel fest, sodass Glindas Oberkörper dort auch halt hatte.

Mit dem rechten Arm hielt Elphaba die nasse Frau fest an sich gedrückt.

Als sie sich sicher war, dass Glinda nicht abrutschen könnte, brachte sie den Besen durch Willenskraft dazu, blitzartig den Raum zu verlassen.

Zum Glück schoss der Besen durch das schon bestehende Loch in der Balkontür und nur die letzten Splitter fielen durch den Windstoß leise klirrend auf den Boden.

„MUTTER?“, schrie Ramón, als Orez es endlich geschafft hatte, die Türe aufzubrechen.

Die beiden Männer blickten ungläubig in den Raum. Tropfen von Blut und Wasser waren im ganzen Zimmer verteilt. Und eine Blutlache.

„NEIN!“, schrie Ramón, „NEIN! MUTTER! MUTTEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEER!“

Elphaba hatte Ramóns Schrei noch gehört, doch da war sie schon lange außer Sichtweite gewesen.

Zuerst hatte sie einige Probleme gehabt, das Gleichgewicht zu halten. Glinda drohte abzurutschen. Aber dann hatte es doch sehr gut funktioniert.

Es regnete immer noch stark, aber das Gewitter hatte aufgehört. Keine Blitze, kein Donner.

Die grüne Hexe warf einen schnellen Blick gen Himmel und sie fühlte eine innere Bestätigung der vorher aufgestellten Hypothese über ZWEI Wetterhexen: Der Wind schien nun nur noch aus Westen zu kommen, denn die Wolkenberge auf der geraden Linien waren verschwunden und glatter geworden. Nun jedoch strömten sie nach Osten.

‚Na wenigstens ein Mal Glück!’, seufzte Elphaba, als sie das Ende des Unwetters schon sehen konnte.

Mit Atemraubender Geschwindigkeit flog der Besen gen Westen, während hinter ihnen, im Osten, schon langsam die Sonne aufging.

„Glinda wach auf!“, flüsterte die grüne Hexe der blonden Frau ständig ins Ohr. Doch die Angesprochene zeigte keine Regung.

„Glinda, wach auf! Wir sind gleich da! Dort drüben Kiamo Ko! Der Regen hat aufgehört!“, nuschelte eine vermummte Elphaba durch ihr Mundtuch. Sie hatte Schmerzen, das merkte sie. Dennoch war es mehr an der Oberfläche, es brannte und juckte ein bisschen.

‚Dann wird es auch nicht so schlimm sein!’, hoffte sie bei sich.

Als nun schon die Türme von Kiamo Ko in Sichtweite kamen, brachte Elphie sich und ihren Besen etwas näher zur Erde. Nun flog sie kurz über den Baumwipfeln des Waldes. Sie konnte nicht riskieren, dass sie nun noch gesehen wurden. Denn insgeheim hatte Elphaba Thropp keine Ahnung, wie sie aus dieser Angelegenheit noch unbeschadet herauskommen sollte.

Sie dachte darüber nach, ob Madame Akaber sie erkannt hatte… Aber sie wusste es nicht. Accursias Mimik hatte nichts als Erstaunen und Schock verraten.

‚Ich weiß ja nicht mal, ob sie überhaupt noch lebt…’, dachte die vermummte Person, welche in dieser Verkleidung weder feminin noch maskulin aussah.

„Glinda, wir sind da!“, wurde die zierliche Frau informiert. Keine Reaktion.

Dann landete Elphaba vorsichtig und sanft auf dem Hinterhof der Burg in Kiamo Ko. Der Besen schwebte eine Beinlänge über dem Boden, als Elphaba mit Glinda in ihren Armen abstieg: Die linke Hand unter Glindas Rücken und die rechte Hand unter ihren Oberschenkeln.

Ihre grünen Arme waren stark, aber sie spürte, dass sie das Gewicht der zierlichen Frau nicht mehr lange halten konnte. Vom Hinterhof führte der Gang sie durch den Wohnsaal, direkt zur Treppe des Schlafzimmers.

Glinda regte und rührte sich noch immer nicht. Es war Elphaba noch gar nicht eingefallen, dass auch eine Vergiftung möglich wäre.

Nun bekam sie es mit der Angst zu tun.

Vorsichtig beugte sie sich zu Glindas Gesicht herunter und hielt ihre grüne Wange an die rosige Nase und den schmalen Mund.

Panisch wartete die grüne Hexe nun auf einen Atemzug der wundervollen Frau in ihren Armen, der ihre Wange leicht streifen sollte…
 

Fröhlichen Schrittes näherte sich Fiyero im Morgengrauen der Burg.

‚Wie schön…’, dachte er versonnen, ‚Das Unwetter scheint abzuklingen und die Sonne geht schon auf!’

Er summte eine leise Melodie und überlegte, was er seiner Fae zum Frühstück alles servieren sollte. Noch bevor er seinen Ideengang über Quadlinger Brötchen mit leichtem Gillikin Quark und Tomaten aus dem eigenen Garten beenden konnte, war er schon am Eingangstor von Kiamo Ko angekommen.

Er blieb stehen und ließ das umwerfende Bild auf sich wirken:

Die vier großen Türme, aufgeteilt in Nord, Süd, West und Ost, strahlten im aufgehenden Sonnenschein. Die oberen Fenster des Ostturms spiegelten die Morgensonne wieder und es funkelte romantisch. Der vordere Hof mit seinem Kiesmuster aus grau- und elfenbeinfarbenen Steinen lag in seiner ganzen Pracht vor ihm.

Der Weg aus bordeauxroter Kieselerde, welcher in gerader Linie zum Eingang führte, war an manchen Stellen von gillikinesischen Rosen umgeben.

Auf der linken, sowie auf der rechten Seite befand sich ein Kreis ohne Steine. Zwei prächtige Quoxwald Eichen ragten dort in die Höhe und unter beiden Bäumen stand jeweils eine bordeauxrote Bank. Die Vogelscheuche lächelte an die Erinnerungen, wie sie sich über Elphabas Vorliebe für Symmetrie lustig gemacht hatte.

Damals hatten sie entschieden, dass die Gestaltung des Vorderhofs Elphaba übernahm er sich um die Gestaltung des Hinterhofs mit angrenzendem Garten kümmerte. Nun wuchs alles Mögliche an Gemüse in diesem Garten, denn mit der Veränderung seine Aussehens des damals ach so attraktiven Mannes, hatten sich auch seine Interessengebiete gewandelt.

Er schwelgte in Erinnerungen, wie er damals auf der sozialen Leiter die oberste Sprosse in Anspruch nahm und Lob, Leidenschaft und Liebe quasi ernten konnte.

Heute jedoch kletterte er nur noch auf eine Leiter, wenn er sich um die großen Gemüse Stauden kümmern musste und deren Früchte waren Fiyeros einzige Ernte seit langem gewesen…

Fiyero seufzte, als er den roten Weg entlang wanderte und eine der Rosen abpflückte.

‚Was für ein guter Einfall! Die wird ihr bestimmt gefallen!’

Mit dieser Selbstzufriedenheit durchquerte die Vogelscheuche dann den Wohnsaal, betrat die Küche und fing mit seinen Vorbereitungen für das Frühstück an.

Die Rose stellte er vorsichtig in eine Glasvase und beschloss daraufhin, erstmal das Grün seines Gartens bestaunen und das Rot ernten zu gehen.
 

Abwartend beugte sich Elphaba noch immer über Glindas Gesicht, die blonde Frau in ihren Armen.

„Oz sei Dank!“, stöhnte sie erleichtert auf, als sich der fragile Brustkorb bewegte und ein Atemzug sanft die grüne Wange streifte.

Elphaba richtete sich auf und betrachtete die Frau, welche sie hielt, mit ihren dunklen Augen.

‚Sie sieht nicht fiebrig aus, aber auch nicht zu blass. Das Rot ihrer Lippen ist noch kräftig genug und um die Nase ist sie nicht weis…’, analysierte sie und alles wies darauf hin, dass die blonde Schönheit nur einen sehr tiefen Schlaf hatte.

‚Oder eben betäubt wurde…’, dachte Elphaba misstrauisch.

Jedoch war ihr beides recht, denn es bedeutete, dass ihre ehemalige Klassenkameradin unversehrt bald aufwachen würde.

Obschon zwei Lederhandschuhe ihre Hände schützten, konnte Elphie die Kälte spüren, welche von Glindas Körper ausging. Der schnelle Flug durch die kühle Luft, zudem noch Glindas Nässe hatten ihr bestimmt nicht gut getan.

Mit dieser Feststellung setzte sich Elphaba nun endlich in Bewegung und marschierte eiligen Schrittes direkt auf die Hintertür zum Wohnsaal zu.

Mit dem rechten Ellbogen drückte sie die Klinke herunter und stellte gekonnt ihren Fuß in den kleinen Spalt. Dann öffnete sie die schwere Türe mit ihrer ganzen Beinkraft, die sie noch aufbringen konnte und durchquerte den Saal, hinauf zur Treppe.

Erst, als sie um ihr Bett herumging, um Glinda auf ihre Bettseite zu legen – irgendetwas in ihrem Inneren befand es als unangebracht, die blonde Frau auf Fiyeros Bettseite zu legen – kam der grünen Frau Yero wieder in den Sinn.

Wo war er? Er war doch gestern Nacht im Wohnsaal geblieben um zu lesen?

Elphaba war verwirrt. Sie ahnte, dass ihr Yero einen Spaziergang gemacht haben könnte und hoffte, sie würde ihm begegnen, bevor er ihr begegnete.

Doch nun drängte die Zeit.

Vorsichtig legte sie Glindas Körper auf das Bett, nachdem sie ihre Bettdecke aufgeschlagen hatte. Den blonden Kopf bettete sie auf ihrem Lieblingskissen.

Der graziöse Körper war noch immer etwas feuchtkalt und das Kleid wirklich nass, wie Elphaba besorgt feststellte.

Schnell stand sie auf, lief ins Badezimmer und holte zwei große Handtücher.

Die immer noch mit Handschuhen bekleideten Hände griffen unter Glindas Kopf und hoben ihn sanft in die Höhe. Die Hexe platzierte das etwas kleinere Handtuch auf dem Kissen und ließ den Blondschopf wieder herabsinken. Gekonnt griffen die Hände nach den Enden des Tuches und banden es Glinda so um den Kopf, dass all ihre Haare darin gefangen waren.

‚Der Rest wird wohl schon gehen…’, mutmaßte Elphaba und zog erst die nasse Kapuze vom Kopf, bevor sie auch die Handschuhe auszog.

Erneut stellte sie sich hin, zog nun auch ihren Mantel, die Kappe und die Stiefel aus.

Erst dann setzte sie sich wieder an Glindas Seite und suchte den Reißverschluss, um das Kleid zu öffnen. Sie fand keinen.

„Was zum…?“, nuschelte sie. Mit dem Konzept von Mode war Elphaba ja noch nie besonders vertraut gewesen, doch sie hatte immer angenommen, ein jedes Kleidungsstück bräuchte einen Verschluss, um es aus und anziehen zu können.

„Tja, falsch gedacht, Fräulein Thropp!“, stellte sie zu sich selber sprechend fest und beschloss, erst einmal Glindas Arme und Dekolleté abzutrocknen.

‚Sie MUSS aus dem verdammten Kleid raus!’ Elphaba verzweifelte und weil sie keinen anderen Weg sah, griff sie nach Glindas Trägern und schob sie hinunter. Vorsichtig schob sie die zierlichen Arme durch die Ärmel.

Als die Arme nun komplett befreit waren, schob Elphaba die Bettdecke ganz von Glindas Körper und hielt inne. Ihre Hände waren auf halber Höhe von Glindas Brüsten von ganz alleine stehen geblieben.

Dunkelgrün lief die auf dem bett sitzende Frau an und seufzte vor Scham.

‚Das ist eine Notsituation! Was stellst du dich so an?’, fragte sie das eigene Ich verbittert.

Schließlich griffen ihre Hände doch nach den herabhängenden Trägern und rollten den oberen teil des Kleides langsam herunter bis zum Bauchnabel.

Elphaba hatte die ganze Zeit über auf ihre eigenen Hände gestarrt, doch als sie nun hochblickte, wäre ihr beinahe schwindelig vor Scham geworden.

‚Wie kommst du auch darauf, dass Glinda unter einem solchen Kleid einen BH tragen kann?’, fragte sie rhetorisch, als sieh die wohlgeformten Brüste der Blondine betrachtete.

Betrachten war hier das falsche Wort gewesen, denn hätte Elphaba länger als ein paar Sekunden hingesehen, wäre sie wohl wortwörtlich im Boden versunken.

Aber dennoch hatte die grüne Hexe bemerkt, dass Glindas Brustwarzen steif waren – ein Zeichen für innere Anspannung oder Kälte.

Schnell rollte sie das Kleid über die anmutigen Hüften, in der Hoffnung, dass Glinda wenigstens eine Unterhose trug. Als ihr das pinke Höschen mit der Aufschrift „Princess“ entgegen blinkte, musste Elphie sogar ein Lachen unterdrücken.

Endlich hatte sie es geschafft, das monströse Kleid komplett von Glindas Körper zu streifen.

Sie warf es sauer auf den Stuhl neben dem Kleiderschrank und griff nach dem zweiten Handtuch.

Sanft rubbelte sie die zierlichen Füße ab, dann die Waden und Oberschenkel, den Bauch und schließlich auch für den Bruchteil einer Sekunde die Brüste.

‚Das ist eine Notsituation! Das ist eine Notsituation! Das ist eine Notsituation!’, hämmerte es in ihrem Kopf und sie blendete schnell alle aufsteigenden Eindrücke und Gefühle aus.

Schließlich warf sie die Bettdecke über Glindas Körper und eilte abermals ins Bad, um einen flexiblen Behälter mit heißem Wasser zu füllen.

Vorsichtig drehte sie den Wasserhahn auf, darauf bedacht, dass es nicht über den Rand spritzte. In der Zwischenzeit suchte und fand sie den Behälter im Badezimmerschrank.

Als sie sah, dass leichter Qualm vom Becken her aufstieg, drehte sie den Deckel des Behälters auf und den Wasserhahn wieder zu.

Behutsam hielt sie die Öffnung des Gefäßes genau unter die Öffnung des Hahns und drehte langsam das Wasser wieder auf. Fröhlich plätscherte es vor sich hin.

Ungeduldig wartete die grüne Hexe, bis der Bottich beinahe voll war. Endlich diese Wasserbegegnung ein Ende und Elphaba drehte den Deckel fest zu.

Schnell schnappte sie sich noch ein Handtuch, wickelte es um den heißen Behälter und eilte zurück ins Zimmer.

Als sie die Bettdecke zurückschlug, lag Glinda nicht mehr in ihrer alten Position. Sie hatte nun die Beine angezogen und den Kopf leicht gedreht. Achtsam legte Elphie die Wärmeflasche an Glindas eiskalte Füße.

Vor Schreck trat die Hexe hektisch einen Schritt zurück, als Glinda laut aufseufzte, sich aber nicht bewegte.

Irgendwann zwischen ausziehen und abtrocknen musste Elphaba der blonden Schönheit auch die Schuhe ausgezogen haben, denn diese waren es, über die die grüne Hexe nun rückwärts stolperte.

Sie verlor das Gleichgewicht und prallte mit ihrem Rücken donnernd gegen den Kleiderschrank, blieb aber stehen.

Der Aufprall verursachte nicht wirklich Schmerzen, doch nun merkte Elphaba, dass die eigentlichen Schmerzen so langsam aufstiegen. Die ganze Zeit hatte sie ihre eignen Verletzungen einfach ausblenden können, doch nun, als sie in Sicherheit und das nötigste getan war, krochen sie in dem grünen Körper langsam und schmerzvoll an die Oberfläche.

Mit einem neugierigen Blick auf Glinda stellte Elphie fest, dass sie noch immer schlief.

Beruhigt deckten die grünen Hände den rosigen Körper feste zu. Anschließend befreiten sie noch Glindas Lockenpracht aus dem Handtuch, bevor auch die restlichen Körperteile im Badezimmer verschwanden.
 

Fiyero, noch immer summend, trat in der Zwischenzeit auf den Hinterhof. Er war von der Küche aus direkt hierher spaziert und im Augenwinkel sah er noch, wie die Tür zum Wohnsaal ins Schloss fiel.

‚Nanu?’, wunderte er sich und beinahe wäre er hinterher gelaufen, doch dann entsann er sich, dass dieser blöde Affe ja andauernd seine Tomaten klaute.

Also sputete er sich, um seine Tomätchen zu zählen und tatsächlich – es fehlten zwei.

Bei dem wundervollen Wetter und der Höhe von Kiamo Ko hatte er auch mal Überlegungen angestellt, einen Bananenbaum zu pflanzen, doch hatte diese Idee direkt wieder verworfen…

„Dämliches Mistvieh!“, schimpfte er sauer vor sich hin, machte sich daraufhin jedoch an seine kleine Vorernte für das wundervolle Frühstück, womit er seine Fae überraschen wollte.

Diese Gedanken vertrieben den Ärger und bald stand er wieder summend und pflückend mitten im Gemüsebeet.

Als sein Strohhut, welchen er als Tragetasche benutzte, bis zum Rande gefüllt war mit Tomaten, kleinen Gurken und Smaragdsalat, entschied er, es wäre nun langsam Zeit, mit dem Brötchenbacken zu beginnen.

Demnach schlenderte er gemütlich in die Küche zurück und warf einen Blick zum Fenster seiner Geliebten. Verwundert stellte er fest, dass es offen stand.

Ob sie schon wach war?

‚Naja, sie hat es ja gerne, wenn die Morgensonne ihr ganzes Zimmer erfüllt…’, schmunzelte er und beschloss, bald mal nachsehen zu gehen.

Das Backen machte ihm erst seit einigen Wochen wieder Freude, denn anfangs hatte er lernen müssen, mit Handschuhen umzugehen. Elphaba mochte eben kein Stroh im Essen, genauso wenig wie er selber, wenn er noch essen könnte.

Die letzten Wochen waren auch ausschlaggebend dafür gewesen, dass Fiyero sich nun wieder recht gut in der Küche fühlte und den Teig schnell fertig stellte, formte und die Brötchen in den Ofen schob.

Vorsichtig zündete er das Feuer an, bevor er sich daran machte, das Gemüse zu schnibbeln.

Nachdem soweit alles fertig war, holte er sich ein silbernes Tablett aus dem Schrank, stellte Geschirr, Kaffee, Quark, Gemüse und Besteck darauf. Dann holte er vorsichtig mit den bloßen Händen die Brötchen – er fühlte ja keinen Schmerz – aus dem Ofen und legte sie in den Brotkorb auf dem Tablett.

Gerade wollte er das Feuer löschen, als ein lautes Geräusch ihn innehalten ließ.

Es hörte sich an, als wäre etwas oder jemand gefallen. Schnell löschte er das Feuer, öffnete das Küchenfenster, damit der Rauch aus dem Raum weichen konnte und eilte – so schnell seine Balance zwischen Tablett und Gang zuließ – die Treppe hinauf. Er war noch nie ein guter Kaffeeträger gewesen und ärgerte sich, dass er nicht schneller die Stufen nehmen konnte…
 

Mit großer Vorsicht pellte sich Elphaba im Badezimmer aus ihrer restlichen Kleidung. Ihre Hose war noch immer klamm vom Regen und erst jetzt spürte sie das schmerzhafte Brennen auf ihren Oberschenkeln. Sie öffnete den Knopf am Hosenbund und versuchte, die Hose abzustreifen, doch sie schien am Körper zu kleben.

Schmerzhaft stöhnte sie auf, als sie sich mit einem Ruck die nasse Klamotte vom Körper zog und in die Badewanne warf.

„Großer Oz!“, jammerte sie, als sie auf ihre Oberschenkel blickte. Während der Rest ihrer Beine unversehrt war, gab es zwei Faustgroße Stellen in der Mitte jedes Schenkels, auf welchem die oberste Hautschicht weg gebrannt war. Die Hose musste sich an diesen Stellen so mit Wasser voll gesogen haben, dass ihre Haut permanent in Berührung damit gekommen war und als das Gewicht von Glindas Beinen während des Flugs auch noch auf den Schenkeln gelastet hatte, musste die Hose feste gegen die Haut gedrückt worden sein.

In ihren Augen bildeten sich Schmerzenstränen, doch schnell schluckte die grüne Frau diese wieder herunter und suchte nach Fiyeros Wund- und Heilsalbe, mit welcher er den grünen Rücken nach dem Albtraum immer wieder vorsichtig eingerieben hatte.

Sie war nicht hier.

„Verdammter Mist!“, schimpfte sie und rannte schnell ins Schlafzimmer. Auf dem Nachttisch an Glindas Seite lag die ersehnte Tube.

Mit einem Blick auf die schlafende Schönheit stellte Elphaba einerseits beruhigt und andererseits besorgt fest, dass die Frau schon wieder ihre Position verändert hatte. Das bedeutete nämlich, sie würde nicht mehr allzu lange schlafen…

Doch was würde passieren, wenn sie aufwachte?

Elphaba jedoch hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Der Schmerz hatte sich in ihrem Körper ausgebreitet und hämmerte nun an diversen Stellen.

Schnellen Schrittes eilte sie zurück ins Bad und schloss die Türe.

Dann verteilte sie vorsichtig die Salbe auf den in Mitleidenschaft gezogenen Stellen und den kleineren Blasen drum herum.

Stöhnend und wimmernd hatte sie es irgendwann geschafft, all die verletzten Stellen einzureiben.

Das Unterhemd und den Pullover zog sie daraufhin in einem Zug aus, jedoch vorsichtiger als die Hose. Die grüne Frau betrachtete sich im Spiegel und stellte erleichtert fest, dass Bauch und Rücken unversehrt geblieben waren.

Doch dann fiel ihr Blick auf die stark stechende und brennende Schulter. Sie sah den Sturz vom Besen auf das Hausdach wieder vor ihrem inneren Auge und stöhnte leise auf, als die den gleichen physischen Schmerz abermals fühlte.

Sie drehte sich zur Seite, um im Spiegel ein besseres Bild auf die Wunde zu haben.
 

Schnaufend nahm Fiyero die letzte Treppenstufe. Er war froh, endlich oben angekommen zu sein und stellte das Tablett behutsam auf den Treppenabsatz. Dann öffnete er leise die Türe einen Spalt weit, hielt sie mit seinem linken Fuß vom Zufallen ab, drehte sich um und nahm das bereitstehende Tablett wieder achtsam in seine Hände. Mit seinem Rücken drückte er die Türe weit genug auf, um hindurch schlüpfen zu können. Seine ganze Konzentration musste er dafür aufbringen, den Kaffee nicht zu verschütten, jedoch konnte er erkennen, dass seine Fae noch im Bett lag.

Also stellte er das Tablett auf seinem Nachttisch ab und legte sich sehr selbstzufrieden auf seine Seite des Bettes. Er hatte keinen Tropfen Kaffee verschüttet.

Elphaba schien wild geträumt zu haben. Sie lag bis zum Hals unter der Decke und hatte ihm den Rücken zugedreht, stellte Fiyero fest, soweit er das an den Konturen des Körpers festmachen konnte.

Das Kissen jedoch hatte sie weit hinter sich geschoben, sodass Fiyero ihre Haare und ihr Gesicht nicht erkennen konnte.

Zärtlich schob Yero seine Hand unter die Bettdecke und suchte Elphies Rücken. Als er ihn fand, war er verwundert, dass sie kein Nachthemd trug.

‚Verwundert? Ja. Beschweren? Auf keinen Fall!’, dachte er schmunzelnd und strich ein paar Mal über den zierlichen Rücken.

Das Gewicht der Bettdecke nervte ihn jedoch nach ein paar Liebkosungen, also hievte er sie mit seinem Arm etwas in die Höhe, um sie auf Faes Hüfte abzulegen.

„Was um alles in Oz ist DAS?“, hauchte er, erschrocken, verwundert und panisch zugleich.

Hatte Elphaba es geschafft, sich normal zu zaubern? Was würde dann aus ihnen werden?

Fiyero sprang aus dem Bett und lief zur anderen Seite. Erst da bemerkte er, dass alle möglichen Kleidungsstücke unachtsam im Raum herumgeworfen worden waren. Ein wundervolles Kleid lag auf dem Stuhl neben dem Schrank und ein Paar hochhackige, sehr feminine Frauenschuhe lagen davor. Die konnten unmögliche seiner Fae gehören, genauso wenig wie das atemberaubende Kleid.

Dann riss er das Kissen in die Höhe und… hätte er noch Blut im Körper gehabt, wäre er bleich geworden wie ein Blatt Papier…

„GLINDA!“, stöhnte er ungläubig. Wie angewurzelt blieb Fiyero mit dem Kissen in der Hand stehen.

Er konnte sich nicht rühren. Das einzige, was er konnte, war starren.
 

Elphaba starrte. Ungläubig blickte sie in den Spiegel und sah, wie eine leichte Blutbahn sich aus der Wunde löste. Schnell griff sie nach einem Waschlappen und stoppte das Gerinnsel. Die Wunde war beinahe schwarz. Die grüne Hexe konnte nichts erkennen. Den Waschlappen tunkte sie in ein ansonsten wohltuendes Kamillenöl und wusch die Wunde rein. Der Pullover und die Lederjacke mussten abgefärbt haben.

Elphaba biss die Zähne zusammen, als sie ein stechendes Brennen fühlte, sobald der Waschlappen die Haut berührt hatte. Zischend sog sie Luft zwischen ihre Zähne ein und atmete brummend wieder aus.

Sie konzentrierte sich auf diese Atmung, was den Schmerz etwas erträglicher machte.

Als die Wunde gereinigt war, erkannte Elphaba, dass es nur halb so schlimm war, wie es ausgesehen hatte. Das meiste Rot an ihrer Schulter kam von gewöhnlichen Schürfwunden her, nicht weiter alarmierend. Morgen würde sich Schorf gebildet haben. Der Mantel hatte das Härteste des Sturzes gut abgefangen.

Doch irgendein spitzer Gegenstand musste sich in die Schulter gebohrt haben, wenn auch nicht tief, da er definitiv nicht mehr in der Schulter steckte.

Doch dieses Loch war etwas tiefer als die Schürfwunden und von dort war auch das Blutgerinnsel gekommen.

Auch diese Verletzung rieb sie mit Vorsicht ein, dann suchte sie im Schrank über dem Waschbecken ein großes Pflaster, doch keines war groß genug.

Genervt flüsterte sie: „Aumen tare! Tare!“ und hoffte, dass es funktionierte.

Vor ihren Augen wurde das Pflaster immer größer und Elphaba hielt inne, als es groß genug war. Da hörte auch das Pflaster auf zu wachsen.

Etwas ungeschickt versuchte Elphaba, das Pflaster auf ihrer Schulter anzubringen, was sich eigenständig als schwierig erwies, doch nach zwei versuchen hatte sie die richtige Stelle abgedeckt.

Schnell wusch sie noch den Rest des Körpers und als sie ihre Unterarme einrieb, fiel ihr Blick auf das Handgelenk, an welchem der Handschuh das ein oder andere Mal hoch gerutscht war.

„Na wundervoll!“, murrte sie verärgert.

Zwei dicke rote Linien leuchteten in mattem Rot und auch zwei kleinere Hämatome waren zu erkennen, auch, wenn sie, wie bei normalen Menschen nicht blau, sondern eher violett schimmerten.

„Man könnte meinen, ich wäre gefesselt worden!“, dachte Elphaba sehr selbst ironisch und machte sich daran, einen kurzen Verband zu suchen. Sie salbte das Gelenk, verband es und blickte dann wieder in den Spiegel.

Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass sie ihre Lesebrille noch immer anhatte. Ein paar Haarsträhnen hatten sich aus dem Dutt gelöst und die Brille, sowie Unterhose waren die beiden einzigen Körperfremden Dinge, welche sie noch anhatte.

Als Elphaba die Brille abnahm, spürte sie ein starkes Stechen an beiden Schläfen und jammerte laut, mit Schmerz verzogenem Gesicht.

Ganz behutsam nahm sie die Brille ab und band ihre Haare zu einem Zopf zusammen.

As sie die kleinen, roten Brandflecken an ihren Schläfen erblickte, wurde sie wieder daran erinnert, wie der Regen sie dort erwischt hatte.

‚Das ist die Strafe für Himmlesblicke! ... Ach verdammt!’, dachte sie schluchzend. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf und tupfte sie schnell mit dem kamillenen Waschlappen weg.

Als die Tränen, welche das Ergebnis einer furchtbar aufreibenden und stressreichen Nacht waren, so langsam versiegten, wusch die grüne Hexe nun auch ihr beinahe komplett gerötetes Gesicht und salbte es leicht ein.

Elphaba spürte schon die Wirkung dieser Wundersalbe: Überall in ihrem Körper prickelte es warm und die Wunden schienen schon zu heilen.

Die grüne Frau im Spiegel lächelte Elphaba an. Sie betrachtete ihren Körper: Die Oberschenkel und die Schulter waren wirklich böse verwundet, während das Handgelenk und das Gesicht schon bald wieder in Ordnung kommen würde.

Der Geruch von frischem Kaffee riss den erstaunten Kopf brutal aus den Gedanken. Mit großen Augen und offenem Mund starrte Elphaba in den Spiegel und sah, dass die Tränenspuren schon beinahe nicht mehr zu sehen waren.

‚Ohje, Fiyero! Den habe ich ja ganz vergessen!’, stellte Elphaba erschrocken fest und nahm sich vor, sofort ihren Morgenmantel aus dem Zimmer zu stibitzen und hinunter in die Küche zu laufen.

Sie musste ihm ja alles erklären, bevor die ganze Situation ausarten konnte.

Lautlos öffnete Elphaba, nur mit Unterhose bekleidet, die Badezimmertür einen Spalt weit und schlüpfte hindurch. Mit einem leisen Klacken schloss sie dir Türe wieder und drehte sich nach links, wo der andere Kleiderschrank stand.
 

Fiyero drehte langsam den Kopf, als er das leise Klacken hörte.

Er beobachtete ‚seine’ Fae, wie sie halbnackt vor dem Kleiderschrank stand und sich ihren Morgenmantel vom Bügel nahm.

Glinda seufzte wohlig.

Fiyeros ließ das Kissen fallen.

Mit einem leisen Plumpsgeräusch landete es auf dem Boden.

Erschrocken fuhr Elphaba herum.

„Yero?!“, hauchte sie tonlos.

Anmerkungen:

1. Sapphos = Lesben (Die antike griechische Dichterin Sappho, hatte in ihren Gedichten die Liebe zwischen Frauen besungen...)

2. Das Bild zu diesem Kapitel: http://wickedryu.deviantart.com/art/With-path-will-you-choose-95129164
 

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Kapitel 30
 

Fiyero starrte die grüne Frau ohne jede Regung an.

Ganz stumm und steif stand er dort.

‚Wie angewurzelt…’, dachte Elphaba abwartend.

Aber auch sie selber konnte sich erst nicht rühren. Gerade, als sie in den Gürtel des Bademantels einen Knoten machen wollte, hatte sie ein schwaches Geräusch vernommen und sich daraufhin sofort herumgedreht – ohne den Knoten im Bademantel.

Nun stand auch Elphaba unbeweglich dort, der Bademantel spaltete sich wieder in der Mitte und entblößte ihre linke Brust.

Schnell zog sie an den Seiten des Mantels, sodass sie nun völlig darin eingewickelt war und so langsam wickelte sich auch ihre Fassung wieder auf.

Den entgeisterten Blick der Vogelscheuche hatte sie in ihrer reflexartigen Handlung, sich zu verdecken, nicht wahrgenommen.

Endlich löste sie sich aus der Starre und ging auf Fiyero zu.

Mit nackten Füßen tippelte sie über den Teppich, bis sie vor ihrem ‚Yero’ stand - zwischen der schlafenden Glinda und ihrem Scheuch Yero.

Elphaba hatte sich mit Absicht zwischen die beiden gestellt. Nun musste der Scheuch nicht laut mit ihr reden, weil sie direkt vor ihm stand. Glinda, so hoffte die grüne Hexe, würde also noch nicht wach werden.

Dunkle Augen suchten die verblassten, aufgemalten Augen.

Als Elphaba merkte, dass Fiyero ihr keine Aufmerksamkeit schenkte und sie beide angespannt waren, bekam sie Zweifel, ob es wirklich eine wohlüberlegte Handlung gewesen war, sich auch noch nun symbolisch zwischen die beiden zu stellen.

‚Auf welcher Seite stehe ich eigentlich…?’, reflektierte Elphaba ihre eigene Handlung. Sie kam jedoch zu keinem Ergebnis, aber dafür war die Zeit auch zu knapp bemessen.

‚Zumindest im Moment…’, dachte Elphie und schaute Fiyero wieder an.

Die Vogelscheuche hatte die Hexe mit seinen Blicken nicht verfolgt und schaute noch immer geistesabwesend auf jene Stelle vor dem Schrank, auf welcher eben noch die schmale Frau gestanden hatte. Seine Arme hingen schlaff an den Seiten seines Körpers.

Die grüne Hexe versuchte, aus seinem Gesicht zu lesen, doch ihr kam es vor, als würde nichts dort stehen. Nur Leere.

Sie wollte etwas sagen, doch sie wusste nicht was.

‚Was soll ich tun? … mich direkt entschuldigen? … etwas zum Frühstück sagen? … einen Witz machen? Oz im Himmel; Hilfe…’, dachte sie verzweifelt und hoffte, Fiyero würde sie endlich ansehen.

Doch er tat es nicht.

Die Sekunden verstrichen langsam, doch Elphaba schien es, als würden Stunden vergehen.

Sie nahm all ihren Mut zusammen und flüsterte hauchend: „Yero… Ich glaube, ich bin dir eine Erklärung schuldig.“

Bei dem Wort ‚Yero’ hatte der Angesprochene endlich seinen Kopf gedreht und der Hexe genau in die Augen gesehen. Erst ausdruckslos, doch dann schien sich plötzlich ein Schatten über sein Gesicht gelegt zu haben, was andererseits bei Elphaba dazu führte, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief.

Da war er wieder. Der Blick. Der Blick, den sie schon zwei oder drei Mal auf Yeros Gesicht gesehen, aber nicht gedeutet hatte.

‚Fae’ wartete angespannt, was er nun tun würde.

Weiterhin starrte er sie an.

Nach einigen Sekunden sagte er dann, ganz ruhig und in normaler Tonlage: „Nein, Elphaba. Ich habe schon verstanden.“

„Wie bitte?“, entgegnete Elphaba, erst verwirrt, gefolgt von einem fassungslosen Gesichtsausdruck. Sie starrte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und einem etwas geöffneten Mund an. Ihre Mundwinkel zuckten vor Anspannung leicht.

Fiyero schüttelte nur den Kopf als er das sah, wandte den Blick ab und war mit einem Schritt neben seiner ‚Fae’, der nicht entgangen war, dass Fiyero sie mit ihrem richtigen Namen angesprochen hatte, was nur vorkam, wenn irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war…

Als sie sich gerade fragte, was es wohl sein könnte und sich dabei verwundert zu Fiyero umdrehte, der nun vor ihr und an Glindas Seite stand, sah sie die sich vorbeugende Vogelscheuche an der blonden Frau rütteln: „Glinda, verdammt. Wach auf! Glin…“

„FIYERO!“, zischte Elphaba und zog die Vogelscheuche – nicht gerade unsanft – vom Bett weg.

Diese wehrte sich nicht und als die grüne Hexe von der Scheuche abließ, trafen sich die Blicke der beiden. Die Eiseskälte war beinahe zu spüren.

Nein, nicht beinahe, sie spürte die Kälte in seinem Blick…

Fiyero nickte, sah Elphaba direkt in die Auge und sagte nur: „Aha.“

Das war zu viel für die grüne Frau. Eine solche Uneindeutigkeit konnte sie nicht länger ertragen. Er hatte nicht gefragt, er hatte nichts gesagt. Nur wie ein psychisch Kranker hatte er sich die letzten fünf Minuten aufgeführt und jetzt ‚Aha-te’ er sie noch einfältig von der Seite an, was sie gar nicht leiden konnte und er wusste das haargenau!

Im übertragenen Sinne hieß dieser ‚Aha-Kommentar’ nicht anderes als: ‚Ich habe es doch gewusst!’ und weil Elphaba nicht mal den leisesten Schimmer von Fiyeros Annahmen hatte, wurde sie wirklich böse.

Ein Blick auf Glinda rief sie aber wieder in die Realität zurück: Nicht sie sollte böse werden, sondern Fiyero wäre momentan der einzige, bei dem eine solche Gefühlslage verständlich gewesen wäre.

‚Aber wieso sagt er nichts?!’ Elphaba zog ihre Stirn in Falten.

Die Blondine drehte sich im Bett mal hier und mal dorthin. Sie gähnte, schien aber noch tief zu schlafen.

‚Wenn wir uns nun hier auch noch streiten’, dachte die Hexe mit einer Mischung aus Fürsorge für Glinda und Ärger über Fiyero, ‚dann wird Glinda der tiefe Schlaf auch nicht mehr viel von Nutzen sein!’

Also griff Elphaba genervt und unruhig nach der Strohhand des unmöglichen Mannes, wie sie im Moment fand und zog ihn in Richtung Badezimmer.

Und wieder zeigte er keine Gegenwehr.

Wütend blieb Elphaba an der Badezimmertür stehen, hielt sich mit ihrer rechten Hand an der Türe fest und zog Fiyero mit der linken Hand eilig in das Badezimmer.

Durch den Schwung musste die Hexe loslassen, um nicht mitgerissen zu werden und sah Fiyero stolpern, aber nicht fallen.

Dann marschierte sie selber in das Badezimmer und schloss daraufhin die Tür hinter sich. Etwas lautstärker, als sie es eigentlich gewollt hatte, knallte die Badtür ins Schloss.
 

Mit einem Ruck saß Glinda aufrecht im Bett.

Hellwach.

Total verwirrt.

Total verwirrt, aber hellwach.

‚Wenigstens etwas….’, war Glindas erster Gedanke, welcher von leichtem Kopfweh abgelöst wurde.

„Uuuh…“, stöhnte Glinda und hielt sich dann die blonden Locken.

Vorsichtig massierte sie ihre Kopfhaut. Ihre Gedanken waren zurzeit sowieso nebelig und das war meistens nach großen Festen so, also hatte sie sich schon gestern Abend darauf eingestellt.

‚Und meistens kommen die Erinnerungen ja nach der Massage wieder…’, dachte sie fröhlich und freute sich über die warmen Sonnenstrahlen, die sie auf ihrem nackten Oberkörper trotz geschlossenen Augen fühlen konnte.

‚Nackte Oberkö…!?’, ruckartig und etwas panisch öffnete Glinda ihre blauen Augen, warf einen ängstlich erwartenden Blick neben sich und war mehr als froh, als kein Ramón dort lag.

„Mist!“, hauchte Glinda, als sie versuchte, sich an den Abend zu erinnern. Sie wusste, irgendetwas mit Ramón war vorgefallen, dass sie nun Angst hatte, wenn sie ihn erwartete, … aber was? Und wieso war sie nackt?

‚Oz sei Dank! Nicht ganz nackt!’, seufzte Glinda in Gedanken, als sie vorsichtig unter die Bettdecke lugte.

Irgendwie, so fand die blonde Schönheit, fühlte sie sich gar nicht wohl. Ihre Haare klebten wie nach einem schweißtreibenden Alptraum in ihrem Nacken und ihre helle Haut war ganz klamm.

Als sie ihren Blick gedankenabwesend durch den Raum schweifen ließ und hoffte, die Erinnerungen würden gleich wiederkommen, hielt die blonde Frau auf einmal wie versteinert inne.

Dann schaute sie nach links. ‚Ein Tablett mit Frühstück?’

Dann schaute sie nach rechts: ‚Mein Kleid… Meine Schuhe! Schwarze Kleidung?’

„Wo zum Ballon bin ich?“, noch mehr verwirrt als zuvor schaute sie sich im Zimmer um und suchte nach irgendwelchen Indizien, die ihr Auskunft über ihren Aufenthaltsort gaben.

Glinda war zu durcheinander, um darüber nachzudenken, ob sie nun Angst haben oder ob sie doch eher neugierig sein sollte, weil sie keinen blassen Schimmer hatte, wo sie war.

Durch das ganze Kopfgedrehe und das Hin und Her werfen, waren ihre Haare ihr ins Gesicht gefallen.

Wie sie es dann immer machte, sobald sie von ihren Haaren genervt war, fuhr sie mit den Fingernägeln beider Hände über ihre rosigen Wangen, um die Haare wieder hinter ihre Ohren zu verbannen.

Doch in dem Moment, als die Fingernägel über ihre Wangen strichen, fuhr Glinda vor Schmerz zusammen. Vorsichtig tastete sie ihre verwundete Wange ab.

Ihre Fingerspitzen erfühlten frischen Schorf, doch darunter waren eindeutig drei tiefe Kratzer zu spüren.

Mit ihrer Zungenspitze feuchtete sie den rechten Zeigefinger an und fuhr abermals, jedoch vorsichtiger als zuvor, über die Wunde.

Anschließend hielt Glinda sich den Finger in Sichtweite vor ihr Gesicht und… ‚Blut?’, dachte sie geschockt. Durch die Feuchte ihres Speichels hatte sich etwas von dem getrockneten Blut und der verlaufenen Wimperntusche von ihrer Wange abgelöst und ergab nun eine merkwürdige Farbmischung, welche die blauen Augen noch immer entsetzt anstarrte.

Dann plötzlich, wie nach einem Blackout, strömten die ersten Stücke ihrer Erinnerungen auf sie ein:

‚Blut.

Fingernägel.

Akaber?

Ramón!’

Und da kamen auch die restlichen Erinnerungen wieder hoch….
 

Taumelnd fiel sie nach dem Tanz in die starken Arme.

„Ramón, ich bin müde. Ramón, mir ist nicht gut. Ramón ich…“, ihre Stimme brach, die Augenlider wurden schwer. Nur noch fühlen konnte sie.

Alles war schwarz.

Sie hörte Stimmen und Musik aus weiter Ferne. Gelächter.

Viele fremde Stimmen, viel fremdes Gelächter.

„Londaro, schaff die zwei Sapphos hier weg! Bevor sie noch aufwachen…! Ich kann den Anblick nicht mehr ertragen. Ekelhaft, die Frauenliebenden Frauen!’ nuschelte eine Stimme an ihrem Ohr.

Eine bekannte Stimme. Ramóns Stimme.

„Wie Sapphos entstehen, würde mich wirklich mal interessieren. Und dabei ist Mer so ein heißes Geschoss. Mir kam es von Anfang an merkwürdig vor, dass sie mich immer abgewiesen hat! Dafür bekommt sie, wenn sie aufwacht, eine schöne Abreibung! Und ihre kleine Freundin bekommt ihr Programm noch im Schlaf! Das wird ihnen noch leid tun!“, sagte wieder eine bekannte Stimme.

Danach folgte dreckiges Gelächter: „Du hast freies Spiel. Das war dein Lohn. Nun geh!“

Und beide Männer – Ramón und Londaro – lachten.

Sie wollte ihre Beine auf den Boden setzen. Sie spürte sie nicht.

Sie wollte sich mit ihren Armen aus denen von Ramón befreien. Nichts rührte sich.

Sie wollte schreien. Stille.

Dann gab sie den inneren Kampf auf. Schwärze.

Irgendwann lichtete sich der Nebel und das erste, was Glinda wahrnahm… DONG DONG… Zwölf Mal.

‚Mitternacht’, dachte sie gequält und sogleich entsann sie sich wieder an die grausame Wende, die der doch so wundervolle Abend genommen hatte.

Obwohl sie wusste, dass die Situation keine Fluchtwege offen ließ, schien ihr Körper bei den Erinnerungen an Meredith und Reseda wie von selbst zu kämpfen.

Sie spürte ihre Beine noch immer nicht.

Aber ihre Arme waren wieder kontrollierbar.

Plötzlich Ramóns fester Griff. Schmerz. Panik. Mehr Panik. Noch mehr Schmerz.

‚Ich muss hier weg! Ich muss hier weg! Ich muss hier weg!’, ratterten ihre Gedanken im Stakkato durch ihren Kopf. Kopfschmerzen.

Irgendwer schrie in ihr Ohr. Kopfhämmern. Stöhnen. ’Ich muss hier weg.’

Irgendwer hielt sie. Griff nach ihr. Drückte sie nah an sich heran. Männergeruch. Ramón.

Übelkeit. Kontrolle! Männerarme griffen nach ihr, um sie zu stützen.

‚Ich muss hier weg!’

Sie wurde geführt. Luft. ‚Ich bin draußen. Lauft Beine, lauft!’

Ramóns Griff wurde fester.

„Lass mich los!“, zischte sie. Gerede und Gestreite.

Eine Frauenstimme mischte sich ein. Aylin! … Fassungslosigkeit.

„Oh Aylin… Oh Aylin… Oh Aylin…“. Ihre eigenen Zitate wurden ihr ins Gehör gemeißelt.

‚Lauft Beine, lauft!’

„Sieh hin, du kleine Schlampe… Miststück!“

Schmerz. Brennen. Zerren. Ihr Handgelenk schmerzte so sehr, dass sie leise wimmerte.

Plötzliche Helligkeit. Sie kniff die Augen zusammen.

Regen. Sie wurde nass. Nass. Nass. Nass.

Dann wieder, Blitze. Sie erhellten den Himmel.

„Elphie…“, wimmerte sie und schrie. Sie schrie und schrie und… Schwärze.

Rosenduft.
 

Schwitzend und schwer atmend ließ sich Glinda zurück auf das Kopfkissen fallen und sank erschöpft in die Bettdecke. Sie zitterte und ihr war ganz und gar nicht gut. Eine Welle von Übelkeit schüttelte ihren Körper, sie konnte den Würgreiz nicht mehr unterdrücken und reflexartig beugte sie sich über die Bettkante.

Doch es passierte nichts.

Wieder schüttelte sich die Blondine, diesmal vor Ekel und überlegte angestrengt, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte.

Als sie eine Hand auf ihre Magengegend legte, konnte sie die schmerzliche Leere beinahe fühlen.

Automatisch langte sie hinüber zum Tablett, um sich eines der Brötchen zu nehmen.

„Oh!“, murmelte sie überrascht, als sie die Wärme des Brotes in ihrer Hand fühlte.

Daraufhin nahm sie auch noch den Quark und tunkte die Spitze des Brötchens hinein, dann biss sie ab.

„Hmmmm…!“, entfuhr es ihr und Glinda dachte: ‚Wie himmlisch!’

Der blonde Lockenschopf versuchte mit Absicht, seinem Körper erstmal eine Pause von den Erinnerungen zu geben. Das war nun wirklich alles zu viel für sie gewesen.

Als ‚Glinda die Gute’ leise vor sich hin das Brötchen knabberte, hielt sie nach kurzer Zeit lauschend inne.

Ihr Herz begann zu rasen, noch bevor ihr Verstand begriff, was sich abspielte.

Glinda war nicht alleine.

Glinda war nicht im Palast.

Glinda war…

„Elphie….“, Glinda schnappte fassungslos, verwirrt und perplex nach Luft, als sie trotz der geschlossenen Türe das leise Gemurmel – oder Gestreite? – identifiziert hatte.
 

„Yero, kannst du mir mal sag….“, gerade noch rechtzeitig hielt Elphaba inne.

Fiyero stand mit dem Rücken zu ihr.

‚Denk daran: Du bist nicht die, die momentan in der Position dazu ist, Anklagen auszusprechen!’, mahnte sie sich in Gedanken selbst.

Auch wenn es sie ärgerte, dass Fiyero sich so abweisend verhielt, setzte sie erneut an, diesmal sanfter: „Yero, bitte sprich doch mit mir. Ich weiß, ich sollte gerade nicht die Person von uns beiden sein, die wütend ist, aber ich kann mir nicht helfen. Ich verstehe dich nicht.“

Angespannt machte sie eine Pause. Fiyero musste doch irgendetwas zu dieser ganzen Misere zu sagen haben, doch noch immer stand er mit herabhängenden Armen und dem Rücken zur Türe, an welcher Elphaba auf eine Reaktion wartete.

Langsam ging sie einen Schritt nach vorne: „Yero?“, flüsterte sie. Als er nicht reagierte, ging sie noch einen Schritt weiter und war nur noch eine Armlänge von ihm entfernt. Müde und verzweifelt schüttelte sie leicht den Kopf, sodass ihr Dutt ein bisschen wackelte und fuhr sich mit der linken Hand durch das rabenschwarze Haar.

„Yero?“, diesmal klang es fast schon wie ein Flehen und die Vogelscheuche konnte zwar nicht fühlen, aber dennoch aus dem Augenwinkel die grüne Hand sehen, die sich langsam seiner Schulter näherte.

Ohne jede Vorwarnung fuhr die Vogelscheuche ruckartig herum.

Elphaba erschrak so sehr, dass sie mit einem leisen Aufschrei wieder einen Schritt nach hinten wich und schützend die Arme vor ihrem Oberkörper verschränkte.

Fiyero hingegen stand nun wutschnaubend vor ihr, in einer ganz eigenartigen Haltung.

Sein Körper war nach vorne gebeugt, wobei er seinen Kiefer noch mal extra nach vorne streckte, während seine Arme jedoch in Fäusten an seinen Hüften angelehnt waren und nach hinten zeigten.

‚Er sieht aus, als wäre er in eine Art Raserei verfallen…’, dachte Elphaba etwas angsterfüllt und als er nun einen großen Schritt auf sie zuging, wäre sie am liebsten ausgewichen.

Doch sie blieb stehen und zwang sich, im Gegensatz zu ihm, ruhig zu atmen und ihre Arme in eine normale Position zu bringen.

Ihre scheinbare Gelassenheit brachte ihn nur noch mehr in Rage und wutentbrannt maulte er sie an:

„Was, Elphaba? Was? Was für eine Erklärung? Wie willst du mir erklären, dass meine Ex-Verlobte und deine ‚Freundin’ nackt in unserem Bett liegt und wohlig schläft? WIE, zum Ballon, Elphaba, WIE willst du mir DAS erklären?“

Das Wort ‚Freundin’ hatte er beinahe ausgespuckt, weswegen Elphabas Augenbrauen aufmerksam in die Höhe schnellten.

„Was ist das immer für ein Blick?“, fragte Elphaba ganz unvermittelt in sein Geschnaube und Geschimpfe hinein.

„WAS?“, war die erwartete Antwort und die grüne Hexe blickte in ein verstörtes Gesicht.

Sie wusste, eine Diskussion auf emotional aufgewirbelter Basis würde kein gutes Ende nehmen, also erklärte sie ihm ganz nüchtern:

„Ich habe diesen Ausdruck schon das ein oder andere Mal in deinen Augen gesehen, aber nie war es mir möglich, dahinter zusteigen, was du denkst oder was der Anlass für einen solch düsteren Blick ist. Das erste Mal sah ich ihn am Tag meines offiziellen Todes, als du mir und auch dir verboten hast, irgendjemandem von meinem Überleben zu erzählen, insbesondere Glinda. Und einmal habe ich den Blick bemerkt, als du mich mit der Glasschale in den Händen erwischt hast. Ist der Grund dafür vielleicht deine Angst, dass ich uns verraten könnte? Dass man mich finden und doch noch … umbringen würde?“

Fassungslos starrte Fiyero seine Fae an. Er konnte nicht glauben, dass sie, gerade SIE, eine solch’ naive Frage stellen würde.

Doch dann besann sich der Scheuch, denn er wusste, dass Elphaba keine naiven Fragen stellen würde, egal, in welcher Situation. Also musste sie doch wirklich von dieser Begebenheit ausgehen, oder?

Ausgiebig ließ Fiyero seine Blicke auf dem grünen Gesicht wandern, welches ihn die ganze Zeit über erwartend und ungeduldig ansah. Die dunklen Augen umrahmt von langen, schwarzen Wimpern, die feinen Augenbrauen, die spitze, schmale Nase und der etwas dunkelgrünere und doch so verführerische Mund. Fiyero seufzte. Dann sah der Scheuch der Hexe wieder in die braunen Augen.

Er sah auch etwas Schmerz in dem Blick, aber keine Verlogenheit.

‚Ich will ihr so gerne glauben…’, dachte er beinahe verzweifelt und sah Elphaba wieder an, ‚Ich liebe sie doch so sehr, meine schöne Fae.’

Also schob er alle seine Zweifel und seine ganze Wut zur Seite, um klar denken und sich mit seiner Fae aussprechen zu können.

‚Bestimmt’, dachte er, ‚gibt es einen guten Grund für das alles und der Grund wird auch ein Beweis dafür sein, dass meine Annahme in die total falsche Richtung tendierte. Ganz bestimmt…’

Dann seufzte er tief.

Elphaba, die nicht wusste, ob das ein gutes oder doch eher schlechtes Vorzeichen war, blieb still und regungslos. Ihre Frage stand noch immer unbeantwortet im Raum.

„Fae…“, setzte Fiyero verzweifelt nach den richtigen Worten suchend an, „… es ist vielleicht ein bisschen anders, als du es dir denkst, aber ja, das Ergebnis bleibt wohl das gleiche: Ich hatte einfach Angst dich zu verlieren. Ich habe mich immer gefragt, ob du so glücklich sein kannst. So – das heißt – mit Kiamo Ko, mit der Isolation, mit … mir…“, kurz hielt er inne, doch als er sah, dass Elphaba etwas sagen wollte, fuhr er schnell fort: „Oder eben mit uns. Als zwischenmenschlich kann man das nun nicht gerade bezeichnen. Ich kann dir kaum…“

„Yero…“, unterbrach die grüne Hexe die Vogelscheuche dann doch sanft. Sie verspürte ein dringendes Bedürfnis nach der Frage, was genau Fiyero denn nun gemeint hatte mit: ‚anders als du denkst’, aber Elphaba wollte die Scheuche nicht abermals verärgern. Also stellte sie dieses Bedürfnis in die Warteschlange all ihrer anderen Bedürfnisse und hoffte einfach, er würde es ihr irgendwann sagen, wenn die Zeit dazu gekommen war.

„Yero, mein lieber Yero…“, flüsterte die Frau sanft, als sie langsam einen Schritt auf den Scheuch zumachte und ihre Hände auf seine Schultern legte. Dann sah sie ihm beinahe zärtlich in die Augen und überlegte: ‚Ich muss jetzt gut aufpassen, was ich sage. Yero darf auf keinen Fall sauer oder böse werden. Wer weiß, was Glinda tut, wenn sie aufwacht. Aber zwei von dieser Sorte kann ich nicht bändigen…’

„Was lässt dich glauben, dass ich freiwillig von dir gehen könnte? Dieses Leben, da hast du wohl recht, ist – bei Oz - nicht das Leben, was ich mir damals in Shiz ausgemalt habe. Aber damals kannte ich doch auch die ländlichen Intrigen und die ozianischen Verlogenheiten noch nicht. Und nun… Ja, was ist nun? …’, sie lächelte verträumt, ’Für mich gibt es im Land keinen schöneren Ort als Kiamo Ko. Die hohe Lage, die Luft, diese Burg hier, umrandet von wunderschönem Wald und weiten Wiesen und Feldern. Hand in Hand in den Sonnenuntergang spazieren… oder in den Sonnenaufgang hinein… Was gibt es da wundervolleres?“

Die beiden ungewöhnlichen Gestalten verstummten kurz mit einem Blick aus dem Badezimmerfenster, durch welches nun die ersten warmen Sonnenstrahlen fielen. Fiyero erinnerte sich an die erste Zeit auf Kiamo Ko, als er und seine Fae beinahe täglich einen solchen Spaziergang gemacht hatten.

‚Damals…’, schwelgte er lautlos in Erinnerungen, ‚Ja, damals… Kurz bevor du so abweisend geworden bist, Fae und bis heute weiß ich nicht, warum…’

„Und, ja… die soziale Isolation…“, hörte er Elphaba kichern, „Nenne mir doch mal bitte eine Person, für welche ich mich freiwillig in das soziale Leben stürzen würde?“

Beide wussten, dass es eine rhetorische Frage war, denn auch beide kannten die wirkliche Antwort: Es gab eine solche Person. Aber auch beide schwiegen.

Elphaba befand es als geeigneter für die Situation, Fiyeros Schweigen als stille Zustimmung aufzufassen und sagte dann grinsend: „Siehst du! Ich war noch nie sehr kontaktfreudig, also mache dir bitte um so etwas keine Gedanken. Und mit dir.. Wieso redest du eigentlich immer davon, dass ich mit dir nicht glücklich bin? Was gibt dir Anlass dazu? Sind das Selbstzweifel oder… oder zweifelst du an mir?“

Bei der letzten Frage war Elphies Mund ohne Vorwarnung ganz trocken geworden und sie hatte erst einmal schlucken müssen, bevor sie auch den letzten Teil hatte fragen können. Aber vor langer Zeit schon hatte sie den Versuch aufgegeben, ihren Körper zu verstehen…

„Wie ich darauf komme?“, fragte Fiyero beinahe entsetzt, aber trotzdem in ruhiger Tonlage, „Fae, ich kann dir kaum Wärme oder Zuneigung geben und die Art von Zuneigung, die beispielsweise in einer richtigen Beziehung unausweichlich ist, lässt du erstens nicht zu und zweites bin ich auch nicht in der Lage, dir dort gerecht zu werden.

Es ist so… komisch. Weißt du, ich habe Fragen über Fragen immer wieder in mich hinein gefressen, weil viele Sachen einfach keinen Sinn machen. Aber du hast immer gesagt, dir ginge es gut so und es ist alles was du willst. Und dann…“

„Ja, aber es ist doch auch so! Das ist alles, was ich…“, begann Elphaba, doch sogleich wurde sie von Fiyero unsanft wieder unterbrochen:

„Lass mich ausreden! … Weißt du, auf der einen Seite sagst du, es wäre alles in Ordnung so, aber auf der anderen Seite handelst du deinem selber Gesagten entgegen!“

Nun sah er sie abwartend an. Die grüne Stirn war in Falten gelegt – ob es Denk- oder Frustrationsfalten waren, konnte Yero nicht ganz klar sagen.

„Ich wollte eben sagen“, holte Elphaba erneut aus, „dass das hier doch alles ist, was ich will. Oder nicht? Ich habe mich doch damals für dich entschieden und für das Leben hier. Oder nicht?“

Sie sah ihn fragend an. Ihr Blick hatte etwas herausforderndes, was in Fiyero wieder eine Welle von Zorn auslöste.

Erst wollte er ihr die ‚Entscheidung’ von damals vor Augen führen, doch in letzter Sekunde entschloss er sich dazu, dies auf später zu verschieben: ‚Es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt…’, dachte er und fragte dann:

„Gut. Wenn du das so sagst. Aber dann sage mir mal noch eines: Warum hast du dich denn für das Leben hier entschieden? Hm? Wieso hast du dich für MICH entschieden? Na?“

Elphaba merkte nun, dass sie sich gegenseitig mit ihren provozierenden Fragen hochschaukelten und deswegen versuchte sie, so ruhig wie es ihr noch möglich war, zu antworten:

„Ich habe mich für dich, das Leben hier und was diese Entscheidung mit sich gebracht hat, entschieden, weil du so viel für mich getan hast. Du hast mir als einziger auf der Welt bewiesen, wie es sich anfühlt, wenn jemand wirklich um den anderen kämpft oder für ihn kämpft. Ich weiß nun, was es bedeutet, geliebt zu werden. Ich weiß nun, was ‚in guten und in schlechten Zeiten’ bedeutet und dies hier ist eben gerade … keine gute Zeit. Aber wenn wir das hinter uns haben, Yero, dann… ja dann kommen ganz bestimmt auch wieder gute Zeiten!“

„Liebst du mich?“, fragte Fiyero ganz ruhig aus heiterem Himmel, sehr zur Verwirrung der grünen Hexe.

„Was?“, fragte sie verdutzt, als hätte sie sich verhört, doch Fiyero ahnte, dass es reine Zeitschindung war.

‚Jetzt ist der richtige Zeitpunkt!’, stellte die Vogelscheuche fest und erklärte seiner Fae ihre Situation von damals: „Elphaba, du hast dich damals nicht für mich entschieden. Du hattest keine Wahl!“

„Natürlich hatte ich die!“, unterbrach die Angesprochene wild.

Langsam wurde Fiyero wütend: „Ach ja? Was denn für eine? Tod oder Fiyero? Da nimmt frau doch lieber das kleinere Übel! Gib es zu, Fae. Du hast dich nur aus Schuldgefühlen dazu HERABGELASSEN, den Rest deines Lebens mit mir zu verbringen. Hättest du damals eine Wahl gehabt, wäre ich leer ausgegangen!“

„Fiyero!“, nun war auch Elphaba wütend, verwirrt und verletzt: „Wie kommst du auf so einen Unfug?“

„Wie ich..? Pah!“, rief Fiyero empört aus, „Du erzählst mir, ich und das Leben hier wären alles was du brauchst und je wolltest. Und dann muss ich mit ansehen, wie du Monat für Monat, Woche für Woche, Glindas Treiben durch dein Glasdingens verfolgst! Ich muss mit anhören, wie du von ihr träumst! Ich muss mir sogar von deinem AFFEN immer wieder ‚Glinda hier, Glinda da’ anhören und das wahrscheinlich nur, weil du mit IHM über unsere ‚Gute’“, er schleuderte ihr das Wort förmlich ins Gesicht, „gesprochen hast, weil du mit MIR über sie nicht sprechen kannst. Aber, ich frage dich Fae, wenn ich doch alles bin, was du willst, wieso sprichst du dann mit dem AFFEN und nicht mit mir über etwas, wenn es doch sowieso keine Bedeutung für dich hat? Wieso, Fae, sitzt du andauernd träumend vor Glindas Abbild in der Glasschale und schaust ihr zu, wie sie Oz regiert? WIESO um alles in Oz bittest du mich, dich eine Nacht alleine zu lassen und am nächsten Morgen liegt nicht das Abbild, sondern die Person selber in UNSEREM Bett? Elphaba, WIESO?“

Elphaba wich eine Schritt zurück. In dem Gefühlschaos, das gerade in ihr tobte, fand sie auf diese vorwurfsvollen Fragen im ersten Moment keine Antwort. Resigniert blickte sie zu Boden…
 

Tränen sammelten sich in ihren Augen, bis ihre Sicht beinahe ganz verschwommen war.

Wütend wischte sich Glinda die salzigen Perlen von den Wangen. Das Salz brannte in ihren Wunden und ihre Finger wurden sofort schwarz von der verwischten Wimperntusche.

Nun hatte sie aber wirklich genug gehört. Sie war sauer und wütend, traurig und froh, aber am meisten fühlte sie sich hintergangen.

‚Sie hat mich jeden Tag beobachtet und gesehen, was ich mache? Und dann hat sie nicht mal den Anstand gehabt, mich aus meiner elenden Trauerphase zu befreien und mir zu sagen, dass sie noch lebt?’ Ungläubig schüttelte sie ihre blonden Locken.

‚Diese Frau ist einfach nur unmöglich!’, dachte Glinda fassungslos.

Sie wusste nicht, ob sie eher froh sein sollte, dass ihre Elphie noch lebte oder ob sie doch besser sauer sein sollte, weil sie sich nun schon zum zweiten Mal Fiyero geschnappt hatte.

Dann besann sie sich kurz: ‚Nein, ich bin am meisten enttäuscht und verletzt, dass sie mir nicht mal vertraut und meint, es wäre besser, wenn ich ewig leide. Ich bin so enttäuscht, dass es sogar physisch schmerzt. Das war zuviel!’, beschloss die blonde Frau und stieg leise aus dem Bett.

Sie fühlte sich miserabel und hintergangen. Miserabel hintergangen traf es wohl auch.

Doch zu dem Zeitpunkt, als sie nun in Elphabas Kleiderschrank lautlos nach Anziehsachen suchte, konnte sie noch gar nicht beschreiben, was sie genau fühlte. Aber eines war sicher: Der Schmerz und die Wut waren größer als die Freude über die überraschenderweise lebendige Freundin.

Schnell zog Glinda ein ausdrucksloses, schwarzes Leinenkleid aus dem Schrank und schlüpfte hinein. Um ihren Busen spannte es etwas, aber sie hatte keine Zeit, sich damit zu befassen. Außerdem ging sie eh davon aus, dass sie in diesem Schrank nichts finden würde, was ihr zusagte.

Glinda wollte einfach nur raus aus diesem Alptraum. Doch nun stand sie regungslos dort, vor dem Schrank und wartete darauf, dass irgendetwas die entstandene Stille brach. Aus dem Badezimmer drang kein Laut mehr.

Sie bildete sich ein, viel zu lange dort im Bett gesessen und gelauscht zu haben.

Sie fragte sich, ob sie das alles wirklich hatte mit anhören sollen, geschweige denn wollen.

Sie war hin und her gerissen, zwischen den Optionen stehen bleiben oder weglaufen.

Doch dann, plötzlich hörte Glinda leise Elphabas wimmernde Stimme, die die Stille sanft, aber dennoch für Glinda scheinbar schmerzend unterbrach.

Tränen schossen Widerwillen in die sonst so wunderschön klaren blauen Augen.

„Ich kann das nicht… Ich halte das nicht aus…“, raunte Glinda zwischen Tränen und Zittern.

Die blonde Frau drehte sich um und lief lautlos zur Türe. Genauso lautlos öffnete sie diese und schlängelte sich durch den Spalt.

Ihre nackten Füße tapsten auf den kalten Steinstufen der langen Treppe, als ‚Glinda die Gute’ fluchtartig Kiamo Ko verließ.

‚Glinda die Gute ist böse betrogen worden!’, dachte sie sehr selbstironisch, biss sich auf die Unterlippe, um die erneut aufsteigenden Tränen zu unterdrücken und rannte in den dunklen Wald hinein.

Sie lief so lange, bis der Schmerz ihrer Füße größer war, als der, der von ihrem Herzen aus zu kommen schien.

Elphaba stand in ihrem Bademantel eingewickelt und verstört auf den Boden blickend vor Fiyero, welcher angespannt auf eine erklärende Antwort wartete.

„Wieso?“, wiederholte er lautstark, trat dabei einen Schritt näher an die grüne Hexe heran und schüttelte sie kurz, aber dennoch fest an den Schultern, damit sie ihn endlich ansah.

Mit schmerzerfülltem Blick sahen die dunklen Augen ihn endlich an, in welchen sich nun Tränen bildeten: „Lass mich los, Yero!“, wimmerte sie.

Die Vogelscheuche wunderte sich über die Labilität der sonst so starken Frau und bereute es flüchtig, so grob gewesen zu sein, denn er nahm natürlich an, dass seine Worte Elphaba so stark getroffen hatten.

Der Schmerz in ihrer Schulter pochte, als die Strohhände fest an der Verletzung zugepackt hatten. Sie konnte nichts gegen die Tränen, die sich nun in ihren Augen bildeten und ärgerte sich darüber, weil sie genau wusste, dass Fiyero sie nun für schwach hielt.

Sein fieses Stroh hatte durch den dünnen Bademantel genau in die Wunde gepiekt und nun brannte es erneut wie Feuer auf ihrer Haut.

‚Reiß dich zusammen!’, mahnte sie sich und biss die Zähne zusammen. Dann versuchte sie, so schnell es ihr möglich war, ihre Gedanken zu ordnen, um Fiyero irgendwie diese ganze Situation verständlich zu machen.

„Fiyero….“, setzte sie an und richtete dann ihren Blick auf die vor ihr stehende Vogelscheuche, „dass Glinda nun hier ist, hat doch überhaupt nichts mit meiner Entscheidung von damals zu tun! Und sei bitte nicht so laut, denn Gl…“, Elphaba hielt inne, studierte schnell Fiyeros Mimik und setzte dann nach einer kurzen Pause fort, „… denn sie muss nun etwas schlafen!“

Die Ahnungslosigkeit schien bei dem Scheuch dazu zu führen, dass seine Wut ins unermessliche stieg.

Schnaubend unterbrach er ‚seine’ Fae: „Was zum Ballon…“

„Hör auf zu fluchen!“, fauchte diese grantig dazwischen, beruhigte sich dann aber schnell wieder und sprach beschwichtigend weiter, als Fiyero trotz Wutfalten auf der Stirn ruhig blieb:

„Yero, jetzt hör mir mal bitte gut zu, ich sage es dir nun ein letztes Mal…“

Irgendwie hatte Elphaba das Gefühl, als hätte ihr Yero sich schon in einer bestimmten Annahme oder Meinung festgefahren, nur wusste sie nicht welche…

‚Noch nicht!’, dachte sie etwas erschöpft von dem anstrengenden Dialog und sprach bedacht weiter:

„Damals habe ich mich für dich und ein Leben mit dir – egal was es bringen würde – entschieden. Es ist nur menschlich, wenn man … nein, das muss ich anders formulieren: Es ist nur menschlich, dass ich Glinda vermisst habe, denn sie war mir sehr wichtig und das hat sich nicht aufgrund meines offiziellen Todes geändert. Auch ich kann Gefühle nicht abstellen und schließlich habe ich auch durch Glinda viel gelernt. Sie war der erste Mensch in meinem Leben, der mir wirklich etwas bedeutet hat, ohne meiner Familie anzugehören. Sie war die erste Freundin, die ich je hatte und dazu noch die beste. Und da ist es doch nun wirklich verständlich, dass ich sie vermisst habe.

Und ich bin ehrlich – denn ja, es stimmt auch, dass ich zweifellos wissen wollte, wie es ihr geht und ob sie mit alledem zu Recht kommt. Aber Yero, das alles hat doch meine Gefühle für dich nicht beeinflusst!“

„Ach nein?“, unterbrach Fiyero sie abermals, im höchsten Maße rhetorisch.

Elphaba seufzte und machte eine kurze Pause.

In Gedanken beantwortete sich die Vogelscheuche ihre Frage selber: ‚Oh doch, Fae, das hat es! Und wie….’

Vor seinem inneren Auge spielte sich eine längst vergangene Szene ab:
 

Es war später Abend. Elphaba war seit Stunden nicht aus ihrem Zimmer gekommen und Fiyero nahm an, sie würde schlafen.

Als er sie endlich auf der Treppe hört, drehte er sich freudig in ihre Richtung und hielt die Arme offen.

Doch ihr Anblick erschreckte ihn – leicht gerötete Spuren auf ihrem Gesicht verrieten ihm, dass sie geweint hatte – doch er ließ sich damals nichts anmerken.

Seufzend hatte sie sich in seine Arme fallen gelassen. Während des Essens war Chistery dann auch die Treppe herunter gekommen.

Seine Fae war wieder bei besserer Laune gewesen, doch als der Affe krächzend geplärrt hatte: „Weinen, weinen!“, änderte sich ihre Gesichtsfarbe in ein dunkles Grün – ihre Art von Erröten.

„Was meint er?“, hatte Fiyero zu jener Zeit verwirrt gefragt, daran konnte er sich noch genau erinnern.

Er wusste auch noch sehr gut, wie sie nur mit den Schultern gezuckt hatte, als ob sie wirklich nichts wüsste, jedoch hatte er ihrer Mimik angesehen, dass es nicht stimmte.

„Glinda, weinen!“, hatte der Affe dazwischen spektakelt.

Und als Chistery dies vor sich hingejammert hatte, war seine Fae damals vom Stuhl aufgesprungen und wieder in ihrem Zimmer verschwunden.

In dieser Nacht, hatte sie schon geschlafen, als er nach ihr sah.

Das Bild würde er nie vergessen: Er hatte die Türe einen Spalt geöffnet und stand im Türrahmen. Das Licht des Mondes ließ ihre Haut smaragdgrün schimmern. Auf ihrer Stirn standen kleine Schweißperlen und sie warf sich im Bett hin und her. Als sie dann leise angefangen hatte zu weinen, war er mit einem großen Schritt neben ihr gewesen und hatte seine schlafende Schönheit gehalten. Doch als sie dann sehr leise, aber eindeutig „Glinda, bitte wein doch nicht… Alles wird gut. Ich halte dich… für immer.“ gemurmelt hatte, konnte er es nicht mehr ertragen und sein Körper auch nicht. Er hatte sie einfach wieder in das Kissen fallen lassen und sie war verwirrt erwacht.

„Was ist passiert?“

„Ich glaube, du hattest einen Alptraum!“, konnte er seine nüchternen Worte von damals noch hören.

Sie war aufgestanden und ins Bad gegangen.

Diese Nacht hatten sie nie angesprochen, doch als Fiyero alleine und sehr wütend im Bett gesessen und die Glasschale auf Faes Nachttisch liegen gesehen hatte, konnte er sich aus der ganzen Angelegenheit selbst einen Reim machen.
 

„Nein!“, riss Elphabas Antwort auf seine eben noch gestellte Frage.

„Wie?“, fragte Fiyero ganz verwirrt, ließ dann das Bild von Elphaba im Mondschein liegend seinen Gedanken entgleiten und fokussierte sich wieder auf die Diskussion.

Elphaba ignorierte seine offensichtliche geistige Abwesenheit:

„Das ganze hat meine Gefühle zu dir nicht beeinflusst, nein. Wieso denn auch? Es hat meine Gemütslage das ein oder andere Mal beeinflusst, aber nichts weiter.“

‚Und wieso hast du mich nach dieser einen Nacht eine Woche nicht an dich heran gelassen?’, keifte der Scheuch der grüne Hexe in seiner Fantasie an, doch er presste seine Lippen aufeinander und sein Mund blieb geschlossen.

Mit einem Blick nach draußen sah Elphaba, wie erneut dunkle Wolken aufzogen. Der Wind hatte auch schon wieder begonnen über den Wald hinweg zu fegen und die Hexe wusste, wenn bald das Gewitter erneut aufziehen würde – was offensichtlich die Nachwirkung eines jeden Wetterzaubers war – so würde Glinda auch nicht mehr lange schlafen.

„Und nun zu der Erklärung!“

Verwundert hob der Scheuch seine Augenbrauen. Wieso hatte es seine Fae auf einmal so eilig?

Er folgte ihrem Blick und sofort wurde ihm klar, was hier vor sich ging. Er konnte es kaum ertragen, dass sich momentan alles noch mehr um Glinda drehte, als es vorher sowieso schon der Fall gewesen war.

„Als ich das letzte Mal in die Glasschale schaute, sah ich Glinda mit diesem Mann, der mir irgendwie bekannt vorkam, doch ich wusste nicht genau, wo ich dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte.

Ab da setzten diese Träume ein, die mich Nacht für Nacht, die ganze Woche beinahe, wieder in die Zeit kurz vor meinem Abgang von der Shiz-Akademie zurückführten. Glinda und ich waren wieder auf der Flucht vor den Wachen im Palast.“

Fiyero wusste, wovon seine Fae sprach, denn schließlich hatte sie ihm davon erzählt.

„Ich fand heraus, dass ich den Traum verändern konnte und es war immer nur eine Person in diesem Traum so vermummt, dass ich ihn oder sie nicht erkennen konnte. In der letzten Nacht – gestern um genau zu sein, als ich dich bat, mich alleine zu lassen, gelang es mir, die Person zu demaskieren und es war der Mann, den ich an Glindas Seite durch die Glasschale gesehen hatte. Damals stand er im Dienste des Zauberers und ist mit ihm gegen die Tiere vorgegangen.

Ich wusste also nun, dass er bestimmt nicht mit Glindas Art der neuen Regierungsform in Oz einverstanden war. Natürlich konnte ich nur ahnen, dass sie sich in Gefahr befand, doch irgendetwas sagte mit, es stimmt. Um sicher zu gehen, schaute ich noch einmal in meine Glasschale und zu meinem größten Schock aller Zeiten sah ich eine bewusstlose Glinda und zudem eine sehr lebendige Accursia.“

„Accursia AKABER?“, platzte es aus dem nun doch sehr verblüfften Fiyero heraus.

Elphaba nickte stumm.

„Mh hmmm… Ich habe wohl auch so geschaut, wie du es gerade getan hast! Von da an war ich mir mehr als sicher, dass Glinda in Gefahr war und wollte ihr helfen. Also flog ich zum Palast, doch irgendein Zauberbann hielt mich davon ab, meine Magie anwenden zu können. Also musste ich wohl oder übel ab der Stadtmauer laufen und schließlich auch Madame Akaber mit bloßen Händen und einem Pokal niederschlagen.“

„WAS?... Waaaaas hast du getan?“, Fiyero war außer sich, „Hat sie dich etwa gesehen?“

„Gesehen, ja. Erkannt… keine Ahnung. Das weiß ich nicht!“, antwortete Elphaba ihm wahrheitsgemäß.

„Ich weiß noch nicht mal, ob sie überhaupt noch lebt. Mit ganzer Kraft habe ich ihr das Ding auf den Schädel gehauen und es hat ein sehr fieses Geräusch gemacht. Sie hat noch gestöhnt und war von jetzt auf gleich ohnmächtig.“

„Sie MUSS dich doch erkannt haben. Elphaba, du bist GRÜN!“, die Vogelscheuche war wütend und verwirrt.

„Ich war komplett schwarz angezogen, hatte ein Tuch über Mund und Nase und eine Kappe, die ich mir tief ins Gesicht gezogen habe. Ich trug Handschuhe und ich habe den Kopf leicht gesenkt, sodass sie mein Gesicht kaum hätte erkennen können. Außerdem waren auch nur wir drei im Raum. Von daher hat mich auch niemand anderes gesehen!“

„Drei?“, fragte Fiyero, immer aufgebrachter, weil er den kompletten Ablauf der ganzen Sache noch immer nicht begriff.

„Ja, Akaber, Glinda – die aber ohnmächtig war oder schlief und ich eben.

Nun ja, das ist auch jetzt egal. Auf jeden Fall habe ich mir dann Glinda auf den Besen gepackt und bin so schnell es ging, wieder hier her geflogen, um noch in der Dunkelheit anzukommen. Schließlich bin ich soweit die einzige grüne Frau auf einem fliegenden Besen und DAS wäre bestimmt im Morgengrauen einigen Personen nicht entgangen!“

Bei dieser Vorstellung mussten nun beide schmunzeln, dann fragte Fiyero abermals durcheinander:

„Moment mal. Du sagtest doch, du konntest nicht mehr zaubern?“

„Als Akaber ohnmächtig wurde, so erkläre ich es mir zumindest, muss der Bann gebrochen worden sein. Also gehe ich natürlich auch davon aus, dass sie den Bann gelegt hat. Ich fühlte meine Magie wieder in mir aufsteigen und habe es einfach probiert. Anders wäre ich… wären wir beide da wohl auch nicht mehr heile raus gekommen. Dieser Mann, Ramón heißt er, wartete nämlich mit einem anderen Mann vor Glindas Türe. Er ist Akabers Sohn.“

„Was? Accursia hat einen Sohn? Von wem? … WAS?“, die Vogelscheuche konnte sich vor Entsetzen kaum noch aufrecht halten.

„Shhht! Nicht so laut. Von wem… Woher soll ich das denn wissen? Ich kann dir auch nicht genau sagen, wer von den beiden Männern ihr Sohn ist, aber einer der beiden schrie „Nein! Mutter!“, als ich gerade aus dem Fenster geflogen war. Und der Stimme nach war es eher Ramón…“

„Woher…?“, setzte Fiyero an, doch Elphaba war schneller:

„Woher ich seine Stimme kenne? Ja, durch das Glas kann ich leider nur schauen, aber ich habe die beiden Männer draußen auf dem Flur streiten gehört und als Makaber raus ging, stellte ich mich hinter die Türe und sie schrie herum…“

Elphaba zuckte mit den Schultern, zum Zeichen, dass sie nichts Spezifischeres sagen konnte.

„Oz im Ballon!“, seufzte Fiyero fassungslos und setzte sich überwältigt von alledem auf den Rand der Badewanne.

„Ich denke, dass Akaber einen ganz ausgefeilten Racheplan da durchgeführt hat und Ramón oder eben der andere Mann Glinda in der Nacht erledigen sollte.

Hast du die drei fiesen Kratzer auf Glindas Wange bemerkt?“

„Na die waren ja nicht zu übersehen!“

„Hm hmm… Ja, die verdankt sie Makaber Akaber. Danach ging sie raus, um den Streit zwischen den beiden Männern auf dem Flur zu beenden und als sie wieder rein kam, habe ich ihr eines über gebraten.“

„Das passiert also, wenn zwei Totgeglaubte sich treffen!“, murmelte Yero baff und starrte auf den Fußboden.

Elphaba konnte nicht anders und musste grinsen.

„Ich wollte schon immer mal wissen, wie Reinkarnation funktioniert!“ Sie war erleichtert, dass Fiyero gerade zu verblüfft schien, um sauer zu sein.

‚Ich glaube, jetzt ist ein guter Zeitpunkt…’, hoffte sie innerlich und fragte leise: „Yero?“

Der Angesprochene sah vom Boden auf und die Hexe fragend an: „Ja?“

In seiner Stimme lag keine Wut, keine Bosheit.

„Kannst du nun verstehen, warum ich ihr einfach helfen musste? Schließlich war niemand anderes da, der sie hätte retten können…“

Fiyero blickte nun in etwas verzweifeltes Gesicht und stand auf.

„Natürlich kann ich das verstehen!“, flüsterte er, während seine Stroharme den dünnen Körper umschlossen und sanft hin und her wiegten.

Elphaba hörte seine Stimme direkt neben ihrem Ohr: „Sie bedeutet dir noch immer sehr viel. Da ist mir schon klar, warum du sie da herausholen musstest. Nur….“

Er lockerte seine Umarmung, Elphaba befreite sich von seinem Griff und trat einen Schritt zurück: „Nur was?“, fragte sie, die Stirn in Falten gelegt.

„Nur… Was glaubst du, was nun passiert?“, fragte er sie monoton.

Die Antwort war ein schwerer Seufzer: „Ich habe keine Ahnung, Yero. Meine Gedanken sind so durcheinander. Ich bin ja selber ganz verwirrt. Diese Nacht war wirklich viel zu aufregend und anstrengend… Ich…“

„Ja, ich weiß…“, nickte Fiyero. Er war plötzlich ganz verlegen.

„Wie, du weißt?“, stutzte Elphaba.

„Na ja… also…“, druckste er herum und die dunklen Augenbrauen der Hexe schnellten in die Höhe.

Dann seufzte er: „Nach Mitternacht war ich noch mal hier oben, um nach dir zu sehen. Ich wusste ja, dass du meistens gegen 1 Uhr den Traum hattest, also machte ich mir Sorgen und ging nachschauen. Erst dachte ich, du hättest einen ruhigen Schlaf, doch dann hast du angefangen zu murmeln und…“

„Was habe ich denn gesagt?“, unterbrach Elphaba ihn ganz neugierig.

Außer Glinda hatte sie noch nie einen Menschen im Schlaf reden hören und sie hoffte innerlich, nicht auch von ‚supi-schicki-micky’ Schuhen gesprochen zu haben.

„Du hast gesagt: „Schneller“ oder so was in die Richtung. Bevor ich dann wieder gegangen bin, habe ich dir noch einen Kuss auf die Wange gegeben und dir etwas zugeflüstert, weil dich das in den meisten Fällen beruhigt hat, bisher zumindest. Und deswegen weiß ich wohl auch, dass es eine turbulente Nacht für dich war, denn der Traum an sich schien schon aufreibend genug gewesen zu sein.“

„Ja!“, nickte Elphaba und rief sich die Fragmente des Traumes wieder in Erinnerung.

Plötzlich stockte sie: „Fiyero, was hast du geflüstert?“

„Warum ist das so wichtig?“

„Sag es mir einfach. Ich will es wissen!“, drängte sie.

„Ich habe gesagt: Ich liebe dich!“, gestand die sehr verwunderte Vogelscheuche.

Elphabas Augen weiteten sich. Fiyero wusste nicht genau, warum: „Was? Was ist?“

„Elphaba Thropp.“, sagte die grüne Hexe, nun eher nüchtern und eintönig.

„Wie bitte?“, der Scheuch war nun wirklich total verwirrt.

„Elphaba Thropp. Du hast gesagt: Ich liebe dich, Elphaba Thropp, nicht wahr?“

Für eine Sekunde besann sich der Befragte und nickte dann, noch immer verdutzt: „Ja, woher weißt du das?“

Erst jetzt bemerkte die Hexe, welchen Stein sie gerade ins Rollen gebracht hatte und hielt sich erschrocken ihre Hand vor den aufgerissenen Mund.

„Ich… Ich….“, stammelte sie.

Nun ahnte Fiyero, dass sie ihm noch irgendein Detail verschwiegen hatte. Vielleicht auch nicht mit Absicht, denn er konnte sehen, dass es ihr offensichtlich erst gerade wieder eingefallen war.

„Jaaaaa…?“, bohrte er nun neugierig weiter.

„Ich habe es in meinem Traum gehört!“

„Wie das? War ich etwa auch dort?“

„Nein.. Nicht direkt. Aber deine Worte.“ Elphaba schien immer kleinlauter zu werden, was den Scheuch dazu veranlasste, der ganzen Sache genausten auf den Grund zu gehen.

„Also war nur meine Stimme anwesend?“

Die schmale Frau senkte den Kopf, sodass das rabenschwarze Haar nach vorne fiel und Fiyeros Sicht auf ihre Mimik verdeckte.

„Fae?“, fragte er besorgt.

„Nein. Es war nicht deine Stimme.“

In diesem Moment begriff er, was das Problem war: „Wessen Stimme war es denn dann?“, fragte er, mehr neugierig als alles andere.

„Fae?“ Doch diesmal bekam er keine verbale Antwort.

Als Elphaba den Kopf hob und ihm in die Augen sah, konnte Fiyero die Antwort nämlich in den wunderschönen dunklen Augen lesen.

„Glinda?“, fragte er überrascht und entgeistert.

Ein fernes Donnergrollen unterbrach die Stille.

„Glinda!“, entwich es der nun alarmierten Elphaba, denn sie wusste, spätestens wenn das Gewitter näher kam, würde die blonde Schönheit aufwachen. Die grüne Hexe unterdrückte den starken Impuls in das Schlafzimmer zu rennen um nachzusehen, ob noch alles in Ordnung war.

Sie musste diese Diskussion beenden und zwar vernünftig, ansonsten würde das alles kein gutes Ende nehmen.

Fiyero hingegen fasste diesen Ausdruck als bestätigende Antwort auf seine Frage aus und seinerseits entfuhr ihm ein abwertendes: „Pah!“

Als Elphaba daraufhin Fiyeros Mimik sah, war ihr ganz und gar nicht wohl. Es war wieder dieser Ausdruck, den sie nun kannte, gemischt mit der Wut von vorhin.

Mit einem Schlag war der Hexe nun klar, was dieser Schatten auf Fiyeros Gesicht zu bedeuten hatte: Der Ausdruck auf seinem Gesicht hatte etwas mit der Beziehung zwischen ihr und Glinda zu tun. Er fühlte sich bedroht… durch Glinda! Und zwar auf einer Ebene, die Elphaba nie im Leben für möglich gehalten hätte.

Fassungslos sah sie ihn an und wusste, dass sie mit der Erzählung des Traumes noch alles viel schlimmer gemacht hatte.

Verzweifelt versuchte sie, ihren Scheuch zu beruhigen: „Yero, es war nur ein Traum und schließlich waren es deine Worte. Die habe ich im Schlaf bestimmt nur verarbeitet! Wieso bist du denn auch noch mal hoch gekommen? Ich hatte dir doch gesa…“

„Wie bitte???“, rief die Vogelscheuche nun sehr erzürnt aus, „Jetzt ist das auch noch alles meine Schuld?“

„Wie?“, fragte Elphaba ganz perplex, „Was ist deine Schuld?“

„Dass du dir wünschst, SIE würde dich lieben. So sehr, dass du sogar davon träumst?“, sein Rufen war in ein lautes Schreien übergegangen.

‚Ooooh, verdammt!’, ärgerte sich ‚Fae’ innerlich, als sie sah, dass ihr Yero kurz vor dem Explodieren stand. ‚Hoffentlich ist sie jetzt nicht aufgewacht!’, betete sie.

Elphabas Versuch, Fiyero zu beruhigen und ihn davon zu überzeugen, dass es bestimmt nicht so war, ging in einem lauten Donnerknall unter.

Reflexartig schauten beide Gestalten zum Fenster hinaus und erblickten ein sehr seltenes Naturschauspiel: Der Wind war stärker geworden, doch die Sonne schien noch kräftig vom Himmel herab. Die Wolken schienen fern, ebenso wie das Gewitter, doch der Donnerknall hatte den Anschein erweckt, als wäre das Unwetter ganz nah über ihnen.

Als Elphaba und Fiyero sich wieder ansahen, schüttelte der Scheuch den Kopf und sein Satz wurde vom nächsten ohrenbetäubenden Donnergrollen übertönt. Doch die grüne Hexe hatte seine Lippen gelesen, die ein „Das war’s!“ geformt hatten.

Ohne Vorzeichen stürmte Fiyero in Richtung Badtür und riss sie mit gewaltiger Kraft auf, sodass sie markerschütternd gegen die Fliesenwand knallte.

‚Spätestens jetzt ist sie wach…’, seufzte Elphaba und rannte hinter Fiyero her, um ihn aufzuhalten.

Doch als sie mit hohem Tempo aus der Tür herauslief, prallte sie gegen den Rücken eines vor dem Bett stehenden Fiyeros, der den Schwung der Hexe auffing, aber nichts sagte.

„Uff!“, machte Elphaba. „Entschuldige, Yero, ich dachte du wärst so sauer und wolltest wegrenn… GLINDA?!“, platzte es aus ihr heraus, als sie das leere Bett mit der zurückgeworfenen Bettdecke anstarrte.

„Oh verdammt!“, fluchte sie, als sie in Panik aus ihrem Kleiderschrank ein dünnes Sommerkleid suchte, den Bademantel aus- und das schwarze Hängerchen anzog. Alles andere würde entweder zu eng sitzen und schmerzen oder war noch nass…

Erst da sah Fiyero die ganzen Verletzungen und sog zischend vor Entsetzen die Zimmerluft ein.

Elphaba drehte sich zu ihm um und sah, wie er auf ihre Schulter, dann auf ihr Handgelenk starrte.

„Der Regen!“, sagte sie nüchtern, aber nicht unfreundlich.

Fiyero fing sich wieder und dachte: ‚Das ist deine letzte Chance, Fae! Beweise mir, dass ich Unrecht habe!’ und dann fragte er sanft: „Was hast du jetzt vor?“

Elphaba deutete seinen scheinbaren Stimmungswechsel als ein gutes Zeichen.

‚Er hat bestimmt eingesehen, dass er total überreagiert hat und das ohne Grund!’, hoffte sie, griff nach ihrem Besen und antwortete ebenso sanft: „Ich muss sie finden!“

Abwartend stand sie vor ihm und jede Sekunde kam ihr unendlich vor. Doch sie konnte nicht gehen, ohne sich sicher zu sein, dass er in Ordnung war.

„Und was machst du, wenn ich jetzt sage: Ich will, dass du hier bleibst? Hier bei mir?“

Entsetzt starrten ihn die dunklen Augen an.

„Sie ist ein starkes Mädchen. Blond, aber stark! Sie schafft das schon, bestimmt!“, fügte er lächelnd hinzu.

„Wa… Fiyero!“, entgegnete Elphaba entgeistert.

Er wusste, sie würde trotzdem gehen. Egal, was er sagte. Und sie wusste es auch.

Dann lächelte er warm: „Das war nur ein Witz!“

Als er sah, dass seine Fae nur den Mund zuklappen, aber keine Antwort finden konnte, forderte er sanft: „Meine Fae, komm mal her!“

Sie tat wie ihr befohlen und er schloss sie in seine Arme. Dann küsste er sie auf die Stirn und ließ sie los: „Danke!“

„Wofür?“, fragte die noch immer verwirrte und perplexe Frau.

„Für die…“, lautes Donnergrollen übertönte den letzten Teil des Satzes. Panisch drehte sich Elphaba in Richtung Fenster und sah hinaus.

Die Sonne glitzerte scheinheilig vom Himmel herab. Dann wandte sich die Hexe wieder ihrem Scheuch zu: „Was?“

„Nichts! Geh nur! Geh!“, antwortete dieser und schob sie leicht in die Richtung des Fensters.

Als erneut der Donner knallte, nickte Elphaba schnell und formte ein lautloses ‚Danke’ mit ihrem Mund.

Dann öffnete sie hektisch das Fenster und Fiyero sah nur noch den Rücken der Frau, die er einmal so sehr geliebt hatte, wie nichts anderes auf der Welt.

„… Für die Bestätigung, du Heuchlerin!“, sagte er in den nun leeren Raum hinein und beantwortete damit Elphabas „Wofür?“. Dann hielt er noch einen Moment inne und wartete, bis die Hexe aus seinem Blickfeld verschwunden war.
 

Er war nun schon drei Stunden unterwegs, als er die prächtige Stadtmauer endlich erblickte.

Als er näher kam, fiel sein Blick auf die hohe Turmuhr und er fragte sich, ob Elphaba schon fündig geworden war.

Schnellen Schrittes marschierte er zum Eingangstor und war ganz verwundert, warum keine Wache hier stand, um ihm eine Brille aufzusetzen.

Die eine Hälfte des riesigen Eichentores war geöffnet, die linke Hälfte jedoch war zugeklappt und auf ihr prangte ein riesiges Holzschild.

„Ab dem heutigen Tage sehen wir die Wahrheit mit unseren eigenen Augen! Keine Brillen mehr für Oz!“ stand darauf geschrieben und in der unteren Ecke konnte Fiyero Glindas schnörkelige Unterschrift und das Datum erkennen: „Glinda die Gute, 24 n. Oz“

„Na da bin ich aber mal gespannt!“, höhnte der Scheuch und staunte nicht schlecht, als er durch das Tor trat und den Betrug mit den Brillen verstand.

Wie angewurzelt stand er dort und blickte sich ungläubig um: „Kristalle! Ich fass es nicht!“

Aus dem Augenwinkel sah er, wie jemand oder etwas auf ihn zuschritt. Er wandte seinen Blick in diese Richtung und sah eine Art Soldat oder Wachmann, in azurblauer Uniform mit einem roten Zeichen auf der linken Brustseite. Als der Mann näher kam, studierte Fiyero mit zusammengekniffenen Augen das Zeichen: Es sah aus wie ein Berg mit drei Spitzen, doch durch den letzten Berg war ein Strich gezogen.

„Oh!“, entwich dem Scheuch, der nun verstand, dass es keine Berge waren, sondern die Buchstaben M und A, die einfach nur aneinander gesetzt worden waren.

„MA…“, flüsterte er. „Madame AKABER!“

„Was glotzt du so?“, fragte der Wachmann, der nun beinahe vor Fiyero stand.

„Nichts. Schon gut!“, antwortete dieser leicht erschrocken.

Murrend ging der große Mann an ihm vorbei. Er hatte strohblondes Haar und helle Augen.

Mit seinen Blicken verfolgte Fiyero den Burschen, bis er hinter dem Eingangstor verschwunden war.

„Oz, Ballon und fliegende Affen!“, rief der Scheuch erschrocken aus, als ein lautes Geräusch die merkwürdige Ruhe der sonst so überfüllten Smaragdstadt durchbrach.

Erst da merkte Fiyero, dass niemand außer ihm und dem Soldaten sich auf der Straße befand, doch bevor er genauer hinsehen konnte, kam der Mann schon wieder zurück.

Er hatte das Schild von ‚Glinda der Guten’ vom Tor abgerissen und hielt es in seiner rechten Hand.

Schnellen Schrittes wollte er gerade an Fiyero vorbeimarschieren, als dieser rief: „He, Sie da!“

Prompt hielt der Angesprochene inne und drehte sich um: „Was?“, fragte er sehr unfreundlich.

„Können Sie mir sagen, wo ich Ramón finde?“

„Das kommt ganz darauf an, was du von ihm willst, Strohkopf!“, zischte der blonde Mann und trat so nah an Fiyero heran, dass dieser seinen Atem hätte spüren können, wenn er noch Nervenzellen gehabt hätte.

„Ich weiß, wer Glinda die Gute gerettet hat und ich weiß auch, wo sie und ihr scheinheiliger Retter sich aufhalten!“

Atemlos standen sich die beiden Männer gegenüber und keiner der beiden bewegte auch nur einen Muskel, als es mit tosendem Knall donnerte und starker Regen einsetzte.

„Ach verhext!“, murrte Elphaba, als sie so schnell wie die Blitze am Westhimmel über den Wald hinwegjagte. Sie hatte in der Eile und der ganzen Hektik vergessen, ihre Schuhe anzuziehen.

Argwöhnisch blickte die grüne Hexe zum Himmel, um aus dem Wetter schlau zu werden:

Die Sonne schien noch immer kräftig, aber es würde nicht mehr lange dauern und das Gewitter würde auch über Kiamo Ko hereinbrechen. Der Wetterzirkel pendelte sich nach einem Wetterzauber eben erst langsam wieder ein.

Trotz der warmen Sonnenstrahlen auf ihrer grünen Haut zitterte die Hexe. Einerseits, weil der Flugwind ihr kühl um die spitze Nase wehte, aber andererseits, weil sie kaum geschlafen und nichts gegessen hatte und da war eine solch aufreibende Situation nicht gerade ein Heilmittel.

„Adagio!“, murmelte sie und der Besen verringerte sein Tempo etwas.

Angestrengt dachte Elphaba darüber nach, wie der Zauberspruch doch war, mit welchem man Objekte bis hin zur Schrittgeschwindigkeit drosseln konnte, je nachdem, wie oft man ihn wiederholte.

Sie erinnerte sich an das Buch, welches in schwarzes Leder gebunden war. Es hatte abgenutzte, lila Seiten, die mit glitzernder silberner Tinte beschrieben waren.

‚Aber was genau stand noch mal in dem Flugkapitel?’, dachte Elphie angestrengt, während sie durch die geschwind vorbeifliegenden Baumwipfel versuchte etwas zu erspähen.

Mit dem nächsten Blitz ging auch ihr ein Licht auf und sie rief freudig: „Bie ji! Bie ji, bie ji!“

Mit einem Ruck drosselte der Besen nun drastisch seine Geschwindigkeit, wobei Elphaba beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.

„Uff!“, entwich es ihr, als sich ihr Gewicht automatisch nach vorne verlagerte und sie beinahe mit dem Gesicht auf den Besenstiel geknallt wäre.

Als sie sich wieder aufrappelte, merkte sie stolz, dass der sonst etwas störrige Besen nun langsam über den Wald hinweg glitt, sodass Elphaba die Möglichkeit hätte, Glinda zu erspähen, sollte sie sich in diesem Wald aufhalten.

‚Der Wald ist so riesig!’, dachte sie, etwas verzweifelt: ‚Ich weiß ja überhaupt nicht, wo ich anfangen soll… Aber weit kann sie noch nicht sein, oder?’

Die grüne Hexe war übermüdet, verzweifelt und befand sich in einem unbeschreiblichen Gefühlschaos.

In langsamen Bahnen überflog sie den Wald auf der Suche nach Glinda. Als es nicht weit von ihr donnerte, stieg langsam Angst in ihr auf.

„Glinda?“, rief sie erst leise.

„GLINDA?“, dann lauter.

„GLINDAAA?“

Sie schrie und schrie und schrie.
 

Erschrocken drückte sich die zierliche Blondine gegen einen dicken Baumstamm.

„GLINDAAA?“, hörte sie die Frau über ihr schreien.

„Ach verdammt!“, flüsterte die Gesuchte verärgert. Glinda war fassungslos darüber, dass Elphaba Thropp, die sie nun über ein Jahr nur belogen und betrogen hatte, noch die Dreistigkeit besaß, sich auf die Suche nach ihr zu machen.

„Oh ich glaube es einfach nicht!“, ärgerte sich Glinda weiter, denn gerade als sie hatte weiter schleichen wollen, war Elphaba auf ihrem Besen zurückgekommen und abermals über sie hinweg geflogen. Zum wiederholten Male presste Glinda ihren dünnen Körper gegen den Baumstamm und war erleichtert, als Elphaba aus ihrem Blickfeld verschwunden war.

„Pffff!“, machte Glinda in normaler Lautstärke und redete zu sich selber, als sie sich – noch immer barfuss – wieder auf den Weg ins Tal machte:

„Ich glaube das einfach nicht! Lügt mich an, rettet mich und meint dann, ich müsste ihr alles verzeihen oder wie? Das ist ja unglaublich! Und dann wache ich auf – niemand ist da. Gastfreundlichkeit war ja noch nie ihre Stärke!“ Immer wütender murmelte Glinda diese Beschimpfungen vor sich hin, so, wie sie es immer tat, wenn sie böse war.

Das war die Art von Glinda, nicht von ‚Glinda der Guten’, Wut zu verarbeiten. Als die Gute hätte die Blondine vielleicht gerade Mal nett lächeln dürfen. Wut kannte sie als ‚Glinda die Gute’ nicht.

Mit jedem Schritt raschelte das Laub unter ihren Füßen und kitzelte die Zwischenräume ihrer Zehen. Die Sonne schien in glitzernden Strahlen mal hier, mal dort zwischen den dichten Blättern der Bäume hindurch und der Wind wirbelte von Zeit zu Zeit frech durch ihre blonden Locken. Unter normalen Umständen hätte Glinda diesen Spaziergang sehr genossen, doch sie fühlte noch eine ganze Palette an Emotionen als nur den Genuss ihrer kleinen Wanderung: Müde, hungrig, verzweifelt, wütend, freudig, erleichtert, enttäuscht, verletzt, genervt, verfolgt, betrogen und doppelt betrogen waren die entscheidenden Komponenten, die jede Situation zu einer unangenehmen machen konnten.

‚Und dann finde ich auch noch diesen blöden Weg nicht!’, dachte sie und ihre schlechte Laune steigerte sich.

Doch nach ungefähr zehn Minuten fand Glinda den abgetretenen Sandweg, welcher ins Tal führte. Links und rechts war er mit großen Bäumen gesäumt und es ging schnell bergab. Der Wald erstreckte sich zu ihrer rechten Hand bis hinunter ins Tal und Glinda stand staunend am Wegesrand und ließ ihre Blicke auf dieses einmalige Bild fallen: Die gefangenen Wolken im Tal, mit denen sie nun ungefähr auf einer Höhe war, wodurch sie das Spiel von Blitz und Donner von einem Blickwinkel aus verfolgen konnte, zu dem sie nur auf einem Besen oder in einem Ballon Zugang gehabt hätte.

„Wooow…“, hauchte Glinda erstaunt und blieb wie gefesselt stehen.

Dann fiel ihr plötzlich wieder ein, dass Elphaba sie noch immer suchte.

Schnell trat sie in den Schatten eines großen Baumes, welcher am Wegrand stand.

‚Das wäre ja noch schöner!’, murrte Glinda in Gedanken vor sich hin, bei der Vorstellung, Elphaba würde sie mitten auf dem Weg entdecken.

‚Dann wäre ich wohl eher ‚Glinda die Gedankenlose’…’, kicherte sie, beinahe schon wieder etwas besser gelaunt.

Mit dem Gedanken ‚Sicher ist sicher’ beschloss Glinda jedoch, besser neben dem Weg, zwischen den Bäumen hindurch, weiter zu laufen, damit die grüne Hexe sie auch auf keinen Fall aufspüren konnte.

Außerdem war es ihr auch von dort aus möglich, die weite Landschaft zu bestaunen.

Verträumt ließ sie ihren Blick nun nach links schweifen.

„Wa…?“, hätte Glinda beinahe vor Erstaunen ausgerufen, fing sich jedoch im letzten Moment und die halbe Frage ging in einem Flüstern und Genuschel unter.

Gefesselt von dem Berg, welcher sich ungefähr einen Kilometer weit entfernt von ihr befand, sah beinahe aus wie..

‚Nein.. Das IST der Berg! Oz im Ballon, so was!’

Glinda war fassungslos. Wie oft hatten sie und Elphaba in Shiz vor dem riesen Gemälde in Madame Akabers Wartezimmer gesessen und in unangenehmem Schweigen darauf gestarrt. Dieses Gemälde von damals trug den Titel: ‚Die Quelle der heiligen Aelphaba’ und es war ein kleiner, aber wunderschöner Wasserfall mit einem See darauf zu sehen gewesen. Im Sonnenlicht hatte die Wasseroberfläche geglitzert und die grüne Weide an der rechten Seite des Sees hatte tief über dieser Oberfläche gehangen. Die blonde Schönheit sah das bestimmte Gemälde nun wieder detailgetreu vor ihrem inneren Auge.

Sie konnte jedoch weder den Wasserfall, noch den See erkennen. Die Bäume versperrten ihr die Sicht, doch was von dem Berg zu sehen war, glich exakt dem Berg auf dem Gemälde von Accursia.

Mit einem abschätzenden Blick ins Tal und auf das heranziehende Gewitter, beschloss sich Glinda die Gute schweren Herzens dazu, ihre Neugierde nicht Überhand gewinnen zu lassen.

Also wandte sie ihren Blick wieder auf die herrliche Aussicht über das Tal und ging träumerisch wieder den Weg entlang.

Sanft fuhren die feingliedrigen Finger über den Anhänger der Kette, welche noch immer den zierlichen Hals schmückte. Insgeheim schwor sie sich, irgendwann mal diesen Berg besuchen zu gehen, um am Wasserfall diese Träne in den See zu schmeißen.

Ein Schmuckstück, so wertvoll, sollte man eigentlich behalten.

‚Aber mit Erinnerungen an gleich ZWEI enttäuschende und verletzende Sachen im Leben, gehört es dahin zurück wo es hergekommen ist!’, dachte Glinda zwar wütend, aber bei weitem nicht ganz so sauer, wie zuvor.

„Oz im Ballon!!! Aaah, mist, mist, MIST!“, schrie Glinda vor Schmerz auf, nahm ihren rechten Fuß in beide Hände und hüpfte vor Höllenqualen im Kreis herum.

„Aua, aua, aua, AUAA!“, brüllte sie so lange, bis sie sich wimmernd in den Sand setzte.

„Was zur Hexe machen gillikinesische Stachelbeerbäume auf Kiamo Ko? … Aaaarrrrg…“

So schimpfte Glinda weiter vor sich hin, als sie auf dem Weg saß und sich mit der rechten Hand den Fuß vor die Nase hielt, um sich die Stacheln heraus zu zupfen.
 

„Das darf doch nicht wahr sein!“, stöhnte Elphaba, als sie nun die ‚Wie vielte Runde?’, fragte sich die grüne Hexe selber… Sie hatte aufgehört zu zählen, wie viele Runden der Besen mit ihr schon gedreht hatte.

Das Gewitter zog langsam den Berg hinauf, also wusste die Hexe, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb.

Dementsprechend flüsterte sie ihrem Besen „Acel erarse!“ zu. Der Stiel gehorchte und beförderte die grüne Frau wieder etwas schneller durch die Luft.

Ihre Schulter machte sich wieder bemerkbar und der Verband um das Handgelenk fing an zu jucken.

‚Ich habe wirklich keine Lust, mir das alles noch mal anzutun!’, dachte sie beinahe grimmig, als ein leises Donnergrollen an ihr Ohr drang.

Mit einem tiefen Seufzer entschloss Elphaba sich dazu, nun die letzte Runde zu fliegen und traute sich diesmal etwas näher an das Unwetter.

‚Wenn ich sie nicht finde, muss meine grüne Glasschale wieder ran! Das wird Yero gar nicht begrüßen…’ In dem grünen Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander.

Elphaba wunderte sich. Sie hatte solche chaotischen Sachen immer vermeiden wollen, denn schließlich hatte sie aus diesem Grund auch die Asozialität vorgezogen. In ihrer Kindheit war sie nicht zum Lieben, sondern zum Kümmern erzogen worden.

Damals hatte sie Liebe und Fürsorge für ein und dasselbe gehalten, doch mit den Jahren hatte sie einsehen müssen, dass es ein großer Unterschied ist, ob man sich nur um jemanden kümmert und sorgt, oder ob man ihn liebt.

Als Elphaba gerade in der Erinnerung schwelgte, wie sie sich damals dazu entschlossen hatte, ein ruhiges Leben ohne Liebe würde ihr mehr zugute kommen als ein kompliziertes Leben mit Liebe, wurde sie lauthals von einem „OZ im BALLON!“ unterbrochen.

„Glinda!“, hauchte Elphie alarmiert und hielt nach der Blondine Ausschau, deren Stimme sie genau erkannt hatte.

In ungefähr 300 Metern vor Elphaba hüpfte ihre frühere Zimmergenossin auf einem Bein im Kreis, wobei sie sich den Fuß hielt und Unaussprechbares fluchte.

Die dunklen Augenbrauen schossen in die Höhe und beinahe hätte die grüne Frau auf dem Besen laut gelacht, doch in letzter Sekunde wurde das Lachen zu einem leisen Kichern.

„Godaun!“ flüsterte sie und der Besen senkte sich langsam, bis Elphaba den Sand des Weges unter ihren nackten Füßen spürte.

Noch immer befand sie sich ca. 200 Meter von Glinda entfernt, welche sich nun auf den Hosenboden fallen ließ und den Rücken zu Elphie gedreht hatte.

Diese konnte nicht erkennen, wieso die blonde Frau nun solch komische Verrenkungen anstellte, aber das war ihr auch im ersten Moment egal.

Glinda ging es soweit gut, niemand war bei ihr, sie war nicht verletzt.

Bevor Elphaba langsam auf Glinda zuging, entwich ihr ein tiefer Seufzer. Sie wusste nicht, welches der Gefühle in dem ganzen Chaos momentan stärker war: Die Freude und Erleichterung darüber, Glinda endlich gefunden zu haben oder die Angst und die ungute Vorahnung bei dem Gedanken an ein klärendes Gespräch…

‚Wenn es überhaupt soweit kommt!’, seufzte Elphaba, die eher mit einer Ohrfeige rechnete. ‚Oder Schlimmerem…’
 

„Au… Au… Au….“ Glinda zupfte sich Stachel für Stachel aus dem Fuß und wimmerte dabei wie ein Kleinkind vor sich hin.

Als alle Dornen aus ihrem Fuß entfernt waren, seufzte Glinda auf: „Wundervoll, wirklich… Gaaanz wundervoll!“

Psychisch sehr durcheinander und physisch mehr als müde ließ sich die zierliche Frau langsam mit geschlossenen Augen in den Sand sinken, um ihren Kopf und ihre Füße etwas auszuruhen.

Als ihre nackten Schultern sich gegen die Erde schmiegten, genoss Glinda die gespeicherte Wärme der Sonne in jedem einzelnen Sandkorn.

Das Gewitter war nun so unmittelbar nahe gekommen, dass die Blondine sich sicher war, nicht mehr verfolgt zu werden. Es würde bestimmt keine Viertelstunde mehr dauern und es würde in Strömen regnen.

Ihr war es egal, was dann passieren würde. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie sollte oder wo sie noch sicher war. Nach dieser Aktion von Ramón konnte sie damit rechnen, dass die Politik nun alleine schon in dieser einen Nacht vollkommen auf den Kopf gestellt und neu angeleitet wurde.

Doch auch das war egal, stellte Glinda fest, als sie dort im Sand lag und die letzten Sonnenstrahlen mit geschlossenen Augen genoss.

Alles war ihr gleich, jedoch musste sie in die Smaragdstadt zurück, um Elaine, Meredith und Reseda wieder zu sehen. Sie hatte die Angst um ihre Freundinnen die ganze Zeit verdrängt, doch nun kamen sie mit den anderen Gedanken und Erinnerungen wieder hoch.

In dem Moment, als Glinda versuchte herauszufinden, warum sie fest davon überzeugt war, Madame Akaber wäre lebendig und die Drahtzieherin der ganzen Angelegenheit, konnte sie auf ihrem Gesicht fühlen, dass die Wolken nun über die Sonne gezogen und den Himmel verdunkelt hatten.

Blinzelnd sah Glinda auf und erschrak aufschreiend, als sie die dunklen Konturen einer hageren Gestalt erblickte.

„Glinda, Glinda, ich bins!“, hörte die Frau auf dem Boden die beruhigenden Worte jener Frau, welche über ihr stand.

Die eisblauen Augen gewöhnten sich schnell wieder an das Licht und erblickten Elphaba – barfuß und in einer Art Sommerkleid – so glaubte Glinda zumindest. Es ähnelte dem Exemplar, welches sie selber trug, sehr. Der Stiel des Besens war fest umschlossen von der feingliedrigen, grünen Hand.

Glinda winkelte ihre Beine an, stützte sich auf die Hände und krabbelte so ein Stück nach hinten, um Abstand von Elphaba zu gewinnen.

Als sie endlich die Stille brach, sagte sie: „Es fängt gleich an zu regnen. Geh.“

„Glinda ich werde nicht..“

„Geh einfach, Elphaba!“, fauchte Glinda nun dazwischen.

Elphaba stellte fest, dass die blauen Augen nicht zu ihr aufsahen, sondern strikt geradeaus gerichtet waren und da die grüne Frau stand, während die andere Frau auf dem Boden saß, war dies unmöglich dieselbe Augenhöhe.

„Ich bleibe hier!“, sagte Elphaba nach einer kurzen Pause, sehr entschlossen, als es kurz darauf kräftig donnerte.

„Ach?“, keifte Glinda, „Und stirbst, oder was? Schon wieder? Wie langweilig!“

Eigentlich wollte Glinda nicht so kalt reagieren und auch nicht so verletzend, aber irgendwie konnte sie das momentan nicht abstellen. Es war eine Art Maske, die die schöne Zauberin gerade bitternötig hatte, um sich nicht in die zarten grünen Arme zu werfen und alles auszuweinen, was ihr Tränenkanal hergab.

Elphaba hingegen war wirklich verletzt, doch ließ es sich nicht anmerken.

‚Ich habe dich schon zwei Mal verloren, Glinda. Aber auch zwei Mal wieder gefunden. Wenn du denkst, den Fehler begeh ich ein drittes Mal, irrst du dich gewaltig!’, dachte Elphaba immer noch entschlossen.

Doch was sie schließlich sagte, verriet nichts von dem Gedachten: „Glinda, ich weiß, dass du sauer bist…“

„Sauer?“, unterbrach Glinda schnippisch und sah Elphaba nun das erste Mal vorwurfsvoll und entgeistert an.

„Lass mich ausreden! Bitte! Nur dieses eine Mal. Wenn du danach deine Meinung nicht änderst, dann werde ich gehen! Ohne noch ein weiteres Wort! Versprochen!“

Die Hexe wartete auf eine Reaktion von der Frau vor ihr auf dem Boden und hoffte inständig, dass sie ihr Versprechen nicht halten musste.

Als Glinda nickte, setzte Elphaba fort: „Gut. Ich weiß, dass du sauer bist und ich finde auch selber, dass du da volles Recht zu hast. Mein Verhalten war alles andere als fair, aber ich wollte dich nicht verletzten. Ob du mir das glaubst oder nicht ist – im Moment zumindest – nicht von größter Priorität. Was jetzt zählt ist deine Sicherheit. Weder du noch ich wissen, was dich erwarten würde, wenn du zurück in die Smaragdstadt gehen würdest.

Auch ist mir nicht klar, inwieweit du diese ganze Misere durchschaut hast oder ob du weißt, dass Accursia Akaber etwas damit zu tun hatte.“

Elphaba hielt kurz inne und deutete mit einem ihrer grünen Zeigefinger auf Glindas verletzte Wange: „Die da hast du von ihr.“

Die Antwort war ein entsetzter Blick aus blauen Augen und der dazugehörige Körper tastete nach den drei tiefen Kratzern.

„Was ich sagen möchte ist recht simpel: Wenn du zurückgehst, kann es gut sein, dass sie dich wegsperren oder schlimmer: umbringen. Ich habe keine Ahnung, wie viele Verbündete du zu Hause hast, aber wie ich Makaber Akaber einschätze, sind alle, die jetzt noch etwas bewirken könnten, evakuiert worden. Sie war schon immer wahnsinnig begabt in Organisation und Manipulation oder wohl eher: Begabt in der Organisation ihres Wahnsinns.

Ich möchte dir vorschlagen, dass du bitte noch hier bleibst, bis wir darüber Gewissheit haben, dass dir keine Gefahr mehr droht. Nur bis dahin, dann kannst du sofort verschwinden.

Ich bin offiziell tot und das ist im Moment das einzig Positive an dieser Lüge: Du bist bei mir in Sicherheit.

Bitte, Glinda. Bleib nur so lange, bis du ungefährdet zurück nach Hause kannst. Ich hege keine Erwartungen an dich. Meinetwegen kann ich mich auch einschließen oder sonst was und wir warten einfach nur noch ein bisschen ab.

Aber bitte, bitte geh jetzt nicht weiter….“

Glinda saß starr vor der grünen Hexe, ihr Blick war auf den Boden gerichtet. Sie schwieg. Nicht mehr als ein einziges Mal hatte Elphaba sie um etwas gebeten und das war vor acht Jahren gewesen. Zu jener Zeit hatte das grüne Mädchen ihre Freundin angefleht, sie gehen zu lassen.

„Ich habe Angst um dich…“, fügte Elphaba flüsternd hinzu.

Erst da richtete sich der Blondschopf auf und die eisblauen Augen blickten sie wütend, aber Tränen erfüllt an.

„Warum, Elphaba? Warum ist dir das nicht egal? Du hast dich damals für ein Glinda-loses Leben entschieden und hast es das ganze Jahr anscheinend sehr gut überlebt. Nebenbei konntest du dir auch noch schön von hier aus angucken,…“, die blassen Arme machten eine weite Gestikulierung über Kiamo Ko, „… wie ICH leide! Und was hast du getan? Nichts! Wieso ist es dir dann nicht jetzt auch egal, wenn dein Leben OHNE mich weitergeht! Ob du mich durch eine dämliche Glasschüssel anguckst oder ob ich tot bin, was ist das für ein Unterschied?“

Die letzten Silben wurden beinahe von ihrem verärgerten Schluchzen verschlungen. Die nun zitternde Frau verspürte das Bedürfnis, ihre Knie noch weiter an ihren Körper heranzuziehen, dann ihre Arme darum zu schlingen und den Kopf in dieser Position zu verstecken. Doch sie widerstand der Versuchung und sah der grünen Hexe vorwurfsvoll in die dunklen Augen.

Dieser wiederum war nicht die Anklage mit der Glassschale entgangen, wodurch ihr bewusst wurde, dass Glinda einfach einen Teil der Diskussion mit Fiyero mitbekommen haben musste.

Elphaba seufzte: „Nein, das ist ganz und gar nicht dasselbe.“

„Warum?“, fragte Glinda durch aufeinander gepresste Zähne.

Dass das ein Zeichen für ihren bevorstehenden emotionalen Zusammenbruch war, wusste Elphaba noch aus gemeinsamer Studienzeit.

„Weil…“, setzte die Hexe an, als es plötzlich hell aufblitzte und ein kräftiger Donnerschlag unverzüglich darauf folgte.

Beide Frauen blickten reflexartig zum Himmel. Keine der beiden hatte bemerkt, wie die Wolken nun tatsächlich die Sonne verschlungen und immer näher an sie herangerückt waren.

Mit einem schnellen Blick um sich stellte Glinda ängstlich fest, dass die Wolken schon sehr tief hingen und es würde keine Minute mehr dauern, bis ..

„Elphie! Es fängt an zu regnen!“ Glinda sprang flink auf, als der erste Tropfen sie auf der Nase getroffen hatte.

Nun war es an Elphaba, durch zusammengepresste Zähne zu sprechen: „Ich weiß.“

Mit einem Streifblick auf die grüne Frau vor ihr, wuchs Glindas Panik noch mehr, denn sie sah nicht nur, dass die Hexe die Zähne zusammenbiss, sondern auch, dass die grünen Hände zu festen Fäusten geballt waren. Und dieses Zeichen wiederum kannte Glinda noch aus der gemeinsamen Zeit in Shiz. Es war das Zeichen dafür, dass Elphaba Schmerz bekämpfte. Physischen Schmerz.

Erst da bemerkte Glinda die kalte Brise und begriff, dass sie die ganze Zeit in Elphabas Windschatten gesessen hatte.

Mit einem Schritt war Glinda neben Elphie, doch kein einziger Tropfen fiel.

Verwirrt, aber vorsichtig stellte sich die blonde Schönheit nun wieder vor ihre Freundin. In dem Moment, als sie fragen wollte, was nicht in Ordnung war, sah sie dünne Tränenbahnen auf den grünen Wangen, welche sich darunter leicht rötlich färbten.

„Elphie, was..“, setzte Glinda an.

„Bitte, Glinda. Mehr verlange ich nicht. Bitte komm mit…“ Dann versagte ihre Stimme und die grünen Augenlieder schlossen sich.

Elphaba hasste es, solchen Gefühlsausbrüchen zu unterliegen, doch als Glinda sie nach all den Jahren wieder ‚Elphie’ und nicht so förmlich ‚Elphaba’ genannt hatte, war sie einfach zu überwältigt gewesen und die aufsteigenden Erinnerungen hatten sie schachmatt gesetzt.

Plötzlich spürte sie Glindas zarte Hände auf ihren stechenden Wangen, welche sanft die Tränen wegwischten.

Als Elphaba die Augen öffnete und tiefes Braun hellem Blau begegnete, wusste die Hexe, sie würde ihr Versprechen, ohne ein weiteres Wort zu gehen, nicht halten müssen.

Für ein paar Sekunden hielten beide Frauen den tiefen Blick in die Augen der jeweils anderen, doch dann wurden sie brutal unterbrochen.

Ohne jegliche Vorwarnung fing es an, wie aus Kübeln zu gießen.

Glinda sah, wie sich Elphies Augen vor Schmerz weiteten und sie nur ein lautes Stöhnen hervorbrachte.

Rasch packte Glinda Elphabas unverletztes Handgelenk und zog sie unter einen der großen Bäume, welche am Wegesrand standen.

„Mein Rücken…“, wimmerte Elphaba und Glinda sah, wie die Wassertropfen auf dem grünen Rücken herab liefen. Schnell, aber sanft wischte sie diese mit bloßer Hand ab.

Der Regen war jedoch so stark, dass es keine Minute dauerte, als die ersten Regentropfen sich ihre Bahn durch die dichten Blätter des Baumes gesucht hatten und in immer größer werdenden Mengen auf die beiden Frauen hinab fielen.

„Elphie…“, sagte Glinda panisch, „Hier können wir unmöglich bleiben. In ein paar Minuten sind wir völlig durchnässt!“ Ihre Angst steigerte sich ins unermessliche, als ihr der Gedanke kam, dass die Hexe sich gerade in Lebensgefahr befand.

Diese jedoch zuckte nur mit den Schultern und starrte auf den Boden.

„Es gibt einen Preis für alles…“, murmelte sie Gedankenverloren, was Glindas Wut erneut und doppelt so stark entfachte.

Erzürnt packten die sonst so sanften Hände die grünen Schultern etwas grob. Elphaba zuckte vor Schmerz und sah Glinda entsetzt an. Diese versuchte, so gut es ging, Elphabas Schmerzen zu ignorieren und sah ihr tief in die Augen.

Erst dann sagte sie in ruhigem, aber bestimmtem Tonfall: „Elphaba Elea Thropp, jetzt hör mir mal gut zu!“

Diesmal zuckte Elphaba erneut zusammen, jedoch nicht vor Schmerz, sondern weil Glinda sie mit ihrem zweiten Vornamen angesprochen hatte. Das hatte sie noch nie gewagt, weil sie genau wusste, wie sehr Elphaba ihn verabscheute und deswegen auch versuchte, ihn geheim zu halten.

„Es ist mir verflucht noch mal egal, ob du dich gerade aufgegeben hast oder nicht. Aber ich habe es nicht. ICH habe das nie getan, auch nicht vor acht Jahren und auch nicht vor einem Jahr. Ich brauche dich und zwar lebend! Du hast dein Leben für mich riskiert und tust es gerade wieder. Aber das ändert nichts an der ganzen Enttäuschung. Wenn du willst, dass ich dir verzeihen kann, dann flieg uns jetzt verdammt noch mal zu dem Berg dort hinten!“

Die ganze Zeit über hatte Glinda klar und deutlich gesprochen, der Tränen zum Trotz, welche ihr über die rosigen Wangen liefen.

„Die Höhle!“, entwich es Elphaba, die Glinda fassungslos anstarrte.

„Keine Diskussion!“, bestimmte diese, Elphaba nickte und hielt ihren Besen zwischen sich und Glinda.

Die grüne Hexe hatte verstanden, dass sich ihr Gegenüber auch an das Gemälde in Accursias Wartezimmer und an die Mythen über die heilige Aelphaba erinnert hatte, in denen es hieß, die heilige Frau wäre aus einer Höhle hinter dem Wasserfall gestiegen.

Glinda griff nach dem dargebotenen Besenstiel und stieg mit einem Bein auf die andere Seite, sodass sie ganz vorne saß und nur noch Platz für ihre Hände hatte.

Elphaba war unsicher, spürte jedoch, dass Glinda sich bei alledem etwas gedacht haben musste.

Schließlich war Kiamo Ko viel weiter weg, als der Berg.

Als Glinda das Zögern der Hexe bemerkte, sprach sie sehr schnell: „Würden wir nach Kiamo Ko zurückkehren, würden wir MIT dem Wind fliegen. Was bedeutet, dass du, egal ob vorne oder hinten sitzend, nass bis auf die Knochen werden würdest. Fliegen wir aber zur Quelle, dann fliegen wir gegen den Wind und das heißt, dass der, der vorne sitzt, in dem Falle ich, den meisten Regen ab bekomme. Und jetzt los!“

Ohne weitere Zweifel stieg Elphaba hinter Glinda auf den Besen und setzte zum Zauberspruch.

‚Ich habe doch keine Wahl…’, dachte die Hexe resigniert.

„Warte!“, wurde sie von der hellen Stimme unterbrochen. Verwirrt hielt sie inne, als sie sah, wie Glinda sich das Sommerkleid über den Kopf streifte.

„Glinda, was um alles…?!“

„Halt den Mund!“, unterbrach Glinda den Satz und band Elphaba das Kleid um die Schultern, sodass ihr Rücken, sowie ihre Schultern abgedeckt waren.

„Wenn wir jetzt Losfliegen, musst du dich hinter mir am Besenstiel festhalten und deinen Kopf mit dem Gesicht nach unten gegen meinen Rücken lehnen. Versuche bitte, die Beine irgendwie unter deinem Kleid zu halten und mit deinem Oberkörper möglichst deine Arme abzuschirmen. Und jetzt mach schon!“, drängte die halbnackte Frau, die vorne auf dem Besen saß.

Unter normalen Umständen wäre Elphaba mehr als dunkelgrün geworden, doch dazu fehlte ihr jetzt das Blut, welches vor Kälte und Schmerz sich ins Innere des dürren Körpers zurückgezogen hatte.

„Und konzentriere dich!“, fügte Glinda noch hinzu, als hätte sie Elphabas Gedanken geahnt.

Der Kalte Wind wehte beiden Frauen um die Nase und Glinda fror entsetzlich. Doch ihr war das im Moment egal, alles, was für sie zählte, war Elphabas Überleben. Als sie sah, wie die Frau hinter ihr die Augen schloss und dafür den Mund öffnete, drehte Glinda sich um und klammerte sich am Besenstiel fest. Ihr Herz pochte laut, teils vor Aufregung und teils vor Angst.

„Montar! Acel erarse! Acel erarse! Acel erarse!“, murmelte die grüne Hexe endlich. Der Besen schoss in die Höhe und mit Blitzgeschwindigkeit in Richtung des Berges.

Glinda, die nicht daran gewöhnt war, auf einem Besen zu reiten, wäre beinahe heruntergefallen.

Als der Regen sie sofort durchnässte, machte sie sich mit Absicht größer, um den Großteil des Nasses mit ihrem halbnackten Körper abzufangen.

Elphaba hingegen lehnte ihre Stirn, wie es ihr angeordnet worden war, gegen den nackten Rücken, welcher so weich und warm war, dass die Hexe nun doch dunkelgrün anlief.

„ELPHIE?“, hörte sie ein lautes Schreien gegen den Wind.

„WAS?“, brüllte die Hexe zurück.

„BESCHWER DICH NIE WIEDER ÜBER MEINE ÜBERDIMENSIONALE SEIFENBLASE!!!“

Trotz der beginnenden Schmerzen schrie Elphaba lachend zurück: „DU SPINNST!“

Glinda hatte Recht behalten: Der Wind kam aus der entgegengesetzte Richtung und die meisten Regentropfen prasselten gegen ihr Gesicht, ihre Arme, Brüste und gegen ihren Bauch. Auch wenn Elphaba ihre Beine stark an ihren Körper angezogen hatte, war beiden Frauen von Anfang an klar gewesen, dass dieser Flug ein risikoreiches Spiel war, bei dem es viel zu verlieren gab.

Langsam suchte sich der ein oder andere Regentropfen seinen Weg an den schmalen Hüften der blonden Zauberin vorbei und perlten an grünen Unterarmen sowie Waden ab. Erst dann fielen sie in die Tiefe.

Vor lauter Elend wurde es Elphaba schwindelig und sehr langsam begann ihr Kopf von Glindas Rücken abzurutschen.

„ELPHABA, bleib bei mir!“, schrie die blonde Frau, der dies trotz der heiklen Situation nicht entgangen war.

Es dauerte keine halbe Minute mehr, als sie nur noch 300 Meter von dem Wasserfall entfernt waren.

‚Oz sei Dank!’, dachte Glinda erleichtert, ‚Das Gemälde hat nicht gelogen. Hoffentlich stimmt jetzt auch das Märchen!’

Mit hoher Geschwindigkeit rasten die beiden Frauen auf den Wasserfall zu und Glinda wusste, dass Elphaba das nicht überleben würde, wenn sie jetzt in Ohnmacht fiel.

Mit einem Ruck rammte Glinda ihren rechten Ellbogen unter Elphabas Kinn, welche erschrocken die Augen öffnete, jedoch nicht aufsah. „Uhhhf…“, stöhnte sie.

„Elphaba, tu was! JETZT!“, hörte sie Glinda schreien. Ihre Hand suchte die von Elphaba und umschloss sie fest. Bevor Elphie vor Schmerzen in Ohnmacht fiel, murmelte sie in letzter Sekunde: „Sepa Rare Te!“
 

„Wer bist du?“, brach Ramón nun endlich das lange Schweigen. Fiyero und er hatten so lange im Regen gestanden, dass nun beiden Männern das Wasser von Nase und Kinn tropfte.

„Ich bin der einzige, der wichtige Informationen für Euch hat.“, erwiderte Fiyero, denn er hatte nicht die Absicht, irgendetwas von seiner Identität preis zugeben.

„Wichtige Informationen… Soso…“, nickte Ramón. „Was ist denn bitte dein Beweggrund, der dich glaubwürdig macht?“ Er nahm an, dass eine sprechende Vogelscheuche eher ein schlechter Scherz sei, als irgendetwas anderes.

Wirklich viel Zeit hatte er nicht. Er wollte auf schnellstem Wege wieder zu seiner Mutter.

„Die Hexe hat mich zu dem gemacht, was Ihr vor Euch seht. Sie hat mich betrogen und verletzt. Und so hat es Glinda die Gute auch getan!“

„Und was willst du jetzt von m… Ramón?“

„Ich will von ihm die Möglichkeit erhalten, Rache zu nehmen!“ Fiyeros Stimme klang sehr entschlossen.

Viel entschlossener, als er überhaupt war.

Fiyero sah, wie der Blondschopf vor ihm wieder langsam nickte. Er wusste, dass Rache in einer Gemeinschaft immer das beste Mittel war, um zu bekommen, was man wollte.

„Also gut!“, sagte dieser dann endlich. „Du hast Ramón gefunden. Er steht vor dir. Da ich keine Zeit habe, werde ich dir zuerst einmal Glauben schenken müssen, doch ich schwöre dir, Scheuch, solltest du mich täuschen wollen benutze ich dich als Anzünder für meinen Ofen!“

Bei dieser Drohung hatte sich der Zeigefinger des Mannes erhoben, mit welchem er nun vor der Nase der Vogelscheuche rum wedelte.

„Ihr seid…?“, setzte Fiyero an, doch wurde barsch unterbrochen:

„Fragen später! Jetzt folge mir! Kein Wort mehr!“

Die Vogelscheuche folgte dem nun enttarnten Ramón so schnell es ging.

Während er eiligen Schrittes im Regen dahin lief, kreisten seine Gedanken um ‚seine’ Fae und um das, was er gerade tat.

Er fragte sich, ob das, was er vorhatte, es das Richtige war…

‚Das Richtige… Pah!’, dachte er verächtlich, ‚Was ist schon das Richtige? Was hätte ich denn tun sollen? Dort auf Fae warten, wie sie mit Glinda in den Armen heimkehrt, in MEIN Haus? In MEIN Heim. MEINE Liebe mit …. mit …. dieser aufgesetzten, hochnäsigen, immer auf ihren Vorteil bedachten Persönlichkeit? Ich verstehe einfach nicht, was sie an ihr findet! Gli… ‚Sie’ hat ihre Schwester verraten und auch noch Fae selber!

Was um alles in Oz habe ich falsch gemacht, dass Fae immer noch das Bedürfnis hatte, zu wissen, ob es Glinda gut geht? Womit habe ich so was verdient? Nacht für Nacht gepeinigt zu werden, weil meine Geliebte mich nicht ran lässt; egal auf welche Weise. Weder psychisch noch physisch! Was ist das denn für eine Beziehung? Und dann bindet sie mir bei jeder Gelegenheit auf die Nase, dass sie Glinda vermisst und achjaaa… Glinda die EINZIGE war. Die einzige Freundin, die sie je hatte. Oh Oz, kotzt mich das alles an!’

Innerlich steigerte sich etwas in Fiyero und könnte er irgendetwas empfinden, so war er überzeugt, wäre es primitive Wut gewesen.

In einem kurzen Moment voller Zweifel fragte er sich: ‚Aber gleich zum Feind vorrücken und sich auf seine Seite schlagen? Meine ehemalige Liebe verraten? Ist das richtig?’

Doch dann besann er sich genauso schnell wieder: ‚Es gibt hier kein richtig oder falsch mehr. Diese Grenze hat Elphaba damals überschritten, als sie sich nur aus MITLEID und schlechtem Gewissen für mich entschieden hat!’

Plötzlich war es Fiyero sonnenklar, warum er seine Fae auf einmal so verabscheute: Durch die Offenbarung über ihre komische Art von Zuneigung zu Glinda war Fiyero klar geworden, dass er damals nur der einzige Ausweg gewesen war. Seine Fae hatte keine andere WAHL gehabt und aus ihrem schlechten Gewissen heraus, dass der einst so umwerfend schöne Mann nun aussah wie ein Vorgartenschützer, hatte sie sich mit ihm zusammengetan. Damals fühlte sie sich von Glinda betrogen – zumindest auf eine merkwürdige Art und Weise. Aber auf der anderen Seite fühlte sie sich auch wie eine Betrügerin, weil sie ihm – ihrem ‚Yero’ – so etwas angetan hatte und ihm Glück und Liebe vorgespielt hatte.

Fiyero wusste, dass nicht alles Schauspiel gewesen war, aber es enttäuschte ihn genug, dass er nie das gewesen war, was Elphaba wollte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich damit abgefunden, nie das zu bekommen, was sie will.

Und dieses Wissen schmerzte Fiyero so sehr, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Denn seine Fae hatte damals, wie auch immer zuvor, nicht für das gekämpft, was sie wollte. Sie hatte, wie immer, das akzeptiert, was man ihr anbot.

‚Was erwartete ich denn auch?’, dachte Fiyero höhnisch, ‚Einmal in ihrem Leben hat sie ihre eigene Ansicht so vehement vertreten und alle anderen versucht, zu überzeugen. Doch was sie erntete, war Missmut und Feindschaft, genau wie in ihrer Kindheit. Und da wundert es mich, dass sie glaubt, sie würde nichts Besseres verdienen, als mich? Mich, den sie selber auf dem Gewissen hat? Das war wohl eine Art persönlicher Strafe!’

Diese Gedanken und Feststellungen machten Fiyero nur noch rasender und er beschloss, mit dem Denken aufzuhören und einfach die Fakten zu akzeptieren, dass Elphaba ihn nur aus schlechtem Gewissen ‚geliebt’ hatte.

Fiyero fühlte sich in dieser Situation als einziges Opfer: Seine Ex-Verlobte hatte ihn zu dieser Verlobung eher überredet oder genötigt. Sie hatte ihn als gesellschaftlichen Vorzeige-Ehemann benutzt, denn wer hätte besser neben ‚Glinda der Guten’ ausgesehen, als ‚Fiyero der umwerfend Schöne’? So kann Politik auch funktionieren!

Auf der anderen Seite stand seine Fae, die ihn immer so akzeptiert hatte, wie er war. Er, Fiyero, hatte sie damals vor dem Zauberer und Akaber gerettet und als ‚Dank’ dafür hatte sie zugelassen, dass sich etwas zwischen ihm und ihr veränderte. Fiyero ärgerte sich noch mehr darüber, als ihm klar wurde, dass Elphaba damals ihre Gefühle als ‚Liebe’ gedeutet hatte, wobei er nun wusste, dass es nicht so gewesen ist.

Die Vogelscheuche hatte Glinda nie für wirklich hell im Kopf gehalten, doch dass sie gleich ihre ehemalige ‚beste Freundin’ derart verraten würde, hatte selbst er nicht für möglich gehalten und ihr auch keineswegs zugetraut. Und ab diesem Zeitpunkt war alles nur noch schlimmer geworden…

Denn seine Fae war in die hinterhältige Falle getappt, bei welcher Nessa ums Leben kam und abermals hatte er ganz alleine seine Fae vor dem Tod gerettet. Zu wem hätte sie auch sonst gehen sollen, wenn nicht zu ihm? Denn nachdem Elphaba erfahren hatte, dass es Glinda war, die sie verraten hatte, wurde sie wieder in dieses hoffnungslose Loch geschubst, aus welchem Fiyero alleine sie hatte befreien können. Doch dann hatten sie sich gemeinsam entschlossen, dass es besser für alle Beteiligten wäre, wenn Elphaba offiziell tot wäre.

Und so rettete Fiyero seiner Fae ein drittes Mal das Leben.

‚Und da wundere ich mich über den Geistesblitz, dass sie mich nie geliebt hat? Jeder Mensch braucht einen anderen. Niemand kann für immer und ewig alleine leben. Vor allem nicht dann, wenn man schon in der Welt Vertrauen, Liebe oder Freundschaft erfahren hat. Sie wusste zwar, wie gut sich eine solche Emotion anfühlt, aber genauso gut wusste sie auch, dass sie nicht mehr rückgängig machen konnte. Schlimmer noch: Sie konnte nichts mehr von der Welt erwarten. Sie fühlte sich unwürdig, noch Erwartungen zu stellen, nachdem was sie Glinda, ihrer Schwester und auch mir angetan hatte. Ja, so dankt meine Fae wohl….’

Plötzlich musste Fiyero höhnisch auflachen: ’Und ich wundere mich auch noch über ihr komisches Verhalten… Dabei war ich all die Zeit nur … nur ein Mittel zum Zweck! Ihr Gerede und ihre Handlungen waren nur Schall und Rauch... Ich war das Ergebnis ihrer Taten und mit meinem Anblick konnte sie sich jeden Tag erneut ins Gedächtnis rufen, dass sie an allem Schuld war und nichts besseres verdiente! Sie musste bei mir bleiben, damit ihr schlechtes Gewissen nicht vergaß, WAS sie angerichtet hatte und dass sie nie wieder so etwas tun wollte…

Es ist die richtige Entscheidung! Ich werde ihr zeigen, woran das schlechte Gewissen die Menschen hindert! Gut, dass ich keines mehr habe!’

‚Was für ein komischer Kauz!’, dachte Ramón, als er hörte, wie der Scheuch hinter ihm kicherte. Er hatte sich damals nicht mehr die Mühe gemacht, viel über die böse Hexe des Westens zu recherchieren. ‚Warum auch?’, fragte er sich, ‚Tote soll man bekanntlich nicht wecken. Und sie soll leben? Das würde einiges erklären… Das plötzliche Auftauchen der Person in Glindas Zimmer und das noch schnellere Verschwinden. Und alles ohne dass jemand genau gesehen hatte, wer oder was es war, was Glinda gerettet hatte. So etwas kann kein normaler Mensch geschafft haben. Wenn Mutter doch nur wieder aus dem Koma erwachen würde… Sollte diese Hexe noch leben, werde ich eigenhändig den Scheiterhaufen anzünden, auf dem sie bald lodernd brennen wird! Und für Glinda…’, dachte er verächtlich, ‚… oh ja, für Glinda werde ich mir auch noch etwas einfallen lassen… Nicht nur meine Schwester hat sie gedemütigt, nein… Auch meine Mutter und das ist noch viel schlimmer! Niemand vergeht sich ungestraft an der Ehre meiner Familie. Niemand! Auch keine Hochborn!’

Auch wenn Ramón noch immer an der Glaubwürdigkeit des komischen Kauzes zweifelte, welcher ihm nun wortlos hinterher trottete, war der gut aussehende Mann bereit, jeder noch so kleinen Spur zu folgen.

‚Ich lasse mich doch nicht an der Nase herumführen! Es lief alles perfekt, alles wie geplant und jetzt? Jetzt hat sie auch noch die kostbare Kette meiner Mutter! Dieses Miststück wird schon sehen, was es davon hat. Das wird kein Tod mit Rosenduft! Sie wird die Asche ihrer Freundin einatmen, wenn sie stirbt!’ Noch bevor Ramón es bemerkte, hatte er schon das ideale Todesszenario kreiert, bei welchem halb Oz zusehen sollte.

Den Rest des langen Weges von der Stadtmauer zum Palast schwiegen beide Männer – auch gedanklich.
 

Glinda hatte die schwachen Worte gerade noch hören können, bevor sie ihren Blick wieder nach vorne richtete und mit der rechten Hand krampfhaft versuchte, die ohnmächtig werdende Hexe zu stützen.

Nachdem die letzte Silbe des Zauberspruches verklungen war, sah Glinda mit erstaunter Miene, dass sich der Wasserfall unverzüglich in der Mitte teilte und zur Seite wich.

Sie waren ungefähr noch 50 Meter von dem Geplätscher entfernt und die eisblauen Augen erspähten durch den Dunst des Regens eine dunkle Höhle, welche nun zum Vorschein gekommen war! Rasend schnell flog der Besen auf die Höhle zu.

Nur noch wenige Sekunden blieben und Glinda bekam es mit der Angst zu tun. Noch nie hatte sie einen Besen gelandet; sie wusste ja nicht einmal, wie sie so ein Ding fliegen sollte. Und dann landen? 'Unmöglich!', dachte Glinda und fühlte sich überfordert.

Elphaba stöhnte hinter ihr auf. Der grüne Körper kämpfte mit der drohenden Ohnmacht: 'Elphaba!', ermahnte sie sich in Gedanken selber: 'Nur noch ein paar Sekunden. Bleib wach, konzentriere dich. Stell dir was vor... Der Wasserfall! DER WASSER...'

Ihr Körper gab auf. Sie fühlte noch das beginnende Taubheitsgefühl in ihren Beinen. Plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen, obwohl sie diese ohnehin geschlossen hatte.

Glinda spürte, wie Elphaba zur Seite kippte und das Gleichgewicht verlor.

Der Besen befand sich mit den beiden Frauen nun unmittelbar über dem See.

Grell blitzte der Himmel auf, von lautem Donnergrollen gefolgt, welches den Schrei der blonden Frau verschluckte: "ELPHABAAAAA!"

Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, dass sie auf einem hauchdünnen Besenstiel saß und schneller flog als der Wind, drehte sich Glinda ruckartig um. Ihre Hände lösten sich vom Stiel des Flugobjektes und griffen anstelle dessen nach den zarten, grünen Schultern, welche drohten, den Rest des hageren Körpers mit in die Tiefe zu ziehen. Mit festem Griff packte Glinda zu und drückte Elphaba mit ganzer Kraft in die entgegengesetzte Richtung der Schwerkraft.

Ohne jegliche Vorwarnung verlor der Besen seine Magie. Glinda, welche Elphaba unmöglich länger in dieser Position halten konnte, verlor auch das Gleichgewicht und sie fiel, Elphie in ihren Armen haltend, in die Tiefe.

"Uh!", entwich es Glinda, als sie auf harten Grund prallte. Vor Schmerz schrie sie kurz auf und öffnete dann die Augen. Diese mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, doch von irgendwoher kamen in unregelmäßigen Abständen helle Lichter.

Sie waren nicht sehr tief gefallen, doch der blonde Lockenkopf schmerzte und hämmerte. Stöhnend richtete sie sich auf, wobei sie Elphabas Kopf auf ihrem Brustkorb spürte.

Wieder wurde das Dunkel kurz erhellt.

Ihr Schwindel ebbte langsam ab, das Dröhnen in ihren Ohren wurde leiser und ein sachtes Plätschern kam aus der Ecke hinter ihr.

Schnell drehte sie ihren Oberkörper in die Richtung des Geräuschs, als es für einen kurzen Moment wieder hell wurde.

In diesem Moment erkannte Glinda den Blitz durch das herabfallende Wasser und sie wusste, wo sie war.

"Elphaba!", sagte sie atemlos. "Elphaba, wir haben es geschafft!"

Zitternd suchten die schmalen Hände in der Dunkelheit den grünen Körper. Sanft strich Glinda der Frau über die Haare, welche nun auf ihrem Schoss gebettet war. Zu Glindas Erleichterung war das rabenschwarze Haar beinahe trocken.

"Elphaba!", nun weinte sie hemmungslos. "Elphaba! Wir haben es geschafft! Elphie...!"

Glinda konnte zwar nichts sehen, aber dennoch spürte sie, wie der grüne Körper regungslos in ihren Armen lag.

„Elphaba! … Elphaba?“

Der dünne Körper der blonden Frau zitterte ohnehin schon, dennoch schüttelte sie die letzten Regentropfen von ihren zartgliedrigen Händen ab und tastete sich dann zum grünen Kinn vor.

‚Nachts sind alle Hexen grau…’, dachte sie verbittert, als sie sich zu Elphabas Gesicht vorbeugte.

Als die Hexe sich nach ein paar sanften Schlägen auf die Wangen nicht rührte, wurde ‚Glinda die Gute’ zu ‚Glinda die äußerst Besorgte’.

Panisch lehnte sie sich weiter vor und hielt ihre unverletzte Wange an die grüne, spitze Nase in hoffnungsvoller Erwartung, dass ein Atemzug die helle Haut streifte.

„Oh OZ!“, stöhnte Glinda zittrig auf, „Sie atmet nicht! SIE ATMET NICHT! ELPHABA!“
 

„Meredith… Meredith… Mer!“

Undeutlich drang die dumpfe Stimme an ihr Ohr: „Meredith? Wo bist du?“

Die rothaarige Frau stöhnte auf. In ihrem Kopf hämmerte es und ihre Glieder schmerzten.

„Mer, bist du da?“

Langsam tauchte ihr Bewusstsein aus den Nebelschwaden auf: „Resi?“, krächzte sie mit heiserer Stimme.

„JA! Ja… ich bin hier! Meredith? Oh Meredith… Geht es dir gut?“

Als sie die Augen endlich öffnete, sah sie nichts als Schwärze.

„Resi? Wo bist du?“

„Ich bin hier drüben! Ich sehe dich zwar, aber sehr undeutlich. Wie geht es dir?“

Als Meredith versuchte, ihre Arme zu bewegen, stöhnte sie erneut vor Schmerzen auf: „Resi, ich glaube, ich bin gefesselt!“

Ihr Bewusstseinsnebel lichtete sich sehr langsam. Sie spürte, dass sie auf kaltem Steinboden saß und ihre Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren.

Erneut versuchte sie, die Hände zu bewegen und erst da verstand sie, dass sie an die Mauer hinter ihr gefesselt war.

„Das sind wir alle! Sie haben uns mit kräftigen Seilen an den Eisenringen der Wände festgebunden!“ Resedas Stimme kam eindeutig von der anderen Stelle dieses Raumes, wobei Meredith sich nicht einmal sicher war, ob es überhaupt ein ‚Raum’ war.

„Was? Wieso? Und WER überhaupt?“

„Das wissen wir nicht! Wir wissen nicht, WER es war, aber wir glauben, man hat uns gef…“

„Moment mal!“, unterbrach Meredith ihre Frau.

„Wer ist WIR?“. Endlich hatte sie ihr volles Bewusstsein zurückerlangt und schaute nun angestrengt in die Richtung, aus welcher die Stimme ihrer Geliebten kommen musste.

„Elanora und ich!“, antwortete Resedas Stimme.

„Guten Tag… oder Abend…“ Diese Stimme kam auch aus der gleichen Richtung, aus welcher Resi sprach.

„Wer sind Sie?“, fragte Meredith verwirrt, denn sie konnte die Stimme nicht identifizieren.

„Mein Name ist Elanora von Hochborn. Ich bin…“

„GLINDAS MUTTER!“, platzte es aus der ungläubigen Meredith heraus, „Wie kann das sein? Was um alles in Oz machen SIE denn hier?“

„Wenn ich das wüsste, meine Liebe, wäre mir um einiges wohler!“, antwortete die Stimme seufzend.

„Moment mal! Kann mir mal jemand von euch beiden sagen, was hier los ist?“, fragte Meredith genervt in die Dunkelheit hinein.

Es war Resedas Stimme, welche antwortete: „Genau genommen sind wir insgesamt fünf!“

„Was? Oh Oz, Resi. Bitte lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Ich stehe... sitze hier viel mehr im Dunkeln und habe keine Ahnung, wovon du redest!“, wimmerte Meredith vor sich hin.

„Meine Liebe…“, setzte Reseda in beruhigendem Ton an, „… wir wissen auch nicht viel mehr als du. Aber lass mich bitte ausreden und ich erzähle dir alles, was ich weiß, ja?“

„Ist gut.“, brummte Mer.

„In diesem Verlies befinden sich fünf Personen: Du, ich, Elanora – Glindas Mutter, Gideon – Glindas Vater und Elaine. Elanora und Gideon waren schon ein paar Stunden vor uns hier. Sie wollten eigentlich als Überraschung für Glinda auf dem Ball auftauchen, aber der Kutschenfahrer hatte wohl gewollt, dass sie nie dort ankommen. Während Elanora nur betäubt…“, plötzlich hielt Reseda inne. „Elanor, willst du das nicht lieber erzählen?“, fragte sie offensichtlich an Glindas Mutter gewandt.

„Ihr seid schon Per-Du?“, wunderte sich Meredith schon die ganze Zeit und nutzte die Pause um dazwischen zu fragen.

„In Anbetracht der misslichen Lage haben wir uns gedacht, dass wir uns mal die Förmlichkeiten ersparen.“, antwortete Elanora.

„Soso…“, murmelte Meredith.

Dann sagte Elanora wieder an Resi gewandt: „Ja, ich denke, ich werde den ersten Teil erzählen. Du kannst ja später weiter reden.“

„Ist gut!“, sagte Resi.

„Also, wo waren wir? Ach ja, als wir aus dem Zug ausstiegen stand schon eine Kutsche für uns bereit, was uns sehr verwunderte. Weder Gid noch ich hatten den Kutscher bestellt, doch er versicherte uns, dass ‚Mutter Meredith’ – in dem Falle ja Sie…“

„Du ist schon in Ordnung!“, lächelte Meredith in die Dunkelheit hinein.

„Dito. Nun, in dem Falle ja du, geahnt hättest, dass wir als Überraschung kommen und er uns direkt zum Ball fahren würde, mit kurzem Zwischenstopp im Palast, damit wir uns umziehen und das Gepäck dort lassen können. ‚Wundervoll’ haben wir uns dann gedacht und sind ohne groß Nachzufragen eingestiegen. Die Fenster waren etwas abgedunkelt, zudem kommt noch, dass es auch draußen nicht besser aussah und da wir uns in der Smaragdstadt eh nicht wirklich gut auskannten, dachten wir uns auch nicht weiter dabei, als das Menschengewimmel immer weniger wurde, bis wir irgendwann anhielten und mitten in einem Park aussteigen mussten.

Mein Mann wurde sofort niedergeschlagen und das war das letzte, was ich sah, denn dann roch es plötzlich nach Gillikinrose und mir wurde schwarz vor Augen.

Es war wohl eines der ärmsten Viertel in der Stadt.“

Als Elanora kurz aufatmete, nutzte Meredith die Pause: „Was veranlasst Sie… dich… Was veranlasst dich zu einer solchen Annahme?“

„Nun, der Park war nicht besonders groß und auch wirklich ungepflegt. In der Mitte stand eine mit Efeu bewachsene Statue, aber in der Dunkelheit konnte ich kaum mehr erkennen. Ein paar junge Leute, maßlos betrunken, grölten einige wirklich unverschämte Dinge in unsere Richtung. Außerdem war die Beleuchtung grottig und es roch nach… Nun, sagen wir, es roch schlechter als schlecht. Das ist aber alles, was ich weiß. Das nächste, an was ich mich erinnern kann, ist dieser Keller oder was es auch immer ist. Ich wurde wach und war gefesselt. Natürlich bekam ich es mit der Angst zu tun, denn ich hatte ja nicht den leisesten Schimmer, was passiert sein könnte. Als ich nach Gideon rief und ich keine Antwort erhielt, wuchs meine Angst.

Ich saß hier bestimmt eine Stunde lang und nichts passierte! Beinahe wäre ich verrückt geworden vor Angst um ihn, aber auch um Glinda. Irgendetwas sagte mir, dass es nur um sie gehen konnte. Weshalb sollte irgendjemand sonst ihre Eltern isolieren und somit ausschalten? Natürlich dachte ich anfangs, dass du die Drahtzieherin der ganzen Sache bist.“

Dieser Kommentar war eindeutig an Meredith gerichtet, welche erschrocken schluckte: „Was? Wieso denn ich?“

„Nun, der Kutscher hatte uns ja gesagt, dass DU ihn geschickt hättest und somit war das natürlich meine erste Annahme. Aber als ich dann hier unten saß, ging plötzlich die Türe auf. Licht fiel in den Raum und ich sah Gideon dort drüben, gleich neben dir, in der Ecke liegen. Er blutet am Kopf, aber nicht besonders schlimm, zum Glück. Trotzdem ist er bis jetzt nicht aufgewacht.“

„Wer hat die Türe aufgemacht?“, fragte Meredith ungehalten.

„Eines nach dem anderen, bitte!“, mahnte Glindas Mutter. „Zwei große Männer traten in den Raum. Ich habe mich schlafend gestellt, um das Szenario unauffällig beobachten zu können.

Was ich jedoch sah, machte mir noch mehr Angst: Jeder der Männer hatte eine Frau in den Armen. Eine banden sie neben mir fest und durch den Lichtspalt erkannte ich deine roten Haare. Da war mir klar, dass auch du nichts mit der Sache zu tun haben konntest. Dich haben sie Reseda und mir genau gegenüber festgebunden. Möchtest du jetzt nicht lieber weiter erzählen, Resi?“

‚Resi?, dachte Meredith überrascht, ‚Das klingt ja so, als würden sie sich schon Jahre kennen!’

„Ja, das ist wohl besser so!“, antwortete die Stimme, die Meredith so unglaublich vertraut war.

Reseda fühlte, wie die Frau neben ihr zitterte und sprach dann weiter: „Elanora und ich sitzen Schulter an Schulter und sie hat so lange hin und her gependelt und meinen Namen geflüstert, bis ich aufgewacht bin…“

„Stopp!“, unterbrach Meredith nun barsch. Ihr Kopf begann von neuem zu hämmern. Dieses ganze Nachdenken und die hohe Konzentration waren zu viel für sie: „Woher kannte sie deinen Namen?“

„Ich kenne ihren Vater. Er war vor 30 Jahren Botschafter zwischen der Smaragdstadt und Gillikin. Damals war Resi gerade mal acht Jahre alt.“, erklärte Elanor mit leicht zittriger Stimme.

„Ach so ist das also!“ Nun leuchtete Meredith einiges ein. „Entschuldigung, rede bitte weiter…“, murmelte sie peinlich berührt.

„Als ich endlich wach wurde, hämmerte mein Kopf und mir war noch ganz schlecht. Erst war ich ganz benommen, doch bevor ich vor Angst aufschreien konnte, hat Elanor mich beruhigt und mir alles erzählt. Auf meine ersten Zurufe hast du überhaupt nicht reagiert und dann plötzlich hörten wir Geräusche an der Tür. Es hörte sich an, als würden zig Schlösser geöffnet, erst dann wurde die Türe aufgestoßen. Wir taten beide so, als wären wir noch ohnmächtig und sahen dann, wie ein Mann Elaine rein brachte und sie rechts von uns, also links von dir, an die andere Wand festband… Meredith…“, Reseda stockte.

Die rothaarige wusste, dass das kein gutes Zeichen war und fragte erschrocken: „Was? Was ist?“

„Ich habe den Mann erkannt, als er sich umgedreht hat… Es war Londaro.“

„WAS?“, fragte Meredith entsetzt.

„Ohne Zweifel, er war es. Er hatte noch immer den Anzug vom Ball an und außerdem hat er sich umdrehen müssen, um wieder heraus zu kommen. Sein Profil befand sich genau in dem Lichtspalt, der durch die Türe fiel. Bevor er ging hat er… hat er…“

„Hat er was?“ Meredith hielt die Spannung kaum aus, unter welcher sie gerade stand.

„Er hat gesagt: ‚Und wir zwei, meine Hübsche, sprechen uns gleich auch noch! Jetzt ist was dazwischen gekommen!’ Und dabei hat er auf dich gezeigt!“ Es war eindeutig Elanoras Stimme, welche gerade geantwortet hatte. Meredith hörte, wie ihre Frau leise schluchzte.

„Was hat er denn mit Elaine angestellt?“, fragte sie bestürzt.

„Das wissen wir nicht!“ Nun war es deutlich zu hören, dass Resi weinte.

Meredith biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte sich losmachen, um ihre Frau zu halten. Tränen stiegen in ihren Augen auf: „Ich… Resi, alles wird gut...“, sagte sie beschwichtigend.

„Elaine…“, schluchzte Reseda, „Elaine ist auch noch nicht wach. Wir drei sind die einzigen, die wieder bei Bewusstsein sind.“

„Und was glaubt ihr, warum die das mit uns machen?“ Meredith war verwirrter als je zuvor.

„Wir vermuten…“, erklang die Stimme von Glindas Mutter, „… dass wir es hier mit einem Regierungssturz zu tun haben. Alle Personen, welche meiner Tochter nahe standen, sind evakuiert worden. Das hier ist wohl der Freundes- und Familientrakt. Ich will gar nicht wissen, wo sie die anderen Politiker oder Botschafter hin gesteckt haben, die viel von Glindas Regierungsart hielten.“

„Aber ich gehöre doch auch in diese Kategorie. Was mache ich dann hier?“ ‚Mutter Meredith’ verstand die Welt nicht mehr.

„Was weiß ich!“, antwortete Elanor gereizt, „Vielleicht haben diese Leute einen ganz abartigen Plan, der dahinter steckt. Irgendetwas müssen sie sich ja bei der Kombination gedacht haben!“

„Oh Oz, ich habe Kopfschmerzen!“, stöhnte Meredith auf.

„Dito.“

„Ich auch.“ Reseda hatte sich offenbar wieder beruhigt. „Aber was glaubst du, hat Londaro mit der ganzen Sache zu tun? Ich meine, er kann das ja alles unmöglich alleine auf die Beine gestellt haben…“

„Pah! Londaro und so was? Nie im Leben! Es hat Wochen gedauert, bis er das Postsystem verstanden hat! Ganz zu schweigen von… Ach, ist ja auch egal. Fakt ist: Er kann es nicht alleine gewesen sein!“

„Und was glaubst du, wer mit unter der Decke steckt?“ Das war eine rhetorische Frage von Reseda und Meredith ahnte, an wen sie dachte.

„Na was glaubst du denn?“, knurrte Meredith: „Ramón natürlich!“

„Glindas Ramón?“ Elanora klang geschockt.

„Was? Du kennst ihr?“ Nun war es an Reseda, verwirrt zu sein.

„Ja. … Was heißt ‚ja’. Persönlich kenne ich ihn nicht, aber Glinda hat uns natürlich von ihm erzählt. Sie schrieb von ihm in einem Brief, in welchem sie uns auch von dem Ball erzählte und ankündigte, dass sie mit dem nächsten Brief auch die Einladungen schicken wollte. Doch das hat sie wohl vergessen.“

„Sie hat es nicht vergessen!“, warf Meredith ein. „Glinda hat mich extra nach zwei Kar… LONDARO!“, rief sie nun entgeistert aus: „Das darf doch nicht wahr sein!“

„Was?“, fragten die anderen beiden Frauen gleichzeitig.

„Glinda hat ihm den Brief mit den Einladungen gegeben. Ich war doch selber mit dabei! Er hat sie bestimmt nie abgeschickt!“

„Aber das macht doch keinen Sinn!“, sagte Elanora empört.

„Wieso das denn nicht?“, wollte Meredith wissen.

„Na sieh doch mal genau hin: Wenn wir nie eine Einladung erhalten haben und das mit Absicht, dann mussten diese Drahtzieher doch davon ausgehen, dass wir auch nicht auftauchen werden. Was wiederum bedeutet, dass sie uns nur fernhalten und nicht festhalten wollten. Aber wir sind angereist, ohne irgendjemandem ein Sterbenswörtchen davon zu sagen und was passiert? Diese Leute wussten Bescheid!“

„Fragt sich nur von wem…“, warf Reseda nachdenklich ein.

„Mir ist das schon immer komisch vorgekommen…“ Meredith dachte noch immer über Londaro nach: „Sein energisches Auftreten, dieser Kampfgeist um den Posten als Sekretär. Das war schon alles irgendwie nicht mehr normal. Er wollte diesen Posten unbedingt haben und damals fragte ich ihn, warum er sich erst ein halbes Jahr später bei mir beworben hatte und nicht wie jeder normale Ozianer zu Beginn meiner Amtszeit. ‚Dann wäre es ja keine Herausforderung mehr gewesen!’, hatte er mir damals geantwortet und schließlich habe ich dann Kwen für ihn gefeuert. Ich hatte nie ein wirklich gutes Gef…“

„Kwen…“ Es klang wie ein fassungsloser Hauch und erst war sich Meredith nicht sicher, woher er gekommen war.

„Kwen Ohnzu?“ Es war Elanoras Hauchen gewesen.

„Ja… Wieso? Kennst du ihn etwa auch?“

„Er arbeitet seit einem halben Jahr bei uns als Kutscher.“

„WAS?“, rief Meredith nun erschüttert aus.

„Na wunderbar!“, seufzte Reseda, „Da haben wir unseren Informanten: Kwen sollte ein Auge auf euch haben und als ihr euch entschlossen habt, doch auf den Ball zu gehen, hat er Londaro Bescheid gegeben.“

„Das kann nicht wahr sein…“ Meredith schüttelte ungläubig den Kopf, ließ es aber gleich wieder bleiben, denn sie wurde schmerzhaft an ihr Kopfweh erinnert.

„Oh Oz im Ballon!“, stöhnte Elanora auf, „Wie lange müssen diese Personen das denn dann vorher geplant haben?“

In diesem darauf folgendem und resigniertem Schweigen wurde allen drei Frauen erst das große Ausmaß des ganzen Plans bewusst und ihnen war auch klar, dass sie gerade erstmal die Spitze des Eisberges freigelegt hatten.

„Hallo?“, eine schwache Stimme unterbrach das Schweigen. „Hallo?“ Es war eindeutig eine Männerstimme.

Reseda nahm an, es wäre die von Gideon und wartete auf eine Reaktion von Elanora.

Meredith wurde es übel, als sie merkte, dass es nicht der neben ihr liegende Gideon gewesen war, denn der schlief noch immer.

„Elanora?“, fragte Meredith ganz ruhig.

„Ja?“, kam die deutliche Antwort zurück.

„Ich dachte es sind nur fünf Personen in diesem Raum?“

„Mit mir oder ohne mich?“, fragte die unbekannte Männerstimme in den Raum hinein.

Die Stimme war zu weit weg, um den dazugehörigen Körper direkt neben Gideon oder Reseda zu vermuten. Also ging Meredith davon aus, dass dieser Mann am anderen Ende des Raumes, gegenüber von Elaine platziert worden war.

‚Ist er denn überhaupt platziert worden? Wie ist er dort hingekommen?’, fragte sich die Rothaarige in Gedanken.

Es war Reseda, welche diese angespannte Stille durchbrach und zwar mit einer viel kräftigeren Stimme, als sie sich selber im Moment fühlte: „Wer um alles in Oz SIND Sie?“
 

„Oh Oz! Elphaba!“ Glinda zitterte am ganzen Körper. Sie fühlte sich, als würde sie entweder gleich in Ohnmacht fallen oder sich übergeben müssen vor lauter Angst,

Ihre Haare waren noch vollkommen durchnässt und die Wassertropfen rannen auf dem schmalen Rücken hinunter.

Elphabas Kopf war noch immer auf ihrem Schoss gebettet. Vorsichtig schob sie ihre linke Hand unter den grünen Rücken und hob den leblosen Körper etwas an. Mit ihrer rechten Hand griff sie über den Brustkorb, hin zur linken Schulter und umklammerte die Hexe mit diesem Griff.

„Bitte Elphie, bitte…“, wimmerte sie.

Glinda konnte das alles nicht glauben. Das durfte einfach nicht passieren. Eine Welle von panischer Angst, Hilflosigkeit und Trauer überkam sie. Schluchzend legte sie ihre Stirn gegen Elphabas Kinn.

„Wach auf… Elphaba Thropp! Es ist dir verboten, mich jetzt zu verlassen! So nicht! So leicht kommst du mir nicht davon!“, sprach sie zitternd in die Höhle hinein.

Die blauen Augen hatte die Zauberin geschlossen, doch plötzlich sah sie durch die Lieder etwas hell aufleuchten. Erst nahm sie an, es sei wieder ein Blitz gewesen, doch dieses Leuchten war konstant. Als sie verwirrt die Augen öffnete und sich erhob, erlosch das blaue Leuchten sofort.

„Was…?“ Dieses Leuchten war eindeutig von Elphabas Hals oder Brustkorb hergekommen.

‚Oder von meinem?’, fragte sich Glinda verwirrt. Abermals lehnte sie sich so weit nach vorne und hoffte auf eine Wiederholung.

Sie wurde nicht enttäuscht: Sobald sie sich wieder in der alten Position befand, schimmerte ein schwaches Leuchten zwischen den Körpern der beiden Frauen.

Mit einer Kopfsenkung versuchte Glinda, irgendetwas zu erspähen.

„Oz im Ballon!“, hauchte sie fassungslos. Ruckartig erhob sie sich und das Leuchten erlosch.

Dann tasteten ihre feingliedrigen Finger nach dem Verschluss ihrer Kette, die sie beinahe schon vergessen hatte.

Als die blonde Frau endlich die Kette von ihrem Hals löste und um Elphabas Nacken band, war das blaue Leuchten stärker als je zuvor.

„Elphaba?“, fragte Glinda hoffnungsvoll, doch der Brustkorb bewegte sich keinen Millimeter. Erneut von Panik überwältigt, klammerte sich Glinda schluchzend an Elphaba. Als sie fühlte, wie die Tränen an ihren rosigen Wangen abperlten, richtete sie sich aus Angst, Elphaba noch mehr zu verletzen, schnell wieder auf.

Bei dieser ruckartigen Bewegung jedoch fiel eine Träne genau auf das Amulett herunter. Ohne Vorwarnung funkelte es noch stärker auf und an den Wänden der Höhle verfolgte Glinda erstaunt ein Schauspiel aus blauen Farbtönen.

‚Was geht hier vor?’, fragte sie sich verwirrt und wischte sich die Tränen von der Wange.

Noch immer hielt sie Elphaba in den Armen, als das Leuchten abrupt abbrach.

Bevor Glinda etwas sagen oder denken konnte, erschien plötzlich hinter ihr ein ähnliches Leuchten. Sie wandte ihren Kopf, um zu sehen, was los war und erkannte eine Art Altar auf welchem etwas blau Erleuchtetes stand.

Vorsichtig schob sie Elphaba von ihrem Schoss und lehnte sie gegen die Steinwand. Dann eilte sie zu dieser Art Opfertisch, welcher nicht einmal zehn Meter weit von ihr entfernt stand. Glinda erkannte, dass die Höhle eine Art Halle war, wobei Elphie und sie nur den Gang gesehen hatten. Der Altar stand im Mittelpunkt des hohen Gewölbes und das blaue Licht wurde mit jedem ihrer Schritte stärker. Fasziniert beobachtete Glinda dieses Szenario. Es sah aus, als wäre sie unter Wasser, wobei die Sonnenstrahlen von der Wasseroberfläche gebrochen würden.

Doch leider konnte die blonde Frau dieses Schauspiel der Lichter nicht länger genießen, denn ihre Freundin würde sterben, wenn nicht bald etwas passierte.

Nun stand sie genau vor dem Altar: „Das darf doch nicht wahr sein?!“, entwich es Glinda, als sie nach dem gleichen Fläschchen griff, welches Elphaba damals in Shiz unter ihrem Kopfkissen versteckt hatte.

Nur war dieses Fläschchen blau und nicht grün.

In dem Moment, als Glindas rechte Hand die blaue Flasche umschloss, funkelte das Amulett auf Elphabas Brustkorb immens auf und Glinda traute ihren Augen nicht: Die beiden Dinge schienen sich gegenseitig anzuziehen, denn ein eindeutiger Lichtstrahl aus Azurblau war zwischen den beiden Objekten zu sehen.

Schnell rannte Glinda wieder zurück und kniete sich neben ihre Elphie. Das Fläschchen stellte sie neben sich, um sich wieder hinter die kraftlose Hexe setzen und sie halten zu können. Als Elphabas Rücken nun gegen Glindas Oberkörper gelehnt war und ihr Kopf auf Glindas linker Schulter ruhte, griff diese wieder zum Fläschchen und drehte den Deckel ab.

„Was muss ich denn jetzt tun?“, fragte sie panisch. Elphaba war gegen Wasser allergisch und sie hätte schwören können, dass in diesem blauen Fläschchen nichts anderes als Wasser war. Als sie die kleine Nase über die Öffnung hielt, stellte sie auch fest, dass das Elixier geruchsneutral war. Glinda wollte zur Sicherheit erst selber an dem Gebräu probieren, doch da erlosch das Amulett beinahe komplett. Ruckartig ließ sie die Flasche wieder sinken und das Leuchten wurde stärker.

‚Ein magischer Wegweiser?’, wunderte sich Glinda und fuhr mit dem Fläschchen über Elphabas Arme. Erneut erlosch das Amulett.

„Oz im Ballon!“, stöhnte Glinda und suchte weiter nach der Lösung.

Erschrocken hielt sie oberhalb von Elphabas Mund inne in ihrer Bewegung, als die Träne der heiligen Aelphaba grell aufglitzerte.

„Sie soll es TRINKEN?“ Glinda war entsetzt, aber sie hatte keine Wahl. Wenn sie jetzt nichts tat, würde Elphaba sterben.

Mit ihrer linken Hand griff sie um Elphabas Kopf herum und legte den Daumen auf Elphabas linke und die anderen vier Finger auf Elphabas rechte Wange. Dann drückte sie unter leichten Bewegungen immer fester zu, was dazu führte, dass Elphabas Mund sich öffnete. Vorsichtig setzte sie das Fläschchen an die grünen Lippen und ließ die Flüssigkeit hineintröpfeln.

Gefühlvoll massierte sie dann mit der anderen Hand Elphabas Kehle, damit das Elixier nicht in die Luftröhre lief. Diesen Vorgang wiederholte sie drei Mal, dann wurde das Leuchten des Amuletts schwächer und Glinda hielt erneut inne.

Die Flasche war beinahe noch randvoll und als es Elphabas Arm streifte, leuchtete die Träne auf dem grünen Brustkorb erneut auf.

‚Nanu?’ Glinda war verwirrt, ließ jedoch die Flasche an Elphabas Arm hinab gleiten und sah, wie es hellblau aufglitzerte, als sie sich genau über dem verletzten Handgelenk der Hexe befand.

Vorsichtig löste Glinda den Verband und tröpfelte etwas von dem Wasser auf die schlimme Wunde.

Als plötzlich ein leises Zischgeräusch die Stille unterbrach, riss Glinda vor Entsetzen die Augen auf.

Panisch versuchte sie, etwas zu erkennen: ‚Ich habe sie verbrannt!’, war ihr erster Gedanke.

Doch als nach einigen Sekunden dieses Geräusch abgeklungen war, war auch von der Wunde kaum noch etwas zu sehen.

Es war der erste Hoffnungsschimmer nach sehr langer Zeit, den Glinda spürte und sie wiederholte diesen Vorgang auf Elphabas Stirn, Schultern, Waden und Oberschenkeln.

Als die Hexe sich aber immer noch nicht rührte, setzte Glinda erneut das Fläschchen an den Mund und kippte nun einen größeren Schluck hinein.

Hustend schüttelte sich der grüne Körper plötzlich und sofort erloschen die blauen Lichter.

„Elphie!“, wimmerte Glinda erleichtert, stellte die Flasche neben sich ab und ließ die Hexe aus der Umklammerung frei, damit sie sich aufsetzen konnte. Achtsam klopfte die blonde Frau ihrer Freundin auf den Rücken, welche noch immer hustete.

Nach kurzer Zeit jedoch beruhigte sie sich wieder und stöhnte auf: „Oh… mein Kopf…“

Sie saß mit dem Rücken zu Glinda, welche ihrerseits sich mit dem Rücken an die Steinwand gelehnt hatte: „Elphie?“, fragte sie vorsichtig und zog die Hexe an den grünen Schultern wieder nach hinten in die gleiche Position.

Elphaba war dabei ganz und gar nicht wohl, zumal sie nun auch die weichen Brüste an ihrem Rücken fühlte. Erst da stiegen die Erinnerungen wieder in ihr hoch.

Ruckartig befreite sie sich ein zweites Mal aus Glindas Umarmung, drehte sich aber diesmal zu ihr um und sah ihr in die Augen, sofern das bei der Dunkelheit möglich war.

„Glinda? Was ist passiert?“

„Zu viel… Ich bin wirklich am Ende meiner Kräfte. Können wir nicht erst etwas schlafen? Bitte…“ Glindas Stimme zitterte, genau wie der Rest ihrer Körpers.

Der Hexe war auch dies nicht entgangen und sie löste den Knoten des Kleides um ihren Hals.

„Zieh das hier bitte wieder an!“

Ohne Widerworte schlüpfte Glinda in das leicht feuchte Kleid und seufzte müde.

„Magno tela!“, murmelte Elphaba, „Magno tela!“

„Wie bitte?“, fragte Glinda verwirrt.

„Ich habe uns gerade mit einer Decke ausgestattet! Sie müsste da vorne irgendwo liegen!“, Elphaba deutet weiter in die Höhle hinein, dann richtete sie sich auf und bot Glinda eine Hand an.

Diese nahm an und wurde in die Höhe gezogen. Als Elphaba sich umdrehte, zog sie Glinda in der Dunkelheit hinter sich her. Hand in Hand suchten die beiden Frauen im Dunkeln nach der Decke.

„Autsch!“, fauchte Glinda.

„Was?“

„Ich glaube, ich bin gerade mit meinen Zehen gegen irgendetwas …“

Elphaba merkte, wie sich die blonde Frau bückte.

„Holz!“, rief sie erfreut aus. „Das glaube ich ja nicht!“

„Oh und ich habe die Decke gefunden!“ Elphaba war erleichtert, denn der Zauberspruch hatte funktioniert. Sie fühlte, dass ihre Kräfte noch nicht ganz wieder hergestellt waren.

Die beiden Frauenhände ließen voneinander ab und Glinda sammelte das ganze Holz zusammen, was sie finden konnte. ‚Wie das wohl hier herkommt?’, wunderte sie sich.

Elphaba breitete die Decke im Dunkeln aus und wollte sich gerade hinsetzen, als sie Glindas Frage hörte: „Elphie? Wo bist du?“

„Hier drüben.“

„Warte, ich komme zurück. Mach mal bitte Geräusche, damit ich weiß, wo ich lang muss.“

Anstelle der geforderten Geräusche summte Elphaba eine leise Melodie.

„Hab dich!“, grinste Glinda in die Dunkelheit hinein und stapelte das Holz einen guten Meter von der Decke entfernt.

„Schaffst du noch, es anzuzünden?“, fragte sie besorgt.

„Ich hoffe doch! Mal sehen, wozu meine Kräfte noch reichen.“

Mit diesen Worten ging Elphaba vor dem Holzhaufen in die Hocke und sprach konzentriert: „Flamara!“

Erst nach dem dritten Mal sprangen ein paar Funken und nach dem vierten Mal brannte das Feuer dann lichterloh.

Zufrieden, aber genauso erschöpft richtete sich Elphaba auf und drehte sich mit einem Lächeln auf den Lippen um: „So, das wäre geschafft, aber jetzt bin ich… Glinda? Was ist?“, unterbrach die Hexe ihren eigenen Satz, als sie sah, wie Glinda ihre Hände vor der Brust gefaltet und Tränen in den Augen hatte.

Ihr Blick war auf den Boden gerichtet, dennoch sah Elphie sehr deutlich die Tränen.

Langsam ging sie auf die blonde Schönheit zu, deren Haare nun auch schon beinahe vollständig getrocknet waren. Die Locken tanzten ihr frech im Gesicht herum und als Elphaba nahe genug bei ihr stand, strich sie mit ihrer rechten Hand eine Lockensträhne hinter Glindas Ohr.

„Glinda, was ist?“, fragte sie ruhig.

Erst da sah Glinda auf. Im Schein des Feuers glitzerten die feuchten Augen noch mehr: „Oh Elphie!“, seufzte Glinda und schlang beide Arme um den grünen Nacken. „Du lebst! Elphaba, du lebst!“

Den Kopf hatte sie in der grünen Schulter vergraben, als sie spürte, wie die grünen Hände sanft über ihren Rücken fuhren.

Sie erwiderte diese Berührung, indem sie Elphaba noch fester an sich drückte und diese reagierte genau gleich. Auch sie musste weinen und wischte sich die Tränen schnell von den Wangen. Mit ihrer rechten Hand fuhr sie Glinda beruhigend durch die Haare.

So hielten sich die beiden Frauen eine kurze Weile, bis Glinda sich etwas beruhigt hatte. Dann setzten sie sich erschöpft auf die füllige Decke, beide kraftlos und erschöpft.

Elphaba legte sich hin, reckte und streckte ihre Arme sowie Beine und verschränkte dann ihre Hände unter dem Kopf. Seufzend schloss sie die Augen.

Plötzlich fühlte sie, wie Glindas Körper sich an ihre linke Seite schmiegte, den blonden Lockenkopf in ihrer Armbeuge gebettet.

„Glinda…“, setzte Elphie an und öffnete die Augen.

„Bitte, Elphie. Nur für diese Nacht. Ich brauche das jetzt. Ich muss fühlen, dass du lebst!“ Mit diesen Worten legte Glinda ihren linken Arm um Elphabas Hüfte und drückte sie kurz an sich. Dann seufzte die Zauberin tief.

„Glinda, ich wollte sagen: Schlaf gut und … danke.“

„Das klären wir morgen.“, sagte die Blondine schläfrig.

„Aber Elphie?“

„Ja?“

„Eins noch!“

„Was denn?“

„Bei dem nächsten Regenflug nehmen wir meine Blubberblase!“, kicherte Glinda müde.

„Du kannst es auch nicht lassen oder?“, grinste Elphaba zurück.

„Gib es zu! Ich habe gewonnen! Wie war das: ‚Wir können ja auch nicht alle per Luftblase anta-tanzen?’ Du warst damals ganz schön gemein!“, schmollte Glinda mit geschlossenen Augen.

Elphaba richtete sich etwas empört auf: „He, Moment mal! Wenn du damals nicht…“

„Shhhht!“, machte Glinda beschwichtigend, die Augen noch immer geschlossen, „Ich weiß, wir müssen das alles noch einmal aufwickeln, aber bitte, bitte lass uns jetzt schlafen. Die Zeit rennt uns jetzt nicht mehr davon. Zumindest vorerst…“

„Du hast Recht!“, nickte Elphie und ließ sich zurück auf die Decke sinken. Dann legte sie ihrerseits den linken Arm um Glinda und ein paar Sekunden später fielen beide Frauen in einen tiefen, aber traumlosen Schlaf.

Seht euch das Bild lieber erst NACH dem Lesen an, dann versteht ihr es auch! (:

Picture: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-u-Rauch-The-mighty-5-96941262

(findet ihr solche Bilder hilfreich oder bewirken sie eher das Gegenteil?)
 

LG; Ryu & Jane
 

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K 35
 

„Londaro! Da bist du ja endlich! Wo hast du dich so lange rum getrieben?“ Ramón war sichtlich genervt, er wollte auf dem schnellsten Wege zu seiner Mutter, aber er konnte die Scheuche kaum ohne Beaufsichtigung hier lassen.

„Ich war gerade noch mit Elaine beschäftigt, als Kwen mich holen …“ Abrupt hielt er inne, als er die Vogelscheuche wahrnahm und machte eine schelle Kopfbewegung in Richtung Fiyero: „Wer ist das? … WAS ist das?“

„Ihnen auch einen schönen guten Tag!“, lächelte Fiyero eindeutig amüsiert und hob dabei kurz seinen Strohhut an.

„He, werd mal nicht frech Freundchen!“, mahnte ihn Ramón mit erhobenem Zeigefinger, während Londaro verächtlich schnaubte.

„Da kriegt man ja Kopfschmerzen!“ Gestresst fuhr der blonde Mann sich mit beiden Händen durch die nassen Haare.

„Wie geht es Ihrer Frau Mutter?“, fragte Fiyero ganz unvermittelt. Elphaba hatte ihm erzählt, dass zwei Männer auf dem Flur gekämpft hatten und automatisch nahm er an, es wären diese beiden gewesen. Einer von ihnen musste also Madame Akabers Sohn sein.

„Wieso?“, knurrte Ramón.

‚Aha!’, dachte Fiyero und fühlte sich bestätigt: ‚Es ist also doch Ramón!’ Dann sagte er: „Nun, ich habe mir sagen lassen, sie hat auch… Kopfschmerzen?“ Er wusste ganz genau, wie provozierend diese Frage wirken musste.

„Londaro!“, fauchte Ramón wütend, „Sieh zu, dass du alles aus ihm raus bekommst, was er weiß! Und woher! Noch ein Satz und ich vergeh mich an ihm! Ich werde nach Mutter sehen!“

„Ist gut!“, nickte der Angesprochene und machte Anstalten, Fiyeros Handgelenke mit festem Griff zu packen.

„Hey! Hey!“, Fiyero hob schnell beschwichtigend seine Arme in die Höhe: „Seien Sie mal lieber nett zu mir! Schließlich bin ich freiwillig hier und nach dem, was ich alles weiß, sollten Sie mich lieber mit Handkuss empfangen!“

Londaro warf Ramón, welcher nun schon im Türrahmen stand, einen fragenden Blick zu.

„Er hat Recht!“, kam es von der Tür her und Ramón war verschwunden.

„Na wundervoll!“, seufzte Londaro. Was sollte er jetzt nur mit diesem komischen Sonderling anfangen?

„He, du!“, sagte er dann an Fiyero gewandt, „Wie ist dein Name?“

„Lebt Akaber noch?“, war die Gegenfrage, denn Fiyero wollte nicht riskieren, etwas zu verraten, was nicht sein musste.

„Woher weißt du darüber Bescheid?“

„Eines nach dem Anderen!“

„Freund oder Feind?“

„Was?“ Diese simple Frage hatte Fiyero aus seinem Konzept geworfen. Sie war so naiv, aber auch direkt, dass er nicht direkt antworten konnte.

„Freund oder F…“

„Jaja! Ich habe schon verstanden. Weder noch! Egoist!“

Fragend blickte ihn Londaro an und wartete offensichtlich auf eine detaillierte Erklärung.

„Ich bin in ganz eigennützigem Anliegen hier.“

„Das da wäre?“

„Rache.“

„Oh, das ist immer gut!“

„Nicht wahr?“

„Nun… Scheuch… Pass mal auf. Das ganze läuft aber nicht so einfach ab, wie du dir das vorstellst. Du kannst nicht einfach herkommen, geheime Informationen preisgeben und dann noch erwarten, dass wir dich freundlich behandeln. Schließlich wollen wir nicht ohne Grund, dass sie geheim bleiben.“

„Gutes Argument!“, nickte Fiyero und er sah ein, dass er die ganze Sache falsch begonnen hatte.

Londaro beobachtete den Scheuch aufmerksam. Er war definitiv eine äußerst selten komische Gestalt und der Sekretär war absolut nicht in der Lage, ihn einzuschätzen.

„Wollen wir uns nicht erstmal setzen?“, fragte er entgegenkommend.

„Sehr gerne, danke!“

„Brauchen Sie ein Handtuch?“

Fiyero war der Wechsel von ‚du’ auf ‚Sie’ nicht entgangen. Anscheinend waren beide Männer mit einem Neustart einverstanden gewesen.

„Oh, lieber nicht! Dann kann es passieren, dass ich mir mein Gesicht wegwische!“

„Gütiger Oz! Wie kann das denn sein?“, Londaro war geschockt. Er führte Fiyero durch die endloslangen Gänge des Palastes. Draußen regnete es noch immer in Strömen und die Blitze erhellten die dunklen Gänge von Zeit zu Zeit.

„Nun…“, dehnte Fiyero das Wort, als sie sich schließlich in eine gemütliche Sofaecke setzten, „Mein Gesicht ist leider nur aufgemalt. Ich bin schließlich eine Vogelscheuche. Im Übrigen heiße ich Fiyero!“

Londaro nahm die dargebotene Strohhand an und schüttelte sie vorsichtig: „Freut mich sehr. Ich bin Londaro Anitropa. Haben Sie keinen Nachnamen?“

„Ich denke, mit ‚Fiyero’ wäre ich einverstanden. Doch, aber der ist nicht mehr gültig.“

„Gut, Fiyero. Für mich gilt das Gleiche. Aber wieso ist dein Nachname nicht mehr gültig?“

„Mein vollständiger Name lautete früher: Fiyero Tiggular, ehemaliger Prinz vom fernen Winkus, genau genommen Prinz der Arjikis. Aber seitdem ich diese Gestalt hier angenommen habe, verwalte ich das Amt nicht mehr.“

„Wow! Das hätte ich ja nun wirklich nicht vermutet! Wie bist du denn so …“, bei diesen Worten deutete Londaro auf Fiyeros Körper, „ …so geworden?“

„Das habe ich der böse Hexen des Westens zu verdanken!“

„Ach, daher weht der Wind!“

Dass Elphaba ihm dadurch einmal das Leben gerettet hatte, wollte er verschweigen. Er musste es sich ja nicht unnötig erschweren, also erzählte er die Wahrheit und ließ nur ein paar Details aus.

Dann setzte Yero noch einen oben drauf: „Und vorher war ich mit Glinda der Guten verlobt!“

„WAS?“, entfuhr es nun schlagartig dem Sekretär.

„Ja, was glauben … was glaubst du denn, warum ich hier bin. Nicht nur unser blondes Wonneproppenhirn hat mich an der Nase herumgeführt damals, neeein, sondern auch die Hexe!“

„Und jetzt wollen… jetzt willst du dich an Glinda rächen dafür?“

„Und an El… an der bösen Hexe des Westens!“

„An der Grünen?“, fragte Londaro verwirrt.

„Ja, sicher an der Grünen. An welcher sonst?“

„Aber sie ist doch vor einem Jahr gestorben!“

„Eben da ist der Haken an der ganzen Geschichte!“

„Wie meinst du das?“ Londaro konnte der Vogelscheuche nicht mehr folgen.

„Die Grüne lebt!“

„Nein!“, rief er nun überrascht aus.

„Was meinst du denn, wer Glinda gerettet hat?“

„Ich… Also… wow….“ Verdattert stützte sich der hübsche Mann mit seine Ellbogen auf die Tischplatte und legte seine Stirn in die Hände. Dann blickte er auf: „Woher weißt du das denn alles?“

Fiyero merkte, wie das Misstrauen des Mannes ihm gegenüber wieder wuchs und lenkte schnell ein:

„Okay, gut, ich erzähle dir jetzt alles von Anfang an. Dann wirst du mich verstehen.“

„Einverstanden!“ Londaro nickte.

„Es hat damals alles in der Schule begonnen. Dort habe ich Glinda kennen gelernt und sie war immer sehr bedacht darauf, was andere Leute von ihr hielten. Sie sah mich damals als ziemlich guten Fang, da ich schließlich Prinz war und auch hoch angesehen. Diese Verlobungsfeier war von ihr damals und nicht von mir geplant, was bedeutet, dass sie mich eher dazu genötigt hat, vor halb Oz unsere Verlobung bekannt zu geben. Glinda und die Hexe kannten sich auch noch aus Schulzeiten und als die Hexe böse wurde, hielt Glinda aber insgeheim noch mit ihr Kontakt. Mir war das zu viel und ich wollte gehen, da verwandelte mich die Hexe in eine Vogelscheuche und hielt mich bei sich gefangen. Sie täuschte ihren Tod vor, um in Frieden mit Glinda leben zu können, die nun bei ihr ist. Als die Hexe hierher kam, um Glinda die Gute zu retten, gelang mir die Flucht und jetzt bin ich hier!“

Als Fiyero eine Pause machte, hoffte er inständig, seine kleine Variation der Wahrheit hatte glaubwürdig geklungen.

„Du sagst also, dass die Grüne wirklich nicht tot ist und sie die ganze Zeit mit Glinda Kontakt hatte?“, fragte Londaro ungläubig.

„Wieso sollte ich mir denn so etwas ausdenken? Und was meinst du, wer Glinda mal eben aus dem Zimmer schleusen und im gleichen Atemzug noch Accursia niederschlagen kann? Dabei war ja wohl die größte Kunst, dass ihr beiden, also du und Ramón, auf dem Flur wart und sie dennoch ungesehen davon kam.“

„Das war nicht ich. Das war Orez. Ich musste mich mit dem Rest der Bagage abmühen!“, knurrte Londaro, in Erinnerungen an den Abend versunken.

„Was für eine Bagage?“, fragte Fiyero neugierig.

„Oh, Verzeihung, darüber darf ich selbstredend nicht sprechen! Wenn Ramón meint, du müsstest es wissen, wird er dich einweihen. Aber wir wissen ja nicht, ob wir dir trauen können!“

„Hm, wo ihr Recht habt, habt ihr Recht!“, nickte Fiyero.

„Und wo halten sich die beiden Frauen zur Zeit auf? Weißt du das zufällig?“

„Natürlich weiß ich das!“, blaffte Fiyero. „Darum bin ich doch hier! Aber wenn ich meinen Trumpf nun schon aufdecke, wer kann mir dann noch versprechen, dass ich nicht auch zur Bagage gehöre und als Ofenanzünder benutzt werde?“

„Diesmal hast du ein kluges Argument vorgebracht! Wie dem auch sei, ich werde diese Nachrichten nun erstmal Ramón überbringen und wir werden sehen, was sich machen lässt. Liege ich richtig in der Annahme, dass du uns dann den Weg weisen würdest?“

„Korrekt, ja. So hatte ich mir das gedacht.“, antwortete Fiyero, als Londaro sich erhob.

„Okay, sehr gut. Das Zimmer hier ist deines. Sollte irgendetwas sein, melde dich. Ansonsten warte hier, bis dich jemand kontaktiert.“

„Verstanden!“, nickte die Vogelscheuche und erhob sich ebenfalls.

Londaro hatte sich schon zum Gehen gewandt, als er sich noch mal umdrehte: „Eins noch!“

„Ja?“, fragte Fiyero verwundert.

„Woher wusstest du das mit Akaber?“ Die Frage war neutral gestellt worden, jedoch war der skeptische Beigeschmack beinahe greifbar.

„Ich…“, Fiyero stutzte. „Ich habe gehört, wie sie darüber gesprochen hat.“

„Mit wem? Ich dachte, du wärst geflohen, als sie Glinda erst befreien kam.“

„Sie hat einen Affen.“

„Einen WAS?“

„Einen Affen. Er kann sprechen.“

„Du meinst so einen von den fliegenden Affen, welche sie damals verhext hat? Oz im Ballon!“

„Ich habe dir ja schon die ganze Zeit versucht klar zu machen, dass die Grüne lebt!“ Fiyero klang wieder viel selbstsicherer und fühlte sich auch dementsprechend. Er hatte Londaro nun endgültig überzeugt und darüber waren sich beide Männer im Klaren.

Erst dann verließ Londaro den Raum.
 

„Wer um alles in Oz sind SIE denn, meine Liebe?“

Die drei Frauen hörten, wie der noch unbekannte Mann am anderen Ende des Raumes versuchte, sich von den Fesseln zu lösen.

„Geben Sie es auf. Es ist sinnlos!“, sagte Meredith in die Dunkelheit hinein.

„Ach, wirklich?“, maulte der Mann zurück.

„Junger Herr! Sie befinden sich in totaler Dunkelheit mit fünf weiteren Personen und die einzigen drei, die wach sind, das sind anständige Damen. Hätten Sie wohl vielleicht die Güte, uns mal mitzuteilen, wer Sie sind?“ Elanora brachte diese Worte nur mit dem letzten Fitzel an Beherrschung heraus, die sie noch aufbringen konnte.

„Na wenn das nicht die Mutter der hübschen Glinda ist!“ Alle drei Damen konnten sein Lächeln beinahe hören.

„Sie machen mir Angst!“, gab Reseda nun offen zu. Sie fühlte sich sehr unwohl. Normalerweise hätte sie sich bei diesem Dunkelheitsgrad schon lange in die starken Arme ihrer Frau gekuschelt und wäre erst aufgestanden, wenn Meredith ihren Nacken massiert hätte. Das tat sie beinahe jeden Tag, wenn der Morgen anbrach.

Meredith konnte Resedas Herzklopfen innerlich spüren, was ihr wiederum das Herz zerbrach. Sie wollte ihre schöne Frau einfach nur in die Arme schließen und über das glänzend-braune Haar beruhigend streicheln.

„Ich habe mir selber schon genug Angst gemacht!“, seufzte die Männerstimme. Sie hatte eindeutig etwas von ihrer Feindseligkeit verloren.

„Es tut mir leid, die Damen. Ich entschuldige mich für mein unangemessenes Verhalten. Es ist nicht gerade amüsant, wenn man nachts zusammengeschlagen und hierher verschleppt wird!“

Er bekam keine Antwort, also sprach er weiter: „Sie fragen sich bestimmt, was ich hier mache und wer ich bin und warum ich hier bei Ihnen sitze….“

Je mehr der Mann sprach, desto mehr kam es Meredith so vor, als würde sie die Stimme kennen…

„Ich bin genauso ein Opfer wie Sie alle hier. Gestern Nacht, während des Regierungsumsturzes, haben ein paar Männer den Palast gestürmt und mitunter auch mich. Ich wurde als dritter hier abgesetzt. Direkt nach Ihnen, Frau Hochborn und Ihrem Mann.“

„Orez!“, hauchte Meredith nun fassungslos. Endlich hatte sie die Stimme einer Person zuweisen können.

„Ganz richtig, Frau Schiforsan.“

„Kann mich mal bitte jemand aufklären?“, seufzte Elanora in die Dunkelheit hinein. Sie war weder ängstlich noch panisch. Es ärgerte sie viel mehr, dass ihr schönes, weißes Ballkleid nun dahin war. Elanora versuchte schon die ganze Zeit, sich an solchen Oberflächlichkeiten festzuklammern, um nicht aus Sorge um ihre Tochter in ein tiefes Loch zu fallen.

„Mein Name ist Orez und ich bin … war der Kutscher Ihrer Tochter. Als ich sie gestern Abend nach Hause fuhr, da hat man uns schon erwartet, was wir wiederum nicht erwartet hatten…“

„Ich verstehe!“, nickte Elanora, obwohl es niemand sehen konnte. Ansonsten hätte nun auch jeder gesehen, wie sie ganz weiß im Gesicht geworden war.

Meredith dachte angestrengt nach: Sie hatte nicht mitbekommen, wie Orez mit Glinda das Fest verlassen hatte. Das letzte, an was sie sich erinnerte war der Tanz von Glinda und Ramón… Aber wenn…. „Orez?“, verlieh sie nun ihren Gedanken Ausdruck.

„Ja?“

„Ich versteh das nicht. Seid ihr denn etwa schon vor uns gefahren, obwohl Glinda noch nicht die Überraschung gesehen hatte?“

„… Wir… Nein, wir sind direkt danach gefahren. Glinda ging es nicht gut, also bat Ramón mich, die beiden nach Hause zu fahren.“

„Dieser Ramón schon wieder!“, krächzte Elanora verächtlich.

Orez hoffte einfach nur, dass er sich nicht irgendwann in seinen Lügen verstricken würde. Doch dies sollte so bald nicht passieren, denn in dem Moment fühlte Mer, dass mit ihrer Resi etwas nicht stimmte.

„Resi?“, fragte sie angsterfüllt.

„Ja?“, kam ein leises Nuscheln von der Wand ihr gegenüber.

„Geht es dir gut? Du warst so lange still!“

„Ich… Ich glaube, ich habe Fieber…“, stöhnte ihre Geliebte.

„Diese Bastarde! HALLO?“, schrie Meredith nun so laut sie konnte.

„Meredith! Das bringt nichts! Was glaubst du, was ich die erste Stunde hier alleine gemacht habe? Ich habe nur gebrüllt, weil ich dachte, Gideon stirbt!“

„Arg!“, stieß die Rothaarige wütend aus. „Das darf doch alles nicht wahr sein!... Resi, es wird alles gut. Das verspreche ich dir. Halte durch, meine Schöne.“

„Hmpf…“, machte es plötzlich neben Meredith, die erschrocken zurückgehüpft wäre, wäre sie nicht gefesselt.

„Elanor! Elanor!“, rief sie aufgeregt. „Ich glaube, dein Mann wird wach!“

Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte sie Elanoras Spitznamen verwendet, welchen Resi vorher benutzt hatte.

„Gid? Gid? Oh, Gideon, sag doch was!“ Die ersten Tränen rannten über das aschfahle Gesicht der älteren Frau.

„Ela?“, stöhnte Gideon, als er sich langsam aufsetzte.

„Oh Oz, Gideon!“, nun war es nur noch ein einziges Schluchzen, was Elanora über die Lippen brachte.

„Himmel, Hintern und Humbug!“, krächzte ohne Vorwarnung nun eine zarte Frauenstimme aus der ganz anderen Ecke des Raumes.

„Elaine!“, sagte Meredith teils überrascht und teils freudig.

„Hier bin ich… Und wer ruft mich? Und wieso macht keiner das verdammte Licht mal an?“ Elaine war bisher noch die temperamentvollste nach dem Aufwachen gewesen, was nur ein gutes Zeichen sein konnte, nahm Meredith an.

Während Orez schwieg und Elanora auf ihren Mann einredete, konzentrierte sich die Rothaarige auf die jüngste Frau von allen.

„Elaine? Ich bins, Meredith! Wie geht es dir?“

„Frau Schiforsan? Was machen Sie denn hier? Und wie es mir geht? … Scheiße!“

Hätte Elanora das gehört, wäre ein Kommentar zu dieser Ausdrucksweise unabdingbar gewesen, doch Meredith fand es im Kontrast zu dieser misslichen Lage eher amüsant.

„So geht es uns allen, Kindchen!“

„Kann mir denn mal jemand sagen, was hier gespielt wird?“ Elaine war hörbar genervt.

„Da muss ich der Dame zustimmen. Mich würde das auch mal interessieren!“, meinte Gideon, der sich gerade aus dem Redeschwall seiner Frau befreit hatte.

Also erklärten Elanora und Meredith den beiden neu erwachten genau, was sie wussten, was nicht und was sie nur vermuten konnten.

„Donnerwetter!“, stöhnte Gideon, als Meredith geendet hatte.

„Na das kann man wohl laut sagen!“, bestätigte auch Elaine. „Was machen wir jetzt?“

„Ich….“, setzte Meredith an, als die Türe aufging und ein heller Lichtstreifen ihr die Sicht nahm.
 

„Oh Mutter…“, seufzte Ramón und strich der noch immer schlafenden Frau über die Wange. Er hoffte so sehr, dass sie bald aus dem Koma erwachen würde.

Leise zog er sich einen Stuhl an das Krankenbett und betrachtete seine Mutter eingehend. Ihr graues Haar war nicht wie sonst ein einem Dutt hoch gebunden. Es lag auf ihren Schultern und er hatte nie gewusst, dass es ihr bis zur Hüfte reichte. Die feinen weißen Strähnen darin ließen es sehr edel aussehen. Ihre Augen waren geschlossen und Ramón konnte nur das Grau ihrer Augen vermuten. Er selber war immer froh darum gewesen, nicht diesen grauen Glanz als Augenfarbe geerbt zu haben, jedoch wünschte er sich zu diesem Zeitpunkt nichts sehnlicher, als dass diese grauen Augen ihn wieder ansahen.

Ihre Lippen waren, wie immer, in einem dunklen Violett gehalten und der blonde Mann erinnerte sich an den Tag in seiner Kindheit, als er seine Mutter danach gefragt hatte…
 

„Mama?“

„Ja mein Schatz?“

„Mama, wieso malen sich die großen Leute immer so bunt an?“

„Was meinst du, Liebling?“

„Guck da! Du hast lila Lippen und die Tante Maike hat immer so viel Blau über den Augen.“

Er hörte noch das herzliche Lachen seiner Mutter, bei welchem ihr damaliges blondes Haar nur so in der Sonne gefunkelt hatte. Seitdem er denken konnte, hatte er seine Mutter immer schön gefunden.

„Aber, aber…“, hallte Accursias Stimme in seinem Kopf wider. „Tante Maike findet das eben schön, aber ich… bei mir, mein Liebling… ist das nicht gemalt. Meine Lippen sind so. Genau wie meine Augen. Manche Hexen sehen eben etwas anders aus.“
 

Dann entschwanden seine Kindheitserinnerungen und Ramón betrachtete seine Mutter erneut. Als er ein kleiner Junge war, da war sie so dürr gewesen, dass er oft bei Wind Angst um sie gehabt hatte. Doch schon nach einigen Jahren hatte sie sehr viel zugenommen und sah ab dann eher aus wie ein Fisch. Das war zu der Zeit gewesen, als sie ihren neuen Mann geheiratet hatte. Kurz darauf hatte seine Mutter Aylin geboren, aber dünner war sie dann auch nicht mehr geworden.

Er seufzte und fuhr sich mit seinen Händen übers Gesicht.

Da waren sie wieder, die Gedanken über seinen Vater. Accursia hatte ihn nie erwähnt und als er alt genug gewesen war, um zu verstehen, dass jedes Kind einen Vater und eine Mutter hatte, hatte er damit begonnen nachzufragen. Nie hatte sie mit ihm darüber sprechen wollen. Nie.

Und in diesem Moment wunderte er sich mal wieder, warum. Abermals lies er seine Gedanken wandern und befand sich kurze Zeit später wieder in seinem 14. Lebensjahr. Sein Stiefvater war damals gestorben. Er sei bei einem Sturm ums Leben gekommen und nie vorher hatte Ramón sich darüber ernsthafte Gedanken gemacht.

„Moment mal… Sturm?“, murmelte er verblüfft. Sobald seine Mutter wach und wieder bei Kräften war, musste er sie unbedingt etwas dazu fragen.

Danach war alles sehr schnell gegangen: Accursia Akaber konzentrierte sich zu jener Zeit nur auf ihre Arbeit und auch Ramón ging auf die Universität in Shiz. Sie war glücklich mit ihrer Arbeit.

‚Naja, glücklich ist relativ…’, dachte Ramón mit finsterer Miene, ‚Aber immerhin war sie voll und ganz damit ausgefüllt…Bis zu jenem Tag…’

Und schon waren seine Gedanken zu dem Tag ihrer Verhaftung gewandert, ohne dass er es gemerkt hatte. Er hatte sich die ganze Zeit in der Menge aufgehalten. Dass er mit ansehen musste, wie seine Mutter dort oben in Handschellen auf dem Podest abgeführt wurde, hatte er Glinda nie verziehen.

„Dieses Miststück!“, zischte er und grinste gleich darauf, als ihm einfiel, wie hilflos sie in seinem Arm gesabbert hatte.

„Ach Mutter…“, seufzte er wieder, als er sich erhob und zum Fenster ging. Nun stand er mit dem Rücken zu Accursia und redete leise mit ihr: „Was war das für eine große und komplizierte Aktion, dich dort wieder herauszuholen!

Du hast es uns allen wirklich nicht leicht gemacht! Und die ersten zwei Male sind wir auch noch an deiner Zelle vorbei gelaufen, weil wir es nicht für möglich hielten, dass diese schlanke Frau dort in der Zelle du sein konntest. Doch als ich beim dritten Mal deine smaragdgrünen Ohrringe funkeln sah, da war es mir klar… Weißt du eigentlich, dass das das einzige ist, was du mir je über Vater erzählt hast? Dass er dir diese Ohrringe geschenkt hat? Mehr weiß ich nicht… Warum Mutter? Warum…

Und dann…“, er lachte auf bei dieser Erinnerung…

„Dann sind wir doch tatsächlich am helllichten Tage durch die Smaragdstadt spaziert und niemand hat dich erkannt. Aber jetzt Mutter, jetzt, wo wir alles geschafft haben, wovor wir uns selber doch ein bisschen gefürchtet hatten… jetzt lässt du mich im Stich. Unser Plan war es, Glinda und Meredith zu stürzen, die Sapphos einzusperren und die Hochborns zu vernichten, damit du und ich Seite an Seite über Oz regieren können. Wir haben so viel Mühe und Arbeit darin investiert, die MA aufzubauen. So viele Edelsteine und Versprechungen sind dabei über den Tisch gegangen und es war reine Knochenarbeit, gute Mitglieder zu finden und so lange zu warten, bis wir weit über 1000 waren… Doch ich schaffe es nicht alleine und das weißt du! Aylin wäre ein viel zu großer Hitzkopf und würde jeden hinrichten lassen, der nicht bei drei im Ballon davonfliegt! Und ich…“

„Ja, das würde sie wohl..“, kam ein schwaches Kichern vom Bett her.

Mit einem Satz war Ramón dort und stützte die noch immer schwache Frau.
 

„MUTTER!“, stammelte er, den Tränen nahe.

„Heul jetzt nicht rum, Junge!“, blaffte sie ihn trotz der schwachen Stimme an.

„Jawohl, Ma’am!“

„Was ist passiert?“

Er sah, wie sie nach der Wunde tastete und offensichtlich große Schmerzen hatte.

„Du warst bei Glinda und wolltest dich noch von ihr… verabschieden, als jemand plötzlich auftauchte und dich niederschlug. Mit einem Pokal.“

„Was? Wer?“, fragte Accursia verwirrt und hielt sich ihren Kopf, der vor Schmerzen hämmerte.

„Das wissen wir nicht. Nachdem wir die Türe zu Glindas Zimmer aufgebrochen hatten, da waren beide schon durch das Fenster geflüchtet. Wir haben sofort Suchtrupps rausgeschickt, doch sie fanden nichts. Hast du nichts gesehen?“

„Ramón, mein Junge…“, sie suchte seine Hand, „Man hat mich niedergeschlagen mit einer solchen Wucht, dass ich immer noch denke, mir sei mein Gehirn an der anderen Seite wieder heraus gefallen. Was glaubst du? Dass ich mich jetzt sofort wieder daran erinnere, was oder wer es war? Nachdem ich so feste geschlafen habe… Ich bitte dich!“

Ihr Humor war das einzige, was Ramón nicht an ihr verstand. Er war wirklich makaber.

„Mutter…“, setzte er leise an, „Du hast nicht geschlafen! Du hast im Koma gelegen und es ist ein Wunder, dass du nun schon wieder wach bist!“

„Papperlapapp!“ Die ältere Dame wischte seine Bemerkung mit einer abwertenden Handbewegung hinfort.

„Gibt es Planänderungen?“, fragte sie barsch.

Es waren solche Momente wie dieser, die Ramón und auch Aylin davon überzeugt hatten, dass ihre Mutter kein Herz mehr besaß.

„Durchaus!“, nickte der blonde Mann und ließ seine Mutter los. Er wusste, dass sie diese Berührung eben nur zugelassen hatte, weil sie zu schwach gewesen war, sich selber aufzusetzen.

„Nachdem wir deine Blutungen gestoppt und einen Arzt haben kommen lassen, kam Londaro mit den Sapphos an. Die Hochborns hatte Kwen schon vorher empfangen und unschädlich gemacht. Als Orez jedoch sah, was wir mit Meredith und Reseda vor hatten, musste ich auch ihn isolieren. Er kam auf ziemlich dumme Ideen…

Nunja, nachdem wir auch die geplanten Städteoberhäupter und Politiker, die sehr viel auf Glindas Regierungsart hielten, ungefährlich gemacht hatten, ging alles weiter wie geplant.

Aylin hat direkt ihren Artikel zu der Zauberin am Rande der Smaragdstadt gebracht und diese stellte uns über 500 Eilaffen mit verzauberten Neuigkeitenblättern zur Verfügung. So verschmitzt, wie Aylin gelächelt hat, glaube ich zwar kaum, dass diese Frau ihr das alles freiwillig gegeben hat, aber das ist ja auch egal.

Als wir sicher waren, dass beinahe ganz Oz über den Regierungswechsel informiert war, haben wir uns bemerkbar gemacht. Wir haben in der Smaragdstadt alles abgenommen und abgehängt, was einst an Glinda erinnert hat. Dann haben wir Wachposten an jeder Straßenecke aufgestellt, um einen möglichen Sabotageversuch zu verhindern. In der Zeit standen wir im ständigen Kontakt mit Penelope, Stella, und Adlerauge. Letztere berichtet uns, dass die Quadlinger keine Aufstände gemacht hätten, während Stella uns über die Lage in Munchkinland auf dem Laufenden hielt. Anscheinend wurde auch sie mehr oder minder als neue Vorsitzende des Landes akzeptiert, doch wir hatten gut daran getan, ihr einen großen Trupp an Soldaten hinzuschicken. Bei Penelope gab es größere Komplikationen. Das Winkie Land hatte wohl aus irgendeinem uns nicht bekannten Grund eine tiefe Verbindung zu Glinda der Guten und sie haben erst einmal hart gekämpft, bevor sie sich ergeben haben. Aylin hat ein bisschen mit dem Wetter herumgespielt, aber sie ist noch lange nicht so mächtig, wie du es bist.“

„Das wird sie auch nie werden…“, murmelte Accursia gedankenabwesend dazwischen.

„Mutter? Bist du überhaupt bei der Sache?“, fragte Ramón vorsichtig.

Der verwirrte Blick aus den grauen Augen beantwortet seine Frage.

„Sicher, mein Schatz. Aber zähl mir doch noch einmal bitte auf, wen ich als Oberhäupter ausgewählt habe… Der Name ‚Stella’ sagt mir nämlich nichts. Ob mich der Pokal zu fest getroffen hat?“

„Fangen wir vorne an: Über das Winkie Land herrscht nun Penelope, während in Quadlingen Adlerauge regiert. Sie macht ihre Arbeit wirklich gut. Stella hat sich in unserem Auftrag Munchkinland unter den Nagel gerissen. Ihr voller Name lautet: Stellaione.“

„Ach, klein Stella! Jetzt fällt es mir wieder ein!“

Ramón lachte auf: „Ja, Mutter. Und du hattest Recht! Sie ist genau so eine Diva, wie du sie beschrieben hattest. Aber wie festgehalten: Diese drei arbeiten nur unter unserem Namen und nur in unserem Auftrag. Nichts funktioniert ohne Ab- oder Rücksprachen. Sollten unsere Spione Grund zu der Annahme einer erneuten Regierungswende haben, so werden die Beschuldigten sofort des Amtes enthoben. Und um nicht zu vergessen: Morgen früh wird Aylin sich auf den Weg nach Gillikin machen, um dort ihr Amt anzutreten. Dein Zellengenosse Raoul hat sich zwar wirklich wacker geschlagen, aber da du ja eine reine Frauenregierung wolltest, sollst du sie auch kriegen. Aylin freut sich schon sehr darauf. Sie will dich auch nachher noch um eine Kleinigkeit bitten.“

„Ach, um was denn?“, fragte Accursia Akaber neugierig. Ihre Kopfschmerzen ließen langsam nach.

„Sie wollte dich darum bitte, dass sie das Ehepaar Hochborn…“

Ein leises Klopfen unterbrach Ramón mitten im Satz.

„Ja?“, fragte er verwundert.

Es war Londaro, der schließlich seinen Kopf durch den Türspalt steckte.

„Ich glaube, ich habe jetzt genug aus der Vogelscheuche herausbekommen!“, flüsterte er.

„Welche Vogelscheuche?“, fragte die noch immer im Bett sitzende Accursia mit autoritärer Stimme.

„Auria!“, rief der hübsche Sekretär erschrocken aus und sprang vor Schreck ein Stück zurück.

„Du bist ja wach!“

Londaro war einer der wenigen Menschen, welchen es gestattet war, Madame Akaber beim Spitznamen zu nennen. Ihm war das auch nur erlaubt, weil er schon von Kindesbeinen an Ramóns bester Freund gewesen war.

„Na sicher! Was hast du denn gedacht? Unkraut vergeht nicht!“

Alle drei anwesenden lachten. Londaro kam auf Accursia zu und tätschelte ihr vorsichtig die Schulter: „Freut mich, altes Mädchen, dass du wieder da bist!“, sagte er frech grinsend.

„Noch einmal das ‚alt’ davor und du schläfst heute Nacht im Schneesturm!“, sagte sie böse, musste aber selber grinsen. „Was wolltest du eigentlich? Was für eine Vogelscheuche?“

„Ahm… Ramón, willst du nicht lieber?..“

„Nein, nein!“, lehnte er dankend ab, „Mach du nur!“

Ramón genoss solche humorvollen Augenblicke mit seiner Mutter und Londaro. Sie war in seiner Anwesenheit immer gleich etwas fröhlicher.

„Nun gut, also… Heute Morgen wurde Ramón von einer Vogelscheuche aufgehalten, die sagte, sie wüsste wer dich angefallen und Glinda die Gute gerettet habe.“

„So?“, fragte Accursia mit hochgezogenen Augenbrauen nach.

Ramón nickte nur und gab Londaro das Zeichen, fortzufahren.

„Ich sollte die Scheuche ausfragen, um zu prüfen, ob sie glaubwürdig ist. Es stellte sich heraus, dass sie mehr als glaubwürdig ist, denn bevor sie zu einer Scheuche verhext wurde, war sie ein ER. Ein Mann. Und zwar kein geringerer als der Ex-Verlobte von Glinda.“

„WAS?“, entwich es Ramón, während seine Mutter keinen Ton herausbrachte.

Beide Männer schauten die Frau auf dem Bett abwartend an.

Als sie endlich wieder ihre Stimme gefunden hatte, konnte sie nur zwei Wörter hauchen: „Fiyero Tiggular…“

„Wa… Auria! Du kennst ihn? WOHER?“ Londaro war außer sich.

„Was wird hier gerade gespielt?“, murmelte nun auch Ramón, der die Stirn in tiefe Falten gelegt hatte.

„Ich… Er… war mein Schüler! Was hat er noch gesagt?“

Während Londaro den beiden erzählte, was Fiyero ihm alles gesagt hatte, schüttelte der Blondschopf ungläubig seinen Kopf.

„Elphaba lebt?!“, schoss es bei dem passenden Stichwort aus Madame Akaber heraus.

„Elphaba?“, fragten die beiden Männer gleichzeitig etwas verdutzt.

„Ach, die Hexe, meine ich! Sie lebt… Ich fasse es nicht! Oh, dieses verdammte Mädchen! Ich wusste immer, dass sie nicht alle Besen im Wandschrank hatte!“

Gedankenabwesend knurrte und brummte Accursia Akaber noch ein paar Flüche vor sich hin. Offensichtlich schien ihr nicht in den Sinn gekommen zu sein, dass das ‚Mädchen’ nun schon 27 Jahre alt war.

„Mutter?“, holte Ramón seine Auria sanft wieder in die Realität zurück.

„Also nein, das fasse ich einfach nicht…“ Seine Mutter war noch immer etwas neben der Spur.

Plötzlich fing sie an, laut zu lachen und konnte beinahe nicht mehr aufhören.

Die beiden Männer sahen entsetzt zu, wie die ältere Dame sich Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte, doch keiner traute sich, nachzufragen.

Als ihr Lachen langsam abebbte, kicherte sie: „Oh grundgütiger… Ich habe mir gerade vorgestellt, dass sie wahrscheinlich genauso geguckt hat, als sie erfuhr, dass ICH noch lebe. Nein, was ein Spaß!“

Londaro nahm an, dass es ein sehr großer und schwerer Pokal gewesen sein musste und räusperte sich kurz, bevor er neugierig fragte: „Stimmt es denn dann, was der Scheuch erzählt?“

Accursia wusste, dass Fiyero nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte, schließlich war er es gewesen, der die grüne Hexe vor ihrem ersten Tod gerettet hatte. Dennoch sagte sie: „Ja. Ja, das stimmt.“

Nach einer kurzen Pause, in welcher ihre durchaus ernste Mimik wieder aufgetaucht war, fügte sie simpel hinzu: „Ich will ihn sehen.“

„Wie bitte?“, fragte Ramón nun entsetzt, weil er keine Ahnung hatte, was seine Mutter beabsichtigte.

„Ich sagte, ich will ihn sehen.“

„Mutter, das habe ich schon verstanden, aber was…“

„Was stehst du dann hier noch herum?“

„Ich werde ihn holen!“, bot sich Londaro schnell an und war schon zur Türe heraus.

„Mutter, was wird das?“, flüsterte der blonde Mann besorgt.

„Hattest du jemals Grund, an meinen Entscheidungen zu zweifeln?“ Accursia wusste, dass das keine faire Frage war. Trotzdem war sie nicht gewillt, ihren Plan dem eigenen Sohn mitzuteilen.

„Nein, natürlich nicht.“, antwortete dieser, nun leicht beschämt.

Accursia Akaber nickte nur, nahm sich das Haargummi, welches auf ihrem Nachttisch bereit lag und band sich die Haare zu einem Dutt zusammen.

In diesem Moment trat Londaro wieder in den Raum. Ihm folgte eine Vogelscheuche.

„Madame Akaber!“, grüßte diese höflich und verbeugte sich leicht.

„Geht!“, wies die Angesprochene die anderen beiden Männer an und verlieh ihrer Forderung durch eine wilde Gestikulierung mit beiden Händen Ausdruck.

Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, sah Accursia den Scheuch kalt an.

„Fiyero Tiggular… Nein, was für eine Überraschung!“

„Unverhofft kommt oft!“, grinste dieser zurück.

„Allerdings, mein Lieber. Allerdings…“

Das hämische Grinsen, welches sich nun auf den noch recht jugendlichen Zügen der Madame Akaber breit machte, ließ das Stroh in Fiyeros Körper aufrecht stehen.
 

Glinda wurde als erstes wach. Verwirrt stützte sie sich auf ihre Unterarme und blinzelte durch die Höhle. Erst langsam kamen die Erinnerungen wieder in ihr hoch. Dann schaute sie rechts neben sich und sah Elphaba dort liegen. Sie hatte sich auf die Seite gerollt und lag mit dem Rücken zu ihr, die Beine angewinkelt. Ihre Haut schimmerte mehr blau als grün. Erst da bemerkte Glinda wieder den Wasserfall, der leise vor sich hinplätscherte. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte die blonde Schönheit die aufgehende Sonne durch die andere Seite eines Wasserfalls gesehen und genoss dieses Gefühl. Es sah wunderschön aus. Überall tanzten kleine blaue Funken und im schnellen Wechsel flackerte das Sonnenlicht mal hier, mal dorthin.

Als sie ihr hübsches Gesicht gen Sonne streckte, durchfuhr sie ein zuckender Schmerz. Er kam von der Wange her. „Autsch!“, zischte Glinda und fuhr vorsichtig mit ihren Fingern über die Wunde.

In dem Moment, als ihr Finger die Kratzer berührte, fiel ihr das blaue Wunderfläschchen wieder ein und sie hielt Ausschau danach. An der Stelle, an welcher Elphaba gelegen hatte, lag auch das Fläschchen. Vorsichtig stand Glinda auf. Das Feuer war längst erloschen und in der Höhle war es nun ohnehin warm genug. Als sie sich bückte, um die blaue Flasche aufzuheben, konnte sie durch das fallende Wasser nach draußen spähen. Der Himmel war grenzenlos blau und der Wald sah nach dem Regen noch grüner aus als gewöhnlich.

Die blauen Augen schlossen sich für den Bruchteil einer Sekunde, um das Geräusch des plätschernden Wassers zu genießen.

„Glinda?“, kam eine schwache Stimme vom hinteren Teil der Höhle.

Blitzartig drehte sich die blonde Frau um und erblickte eine auf der Decke sitzende Elphaba.

Schnell schnappte sie sich das Fläschchen und eilte zu ihrer Freundin. Als sie sich neben diese setzte, lächelte sie: „Du bist ja schon wach!“

„Ja!“, nickte Elphaba, „… und ich habe keine Ahnung, wie lange wir geschlafen haben. Bist du schon lange auf?“

„Nein!“, die blonden Locken wackelten mit dem Kopfschütteln. „Ich bin auch gerade eben erst wach geworden!“

„Was hast du da?“ Der grüne Zeigefinger deutete auf das blaue Etwas in Glindas linker Hand.

„Wie? … Ach, das! Ich weiß auch nicht so genau, was das hier eigentlich ist!“ Sie zuckte mit den Schultern und hielt Elphie die Flasche vor die Nase.

„Das ist ja genau so eine Flasche, wie ich eine habe! Nur diese hier ist blau…“

„… und nicht grün!“, ergänzte Glinda.

Als sie den verwirrten Blick aus den dunklen Augen sah, erzählte sie Elphaba, was sich gestern Nacht in dieser Höhle abgespielt hatte.

„Ich habe nicht mehr geatmet?“, fragte die grüne Hexe fassungslos, als Glinda geendet hatte.

Diese schüttelte nur den Kopf und sagte dann: „Und deshalb glaube ich, dass dieses Ding hier ein Wunderelixier der guten Art ist!“

„Du meinst, anstatt mich nun blau zu machen?“, grinste Elphaba frech.

„Warte mal ab! Deine Haut schimmert mehr blau als grün“, lachte Glinda nun.

„Deine Haut leuchtet genauso blau! Das kommt vom Wasser her!“, sagte die Hexe trocken.

„Nein wirklich, Fräulein Schlaumeier?“ Diese Konversation erinnerte Glinda sehr an ihre gemeinsame Studienzeit. Sie hatte es geliebt, Elphie so zu ärgern.

Elphaba hatte genau denselben Gedanken gehabt und konterte nun in alter Tradition: „Böses Blondchen!“

Das ‚Blondchen’ ging auf diesen Kommentar nicht ein, sondern sagte stattdessen: „Ich würde es mal gerne für meine Wange ausprobieren. Sie schmerzt nämlich noch immer ungemein. Was meinst du?“

„Naja…“, begann Elphie, „So, wie du mir das eben geschildert hast, sollte es funktionieren…“

„Ich hoffe es!“

„Aber willst du dafür nicht lieber wieder deine Kette hier anziehen? Mir fällt gerade auf, dass ich sie ja noch immer trage!“

„Nein, nein!“, wehrte Glinda schnell ab, „Lass du sie mal lieber an, bis wir hier raus sind. Sicher ist sicher.“

„Wie du meinst. Soll ich das mit dem Fläschchen machen?“, bot die grüne Hexe an.

„Das wäre lieb!“

„Gut. Dann dreh mal deine Wange zu mir, gib mir die Flasche und halte still.“

Glinda tat wie ihr befohlen und als die blaue Flüssigkeit langsam auf ihre verletzte Wange tropfte, merkte sie sofort dessen Wirkung.

„Und?“, kam es neugierig von Elphaba her, als sie die Flasche schon wieder zugedreht hatte.

„Es fühlt sich schon etwas besser an. Aber sehen kann ich es natürlich nicht. Siehst du schon etwas?“

„Nein, dafür ist es hier entschieden zu dunkel. Ich meine, immerhin heller als gestern Nacht, aber wirklich was Erkennen kann ich bei dem Licht auch nicht!“

„Dann lass uns doch nach draußen gehen… fliegen… und uns an das Seeufer setzen? Es ist nun so schönes Wetter und wir müssen noch viel klären…“

Bei dem Gedanken an dieses Gespräch musste Elphaba seufzen: „Klingt gut. Aber näher als fünf Meter gehe ich nicht an das Wasser!“

„Das war mir auch klar, du kleine Nixe!“, lachte Glinda nun.

„Mir scheint, als würden wir wieder in alte Verhaltensmuster fallen, was Glin?“ Das war Glindas Spitzname immer dann gewesen, wenn Elphaba sie hatte ärgern wollen, denn sie wusste, dass ‚Glin’ keine passable Abkürzung für Glinda war.

‚Schließlich war es ja auch immer Galinda, mit GAAA…’, dachte sie schmunzelnd.

„Kann schon sein, Elph!“, konterte die Blonde und machte Anstalten aufzustehen.

„Nehmen wir die Decke mit?“, fragte sie dann.

„Ja, sehr gerne sogar. Aber sag mal… Hast du meinen Besen gesehen?“

Beide Frauen hielten verwirrt nach dem buschigen Etwas Ausschau. Glinda entdeckte ihn zuerst: „Ah! Ich hab iiiihn!“

Also war es an Elphaba, die Decke aufzurollen. Auch das blaue Fläschchen steckte sie in ihre Kleidtasche, bevor sie sich zu der schon wartenden Frau umdrehte.

„Gnädiges Fräulein?“, grinste die Hexe nun, „Möchten Sie vielleicht zur Feier des Tages wieder vorne sitzen?“

Glinda ging auf das altbekannte Spiel ein: „Nichts lieber als das, meine Holde. Es wäre mir ein Vergnügen!“

Beide lachten laut, als sie die ernsten Gesichtsausdrücke nicht mehr halten konnten. Es tat gut, nachdem, was jede von ihnen erlebt hatte, auch noch mal unbeschwert lachen zu können. Vor allem Glinda genoss es sehr, ihre Elphie wieder zu haben und sie ärgern zu können. Ohne, dass sie sich darüber Gedanken machte, gestand sie sich ein, dass sie dieses unscheinbare kleine Detail mit am Meisten vermisst hatte.

„Sepa Rare Te!“, befahl Elphaba, als Glinda vor ihr auf den Besen gestiegen war. Als der Wasserfall sich wie in der Nacht zuvor spaltete, strahlte die Sonne die blonden Locken direkt an. Wieder schlossen sich die strahlend blauen Augen und Glinda fühlte, wie der Besen sich langsam durch die Luft bewegte. Und erst als sie wieder den Boden unter den Füßen spürte, öffnete sie die Augen.

Mit einem Sprung hüpfte sie vom Besen und breitet die Arme aus, ihr Gesicht noch immer zur Sonne gewand.

„Wie herrlich…“, flüsterte sie. In der Zwischenzeit war auch Elphaba vom Besen abgestiegen, der Wasserfall plätscherte wieder in normalem Zustand vor sich hin und die grüne Hexe betrachtete die schöne Frau aufmerksam.

„Glinda, auf deiner Wange ist ja fast nichts mehr zu sehen!“, sagte sie erstaunt.

Die hübsche Zauberin ließ ihre Arme sinken und strich mit einer Hand vorsichtig über die verletzte Wange. Als sie kaum noch etwas von der Verletzung spürte, drehte sie sich freudestrahlend zu Elphaba um, welche sie anlächelte.

„Siehst du, Elpha….“ Plötzlich hielt sie inne. Ihre Augen weiteten sich und ihre Kinnlade fiel vor Schreck hinunter. „ELPHABA“, stöhnte sie fassungslos.

Reflexartig drehte Elphaba sich um ihre eigene Achse, um zu sehen, was Glinda so erschrocken hatte. Doch hinter ihr war nichts Ungewöhnliches passiert.

Als die grüne Hexe sich wieder zu ihrer Freundin umdrehte, hatte diese ihren rechten Arm ausgestreckt und der Zeigefinger deutete auf Elphaba. Die linke Hand hielt sie sich erschrocken vor den offen stehenden Mund.

„Glinda?“ Die grüne Stirn legte sich in Falten.

„Ich… Gütiger Oz im Ballon…“ Es war nur ein einziges Stammeln, was die blonde Schönheit noch herausbrachte.

„Glinda, sprich mit mir!“ Elphaba war nun offensichtlich genervt.

„Ich… komm mit!“

Mit festem Griff packten die graziösen Hände die Arme der Hexe und zogen sie in Richtung des Sees.

„Ich gehe keinen Schritt weiter. Erstens, weil in vier Schritten das Wasser anfängt und zweitens, weil du mir nicht sagst, was los ist!“ Jetzt war sie nicht nur genervt, sondern auch wütend. Elphaba hasste es, wenn sie etwas nicht begreifen konnte, obwohl es so offensichtlich schien.

„Elphaba, vertrau mir bitte. Ich will dir nur etwas zeigen. Ich.. Ich kann es nicht artikulieren. Bitte…“

„Na schön!“, seufzte Elphie sich ergebend.

„Knie dich hin!“, wies Glinda sie an, als sie nur noch einen Fuß vom Ufer entfernt waren.

„Was soll ich?“, fragte die Hexe fassungslos. Sie stand schon so nah am Wasser, dass sie sehen konnte, wie ihr schwarzes Haar sich darin spiegelte.

„Mach schon!“, drängte Glinda nun etwas schroffer und Elphaba tat wie ihr geheißen.

„Und nun?“ Die dunklen Augen blickten erwartungsvoll und verwirrt in das Paar blauer Augen.

„Sieh hin!“, hauchte Glinda nur. Tränen formten sich in ihren Augen, während sie mit ihrem Zeigefinger auf die Wasseroberfläche deutete. Auch sie hatte sich hingekniet und saß nun neben Elphaba.

Diesmal wusste die Hexe es besser und fragte erst gar nicht. Vorsichtig stützte sie sich mit ihren Handinnenflächen auf die grüne Kante, unterhalb welcher das Wasser begann.

Winzig kleine Wellen schwappten hin und her. Sie kamen vom Wasserfall her und es dauerte einige Sekunden, bis Elphaba sich deutlich im Wasser spiegeln konnte.

„Was um alles in Oz…“, raunte sie geschockt und fassungslos.

Erschrocken wich sie zurück, wartete ein paar Sekunden und blickte abermals ins Wasser.

Und dieses warf noch immer die gleiche Reflexion zurück.

„Glinda!“, hektisch drehte Elphaba den Kopf und sah Glinda an, welcher Tränen über die Wangen liefen.

„Glinda, das kann doch nicht sein. Was ist passiert?“

„Ich.. weiß es nicht…“, schluchzte die blonde Frau.

Abermals beugte sich Elphie ein Stück weiter nach vorne. Zweifelsohne, ihr Spiegelbild blieb dasselbe.

Mit einem Ruck warf die Hexe sich ein Stück zurück, sodass sie auf dem Hintern landete. Dann zog sie ihr Kleid etwas höher und hielt erschrocken ihre Arme neben die nackten Waden.

Atemlos griff sie dann nach Glindas Unterarm und hielt ihren Unterarm direkt daneben.

„Das kann nicht wahr sein… Das…“

Elphaba zitterte am ganzen Körper, als sie die beiden Arme verglich und keinen farblichen Unterschied mehr ausmachen konnte.

Liebe Leser,

hiermit danken wir euch nochmal ganz schnell für eure Reviews und dafür, dass ihr uns eure Gedanken, Erwartungen und Fragen zu der FF mitteilt. Wir versuchen immer, diese Ansichten in der FF zu verarbeiten.

Der erste Abschnitt ist beispielsweise MagicSunny gewidmet, aufgrund ihrer letzte Review (Danke <3).

Weiterhin danken wir auch den Leser, die unsere Story gefavt haben!
 

Bilder zu diesem Kapitel:

Ramón: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Ramon-1-97205318

Kwen: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Kwen-1-97206219

Orez: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Orez-1-97206898

(Ryu wird noch eine Szene aus dem GELPHIE-Abschnitt zeichnen!)
 

Update: Glinda mit Brot: http://wickedryu.deviantart.com/art/Sweet-Glinda-98233718
 

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K 36
 

Als Ramón die Türe hinter sich geschlossen hatte, zischte er Londaro zu: „Komm mit!“ und die beiden Männer eilten durch den Palast, bis sie sich weit genug von dem Raum entfernt hatten, in welchem Accursia nun mit Fiyero alleine war.

„Ramón, was soll das?“, setzte Londaro verwirrt an. „Kennst du den Kerl etwa auch?“

„Nein…“, murmelte der blonde Mann, „Ich bin doch vier Jahre älter als er. Wenn er genauso alt ist, wie Glinda, heisst das… ich habe ihn genau um ein Jahr auf der Universität verpasst! … Was das soll… Ich habe keine Ahnung.“

„Was hat deine Mutter mit ihm vor?“

„Londaro!“, Ramón sah dem Sekretär wütend in die Augen, „Ich habe keine Ahnung! Ich weiß nicht, was Mutter jetzt vorhat! Sie weiht mich immer nur gerade so weit in ihre Pläne ein, wie es ihr passt!“

„Mein Freund…“, Londaro legte seine Hand auf die Schulter des Mannes, „Du weißt, ich bin auf deiner Seite. Egal was passiert.“

Ramón nickte nur und sagte dann leise: „Ich weiß und ich danke dir dafür.“

„Aber eins verstehe ich nicht…“ Der Sekretär nahm seine Hand wieder von der Schulter und mustere seinen alten Freund von der Seite.

„Was?“

„Wieso… ich meine, du wolltest nie einen Frauenstaat. Du hasst Frauen in mächtigen Positionen! Wieso unterstützt du da deine Mutter bei dem Aufbau eines solchen Staates?“

Als Ramón seinen Freund ansah, war sein Blick klar und sein Atem ruhig: „Sie ist meine Mutter. Als ihr Sohn bin ich ihr etwas schuldig. Aber glaube mir, mein Freund, sobald sie abtritt, werde ich der Nächste sein und Oz wird sich verändern.“

Bei seinen letzten Worten hatte er seinen rechten Zeigefinger auf den Mund gelegt – zum Zeichen des Schweigens.

Londaros Augen blitzten auf. Er hatte sich so etwas schon gedacht und vermutete auch, dass Auria dies ahnte. Langsam nickte er in dem Wissen, dass wenn Ramón an die Macht kommen würde, er, Londaro, auch ein großes Stück vom Kuchen bekommen würde.

Die beiden Männer sahen sich noch einmal kurz an, bevor sie in verschiedene Richtungen auseinander gingen.
 

„Fiyero Tiggular… Was hast du dich verändert!“, lächelte Accursia Akaber verschlagen, als sie die Vogelscheuche missachtend von oben bis unten musterte.

Fiyero nahm diese Blicke wahr, zwang sich aber, sich nicht von der Angst vor dieser Frau einschüchtern zu lassen, die er immer noch nach all den Jahren empfand.

„Das kann man aber auch von Ihnen behaupten, Madame Akaber!“, sagte er dann mit viel mehr Selbstsicherheit, als er empfand.

‚Du bist der, den sie brauchen. Deine Informationen zählen jetzt. DU bist wichtig und alle anderen sind hilflos ohne dich!’, ermutigte er sich selber. Das mulmige Gefühl, dass es falsch war, was er tat, stieg langsam wieder in ihm auf.

„Nicht wahr?“, grinste Accursia vom Bett her.

Dann trat Stille ein und ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus, während die zwei Personen sich gegenseitig musterten.

Es war Accursia, die die Stille nach einiger Zeit brach. Missbilligend gab sie ein paar „Tsetse“-Laute von sich und fügte dann hinzu: „Was hat sie dir bloß angetan?“

Fiyero konnte nichts erwidern und starrte die ehemalige Direktorin benommen an, welche gerade offensichtlich von Fae gesprochen hatte.

Als Accursia merkte, dass ihr Plan nicht aufging, versuchte sie, dieses Gespräch anders anzugehen.

„Warum bist du hier?“, fragte sie mit autoritärer Stimme.

„Die Hexe hat mich all die Jahre nur benutzt, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Sie ist eine Heuchlerin und ich will nun Rache nehmen.“

Vor Madame Akaber, so wusste Fiyero noch aus Schulzeiten, war es immer das Beste, ehrlich zu sein, denn sie ahnte ohnehin immer mehr, als man selber vermuten konnte.

„Wieso hast du Londaro erzählt, dass sie dich gefangen genommen hat, obwohl DU sie damals gerettet hast?“

Der Scheuch hatte diese Frage erwartet, schließlich war Akaber ja vor Jahren dabei gewesen, als die Wachen ihn abgeführt hatten.

„Ich wollte das Misstrauen nicht noch festigen, was mir entgegenschlug. Außerdem wusste ich nicht, wie weit Sie genesen waren und wollte mich nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen.“

Madame Akaber kombinierte: „Du warst also bis gestern noch freiwillig bei ihr, doch – wenn das stimmt, was du Londaro erzählt hast – als die Hexe Glinda gestern Nacht gerettet hat, muss irgendetwas vorgefallen sein, das dich nun so wütend macht…“

Fiyero konnte nur mit einem Nicken antworten. Er fühlte sich, als würden sich seine Eingeweide zusammenkrampfen, über die er gar nicht mehr verfügte.

„Fiyero weißt du, was für ein Problem ich mit wütenden Menschen… oder ‚was-auch-immer’ habe?“

Fragend sah er sie an: „Nein. Welches?“

Die Worte kamen trocken aus seinem Strohmund hervor.

„Sie sind wütend. Sie sind nur wütend. Und Wut ebbt ab. In der Sekunde des emotionalen Ausbruchs sind sie sich ihrer Taten sicher. Doch warte ab, bis die Wut verfliegt. Was bleibt dann? Resignation. Die meisten Menschen besinnen sich dann wieder und entscheiden sich um. Doch du bist nun hier und es gibt kein zurück mehr.“

„Übersetzt heisst es wohl, dass Sie mir nicht trauen.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

„Darum geht es nicht!“ Untypisch für diese angespannte Situation sah er ein Lächeln auf ihren Zügen. „Ich traue und vertraue niemandem. Nicht mal meinem eigenen Sohn, geschweige denn, meiner Tochter…“

Bei diesen Worten wäre Fiyero beinahe ein: „Was? Sie haben auch noch eine Tochter?“, herausgeplatzt, doch im letzten Moment konnte er sich zusammenreißen.

Accursia sah den geschockten Blick und sprach weiter: „Erinnere dich an deine Shizzer Zeit zurück. Als ihr im vorletzten Jahr des Studiums wart, kam ein neues Mädchen an die Schule. Ihr Name war Aylin Rebaka. Du müsstest dich noch an sie erinnern, weil sie im Eifer des Gefechtes versucht hat, Glindas Zimmer in Brand zu stecken. Eure grüne Freundin hat sie daran gehindert und ich musste mein eigenes Kind von der Schule nehmen. Erst, als ihr die Shizzer Universität verlassen habt, konnte ich sie weiter ausbilden.“

Und wie gut Fiyero sich an diese grässliche Göre erinnern konnte… Glinda, er und ein paar Freunde hatten sich immer über sie lustig gemacht und sie ‚Nilya Akaber’ gerufen, denn das war ihr Name rückwärts.

„Wie dem auch sei. Das war nicht der Punkt. Fakt ist, ich traue niemandem hier genug, um mich 100-prozentig auf ihn verlassen zu können. Jetzt tauchst du urplötzlich auf und wirfst unsere ganze Planung aus dem Fragment, weil du behauptest, Elphaba würde leben.“

Es war das erste Mal, dass Accursia den Namen des grünen Mädchens von damals ausgesprochen hatte und sie merkte, wie diese leichte Welle von Übelkeit sie überkam, wie es immer bei diesem Namen gewesen war.

Bevor Fiyero etwas erwidern konnte, hob sie gebieterisch die linke Hand: „Nicht, dass ich das nicht glaube! Es würde sogar sehr gut ins Bild passen, nur frage ich mich: Was macht DICH, Fiyero Tiggular, glaubwürdig? Was macht den Mann glaubwürdig, der die letzten Jahre mit dieser Hexe FREWILLIG zusammen verbracht hat. Was gibt mir die Sicherheit, dass dieser Mann es sich nicht doch noch einmal anders überlegt? Du hast vor ganz Oz ‚Glinda die Gute’ für ‚Elphaba die Böse’ stehen gelassen und dir war es egal. Du hast alles auf dich genommen, nur, um mit dieser Person zusammen zu sein. Du hast ihr zwei Mal das Leben gerettet. Und jetzt soll ich dir glauben, dass sie dir nichts mehr bedeutet?“

Während Akabers Monolog war die Wut wieder in ihm aufgestiegen. Doch diese Wut hatte einen anderen Beigeschmack gehabt, denn er merkte, dass er auch wütend auf sich selber war. All die Argumente stimmten und nur die letzte Aussage gab ihm die Möglichkeit, überzeugend zu antworten: „Es stimmt nicht, dass sie mir nichts mehr bedeutet. Sonst wäre ich wohl kaum hier, Madame Akaber!“

Erstaunt sahen die grauen Augen den Scheuch an.

„Wissen Sie…“, setzte Fiyero an und ging dabei langsam im Raum auf und ab. Accursia hatte den Eindruck, als würde er mehr zu sich selber als mit ihr reden.

„Als ich damals nach Shiz gekommen bin, hatte ich noch nie eine Person getroffen, die sich nicht darum scherte, was andere Leute von ihr dachten. Als ich Elphaba das erste Mal traf, hat sie mich sofort gefesselt. Nicht nur aufgrund ihrer Hautfarbe, sondern weil sie vom ersten Moment an ihre Meinung offen und ehrlich ausgesprochen hat, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie gut oder wie schlecht sie dabei im gesellschaftlichen Licht steht. Ich kannte so etwas nicht und hielt es auch im ersten Moment für unangebracht. Ich war selber Prinz und mir war von der ersten Minute meines Lebens, in welcher sich mein Denken entwickelt hatte, eingebläut worden, dass nichts wichtiger sei, als die gesellschaftliche Meinung der anderen über mich.

In den ersten Monaten auf der neuen Universität lebte ich mein Leben ganz nach dem Merksatz, den man mir so lange ins Gehirn gemeißelt hatte: Wenn das Gesellschaftslicht auf dich fällt, musst du der sein, der den Tag erhellt!

Also habe ich auch in diese Richtung gedacht und mich in diesem oberflächlichen Dasein in Glinda… nein, eher in Glindas Ansehen auf der Schule und in der Gesellschaft verliebt.

Doch je mehr ich mit Elphaba in Kontakt kam, desto mehr Einfluss hatte ihre individuelle Lebensweise auf mich. Ohne es zu merken, hat sie mir gezeigt, dass ich das Leben nur oberflächlich betrachte und von da an sah ich langsam alles anders: Mir ging Glinda auf die Nerven, meine sogenannten ‚Freunde’. Einfach alles. Irgendwann schien all dieses gesellschaftliche Geplänkel nur noch eine Last zu sein und ich fragte mich, warum ich mir so etwas überhaupt antue. Immer diese Heuchlerei, irgendjemanden nett zu finden, nur, damit man bekannt wird oder bleibt.

In Elphabas Nähe habe ich mich immer klein gefühlt….“

Ein Lächeln trat auf seine Züge, was Accursia nicht entging und sie fragte sich zweifelnd, ob der Scheuch wusste, was er da gerade tat.

„Wie dem auch sei… Sie zeigte mir, was es bedeutet, ehrlich mit jemandem zu sein und ich musste mir irgendwann eingestehen, dass ich Gefühle für sie hatte.

In dieser Situation war ich hin und hergerissen, denn mein soziales Leben würde den Bach runter gehen, sobald ich mich zu ihr bekennen würde und das wusste ich. Ich entschied mich also gegen sie und ich glaube es lag daran, dass ich mein ganzes Leben lang, meine ganze Kindheit lang mit der einen Ansicht bombardiert wurde.

Man kann seine Verhaltensweise, auf die man als Kind regelrecht konditioniert wurde, nicht einfach im Eifer des Gefechtes ablegen. Außerdem wusste ich auch nicht, was sie für mich fühlte, also blieb ich bei Glinda.

Unsere Beziehung war wirklich nicht das, was man davon erwartet hat. Wir waren sehr gut, der Außenwelt zu zeigen, was sie von dem Traumpaar Oz’s erwarteten, aber mehr war dort nicht.

Nachdem die Hexe untergetaucht war, veränderte sich Glinda. Die erste Zeit zog sie sich total zurück und reflektierte ihr Leben. Sie schien irgendwelche Emotionen durchzugehen und ich erwartete eigentlich schon, dass sie mich verlassen würde, weil wir beide wussten, dass das keine Liebe war.

Doch gegen meine Erwartungen war ihre nächste Handlung diese Verlobungsfeier, die mich völlig aus dem Konzept warf. Ich wusste, dass alles, was Glinda von dort an tat, reine Affektion war, doch konnte ich nicht sagen, warum.

Ich habe mal gelesen, dass Menschen, die sich so verhalten, irgendwelche tiefen Emotionen verbannt haben und so versuchen, sich selber weiszumachen, dass sie das nie empfunden haben.

Ich hatte aber keine Ahnung, was in Glinda vorging, also akzeptierte ich mehr oder minder diese Misere, in welche ich irgendwie reingerutscht war.

Meine Gefühle für Elphaba verschwammen irgendwann und nach einigen Jahren waren sie kaum noch greifbar.

Doch dann kam der Tag, an welchem sich alles veränderte…“

Fiyero wanderte noch immer durch den Raum und es war offensichtlich, dass er diesen Monolog zu Ende bringen musste, um zu verstehen, was er tat.

„Elphaba kam zum zweiten Mal in den Palast, in welchem Glinda und ich nun auch wohnten. Wir hörten einen riesigen Tumult und wollten nachsehen gehen, was beim Zauberer geschehen war. Als wir die Türe öffneten, lief Glinda sofort zu ihr. Ich jedoch blieb verblüfft am Türrahmen stehen.

Eine riesige Welle von den Emotionen, die ich schon für nicht mehr existent gehalten hatte, kam über mich und erschütterte mich bis ins Mark. Ich erkannte, dass ich mehr für diese Hexe fühlte, als ich je vorher bereit war, zuzugeben.

Ohne zu überlegen rettete ich sie dann aus dieser Situation und sie war mir dankbar dafür, aber genauso verwirrt.

Ich war gerade dabei zu erklären, dass ich sie liebe und sie… schien das Gleiche für mich zu empfinden, doch plötzlich musste sie gehen. Sie sagte, irgendetwas mit ihrer Schwester würde nicht stimmen und so war es dann auch.

Wie wir später herausfanden, war es ein hinterhältiger Plan, um sie zu fangen. Ich stellte ihr nach, ohne ihr Wissen und kam gerade noch rechtzeitig, um sie abermals zu retten. Doch ich bezahlte einen hohen Preis, denn wenn Elphaba mich nicht in eine Vogelscheuche verwandelt hätte, wäre ich gestorben.

Nun war mein soziales Leben so oder so vorbei, denn erstens sah ich aus wie ein Rabenterrorist und zweitens liebte ich die böse Hexe des Westens.

Ich gab mich meinem Schicksal hin, denn ich wollte nichts sehnlicher, als diese eine Frau in Sicherheit zu wissen.

Nachdem jeder annahm, ich sei gestorben, hatte ich es leicht, wieder zu ihr zu gelangen. Auf dem Weg zu ihr hörte ich Gerüchte, wie man sie fangen und töten wollte und zwar mit Wasser, aufgrund ihrer Allergie.

Als ich bei ihr ankam, hörte ich Stimmen. Elphabas und … zu meinem größten Erstaunen Glindas. Die Hexe hatte sich ein Nachrichtenblatt durch ihren Affen bringen lassen, in welchem mein Tod verkündet wurde.

Dann wurde ich Zeuge einer merkwürdigen Szene, die ich nie richtig einschätzen konnte: Elphaba und Glinda… verabschiedeten sich voneinander. Anscheinend war Glinda mir zuvor gekommen und hatte der Hexe schon den bevorstehenden Überfall prophezeit. Ich stand dort und sah den beiden Frauen zu. Ich sah alles klar und deutlich, aber was ich da beobachtete, verstand ich nicht…

Sie haben sich gegenseitig irgendetwas verziehen und sie waren sich so… vertraut, kann man fast schon sagen.

Wie gesagt, es war merkwürdig, aber das war es schon immer gewesen…“

Fiyero blickte aus dem Fenster und sprach nach einer kurzen Pause weiter: „Schon während der Schulzeit habe ich oft gedacht, dass Glinda irgendwie … mehr für Elphaba empfindet. Den Gedanken habe ich dann aber immer wieder verworfen, weil sich nie eindeutig etwas ereignet hat…“

Madame Akaber hatte die ganze Zeit auf ihrem Bett gesessen und ruhig mit angesehen, wie die Vogelscheuche in ihrem Zimmer hin und her gelaufen war. Nur mit halbem Ohr hatte sie diesem Monolog zugehört, doch bei dem letzten Satz war ihre Aufmerksamkeit voll auf Fiyero gerichtet.

Mit zusammengekniffenen Augen fragte sie ihn: „Wie meinst du das? ‚Mehr’? Mehr als … was?“

Erst da blickte der Scheuch sie an. Dieser Blickwechsel war von einer solchen Intensivität, dass Fiyero sich wunderte, wie er dem allen standhielt.

„Mehr als Freundschaft“, sagte er dann klar und deutlich und sah, wie Accursias Augenbrauen in die Höhe schnellten. In ihren Augen jedoch konnte er nicht einmal die Spur von Überraschung erkennen.

„Du warst noch nicht fertig“, stellte sie dann jedoch trocken fest und er nickte.

„Die beiden verabschiedeten sich voneinander…“, setzte der Scheuch also wieder an, „… und als Glinda fort war, eilte ich zu Elphaba. Sie war völlig überrascht, dass ihre Hexerei funktioniert hatte, doch sie war genauso geschockt. Sie hatte nicht gewollt, dass ich ein Scheuch werde. Sie sagte mir damals, dass es nicht vorhersehbar gewesen wäre, was passiert. Sie hätte nur nicht gewollt, dass ich sterbe.

Ich sagte ihr dann, dass ich mit ihr fort will und sie erklärte sich auch dazu bereit. Ich nahm an, der Grund dafür sei ihre Liebe zu mir.

Wir heckten gemeinsam einen Täuschungsplan aus, der auch grandios funktionierte und als alle dachten, sie wäre gestorben, fingen wir gemeinsam unser neues Leben an…“

Der Scheuch hatte mit Absicht den Namen ihres Aufenthaltsortes weggelassen, denn er wusste, dass Akaber nur darauf scharf war.

Nach einer kurzen Pause sprach er weiter, Akaber schwieg: „Ich hatte mir alles schon ausgemalt. Mir war es egal, wie ich aussah, denn ich wusste, dass es diese eine Frau war, für die ich noch lebte. Es war schwer für mich, zu akzeptieren, dass ich nicht mehr so für sie da sein konnte, wie ich es gerne gewollt hätte, aber Elphaba schien es nichts auszumachen und so fand ich mich auch nach einiger Zeit damit ab.

Irgendwann im Laufe der Zeit wurde ihre Gemütslager immer schlechter und sie schien mir immer öfter gedanklich abwesend zu sein. Dann fand ich heraus, dass sie Glinda immer noch beobachtete und im gleichen Atemzug tauchten auch wieder meine Erinnerungen von früher auf. Ich wurde dieses Gefühl nicht mehr los, dass Elphabas Veränderung etwas mit ihren Gefühlen für Glinda zu tun hatte. Hinzu kam noch, dass sie mehr als ein Mal den Wunsch geäußert hatte, Glinda von ihrem Überleben zu erzählen. Mir jedoch war es zu riskant und aus irgendeinem Grund schloss sie sich immer meiner Meinung an. Und genau das war der Punkt, an welchem ich merkte, dass Elphaba nicht mehr die Frau war, die ich liebte.

Monatelang trug ich das Gefühl mit mir rum, sie würde alles nur mir zum Gefallen tun und in einer entsprechenden Streitsituation brachte ich dieses Gefühl zum Ausdruck. Sie schaffte es, mich davon zu überzeugen, dass es … Blödsinn wäre und sie mich wirklich liebt.

Von da an begann unsere Beziehung eine Wende zu nehmen und es lief so, wie in meinen Vorstellungen. Ich vergaß bald alle meine Zweifel, doch dann kam diese besagte Nacht.

Es ging alles sehr schnell. Ich war in dieser Nacht nicht bei ihr, doch als ich ihr am Morgen das Frühstück brachte, lag Glinda in unserem Bett.

Ich war außer mir, weil ich natürlich keine Ahnung hatte, was das sollte. Sie erklärte mir die Situation und ich verstand sie vollkommen. Sie versicherte mir abermals ihre Liebe zu mir, doch als wir wieder in das Zimmer gingen, in welchem Glinda vorher geschlafen hatte, war sie nicht mehr da.

Plötzlich änderte sich Elphabas Gemütszustand so stark, wie ich es vorher noch nie erlebt hatte und mir wurde schlagartig klar, woher all meine Zweifel gekommen waren.

Ich stellte sie mehr oder minder vor die Wahl: Glinda oder ich. Sie wählte Glinda.

In diesem Moment wurde mir klar, dass sie sich nur auf dieses Leben mit mir eingelassen hatte, weil sie erstens keine andere Wahl und zweitens ein schlechtes Gewissen hatte. Sie hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Sie hat gesehen und mitbekommen, wie ich für sie durch die Hölle gegangen bin und nur weil sie letzten Endes mich so akzeptiert hat, konnte ich mich wieder aufrappeln.

Sie wusste, dass sie der einzige Grund für mein Überleben war und zwar auf zwei Seiten: Auf der einen Seite hatte sie mich verhext und fühlte sich schuldig, aufgrund meines Aussehens. Auf der anderen Seite jedoch fiel ich in ein Loch aus Selbstzweifeln und wäre ohne die Hexe dort nicht mehr herausgekommen. Über die beiden Seiten der Münze war sie sich im Klaren und brachte es dann fertig, mir ehrlich zu sagen, dass sie zwar nicht genau wusste, was sie eigentlich wollte, aber dass sie wusste, dass das Leben eben NICHT das war, nach welchem sie sich sehnte…“

Fiyero, der mit dem Rücken zu Accursia gestanden hatte, drehte sich plötzlich um und sah die Frau mit festem Blick an: „Wie würden Sie sich denn fühlen, wenn sie erkennen, dass die Liebe Ihres Lebens Sie über all die Jahre angelogen hat? Wie würden Sie sich fühlen, wenn diese Liebe Sie im Stich lässt, für etwas, dass Sie nicht verstehen? Was würden Sie tun, wenn Sie erkennen würden, dass Sie nur als Mittel zum Schuldeingeständnis, persönlicher Strafe und Gewissenserleichterung dienten? Was würden Sie tun, wenn Sie erkennen würden, dass Sie Ihr Leben für jemanden gegeben haben, der Sie nicht liebt und nie geliebt hat? ….“

Dann machte er eine kurze und wirkungsvolle Pause, bevor er mit leiser, aber deutlicher Stimme weitersprach: „Sagen Sie mir, Accursia, was würden Sie tun, wenn die Liebe Ihres Leben IHR Leben, was Sie sich hart erkämpft haben, in einer einzigen Minute zunichte macht?

Ich habe für sie gekämpft. Ich habe mit mir selber so lange gekämpft, bis ich zugeben konnte, was ich wollte. Ich habe alles für die getan und habe mein Leben für sie gegeben. Und sie wirft mir diese Liebe in dieser einzigen Minute einfach so vor die Füße, weil sie nach all den Jahren die Chance bekommt, das zu tun, was sie ohnehin die ganze Zeit wollte. Sie stehen dort und sehen, wie die Person, die Sie ohne Bedingungen, ohne Forderungen und ohne Zweifel geliebt haben, Sie verlässt für etwas, das keine Zukunft verspricht.“

Über den Rücken der Madame Akaber lief ein kalter Schauer. Diese Fragen erinnerten sie genau an ihre Gefühle, die sie empfunden hatte, als der Zauberer sie verlassen hatte, für eine Welt, die sie nicht kannte und aus Gründen, die sie nicht verstand.

„Wissen Sie…“, setzte Fiyero erneut an und holte Accursia damit aus ihren Gedanken zurück in die Realität, bevor sie zu weit in die Vergangenheit abrutschen konnte, „… Elphaba musste jahrelang sehr viel über sich ergehen lassen, aufgrund ihrer Ehrlichkeit und ihrer Direktheit. Sie hat sich nie etwas gefallen lassen und hat immer ihre Meinung gesagt. Wenn sie etwas wirklich wollte, hat sie dafür gekämpft. Wenn sie etwas nicht wollte, hat sie es deutlich gesagt. Dieses Bild von ihr hat sich über all die Jahre in jedem von uns manifestiert. In Glinda, in Ihnen, in mir.

Auf dieses Bild habe ich all meine Hoffnungen gebaut, die ich nach dem Geschehenen noch haben konnte. In die Hände einer ehrlichen Frau habe ich all meine Liebe und mein ganzes Dasein gelegt. Mit dem Bild dieser Frau habe ich die einzigen Zukunftsperspektiven, die ich noch haben konnte, gebaut. Und es waren auch die einzigen Perspektiven, die ich wollte. Ich wollte nichts anderes, als mit dieser Frau zu leben.

Und dieses Bild, was ich von ihr hatte und worauf ich all die Jahre vertraut habe, wirft sie mir in einem so kurzen Augenblick einfach vor die Füße. Ihre Fassade fiel ab und sie trampelte auf allem herum, was mich noch am Leben gehalten hatte. Ich sah, dass es diese Frau, die ich liebte, nicht mehr gab. Nicht für mich.

Wenn Elphaba mir von Anfang an klar gemacht hätte, dass sie sich nicht so ein Leben wünscht, wie ich es tat und dass sie keine Zukunft für uns sieht, wäre ich jetzt bestimmt nicht hier. Ich wäre verletzt gewesen und hätte vielleicht irgendwann eingesehen, dass ich zu überstürzt gehandelt hatte.

Aber sie hat nichts gesagt. Sie zog es vor – und das aus reinem Egoismus, damit sie sich besser fühlen konnte – mich jahrelang anzulügen, mir etwas vorzuheucheln und mich zu betrügen.

Sie fühlte sich ohnehin schon schlecht und schuldig und mich dann auch noch fortzuschicken, hätte selbst sie dann nicht mehr gekonnt. Zudem hatte auch sie keine anderen Perspektiven mehr offen stehen. In dem Glauben an ihren eigenen Tod hat sie sich von der Person verabschiedet, welche ihr in ihrem ganzen Leben am meisten bedeutet hatte: Glinda.

Sie konnte nicht mehr zurück und da zog sie ein Leben in ewiger Reue vor, in welchem sie jeden Tag das Ergebnis ihres Fehlers vor Augen hatte: Mich.“

Während des langen Monologs war Fiyero kein einziges Mal laut geworden. Er hatte keine Emotionen gezeigt und seine Stimme war beinahe die ganze Zeit ruhig und sachlich geblieben.

Nun sah er die Frau auf dem Bett erwartungsvoll an.

Accursia betrachtete ihn eingehend. Sie wusste genau, dass diese Erläuterungen eher dem Zweck gedient hatten, dass er sich selber noch mal darüber klar wurde, warum er hier war.

Doch ihre Frage hatte er nur indirekt beantwortet und darum fragte sie abermals, diesmal etwas sanfter und leiser:

„Fiyero, warum bist du hier?“

Erst war er verwirrt, denn er hatte angenommen, all seine Beweggründe wären nun deutlich geworden, doch dann verstand er, dass Accursia nun keinen vorbereitenden Monolog mehr erwartete, sondern das Ergebnis dieser ‚Vorbereitung’ hören wollte.

„Ich bin hier, weil Elphaba Thropp mich jahrelang angelogen und betrogen hat. Ich bin hier, weil sie mein Leben erst verändert, mir dann neue Hoffnung gegeben und es nun komplett zerstört hat. Ich bin hier, weil ich als Spielball zweier Frauen benutzt wurde, deren Beziehung ich nicht verstehe. Ich bin hier, weil diese beiden Frauen sich nun nach lang ersehnter Zeit zusammengetan haben und keine von beiden mir je die Wahrheit gesagt hat. Ich bin hier, weil Elphaba und Glinda mir beinahe alle Lichtblicke meines Lebens genommen haben, doch nun haben sie mir einen solchen geschenkt, ohne es zu wissen.

Ich bin hier, um dem einzig verbliebenen Lichtblick in meinem Leben nun nachzugehen: Rache.“

Madame Akaber nickte zufrieden. Genau das war die Antwort, die sie hatte hören wollen…
 

„Elphie…“ Es war nur ein leiser Hauch, den Glinda herausbrachte. „Elphie… deine Haut ist zwar nicht so rosig wie meine… aber… sie ist…“

„… definitiv nicht grün!“, ergänzte Elphaba, die nicht wusste, was gerade in ihr vorging.

„Du siehst sonnengebräunt aus“, stellte Glinda fassungslos fest, als sie Elphaba ungläubig anstarrte.

Diese konnte ihre Blicke nicht mehr von ihren eindeutig hautfarbenen Gliedmaßen nehmen. Sie drehte und wendete ihre Hände. Ihre Nägel waren nicht mehr dunkelgrün, sie waren etwas heller als ihre gebräunte Haut und an der Spitze bildete sich ein weißer Rand - wie bei Glinda. In keiner Handfalte, in keinem Winkel eines Gelenks war mehr ein grüner Schatten auszumachen.

„Ich… Ich fasse das einfach nicht. Wie kann das sein…“, stammelte die ehemals grüne Hexe vor sich hin. Ihre Gefühle gingen auf und ab. Schon immer hatte sie sich gefragt, wie sie wohl aussehen würde, wenn der Zauberer sie entgrünifiziert hätte. Sie hatte sich auch schon oft gefragt, was für Auswirkungen eine normale Hautfarbe auf ihr Leben hätte.

Und manchmal hatte sie sich diesen Zustand gewünscht, um einfach mal in die Smaragdstadt gehen zu können, um zu sehen, wie es Glinda ging.

Doch genau diese saß nun ebenso fassungslos wie Elphaba selber dort und starrte vor sich hin.

„Ich habe keine Ahnung…“, murmelte sie und zuckte mit den zierlichen Schultern.

„Glinda? Welche Haarfarbe habe ich?“, fragte Elphaba ängstlich und fuhr sich mit den Händen durch das Haar.

„Rabenschwarz“, lächelte Glinda und fügte hinzu: „Deine Zähne sind noch immer weiß und deine Augen sind noch immer Quoxwaldeichenbraun!“

Seufzend sah Elphaba ihre Freundin an: „Glaubst du, dass es etwas mit diesem blauen Elixier zu tun hat?“

„Das ist gut möglich. Ich habe es dich ja auch trinken lassen. Aber um das mit Sicherheit sagen zu können, müsste man wissen, wie…“ Glinda hielt plötzlich inne und sah die Hexe durchdringend an.

„Wie… was?“, fragte diese verdutzt.

„Wie du grün geworden bist. Du hast es mir nie erzählt. Weißt du es denn überhaupt?“

„Ich erinnere mich nur, dass meine Mutter mir damals erzählt hat, sie hätte aus dem besagten grünen Fläschchen getrunken, als sie mit mir schwanger war. Anders konnte sie es sich auch nicht erklären. Meinem Vater hat sie das nie verraten. Er hielt mich immer für die persönliche Strafe seiner Sünden.“

Erschrocken hielt sich Glinda die Hand vor den Mund, ihre Augen weit aufgerissen.

„Was ist denn nun schon wieder? Bin ich jetzt blau?“, fragte Elphaba sarkastisch.

„Dein Vater…“, stammelte Glinda, als pikante Erinnerungsfetzen über sie hereinbrachen.

Bevor Elphaba etwas sagen konnte, stammelte sie weiter: „Ich… Gütiger Oz, das fällt mir auch jetzt erst wieder ein… Elphie… Bist du dir sicher, dass Frexspar dein wirklicher Vater ist?“

„Glinda, was um alles…?“ Die Hexe war offensichtlich geschockt und sehr verwirrt.

„Ich… Am Tag deines … Todes, da habe ich Akaber festnehmen lassen und den Zauberer verbannt… Ich beauftragte alle Wachen damit, den Palast aufzuräumen und alle Sachen des Zauberers in ein bestimmtes Zimmer zu bringen. Als ich diese Sachen später durchging, fand ich … ich fand eine grüne Flasche. Exakt so eine, wie du sie damals unter deinem Kopfkissen versteckt hast.

Als ich den Zauberer darauf ansprach, hat er… nicht einmal versucht, es abzustreiten. Elphie, der Zauberer war dein Vater.“

Die letzten Worte hatte Glinda nur unter leisen Schluchzlauten herausbringen können. Nun suchte sie Elphabas Hand und umschloss diese sanft.

Die Hexe konnte nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte.

„Der Zauberer…“, begann sie ungläubig und schüttelte leicht den Kopf. „Der Zauberer, mein Vater?“

Nun bildeten sich auch Tränen in ihren Augen und als diese langsam auf den Wangen herunterkullerten, drückte Glinda die Hand etwas fester.

„Wer bin ich eigentlich?“ Elphaba schluckte hart und bekämpfte die erneut aufsteigenden Tränen.

„Die Tochter von Melena Thropp und dem Zauberer von Oz. Dem mächtigsten Mann, den es bisher in der Geschichte Oz gegeben hat und das erklärt auch deine magische Kraft.“

„Ich habe mich gegen meinen eigenen Vater gestellt, der mir so fremd war, wie niemand sonst auf der Welt“, flüsterte sie gedankenabwesend.

Die zierliche Blondine an ihrer Seite bemerkte dies und legte ihre freie Hand an Elphabas Kinn. Dann drehte sie den Kopf so, dass Elphaba sie ansehen musste.

„Du bist Elphaba Thropp. Eine starke Frau mit magischen Kräften. Du bist eine Hexe. Hättest du damals das Wissen über deinen wirklichen Vater gehabt, hätte das auch nichts an der Situation geändert. Er hatte nichts Gutes für Oz im Sinn und du hast dich für das Richtige eingesetzt. Und das WEIßT du auch!“

Elphaba sah in diese klaren, eisblauen Augen und erkannte nichts als Ehrlich- und Ernsthaftigkeit: „Ich höre dich, Glinda. Und ich weiß auch, dass du recht hast. Aber… Erst sterbe ich beinahe, dann bin ich plötzlich entgrünifiziert und dann erfahre ich auch noch, dass mein Vater nicht mein Vater ist… Das ist wirklich alles etwas viel im Moment.“

„Ich weiß…“, flüsterte Glinda beschwichtigend. „Das ist so, als würde ich aufwachen und brünett sein!“

Elphaba lachte kurz auf und Glinda zwinkerte ihr zu. Die Hexe war dankbar für Glindas Gabe, in solchen Situationen immer wieder die Spannung brechen zu können.

„Oh Oz…“, seufzte Elphie müde, „Das muss ich erstmal alles verarbeiten. Oder gibt es noch mehr, was du nach meinem Tod erfahren hast?“

„Ich… nein, also nichts, was mir jetzt einfallen würde. Aber Elphie…“

„Hm?“

„Ich glaube, wir müssen uns mal grundlegend aussprechen. Ich habe viele Fragen an dich…“

„Ja, das habe ich mir schon gedacht…“, erwiderte Elphaba mit einem Nicken. Sie selber hatte auch viele Fragen an Glinda, doch nie hätte sie es für möglich gehalten, dass sie in diesem Leben noch die Antworten erfahren würde.

„Aber bitte können wir uns dann etwas weiter vom Wasser weg- und auf die Decke setzen? Dann wäre mir etwas wohler…“

„Nur, wenn du uns etwas zum Frühstück zauberst!“, konterte Glinda grinsend, ließ Elphies Hand los und legte sie stattdessen auf ihren laut knurrenden Magen.

Elphaba lachte, als die beiden Frauen sich erhoben: „Ich will ja nicht, dass du mir hier verhungerst! Irgendwelche besonderen Wünsche?“

„… warmes Körnerbrot aus Gillikin mit Apfelkraut aus Quadlingen?“, fragte Glinda leicht errötend.

Elphaba grinste nur, schloss dann die Augen, drückte ihre Handballen gegeneinander und lehnte ihre Hände dann gegen die Stirn.

Glinda hörte sie nur kurz murmeln, als sie sah, wie auf der Decke die gewünschten Sachen auftauchten und noch einiges mehr.

„Fa-bu-lööös!“, klatschte Glinda und setzte sich sofort auf die Decke, um mit dem Frühstück zu beginnen. Elphaba beobachtete diese Szene lächelnd und gestand sich ein, dass sie Glinda mehr als nur vermisst hatte.

Aber abgesehen von diesem deutlichen Gefühl war der Rest ihrer momentanen emotionalen Lage eher unklar. „Ich bin gleich wieder da…“, sagte sie in Richtung Glinda, die gerade herzhaft in eine dicke Scheibe Brot gebissen hatte.

Mit dem Brot in der Hand sah sie der Freundin verdutzt nach, doch als sie erkannte, dass Elphie anfing, mit ihren Armen zu gestikulieren als würde sie mit jemandem diskutieren, hatte sie verstanden: Elphaba Thropp ordnete gerade ihre Gedanken.

„Elphaba Elea Thropp…“, sagte sie zu sich selber, „Du bist… verwirrt und überrascht, dass du nun entgrünifiziert bist. Du weißt noch nicht, was das für dich bedeutet, geschweige denn, was dieser neue Zustand in Zukunft mit sich bringt. Außerdem bist du… enttäuscht und auch… sauer, weil du gerade eben erfahren hast, dass Frexspar Thropp nicht dein leiblicher Vater ist.“

Immer, wenn sie ihre Gedanken ordnete, tat sie es sachlich und laut, sofern das die Situation zuließ.

„Des Weiteren bist du über die gesamte Akaber-Geschichte geschockt, aber dabei überwiegt das Gefühl, dass du froh bist, dass es Glinda gut geht. Generell freust du dich, sie wiederzusehen, obwohl du dabei…“, sie seufzte, tief, „… aus dir noch unbekannten Gründen das Gefühl hast, Yero zu betrügen. Doch zum ersten Mal seit Langem folgst du wieder deiner inneren Stimme, die deinen Willen bestimmt. Alles in allem bist du also gerade einfach nur eine große Ansammlung an gemischten Gefühlen. Wundervoll!“

Sie schlenderte noch ein Stückchen weiter und kehrte dann zur Decke zurück. Als diese in Sichtweite war, sah sie Glinda in der Sonne liegen mit geschlossenen Augen.

„Weiterhin sei festgehalten, dass du Herzklopfen bekommst, bei dem Gedanken an das folgende Gespräch und du weißt nicht, ob der Grund dafür eher Ängstlichkeit oder Unsicherheit ist. Wahrscheinlich beides. Aber du bist auch neugierig, denn du hast selber viele noch ungeklärte Fragen. Du wirst ehrlich zu Glinda sein und dich jetzt ganz auf dieses Gespräch konzentrieren. Alles andere stellst du hinten an…“

Mit diesem Vorhaben ließ Elphaba sich schließlich auf die andere Seite der Decke plumpsen.

„Oh…“, Glinda öffnete ihre Augen und blinzelte in die Sonne, „… schon wieder zurück? Ich hatte erst morgen wieder mit dir gerechnet!“

Sie setzte sich auf und rieb sich grinsend die verschlafenen Augen.

„Sehr komisch! Sag nicht, du hast geschlafen?“

„Würde mir doch im Leben nicht einfallen, neben diesem Gourmet-Frühstück! Hier!“ Glinda schob Elphaba ein Käsebrot zu. Es war genau so eines, wie sie früher in Shiz immer gegessen hatte. Ohne Butter, ohne alles. Nur eine Scheibe Brot und eine Scheibe Käse.

Die Hexe lächelte warm und knabberte nur ein wenig an ihrem Essen. Sie hatte keinen Hunger und während Glindas Gefühle scheinbar nie einen Einfluss auf ihren Appetit hatten, so war es bei Elphaba genau andersherum.

Erst wollte die blonde Schönheit nach Elphabas Befinden fragen, doch den Gedanken verwarf sie gleich wieder. Anstelle dessen fragte sie: „Haben Sie soweit alles geordnet, Frau Professor?“

Mit dem Brot im Mund grinste Elphaba und nickte leicht.

Glinda seufzte: „Ich weiß aber gar nicht, wo wir anfangen sollen…“

„Am Besten am Anfang!“

Als Antwort erhielt Elphaba eine freche Grimasse von Glinda, die daraufhin fragte: „Und wo ist unser Anfang?“

„Warum hast du mich damals zuerst gehasst?“, fragte Elphaba ganz unvermittelt und legte ihr Brot aus der Hand. Sie fühlte sich nun viel ruhiger und war bereit, sich absolut auf dieses Gespräch einzulassen.

Doch bevor Glinda zu einer Antwort ansetzen konnte, nahm Elphaba ohne Vorwarnung die beiden zierlichen Hände in die ihren und sprach dann sehr leise, aber deutlich: „Glinda, ich will in diesem Gespräch absolut ehrlich zu dir sein. Ich möchte, dass sich alles klärt, was zwischen uns steht oder je gestanden hat. Du warst die einzige Person in meinem ganzen Leben, die mir so viel bedeutet hat, dass ich sogar mein Leben gegeben hätte. Es gab eine Zeit in meinem Leben, da habe ich versucht, diese Ansicht zu bekämpfen, doch nun ist es zu spät, denn es ist offensichtlich. Ich habe dich schon einmal verloren und will das nicht noch einmal durchstehen.“

Tränen formten sich in Glindas Augen: „Nein, Elphie. ICH habe DICH sogar schon zwei Mal verloren und werde dich – komme was wolle – nicht noch einmal gehen lassen…“

Elphaba hatte keine Ahnung, was sie zu dieser Äußerung veranlasst hatte, aber sie hatte sich nun mal vorgenommen, alles zu sagen und zuzulassen, was ihr in den Sinn kam.

Also gab sie auch dem Drang nach, Glinda in ihre Arme zu schließen und drückte den blonden Lockenkopf mit ihrer Hand gegen die eigene Schulter.

Seufzend, aber auch im ersten Moment verwirrt, ließ Glinda sich in die Arme schließen und legte ihrerseits die Hände auf den nicht mehr grünen Rücken.

Sie weinte ein bisschen in die Schulter hinein, bis Elphaba sie ein Stückchen von sich wegdrückte und sie anlächelte: „Also, warum hast du mich am Anfang so gehasst?“

„Ehrlich?“, fragte Glinda und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, als Elphaba sie nickend losließ und sich wieder auf die andere Seite der Decke setzte.

„Ehrlichkeit ist unsere Grundlage in diesem Gespräch!“, sagte sie noch einmal deutlich und knabberte wieder an ihrem Brot.

„Ich weiß nicht, ob es wirklicher Hass war. Aber ich war absolut neidisch und eifersüchtig darauf, dass du vom ersten Moment an Makabers Liebling warst und sie dir Privatunterricht geben wollte. Ich war eine verzogene und absolut verwöhnte Göre … Ich war es eben nicht gewohnt, mal NICHT an erster Stelle zu stehen. Bei den meisten Studenten war ich aber genau deswegen sofort beliebt, weil ich aus gutem Hause kam und das Vorzeigepüppchen schlechthin war. Du warst also genau mein Gegenteil und als wir dann ausgerechnet auch noch zusammenwohnen mussten, haben vor allem Milla und SchenSchen das ausgenutzt, um jedes kleine Detail über dich zu erfahren. Sie haben alle möglichen Gerüchte verbreitet und die meisten sind sofort darauf angesprungen.

Zu Hause hatte ich mir ausgemalt, Shiz wird MEIN Weg zum Erfolg, zu Ruhm und Ehre. Mein soziales Ansehen – so dachte ich – wird noch um einiges steigen, wenn ich bei Akaber Unterricht bekomme.

Und dann hat sie dich ausgewählt, anstelle von mir und ich musste mir das Zimmer mit dem unbeliebtesten Mädchen der ganzen Universität teilen.

Erst dachte ich, mein ganzer sozialer Status sei ruiniert, denn das war das Einzige, worum ich mich damals sorgte. Doch dann fand ich einen Weg, der mein Ansehen eher steigerte, als senkte und das war schlicht und einfach: mitziehen.

Wenn einer ein schlechtes Wort über dich sagte, musste ich nur lachend zustimmen und irgendeine Anekdote über dich erzählen. Wenn man über dich lästerte, musste ich nur nickend lächeln und man hat mich bemitleidet.

Aber so schlimm, wie du damals vermutet hast, fand ich dich gar nicht. In Anbetracht meiner damaligen Prinzipien und Wunschvorstellungen hatte ich nur keine andere Wahl und musste vorgeben, dich zu hassen, um nicht … na ja, selber verachtet zu werden.“

Elphaba hatte die ganze Zeit schweigend zugehört und fragte nun etwas erstaunt: „Du hast mich also nie wirklich gehasst?“

„Nein, ich hatte ja auch keinen wirklichen Grund dazu. Wie gesagt, ich war einfach nur sauer, dass du mir die Show gestohlen hast, aber der Rest ging nicht von mir, sondern von meinen sogenannten ‚Freunden’ aus…“

„Donnerwetter! Ich war da immer andere Überzeugung!“

„Was ist denn mit dir?“

„Wie meinst du das?“ Elphaba zog ihre linke Augenbraue in die Höhe.

„Nun, warum hast du mich gehasst?“, wollte Glinda nun wissen.

Sie saß im Schneidersitz zu Elphie gewandt, während die Hexe mit ausgestreckten Beinen in Richtung See dahockte.

„Ich habe dich nicht gehasst…“, begann sie ruhig, „… ich fand dich einfach nur unausstehlich!“

Glinda lachte: „Ist das nicht das Gleiche?“

„Oh nein… Hass würde viel weiter gehen.“

„Gut, dann formuliere ich das anders: Wieso hast du mich unausstehlich gefunden?“

„Du warst… oberflächlich, blond und blöd.“

Elphaba wandte ihren Kopf und sah, wie Glinda nun die Augenbrauen hochzog und ihr die Zunge rausstreckte.

Mit einem Grinsen auf den Lippen sprach sie weiter: „Wie eine Prinzessin bist du in Shiz empfangen worden und von den anderen ermutigt, hast du dich direkt über mich lustig gemacht. Damals habe ich mir nur gedacht: ‚Hoffentlich siehst du diese flache Persönlichkeit nur ganz, gaaanz selten…’. Du warst immer so besorgt darum, was andere von dir dachten oder hielten und das habe ich schon direkt in den ersten zehn Minuten festgestellt. Und als uns Akaber dann auch noch auf ein Zimmer gepackt hat, weil du dich ja ‚unfreiwillig freiwillig’ gemeldet hast, da war das Chaos nun wirklich komplett. Ich war das ja schon gewohnt, komisch von der Seite angemacht zu werden, doch ich glaube, insgeheim habe ich gehofft, in Shiz würde es anders werden. Doch dann stellte ich bald fest, dass du unser Zusammenleben eher zu deinem gesellschaftlichen Vorteil, wie du ja eben selber gesagt hast, ausnutztest und ich mir jegliche Art von sozialem Leben abschminken konnte.

Nach einiger Zeit habe ich mich dann mit dem Gedanken abgefunden und habe mich dann immer köstlich über dich amüsiert. Zum Beispiel, wenn du den Abend vorher immer eine halbe Stunde dafür gebraucht hast, dein Outfit für den nächsten Tag auszusuchen. Grundlegend hatte ich eigentlich nichts gegen dich.

Ich empfand eigentlich immer etwas Mitleid für dich, weil du dich so sehr für die Gesellschaft verbogen hast. Oder glaubst du, ich hätte es nachts nicht gehört, dass du so manches Mal in dein Kissen geweint hast?

Ich hatte nie wirkliche Freunde und auch keine Erfahrung darin, was es heißt, so akzeptiert zu werden, wie du bist. Aber ich nahm immer an, dass du zu Hause diese Erfahrungen gemacht hast. Und in Shiz liefen ja beinahe nur verwöhnte Individuen herum. Da konnte niemand ehrlich behaupten, dass er den anderen mit all seinen Mankos akzeptierte und ihn dann auch noch ‚Freund’ nannte.

Ich ging immer davon aus, dass du genau das vermisst hast: dieses Gefühl, auch mal aus der Reihe fallen zu können, ohne, dass man dich direkt verurteilt.

Für oberflächlich und geistlos habe ich dich immer gehalten…“

Als Elphaba eine kurze Pause machte, harkte Glinda nach: „Und wann hat sich das geändert? Als ich Nessa und Boq verkuppelt habe?“

„Nein!“, Elphaba lachte. „Schon viel früher. Erinnerst du dich an deinen ersten, großen Streit mit deinen beiden High-Society-Freundinnen?“

„Den Streit habe ich auch nach all den Jahren noch nicht vergessen!“ Die blauen Augen zwinkerten vergnügt. „Und dabei ging es um so ein banales Thema!“

„Darum ging es bei euch doch immer, Glinda. Das musst du schon zugeben.

Aber egal. Es war auf jeden Fall dieser Abend, an dem du mich sehr überrascht hast. Ich lag auf dem Bett und habe irgendein Buch über Religion gelesen. Ich glaube, du hattest ‚Untersozialisierung’ – sofern das überhaupt existiert. Ich war ja erstmal ganz perplex, dass du mit mir gesprochen hast. Du hast mich mal nicht gefragt, ob ich bitte das Licht ausmachen könnte, weil du schlafen willst.

Du hast mich gefragt, warum ich immer lese und was ich da lese. Ich dachte, es interessiert dich eh nicht, aber als ich dir die Ansicht des Autors über die Religion erklärt habe, da hast du mich wirklich etwas sehr Intelligentes gefragt. Ich war so überrascht, weil ich selber noch nicht über die Frage nachgedacht hatte. Was es genau war, weiß ich heute nicht mehr. Aber ich weiß, dass ich da zum ersten Mal gemerkt habe, dass eine ganz andere Galinda hinter dem Bild steckt, welches du den anderen damals gezeigt hast.“

„Ich weiß noch, was du damals zu mir gesagt hast!“, kicherte Glinda. „Du meintest ganz erstaunt: ‚Sie denken, ja, Miss Galinda. Sie DENKEN!’ … Und ich weiß auch noch, dass ich total stolz war, im ersten Moment, doch als ich mich dann später mit Milla über das Thema unterhalten wollte, hat sie sich darüber lustig gemacht, was du nicht alles für bescheuerten Kram liest.“

„Tja ja…“, seufzte Elphaba lächelnd, „… und so kam eines zum anderen. Danach haben wir uns ja auch schon etwas mehr unterhalten und auch oft diskutiert. Aber die meiste Zeit haben wir uns dann doch gegenseitig geärgert. Und das hat mir wirklich Spaß gemacht. Ich fand es nur immer schade, dass du mich nie in der Öffentlichkeit grüßen konntest. Ich habe mich auch nie getraut dir zu sagen, dass ich die echte Galinda viel lieber mochte, als das Vorzeigepüppchen.“

„Von dir habe ich gelernt, meine Meinung anständig zu vertreten, ohne zu weinen oder zu schmollen…“, grinste Glinda.

Elphaba erwiderte das Lächeln: „Na wenigstens hast du etwas von mir gelernt… Aber ja, du hast schon recht. Die Sache mit Nessa und Boq war ja mehr oder minder der Grundstein für mein beginnendes soziales Leben. Damals erzählte mir Nessa ganz stolz, was du für sie getan hast. Sie warf mir vor, ich würde dich hassen. Ich würde dich ohne Grund hassen, sagte sie. Du seist ja so toll und wegen dir wäre sie nun endlich glücklich.

Weißt du, ich habe mich um Nessa gekümmert, seitdem sie klein war und zwar, weil ihre Behinderung meine Schuld war. Das habe ich dir ja auch damals erklärt. Ich weiß zwar nun, dass ich nicht wirklich die Schuldige war, aber damals fühlte ich mich eben so. Nie zuvor hatte ich Nessa so glücklich gesehen wie an diesem Abend und darum war ich dir auch einfach nur dankbar dafür.

Auf der einen Seite war ich es leid, immer zu ihren Diensten zu stehen und mir ihr launenhaftes Wesen anzutun. Doch wenn Boq und Nessa zusammen wären, so wusste ich, wäre sie überglücklich und ich wäre von ihr erlöst. Nicht, dass ich Nessa nicht geliebt habe, aber dieses Magd-Dasein für sie war schon oft sehr Kräfte zerrend.

Darum war ich dir auch sehr dankbar und dachte: ‚Hey, wow! Galinda ist ja doch keine so große Egoistin!’ und darum bin ich dann einfach zu dir gekommen, um dir zu danken…“

„Und dann habe ich dir diesen füüürchterlichen Hut geschenkt!“ Glinda machte ein Gesicht, welches mit mehr Ausdruck von Reue nicht hätte beladen sein können.

„Ach? Ich dachte, der steht mir so gut?!“, lachte Elphaba, winkte dann jedoch ab. „Nein, nein. Schon verstanden. Aber sag mal, wieso hast du mir denn erst diesen Hut geschenkt, um mich zu blamieren und hast dich dann freiwillig mitblamiert?“

„Hach, so einfach war das gar nicht…“, murmelte Glinda, in Erinnerungen versunken. Vor ihrem inneren Auge kniffen Milla und SchenSchen sie wieder ermutigend in die Seite, kurz bevor Elphaba aufgetaucht war.

Bevor sie jedoch zu träumen begann, sah sie in Elphabas dunkle Augen und schmunzelte: „Kurz bevor du zu mir gekommen bist, haben Milla, Schen und ich uns für die Party vorbereitet und Milla, wie immer neugierig, durchwühlte meine Sachen und fand diesen… Hut. Sie haben mich beinahe schon dazu gedrängt, ihn dir aufzuschwatzen. Die beiden haben echt nichts und niemanden ausgelassen, über den man sich lustig machen konnte! Ich wollte ihn dir auch zuerst nicht geben, doch sie haben mich dann überredet und ich habe ihn dir angedreht.“

„Und ich habe deine Freundlichkeit und dein Zuvorkommen für bare Münze genommen“, sagte Elphaba trocken.

„Nicht zu vergessen meine Komplimente!“, ergänzte Glinda grinsend. „Dabei hätte ich mir am liebsten bei dem Satz „Schwarz ist das diesjährige Pink!“, die Zunge abgeschnitten!“

Nun lachten beide Frauen laut auf.

„Und wieso hast du deine Meinung dann auf einmal geändert?“, fragte Elphaba neugierig, nachdem sich beide beruhigt hatten.

„Sag du mir lieber erstmal, warum du Makaber dazu gebracht hast, mich doch in ihrem Zauberkurs aufzunehmen?!“, konterte Glinda zwinkernd.

„Nicht fair!“, wehrte Elphaba ab. „Keine Gegenfragen erlaubt!“

„Na die gilt aber noch, schließlich habe ich von der Regel erst gerade erfahren. Sonst hätte ich früher gefragt!“, kicherte die Zauberin.

„Wer es glaubt!“, brummte die Hexe und gab sich geschlagen: „Ich hatte an diesem Abend zum ersten Mal das Gefühl, dass du mich wirklich magst. Oder sagen wir: akzeptierst. Du hast mir ein Geschenk gemacht. Ich hatte vorher noch nie ein Geschenk bekommen. Und dieses Geschenk war damals nur für mich ganz alleine.“

„Du hast noch nie ein Geschenk bekommen?“, fragte Glinda erstaunt dazwischen.

Elphaba schüttelte den Kopf: „Nein. Wozu auch? Das ganze Geld wurde ja an Nessaröschen ausgegeben. Auf jeden Fall hast du mir damit das Gefühl gegeben, endlich jemandem etwas zu bedeuten und jemand ganz besonderes zu sein. Du wusstest wahrscheinlich gar nicht, was dieser Hut für mich bedeutet hat.“

Sie sah Glindas Kopfschütteln und lächelte warm: „Siehst du, das dachte ich mir nämlich. Und dann war es auch noch etwas aus GALINDAS Kleiderschrank. Du hast nicht mal Ying und Yang persönliche Sachen von dir geschenkt und darum fühlte ich mich doppelt geehrt.“

„Wer ist denn Ying und Yang?“, fragte Glinda verwirrt.

„Na Milla und SchenSchen – auch bekannt als Galinda zwei und drei!“

„Achso!“, lachte Glinda aus vollem Halse.

„Und ich hatte eben dann auch das Bedürfnis, dir meine Dankbarkeit zu zeigen. Teils wegen Nessa und Boq, aber auch teils wegen mir selber. Du hast mir da zum ersten Mal Hoffnung gegeben, dass aus meinem Leben in Shiz doch noch etwas werden kann.

Also habe ich mir überlegt, was du dir am meisten wünscht. Ich wollte dir etwas schenken, was du dir nicht kaufen kannst, aber dir so sehr wünschst. Und da ist mir direkt der Zauberunterricht mit Akaber eingefallen. Ich wusste, sie würde alles tun, um mich zu behalten. Damals hatte ich zwar noch keinen Schimmer, wieso sie das wirklich so unbedingt wollte, aber das war auch nicht wichtig. Hauptsache, sie würde dich aufnehmen und darum bin ich auch auf ihre Bedingung mit dem Zauberstab eingegangen.“

„Wie? Bedingung?“

„Es war ihre einzige Bedingung damals: Sie würde dich nur unterrichten, wenn du mit einem Zauberstab zaubern würdest. Sie hielt dich für zu schwach, dass du es ohne einen Stab schaffst, aber heute glaube ich, dass sie einfach nur Angst hatte, DASS du es schaffen könntest. Und gewöhnt man sich das mit dem Stab erst einmal an, kann man diese Angewohnheit nach dem 21. Lebensjahr auch nicht wieder rückgängig machen.

Für Makaber war es also damals nur die Sicherheit, dass sie dich unschädlich machen konnte, wann immer es ihr in den Kram passte.“

„Das wusste ich ja überhaupt nicht!“ Glinda war erstaunt und starrte Elphie mit offenem Mund an.

„Wie denn auch? Sie hat es dir ja mit Absicht verschwiegen. Du hättest auch lernen können, ohne deinen silbernen Glitzerfummel zu zaubern!“

„Ich geb’ dir gleich silberner Glitzerfummel!“, fauchte Glinda und piekste Elphaba lachend in die Seite.

Diese schnappte sich schnell die bedrohliche Hand und machte Anstalten, in den zierlichen Zeigefinger zu beißen. Quietschend wackelte Glinda wild mit dem Finger herum und traf Elphaba an der Nase. Diese ließ sofort die Hand los und rieb sich lachen die brennende Stelle: „Autsch!“

„Selber Schuld!“, kicherte Glinda und strich noch einmal sanft über Elphabas.

Ohne jegliche Vorwarnung bekam diese Gänsehaut und schlug stotternd vor: „Wollen… wir nicht was spazieren gehen? Mir scheint, du brauchst Bewegung!“

„Jawohl, Coach!“, sagte Glinda ernst und brachte Elphaba erneut zum Lachen.

„Du spinnst!“, kicherte die Hexe, als sie aufstand und Glinda mit sich hoch zog.

„Manche Dinge ändern sich eben nie!“, grinste diese.

„Zum Glück!“, lächelte Elphaba zurück und ließ dann erst Glindas Hand los.

Als Elphaba der blonden Freundin ihr schönstes Lächeln schenkte, überkam Glinda plötzlich das Bedürfnis, die sonnengebräunten Wangen in ihre Hände zu nehmen und mit ihren Daumen sanft über die Lippen zu fahren.
 

Meredith blinzelte mit pochendem Herzen in das Licht. Es war so grell, dass sie gerade mal die Silhouette der Person ausmachen konnte.

Elanora jedoch saß an der Wand, in welcher sich auch die Tür befand und hatte exzellente Sicht auf den nun hellerleuchteten Mann, der im Türrahmen stand.

„Kwen!“, fauchte sie, als sie das petrolfarbene Haar ihres Kutschers erblickte. Seine gleichfarbigen Augen blickten in ihre Richtung und sie sah, wie ein hämisches Lächeln auf seine Züge trat.

Seine vier Ohrringe am linken Ohr funkelten im Licht.

„Elanora, was für eine nette Begrüßung!“, sagte er überaus freundlich. „Wie ich hörte, sind Sie gut angekommen. Ich wollte nur mal schnell nachschauen, ob Sie alles haben, was Sie brauchen.“ Als er abermals lächelte, wurde Elanora schlecht: „Sollte ich jemals hier heraus kommen und SIE laufen mir dann noch einmal über den Weg, so erbarme sich Oz, dass ich sie nicht…!“

Bevor sie den Satz zu Ende sprechen konnte, war Kwen mit einem Satz bei ihr, kniete sich nieder und legte seine rechte, kräftige Hand auf ihre Wangen und drückte fest zu, sodass sich ihr Mund zu dem eines Fisches formte.

Vor Schmerz stieß sie einen gurgelnden Laut aus, der tief aus ihrer Kehle zu kommen schien.

Gideon zog kräftig an seinen Fesseln und schrie: „Lassen Sie sie los! Lassen Sie los, verdammt noch mal!“

Die anderen Menschen in dem Raum schwiegen. Sie fühlten sich allesamt hilflos und Meredith kochte vor Wut. Besorgt warf sie im Licht einen Blick auf Reseda. Ihre Frau sah gar nicht gut aus. Ihr Blick war glasig und erst wusste Meredith nicht, wo sie hinsah. Doch dann erkannte sie, dass Resi ihr in die Augen blickte und Meredith formte ein lautloses ‚Ich liebe dich’ mit ihren Lippen.

Auf Resedas blasses Gesicht trat ein Lächeln, bevor sie ihren Blick auf Kwen richtete.

Der lehnte sich gerade nach vorne, bis seine Lippen Elanoras Ohr berührten.

Elanora konnte die Schmerzen kaum noch fühlen, die Kwens Hände in ihrem Gesicht verursachten. Sie konzentrierte sich stark auf den weißen Kragen, der sie an der Kehle berührte, um so die Qual auszublenden.

Reseda konnte fühlen, wie sich Elanors Hände verkrampften und sie betrachtete den Mann in dem grünen Hemd eingehend. Ihm standen Schweißperlen auf der Stirn und als sein orangefarbener Schal im von der Schulter rutschte, schien ihn das nicht zu interessieren.

Gideon konnte diese Szene kaum mit ansehen. Er fühlte die Schmerzen seiner Frau und seine Adern pochten wie verrückt an seiner Schläfe. Er versuchte zu hören, was dieser Dreckskerl seiner Frau ins Ohr flüsterte. Doch es gelang ihm nicht.

„Elanooora…“, begann Kwen ganz leise und nur für sie verständlich. „Elanora, wenn du jetzt noch ein einziges Mal dein dreckiges Waschweibsmaul aufmachst, ‚Liebelein’, dann setze ich dich bei der öffentlichen Hinrichtung deiner Tochter in die aller, aller, allerletzte Reihe und binde dich an der Bank fest, damit du nicht aufstehen kannst.“

Bei dem Wort ‚Hinrichtung’ riss Elanora geschockt die Augen auf und wimmerte. Kwen drückte fester zu und flüsterte weiter: „Glinda die Gehängte…“

Mit den Worten wich er von Elanora zurück und drückte ihren Kopf schwungartig zur Seite, bevor er ihre Wangen losließ. Sie knallte mit dem Hinterkopf gegen die Wand und stöhnte auf.

Als ihr ehemaliger Sekretär sich aufrichtete und sich in Richtung Orez drehte, spuckte Meredith im vor die Füße.

„Du warst schon immer eine Pfeife!“, fauchte sie.

Langsam drehte Kwen sich zu seiner Ex-Chefin um. Resedas Herz begann wild zu pochen, während Meredith den Mann verachtend ansah.

Als er sich etwas vorbeugte und ihr mit voller Wucht die flache Handaußenseite ins Gesicht schlug, verzog sie nicht mal eine Miene. Also wiederholte er das Ganze noch einmal mit der Handinnenseite auf der anderen Wange.

Als er sah, wie sich die Wangen der Frau mit ihren Haaren gleich färbten, richtete er sich schmunzelnd auf.

Meredith knurrte: „Und da rätselt man so lange, ob nun Handaußen- oder Innenseite. Wieso also nicht beides!“

Kwen hätte sich am liebsten hinunter zu ihr gebeugt und sie brutal auf den Mund geküsst, jetzt, wo sie sich nicht mehr wehren konnte. Aber er musste sich noch etwas gedulden und sagte: „Dich kriege ich noch. Warts nur ab. Mal sehen, ob du dann auch noch so eine große Klappe hast, Sappho!“

Meredith konnte nicht anders und fühlte, wie ihre Lippen lautlos die Worte ‚F… dich…’ bildeten.

Wut stieg in dem Mann auf, der sich doch in seiner Position so viel mächtiger als diese Frau fühlen musste. Aber selbst wenn sie am Boden lag und das wusste Meredith, war sie immer noch größer.

„Ich verstehe.“ In seinem Blick wich die Wut und ein klarer Ausdruck war stattdessen zu sehen.

Ohne Vorwarnung drehte er sich zu Reseda um, die erschrocken aufschrie. Er kniete sich vor sie und warf ihr Kleid nach oben, sodass ihr linker Oberschenkel entblößt wurde.

„Hier die ist doch auch ganz süß, nicht?“, fragte Kwen gehässig, als er über seine rechte Schulter Meredith aus dem Augenwinkel betrachtete. Sie regte sich kein Stück.

Doch als er demonstrativ seine rechte Hand an dem Schenkel ihrer Frau hochgleiten ließ und Reseda zu wimmern begann, hielt Meredith es nicht mehr aus: „Lass… sie … los…!“, hauchte sie atemlos.

Sie fühlte sich schrecklich. Mit ihr hätte Kwen alles machen können und sie wäre trotzdem mit erhobenem Kopf herausgegangen. Aber sich an ihrer Frau zu vergreifen? Was war das denn für ein unfaires Mittel.

Als Meredith sah, wie Kwen sie unverfroren anlächelte, seine Hand weiter auf dem Schenkel ihrer Frau in die Höhe glitt und diese mit den Tränen kämpfte, hoffte die Rothaarige ihn an seinem letzten Quäntchen Stolz packen zu können: „Unfaire Menschen spielen wohl auch mit unfairen Mitteln und ohne Regeln. Nicht mal den Mut hast du, mir persönlich gegenüberzutreten, Feigling!“

Ihr Herz pochte so laut und sie hoffte einfach nur, er würde endlich seine dreckigen Pfoten von ihrer Frau nehmen.

‚Bitte… Bitte…’, betete sie innerlich.

Es wirkte, ihr Plan ging auf.

Mit einem Geräusch des Verachtens stand Kwen auf und deutete mit seinem Zeigefinger auf seine ehemalige Chefin: „Wir beide, meine Hübsche, wir beide, haben gleich noch ein Meeting. Du und deine beiden Sekretäre. Freu dich schon mal. Das wird ein Fest!“

Als Meredith nichts erwiderte, ging er endlich weiter und blieb vor Orez stehen. Der Mann hatte seinen Kopf gesenkt und das violettfarbene Haar hing ihm im Gesicht.

Erst jetzt sahen die anderen in der Zelle, dass sein gelber Kapuzenpullover voll mit getrockneten Blutflecken war, die auch auf seiner Jeansjacke klebten.

„Orez!“, rief Kwen, „He, Orez!”

Erst, als Orez Kwens Fußspitze unter seinem Kinn fühlte, blickte er auf. „Was willst du?“, fragte er eintönig.

Der Mann mit den petrolfarbenen Haaren warf das Ende seines Schals wieder auf den Rücken, als er sich bückte und Orez die Fesseln abnahm.

„Steh auf und kommt mit, ohne Spielchen! Du wirst draußen erwartet!“

Orez nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Er sah, dass Elanora, Gideon, Meredith und Elaine ihn aufmerksam beobachteten. Reseda schluchzte leise auf der Schulter von Glindas Mutter.

Kwen packte den etwas kleineren Mann zur Vorsicht streng am Arm und führte ihn ohne ein weiteres Wort zur Tür raus, welche schwer und lautstark ins Schloss fiel.

„Ela, wie geht es dir?“ „Resi, ist alles okay?“ „Was um alles in Oz soll denn das?“, kam es gleichzeitig aus den Mündern von Gideon, Meredith und Elaine.

Letztere hörte, wie die Schlösser an der Tür wieder verriegelt wurden, während Gideon und Meredith auf ihre Frauen einredeten, die beide versicherten, ihnen ginge es den Umständen entsprechend gut.

Nach längerem Schweigen unterbrach Reseda mit dünner Stimme die Stille: „Mer?“

„Ja?“, kam es aus der anderen Ecke.

„Elaine?“

„Hier!“

„Ich glaube…“, setzte Reseda nun mit gedämpfter Stimme an, „… dass Orez mit in der ganzen Sache drinsteckt.“

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte ihre Frau verblüfft und fügte dann hinzu: „Halt, warte! Er war doch die ganze Zeit…“

„… mit Ramón zusammen!“, ergänzte Elaine.

„Entweder hat er sich jetzt gegen ihn gewendet oder er sitzt aus gutem Grund hier bei uns…“, schlussfolgerte Resi und damit sprach sie genau das aus, was alle dachten...

Ganz erschrocken über ihr Verlangen wandte Glinda sich von der Freundin ab und ging leicht errötend ein paar Schritte voraus.

‚Nicht schon wieder! Das passiert nicht schon wieder!’, ermahnte sie sich in Gedanken und hörte Elphabas Worte: „He, Blondi, warte doch auf mich!“

„Na bei dem Spitznamen muss ich mir das aber noch einmal gut überlegen!“, meinte Glinda frech, als Elphie sie eingeholt hatte.

Die beiden Frauen schenkten sich gegenseitig ein einfühlsames Lächeln. Sie genossen es sehr, dass sie noch so lustig miteinander umgehen konnten, vor allem nachdem, was alles geschehen war.

Elphaba jedoch ahnte, dass es auch weniger erfreuliche Aspekte in diesem Gespräch geben würde. Nicht mal annährend war der Großteil ihrer Fragen geklärt worden und sie wusste, dass Glinda wohl mehr Nachfragen hatte.

In beiden Frauen stieg ein warmes Kribbeln auf. Es war das erste Mal nach einer scheinbaren Ewigkeit, dass sie sich so gegenüber standen und den Blick in die wundervollen Augen der anderen hielten.

Es war Elphaba, die zuerst nachgab. Räuspernd löste sie sich aus dieser unbeschreiblichen Situation und ging langsam weiter. Glinda folgte ihr und hörte, wie sie mit einem Grinsen auf den Lippen fragte:

„Bekomme ich jetzt auch eine Antwort auf meine Frage?“

Es dauerte etwas, bis Glinda wusste, wovon Elphaba sprach: „Du meinst die Sache mit der Ozkothek?“

Das rabenschwarze Haar wippte mit dem Nicken mit.

„Warum ich mich freiwillig mitblamiert habe…“, murmelte Glinda vor sich hin, als müsste sie erst noch über die Antwort nachdenken.

Dann begann sie leise zu reden, als sie neben der Hexe herschlenderte: „Wir waren gerade auf dem Weg zur Ozkothek, als Akaber mich abfing und mir meinen Zauberstab… Trainingsstab in die Hände drückte. Ich war so froh, endlich meinen Willen bekommen zu haben, doch als sie mir erzählte, dass du der Grund dafür seist, da wurde mir plötzlich ganz anders.

Als ich nach Shiz gekommen bin, verstand ich nicht wirklich viel vom Leben. Ich war immer gut behandelt worden und mir ist vorher kaum ein schlechtes Wort entgegenschlagen. Erst, als ich dich kennen gelernt habe, habe ich auch erfahren, wie grausam manche Menschen sein können.

Als wir uns dann etwas besser kennengelernt haben, habe ich auch mich selber besser kennengelernt. Ich habe angefangen, viele Dinge zu hinterfragen, die ich vorher ohne zu überlegen einfach so akzeptiert habe. So zum Beispiel die ‚Freundschaft’ zu… Ying und Yang!“

Glinda kicherte, Elphaba streifte sie mit einem Seitenblick und lächelte amüsiert.

„Jedenfalls bekam ich immer mehr das Gefühl, dass ich diese aufgesetzte Welt so nicht mehr ertragen kann. Ich wollte mich ausdrücken. Meine Individualität ausleben und nicht das Ergebnis einer Massenproduktion sein. Freiwillig hatte ich mich all dem angeschlossen und war die Königin der Beliebtheit in Shiz. Aber um das auch zu bleiben, wurde einiges von mir abverlangt. Ich musste immer das tun, was alle anderen toll fanden.

Du hast mir damals – ohne es zu merken – gezeigt, dass es auch anders geht und das es vor allem wichtig ist, sich selber treu zu bleiben. Ansonsten ist es schwer, nachher noch zu erkennen, wer man selber eigentlich ist.

Über das alles habe ich damals nachgedacht, als Akaber mir den Zauberstab gegeben hat.

Am Anfang konnten wir uns nicht ausstehen und ich war meistens nur gemein zu dir. Dann habe ich dir den Hut geschenkt, was dich eigentlich gar nicht hätte so freuen sollen. Aber das hat es nun mal doch getan und ich war überwältigt, dass du mir meinen sehnlichsten Wunsch zu dieser Zeit erfüllt hast.

In dem Moment habe dich erkannt, dass es Menschen in meiner Nähe gibt, die mich nicht nur aufgrund meines Aussehens oder meiner Herkunft schätzen. Sondern es gab Menschen – wie dich – die mich so akzeptiert haben, wie ich war und… mich trotzdem mochten!“

Bei diesen Worten kicherte Glinda erneut und stupste mit ihrer Schulter gegen die von Elphaba.

„Und dann … als du dann wirklich mit dem Hut auf dem Kopf gekommen bist und alle gelacht haben, da hast du mir erst total leid getan. Ich hatte so ein schlechtes Gewissen! Du hast so etwas wundervolles für mich gemacht und ich dankte dir so dafür. Ich fühlte mich einfach nur schrecklich.

Eigentlich hatte ich gedacht, du läufst weg und redest nie, nie wieder ein Wort mit mir. Aber was hast du gemacht… Du bist auf die Mitte der Tanzfläche gegangen und hast getanzt. Mit dem Hut auf dem Kopf. Ich weiß ganz genau, Elphaba, dass dich das alles damals nicht kalt gelassen hat, aber du hast es nicht gezeigt.

Und da musste ich einfach zu dir gehen und mit dir mitmachen… Und allen zeigen, dass ich dich mochte.“

„Warum?“, fragte Elphaba nun ruhig, die die ganze Zeit geschwiegen hatte.

„Weil… Ich weiß es nicht!“, seufzte Glinda. „Vielleicht weil… Weil das einzige Mädchen, was ich an der ganzen Schule bewunderte, dort alleine auf der Tanzfläche stand und ausgebuht wurde. Vielleicht, weil ich allen anderen zeigen wollte, dass ich auch denken und diskutieren kann – über gescheite Dinge. Vielleicht weil ich wusste, wie du wirklich bist und weil ich wusste, wie ICH eigentlich wirklich sein kann und du mich in dem Moment dazu gebracht hast, es allen zu zeigen. Ich wollte nicht mehr nur ‚Ja und Oz zum Gruße’ sagen.

Vielleicht aber auch einfach nur aus dem Grund, weil du mich vom ersten Moment an in deinen Bann gezogen hast, Elphaba!“

Als ein zarter Schauer über Elphies Rücken lief, drehte sie ihren Kopf zu Glinda und fragte: „Wie meinst du das?“ Aus irgendwelchen Gründen hatte Elphaba das große Bedürfnis danach, Glinda zu berühren. Sie wusste nicht, woher das alles so plötzlich kam und versuchte krampfhaft, dies alles zu unterdrücken.

„Ephie, das kannst du dir doch wohl denken. Du warst nicht nur grün und ehrlich, nein, du hast alle Menschen um dich herum sofort in deinen Bann gezogen, weil du eben so anders warst. Nicht nur aufgrund deiner Hautfarbe, sondern auch weil du weder verwöhnt, noch vorlaut oder gar eingebildet warst. Viele Leute in Shiz hätten sich gerne eine Scheibe von dir abgeschnitten oder dich als Freundin gehabt. Aber weil das niemand haben konnte, hat man sich zusammengetan und lieber auf dir herumgehackt.

Der Mensch tendiert dazu, immer das haben zu wollen, was er nicht kriegen kann und wenn er das einsieht, macht er es lieber schlecht, damit er so verarbeiten kann, dass er seinen Willen nicht bekommen hat.“

Elphaba sah ihre Freundin anerkennend an. ‚Wie sie sich verändert hat…’, gingen ihr die Gedanken durch den Kopf, als sie sich an Galinda – „Mit GAA“, erinnerte.

„Was lächelst du denn jetzt so?“, hörte sie die blonde Schönheit fragen, was Elphie wieder zurück in die Wirklichkeit holte.

„Ich habe gerade nur darüber nachgedacht, wie sehr du dich verändert hast. Von Gaaalinda…“, Elphaba betonte den ersten Vokal mit Absicht sehr laut, was Glinda zum Lachen brachte, „.. über Glinda die Gute zu … Glinda. Ich glaube, Meredith hat dir sehr gut getan.“

„Du kennst sie?“, fragte Glinda erstaunt.

„Oh, man hört so einiges. Aber sie hat auf mich immer einen sehr kompetenten Eindruck gemacht. Wenn man sie nur schon bildlich sieht, bekommt man ja Respekt vor ihr!“

Elphaba grinste.

Plötzlich blieb Glinda stehen und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund: „Meredith!“, hauchte sie weinerlich.

Elphabas linke Augenbraue schob sich in die Höhe, während die rechte Braue sich senkte: „Glinda?“

„Oh Oz, ich habe keine Ahnung, was mit Meredith und Reseda ist! Oh nein, sie sind…“

„Wer und was?“, fragte die Hexe verwirrt. Sie konnte es nicht leiden, wenn man so schnell einfach das Thema wechselte, aber Glinda schien wirklich besorgt zu sein. Also riss sie sich zusammen, um nicht verärgert dreinzuschauen.

„Mer und Resi! Sie waren auch auf dem Ball! Und schließlich…“

„Moment mal. Glinda, wer ist Resi und was für ein Ball!“

Auch wenn Elphaba sich bemühte, hörte Glinda den Unterton in ihrer Stimme und versuchte sich zu konzentrieren: „An dem Tag als du mich gerettet hast – vorgestern also – da waren wir alle auf einem Feiertagsball. Reseda oder auch Resi ist Meredith’s Frau und sie waren…“

„Meredith ist doch aber auch eine Frau?“, jetzt war Elphaba sehr verwirrt.

„Ja, sie sind das erste offizielle Sappho-Paar in der Geschichte Oz’s.“

Elphaba sog zischend die Luft ein: „Oh.“

„Und ich glaube – also es wäre ja denkbar und auch logisch, wenn Ramón und seine Leute auch Meredith ausgeschaltet hätten. Nur habe ich keine Ahnung…“

„Glinda…“, setzte Elphaba an und legte ihren rechten Arm um die Schulter ihrer Freundin, „Ich weiß, was ich jetzt von dir verlange ist schwierig, aber lass uns darüber doch erst gleich sprechen. Wir müssen chronologisch vorgehen, denn nur so bringt man Licht ins Dunkle. Du kannst auch nicht mit einer Kerze ein Streichholz anzünden – das funktioniert nur andersherum!“

Noch aus Shizzer-Zeiten war Elphaba daran gewöhnt, Glinda manche Dinge mit bildhaften Vergleichen zu erklären. Sie hatte damals einiges ausprobiert und war zu dem Ergebnis gekommen, dass man Glinda am Besten mit Metaphern helfen konnte.

„Oder man ist eine Hexe. Dann braucht man noch nicht mal einen Zauberstab!“, seufzte Glinda und versuchte, ihre wirren Gedanken über das erst vor kurzem Geschehene hinten anzustellen.

„Auch Hexen können es nicht alleine schaffen, Licht ins Dunkle zu bringen!“, lächelte Elphaba sanft und ließ Glindas Schulter los.

Diese jedoch griff mit ihrer linken Hand nach der rechten von Elphie und umschloss sie sanft.

Elphaba sah erstaunt auf und blickte dann wieder auf die beiden Hände, die sich gegenseitig umschlossen.

„Weißt du…“, begann sie kaum hörbar, „… als du damals in der Ozkothek meine Hand genommen hast… da habe ich… mich einfach nur glücklich gefühlt.

Immer wenn ich Menschen sah, die Hände haltend an mir vorübergingen, sah ich sie immer als zusammengehörig. Ich sagte mir dann immer: „Aha, Die beiden gehören zusammen!“ Und dann hast du ohne Vorwarnung vor all den Menschen meine Hand in deine genommen und nicht mehr losgelassen. Ich war total überwältigt, aber es hat sich gut angefühlt.

Es war so, als würde sich endlich mal jemand zu mir bekennen.“

„Wie meinst du das denn?“, fragte Glinda erschrocken. Die beiden Frauen gingen wieder in langsamen Schritt weiter und Glinda hielt noch immer Elphabas Hand in der ihren, jedoch ohne die Finger ineinander verflochten zu haben.

„Ich habe mich mein ganzes Leben als Sonderling betrachtet – meine ganze Kindheit lang hat man mir das vermittelt.“, begann Elphaba. „Selbst mein eigener Vater hat nie – nicht ein einziges Mal den Satz gesagt: „Ja, das ist meine Tochter.“ Nessa hat nie gesagt: „Das ist meine Schwester.“ Alle haben sie es immer so gut es ging vermieden, mich als dazugehörig anzusehen. Also… verstehst du was ich meine?“, etwas verzweifelt sah Elphaba in die eisblauen Augen, „Es gab nie jemandem in meinem Leben, der vor anderen Menschen zugegeben hat: Seht her, ich kenne sie. Seht her, ich mag sie. Seht her, wir gehören zusammen. Nie… Bis du gekommen bist. Und deswegen hat mir das damals auch so viel bedeutet…“

Als Elphabas Blick sie fragend ansah, nickte sie zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. Glinda fand es grausam, was sich alles in Elphabas Kindheit abgespielt, oder vielmehr NICHT abgespielt hatte… ‚Ich hatte ja keine Ahnung…’, dachte sie benommen. Natürlich konnte sie sich schon immer denken, dass Elphies Kindheit keine so wundervolle gewesen war, aber nie Geschenke oder öffentliche Zuneigung? Das konnte die Zauberin nun wirklich kaum glauben, denn sie hatte ganz andere Erfahrungen gemacht.

Elphaba seufzte und senkte den Kopf ein wenig, als die Erinnerungen an ihre Kindheit über sie hereinbrachen.

Es war in diesem Moment, als Glinda erkannte, dass ihre Freundin eine ganz andere Wahrnehmung hatte, als sie selber. Es erschien doch nur logisch, dass eine solch – für Glinda – normale Handlung, wie eine Freundin an die Hand zu nehmen, jemanden wie Elphaba so sehr berührte. Jemanden, der so etwas nicht kannte.

Mit einem leisen Seufzer erkannte Glinda, dass in diesem Gespräch noch vieles klar werden würde, was damals für die eine oder eben die andere nicht in den Zusammenhang gepasst hatte.
 

Als Fiyero Madame Akabers Nicken sah, lächelte er zufrieden und zog sich mit den Worten: „Sehr gut!“ sein Strohhemd zurecht.

„Ich stehe also nun ganz zu Ihren Diensten!“, fügte er hinzu.

Madame Akaber war schon immer dafür bekannt gewesen, eine Sache immer mehrmals zu prüfen, bevor sie eine Schlussfolgerung zog.

„Das habe ich schon angenommen!“, begann sie und sprach nach einem kurzen Lächeln weiter, „Nur eines noch, Fiyero.“

„Ich höre?“

„Was hat die Hexe dir über diese Nacht erzählt? Was ist passiert? Was weißt du?“

Der Scheuch nahm an, es wäre unklug, sie nun schon zu fragen, ob sie sich an etwas erinnerte. Sie würde ihm ohnehin keine Antwort darauf geben.

Also erzählte er ihr genau das, was Elphaba ihm vorher berichtet hatte. Er erzählte von dem Zauberbann, der anscheinend auf der Smaragdstadt gelegen hatte, dann von Ramón und dem anderen Mann. Daraufhin beschrieb er mit Elphabas Worten, was sie in Glindas Zimmer mit dem Pokal getan hatte, woraufhin der Zauberbann gebrochen wurde. Wie sie mit Glinda geflohen war und wie sie herausgefunden hatte, dass Akaber einen Sohn haben musste. Zum Schluss erwähnte er kurz, wie sie sich vor dem Regen und dem Erkannt werden geschützt und was für anschließende Gedanken sie sich zu der ganzen Situation gemacht hatte.

„Komplett schwarz, was?“, murmelte Akaber vor sich hin.

In ihrem Kopf spielte sich die Szene in Glindas Zimmer immer und immer wieder ab. Sie drehte sich um und sah für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen einer schwarz-vermummten Person. Und dann wurde wieder alles schwarz.

Immer und immer wieder ging sie diese Szene durch: Sie drehte sich um – alles schwarz. Sie drehte sich um – alles schwarz. Sie drehte sich um –

„… im Ballon!“, fluchte sie plötzliche, als sie begriff, dass ihr Erinnerungsvermögen noch zu schwach war, um diese Szene detaillierter betrachten zu können.

Fiyero hatte die Zeit über geschwiegen. Es war noch nie klug gewesen, Accursia Akaber bei irgendetwas zu stören – am wenigstens dann, wenn sie nachdachte. Also hatte er sich still auf die Fensterbank gesetzt und sie seitlich beobachtet.

In regelmäßigen Abständen hatten sich ihre Hände verkrampft und nun pochte eine große Ader an ihrer rechten Schläfe.

„Ich glaube, ich gehe besser…“, bot Fiyero an.

Madame Akaber, erst verwirrt, fing sich wieder und sah dem Scheuch direkt in die Augen: „Heute werde ich mich noch ausruhen. Morgen geht es dann los. Eigentlich sollten die Zeremonien schon heute vorbei sein. Wir beide müssen uns aber auch noch darüber unterhalten, wie es weiter geht! Viel Zeit bleibt uns nicht!“

Fiyero nickte, wusste aber nicht, ob er etwas erwidern sollte.

„Wir können nicht riskieren, dass sie unsere Pläne durchkreuzen. Wir müssen den beiden zuvorkommen!“, hörte er Accursias Worte.

Erst da fiel ihm noch etwas wichtiges ein: „Madame Akaber, was ich eben vergaß: Die Hexe ist sehr schwer verletzt aufgrund Ihres – nun, ich nehme einfach mal an, dass es Ihrer war – Wetterzaubers. Zudem ist Glinda weggelaufen und die Hexe sucht sie nun. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis wir etwas vor ihnen zu befürchten haben. Ich sage es sehr ungerne, aber ich glaube, dass dieser Tag kommen wird, wenn wir nicht vorher eingreifen.

Mir schien, als sei Glinda sehr enttäuscht oder wütend gewesen. Aber das jetzt fällt mir noch schwerer zu sagen: So wenig ich es den beiden auch gönne, werden sie einen Weg finden, die Sache gemeinsam durchzustehen. Aber für uns bedeutet das, wir müssen warten, bis sie wieder vereint sind. Dann können wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen!“

„So sehe ich das auch! Guter Einwand. Dennoch müssen wir noch genaustens absprechen, wo wir unsere Truppen hinschicken müssen, ob du mitgehst und so weiter und so fort… Noch sehr viel, wie gesagt. Ich bitte dich, geh jetzt zu Londaro und kläre die ersten Fragen mit ihm. Er ist Gardehauptmann.

Ramón hat zu viel zu tun im Moment. Die mächtigen 5 müssen sich morgen versammeln.“

„Die mächtigen… wer? Wozu?“

„Morgen früh werde ich mein Amt offiziell antreten und das vor halb Oz. Und nun geh!“, sagte Accursia Akaber bestimmerisch und ohne weitere Erklärungen. Mit einem unvorstellbarem Glänzen in ihren grauen Augen, verstärkte sie diesen Befehl durch eine türweisenden Handbewegung.
 

Nach etwas längerem Schweigen, weil Elphaba in Gedanken versunken schien, brach Glinda endlich die Stille. Sie hielt es für ratsam, ihre Freundin nicht so weit in ihre Gedanken abrutschen zu lassen.

„Halten wir also fest: Ich habe mich nicht ‚mitblamiert’, sondern ich habe auf meine innere Stimme gehört und in dem Moment, wo ich es tat, wusste ich, dass es die einzig richtige Entscheidung war!“, sagte sie mit Nachdruck und drückte Elphies Hand.

Diese lächelte und sagte leise: „Das hast du süß gesagt.“

Glinda hatte sich schon die ganze Zeit über Elphabas Offenheit gewundert: „Elphie, du hast dich aber auch sehr verändert. Früher hättest du mich nie einfach so umarmt oder mir… so deine Empfindungen offenbart.“

Elphaba sah aufmerksam in die funkelnd blauen Augen und schüttelte nur leicht den Kopf: „Ich habe mir vorgenommen, in diesem Gespräch absolut ehrlich zu sein und all’ das zu sagen, was dir und mir hilft, die ganzen Dinge besser zu verstehen … oder überhaupt zu verstehen. Es war schwer für mich, meinen Kopf auszuschalten und wenn ich aufrichtig bin, muss ich zugeben, dass es mir nicht ganz gelungen ist. Aber ich bemühe mich sehr.“

Glinda konnte nicht anders und musste schmunzeln. Elphaba war immer der sogenannte ‚Kopf-Mensch’ gewesen und in ihrer gemeinsamen Zeit war es sehr, sehr selten vorgekommen, dass Elphaba Elea Thropp sich von ihrem Herz hatte leiten lassen.

Und jetzt erst, merkte Glinda, begann sie selber langsam zu verstehen, warum…

Noch immer hielt sie mit ihrer linken Hand Elphabas rechte, als sie kurz mit ihrer freien Hand über Elphabas Arm strich

„Und das machst du sehr gut!“, flüsterte Glinda sanft. Sie genoss Elphabas Offenheit sehr, aber sie war sich auch darüber im Klaren, dass dieser Zustand nicht ewig bestehen bleiben würde.

Also setzte sie, die chronologische Reihenfolge beachtend, so, wie Elphaba es gewünscht hatte, wieder an: „Da mein Gerechtigkeitssinn das nun von mir verlangt, gebe ich dir Möglichkeit, nun zuerst eine Frage zu stellen!“

Die Hexe grinste breit: „Hört, hört!“

„Oh, warte kurz!“, rief Glinda plötzlich aus, ließ die Hand aus ihrer eigene gleiten und wedelte dann mit ihren beiden Händen um ihre Nase herum. Elphaba kannte dieses Anzeichen und hielt sich demonstrativ die Ohren zu, um Glinda ein bisschen zu ärgern.

„HATSCHI!“ Das Echo von Glindas Niesen hallte wider und die Felswände warfen es unaufhörlich zurück, bis es langsam abebbte.

„Oooh…“, machte Glinda, als sie sich die Nase rieb, „Entschuldige.“

„WAS?“, sprach Elphaba etwas lauter. Sie grinste frech und hatte noch immer die Hände auf ihren Ohren.

„Versprich mir, dass du mich niemals mehr gehen lassen wirst!“, flüsterte Glinda beinahe tonlos.

Elphaba nahm neugierig ihre Hände von den Ohren, noch immer lächelte sie: „Hast du gerade etwas Gemeines zu mir gesagt?“

„Nein!“, lachte nun auch Glinda.

„Was dann?“

„Sag einfach: Ich verspreche es.“, Glindas Augen funkelten.

„Aber ich kann doch nichts versprechen, wenn ich nicht weiß, worauf ich mich da einlasse!“, meinte Elphaba argumentativ.

„Sagt dein Kopf!“, meinte die blonde Frau nun und fing schauspielerisch an zu schmollen.

„Punkt für dich!“, seufzte Elphaba schmunzelnd.

Glinda antwortete nicht. Sie stand ungefähr einen Meter von Elphaba entfernt und sah sie abwartend an. Der schmollende Ausdruck wich aus ihrem Gesicht und anstelle dessen trat ein scheinbar neutraler Ausdruck. Doch Elphaba dachte, sie würde eine Art große Zuneigung in Glindas warmen Blick erkennen.

Leise, aber dennoch klar und deutlich sagte sie: „Ich verspreche es.“

Glinda wollte es gar nicht, aber sie spürte, wie die Tränen über ihre Wangen rannen. „Oh Elphie…“, flüsterte sie und biss sich auf die Unterlippe.

Elphaba musterte die schöne Frau und erwartete eigentlich, dass sie sich gleich selber in die sonst grünen Arme kuscheln würde. Aber Glinda blieb, wo sie war.

Also trat Elphaba langsam auf sie zu und wischte ihr ohne darüber nachzudenken die Tränen von der Wange. Glinda versuchte mit zitterndem Kinn ein Lächeln auf ihre rosigen Züge zu bringen. Es gelang ihr nur halbwegs, was Elphaba zum erneuten Schmunzeln brachte.

Glinda hatte ihre Arme um den eigenen Körper geschlossen und unterdrückte den Impuls, nach Elphies Händen zu greifen und sich in ihre Arme zu schließen.

„Komm her, mein Mädchen.“, flüsterte Elphaba und hielt ihre Arme auf. Dann trat sie noch einen Schritt auf Glinda zu und legte ihre Arme auf den anmutigen Rücken und umschloss die Freundin sanft.

Diese Worte waren einfach aufgetaucht und sie hatte sie ausgesprochen, ohne zu wissen, was sie da sagte. Schnell verwarf Elphaba den Drang danach, diese Äußerung zu analysieren.

Nun löste Glinda ihre starre Haltung und umarmte ihrerseits Elphaba. Nach kurzer Zeit hörte sie die bekannte Stimme an ihrem Ohr: „Was ich dir auch immer versprochen habe, Glinda, ich werde es halten.“

Glinda ließ die warme Welle der Geborgenheit zu, die sich nun in ihrem Körper breitmachte. Als sie merkte, wie Elphaba sie sanft von sich wegdrückte, sah Glinda in die dunklen Augen.

„Ich werde es halten!“, versicherte die Hexe noch einmal und streckte dann ihren Hals, um Glindas Stirn zu küssen.

Als die sanften Lippen ihre Stirn berührten, schloss Glinda die Augen und seufzte leise. Sie suchte Elphabas Hände und drückte sie kurz.

Dann umarmten sich beide noch einmal fest, bevor sie sich lächelnd ansahen.

„Du bist unglaublich!“, lachte Elphaba und Glinda hatte erst überhaupt keine Ahnung wovon sie sprach.

Doch als sie nachfragen wollte, hörte sie selber das laute Knurren ihres Magens.

Sie lösten sich voneinander und setzten ihren Weg schlendernd fort, schließlich wollten sie einmal um den ganzen See herumspazieren und über die Hälfte hatten sie schon geschafft.

Glinda fühlte, dass diese Situation gerade etwas in ihr verändert hatte. Es fühlte sich an, als wäre eine Tür geöffnet worden, aber sie wusste noch nicht, was genau sich in dem Raum dort hinter befand.

Elphaba ließ ihr jedoch keine Möglichkeit, ausführlich darüber nachzudenken: „Um die Gerechtigkeit nun auch walten zu lassen, würde ich gerne meine Frage stellen.“

Als Glinda ihre Freundin ansah, bemerkte sie ihr tiefernstes Gesicht und spielte mit: „Frau Thropp, Ihr Antrag ist genehmigt!“

Sie lächelten einander an, bevor Elphaba fragte: „Meine Frage lautet: Wieso haben Sie, Fräulein Glinda, damals versucht, mich von Kopf bis Fuß umzukrempeln?“

Glinda sah sie verwirrt an. Schon wieder wusste sie nicht genau, wovon Elphaba sprach.

Als die Hexe diesen Blick sah, warf sie mit beiden Händen ihre Haare zurück und äffte der damaligen Galinda nach: „Wusch wuuuuusch!“

Glinda brach in schallendes Gelächter aus und wehrte mit einer Handbewegung ab: „Ach, DAS!“

Als sich ihr Gekicher beruhigt hatte, sah sie Elphaba ernst an: „Warum.. ja, warum… Das ist wirklich eine gute Frage. Ich habe nie darüber nachgedacht, wenn ich ehrlich bin. Rückblickend würde ich vielleicht sagen, dass ich dir damals helfen wollte.“

„Helfen?“ Elphaba war entsetzt, „Was um alles in Oz hat dich dazu gebracht zu glauben, dass eine ‚galindafizierte’ Elphaba damit geholfen werden könnte?“

„Sei nicht so gemein!“, schmollte die blonde Schönheit, musste dann aber auch grinsen. „Du hast ja Recht. Und genau das habe ich auch nachher eingesehen. Aber ich wollte dir einfach die Möglichkeit geben, in die Welt der … Beliebtheit einzutauchen. Ich wollte, dass man dich in meinem Freundeskreis aufnimmt und du nicht mehr das desozialisierte Mädchen bist! Ich dachte im ersten Moment ernsthaft, es würde dir gut tun!“

„Mir…“, Elphaba lachte und konnte den Satz nicht zu Ende bringen.

„Naja, oder eher: deinem sozialen Status… Das wohl eher. Aber du hast mir ja dann auf deine charmante Art und Weise deutlich gemacht, dass du genau das nicht willst und auch überhaupt nicht brauchst. Und zwar aus dem Grund, weil du dann nicht mehr du gewesen wärst. Aber du bist immer noch du… Und das habe ich an dir damals schon sehr bewundert.“

„Naja…“, gab Elphaba zu, „Es war ja nicht so, als hätte ich es nicht probiert.“

„Wie?“, fragte Glinda nun verdutzt, „Wie meinst du das?“

„Nach deinem… Make-over oder was es auch immer war, habe ich mich mal in diesem ‚Gewuschel’ versucht, aber ich habe dann doch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgefunden.“

Glinda grinste breit: „Ich wusste gar nicht, dass ich einen solchen Einfluss auf dich hatte!“

„Hast!“, konterte Elphaba und Glinda drehte schnell ihr Gesicht in Richtung Sonne, damit ihre errötenden Wangen nicht auffielen.

„Wieso bist du damals eigentlich sofort aus dem Zimmer gerannt?“, fragte die noch immer leicht errötete Blondine aus heiterem Himmel und beide Frauen wussten, worum es ging.

„Sag du mir lieber mal, warum du nach dieser eindeutig missglückten Situation trotzdem zu mir gesagt hast, ich wäre eine Schönheit?!“

„Nein, nein!“ Glinda wedelte kichernd mit ihrem Zeigefinger vor Elphabas Nase herum: „Keine Gegenfragen erlaubt!“

„Wer hat diese dumme Regel bloß erfunden?“, kicherte nun auch Elphaba und gab dann auf: „Na schön. Du hast gewonnen…“

Als Elphaba über damals nachdachte, wusste sie genau, warum sie von jetzt auf gleich davongelaufen war. ‚Aber das kann ich Glinda nicht sagen…’, dachte sie errötend.

„Wow!“, hauchte die Frau neben ihr.

Elphaba sah sie aufmerksam an und war froh darüber, ihre Antwort noch etwas hinauszögern zu können.

„Was ist?“, fragte sie neugierig.

„Das ist das erste Mal, dass du errötest. Also… nicht erdunkelgrünst!“, grinste Glinda, noch immer etwas verblüfft.

„Ich… ahm… ja…“, lachte Elphaba dann und ihre Wangen färbten sich weiterhin rötlich.

„Wieso?“

„Wieso was?“ Elphaba stellte sich dumm.

Glindas Antwort wurde von einem Augenrollen begleitet: „Elphaba Thropp, tu nicht so, als würdest du nicht wissen, was ich meine! Du musst mir ohnehin antworten, also zögere es nicht länger hinaus!“

„Ich kann dir das wirklich nicht sagen…“, murmelte Elphaba und senkte ihren Kopf.

„Hallo, Kopfmensch!“, zwinkerte Glinda ihr zu und machte Elphie damit klar, dass ihre Reaktion unangebracht war. Schließlich hatte sie Offenheit und Ehrlichkeit versprochen.

„Du hast es so gewollt…“, meinte Elphaba aufgebend und warf dabei ihre Hände in die Luft. Ihr war nicht wohl in der eigenen Haut. „Du hast damals versucht, mein Äußeres so zu verändern, dass es in das gesellschaftliche Bild passte… So mit Ballkleid… und so weiter…“, murmelte die Hexe sehr unbeholfen und gestikulierte nervös mit ihren Händen. Ein Detail, welches Glinda nicht entging.

Seufzend sprach sie weiter: „Auf jeden Fall… hat die ganze Sache vorne und hinten natürlich nicht funktioniert und das war mir von Anfang an schon klar. Und ich glaube, dir auch. Mal ganz abgesehen davon, dass ich dir danach deinen zweiten Trainingsstab kaufen musste…“, sie lächelte Glinda amüsiert an, welche ihr Lächeln auf die gleiche Weise erwiderte, „… hat sich nicht wirklich etwas verändert. Doch am Ende hast du mich dann als ‚Schönheit’ betitelt. Dazu muss ich sagen, dass ich erstens – vorher noch nie ein solches Kompliment bekommen hatte und zweitens – darum auch nicht wusste, wie ich damit umzugehen habe.

Ich kannte solche Dinge nur, wenn sie ironisch gemeint waren, wie z.B. ‚Ach Elphaba, was leuchtest du heute wieder so schön…’. Das sagte Nessa immer zu mir, wenn sie mich ärgern wollte. Darum habe ich auch erst gedacht, dass auch diese Wertschätzung von dir eher spöttisch als ehrlich gemeint war….“

Glinda wollte erst etwas sagen und öffnete ihren Mund. Doch dann überlegte sie es sich schnell wieder anders. Aus irgendeinem Grund hatte Elphie es gerade schwer, ihre Gefühle zu äußern und noch wusste sie nicht warum. Glinda wollte jetzt nicht unterbrechen und damit riskieren, dass sie danach nichts mehr erfahren würde. Also schwieg sie.

„… Aber als ich dir dann in die Augen gesehen habe… da… Ich weiß nicht.“ Sie seufzte tief und sah Glinda endlich an, so schwer es ihr auch fiel. „In deinen Augen stand kein Spott. Nicht mal eine Spur von Ironie. Ich glaubte, wirkliche Achtung und Anerkennung in deinen Augen lesen zu können. Und da wurde mit plötzlich klar, dass du das völlig ernst meinst.

Ich musste in dem Moment einfach raus aus dem Raum – weg von dir, weil ich nicht glauben wollte… oder vielmehr konnte, dass du mich wirklich schön findest. Damals war ich einfach überwältigt, denn wenn man sein ganzes Leben lang vermittelt bekommen hat, dass man nur aufgrund seiner Hautfarbe gesehen wird… dann… kann man einfach nicht glauben, dass jemand so Besonderes wie du in einem mehr sieht, als nur die…“

„… Grünheit!“, ergänzte Glinda ruhig und nickte.

„Ja, oder so…“, seufzte Elphaba.

„Darf ich dazu jetzt etwas sagen?“, fragte die Blondine vorsichtig. Elphaba signalisierte ihr mit den Händen, fortzufahren.

„Ich muss zugeben, dass ich mir vorher auch nie die Mühe gemacht hatte, dich aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Du warst eben nur ‚Die Grüne’. Doch als unsere Freundschaft sich dann langsam ihren Weg bahnte, da lernte ich, auch mal unter der Oberfläche zu sehen. Genau das tat ich auch und damit meine ich nicht nur deinen Charakter, sondern auch dein Aussehen.

Als ich noch in meinen frühen jugendlichen Jahren war, hat meine Mutter mir einmal erklärt, dass Schönheit nicht nur das Äußere meint. Sie sagte, Schönheit sei das Equilibrium von einer inneren Charakterstärke, die positiv mit dem äußeren Erscheinungsbild verschmilzt und es so beeinflusst.“

Es amüsierte Elphaba ungemein, solche Worte aus Glindas Mund zu hören. „Du meinst also eine Art Gleichgewicht aus Charakter und Aussehen?“

Glinda nickte. Zumindest glaubte sie, dass ihre Mutter das so gemeint hatte…

„Deine Mutter meint also, es würde eine Interaktion zwischen Schönheit und Charakter bestehen? Und ohne das eine wäre das andere nicht vorhanden?“

„Oh, Elphie…“, Glinda zog eine Grimasse, „Equilibrium, Interaktion… Oz weiß, wovon du redest. Das kannst du mit meiner Mutter bei Gelegenheit mal diskutieren. Was ich jedoch eigentlich damit sagen wollte, ist, dass ich nicht nur deinen Charakter sehr schätze, sondern auch dein Äußeres. Was du da in meinen Augen gesehen hast, das war keine Einbildung. Das war echt. Es war die Wahrheit.“

„Und genau davor hatte ich immer Angst. Sich einzubilden, dass es nicht da gewesen wäre, war immer einfacher für mich.“

„Warum?“

„Weil ich Beweise sammeln wollte, dass ich dir nicht wirklich etwas bedeutet habe.“

„Warum?“, fragte Glinda nun ruhig, obwohl ihre Gefühle Achterbahn fuhren.

„Weil… Weil…“, stotterte Elphaba. Genau das war es, was sie Glinda eigentlich hatte verschweigen wollen. „Weil du mir auch viel bedeutet hast. Zu viel, um genau zu sein… Ich konnte unmöglich mit dir abschließen, in dem Wissen, dass meine Gefühle erwidert werden. Oh Oz!“, stöhnte Elphie nun auf und machte eine abwertende Handbewegung. Sie wusste, wie sich diese Worte angehört haben mussten und fügte hinzu: „Ich habe keine anderen Worte dafür jetzt gefunden…“

Genau das war es, was Glinda verwunderte. Elphaba dachte immer genau darüber nach, wie sie was sagte oder ob sie überhaupt etwas sagte. Ihre Wortwahl war immer präzise und traf genau das, was sie ausdrücken wollte.

„Ich verstehe schon.“, sagte sie dann jedoch nickend und ihre blonden Locken wippten mit.

Als sie dann jedoch über das Gesagte nachdachte, fügte sie etwas konfus hinzu: „Nein, eigentlich verstehe ich das nicht so ganz… Du meinst, du bist raus gerannt, weil du mit mir abschließen wolltest?“

„Nein.. Nein…Arg!“ Elphie schien wirklich verzweifelt.

„Ich bin raus gerannt, weil deine Ehrlichkeit in dem Moment zu viel für mich war. Du hast mir in dem Moment gezeigt, dass ich mehr wert bin, als meine Hautfarbe und dass es jemanden gibt, der das endlich sieht und noch viel schlimmer: Mir das sogar offen zeigt. Ich war doch an keine Art von Wertschätzung gewöhnt! Und das mit dem Abschließen war … auf mein Leben nach Shiz bezogen. Nachdem wir uns in der Smaragdstadt voneinander verabschiedet hatten. Es fiel mir so schwer, dich aus meinem Leben zu streichen, dass ich beinahe alles schwarz gemalt habe, was du jemals für mich getan oder zu mir gesagt hast. … Na ja, ich habe wenigstens versucht, es schwarz zu malen…“

In Gedanken verloren sagte Glinda leise: „Weißt du, Elphaba, wir hatten eine außergewöhnliche Freundschaft… Nein, wir HABEN eine außergewöhnliche Freundschaft.“

Das war Glindas Art zu symbolisieren, dass sie verstanden hatte und Elphaba begriff es. Dennoch verstand sie nun nicht, worauf Glinda hinauswollte.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie Glinda an: „Wie meinst du das?“

„Der Gedanke ist noch nicht zu Ende geführt…“, gab diese offen zu, „… Lass mir noch etwas Zeit und ich werde es dir erklären.“

Elphaba nickte und war ganz froh darüber, dass die Frage geklärt worden war. Damit sie nicht mehr Gefahr lief, dieses Thema weiter besprechen zu müssen, sagte sie dann: „Damit wäre wohl auch meine Frage geklärt.“

„Warum ich trotzdem gesagt habe, dass ich dich schön finde?“

„Ja…“, nickte die Hexe, hob ihren Kopf und sah nach vorn. Die Decke war schon in Sicht. Ohne es bemerkt zu haben, waren die beiden beinahe schon um den ganzen See herumspaziert.

„Es war eben die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit. Und das finde ich auch heute noch.“

Elphie merkte, wie das Thema doch wieder drohte, erneut eröffnet zu werden und murmelte: „Lassen wir das… bitte.“

Dass Elphaba sich sehr unkomfortabel bei diesem Thema fühlte, hatte die blonde Frau schon die ganze Zeit über gemerkt und beschloss nun, die Sache ruhen zu lassen.

„Lassen wir das…“, bestätigte Glinda mit einem Nicken und fügte in Gedanken hinzu: ‚Zumindest fürs erste…’

„Hast du Hunger?“, fragte Elphaba nun plötzlich. Sie hatte das dringende Bedürfnis, ihre Gedanken auf etwas anderes umzuleiten.

Als Antwort erhielt sie einen Blick, der aussagen sollte: ‚Da musst du noch fragen?’.

„Alles klar!“, lachte sie nun, „Du hast mich erwischt. Die Frage war rhetorisch!“

Als die Hexe merkte, dass Glinda nicht mehr neben ihr ging, drehte sie sich verwirrt um. Die blonde Schönheit war stehen geblieben und stand nun drei Schritte von Elphie entfernt.

Die blauen Augen musterten die Hexe.

„Was ist?“, fragte diese. Glinda schenkte ihr ein Lächeln, sagte aber nichts.

„Was?“, fragte Elphaba abermals, zu verwirrt um zu lächeln.

„Ach Elphie…“, seufzte Glinda und setzte sich dann wieder in Bewegung. Sie ging ohne ein weiteres Wort an der offensichtlich ratlosen Hexe vorbei und ließ sich auf die Decke plumpsen.
 

Nachdem Reseda die Gedanken aller im Raum Anwesenden ausgesprochen hatte, war ein unangenehmes Schweigen eingetreten.

Während Elanora abwägte, ob sie ihrem Mann und somit auch allen anderen erzählen sollte, was Kwen ihr ins Ohr geflüstert hatte, dachte Gideon über genau dasselbe nach.

‚Soll ich Ela nun fragen, was Kwen ihr zugeflüstert hat…’ Er wusste nicht, ob er es überhaupt wissen wollte…

Meredith hingegen machte sich große Sorgen um ihre Frau und fasste den Entschluss, dass sie abermals heiraten würden, sollten sie aus dieser ganzen Sache heil herauskommen.

‚Aber dann so eine Hochzeit, wie Resi sie sich immer gewünscht hatte. Mit Schleier, Blumen und dem ganzen Brimborium, was noch alles dazugehört…’ Sie selber sah zwar keine Notwendigkeit in einem solchen Aufwand, denn die Art der Hochzeit an sich änderte ja nichts an der Tiefe der Gefühle. Dennoch musste sie sich ein zukünftiges Ziel setzen, welches voraussetzte, dass sie UND Resi diese Misere unbeschadet überstanden, denn Mutter Meredith war kurz davor, ihre Nerven zu verlieren.

Reseda allerdings schloss die Augen. Ihre Stirn war heiß, das konnte sie fühlen. Ihre Handgelenke schmerzten und ihr Körper war kraftlos. Es dauerte nicht lange, da driftete sie in eine fiebrige Traumwelt ab.

Als Elaine so ruhig dasaß und sich auf nichts konzentrierte, weil es nun mal nichts gab, merkte sie, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmte. Sie fühlte sich aus unerfindlichen Gründen entblößt und grübelte darüber nach, wieso sie ein solch verwirrendes Empfinden hatte.
 

„Was wollt ihr von mir?“, fragte Orez mit gesenktem Kopf, als Kwen ihn vor Ramón zum Stehen brachte.

Ohne Umschweife setzte Ramón direkt an: „Orez, hinter mir siehst du zwei Türen. Eine führt nach draußen, die andere wieder in den Kerker. Welche wählst du?“

„Wie soll ich mich entscheiden, was ich wähle, wenn ich nicht einmal weiß, was hinter…“

Ohne jegliche Vorwarnung schlug Ramón ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Seine Faust schmerzte augenblicklich, aber das war ihm egal.

Orez hatte auf dem Flur vor Glindas Zimmer alle Pläne durchkreuzt und es war seine Schuld, dass Ramóns Mutter in einem kritischen Zustand gewesen war. Zumal hatte er verhindert, dass er selber, Ramón, in den Genuss von ‚Glinda der Guten’ kommen konnte.

„ICH stelle die Fragen. Halt die Klappe!“, sagte er barsch und fügte dann hinzu: „Hinter dieser Türe…“, dabei deutete er auf die Türe, welche nach draußen führte, „… steht ein Galgen bereit. Hinter der anderen Türe … Nun, von dort kommst du gerade, also brauche ich es nicht zu erklären. Ich schlage dir einen Deal vor. Akzeptierst du ihn nicht, darfst du nach draußen gehen…“

„Anders gesagt: Ich habe keine Wahl!“, murrte Orez und kassierte einen Tritt in die Eingeweide.

„Uhhhmpf…“, stöhnte er unter Schmerzen, als Kwen ihn wieder unsanft vom Boden aufhob.

„Der Deal ist…“, begann Ramón von Neuem, „Du gehst wieder zurück in das Loch, aus dem du gekrochen kamst und findest heraus, was die anderen wissen.

Du findest persönliche Dinge über Glinda und die Hexe heraus. Du erkundigst dich über die Beziehung zwischen Meredith und Glinda. Über die Beziehung zwischen Elaine und Glinda UND über die Beziehung zwischen Glinda und der Hexe. Ich will, dass du uns Informationen lieferst, die wir gegen die beiden – gegen ALLE dort drinnen – gebrauchen können und ich erwarte, dass du niemanden auslässt. Wie du das anstellst, ist mir völlig egal. Aber wenn du versagst…“ Er ließ den Satz offen in dem Wissen, dass Orez verstanden hatte.

Es stimmte, dass Orez Mist gebaut hatte und das wusste er selber. Jedoch hatte er nie davon gewusst, dass Glinda sterben sollte. Er hatte von dem ganzen, hinterhältigen Plan nichts gewusst und hatte dem allen nur zugestimmt, weil er auf einen Moment mit Glinda gehofft hatte. Ramón war es schließlich höchst persönlich gewesen, der ihm andauernd Chancen bei Glinda versichert hatte.

Aus diesem Grund tat es ihm auch nicht im Mindesten leid, dass er der Grund für die ganzen Probleme war, welche Ramón nun zu haben schien.

„Ich mache es…“, willigte er ein und versuchte, so überzeugend zu klingen, wie es ihm nur möglich war.

„Wenn du versagst…“, begann Ramón und Orez unterbrach ihn. Dabei sah er ihm direkt in die Augen: „Ich versage nicht!“

„Gut! Ab mit ihm!“, wies er Kwen an, der den Gefangenen sofort wieder in Richtung Kerker drängte.

Londaro: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Londaro-1-97799357
 

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Kapitel 38
 

Elphaba sah zu, wie Glinda sich auf die Decke fallen ließ und anfing, eine Banane zu schälen.

Sie stand dort und sah zu, wie die blonde Frau genüsslich aß und dann Elphaba signalisierte, sie solle endlich kommen.

Doch die Hexe drehte sich von Glinda weg und zum Ufer hin. Nach ein paar Schritten stand sie kurz vor dem glitzernden Wasser und ließ sich auf die Knie sinken. Dann stützte sie sich mit ihren Händen am unmittelbaren Rand ab und lehnte sich über die Wasseroberfläche.

Ihre Haut war noch immer menschlich. Nicht eine Spur Grün war auf ihrem Gesicht zu sehen. Ihre Schultern hatten denselben Farbton, nur ihre Augen und ihr Mund brachten etwas Farbe ins Spiel. Das lange schwarze Haar umrahmte sanft ihr Gesicht und lief glänzend über ihre Schultern. Um ihren Hals funkelte noch immer die blaue Träne und Elphie fragte sich in diesem Moment, was dieser Stein eigentlich für eine Bedeutung hatte.

Das Wasser war ruhig. Nicht eine einzige Welle rollte an den Rand und so konnte die Hexe sich sehr genau mustern. Ihre langen dunklen Wimpern umrahmten die braunen Augen.

‚Quoxwaldeichenbraun…’, schmunzelte sie in Erinnerung an Glindas Worte.

Noch immer konnte sie es nicht fassen, dass sie entgrünifiziert war. Irgendwie fühlte sie sich merkwürdig, wenn sie sich so sah.

Es fühlte sich an, als hätte sie ein Stück Identität verloren…

Sie löste die linke Hand vom Boden, während sie all ihr Gewicht auf die rechte Hand verlagerte. Dann streckte sie den Arm aus, sodass ihre Handfläche beinahe die Wasseroberfläche berührte.

Noch nie hatte sie ihre Hand in Wasser getaucht. Sie wusste nicht, wie es sich anfühlte, wenn ein Körperteil komplett vom Wasser umschlossen wurde.

Das Wasser glitzerte so verführerisch, als sie mit einem Mal sah, wie sich ein anderes Bild auf dem Wasser spiegelte.

Blonde Locken standen nun im scharfen Kontrast zu ihrem rabenschwarzen Haar. Blaue Augen funkelten aufgrund des Wassers noch stärker als sonst.

Elphaba lächelte dieses Spiegelbild an und es lächelte zurück. Vorsichtig nahm sie ihre Hand vom Wasser und setzte sich auf ihre Waden. Dann ließ sie ihren Blick über den See gleiten.

Glinda stand genau hinter ihr und legte die zartgliedrigen Finger auf die zarten, aber dennoch muskulösen Schultern, die genau dort anfingen, wo Glindas Hände aufhörten.

Die Hexe hatte ihre Hände auf die eigenen Oberschenkel gelegt und fühlte nun, wie die weichen Finger begannen, ihre Schultern und ihren Nacken zu massieren.

Sie schloss die dunklen Augen und seufzte: „Das tut gut…“

„Nicht wahr? Du bist auch sehr verspannt. Es ist wohl alles etwas viel für dich.“

„Für dich nicht?“, fragte Elphaba mit geschlossenen Augen.

„Natürlich. Doch, ja… Aber ich glaube, dass du schwierigere Dinge zu verarbeiten hast, als ich.“

Die Hexe nickte nur leicht und eine angenehme Stille setzte ein.

Als Glinda aus Versehen die Kette berührte, pendelte die Träne auf Elphabas Brustkorb leicht hin und her.

Ohne die Augen zu öffnen, umfasste Elphaba den Anhäger mit ihrer linken Hand und fragte: „Glinda, was ist das hier eigentlich für eine Kette?“ Irgendwie hatte sie den Eindruck, diese Kette schon einmal gesehen zu haben.

„Das ist eine Träne der heiligen Aelphaba…“, antwortete Glinda ruhig und ließ Elphabas Schultern in einer Art Vorahnung los.

Wie sie richtig vermutet hatte, drehte Elphaba sich schlagartig um und starrte Glinda entsetzt an. Noch immer saß sie auf ihren Waden und die Gedanken schwirrten zu schnell durch ihren Kopf.

„Was?“, fragte sie geschockt, konnte aber nichts weiter sagen. Ihre Gedanken kreisten immer weiter und schienen sich erst langsam aufzureihen.

„Ich habe dir ja erzählt, dass diese Kette mir gezeigt hat, was ich mit dir tun muss. Ich glaube wohl, dass ich dieses kleine Detail ausgelassen habe…“

„Ausgelassen…“, schnaufte die Hexe.

„Nun, das erklärt wohl einiges. Die Träne und der Trank – beides aus der Höhle oder zumindest der Umgebung von der heiligen Aelphaba. Du weißt, was man über die Tränen sagt?“

„Ja..“ Elphaba nickte. „Sie besitzen magische Kräfte. Es gibt nur wenige davon, wenn ich mich nicht irre, in ganz Oz nur sieben Stück. Und jede Träne besitzt eine andere Kraft.“

„Genau!“ Nun nickte Glinda und setzte sich vor Elphaba auf den Boden. Sie fühlte sich unwohl, von oben herab auf ihre Freundin zu schauen.

Mit einem Mal fiel Elphaba wieder ein, wo sie diese Kette schon einmal gesehen hatte… Oder zumindest eine solche Träne.

„Glinda…“, fragte sie beinahe stimmlos und sah dabei der Frau direkt in die eisblauen Augen. „Woher hast du diese Kette?“

„Sie war ein Geschenk… Von Ramón. Er wollte mich wohl offensichtlich beeindrucken und jetzt kann ich mir ja auch denken, aus welchem Grund.“

„Großer Oz…“, stöhnte Elphie und wurde blass.

„Was ist denn?“, fragte Glinda erschrocken.

Die beiden hatten noch immer nicht über die Vorfälle in der besagten Nacht gesprochen und zwar weil Elphaba chronologisch vorgehen wollte. Sie war hin und her gerissen. Sollte sie nun schweigen oder Glinda ihre Vermutung mitteilen.

Elphaba konnte nicht anders: „Diese Kette gehört Akaber.“ Die Worte waren nüchtern ausgesprochen worden, dennoch erschütterten sie beide Frauen bis aufs Mark.

„Was redest du da?“ Glinda lief ein kalter Schauer über den Rücken.

Die Hexe fühlte, dass sie Glinda jetzt unmöglich alles erzählen konnte, was in dieser Nacht passiert war. Denn diese schlimmen Stunden waren ihr noch zu fest im Gedächtnis eingebrannt und mit jedem Gedanken daran überkam sie eine Welle der Übelkeit.

„Glinda…“, begann Elphaba, beinahe flehend, „… ich werde dir später die ganze Geschichte genau erzählen. Aber da ich nun schon angefangen habe, erkläre ich dir diese eine Sache. Aber bitte, bitte frag nicht weiter. Ich bin noch nicht bereit dafür…“

Die blonde Frau merkte, dass ihre Freundin gerade sehr mit sich kämpfte. Sie zitterte und die dunklen Augen flehten förmlich.

„Ich werde dich nicht drängen, Elphie.“ Das war alles, was Glinda sagte.

„Diese Kette…“, begann Elphaba und tastete unglücklich nach dem Verschluss, „… hat dir also Ramón geschenkt… Als ich in der Nacht in deinem Zimmer war und dann mit dir geflohen bin, habe ich eindeutig gehört, dass Ramón Akabers Sohn ist. Oz weiß, ob ich mich irre, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es seine Stimme war, die Akaber ‚Mutter’ genannt hat.“

Endlich hatte sie Verschluss gefunden und öffnete ihn nun. Der Ekel vor dieser Kette war nun beinahe greifbar und bewusst hatte Elphaba das Detail ausgelassen, dass sie Accursia Akaber niedergeschmettert hatte.

„Madame Akaber… hat einen SOHN?“ Nun war es Glinda, die völlig erstaunt und entsetzt dreinblickte. Erst war sie durcheinander, doch dann ordneten sich auch ihre Gedanken schlagartig: „Soll das etwa heißen, dass Akaber ihrem Sohn die Kette gegeben hat, um mich damit zu ködern?“

„So etwas in der Art, ja…“, nickte Elphie und ließ sich von ihren Waden auf die Erde gleiten. Glinda, noch immer geschockt, tat das gleiche.

„Aber ich glaube, ich habe sie dabei gestört, ihr Eigentum wieder an sich zu nehmen…“, schmunzelte die Hexe nun und hoffte, die Situation etwas aufheitern zu können. Sie hatte dabei nicht bedacht, dass Glinda sich an nichts erinnern konnte.

„Du meinst, sie war in meinem Zimmer? BEI MIR?“ Die blonde Frau erbleichte schlagartig.

‚Verdammt!’, fluchte Elphaba innerlich und nahm dabei endlich die Kette vom Hals.

Dann legte sie die Träne zwischen sich und Glinda. Unschuldig glitzerte das Blau in der Sonne.

Glinda starrte auf das am Boden liegende Schmuckstück, als sie Elphabas Worten lauschte:

„Ja, sie war da, als ich dich… gerettet habe. Ihr verdankst du auch die Kratzer.“

Bei den Worten strich die blonde Frau gedankenabwesend über ihre geheilte Wange.

„Was hat sie gesagt?“ Glindas Worte klangen tonlos. „Was hat sie gesagt?“, fragte sie nun heftiger und sah Elphaba wütend an.

Die Hexe hatte diese Nacht noch nicht Revue passieren lassen und konzentrierte sich nun stark. Sie wollte sich auf Akabers Worte fokussieren und schloss die Augen. Erst dann murmelte sie: „Sie hat darüber gesprochen, dass du an allem Schuld gewesen wärst. Du hättest mich zu sehr beeinflusst, denn ansonsten wäre ich nun an ihrer Stelle. Ich wäre nun auf ihrer Seite… oder so etwas und du bist der Grund, warum alles für sie so schrecklich geworden ist….“

Elphaba brach plötzlich ab. Ihre Augen rissen mit einem Mal weit auf und sie hörte auf zu atmen.

Glinda sah es nicht, sie starrte immer noch auf die Kette und dachte, Elphaba wäre mit ihrer Erzählung fertig. Wütend griff sie nach der Kette und brummte: „Dieses Ding ekelt mich an! Soll es dahin zurückkehren, wo es hergekommen ist!“

Dann riss sie ihren Arm in die Höhe und wollte die Kette ins Wasser werfen und schaute Elphaba dabei an.

Erschrocken schrie Glinda auf, als sie Elphaba sah. Die Kette fiel ihr aus der Hand und die blonde Frau musste sich mit den Händen abstützen, um nicht dem Drang zu folgen, von Elphaba wegzurutschen.

„Oh mein namenloser Gott!“, schrie sie beinahe aus und hielt sich eine Hand vor den aufgerissenen Mund.

Elphaba hatte keine Ahnung, was in Glinda gerade vorging. Sie war selber gerade am Boden zerstört.

„Ich bin Ramóns Halbschwester!“, würgte Elphaba beinahe hervor.

„Elphie, du bist wieder grün!“, stöhnte Glinda erschrocken im gleichen Augenblick.
 

Ramón war sehr zufrieden über seinen Deal mit Orez, dennoch war er auch sehr in Eile. Heute Abend würden noch die anderen der ‚Mächtigen Fünf’ eintreffen: Stella, Adlerauge und… seine Penelope. Er hatte keine Ahnung, woher seine Mutter die ersten beiden Frauen kannte, doch Penelope kannte er noch aus seiner Jugendzeit.

Als seine Schwester damals versucht hatte, Glindas Bett niederzubrennen, musste Accursia sie auf eine Erziehungsschule für schwer traumatisierte und/oder schwer erziehbare Jugendliche schicken. Ramón hatte Aylin anfangs kaum besucht.

Der blonde Mann ließ den Erinnerungen freien Lauf, als er auf dem Weg zu Londaros Büro war. Vorher war es das Büro von Mutter Meredith gewesen.

Ohne zu klopfen trat er ein und sah, dass der Sekretär nicht alleine war.

„Ah, Ramón! Wie passend!“, empfing der dunkelhaarige Mann ihn und bot ihm einen Platz an. „Hast du kurz Zeit? Ich kläre gerade mit unserem neuen Freund hier, wie wir vorgehen wollen.“ Dabei deutete er auf Fiyero, der zum Gruß grinsend nickte.

Der noch immer in der Tür stehende Mann wehrte jedoch dankend ab: „Nein, danke. Ich habe absolut keine Zeit. Es müssen noch viele Vorbereitungen getroffen werden, bevor die bissigen Biester alle ankommen. Ich wollte nur schnell sicher gehen, dass ihr auch ohne mich vorankommt.“

Bei der Alliteration ‚bissige Biester’ musste Londaro, als auch Fiyero grinsen. Der Sekretär hatte den Scheuch gerade erst über die neue Regierungsform in Oz aufgeklärt.

„Wir kommen wunderbar zurecht. Fiyero hier ist ehemaliger Gardehauptmann der ozianischen Armee. Das erleichtert uns einiges.“

„Endlich einmal gute Nachrichten! Ich werde zu später Stunde herkommen und erwarte deinen Bericht auf meinem Schreibtisch.“

„Verstanden“, nickte Londaro.

„Gut!“, schloss Ramón ab und ließ die Tür wieder zugleiten.

Dann stiefelte er etwas besser gelaunt in sein Büro. Auf seinem Schreibtisch lagen drei Akten, auf denen die Namen der bissigen Biester standen, seine Mutter und Aylin ausgenommen, da die beiden ohnehin schon hier waren.

Es war Ramóns Aufgabe, die Zimmer zu verteilen und sicher zu stellen, dass alles vorhanden war, was die Damen angemerkt hatten. Außerdem musste er den Ablaufplan für den morgigen Tag noch vor der Dunkelheit seiner Mutter vorlegen. Er stand also unter mächtigem Zeitdruck, denn er hatte noch ungefähr fünf Stunden, bis die Sonne in Oz untergehen würde.

Seufzend ließ er sich in seinen ledernen Sessel fallen und nahm die erste Akte zur Hand. Sie war schwerer und dicker als erwartet, doch als er den Namen las, war er nicht länger verwundert.

„Stellaione Alert…“, seufzte er unmotiviert.

Er hatte wirklich keine Lust, die Arrangements für diese Dame zu machen. Wenn er dem Gerede der Leute trauen würde, dann müssten die Vorbereitungen für Stella über eine Woche dauern…

Also warf Ramón alle drei Akten an den Rand seines großen Schreibtisches und nahm sich eine unbeschriebene Pergamentrolle. Vorsichtig rollte er sie auf und schrieb als Titel: „Tag der Vergeltung“.

Darunter schrieb er in Stichpunkten den Tag so auf, wie er und Accursia ihn geplant hatten.

Er sollte mit einem gemeinsamen Frühstück beginnen, bei welchem Stella gewiss nichts essen würde. Erstens, weil das Frühstück um sieben Uhr in der Früh stattfinden sollte und zweitens, weil er Stellaione noch nie hatte essen sehen.

Bei diesem frühen Zusammentreffen sollte dann politischer Klatsch ungefähr eine Stunde besprochen werden. Seine Mutter fand, es wäre eine gute Überleitung, um dann im großen Konferenzsaal mit den wirklich wichtigen Dingen zu beginnen.

Ramón hatte vorgeschlagen, bis in den späten Nachmittag hinein an dem gemeinsamen Regelwerk zu arbeiten, bis ungefähr 18 Uhr. Als Argument hatte er die äußerst feministische Seite hervorgebracht und seine Mutter daran erinnert, dass sie in zehn Stunden versuchen wollte, mit vier anderen Frauen ein politisches Konzept für eine lange Zeit aufzubauen.

„Mutter… fünf sture Frauen in einem Raum beschäftigen sich mit nur einem Thema: Politik! Wenn du das in zehn Stunden schaffst…“, hörte Ramón noch immer seine eigenen Worte.

Auf den Plan für seine Mutter und die anderen Frauen notierte er dann eine zehn Stunden lange Sitzung mit einer halben Stunde Mittags- und einer halben Stunde Teepause.

‚Es sind ja schließlich Frauen…’, dachte er seufzend.

Wieder konnte er einen Grund zu seiner Liste hinzufügen, warum er Frauen in staatlichen Positionen nicht leiden konnte: Sie brauchten unvorstellbare Extras, erwarteten immer umwerfenden Service und redeten die Hälfte der Zeit eben NICHT über Politik. Und einigen konnten sie sich sowieso nie. Sie waren nur gut als Symbol für die Bevölkerung. Aber zu nichts weiter.

Danach plante der blonde Mann eine Stunde für jede der Biester ein, damit sie ‚sich frisch machen konnten’ und ließ bei dem Gedanken einen verächtliches Schnaufen hören.

Um 19 Uhr sollte dann die Versammlung auf dem Marktplatz sein. Ganz Oz war durch die Neuigkeitenblätter darüber informiert worden, um die seine Schwester sich gekümmert hatte. Schon gestern hatte man den Eindruck von einer Massenbevölkerung erhalten, sobald man nur einen Blick aus dem Fenster geworfen hatte. Jeder Ozianer war neugierig und Ramón schätzte, dass mindestens 1/3 der ganzen Bevölkerung morgen dort sein würde.

‚20:30 Uhr – Rede von Accursia Akaber’, schrieb er als nächstes auf und danach wurde jeder der anderen Frauen noch ein kurzes Statement vor der Versammlung zugeschrieben.

Ganz unten auf die Rolle kritzelte Ramón in Schnörkelschrift den letzten und auch einzigen Satz: „Nach der öffentlichen Bekanntgebung findet ein großer Ball hier im Palast statt und alle wichtigen Politiker werden anwesend sein. Es ist jeder wundervollen Dame einzeln überlassen, wann, wo oder wie sie den Abend beenden möchte.

Gebt mir Fünf,

Ramón Akaber“

Seine Mutter hatte darauf bestanden, dass dieses ‚Gebt/Gib mir Fünf!’ die neue Redewendung in Oz sein sollte. Der Spruch ‚Oz zum Gruße’ sei zu sehr veraltet, so war ihr Argument.

Ramón fand diese Floskel sehr ungewöhnlich und hatte auch noch nie davon gehört, aber seiner Mutter schien sie bekannt zu sein. Als er sich erkundigt hatte, war ihre Antwort „Das kommt aus einer anderen Welt…“ gewesen und der junge Mann wurde das Gefühl nicht mehr los, dass es etwas mit seinem Vater zu tun hatte…

Auf dem Weg zu seiner Mutter dachte er über all diese Dinge nach und warf die Pergamentrolle andauernd in die Luft und fing sie wieder auf.

„Verzeihung, Monsieur Akaber!“, wurde er von einer sich verbeugenden Wache vor der Tür seiner Mutter abgefangen und die Rolle fiel zu Boden. „Eure Mutter, Monsieur, ist gerade unpässlich.“

„Was soll das bedeuten?“, fragte Ramón verwundert.

„Sie äußerte den dringenden Wunsch, von niemandem mehr bis zum Morgengrauen gestört zu werden.“

Ramón wurde wütend. Was fiel seiner Mutter ein? Sie wusste doch genau, dass die Pläne noch weitergeleitet werden mussten.

„Soll das bedeuten, sie wird die Damen heute Abend nicht mehr empfangen?“, schnauzte er verärgert und hob die Pergamentrolle wieder auf.

„So ist es, Monsieur. Die Aufgabe hat sie Ihnen übertragen.“

„MIR?“, entfuhr es Ramón etwas zu laut und der Wachmann zuckte zusammen. „Und wann sollte ich davon erfahren?“

„Die Madame versicherte mir, dass Ihr noch vorbeikommen würdet. Und nun seid Ihr hier.“ Dem Wachmann war gar nicht wohl in seiner Haut und Ramón sah, wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten.

Geschickt drückte sich der schlaksige Mann an dem Wachposten vorbei und hämmerte mit seiner linken Faust gegen die Tür, während er mit der rechten noch immer die Pergamentrolle hielt: „Mutter!“

„Monsieur, ich bitte Sie!“

„Mutter!!!“

„Ich will nicht handgreiflich werden müssen! Monsieur!“

„MUTTER!?“

Mit dem dritten Schrei von Ramón packte der Wachmann ihn unsanft am Arm und schob ihn von der Tür weg.

„Was ist?“, hörten nun beide Männer Accursias Stimme durch das dicke Holz.

Ramón riss sich los und ging langsam wieder den Schritt nach vorne.

„Hier sind deine Papiere!“, sagte er laut und deutlich.

Als unverkennbar zu hören war, dass die Tür geöffnet werden würde, wies Ramón den Wachmann, der abermals seinen Arm ergriff, mit einer Handbewegung zurecht.

„Mutter, was soll…“, setzte der blonde Bursche an, als die Tür sich einen Spalt öffnete und das Gesicht seiner Mutter zu sehen war. Erwartend streckte sie ihre Hand aus und er gab ihr die Rolle ohne eine weitere Frage.

„Verzeihung!“, hauchte er, drehte sich um und lief den Flur zurück.

Bevor Madame Akaber die Tür schloss, warf sie dem Wachmann einen vielsagenden Blick zu, dem sich daraufhin der Magen umdrehte.

„Sie hat geweint…“, flüsterte Ramón fassungslos und schüttelte seinen Kopf. „Sie hat geweint…“

Er konnte sich nicht entsinnen, seine eigene Mutter je weinen gesehen zu haben. Nicht einmal nach dem Tod ihres zweiten Mannes.
 

„Gideon?“ Elanoras Stimme war eher ein Flüstern.

„Ela?“, kam die Antwort in ein und derselben Stimmlage.

„Soll ich dir sagen, was Kwen mir zugeflüstert hat?“

„Darüber denke ich schon die ganze Zeit nach. Will ich es denn wissen?“

„Ich weiß es nicht. Ich wollte es auch nicht wissen und ich wünsche mir gerade, dass er es nie gesagt hätte.“

Gideon Hochborn kannte seine Frau gut genug, um aus der so leisen Stimme dennoch etwas Weinerliches herauszuhören.

„Was flüstert ihr denn da hinten?“ Elaines Stimme klang verärgert. Sie saß am weitesten entfernt von den anderen und hoffte, dass das keinen weiterführenden Grund hatte.

„Entschuldigung.“, sagte Elanora nun etwas lauter. „Wollt ihr alle wissen, was Kwen gesagt hat?“

„Schweigen hilft uns in dieser Situation bestimmt nicht.“ Es war Meredith, die müde geantwortet hatte.

„Also gut…“, begann Ela und zitierte dann Kwens Worte, wobei sie wieder eine Welle von aufsteigender Übelkeit überkam.

„Diese Bastarde!“, schimpfte Gideon und jeder konnte hören, dass er jenseits von ‚sauer’ war.

„Übersetzt heißt das: Sie ist noch nicht tot und wir sind nicht ohne Grund hier. Dass wir leben, bedeutet, sie wollen noch etwas von uns.“, sagte Meredith nüchtern, was Elanora wütend machte.

„Wie kannst du so ruhig sein? Meine Tochter soll sterben! Ich will einfach nur wissen, wo sie ist und was sie mit ihr machen.“ Mit viel Willenskraft schluckte Glindas Mutter ihre Tränen herunter.

„Wenn wir jetzt die Nerven verlieren, bringt uns das auch nichts.“

„Was bringt uns deine tolle Schlussfolgerung denn?“, keifte Elanora.

„Ela…“, sagte Gideon beschwichtigend.

„Zeit. Sie bringt uns Zeit. Es ist noch nicht zu spät.“ Meredith war wirklich erschöpft und hatte keine Kraft mehr, ihre Aussagen argumentativ zu untermauern.

„Es… es tut mir leid, Meredith. Aber die Sorgen einer Mutter sind… sie sind…“

„Ich verstehe schon. Keine Entschuldigung notwendig, Elanora.“

„Was meinen Sie, was wollen die Bastarde noch von uns?“, fragte Gideon an Meredith gewandt.

„Ihre Frau und ich haben uns in Anbetracht der Situation dazu entschieden, die Förmlichkeiten mal abzulegen. Das Angebot gilt auch für Sie.“, bot Meredith an.

„Angenommen.“

„Zurück zu deiner Frage: Ich weiß es nicht. Ich kann dir nicht sagen, warum wir noch hier sind…“

In dem Moment wurde die schwere Tür wieder geöffnet und das Licht blendete die rothaarige Frau wie zuvor.

Blinzelnd sah sie ins Licht und zischte Gideon dann zu: „… aber vielleicht wissen wir es gleich.“
 

„Oh Oz.“, seufzte Accursia, „Wie sehr ich dich dafür hasse.. und MICH erst…“

Nachdem Fiyero das Zimmer verlassen hatte, waren die Erinnerungen von früher über sie hereingebrochen.
 

„Oh Gott, ich liebe dich so sehr, Accursia Livia Akaber!“

„Ich liebe dich auch, Oskar Zoroaster Phadrig Isaak Norman Henkle Emmanuel Ambroise Diggs!“

„Du weißt aber schon, dass du die einzige Person in allen Welten bist, die meinen ganzen Namen kennt und auch behalten kann?“

Er hatte gelacht und sie liebevoll angesehen.

„Ja, Emmanuel, das weiß ich und es bedeutet mir sehr viel. Aber sag, Liebster, von welchen Welten sprichst du immerzu und zu welchem Gott betest du? Zum namenlosen Gott?“

„Ach, Livia. Das ist zu kompliziert und das weißt du. Ich komme nicht aus Oz, aber weil du meine Welt nicht kennst, kannst du es nicht verstehen. Das hatten wir doch alles schon mal.“

„Das weiß ich doch auch, aber ich will den Mann, den ich liebe, gerne verstehen… Kannst du mir denn wenigstens die Glaubensfrage beantworten?“

Damals hatte sie ein wenig enttäuscht drein geblickt und etwas geschmollt.

„Der namenlose Gott. Ja, so könnte man das sagen…“

Danach hatten sie geschwiegen.
 

Accursia Akaber stand vor dem großen Fenster und starrte in die Smaragdstadt hinaus. Emmanuel und sie hatten große Pläne gehabt und er hatte sie einfach im Stich gelassen. Nach all den Jahren waren ihre Erinnerungen noch so lebendig, als wäre es gestern gewesen.

Normalerweise war sie auch in der Lage, ihre emotionalen Ausbrüche soweit zu steuern, dass sie nicht so unpassend auftraten.

Doch in Fiyeros Worten hatte sie ihre eigene Geschichte gehört und kurz darauf hatte sie alles noch einmal durchlebt.

Sie zitterte am ganzen Leib, obwohl die Sonne warm durch das Fenster schien. Ihre langes, graues Haar trug sie offen und reichte bis zur Hüfte.

Sie fror so entsetzlich, aber diese Kälte kam von ihrem Inneren aus.

Langsam schloss sie die Augen und hob ihre Hände in die Höhe. Dann spreizte sie ihre Finger und begann deutlich zu sprechen: „Meine Gefühle von Innen nach Außen, weht durch das Land dort draußen.“

Immer und immer wieder murmelte sie diesen Satz und beschwor damit dunkle Wolken an den Himmel.

Erst als sie spürte, dass die Sonne nicht mehr schien, ließ sie ihre Arme sinken und öffnete die grauen Augen.

Dichte Wolken hingen über der Stadt und sie nickte zufrieden. So sah es auch in ihrem Inneren aus.

‚Das Volk von Oz soll mit ihrer zukünftigen Herrscherin mitfühlen! Das wird ihnen eine verfrühte Lehre sein!’, dachte sie verbittert und beschloss dann, den aufgeschriebenen Plan ihres Sohnes einmal durchzugehen, um dann direkt schlafen zu können.

‚Morgen…’, machte sie sich Mut, ‚Morgen werde ich an Emmanuels Stelle treten und alle Erinnerungen an ihn auslöschen. Im Volk von Oz, in meinen Kindern und in mir selber!’
 

„Was bin ich?“, fragte Elphaba perplex, als Glinda verstört fragte: „Was bist du?“

Ohne auf Glindas Frage zu achten, drehte sich Elphaba wieder zum See um und starrte auf ihr Bild, welches sich im Wasser spiegelte.

Das Bild zeigte ihr eine Frau mit rabenschwarzen Haaren, quoxwaldeichenbraunen Augen und smaragdgrüner Haut.

„Oh Glinda..“, hauchte sie. Tränen stiegen in ihr auf und sie konnte sich nicht mehr kontrollieren. Es war alles zu viel für sie und die schockierenden Ereignisse schienen kein Ende zu nehmen.

Schluchzend saß sie noch immer über das Wasser gelehnt und die Tränen trafen mit leisen Tropfgeräuschen auf die Wasseroberfläche.

Glinda setzte sich auf ihre Knie und zog Elphaba sanft zu sich heran. Dann setzte sie sich wieder auf den Hintern und spreizte die Beine, sodass der grüne Körper Platz hatte und Elphabas Hinterkopf auf ihrer rechten Schulter ruhte. Sie schlang einen Arm um Elphabas Schultern, den anderen um die schmale Hüfte und wiegte die grüne, zitternde Frau in ihren Armen hin und her.

„Lass alles raus, Elphie. Lass es raus…“, flüsterte Glinda ihr immer wieder ins Ohr und strich ihr im Wechsel über die Haare oder die Tränen aus dem Gesicht.

„Das kann alles nicht wahr sein…“, wimmerte die Hexe immer wieder und bekam vor lauter Schluchzern kaum noch Luft.

„Shhhh, shhh…“, machte die blonde Zauberin immer wieder beruhigend und hörte nicht auf, die verletzliche Frau in ihren Armen hin und her zu wiegen.

Jetzt erst hatte Glinda begriffen, warum Elphaba noch nicht über diese Nacht hatte sprechen wollen. Sie hatte die Erinnerungen verdrängt und nur weil Glinda nun nachgefragt hatte, war Elphaba wieder alles eingefallen. Die innere Stimme der grünen Frau musste sie davon abgehalten haben, sich an wichtige Details zu erinnern.

Als die blauen Augen die von Elphaba suchten, erschrak sie beinahe beim Anblick der strähnig roten Wangen. Plötzlich war Glinda klar, was ihr die ganze Zeit so merkwürdig vorgekommen war. Sie wusste, dass Elphaba im Moment in einem sehr schlechten Zustand war – zumindest emotional und sie hoffte innig, dass ihre Schlussfolgerung richtig war.

„Elphaba…“, sagte sie ruhig und drückte den grünen Körper sanft von sich. „Elphaba, sieh mich an.“

Die Hexe drehte sich um und wischte sich eine Träne aus dem schmerzenden Augenwinkel.

„Vertraust du mir?“, fragte Glinda geradeaus und erntete dafür einen verwirrten Blick, aber auch ein seichtes Nicken.

„Gut. Schließ bitte die Augen und öffne sie erst wieder, wenn ich es sage.“

Ohne ein Wort schloss Elphaba die Augen und fühlte Glindas weiche Hand auf ihrer brennenden Wange.

Die blonde Schönheit griff bedacht in Elphabas Kleidtasche, was die Hexe flüchtig zucken lies. Kurze Zeit später atmete sie jedoch schon wieder ruhiger und Glinda begann, die Flüssigkeit aus dem blauen Fläschchen vorsichtig auf den roten Spuren in dem grünen Gesicht zu verteilen.

Als sie fertig war, ließ sie das Fläschchen wieder in Elphabas Tasche gleiten und griff dann nach der Kette, die hinter ihr im Gras lag.

Elphaba fühlte, wie Glindas Unterarme ihren Hals streiften und erst dachte sie, Glinda hätte die Arme um ihren Hals gelegt.

Doch dann fühlte sie etwas Kaltes auf ihrem Brustkorb und ihr wurde klar, dass es nur die Kette sein konnte.

„Glinda, nein…“, nuschelte sie, machte jedoch keine Anstalten, sich zu wehren.

„Shhh, shhh… Vertrau mir, bitte.“

Glinda drehte den Verschluss zu und setzte sich wieder vor Elphaba. Dann nahm sie Elphies Hand in die ihre und streichelte sie angespannt.

Elphaba schien, als wäre eine Ewigkeit vergangen, als Glinda nach einigen Minuten ihren Namen sagte.

„Elphaba, sieh mich an.“

Sie tat wie ihr geheißen und wusste nicht, was Glinda vorhatte. Die blauen Augen strahlten, doch eine Träne bahnte sich einen Weg und lief die rosige Wange hinunter.

Zärtlich legte nun die Hexe ihre Hand auf Glindas Wange und strich die Träne mit ihrem Daumen weg.

„Glinda, was…“, begann sie verblüfft, als ihre hautfarbene Hand ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchte.

„Schau dich an.“ Glinda deutete auf den See. Sie konnte Elphabas Schmerz nicht länger ertragen. Sie fühlte ihn beinahe genauso stark und sie konnte in den braunen Augen fast genauso lesen, wie in einem Buch.

Zögernd drehte sich die Hexe um und schaute abermals auf ihr vom Wasser gespiegeltes Bild.

„Das Geheimnis der Träne, Elphaba. Ihre magische Kraft. Solange du sie trägst, hast du eine normale Hautfarbe.“

„Das kann doch nicht wahr sein! Wozu das alles?“ Die Hexe drehte sich um und sah fragend in die blauen Augen. Ihre Stirn war in Falten gelegt. „Ich dachte, die heiligen Tränen unterstützen keine Manipulationen oder Täuschungen? Ich dachte, dass jede der sieben Tränen nur eine der sieben Wohltaten unterstützen würde: Liebe, Freundschaft, Schutz, Gesundheit und Loyalität, Liberalität, Solidarität?“

„Da weißt du wieder mehr als ich..“, Glinda lächelte leicht. „Aber das passt gut ins Bild. Es dient nicht zur Täuschung.“

„Bitte, Glinda, wovon redest du?“ Elphaba machte ein gequältes Gesicht.

„Elphie, hat es dir weh getan, als du meine Träne weggewischt hast?“

„Was?“

„Ob es dir weh getan..“

„Nein, nein, hat es nicht!“ Nun war die Hexe ohne Zweifel frustriert.

„Hör mir zu, Elphaba.“, sagte Glinda nun beruhigend.

Als sie sich sicher war, dass Elphaba etwas ruhevoller war, sprach sie weiter: „Diese Träne um deinen Hals ist dann entweder die Träne für Gesundheit oder Schutz. Ich würde eher zu Letzterem tendieren. Der Regen hätte dich beinahe ums Leben gebracht. Der Trank aus der blauen Flasche ist wässrig. Wenn nicht sogar das Wasser aus diesem See… Und es hat dir nichts anhaben können. In Kombination mit der Kette wurde die Magie freigesetzt und wann immer du nun die Kette anziehst, kann Wasser dir nichts mehr anhaben und wenn du die Kette nicht trägst, heilt der Trank die Wunden.“

„Das glaubst du doch wohl nicht im Ernst!“, stieß Elphaba aus.

„Ich glaube es schon, aber ich weiß es nicht.“, antwortete Glinda ruhig. „Aber es macht doch Sinn. Deine Hautfarbe wechselt, wenn du diese Kette trägst und vorhin, als ich auf der anderen Seite des Sees geweint habe, hast du mir schon einmal meine Tränen weggewischt, ohne Schmerzen zu haben, wie mir schien. Und du hast selber geweint… Als du das mit deinem Vater erfahren hast. Und keine deiner Tränen hat eine wunde Stelle hinterlassen, oder?“

„Das stimmt…“, gab Elphaba zu. Ihr war es überhaupt nicht aufgefallen, was sie ihrem Gefühlschaos zuschrieb.

„Siehst du. Und beide Male warst du nicht grün! Im Umkehrschluss würde das bedeuten, die Kette schützt dich.“

Die Hexe konnte darauf nichts erwidern. Das klang alles viel zu absurd. Wie konnte man einfach so die Hautfarbe wechseln?

„Elphaba…“, riss Glinda die Freundin aus ihren Gedanken. „Probier es mal aus.“

„Hm?“ Die dunklen Augenbrauen zogen sich fragend zusammen.

„Da!“, Glinda deutet auf den See. „Probier es mal aus.“

„Ich soll meine HAND ins WASSER stecken?“, rief Elphie verstört aus.

Glinda zuckte nur mit den Schultern und deutete mit einer Handgestikulierung an, dass es nicht ihre Sache wäre, das zu entscheiden.

„Na schön… Na schön!“, brummte Elphaba und drehte sich zum See um. Glinda war sofort neben ihr und sah gespannt zu. Wenn ihre Theorie nicht stimmte, würde Elphaba sich schwer verletzen…

Vorsichtig ging die Hexe wieder in die Position, in welcher sie eben über dem See gesessen hatte und streckte abermals ihre linke Hand über das Wasser.

Sie atmete einmal tief durch, bevor sie ihren Zeigefinger senkte, sodass er leicht die Wasseroberfläche berührte.

Aus alter Gewohnheit riss sie den Finger reflexartig wieder in die Höhe, als sie das feuchte Nass spürte.

Glinda sog neben ihr zischend die Luft ein: „Tut es weh?“

„Nein…“, flüsterte Elphaba erstaunt und wiederholte das Ganze noch einmal.

Die blonde Frau neben ihr konnte dieses Szenario kaum mit ansehen. Sie erinnerte sich noch an pikante Situationen, in denen Elphaba sich panisch vor Wasser geschützt hatte.

Vorsichtig tunkte diese nun ihren ganzen Finger ins Wasser und wedelte damit herum.

„Großer Oz…“, stöhnte sie, als sie fühlte, wie das Wasser ihren Finger umschloss.

„Oz, Lurline und der namenlose Gott…“, wisperte Glinda fassungslos neben ihr.

Als Nächstes tunkte Elphaba ihre ganze Hand ins Wasser. Jedoch nur kurz und wartete gespannt ab.

„Nichts… Nicht mal ein leichtes Brennen…“, murmelte sie versunken und tauchte erneut die Hand ins Wasser.

Langsam bewegte sie ihre Hand im Wasser hin und her und zog immer größere Bahnen. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie den Widerstand des Wassers fühlte und war fasziniert.

Dann zog sie ihre Hand aus dem Wasser und schüttelte die Tropfen ab.

„Das war unglaublich.“

„Nein“, wandte Glinda ein, „Das IST unglaublich.“

Behutsam lehnte die Hexe sich nach hinten und zog die langen, dünnen Beine unter ihrem Körper hervor. Erst tauchte sie ihre Fußspitzen, dann ihren Fuß und dann ihre Beine bis hin zu den Knien ins Wasser ein. Dabei gab sie Geräusche von sich, bei denen Glinda sich nicht sicher war, ob sie positiven oder negativen Ursprungs waren. Aber da Elphie anscheinend keine Schmerzen hatte, nahm sie Ersteres an. Also setzte sie sich genau wie die Hexe ans Ufer und ließ ihre Beine ins Wasser gleiten.

„Das fühlt sich so unglaublich toll an, Glinda….“, raunte sie.

Glinda schwieg. Sie wollte unbedingt wissen, ob es stimmte, was Elphaba eben erst behauptet hatte. Ramón konnte doch unmöglich ihr Halbbruder sein! Doch die Zauberin riss sich weiterhin zusammen. Sie wusste, dass Elphaba erst eines nach dem anderen verarbeiten musste.

So saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander, während Elphaba mit dem neusten Element in ihrem Leben herumexperimentierte. Sie klatschte mit ihren Fingerspitzen auf der Wasseroberfläche herum, wackelte mit ihren Zehen unter Wasser und ließ Wassertropfen von ihren Fingerspitzen auf Nase, Mund und Augen fallen.

Elphaba war dankbar für Glindas Schweigen. Sie wusste genau, der Freundin musste diese eine Frage auf der Zunge brennen.

Nach einem tiefen Seufzer begann sie, leise zu sprechen: „Nachdem Akaber all diese Sachen eben gesagt hatte, begann sie, Dinge aus ihrer Vergangenheit zu reflektieren. Ganz nach dem Motto: „Was wäre, wenn du ihre Pläne nicht durchkreuzt hättest?“ Sie schluchzte und weinte und ich konnte kaum irgendetwas verstehen. Ich hörte, dass es um Liebe ging. Um die Liebe ihres Lebens – der Zauberer von Oz - und das du es wohl alles zerstört hättest. Und dann sagte sie so etwas in der Art wie: ‚Und wenn du nicht gewesen wärst, dann hätte ich ihm gesagt, dass Ramón sein Sohn ist!’ … Das fiel mir aber auch erst eben wieder ein und darum kann ich nun mit Sicherheit sagen, dass ich WEIß, dass Ramón der Sohn von Akaber ist… und eben vom Zauberer. Und wenn es stimmt, dass der Zauberer auch MEIN Vater ist, dann…“ Plötzlich versagte ihre Stimme und sie konnte nicht mehr weiter sprechen.

Glinda führte ihren Satz nickend zu Ende: „… dann ist Ramón dein Halbbruder, weil ihr den gleichen Vater habt.“

„Was für eine grauenhafte Vorstellung…“, murmelte die Hexe.

„Wenn ich fragen würde, ob es stimmt, dass Ramón etwas mit der ganzen Sache hier zu tun hat, würdest du die Frage dann mit ‚Ja’ beantworten?“, Glinda sah Elphie fragend an.

„Ja, aber Glinda, bitte, ich kann jetzt nicht noch…“

„Schon gut, schon gut! Ich frage ja nicht!“, grinste die blonde Schönheit nun und versuchte, vom diesem bedrückenden Thema ab zukommen. Sie konnte warten nicht leiden, aber wenn das hieß, Elphaba würde dies alles dann besser verarbeiten, so würde sie sogar sehr gerne noch etwas warten.
 

Seufzend ließ sich Ramón wieder in seinen schwarzen Ledersessel fallen und starrte auf die drei Akten am Rande seines Schreibtisches.

‚Wer nur zuschaut, verrichtet keine Arbeit…’, erinnerte er sich an den Lieblingssatz seiner Lehrerin und langte hinüber zu dem Stapel.

Ramón blätterte jede Akte kurz durch, um die Ankunftszeiten zu vergleichen. Da jede der Frauen aus einem ganz anderen Teil des Landes kam, war es unmöglich, dass sie alle zur selben Zeit eintrafen. Adlerauge sollte schon in zwei Stunden ankommen, Penelope eine Stunde später und Stella erst kurz vor Mitternacht.

Bei dem Gedanken, Stellaione Arlet zu erklären, dass sie dann in weniger als sieben Stunden wieder aufstehen musste, wurde es dem blonden Mann schon ganz anders.

Mit einem erneuten Seufzer nahm er sich Adlerauges Akte vor, in der Hoffnung, dass eine Frau aus Quadlingen keine großen Ansprüche an einen Drei-Tages-Aufenthalt hegte. Adlerauges Mappe war die dünnste von allen.

Er schlug sie auf und überflog nur kurz ihren Lebenslauf, welcher in jeder Mappe obenauf lag.

„Oh, Shizzer Akademie, 7 bis 10 nach Oz!“, las er erstaunt. Ramón fand diesen Zufall beinahe schon etwas lustig und schmunzelte, als er auf die zweite Seite blätterte, welche die Überschrift ‚Generelle Abneigungen’ trug.

Verdutzt zog Ramón seine blonden Augenbrauen in die Höhe, als er las: ‚Katzen oder KATZEN’. Es war das einzige, was auf dieser Seite stand und unten befand sich noch eine kleine Anmerkung: ‚Es dürfen sich weder Katzen, noch KATZEN in Meisterin Adlerauges Nähe befinden!’

Genervt blätterte er weiter und war froh, als Seite drei – Allergien – unbeschriftet war. Das nächste Blatt befasste sich mit der Raumgestaltung und hier waren ausdrückliche Forderungen festgehalten worden: ‚Meisterin Adlerauge wünscht den größten Raum, den Sie haben; Meisterin Adlerauge will keinen Teppichboden – Fliesen wären praktisch, Holzboden ist auch akzeptabel; Meisterin Adlerauge verlangt mindestens ein großes Fenster; Meisterin Adlerauge wäre von einem großen Gewölbe sehr angetan – Ende’

Kopfschüttelnd blätterte er weiter und war erleichtert, dass noch jede Forderung erfüllbar war.

‚Luxuriös ist das wohl kaum…’, dachte Ramón verwundert, ‚…aber so ganz klar im Kopf ist sie bestimmt nicht!’

Irgendwie war er auf diese Person schon sehr gespannt und diese Spannung steigerte sich mit der nächsten Seite, denn Seite fünf hielt die Essenwünsche fest: ‚Körner, Kerne, getrocknete Früchte und Mäuse’

„Mäuse?“, rief Ramón angeekelt aus. „Das ist ja ekelhaft!“

Er nahm sich vor, mit dieser Frau nicht zu flüstern und erst gar nicht in die Nähe ihres Atmens zu gelangen.

Auch auf der letzten Seite, die sich mit den generellen Forderungen beschäftigte, stand nicht viel. Der blonde Mann wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, das Adlerauge jeden Morgen, Mittag und Abend eine Bodenreinigung verlangte. Und warum sie es ablehnte, wenn die Dienerschaft helle Farben trug, war ihm auch ein Rätsel.

‚Vielleicht hat sie einen Sauberkeitsfimmel oder so was…’, grübelte er, als er nach Peer rief. Dieser erschien sofort in der Tür: „Monsieur, Sie haben gerufen?“

„Allerdings. Hiermit teile ich dir Adlerauge zu. Sie wird als erste hier eintreffen und du wirst ihr ab diesem Zeitpunkt als persönlicher Assistent dienen. Hör genau zu und befolge die Anweisungen ohne Fragen.“

Peer nickte erleichtert. Fokko, Jytte und er hatten darum gebetet, nicht Stellaione als persönlicher Assistent oder persönliche Assistentin dienen zu müssen und er war jetzt aus dem Schneider.

„Jawohl, Monsieur!“, nickte der dunkelhaarige, junge Diener.

Ramón begann ohne Umschweife: „Zu allererst wirst du den großen Schlafsaal im Nordflügel vorbereiten. Nur eines der 23 Betten soll sich noch dort befinden, wenn sie ankommt. Überprüfe dann den kompletten Flügel auf Katzen oder ähnliche Tiere. Generell auf Tiere, außer Mäuse. Die lässt du leben. Danach gibst du dem Koch ihre Essenswünsche weiter, welche ich dir hier per Hand notiert habe.“

Ramón reichte ihm die Liste und Peer unterdrückte jegliche Mimik, als er das Wort ‚Mäuse’ las.

„Während dieser Tage wirst du nur schwarze oder dunkelblaue Hemden tragen. Oh, das hätte ich ja bald vergessen…“, bemerkte der blonde Mann, als er abermals die Akte überflog. „Das Gewölbe soll staubkörnchenfrei sein. Und lass Dorle wissen, sie soll drei Mal am Tag den Saal wischen.“

„Das Gewölbe? Wie soll ich da hoch…“

„Es ist mir egal, wie du das anstellst. Nun geh, du hast zwei Stunden.“

Nickend verließ Peer den Raum und war sich nicht mehr sicher, ob Stellaione diejenige mit den meisten oder merkwürdigsten Ansprüchen war.

Fokko und Jytte warteten um die Ecke und er ging mit einem Schulterzucken und einem gemurmelten: „Adlerauge…“ an ihnen vorbei.

Nach ein paar Minuten wurde Fokko in das Büro gerufen: „Fokko, ich teile dir hiermit Penelope zu. Richte ihr den hellen Raum im Westflügel her. Sollten keine farbigen Gardinen dort vorhanden sein, tausche sie aus. Teile dem Koch mit, dass sie gegen Nüsse aller Art allergisch ist. Als letzten Punkt wünsche ich, dass du ihr jeden Morgen ein Gänseblümchen ans Bett stellst – MIT Wurzel. Das ist von größter Wichtigkeit. MIT Wurzel!“

„Das ist alles?“, fragte der rothaarige Mann verblüfft. Er war mit seiner Stupsnase und den Sommersprossen kein hübscher Anblick. Ein triftiger Grund, warum Ramón ihn für das Fräulein Griek ausgewählt hatte.

„Ja, mach dich an die Arbeit. Du hast knappe drei Stunden, bis du sie in Empfang nehmen wirst.“

Fokko nickte glücklich. Er hatte ein gutes Los gezogen, was aber nun für seine Kollegin Schlechtes verheißen ließ.

Er machte kehrt und teilte der lustlosen Jytte seine Zuweisung mit. „Grandios..“, murmelte Jytte sarkastisch, als Fokko sich auf den Weg an die Arbeit machte.

Ramón saß in seinem Ledersessel versunken und blätterte immer wieder durch Penelopes Akte. Es stand natürlich nichts von einem Gänseblümchen darin. Er blieb an dem Foto ihres Lebenslaufs hängen und fuhr immer wieder mit dem Zeigefinger darüber, als die Erinnerungen in ihm aufsteigen:
 

Es war ein verschneiter Tag gewesen. Seine Mutter musste sich elend gefühlt haben… Dennoch war er wie geplant mit dem Zug nach Hinter-Appelstett gefahren, um seine Schwester zu besuchen. Durch die großen Schneemassen war er den ganzen Tag unterwegs gewesen. Ansonsten dauerte die Fahrt nur fünf Stunden.

Am Abend war er entnervt und erschöpft angekommen, sodass seine Schwester um einen Raum für die Nacht angefragt und auch bewilligt bekommen hatte.

Sie hatte ihm jedes Mal ihr Leid geklagt, wie schwer es für sie war, so weit von ihrer Mutter getrennt zu sein. Das Leben hier, er hörte ihre Worte noch immer, sei so trist und langweilig. Militärische Erziehung und alles was dazu gehörte, um jugendlichen Willen zu brechen.

Ramón war immer der Ansicht gewesen, seine Schwester würde endlich das bekommen, was sie verdiente. Denn sie und seine Mutter hatten von klein auf an ihm herumgenörgelt. Auch, wenn er älter war als Aylin, hatte seine Mutter ihr direkt deutlich gemacht, sie sei stärker, weil sie eine Frau wäre.

Vom Bahnhof aus hatte er sich den Weg alleine suchen müssen, denn es war viel zu spät gewesen, sodass keines der Mädchen und keiner der Jungen aus der Anstalt mehr Ausgang hatten.

Und in diesem kleinen Kaff fuhren auch nach 18 Uhr keine Kutschen mehr.

Als er zwei Stunden später immer noch nicht angekommen war, akzeptierte er den Fakt, dass er sich verlaufen hatte.

Dann hatte er sich unter dem nächst besten Baum niedergelassen, denn es war die einzige Stelle weit und breit gewesen, die nicht von Schnee bedeckt war.

Da er nicht hatte schlafen können, hatte er das kleine Gänseblümchen gepflückt, was dort einsam und verlassen beinahe mit dem Weiß des Schnees verschmolzen wäre.

Müde hatte er es immer wieder in seiner Hand gedreht, bis ihn eine Stimme aus seiner Starre geholt hatte: „Gänseblümchen bedeuten: kindliche Unschuld. Du hast sie getötet.“

Verwirrt hatte er sich nach der Person umgeschaut, von der diese tiefe, aber dennoch weibliche Stimme kommen musste. In der Dunkelheit konnte er nichts sehen.

„Hallo?“

„Würdest du auch einem Kind die Seele rausreißen?“

„Wer bist du… WO bist du?“ Dem jungen Mann war ein eiskalter Schauer über den Rücken gelaufen.

„HIER!“, hatte die Stimme direkt an seinem Ohr geflüstert und zwei starke Hände hatten kurz seine Schulter ruckartig berührt.

Wie ein kleines Kind war er damals zusammengefahren und hatte aufgeschrien. Die Blume war aus seinen Händen gefallen.

Aus Reflex hatte er fliehen wollen, doch die Hände ergriffen seine Beine und hielten sie fest.

„Ich bin die Gottlose. Ich bin die Rächerin. Ich bin die Irrationale. Ich bin die Eindeutige. Ich bin deine Königin, oder auch deine Katastrophe. Das kannst du dir aussuchen.“, hatte die Stimme gesagt.

„Lass mich los!“

„Entscheide dich: Königin oder Katastrophe!“

„WAS?“

„Zwei Mal ‚K’ akzeptiere ich nicht. Es passt nicht. Es sieht komisch aus.“

„Du bist irre. Lass mich los!“

„Katastrophe also?“ Bei den Worten wurde der Griff um seine Beine fester.

„Nein! Nein! Bitte lass mich los.“

„Meine Königin!“

„WAS?“

„Bitte lasst mich los, meine Königin!“, äffte die Stimme ihm nach.

Aus lauter Angst rezitierte er: „Bitte lasst mich los, meine Königin!“

„Wie ihr wünscht, mein König.“

Schnell hatte er seine Beine angezogen und sie schützend vor seinen Körper gestellt. Er hatte in die Richtung der Stimme gestarrt und sah nun dunkle Umrisse, die durch seine Angsttränen verschwammen.

„Ich hatte dich nicht für so einen Feigling gehalten, Ramón.“

„Woher kennst du meinen Namen? Wer zum…“

„Woher! Woher! Ich weiß, wer du bist!“, hatte die Stimme dazwischen geplappert. „Du bist der Angesehene. Mein König. Der Angepasste. Der Bodenständige. Der Egoist. Der Rächer.“

„Was redest du da? Was für ein Rächer?“ Damals hatte er es mit der Angst zu tun bekommen.

„Der Rächer deiner Kindheit.“

„WAS?“

„Warum rupfst du sonst einfach Gänseblümchen aus der Erde?“

„Oh Oz! Du ist irre. Bleib mir bloß vom Leib.“

„Bei der Schwester will ich deine Kindheit nicht gehabt haben.“

„Woher weißt du…“

„Aylin? Nicht wahr? Sie nervt mich ganz schön. Eine kleine Bestie.“

„Du kennst Aylin?“

„Ich muss mir mit ihr ein Zimmer teilen!“

„WAS?“

„Oh, habe ich mich etwa noch gar nicht vorgestellt? Ich heiße Penelope!“, hatte die Stimme mit honigsüßem Klang gesagt und ein Lächeln war eindeutig vernehmbar gewesen.

„Kein Wunder, dass es ihr dort nicht gefällt!“ Ramóns Angst hatte sich in Wut gewandelt.

„Olala, sei nicht so gemein zu mir!“

„Ich gemein zu dir? Sag mal, was erlaubst du dir eigentlich?“

„Das ist also der Dank dafür, dass ich dich abholen wollte. Ich glaube, das überlege ich mir noch mal.“

„Bevor ich mit dir irgendwohin gehe, lässt Lurline mich tot umfallen.“

„Keine Gottesnamen!“

„WAS?“

„Du befindest dich in der Anwesenheit der Gottlosen!“

„Oder der total Übergeschnappten!“

Da hatte die Stimme herzlich gelacht.

„Du gefällst mir!“

„Du mir nicht!“, hatte Ramón geantwortet und sich sehnlichst gewünscht, er wäre woanders.

„Verzeiht mir, mein König, wenn Euch meine Begrüßung missfallen hat. Ich nahm an, etwas Aufregung in Eurem Leben würde Euch für die Zukunft stärken.“

Die Wolken waren in diesem Moment vom Mond gewichen und das silberne Licht wurde von langen, dunklen Haaren reflektiert.

Verblüfft sah er in ebenso dunkle Augen, die ihn anlächelten, genauso wie die Zähne, die so weiß wie der Schnee gewesen waren.

„Hallo!“, hatte Penelope gezwinkert, als Ramón sie so angestarrt hatte. „Ich wusste gar nicht, dass du so gut aussiehst. Deine Schwester redet ja nicht gerade freundlich von dir.“

Dann hatte sie nichts mehr gesagt und auf eine Reaktion von ihm gewartet.

„Wie bist du da eigentlich raus gekommen?“, war seine Frage nach einer kurzen Stille gewesen. Er hatte eingesehen, dass er die Frau ihm gegenüber so schnell nicht wieder loswerden würde und wollte versuchen, normal mit ihr zu sprechen.

„Es gibt etwas, das nennt man Türen. Diese Erfindung ist ganz neu und beliebt hier in Hinter-Appelstett.“, hatte Penelope äußerst sarkastisch geäußert.

„Oz! Ich gebe es auf!“ Ramón wollte sich erheben, doch Penelope zog ihn zurück.

„Schon gut, schon gut. Ich bin ein ganz abnormales Mädchen. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.“

„Abnormal und keine Angst ist ein Widerspruch in sich!“, hatte Ramón gemurrt.

„Nein. Ist es nicht! Stell dir doch mal vor, alle Menschen würden nach der gesellschaftlichen Definition von ‚Normal’ leben. Was wäre das für eine Welt?“

Erstaunt hatte er sie angesehen und festgestellt, dass sie recht hatte.

„So habe ich das noch nie gesehen!“ Sie hatte es ihm angetan…

„Darum bin ich hier. Du hast nur eine Sichtweise in deinem Leben. Ich zeige dir eine andere!“

„Wovon redest du?“

„Ramón, du hattest dein Leben lang nur weibliche Bezugspersonen. Deine Mutter ist die Autorität in Person und landesweit gefürchtet, sowie respektiert. Niemand darf ihre Anforderungen, Gedanken, Vorstellungen infrage stellen. Du warst ihr erstes Kind, ein Junge und das, nachdem dein Vater sie verlassen hat. Die Verarbeitung dieses Verlustes hat sie an dir ausgelassen. An dir als Baby, an dir als kleiner Junge. Sie hat dich seelisch missbraucht. Als deine Schwester auf die Welt kam, wuchs sie in dieses Szenario hinein und es ist stabil bis heute. Du hast keinen Respekt vor Frauen, weil sie in deinen Augen keinen Wert haben. Warum auch? Schließlich haben sie nie etwas Wertvolles für dich getan. Du hasst autoritäre und mächtige Frauen, weil sie dir das Gefühl geben, klein, unscheinbar und machtlos zu sein.“

Während ihrer Worte war seine Stimmung ein Gemisch aus Wut, Trauer, Resignation und Frustration gewesen.

„Woher willst du das wissen?“, war das einzige gewesen, was er hatte rausbringen können.

„Du fragst zu viel!“

„DU sagst zu viel! Besitzt du überhaupt ein Distanzgefühl? Dass du dir…“

„Nein, besitze ich nicht. Was meinst du, warum ich in dieser Anstalt stecke?“

„ICH WAR NOCH NICHT FERTIG!“, hatte er geschrien und ihm war der Kragen geplatzt.

„Dass du dir einfach so etwas raus nimmst! Du kennst mich nicht und analysierst meine Kindheit, nachdem du mich zu Tode erschreckt hast!“ Seine Worte waren laut gewesen, doch Penelope hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt.

Als er keuchend vor ihr gesessen hatte, fragte sie: „Bist du fertig?“

„NEIN! Woher willst du so was wissen?

„Du hast das Gänseblümchen in einem Winkel von 63,8° ausgerupft und es ganze 103 Mal durch deine Hand gedreht. Dabei hast du es nicht angesehen und es fallen gelassen, als ich dich erschrocken habe!“

„Das ist doch nicht dein Ernst!“

„Nein!“, hatte sie gelacht. „Aber erstens erzählt Aylin mir so einiges ohne es zu merken und zweitens liege ich drei Stunden am Tag im Luftschacht, der an den Psychotherapieraum grenzt!“

Für einen kurzen Moment hatte er ihr wirklich abgenommen, dass sie ein mathematisch-psychologisches Genie war.

Aus unerfindlichen Gründen hatte auch er dann lachen müssen: „Du bist wirklich anders!“

„Endlich siehst du das ein!“ Auf ihren Zügen hatte ein freundliches Lächeln gewesen.

„Gehst du nun mit?“ Dann war sie aufgestanden und hatte ihm eine Hand dargeboten.

Kopfnickend hatte er dann ihre Hand in seine genommen und er hatte festgestellt, dass er durchgefroren war.

„Willst du das Blümchen mitnehmen?“, hatte er gefragt.

„Nein, solche Blumen sind nur schöne Leichen. Ich stelle mir keine seelenlosen Kinder in eine Vase!“

Den Rest des Weges hatten sie geschwiegen und er hatte über ihre Worte nachgedacht.
 

Verträumt saß Ramón noch immer über das Bild gebeugt, als ihn plötzlich etwas in die Realität zurückrief.

„Penelope G.R.I.E.K. ...“, murmelte er verwundert und fragte sich, warum ihr Nachname in dieser Art geschrieben worden war.

„Ich bin die Gottlose. Ich bin die Rächerin. Ich bin die Irrationale. Ich bin die Eindeutige. Ich bin deine Königin, oder auch deine Katastrophe. Das kannst du dir aussuchen.“, hallte es in seinem Kopf wider und erst jetzt verstand Ramón, was ihr Nachname für eine Bedeutung hatte.

Er versuchte sich auch, an ihre Worte über seine Person zu erinnern.

„Der Angesehene, der König, der Angepasste. Der Bodenständige. Der Egoist. Der Rächer.“, wiederholte er im Flüsterton und fügte abermals die Anfangsbuchstaben zusammen: „Akaber!“, hauchte er erstaunt.

Diese Frau hatte ihn vom ersten Moment an fasziniert und die Male, die sie sich danach noch gesehen haben, konnte er an einer Hand abzählen. Nach nun mehr als sechs Jahren würde er seine Jugendliebe endlich wieder treffen.

Doch plötzlich fiel im noch etwas ins Auge und er schrie auf: „Shizzer Akademie, 9 bis 11 nach Oz – Abbruch im dritten Jahr!“

Furios griff er nach der dicksten Akte – die Akte von Stellaione Alert und blätterte die erste Seite auf.

Stöhnend fasste er sich an den Kopf und las: „Shizzer Akademie, 10 bis 13 nach Oz! Das darf ja nicht wahr sein!“

In seinen Gedanken hatte er kombiniert, dass sich alle drei Frauen aus ihren Studienzeiten kennen mussten.

Räuspernd stand Jytte in der Tür und der blonde Mann sah wütend auf.

„Was ist!?“, fuhr er sie an.

„Entschuldigen Sie vielmals, Monsieur Akaber, aber ich habe nun schon eine knappe Stunde gewartet. Ich habe Angst, nicht mit den Vorbereitungen für Miss Arlet fertig zu werden.“

„Wissen Sie was?“, maulte Ramón und erhob sich von seinem Schreibtischstuhl. Die Akte hielt er noch immer in seiner Hand und kam auf Jytte zu. „Lesen Sie den Kram hier selber! Ich habe Wichtigeres zu tun!“

„Was?“, rief Jytte erschrocken aus.

„Bereiten Sie alles vor und wehe, Stella beschwert sich!“

Mit diesen Worten war er auch schon zur Tür heraus und Jytte konnte ihn schimpfen hören.

Als Londaro ihn einige Stunden später suchte, fand er seinen Freund in der Bibliothek. Er saß dort mitten in einem großen Haufen von Büchern und schien sehr konzentriert.

„Was liest du da?“, fragte Londaro vorsichtig.

„Jahresbücher.“

„Von was?“

„Shiz.“ Ramón schien in diese Bücher versunken zu sein.

„Ramón?“

Der blonde Mann fuhr mit einem Buch in der Hand herum: „WAS?“ und Londaro konnte den Titel entziffern: ‚Shiz, Jahresabschlussbuch, 9 nach Oz’.

„Du hast Adlerauge verpasst. Aber Penelope ist gerade angekommen und ich…“

Mit einem Sprung stand Ramón auf den Beinen und lief zur Tür hinaus.

„… nahm an, dass du sie nicht verpassen willst…“, murmelte Londaro verwirrt in den leeren Raum hinein.

WICHTIG: Zum Verständnis vorher diese Textstelle vom Originalbuch 'WICKED' by Gregory Maguire lesen!

In der Kutsche hatte Glinda zwei der begehrten Sitze in Fahrtrichtung ergattert und verteidigte Elphabas Platz gegen drei andere Passagiere. [… ] Wie ich mich doch, dachte sie, in noch nicht einmal zwei Jahren verändert habe. […] Womöglich bin ich die einzige Person im Perther Bergland, die jemals unseren Zauberer persönlich kennengelernt hat. […] Und wir sind noch am Leben.

[…]

Endlich sah sie Elphaba angerannt kommen, den dünnen, knochigen Körper wie üblich mit einem Cape vor möglicher Nässe geschützt. […] Glinda stieß die Tür auf. „Dem Himmel sei dank, ich dachte schon, du schaffst es nicht mehr.“, sagte sie. „Der Fahrer will unbedingt los. […]“

„[…] Unsere Wege trennen sich hier. Ich werde nicht mit dir […] zurückfahren. Ich werde selbstständig irgendwo weiterstudieren. Ich werde nie wieder Madame Akabers…. Anstalt besuchen.“

„ Nein, Nein“, schrie Glinda. „Das lasse ich nicht zu! […] Nessarose wird es nicht überleben! Madame Akaber wird… Elphie, nein. Nein!“

„Sag ihnen, ich hätte dich entführt und gezwungen mitzukommen, das werden sie mir zutrauen“, sagte Elphaba. Sie stand auf dem Trittbrett. […] „Sie brauchen nicht nach mir zu suchen, Glinda, denn sie werden mich nicht finden. Hiermit mache ich einen Abgang.“

[…]

„Elphie, red keinen Quatsch, steig jetzt in diese Kutsche!“, rief Glinda. Der Fahrer griff sich die Zügel und schrie Elphaba zu, sie solle zur Seite gehen.

„Du machst das schon“, sagte Elphaba. […] Sie schmiegte ihr Gesicht an Glindas und küsste sie. „Halte durch, wenn du kannst“, murmelte sie und küsste sie noch einmal. „ Halte durch.“

Der Fahrer schnalzte mit den Zügeln und schrie eine letzte Aufforderung. Glinda reckte den Kopf und sah, wie Elphaba wieder in die Menge eintauchte. Es war erstaunlich, wie rasch sie bei ihrer auffälligen Hautfarbe im allgemeinen Gewimmel auf den Straßen der Smaragdstadt verschwand. Oder vielleicht lag es auch an den dummen Tränen, die Glindas Blick verschleierten. Elphaba hatte natürlich nicht geweint. Sie hatte hastig den Kopf abgewandt, als sie absprang, nicht um ihre Tränen, sondern um ihre Tränenlosigkeit zu verbergen. Aber der Schmerz, den Glinda fühlte, war echt.
 

Die Stelle 'Defying Gravity' vom Musical haben wir gegen diese Buchstelle getauscht. Sie passt logisch besser zu dieser FanFiktion.
 

Londaro: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Londaro-1-97799357

Penelope: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Penelope-1-98448488
 

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Kapitel 39
 

Ohne eine Wort führte Kwen den genauso schweigsamen Orez wieder auf seinen Platz an der hinteren Wand des dunklen Raumes. Er konnte die Blicke auf seinem Rücken spüren, als er die Fesseln an Orez’ Handgelenken wieder befestigte.

Doch niemand sagte etwas. Elanora und Gideon wechselten warme Blicke, die sie dringend brauchten, um nicht die Nerven zu verlieren.

Elaine starrte den Mann mit den violetten Haaren böse an und versuchte damit, sein Herz zu durchbohren. Sie war zwar auch sehr besorgt um Glinda, aber noch mehr war sie sauer auf diese ganze Situation.

Auch Meredith schaute dem Szenario zu, welches sich rechts von ihr abspielte, bis sie ihren Blick auf Reseda richtete.

Die hübsche Brünette war schweißgebadet und hatte den Kopf auf ihren Brustkorb sinken lassen, sodass das braune Haar an den Seiten herabfiel. Erst da merkte Meredith, dass sie schlief.

„Kwen!“, sagte sie panisch. „Du musst Resi helfen! Ihr geht es nicht gut!“

Der Angesprochene drehte sich erst um, als er fertig war. „So, muss ich das, ja?“, fragte er provozierend, doch Meredith starrte ihn nur an.

Elanora wandte nun ihren Kopf nach links, damit sie Reseda besser betrachten konnte. Die Hitze der jungen Dame konnte sie spüren und sagte ernsthaft: „Kwen, so unmenschlich kannst selbst du nicht sein! Sie ist krank!“

Kwen sah immer wieder von der einen zur anderen Frau und erst nach kurzer Zeit lächelte er böse: „Oh doch, das kann ich!“

Mit diesen Worten ging er langsam hinaus und schloss die Tür hinter sich. Meredith wusste, es wäre sinnlos gewesen, noch weiter zu betteln, denn das hätte Kwen wahrscheinlich noch mehr gefallen.

„Resi!“, sagte sie mit lauter Stimme, als kein Geräusch mehr von draußen zu hören war. „Resi, bitte wach auf.“

„Reseda, Kind…“, Elanora stupste die dünne Frau mit der Schulter an.

Langsam hob Resi den Kopf und starrte mit fiebrigem Blick in die Dunkelheit: „Was?“

„Resi, oh Oz, Resi, wie geht es dir?“ In Meredith’ Stimme lag nichts als Besorgtheit.

„Es geht schon, Mer. Wirklich. Aber lass mich jetzt bitte etwas schlafen, ja? Vielleicht geht es mir danach wieder besser…“ Der letzte Teil ihres Satzes war mehr ein Nuscheln gewesen.

Die rothaarige Frau schluckte ihre Tränen runter: „Ist gut, Resi.“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Ich liebe dich!“

„Ich dich auch – mit meinem ganzen Herzen.“, kam es schwach von der anderen Seite.

Nun war auch Elanora zu Tränen gerührt. Diese ganze Situation machte sowieso alle in diesem Verlies sehr emotional und sensibel.

„Ich würde vorschlagen…“, begann Gideon nun mit klarer Stimme, sodass sie für alle in diesem Raum vernehmbar war, „… dass wir nun allesamt versuchen, ein bisschen zu schlafen! Wer weiß, wie lange wir schon wach sind. Hier gibt es ja nicht mal ein Fenster!“

„Entschuldigung!“, räusperte Orez sich nun. In der ganzen Aufregung um ihre Frau hatte Meredith ihn völlig vergessen.

„Es tut mir leid, wenn ich eure Ausruhphase unterbrechen muss, aber ich glaube, ich habe euch etwas wichtiges zu sagen.“ Orez war fest davon überzeugt, dass er das richtige tat.

„Das da wäre?“, kam es schnippisch von der gegenüberliegenden Seite der Dunkelheit.

„Elaine, ich habe dein Misstrauen verdient genauso wie das der anderen. Darüber bin ich mir im Klaren. Und jetzt würde ich euch gerne aufklären, in wie weit ich in das ganze Geschehen hier verwickelt bin.“

„Wir hören!“, sagte Gideon diplomatisch.

„Zu allererst möchte ich sagen, dass ich nichts von diesem Regierungsumsturz wusste und außerdem wusste ich auch nicht im Entferntesten etwas davon, was diese Schweine mit Glinda vorhatten oder haben. Das mal vorab.

Ich bin in die ganze Sache schon vor einiger Zeit reingerutscht und zwar als Ramón Heidenbrunn in den Palast kam – das ist natürlich nicht sein richtiger Name. Zu dieser Zeit war ich schon lange in Glinda verliebt und das unsterblich. Mit meiner Hilfe bekam er Zugang zu dem, was in meiner Macht stand und zwar durch ein Versprechen, das er mir gab. Er sagte, er würde das mit Glinda schon für mich regeln und wenn das soweit wäre, dann würde ich auch bald schon etwas zu sagen haben in der ozianischen Politik.

Ich nahm natürlich an, er meinte das in Bezug auf eine Beziehung mit Glinda, doch wie ihr nun alle seht, habe ich mich getäuscht. Ich weiß, dass ich sehr naiv und auch dumm war… Vielleicht auch noch bin, aber Liebe macht bekanntlich blind.

Das ist lange noch keine Entschuldigung für meinen – wenn auch unfreiwilligen – Verrat.

Wie dem auch sei… Ich war an diesem Abend des Feiertagsballs Ramóns Gehilfe, auch, wenn er mir kaum verraten hatte, worum es ging. Irgendwann am Abend, kurz vor Glindas Rede, wisperte er mir den Befehl zu, ich solle zu einem der Kellner gehen und ihm ein Paket von ihm überreichen. Er drückte mir eine winzigkleine Tüte in die Hand.

Ich fragte nicht nach und tat das, was ich sollte. Der gleiche Kellner hat dann Wein verteilt, von dem ihr getrunken habt.“

Es war klar für alle, dass er damit Meredith, Reseda und Elaine ansprach. „Der Wein…“, murmelte Elaine geschockt vor sich hin.

„Ramón hatte mir vorher eine klare Zeit gesagt, wann ich wo sein sollte und was ich zu tun hatte. Erst sollte ich dich, Elaine in eine der bereitstehenden Kutschen bringen, während Ramón mit Glinda tanzte. Londaro hat sich um dich und deine Frau gekümmert, Meredith.

Als ich zurückkam, war Glinda total benebelt und ich vermutete, der Grund dafür wäre der ganze Alkohol gewesen. Also half ich Ramón, sie rauszuschaffen und dann sollte ich an der Kutsche warten. Das tat ich dann auch und kurz vor ein Uhr kam er mit Glinda und noch einer Frau zur Kutsche. Nachdem was ich weiß, ist ihr Name ‚Aylin’ und sie ist seine Schwester.

Ich fuhr die drei dann zum Palast, wo Madame Akaber uns schon erwartete...“

Er hielt kurz inne, denn nach den Worten ‚Madame Akaber’ war lautes Gemurmel ausgebrochen und die Fragen häuften sich.

„Bitte, lasst mich erst aussprechen!“, sagte er laut und wartete, bis es wieder ruhig war. Erst dann redete er weiter: „Ich war genauso verblüfft und geschockt. Jedenfalls sollten wir Glinda dann in ihrem Befehl auf das Zimmer bringen. Als wir hochgingen, lies sich Akaber von Londaro berichten, was alles geschehen war. Ich hörte, wie er sagte, dass alle Frauen, Glinda ausgenommen, wie gewünscht in das smaragdische Gefängnis gebracht worden waren. Dann war ich außer Hörweite und irgendwann kam Akaber hoch und schloss sich in Glindas Zimmer ein.

Mit Ramón wartete ich vor der Tür und erst da fand ich heraus, dass er Glinda umbringen wollte. Ich bin sofort auf ihn losgegangen. Wir haben einen riesen Krach gemacht und Akaber kam raus. Sie zog uns auseinander und drohte uns. Das nächste, was wir dann hörten war ein dumpfer Knall, nachdem sich die Madame wieder in das Zimmer eingeschlossen hatte.

Wir brachen die Türe auf. Glinda war fort und Akaber lag am Boden mit blutendem Hinterkopf!“

Im Moment musste Meredith ehrlich zugeben, dass dieser eintönige Sprachgebrauch ihr lieber war, denn sie fühlte sich mehr als erschöpft.

Doch Elanora war für einen kurzen Augenblick wieder voller Energie und rief: „Was? Glinda ist also in Sicherheit?“ Auch Gideon verkrampfte sich bei dieser Information.

„Ich weiß es nicht, aber ich glaube ja…“, gab Orez zu und sprach schnell weiter, bevor er abermals unterbrochen werden konnte: „Sie war nicht mehr in ihrem Zimmer und die Balkontür stand offen. Das bedeutet, jemand hat sie vor Akaber gerettet. Nur ICH weiß nicht wer und ich habe auch ehrlich gesagt keine Ahnung, ob die anderen es wissen….“

Nach einer Reihe von Stoßgebeten, die aus Elanora und Gideon nur so heraussprudelten, erzählte Orez noch, dass Ramón und somit auch Aylin Akabers Kinder waren. Es hatte etwas gedauert, bis er das kombiniert hatte… Erneut waren die Gefangenen geschockt. Dann berichtete er, wie Ramón ihn hatte festnehmen und durchprügeln lassen – bis hin zur Bewusstlosigkeit.

„Das ist auch der Grund, warum ich selber keine Ahnung habe, wann und wie ich hierhin gekommen bin. Ich weiß nicht einmal, ob ihr schon alle da wart. Aber nach Londaros Aussage muss das ja der Fall gewesen sein.“

„Da wir jedes Zeitgefühl verloren haben, werden wir wohl die Antwort auf diese Frage nie erfahren…“, kommentierte Gideon Orez’ Ausführung.

„Und was wollte Kwen jetzt genau von dir?“, fragte Meredith misstrauisch, die nicht wusste, ob sie dem Mann glauben sollte.

Als Orez den anderen Menschen im Raum auch das Gespräch mit Kwen wiedergegeben hatte, brach erneutes Gefrage und Gemurmel aus.

„Warum sind sie so interessiert an der Beziehung von meiner Tochter und der Hexe?“, Elanora war verwirrt.

„Und was denken die bitte, welche Art von Beziehung ich zu Glinda habe?“, schnaubte Meredith, die sich anhand der Fragen denken konnte, worauf es die Dreckskerle abgesehen hatten.

„Ist die… Ist Elphaba nicht gestorben?“ Es war mehr eine rhetorische Frage von Gideon, der mit Absicht den richtigen Namen der Hexe benutzt hatte. Nach Glindas erstem Brief hatte seine Tochter sich sehr verändert und sie hatte nur noch gut über ‚ihre Elphie’ gesprochen. Seine Vermutungen, dass es Elphaba gewesen war, durch die sich sein Lindalieschen so zum Positiven entwickelt hatte, sah er nun auf irgendeine Art und Weise bestätigt.

„Für Glinda nicht…“, kam es nun aus der Dunkelheit. Es war Elaines ruhige Stimme.

„Was soll das bedeuten?“, fragte Elanora, deren Verwirrung stetig zunahm.

Elaine erzählte ihnen den kurzen Ausschnitt, als Glinda sie ‚Elphie’ genannt hatte. „Und außerdem…“, führte Elaine weiter aus, „… habe ich einmal beim Aufräumen von Glindas Schreibtisch ein sehr altes Bild von ihr und der Hexe gefunden. Es war noch aus der Zeit, als die beiden studiert haben. So, wie es aussah, hat Glinda es sehr oft angesehen.“

„Was zeigte das Bild?“ Meredith war neugierig. Glinda hatte ihr zwar erzählt, dass sie und die Hexe sich gekannt hatten, aber dann war nie mehr ein Wort über diese Sache gesprochen worden.

Elaine beschrieb die Details, an welche sie sich noch erinnern konnte, nachdem Orez beteuert hatte, er wäre auf ihrer Seite.

„Aber eines verstehe ich an der ganzen Sache nicht…“, begann Orez, nachdem alle in eine Art von grübelndem Schweigen verfallen waren. „Wenn die Hexe tot ist, wieso brauchen die da draußen dann Informationen über sie und Glinda?“

„Sie wollen ‚Glinda die Gute’ zu ‚Glinda die Sappho’ machen…“, murmelte Meredith in dem Wissen, dass sie recht hatte.
 

„Nanu? Wo ist denn die Sonne hin?“, fragte Glinda enttäuscht, als Madame Akabers Wetterumschwung seinen Lauf nahm.

Die blauen Augen blickten besorgt zum Himmel: „Großer Oz, Elphie! Sieh dir das mal an! Du ziehst die Kette auf keinen Fall aus!“

Elphaba, noch immer mit den Beinen im Wasser sitzend, blickte gen Himmel: „Ohje, das sieht nicht besonders gut aus!“

„Wird das ein Gewitter?“

„Irgendwie sieht es nicht danach aus… Aber ich habe das ungute Gefühl, dass diese Wolken nicht der Natur entsprungen sind…“

„Was? Du meinst…“, setzte Glinda erschrocken an, „… dass das Akaber war?“

„Der Wetterzyklus in Oz läuft in einem stetigen Kreis und das bedeutet, meistens bleiben all die großen und schweren Wolken in Quadlingen hängen. Deswegen ist dort ja auch das Sumpfgebiet. Der Rest von Oz ist meist sonnig. Erinnere dich mal, was wir in der Schule über die große Dürre gelernt haben…“

Glinda musste lachen: „Na klar, als wenn ich das noch wüsste!“

Auch Elphaba musste grinsen, doch sie sagte nichts.

„Elphie? Mir ist kalt, lass uns mal zurück zur Decke gehen, bitte.“

Die beiden Frauen trugen noch immer die sommerlich-schwarzen Hängerchen und spazierten langsam zur Decke. Es war wirklich kühler geworden, obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war.

„Brrr…“, zitterte die blonde Schönheit und rubbelte sich die Oberarme. „Kannst du mir nicht Socken, Schuhe und eine Jacke hexen?“, sie grinste Elphaba an.

„Beim besten Willen, Glinda, ich weiß nicht, wie ich das machen muss!“, lachte die Hexe.

„Aber dir fällt mal eben so ein Frühstückszauber ein?“, Glinda war neugierig und dass es kein Vorwurf sein sollte, konnte Elphie an der Tonlage ausmachen.

Amüsiert antwortete sie, als sich die beiden Frauen wieder auf die Decke setzten: „Wenn du wüsstest, wie oft ich schon im Bett gefrühstückt habe! Fiyero ist nicht besonders zuverlässig, was solche Dienste angeht!“

Sie hatte nicht aufgepasst und jetzt war der Name gefallen. Auch Glinda merkte sofort, wie sie sich unabsichtlich anspannte.

„Wo ist er eigentlich?“, brach sie nach einigen Minuten das unangenehme Schweigen, in welchem beide Frauen auf den See gestarrt hatten.

Es wurde immer kälter, doch das schien die beiden nun nicht mehr zu interessieren.

„Er wartet auf Kiamo Ko.“ Elphaba war sehr kurz angebunden. Sie hatte gewusst, dass dieses Thema zwischen Glinda und ihr noch geklärt werden musste, aber dabei war ihr die ganze Zeit nicht besonders wohl gewesen. Fiyero war ein wunder Punkt bei Elphaba, aber auch bei Glinda.

„Meinst du nicht, er sorgt sich fürchterlich?“, fragte Glinda leise und starrte dabei noch immer auf den See.

„Ich weiß es nicht… Vermutlich ja…“, gab Elphaba zu, „… aber er hat auch gesagt, ich solle dir hinterher gehen und dich finden.“

„Hat er das, ja?“, schnaubte Glinda verächtlich, ohne es zu wollen.

Elphabas linke Augenbraue schob sich verwundert in die Höhe und sie sah die Freundin an: „Wieso bist du eigentlich weggelaufen, Glinda?“

Die Angesprochene biss sich auf die Unterlippe. Sie war wütend und versuchte, so ruhig wie es ging zu antworten: „Ich bin in deinem Bett… Ich vermute einfach mal, es war deines…“ Elphaba nickte leicht. „Gut, ich bin in deinem Bett aufgewacht und wusste erstmal überhaupt nicht, wo ich war. Erst ging es mir auch gut, die Sonne hatte mich geweckt, doch dann kamen Erinnerungen an den Ball und an Ramóns Grobheit. Ich hatte totale Angst, er würde neben mir liegen und war sehr erleichtert, als es nicht so war. Also saß ich da in deinem Bett und versuchte mich an irgendetwas zu erinnern. Und dann hörte ich auf einmal Stimmen, die von dem anderen Raum her kamen. Die Tür war ja geschlossen.“

„Ja…“, unterbrach Elphaba ihre Freundin, „Fiyero und ich waren im Badezimmer. Er war ohne Ankündigung hochgekommen und ist ausgerastet, als er dich gesehen hat. Ich habe versucht, ihm alles zu erklären…“

In Glindas Augen formten sich wässrig die Tränen, die sie seit Beginn der Unterhaltung über Fiyero versucht hatte, runterzuschlucken.

Beide Frauen hatten sich immer nur auf das eine Thema, über welches sie sprachen, fokussiert und somit alle anderen Geschehnisse fürs erste ausgeblendet. Ansonsten hätte es ein emotionales Chaos gegeben, in welchem es Vorwürfe und Anschuldigungen gehagelt hätte.

Die Worte von Elphaba und Fiyero hallten in ihrem Kopf wieder…

Verärgert blickte Glinda in den Himmel, ohne wirklich wahrzunehmen, was sich dort abspielte. Sie versuchte nur, ihre Tränen in den Griff zu bekommen. Als sie ihren Kopf wieder senkte, sprach sie durch zusammengebissene Zähne weiter: „Ja, das habe ich gehört. Durch die Tür konnte ich zwar nicht viel verstehen, aber das, was ich gehört habe, hat mir wirklich gereicht!“

Diese Diskussion war schon einmal aufgekommen und zwar, als Elphaba die fortgelaufene Glinda endlich gefunden hatte. Doch dann hatte es angefangen zu regnen und die Diskussion war nicht zu ende geführt worden. Glinda wollte die Vorwürfe nicht schon wieder so kalt formulieren, wie zu jener Zeit auf der Straße: „Eigentlich habe ich zum Großteil nur Fiyero gehört. Er war anscheinend wirklich sauer und auch sehr laut. Er hat dir vorgeworfen, du hättest dich nur zu ihm herabgelassen und solche Sachen. Doch dann hat er dich auch angeschrien, warum du mich wohl sonst immer durch dein Glas – oder was es auch immer war – beobachtet hast. Und da ist mir klar geworden: Du hast die ganze Zeit gelebt und zwar mit Fiyero zusammen. Du hast mich mit Absicht in dem Glauben gelassen, dass du tot bist und WENN du mich wirklich beobachtet hast, dann wusstest du auch, wie sehr ich leide.

Dein Tod, Elphie…“, dabei sah Glinda der Hexe in die Augen und die Tränen rannen über ihre Wangen, „… hat mir damals das Herz gebrochen. Ich habe den Menschen verloren, der mir neben meinen Eltern am meisten bedeutet hat und DU wusstest das!

Du wusstest das ganz genau und nicht ein einziges Mal hast du versucht, mir mal auch nur am Rande mitzuteilen, dass es dir gut geht?

Du hast ein Leben mit Fiyero vorgezogen. Das ist ja auch nicht das, worüber ich mich so furchtbar aufrege, denn es ist ja legitim. Ich habe ja schon vor Jahren begriffen, dass ihr euch liebt. Aber du hast mich so sehr verletzt damit, dass du mir nichts gesagt hast. Ich habe immer gedacht, ich würde dir auch etwas bedeuten, nur fühlte es sich in diesem Moment, als ich in deinem Bett saß und gelauscht habe, eben gar nicht so an! Und darum musste ich da raus. Ich wollte weg von dir und von ihm!“

Als Glinda geendet hatte, starrte sie Elphaba an. In ihrem Blick lag neben der Wut auch sehr viel Verletztheit und was Elphaba am meisten berührte: Enttäuschung.

„Glinda…“, setzte Elphaba zögernd an. Sie wusste, dass sie nun ihre Worte bedacht wählen musste, denn ihre Freundin hatte wirklich allen Grund, sich verletzt und betrogen zu fühlen.

„Du hast mir immer sehr viel bedeutet und das weißt du auch!“ Elphaba erkannte im Moment des Aussprechens, das sie falsch begonnen hatte, denn Glinda unterbrach sie fauchend: „Und wieso hast du mich dann leiden lassen?!“

„Glinda, bitte. Lass mich ausreden, ja? Ich will dir das alles erklären…“

Die blonden Locken wippten leicht, als Glinda nickte. Sie wandte ihren Blick von der Hexe ab und starrte wieder auf das Wasser des Sees. Sie fror ungemein, aber diese Diskussion durfte nicht noch einmal unterbrochen werden.

Zitternd lauschte sie Elphabas Erzählungen, wie sie und Fiyero ganz Oz mit dem Rauchzauber an der Nase herumgeführt hatten und dann gemeinsam geflohen waren, mit der Absicht, auf Kiamo Ko ein neues Leben zu beginnen.

„Ich habe ihm gesagt, dass ich dir das alles erzählen will. Dass ich noch lebe und es mir gut geht. Ich wusste, dass es dir nicht gut ging, aber das war nicht der Grund für meinen Wunsch. ICH selber wollte es dir sagen. Ich wollte dich nicht verlieren. Aber Fiyero beteuerte immer wieder, dass es zu gefährlich wäre. Also gab ich nach und hoffte, es dir irgendwann sagen zu können. Ehrlich gesagt war das auch alles nicht so geplant gewesen….“ Dann erklärte Elphaba ihr, dass sie nie die Absicht hatte, mit Fiyero ein gemeinsames Leben zu beginnen und sie schilderte Glinda, wie Fiyero überraschender Weise auf Kiamo Ko aufgetaucht war, um mit Elphie einen Plan gegen die Hexenjäger auszuhecken.

„Aber das mit euch beiden hat doch schon damals in Shiz angefangen!“, murmelte Glinda und zog ihre Beine an den Körper.

Die Hexe seufzte. Eigentlich hatte sie geahnt, dass sie Glinda die Geschichte von Anfang an erklären musste, wenn sie wollte, dass die blonde Schönheit es auch wirklich begriff. Es war für sie, Elphaba, auch nicht leicht zu verstehen.

„Ich meine, als du damals in die Smaragdstadt gefahren bist und er an den Bahnhof kam, da müsste doch für dich schon offensichtlich gewesen sein, was er für dich fühlt…“ Glindas Stimme klang monoton, was Elphaba nicht entging.

„Das kann schon sein…“, gab die Hexe zögernd zu, „… aber du warst doch mit ihm zusammen und wolltest ihn sogar heiraten!?“

„Ach, so ein Kinderquatsch!“, meinte Glinda trocken und starrte noch immer auf den See. „Ich fand Fiyero einfach nur toll, weil er so anders war, als die braven Shiz Studenten. Dazu hatte er noch einen Titel, der bei den meisten Menschen hoch angesehen war und ich dachte mir, er würde meinen sozialen Status noch um einiges höher pushen. Natürlich war ich am Anfang total in ihn verliebt, aber das war nur, weil ich ihn so angehimmelt habe. Mit wahrer Liebe hatte das wenig zu tun.“

Jetzt war Elphaba verwirrt: „Aber ihr wart doch auch verlobt?“

„Natürlich. Nachdem du dich aus dem Staub gemacht hast, blieb mir nur noch Fiyero. Ich habe dir ja schon in der Smaragdstadt gebeichtet, dass ich ihn nur noch um des Besitzwillens haben möchte und nicht, weil ich ihn liebe. Doch als du dann fort warst, hat Akaber mich auf ihre Seite gezogen und ich konnte dem ganzen Brimborium damals nicht widerstehen. Ich war damals so wütend und traurig darüber, dass du einfach ohne mich gegangen bist. Und ich wusste, dass ich nur mit dir an meiner Seite so stark sein konnte. Aber du warst nicht mehr da, also bin ich wieder in meine alten Verhaltensmuster zurückgefallen.

Sie waren sicher, da ich wusste, wie ich mich verhalten musste. Niemand konnte mich so verletzen, weil ich Meisterin in diesem Schauspiel war. Fiyero machte sich mit der Armee dann auf die Suche nach dir und das war auch ein Grund, warum ich ihn nicht gehen lassen wollte. Denn wenn er dich finden würde, so wusste ich, würde ich dich auch wieder finden. Ich habe mich nur mit ihm verlobt, weil meine Rolle als ‚Glinda die Gute’ das von mir verlangt hat. Ich war nicht mehr ich selber, zumindest war ich nicht DIE Glinda, die ich bei dir war. Ich war wieder Galinda.“

Elphaba hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch nachdem Glinda die Smaragdtstadt erwähnt hatte, brannte ihr eine Frage auf der Zunge: „Glinda, ich HABE dich doch gefragt, ob du mit mir kommen willst?!“

Plötzlich drehte Glinda den Kopf und sah Elphie wütend an: „Nein! Hast du nicht! Du hast mich in diese dumme Kutsche gesetzt, mir dann einen Kuss gegeben und gesagt, ich solle den Leuten in Shiz erzählen, du hättest mich gezwungen, mit dir zu gehen! ICH war es, die protestiert hat, nicht du! Du wolltest darüber nicht sprechen. Du hast mich einfach in diese Kutsche gesetzt und mich fort geschickt!“

Erst jetzt stiegen in Elphaba so langsam wieder die Erinnerungen an diesen Tag auf: Der Besuch beim Zauberer, die Flucht aus dem Palast und ihre Entscheidung für ein Leben, in welches Glinda einfach nicht reingepasst hatte. So gerne sie damals auch die Freundin mitgenommen hätte. Sie konnte wieder Glindas zarte Lippen auf den ihren spüren und sah die blonde Freundin, die damals unter Tränen mit der Kutsche davongefahren war.

„Warum hast du das gemacht, Elphie?“, riss Glindas Stimme die Hexe aus der Vergangenheit.

Elphaba brauchte einige Sekunden, um sich zu sammeln. Erst dann sagte sie: „Damals, nach der Flucht aus dem Palast, habe ich mich für ein Leben entschieden, in welches du nicht reingepasst hättest. Natürlich, ich wollte nichts mehr, als dich mitnehmen, aber ich konnte einfach nicht. Es war nicht möglich!“

Glindas Gesichtsausdruck wandelte sich von Wut in Ratlosigkeit: „Was redest du da? Meinst du, ich hätte nicht selber für mich entscheiden können?“

„Glinda, du hast in Shiz ein Leben gehabt. Mit Freunden, mit Partys, mit allem sozialen Geplänkel. Du hattest Fiyero! Und ich habe mich damals dem Untergrund angeschlossen…“

Elphaba hatte das eigentlich verschweigen wollen, aber nur so konnte Glinda den Grund verstehen, warum Elphaba sie hatte unmöglich mitnehmen können.

„Du hast was?“, fragte Glinda entgeistert, die sich immer schon gefragt hatte, wo Elphaba all die Jahre gesteckt hatte.

„Du hast mich schon verstanden! Mein Deckname war damals ‚Fae’ und unter diesem Namen bekam ich immer kleinere Aufträge. Unser Verband hat für die Rechte der TIERE gekämpft. Doch dann, nach einigen Jahren, bekam ich diesen großen Auftrag: Ich sollte die fliegenden Affen befreien. Der Zauberer hat mich erwischt und mich eingewickelt. Erst dachte ich wirklich, er hätte sich geändert, doch dann … dann musste ich mit ansehen, wie unser alter Doktor Dillamond auch aus diesem Gefängnis gekrabbelt kam und da bin ich ausgerastet. Fiyero hat mich damals gerettet. Und bitte, Glinda, glaube mir, es war das erste Mal nach all den Jahren, dass ich dich und ihn wieder gesehen habe. Was er damals gesagt hat zu dir, das stimmt nicht!“ Elphaba machte ein verzweifeltes Gesicht, als sie sich an Yeros Worte erinnerte.

„Du meinst, als er gesagt hat, das mit euch beiden würde schon die ganze Zeit so gehen?“

„Ja…“, nickte die Hexe. „Ich hatte in dieser Zeit zu niemandem Kontakt, außer zu meiner Organisation. Ich wurde ja überall gesucht und das ist mir natürlich nicht entgangen. Ich lebte zu der Zeit auch in der Smaragdstadt und war an dem Tag eurer Verlobung auch dort… Ich hörte dich sagen, es wäre der glücklichste Tag in deinem Leben, oder so etwas ähnliches… Und das hat mich davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, dich in die Kutsche zu setzen!“

„Oh Oz…“, stöhnte Glinda, die gerade verstand, dass sie Elphaba all die Jahre so nah und doch so fern gewesen war. „Während deiner jahrelangen Abwesenheit habe ich mich so furchtbar gefühlt. Ich war die erste Zeit am Boden zerstört… Und dieses ganze gesellschaftliche Geplänkel und Getue hat mir wieder Halt gegeben. Es war etwas, was ich konnte und wo ich wusste, was mich erwartete. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du nie weiter weg warst als eine Armlänge….“

Resigniert blickte Glinda auf den Boden. Sie konnte ihre Freundin nicht ansehen.

Elphaba musterte die schöne Frau ihr gegenüber. Die blonden Locken waren über ihre Wange gefallen und die Hexe konnte Glindas Augen nicht sehen.

„… und ich habe dich verraten…“, schluchzte Glinda nun.

„Womit?“, fragte Elphaba ruhig und wusste aber, worum es ging.

„Als Fiyero beteuerte, das mit euch beiden würde schon all die Jahre so gehen, da … ich weiß nicht, ich glaube, in dem Moment ist mein Herz gebrochen. Nicht wegen Fiyero… Ich liebte ihn ja nicht. Sondern erstens, weil ich dachte, du hättest ihn mir vorgezogen und zweitens, weil du ihn dann mitgenommen hast in dein Leben, das du mir damals nicht geöffnet hast!“

„Wie meinst du das? Ich hätte ihn dir vorgezogen?“, fragte Elphaba leicht verwirrt.

„Naja, niemand hatte etwas von dir gehört und du hast auch niemanden in dein Leben eingeweiht. Und als Fiyero dann meinte, es wäre schon all die Jahre so gewesen, da nahm ich an, du hättest ihm direkt nach deinem Abgang von der Shizzer Akademie alles erzählt.“

„Nein! Nein, das habe ich nicht! Ich habe weder ihm noch irgendwem anders von meinem Leben erzählt. Denn es war schrecklich genug. Es wäre kein Leben für dich gewesen… Und ich konnte dir nichts sagen, weil du das Vorzeigepüppchen des Zauberers warst! Ich wusste nicht, welchen Einfluss er nach all den Jahren auf dich hatte… Darum konnte ich dich weder mitnehmen, noch es dir später sagen…“

„Das verstehe ich auch, Elphie, wirklich… Aber hätte ich das alles damals gewusst, hätte ich Akaber bestimmt nicht den Tipp mit Nessa gegeben…“

„Das warst du?“ Elphaba war nicht wirklich überrascht. Sie hatte sich das schon immer gedacht, aber sie hatte sich auch immer und immer wieder gewünscht, es wäre in Wahrheit anders. Diese Worte nun aus Glindas Mund zu hören, verletzten sie sehr.

„Ich weiß, dafür gibt es keine Entschuldigung! Das war eine absolute Kurzschlussreaktion auf euer gemeinsames Verschwinden und darauf, dass ich mich so ungemein betrogen und hintergangen gefühlt habe….“ Bei diesen Worten bettete Glinda ihren Kopf auf ihre Arme, die sie um die kalten Beine gelegt hatte.

Elphaba war nach all den Jahren nicht mehr wütend über diese Sache. Sie hatte das alles von dem Zeitpunkt an geahnt, als sie Glinda an Nessas Todesstelle begegnet war.

Ihre Worten waren ruhig und warm, als sie anfing zu sprechen: „Glinda, es war nicht nur deine Schuld und das wissen wir beide. Du konntest nicht ahnen, was deine Äußerung für Konsequenzen haben würde. Es war Akabers Schuld und wahrscheinlich auch die des Zauberers. Und wir haben uns das beide schon damals verziehen…“

„Aber du hättest sterben können und dann sind wir auch noch aufeinander losgegangen!“ Nun blickte Glinda mit tränenerfüllten Augen ihre Freundin verzweifelt an.

„Komm her…“ Elphaba streckte den Arm aus und zog Glinda sanft zu sich heran. Sie spreizte die Beine und Glinda kuschelte sich an Elphabas warmen Oberkörper, so, wie sie eben gesessen hatten. Nur jetzt war es Elphaba, die hinten saß und ihre Arme um die zitierenden Schultern legte.

„Aber ich bin nicht gestorben…“, setzte die Hexe dann leise wieder an und strich mit ihrer anderen Hand über die blonden Locken, in dem Wissen, dass Glinda jetzt ihre Nähe brauchte.

„Aber das ist auch etwas, was ich nicht verstehe!“ Glinda löste sich schon wieder aus Elphabas Umarmung, drehte sich um, stützte sich dabei auf ihren Händen ab und sah Elphaba verärgert an: „Fiyero hat dich damals schon wieder gerettet! Und vorher hast du mir noch unter die Nase gerieben, dass ihr euch liebt und er mich nie geliebt hat! Das hast du doch alles selber gesagt!“

„Ich weiß! Ich weiß..“, Elphaba machte ein zerknirschtes Gesicht, „Nachdem er mich vor dem Zauberer gerettet hat, war ich erstmal total verwirrt. Ich hatte nie im Leben damit gerechnet, dass er noch Gefühle für mich hat. Natürlich war ich in meiner Jugendzeit auch ein bisschen in ihn verliebt gewesen – aber das waren doch alle. Wenn das überhaupt Verliebtheit war! Ich verstehe ja nicht viel davon…“, Elphaba machte ein verzweifeltes Gesicht.

„Er war halt nur der erste Mann in meinem Leben, der sich nicht nur wegen meines Aussehens für mich interessiert hat. Damals dachte ich dann immer: Das muss Liebe sein, aber erstens habe ich bis heute noch keine Ahnung von wahrer Liebe und zweitens war er schließlich mit dir zusammen! Darum habe ich auch nie etwas versucht. Als ich dann verschwand, wurde mir auch klar, dass das alles nur so eine jugendliche Phase gewesen war… Ich glaube, Fiyero wollte sich damals nur an mir hochziehen…“

„Wie meinst du das?“

„Nun, er war ja nicht ganz so oberflächlich, wie er sich gab und das habe ich ihm damals auch gesagt. Danach begann er, sich zu verändern und das hast du ja auch gemerkt. Ich glaube einfach, er hat begriffen, genau wie du damals, dass es im Leben nicht nur um diese oberflächlichen Geschichten geht. Und ich war die einzige, der er folgen konnte. Mein Leben war hart genug gewesen und ich bin zu einem Mensch geworden, der Ehrlichkeit vorzieht und sich für die Rechte anderer einsetzt. Das fand er, glaube ich, immer bewundernswert. Nachdem ich dann jedoch verschwand, nahm auch er wieder seinen alten Platz in diesem Gesellschaftsspiel ein. Ich habe das ja auch alles mitbekommen und da habe ich verstanden, dass Fiyero nie mich, sondern meine Ziele und Ansichten geliebt hat. Er suchte mich, weil er meine führende Hand brauchte. Denn wenn er mich wirklich geliebt hätte, dann wäre er nicht auf den Zauberer eingegangen und auch nicht auf diese Verlobungsgeschichte! Sein Ziel war nicht meine Liebe, sondern einfach nur… Ich weiß nicht wie ich das sagen soll…“, Elphaba hielt kurz inne.

„Er wollte in meiner Nähe sein, damit er sich weiterentwickeln konnte. Er war zu feige, das alleine durchzustehen. Hätte er mich geliebt, dann wäre ihm das alles egal gewesen.“, schloss sie dann zufrieden.

Glinda kuschelte sich wieder in Elphabas Arme und meinte dann: „Aber wenn du ihn doch nicht geliebt hast und wenn du dir sicher warst, dass er dich auch nicht liebt, warum hast du mir das dann damals gesagt?“

„Glinda, ICH war auch sehr verletzt! Meinst du, mich hätte diese ganze Sache mit Nessa kalt gelassen? Als ich dich an ihrem mehr oder weniger Grab gesehen und mit dir gesprochen habe, da wusste ich sofort, dass es dein Tipp an Akaber gewesen war! Und da wollte ich dich so verletzten, wie du mich verletzt hattest! Ich wollte dir das alles zurückwerfen und deswegen habe ich das gesagt! Und dann hast du dieser Göre auch noch die Schuhe gegeben. Heute weiß ich natürlich, dass ich damals total überreagiert habe… aber dennoch: Ich habe meine ganze Wut an dir ausgelassen, die sich über die Jahre angestaut hatte… Und du deine an mir offensichtlich auch… Es war auch einfach alles zu viel…. Als Yero mich vor dem Zauberer gerettet hat, sind wir nach Kiamo Ko geflogen und er hat mir beteuert, er würde mich lieben und das alles, was vorher war, ihm nun ganz egal schien… Ach, und so was alles…“, seufzte Elphie.

Glinda hörte aufmerksam zu und obwohl es schon so lange her war, verletzte sie der Gedanke an Elphie und Fiyero noch immer ein bisschen.

„Und das kam alles so plötzlich, dass ich mich auf einmal wieder mitten in einem Leben befand, dass ich all die Jahre vorher versucht habe, zu vergessen. Und zwar nicht nur, weil es für mich besser gewesen wäre, sondern auch für euch. Ich war überwältigt davon, euch alle wiederzusehen. Du hast dich so sehr gefreut und endlich konnte ich deine Nähe wieder spüren und dich nicht nur auf deinem Podest beobachten. Und dann auch noch Fiyero, der mich erst rettet und mir dann etwas von einem gemeinsamen Leben erzählt.

Ich weiß gar nicht, ob ich das alles damals wirklich wollte, aber ich war so durcheinander, dass ich überhaupt nicht argumentieren konnte. Doch als ich ihm gerade erklären wollte, dass das nicht mein Leben ist und ich auch nicht in eine solche Art von Leben zurück kann und er bitte sich besinnen und zurück zu dir gehen sollte, da wurden wir unterbrochen…“

„Nessas Tod…“, murmelte Glinda in Elphabas Schulter hinein.

„Ja und ab da ging einfach nur noch alles bergab…“

Glinda hob ihren blonden Lockenkopf leicht an und sah der Freundin in die dunklen Augen, als diese weitersprach: „Yero hat mich dann ja noch einmal gerettet und ich war mir gar nicht mehr so sicher, ob ich die ganze Zeit gerettet werden will. Ich wollte euch doch alle in Frieden lassen und vor allem in Frieden gelassen WERDEN! Dann hat sich alles ins Gegenteil gekehrt. Sie haben Fiyero festgenommen und ihn gehängt… Ich habe versucht, ihn zu retten mit irgendeinem … irgendeinem Zauberspruch aus dem Buch, das ich dir geschenkt habe! Ich fühlte mich so schuldig… Schließlich hatte er alles für mich getan und auch wenn ich ihn nicht liebte, ich mochte ihn trotzdem. Das eine hat ja nichts mit dem anderen zu tun! Er hatte sich so für mich eingesetzt und sein Leben für meines riskiert. Ich war ihm also sehr viel schuldig.

Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, ob mein Spruch irgendetwas bewirkt hatte… Doch dann erhielt ich diesen Brief, der mir sagte, Fiyero wäre gestorben oder wohl eher hatten sie ihn sterben lassen… Mit dem Brief kamst auch du und du hast mir damals alles verziehen. Ich hatte damit wirklich nicht gerechnet und war dir so dankbar für alles, was du für mich getan hast.

Doch ich konnte einfach nicht mehr zurück. Ich konnte nicht…. Es war meine Schuld, dass Fiyero tot war und es war meine Schuld, dass ich dich in diese Lage gebracht hatte. Darum schickte ich dich auch wieder fort. Natürlich wollte ein Teil von mir, dass du bleibst und wir dann sehen, was wir machen. Aber ich wusste, es würde dein ganzes Leben zerstören und ich nahm an, dass es das Beste für dich wäre, wenn du auch gar nicht erst versuchst, meinen Namen rein zu waschen oder sonst was…“

„Du hast mich zwei Mal fortgeschickt und beide Male hätte ich bleiben sollen…“, murmelte Glinda und erneute Tränen stiegen in ihr auf.

Als sie Elphaba sagen hörte: „Ich weiß und ich werde den Fehler nicht ein drittes Mal machen…“, wurde ihr trotz der Kälte warm ums Herz.

„… und dann, als du fort warst, da war ich wirklich bereit, mich meinem Schicksal zu überlassen. Ich hatte nicht vor, freiwillig aufzugeben, aber ich hatte auch nicht vor, davon zu rennen. Und dann stand Fiyero plötzlich vor mir! Ich hatte ihn in eine Vogelscheuche verhext und erneut kamen diese unglaublichen Schuldgefühle über mich… Natürlich war ich erleichtert, dass er nicht tot war, aber er war immer ein Mann gewesen, der viel auf sein Aussehen gegeben hatte… Und ich wusste, ich hatte das alles zerstört. Er hatte keine anderen Möglichkeiten mehr.

Ab diesem Zeitpunkt ließ ich mich auf alles ein, was er vorschlug. Mein schlechtes Gewissen überragte meine innere Stimme. Ich wollte gar nicht weglaufen und noch einmal neu anfangen. Ich habe in meinem ganzen Leben so oft versucht, alles hinter mir zu lassen und neu anzufangen. Doch kein einziges Mal war mir das gelungen und ich wollte nun endlich mit all dem abschließen! Aber Fiyero war da ganz anderer Ansicht. Er wollte unbedingt mit mir fliehen und ich verstand dann auch, was der Grund dafür war: Ich war die einzige, die ihn so akzeptieren würde, wie er durch mich geworden war. Dass er nur noch diese eine Perspektive, nur noch diesen einen Hoffnungsschimmer in seinem Leben hatte, war meine Schuld.

Und ich brachte es einfach nicht über mich, ihn dann dort stehen zu lassen und ihm zu sagen, er solle alleine zurecht kommen. Und auch, wenn ich dort bleiben wollte, bin ich letzten Endes doch mit ihm gegangen. Mein Verstand und mein Gewissen sagten mir, es sei das Richtige…“

„Und was sagte deine innere Stimme?“ Glinda erinnerte sich, wie oft Elphaba ihre Seele immer mit diesem Begriff umschrieb.

„Sie sagte mir: Elphaba, bleib da und sieh zu, dass du dich endlich wieder für das einsetzt, was du willst. Ich wusste natürlich, dass das alles nichts gebracht hätte, aber ich hätte nicht kampflos aufgegeben. Und das ist der Punkt, der mich am meisten an der Sache stört. Ich gab auf, ohne zu kämpfen… ICH! Und es fühlte sich die ganze Zeit falsch an, obwohl mir jeder noch so kleine Teil meines Körpers versicherte, es wäre eine kluge Entscheidung gewesen.“

„Es war ja auch klug, nur nicht das, was du wolltest…“, kam es flüsternd von Elphabas Schulter her.

Die dunklen Augen sahen die blonden Locken bewundernd an: „Ja,… Ja, das stimmt wohl. Nachdem wir es dann geschafft hatten, den Hexenjägern zu entkommen, da schrie wieder ein Teil von mir: „Sag es Glinda! Sag es Glinda!“ Doch der kluge Teil war absolut dagegen, genauso, wie Fiyero. Ich konnte seine Begründung natürlich nachvollziehen und sagte mir immer und immer wieder, dass ich für dich sowieso gestorben sei…“

Erst, als sie das ausgesprochen hatte, bemerkte sie das Wortspiel und musste grinsen. Auch Glinda hatte es bemerkt und lächelte nun: „Gestorben ist hier aber sehr doppeldeutig!“

„Ja, das habe ich auch gerade gedacht! Aber das Ende von dem ganzen Lied war natürlich, dass ich dir nichts gesagt habe. Jedes Mal, wenn ich Yero ansah, wurde ich an meine Fehler und an meine falschen Entscheidungen erinnert. Ich hoffte immerzu, dass sich meine Sichtweise für ihn irgendwann ändern würde, wenn ich wirklich versuchte, mich dem Leben so anzupassen, wie er es sich wünschte. Ich hoffte, irgendwann würde mein schlechtes Gewissen Ruhe geben, nur das Problem bei der ganzen Sache war: Ich hatte nicht nur wegen ihm ein schlechtes Gewissen, sondern auch wegen dir. Ich war so hin und her gerissen zwischen diesen zwei Polen, dass ich immer, wenn es mir möglich war, die Gelegenheit nutzte, um nachzusehen, wie es dir ging! Ich wollte einfach sicher gehen, dass ich damals die richtige Entscheidung getroffen habe.“

„Mir scheint, dass du das immer tust…“

„Was meinst du?“

„Naja, sieh doch mal… Nachdem du mich das erste Mal fortgeschickt hast, da hast du ja auch anscheinend immer gewusst, was ich mache… Und dann beim zweiten Mal war es auch nicht anders…“, Glinda hatte zwar aufmerksam zugehört, aber verstand die Logik in Elphabas Handeln noch nicht so ganz.

„So habe ich das noch nicht gesehen…“, gab Elphaba zu, „Aber ich nehme mal an, dass es stimmt. Ich merkte, dass ich in diesem Zustand nie mit dir abschließen würde, was ich auch eigentlich gar nicht wollte… Aber ich wusste, wenn ich wirklich ein Leben mit Fiyero führen würde, dann musste ich irgendwie von dir loskommen… Also habe ich dann versucht, alles schwarz zu malen, was du jemals für mich getan hast und ich habe Fiyero alles versprochen, was er hören wollte. Das waren zwei riesen Schritte für mich und ich wusste, dass ich sie gehen musste, um endlich mit irgendetwas in meinem Leben abschließen zu können… Ich meine, das war ja nicht das erste Mal gewesen, dass ich das mit dem schwarz Malen versuchte…“

Glinda erinnerte sich an den Anfang ihrer Diskussion: „Ach, du meinst nachdem wir uns in der Smaragdtstadt getrennt haben?“

„Ja…“, nickte Elphie.

„Oder wohl eher: Nachdem du mich fortgeschickt hast…“, Glinda war auch nach all den Jahren darüber noch sauer.

„Glinda, du weißt, warum ich das getan habe!“

„Ja, weil du glaubtest, es wäre das Beste für mich und weil du mir nicht genug Selbsteinschätzung zugeschrieben hast! Sonst hätte ich die Entscheidung auch selber treffen können!“

„Was hätte ich denn machen sollen?“, fragte Elphaba etwas hilflos.

„Ach, ich weiß, dass du recht hast, Elphie…“, seufzte die blonde Schönheit, „Aber jetzt bin ich eine erwachsene Frau und versprich mir, dass du nie wieder eine Entscheidung solcher Art für mich triffst!“

„Das hatte ich auch nicht vor!“

„Versprich es!“, beharrte Glinda auf den genauen Wortlaut.

„Ich verspreche es!“

Mit leisem Seufzen kuschelte sich Glinda noch etwas fester in die hautfarbenen Arme und schloss die Augen.

„Elphie, mir ist kalt…“, nuschelte sie nach einem kurzen Schweigen. Als die Freundin nicht antwortete, richtete sie sich auf und sah Elphaba in die Augen.

Diese starrte verblüfft an dem Blondschopf vorbei. Glinda folgte ihrem Blick und drehte sich um.

„Glinda?“, setzte Elphaba perplex an, „Ist das… SCHNEE?“

„Ich glaube, ja…“, hauchte Glinda nun auch sehr verwundert.
 

Ramón rannte in großer Eile zu dem hohen Eingangstor und bremste sich gerade noch rechtzeitig, bevor er in den Hof trat. Er atmete einmal tief durch und öffnete dann die Tür.

Enttäuscht stellte er fest, dass auf dem Hof nebst ein paar Wachleuten niemand zu sehen war. Er ging auf einen der Wachleute zu und wäre dabei fast auf dem schneebedeckten Boden ausgerutscht. Erst da merkte er, dass es schneite.

Dicke, große Flocken sanken sanft auf den Hofboden nieder.

„Wann kommt das Fräulein Griek an?“, sprach er einen Mann in Uniform an.

Der Mann deutete auf die lange Einfahrt, auf welcher schon die Kutsche zu sehen war und meinte: „Ich würde sagen, in einer Minute?“

Sehr langsam ging Ramón zum üblichen Halteplatz der Kutschen.

Drei dunkelbraune Pferde zogen das Gefährt, deren Fell glänzte und der warme Atem verursachte mit jedem Schnauben eine kleine Dunstwolke.

Als die Kutsche vor ihm zum Halten kam, versuchte er, etwas hinter den violetten Gardinen zu erspähen, die vor neugierigen Passanten schützen sollten.

Die Kutsche selber war aus sehr dunklem, glänzenden Holz. Ramón hielt es für gillikinesische Eiche und die Türen links und rechts trugen jeweils Penelopes Emblem: ‚PG’. Der obere Bogen des Gs verschmolz in geschwungener Pracht mit dem Bogen des Ps und Ramón erblickte unter dem hinteren Fenster die Buchstaben: G.R.I.E.K. Sie waren in dem gleichen Goldton, jedoch viel, viel kleiner und ohne jeden Schnickschnack.

Der Kutscher stieg ab und machte Anstalten, die Tür zu öffnen. Ramón machte mit einer Gestikulierung deutlich, dass er sich darum kümmern würde.

Angespannt griff er nach der goldenen Türklinke und zog sie auf.

Lächelnd nahm die Frau in der Kutsche seine dargebotene Hand an und stieg die Stufen hinab. Dann schaute sie sich erst um, bevor sie den blonden Mann ansah.

Dieser verbeugte sich leicht und flüsterte nickend: „Meine Königin.“

Penelope wusste sofort, was er damit meinte und verbeugte sich nun ihrerseits leicht. Dann lächelte sie: „Mein König.“

Sie trug ein schulterfreies Kleid, ohne Träger. Stattdessen war ihr Hals mit einer uralten, kostbaren Kette geschmückt, die vom Farbton sehr gut zu dem violetten Kleid mit der gelben Schärpe passte.

Ramón stellte fest, dass er noch immer das junge, hübsche Mädchen in ihr erkennen konnte. Sie war lediglich älter geworden und ihre Haare waren wahrscheinlich dreifach so lang, wie damals. Diese trug sie offen und sie glänzten im Kontrast zum Schnee.

„Du bereitest mir einen ganz schön kühlen Empfang!“, meinte sie trocken. Ramón lächelte. Er hatte vor ihr noch nie eine solche Frau getroffen, bei der man nicht wusste, was als nächstes passierte.

‚Ja…’, gestand sich Ramón still ein, ‚Sie ist unberechenbar!’

Dann sagte er laut: „Nun, in Anbetracht unserer ersten Begegnung dachte ich mir, es wäre vielleicht ganz passend! Und das Gänseblümchen habe ich brav in der Erde gelassen!“

Als Penelope laut auflachte, musste auch Ramón lachen und er bot ihr seinen Arm an. Gemeinsam gingen sie in Richtung Eingangstor, an welchem Fokko schon auf seine zugeteilte Dame wartete.

Er verbeugte sich tief und nickte dann anerkennend: „Fräulein Griek, Willkommen in der Smaragdstadt!“

Penelope schenkte ihm ein kurzes Lächeln, als Ramón erklärte: „Penelope, das hier ist Fokko. Er wird dir die nächsten drei Tage zu Diensten stehen und damit ist er ganz dein.“

„Ganz mein? Soso…“ Penelope zwinkerte dem Diener amüsiert zu, der feuerrot im Gesicht wurde und stammelte: „Ich… Ich kümmere mich dann mal um das Gepäck!“

Als sie das große Eingangstor hinter sich geschlossen hatte, lachte Penelope lauthals: „Den hast du extra für mich ausgesucht, gib es ruhig zu!“

Ramón lächelte: „Für meine distanzlose Königin wähle ich nur das Beste!“

Plötzlich wurde die hübsche Frau ruhig. Ramón war ihren raschen Stimmungswechsel gewohnt.

„Es ist lange her, Ramón…“, flüsterte sie, als der blonde Mann sie auf ihr Zimmer brachte.

Sie schwieg, bis er mit ihr in dem dunklen Raum stand. Dann ließ sie seinen Arm los und schloss die Tür.

Er stand unbeholfen da und wusste nicht, was er sagen sollte.

Langsam drehte sie sich zu ihm um und lehnte sich gegen die Tür. Mit beiden Händen griff sie nach der gelben Schärpe, die um ihren Busen gewickelt war und begann, den Knoten zu lösen.

„Zu lange…“, flüsterte sie, als Ramón langsam auf sie zu schritt. Mit festem Griff wickelte er den unteren Teil des gelben Bandes um seine Hand und zog einmal kräftig daran, sodass Penelope in seine Arme fiel.

Sie stöhnte leicht auf, als ihr Körper gegen seinen prallte.

Nun nahm er auch das andere Ende der Schärpe, wickelte es einmal um ihren Oberkörper und zog sie so noch näher an sich heran. Dann beugte er sich vor, während Penelope ihre Hände an seine Wangen legte.

Sie blickten sich tief in die Augen und erst dann pressten sie lustvoll ihre Münder aufeinander. Penelope ließ ihre Hände unter sein Hemd wandern und erforschte seinen nackten Rücken unter ihren Fingern.

Als der blonde Mann begann, ihren Hals zu küssen, warf Penelope ihren Kopf in den Nacken und presste ihre Fingernägel in sein Fleisch.

Bei jedem Besuch, den Ramón seiner Schwester abgestattet hatte, hatten die beiden sich geliebt, bis auf das erste Mal.

Ramón ließ die Schärpe fallen und mit einem gekonnten Griff hob er Penelope hoch, sodass diese ihre Beine um seinen Körper schlang. Dann drückte er ihren Rücken gegen die geschlossene Tür und küsste sie mit unsagbarer Leidenschaft.

Plötzlich klopfte es an der Tür und die beiden Liebenden hielten inne.

„Wie passend!“, murmelte die Frau, setzte wieder beide Füße auf den Boden und wischte sich ihren Lippenstift von der Wange.

Ramón fuhr sich kurz durch sein blondes Haar, bevor er die Tür öffnete: „Ja?“

„Entschuldigen Sie, Monsieur, aber das Gepäck des Fräuleins ist nun hier.“

„Wunderbar, danke!“, kam es vom anderen Ende des Raumes her. Penelope stand am Fenster und beobachtete die Schneeflocken. „Bringen Sie es bitte herein. Ich packe dann selber aus!“

„Wie Sie wünschen.“ Fokko nickte Ramón zu, weil Penelope ihm den Rücken zudrehte. Er ahnte, dass er gerade eine äußerst interessante Situation unterbrochen hatte und räumte alles so schnell in das Zimmer, wie er nur konnte.

„Ich wünsche eine gute Nacht!“, sagte er freundlich und Penelope drehte sich lächelnd um.

„Die werde ich haben!“

Fokko rannte mit hochrotem Kopf aus dem Zimmer, was die Brünette abermals zum Lachen brachte.

Ramón schloss die Tür hinter dem Dienstboten und ging auf seine Geliebte zu, die schon abwartend am Bett stand.

Mit einer fließenden Bewegung legte er sie mit dem Rücken auf das große Bett und beugte sich über sie. Seine Lippen suchten die ihren und seine rechte Hand wanderte an ihrem linken Schenkel hoch.

Stöhnend bohrten sich nun ihre Nägel in seinen Oberarm.

„Ich glaube, heute willst du wohl eher die Katastrophe, was?“, hauchte er in ihr Ohr und sie lächelte nur nickend, bevor sie ihn eindringlich küsste.

Kurze Zeit später klopfte es schon wieder an der Tür und gleich darauf hörten die beiden eine Stimme. Ramón erkannte sie. Es war Londaro: „Ramón, ich weiß, dass ich ungelegen komme, aber ich muss dich stören. Es gibt eine Planänderung!“

„Zum Zauberer damit!“, fluchte der blonde Mann und löste sich aus einer sehr intimen Umarmung mit der Frau, die er liebte.

„Ich werde dann mal auspacken!“, flötete diese und zupfte ihr Kleid wieder zurecht.

„Ich komme wieder!“, sagte Ramón entschuldigend und küsste ihre Wange.

„Und das mehr als einmal!“, grinste Penelope und nun war es Ramón, der etwas errötete.

Er liebte ihre Distanzlosigkeit manchmal sehr.

Als er genervt in den Flur trat, fuhr er Londaro an: „Was gibt es denn?“

Auf dem Weg zu dem Büro-Flügel erklärte der Sekretär, dass die Truppen morgen in aller früh erst ausmarschieren würden, da durch den Wetterwechsel die Bedingungen viel zu schlecht waren.

„Was hat Mutter sich nur dabei gedacht?!“, fauchte Ramón wütend.

„Nun..“, vermutete Londaro, „Wahrscheinlich treibt sie damit deine blonde Freundin und deren grünes Anhängsel wieder zurück nach Kiamo Ko. Denkbar wäre das doch!“

„Das ist gut möglich!“, musste Ramón nun zugeben. „Liegt dein Bericht auf meinem Schreibtisch?“

„Wie du es dir gewünscht hast! Aber wenn du willst, kann ich dich jetzt auch schnell auf den neusten Stand bringen?“

„Na die Lust zum Lesen ist mir jetzt eh vergangen!“, war die murrende Antwort, was Londaro zum Lachen brachte.

Er klopfte seinem alten Freund auf die Schulter, als er zu erzählen begann:

„Alles in allem wird der Trupp ungefähr einen Tag hin und einen Tag zurück brauchen. Eigentlich hatten wir ja gehofft, dass wir die beiden bis morgen Abend hier hätten, aber deine Mutter meinte auch, wir sollten das Volk von Oz vielleicht nicht direkt zu sehr überfordern. Darum sollten wir ja auch erst Informationen über Glinda sammeln, die wir gegen sie verwenden können.“

„Du warst bei Mutter?“, fragte Ramón verwundert.

„Ja.“

„Wann?“

„Vor einer halben Stunde? Warum?“

„Ach, nur so.“

Als Londaro sah, wie die Stirn seines Freundes sich in Falten legte, erzählte er schnell weiter: „Sie meinte, sie würde dann morgen schon dafür sorgen, dass jeder die beiden tot sehen will. Was genau sie vorhat, weiß ich nicht. Sie wollte es mir auch nicht sagen. Aber wie dem auch sei: Morgen früh, noch vor dem Frühstück unserer fünf Damen wird Fiyero mit dem Trupp in Richtung Kiamo Ko aufbrechen. Er soll dort dann den Lockvogel für die beiden spielen. Wir hoffen natürlich, das sie dann noch dort sind.

Fiyero hat irgendwas von Glasschale und Affe gebrabbelt, aber ich habe nicht nachgefragt. Er schien mir am Ende der Unterhaltung doch etwas konfus. Dann fragte er, da sich seine Abreise ja etwas verzögert hat, ob er mal in Glindas Zimmer dürfe. Ich habe es ihm erlaubt.“

Abwartend sah Londaro seinen Freund an. Als Ramón nickte, setzte er erneut an: „Vielleicht findet er ja dort irgendetwas. Auf die Idee, dort mal nachzusehen, sind wir ja gar nicht erst gekommen. In Meredith’ Büro habe ich ja schon nachgeschaut und dort war nichts zu finden. Dorle habe ich gesagt, sie solle bitte mal in Elaines Zimmer nachsehen, doch auch sie konnte nichts finden, was Glinda belasten könnte. Nun können wir nur noch abwarten. Accursia war aber wirklich etwas merkwürdig. Sie meinte zu mir, als ich ging, diese ganze Sache käme ihr sehr gelegen.“

„Was hat sie damit gemeint?“, fragte Ramón neugierig, der noch immer nicht begriff, warum seine Mutter ihn nicht sehen wollte, seinen Freund aber schon.

„Ich weiß es nicht!“, hilflos zuckte Londaro mit den Schultern. „Ich werde übrigens auch morgen früh mitgehen. Große Lust habe ich zwar nicht, aber da Kwen sich um die Gefangenen kümmert, fällt die Wahl wohl auf mich. Willst du nicht auch mit?“

„Ich? Was soll ich denn da? Glinda rastet aus, wenn sie mich sieht!“

„Genau deswegen!“

„Oooh, nein!“, wehrte der Blondschopf hektisch ab, „Lass mal lieber. Das hebe ich mir für die Minute auf, in der ich mit ihr alleine bin!“

Nach kurzem Zögern brachte Londaro nun endlich die Frage über seine Lippen, die ihn schon den ganzen Tag beschäftigt hatte: „Ramón? Glaubst du wirklich, Glinda ist… eine Sappho?“

„Darüber habe ich nach Fiyeros Auftauchen auch nachgedacht und je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr glaube ich, dass er recht hat.“

„Aber man sieht es ihr doch gar nicht an…“, meinte Londaro grübelnd. Es war eines der häufigsten Argumente in Oz, wenn es um Sapphos und Urninge ging.

„Tze…“, zischte Ramón, „Sieht man es Meredith denn an?“

„Nein…“, gab Londaro zu.

„Siehst du… Und weißt du, wie viele Sapphos und Urninge es in Oz gibt? Die schwarzen Statistiken lassen böses ahnen!“

„Das weiß ich auch, aber Sapphismus, sowie Uranismus wird kaum in der Öffentlichkeit … gezeigt!“

„Und genau deswegen…“, begann Ramón, als er die Klinke seiner Bürotür in die Hand nahm, „… wissen wir nicht, wie viele Feinde wir uns mit der heiklen Angelegenheit morgen Abend machen werden….“

Mit den Worten schloss er die Tür und ließ den noch immer grübelnden Londaro draußen stehen.

Stellaione Arlet: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Stellaione-98448346

Gelphies Besenritt:: http://i297.photobucket.com/albums/mm223/Pantherin/gelphiewow.jpg

Gelphie-Bett-Szene: http://wickedryu.deviantart.com/art/Hold-you-tight-98870027

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Kapitel 40
 

Als Accursia hörte, wie eine Kutsche auf den Hof fuhr, sah sie neugierig von ihrem Schreibtisch auf. Nachdem Londaro bei ihr gewesen war, hatte sie erst recht nicht mehr schlafen können. Ihr ging so viel durch den Kopf, dass sie es nun alles aufschrieb und auch die Rede für den morgigen Tag abermals durchging.

„Du liebe Güüüüüüüte!“, hörte Accursia eine kreischende Frauenstimme und stand gespannt auf. Durch das Fenster sah sie eine pompöse Kutsche aus schwarzem Buchenholz, verziert mit perlmuttfarbenden Türgriffen und Stufen.

‚Stellaione Arlet ist auch noch im tiefsten Schneesturm eine wirkliche Erscheinung!’, dachte Akaber amüsiert und sah zu, wie Stella versuchte, sich durch den Schnee zu kämpfen.

Ihr blondes Haar war viel kürzer, als Accursia es in Erinnerung hatte, aber vielleicht lag das auch an dem schwarzen Hut, den Stella trug. Sie trug ein schwarzes Minikleid mit blauen Akzenten oberhalb ihrer Brust und Akaber sah ihr an, dass sie entsetzlich fror.

Mit der Handtasche wedelte Stella nach irgendetwas und schnauzte laut herum.

„Schnee! Schnee! Das ist ja nicht zu glauben! Meine ganze Garderobe ist falsch! Ohhh, ich falle gleich um! HE! SIE DA! Kommen Sie her! Wissen Sie…“

Accursia musste laut lachen. Stella war zwar eine der ältesten ihrer Mädchen, aber ihr kindliches Temperament machte das Alter wieder wett. Eines musste sie der Frau jedoch lassen: Wenn es um knifflige Angelegenheiten ging, wusste Stella immer genau, wie sie bekam, was sie wollte. Sie hatte mehr Blut an ihren Fingerspitzen, als irgendeine andere Frau in ihrem Alter…

„UM WIEVIEL UHR?“, brüllte die blonde Dame nun unten im Hof, was Accursia erneut zum Lachen brachte.

„Jetzt ist der ganze Palast wach…“, schmunzelte sie erneut und überlegte kurz, ob sie Stella nicht empfangen sollte.

Dann öffnete sie das Fenster. Sofort schoss ihr ein kalter Schwall von Schneeflocken entgegen.

„Starlet!“, rief sie laut in die Nacht hinein.

‚Starlet’ drehte sich verwirrt um und suchte den Winkel, aus welchem die Stimme gekommen war.

„Aurrrrria!“, rief sie erfreut, als sie die ältere Frau am Fenster erkannte und winkte mit beiden Armen.

„Ich komme runter!“

„Und ich gehe rein!“

Schnell schloss Accursia das Fenster, schlüpfte in ihren dunkelblauen Morgenmantel und schlich die dunklen Treppen des Palastes hinunter.

Stella stand – schon wieder motzend – in der hell erleuchteten Eingangshalle. Jytte war bei ihr und machte ein schuldbewusstes Gesicht.

„Stella Arlet mein Starlet!“, sagte Akaber freudig und schloss die blonde Frau in die Arme.

Es war das erste Mal, dass Jytte ein erleichtertes Gesicht machte, in Akabers Anwesenheit.

„Ich bringe Ihr Gepäck schon mal hoch!“, meinte Jytte schnell und stieg mit den ersten drei von ungefähr 14 Reisetaschen die Treppen hoch.

„Auria, wie schön, dich endlich mal wieder zu sehen!“

„Was hast du dich denn so aufgeregt, Kindchen?“

„Ach, erst schneit es – ich habe ja die ganze Fahrt geschlafen und dank meiner Schlafbrille auch sehr gut, danke der Nachfrage und dann komme ich hier an und muss in fünf Stunden schon wieder aufstehen!“, jammerte Stella.

„Dafür kann Jytte aber nichts“, meinte Akaber in Erinnerung an den Gesichtsausdruck der Dienerin.

„Das ist mir doch egal!“, lachte Stella.

Nun musste auch Accursia lachen: „Das weiß ich wohl. Nun, dann geh mal schnell ins Bett und wir sehen uns morgen früh in aller Frische!“

Stella schnaubte nur und gab Accursia einen Kuss auf die Wange. Sie wusste, dass sie schon immer Akabers Liebling gewesen war.

„Schlaf gut, Kindchen.“

„Schlaf du auch gut, Auria. Danke, dass du für mich noch mal runtergekommen bist!“

„Ich war eh wach!“, winkte Accursia ab und stieg dann wieder die Treppen zu ihrem Zimmer hinauf.

All die Jahre ‚im Dienste’ des Zauberers hatte Accursia mit den drei anderen Frauen Kontakt gehalten und sie für ein paar hinterhältige Machenschaften engagiert. Nachdem sie ins Gefängnis gekommen war, wusste sie, dass sie dennoch auf die Unterstützung ihrer drei ehemaligen Schülerinnen zählen konnte und sie hatte sich nicht getäuscht. Stella war damals die Erste gewesen, die sie kontaktiert hatte und zwar unter dem Decknamen ‚Starlet’.

Bei dem Gedanken musste Accursia schmunzeln und schloss lautlos die Tür ihres Zimmers.

Als sie die unfertigen Papiere auf ihrem Schreibtisch liegen sah, ließ sie sich seufzend in den edlen Schreibtischsessel fallen.

Stella hatte sie mir ihrer Ankunft aus den trüben Gedanken gerissen, deren Faden Accursia nun wieder aufnahm.

Sie flog noch einmal schnell über ihre Rede, änderte nur den letzten Satz und legte das Blatt dann zufrieden weg. Danach nahm sie das andere Stück Papier zur Hand, auf welches sie länger als eine Stunde gekritzelt hatte.

Accursia las es durch, damit sie dort anknüpfen konnte, wo sie aufgehört hatte. Der erste Teil, den sie geschrieben hatte, ging um das Leben mit ihrem Emmanuel. Wie sie sich kennengelernt, lieben gelernt und getrennt hatten. Was sie alles zusammen gemacht hatten und zum Schluss hatte Accursia begonnen, Emmanuels größtes Problem zu beschreiben: seine Kinderlosigkeit.

Sie setzte erneut die Feder an und schrieb weiter:

Emmanuel hatte immer sehr darunter gelitten, dass er anscheinend keine Kinder zeugen konnte. Erst nahmen wir an, dass es vielleicht an mir läge, doch nach einer Untersuchung meinerseits war klar, dass es an ihm liegen musste. Danach war er so am Boden zerstört, dass es ein Jahr lang gedauert hat, bis wir uns endlich wieder geliebt hatten.

Mich hat es nicht gestört, dass wir in der Öffentlichkeit kein Paar sein durften. Ich verstand zwar nie, aus welchem Grund, aber ehrlich gesagt war es mir gleich. Ich wollte nur mit ihm zusammen sein.

Ich nehme an, es hätte seine Autorität untergraben, wenn er sich dann doch nach all den Jahren zu mir bekannt hätte.

Wie auch immer… Nachdem ich nach Shiz versetzt wurde, nahm unsere physische Liebe etwas ab und ich litt auch psychisch unter dieser Distanz und all die Jahre wusste ich, was unser Problem hätte lösen können: Ich hätte nur sagen müssen: Emmanuel, Ramón ist nicht der Sohn meines ersten Mannes, er ist dein Sohn. Aber das brachte ich nie über die Lippen. Ich hatte furchtbare Angst, er würde sich dann nicht mehr um mich scheren.

Schließlich hatte unsere Romanze mit einer belanglosen Affäre begonnen, noch bevor er überhaupt als Zauberer bekannt war… Das muss ungefähr zwei oder drei vor Oz gewesen sein… Danach habe ich ihn lange nicht gesehen und bekam auch Ramón ohne sein Wissen. Erst, als ich mich bei ihm im Hof um eine Anstellung bewarb, sahen wir uns wieder.

Er erkannte mich nicht direkt… ich hatte schließlich zugenommen und es dauerte wieder Jahre, bis wir zueinanderfanden.

Inzwischen machte mir Diego Avancen, auf die ich Dummkopf auch eingegangen bin. Dann bekam ich noch Aylin und das Chaos war perfekt.

Ich hielt es nicht mehr aus und erzählte Emmanuel, wer ich wirklich war. Er erinnerte sich nicht mehr genau daran, aber irgendwie haben wir wieder zueinander gefunden.

Also musste ich Diego loswerden. Niemandem habe ich es verraten, dass der Zauberer und ich wieder… zusammen waren, nicht einmal meinen eigenen Kindern!

Ich habe so viel für ihn durchgestanden und so viele Bürden auf mich genommen – NUR für IHN!

Und dann am Tag meiner Festnahme muss ich erfahren, dass er eine Tochter hat… Und diese Tochter muss auch noch ausgerechnet Elphaba sein…

Natürlich war ich sofort wütend, aber ich nahm an, das wäre alles vor mir gewesen… Doch dann habe ich zurückgerechnet und Elphaba ist nur ein oder zwei Jahre jünger als Ramón! Das bedeutet also im Klartext, nach mir hatte er noch wer weiß wie viele Frauen in Oz…

Jedes Mal, wenn ich jetzt an die Hexe denke, will ich sie tot sehen. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass sie genauso leidet wie ich und das wünsche ich auch Glinda! Nur wegen den beiden ist mein Traum in tausend kleine Scherben zerbrochen.

Ich war nie besonders offen, was Emotionalität angeht, aber das hier macht mich einfach rasend! Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass ich mit dieser ekelhaften Person verwandt bin! Ich bin ihre Stiefmutter! Sie ist meine… das kann ich beinahe kaum ausschreiben… ‚Stieftochter’ und Ramón ist ihr Stiefbruder.

Wären Glinda und Elphaba nicht gewesen, wäre ich heute eine glückliche Frau mit zwei erwachsenen Kindern und einem Mann, mit dem ich über Oz regieren würde.

Aber nein, so sollte es nicht sein.

Morgen… Ich verbessere mich, es ist schon nach Mitternacht: HEUTE werde ich die Grundlagen für den schrecklichsten Tod vorbereiten, den Oz je gesehen hat. Ich werde die beiden daran erinnern, wer ich bin. Ich werde mich daran erinnern, wer ich bin und ich werde mich daran erinnern, was ich will:

Ich will die beiden Frauen tot sehen!

Zufrieden ließ sie die lange Feder aus ihrer verkrampften Hand sinken und lehnte sich im Sessel zurück.

Ein Jahr lang hatte sie an dieser Sache nun geknabbert, dass Elphaba Elea Thropp ihre Stieftochter sein sollte. Als Glinda diese Tatsache ihrem Emmanuel damals im Palast vorgeworfen hatte, hatte sie nur mit dem Kopf geschüttelt und gedacht: ‚Alles nur Schall und Rauch! So ein Blödsinn!’

Doch ihr Emmanuel war damals auf die Knie gefallen und hatte sich ergeben. IHR Emmanuel hatte sich ergeben.

Noch nie war ihr im Leben ein abscheulicheres Bild in Erinnerung geblieben, bis auf das Gesicht von Elphaba. Nun war das Verlangen, die Hexe zur Rede zu stellen, erneut erwacht.

„Ja…“, murmelte Accursia auf dem Weg zu ihrem Bett, „Londaro hatte recht: Dass die Hexe lebt, ändert den ganzen Plan… Und das kommt mir sehr gelegen. Elphaba Thropp, ich finde dich. Ohne Zweifel…“
 

„Hui, Elphie… Jetzt weiß ich auch, warum mir so kalt ist.“ Glinda zitterte vor sich hin, während Elphaba mit ihren Händen über die nackten Oberarme rubbelte.

„Ich würde vorschlagen, wir fliegen jetzt aber mal ganz schnell zurück nach Kiamo Ko.“, murmelte Elphaba, noch immer vom Schnee erstaunt.

„Wie hast du vor, Fiyero gegenüber zutreten?“

„Ich werde ihm die Wahrheit sagen…“

„Die da wäre?“, Glinda drehte sich verblüfft um.

„Dass ich das Leben nicht so weiterleben kann und dass ich nicht dasselbe für ihn empfinde, was er für mich empfindet. Ich weiß, er wird nicht sehr… erfreut sein, aber ich habe das jetzt lange genug mit mir herumgeschleppt…“ Elphaba seufzte tief.

„Bis jetzt hattest du auch keinen Grund dazu, ihm das zu sagen!“

„Doch Glinda, um der Ehrlichkeit willen!“

„Dann formuliere ich das anders: Bis jetzt hattest du auch keine andere Zukunftsperspektive…“

„So sei es mal akzeptiert!“, grinste Elphaba nun Glinda an und strich einmal kurz durch die blonden Locken, aus welchen ein paar Schneeflocken rieselten. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass das alles wirklich passierte…

Seufzend stand die blonde Schneekönigin auf und zog am anderen Ende der Decke, was Elphaba in den Schnee purzeln ließ.

„Heee…“, protestierte die Hexe, als Glinda kichernd die Decke faltete.

Elphaba rappelte sich auf und griff nach ihrem Besen. Die beiden hatten während ihrer Unterhaltung immer mal wieder etwas genascht und nun war zum Glück nichts mehr übrig, was sie hätten mitnehmen müssen.

Also setzte die Hexe sich im Damensitz auf ihren Besen und murmelte leise vor sich hin, sodass er nicht weit über dem Boden schwebte. Glinda legte ihr die Decke um die Schultern und Elphaba protestierte erneut: „Nein, Glinda, nimm du die Decke!“

„Blödsinn! Ich nehme dich!“

„Was?“

Ohne zu antworten, hüpfte Glinda sanft auf Elphabas Schoß, umschlang mit ihren Armen den dünnen Oberkörper und legte ihren Kopf auf den Brustkorb der Hexe. Dann zog sie leicht die Beine an und murmelte: „Jetzt können wir…“

Elphaba blickte zärtlich auf die eiskalte Blondine auf ihrem Schoß und griff mit der linken Hand um Glindas Schultern, sodass sie guten Halt hatte.

Die Frau auf dem Schoß klammerte sich noch etwas fester an ihre Freundin und seufzte tief. Elphaba roch so gut… Müde schloss sie die Augen und fühlte den seichten Flugwind auf ihrem Rücken. Beide Kleider flatterten im Wind und der Mond ging langsam am Himmel auf.

Bis auf ein paar kleine Wolken war es nun eine sternenklare Nacht. Die beiden Frauen hatten nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war und Elphaba bewunderte den hellen und vor allem großen Mond.

Sie liebte solche Nächte und war früher oft alleine geflogen, wenn der Mond ihr genügend Licht gespendet hatte. Dabei hatte sie auch sehr oft über Glinda nachgedacht und sich manches Mal einen gemeinsamen Flug gewünscht.

Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass es irgendwann einmal wirklich passieren würde. Aber in ihrem Leben hatte sie so vieles für unmöglich gehalten…

Elphaba musste schmunzeln, als sie Glinda leise brabbeln hörte. Das war ein unverkennbares Zeichen dafür, dass ihre Freundin eingeschlafen war.

Die grüne Hexe fühlte eine warme Welle durch ihren Körper schwappen. Es war eine Art Glücksgefühl. Sie senkte ihren Kopf und küsste Glindas Locken.

Warum sie den Drang dazu spürte, wusste sie nicht, aber sie wollte nie wieder ihre innere Stimme ignorieren.

Während des Fluges dachte Elphaba darüber nach, ob es nun noch irgendwelche offenen Fragen in Bezug auf die vergangenen Geschichten gäbe, doch ihr fiel keine mehr ein. Glinda hatte ihr alle Fragen beantwortet und nun stand nichts mehr zwischen den beiden Frauen. Es waren viele Missverständnisse gewesen, die beiden das Leben sehr erschwert hatten. Elphaba war erleichtert, dass auch sie alle Fragen beantwortet hatte.

Die Hexe ließ einige Gesprächsteile noch einmal Revue passieren und hörte Glindas glockenklare Stimme, die in ihrem Kopf widerhallte: „Weißt du, Elphaba, wir hatten eine außergewöhnliche Freundschaft… Nein, wir HABEN eine außergewöhnliche Freundschaft.“

‚Oh…’, stellte Elphie schmunzelnd fest, ‚… ich habe doch noch eine Frage…’

Doch es war eine gute Frage und mit diesem Wissen flog sie etwas schneller auf Kiamo Ko zu. Sie hoffte innig, Fiyero würde ihr ruhig entgegentreten.

Es dauerte nicht lange und sie sah die Burg im Mondschein vor sich liegen. Vorsichtig verringerte sie ihr Tempo und ließ den Besen sanft auf den Hof hinabgleiten. Sie hatte gesehen, dass das Fenster zu ihrem Schlafzimmer geschlossen worden war.

„Glinda?“, flüsterte die Hexe leise. Der Schnee war auf ihrer Haut trotz der eisigen Kälte zu Wasser geschmolzen, doch sie spürte nicht einmal den leisesten Schmerz.

Als die blonde Frau keine Antwort gab, positionierte Elphaba, die noch immer auf dem Besen saß, Glindas Arme so, dass sie nun um den sonst grünen Hals lagen. Dann erst glitt sie leise vom Besen und umfasste den Rücken ihrer Freundin mit einer Hand. Mit der anderen griff sie unter die Oberschenkel.

„Und ich dachte immer, du bist federleicht!“, grinste Elphaba, doch Glinda schien das alles nicht zu interessieren. Noch immer zitternd schlief sie ruhig weiter.

Dem Besen befahl die Hexe, sich an der Wand niederzulassen und er gehorchte. In keinem der Fenster war Licht zu sehen und Elphie fragte sich auf dem Weg zur Eingangstür, ob Fiyero überhaupt zu Hause war.

An der Tür angekommen, versuchte Elphaba mit ihrem rechten Ellbogen die Klinge hinunter zu drücken, was ihr nach dem dritten Anlauf auch endlich gelang. Der große Empfangsflur lag in schwarzer Dunkelheit vor ihr. Sie kannte sich dort gut genug aus, um den Weg auch in dieser Finsternis zu finden und durchquerte dann den Wohnsaal. Auch hier brannte kein Licht und von Fiyero gab es keine Spur.

Sie musste ihn finden, doch erst sollte Glinda ins Bett. Sie zitterte noch immer in den Armen der Hexe.

Mit Bedacht nahm Elphaba Stufe für Stufe und öffnete die Schlafzimmertür abermals mit ihrem Ellbogen. Vorsichtig brachte sie Glinda um das Bett herum und legte sie dann auf ihre Seite des Bettes. Es war die Seite, auf der sie auch damals aufgewacht war.

Die Hexe wusste, wie ungern Glinda an der Tür schlief, also schob sie die Decken über den noch immer kalten Körper und suchte dann nach dem Behälter, den sie Glinda auch beim letzten Mal mit unter die Decken gelegt hatte. Sie fand ihn und füllte ihn mit warmem Wasser. Dann wickelte sie noch ein Tuch darum und die Bettdecke an Glindas Füßen abermals hoch. Behutsam platzierte Elphaba nun den Wärmespender so, dass er die zarten Füße nicht verbrannte und deckte sie dann wieder zu.

Sie selber fror auch etwas und sie wollte nichts sehnlicher, als endlich schlafen, doch erst musste sie Fiyero finden.

Also huschte sie lautlos ins Badezimmer und schnappte sich ihren Morgenmantel. Mit einem kurzen Blick in den Spiegel erschrak sie sich beinahe zu Tode.

‚Großer Oz, das bin ja ich!’, dachte sie geschockt, als sie eine normalfarbige Frau von oben bis unten musterte. Geschwind band sie sich ihren Mantel um und tastete nach der Kette.

‚Die habe ich ja völlig vergessen! Fiyero wäre ausgerastet!’, dachte sie und öffnete den Verschluss.

Als sie die Kette neben ihren Spiegel gelegt hatte und sich erneut darin musterte, schimmerte ihre Haut im Mondlicht wieder smaragdgrün.

Zufrieden nickte sie und huschte durch das Schlafzimmer zur Treppe, die sie genauso lautlos hinabstieg.

„Fiyero?“, flüsterte sie, als sie den Wohnsaal erreichte. „Flamara!“, nuschelte sie dann und einige der großen Kerzen erhellten plötzlich den Raum.

„Fiyero?“, flüsterte sie nun etwas lauter, doch sie erhielt keine Antwort. Angespannt ging sie in die Küche, doch auch dort war er nicht. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte, wenn er nun hier wäre… Aber Elphaba beschloss, sich von ihrer Intuition leiten zu lassen.

Etwas verwirrt über Fiyeros scheinbare Abwesenheit ging sie zurück in den Wohnsaal und begann erneut laut zu flüstern: „Fiyero Tiggu…“

Sie hielt mitten im Satz inne und griff nach dem Stück Papier, welches auf dem Tisch lag. Elphaba las es laut: „Bin spazieren. Bald wieder da!“

Daneben lag sein Buch über Traumdeutung, was Elphaba schmunzeln ließ. Erleichtert drehte sich die Hexe um und ging wieder zum Treppenansatz. Dort wendete sie sich in die Richtung der Kerzen, konzentrierte sich auf die Flammen und drückte dann ihre Handflächen parallel zum Boden nach unten. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis jede Flamme erloschen war.

In der nun wieder stockfinsteren Dunkelheit tastete sich die Hexe an der Wand entlang bis zu ihrer Schlafzimmertür und schlich von dort aus ins Badezimmer. Schnell wusch sie sich ihr Gesicht und ihre Füße mit etwas Kamillenöl ab. Erst dann schlüpfte sie aus dem Kleid und in ihr Nachthemd.

Müde schlurfte sie zum Bett und ließ sich auf die dicke Matratze fallen. Die weichen Federn verschluckten jedes Geräusch.

Mit einem leisen Seufzer kuschelte sie sich unter die Decke und drehte sich auf die linke Seite, sodass sie Glindas blonde Locken im Mondschein sehen konnte. Die Freundin lag noch immer auf dem Rücken und schien tief zu schlafen.

Kraftlos schloss Elphaba die Augen und öffnete sie sogleich wieder.

Genervt stieg sie noch einmal aus dem Bett und drehte den Schlüssel an ihrer Zimmertür um.

‚Wenn Fiyero nach Hause kommt, muss er das ja nicht gleich sehen…’, dachte Elphaba und erinnerte sich an seine Worte und den Vorwurf mit Glinda.

„Elphaba?“, hörte sie Glindas Genuschel vom Bett her und war mit einer Bewegung neben ihr.

„Hier, Glinda. Ich bin hier.“

„Mir ist so furchtbar kalt…“

Ohne darüber nachzudenken, schlüpfte Elphaba mit unter Glindas Bettdecke und legte einen Arm um sie. Müde lächelnd drehte sich Glinda nun auch auf ihre linke Seite, sodass ihr Rücken an Elphabas Brust grenzte und kuschelte sich in die warme Umarmung.

„Besser?“, fragte Elphaba erschöpft in die stille Nacht hinein.

„Viel…“, bestätigte der blonde Lockenkopf und dann versanken beide Frauen in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
 

„Großer Oz, es ist ja stockduster hier drinnen!“, ärgerte sich Fiyero, als er die Tür zu Glindas Zimmer öffnete und den Lichtschalter suchte, diesen aber nicht fand. Also ging er auf den Flur zurück, nahm sich eine brennende Fackel von der Wand und ging abermals in das Zimmer seiner Ex-Verlobten.

‚In den letzten Jahren…’, dachte der Scheuch verärgert, ‚…hat sich so viel in Oz getan! Wasser- und Stromnetzwerke überall, nur das Zimmer von ‚Glinda der Guten’ ist ohne jeglichen Fortschritt?’

Man hatte nach der Abreise des Zauberers ein paar merkwürdige Pläne mit der Überschrift: „Wind- und Wasserwerk“ gefunden. Mit den Jahren hatten ein paar kluge Köpfe sie auch verstanden und umgesetzt.

Die Fackel in der Hand haltend, ging Fiyero langsam durch das Zimmer und leuchtete vorsichtig jede Ecke aus. In der Gegenwart von Feuer war ihm sehr unwohl.

Hinter ihm befand sich ein großer Kleiderschrank und direkt daneben stand die Tür zum Badezimmer offen. Das Bett stand an der Wand links von ihm und er musste ungewollt grinsen, als er dieses pompöse Etwas erblickte: Es war größer als ein gewöhnliches Doppelbett und war aus weißem Edelholz extra angefertigt worden. Das konnte Fiyero mit nur einem Blick sehen, denn es gab keine Unterbrechungen in der Verarbeitung des Holzes. Nur die durcheinander liegenden roséfarbenen Bettdecken erinnerten noch an die Nacht, als seine Fae Glinda gerettet hatte.

Bei diesem Gedanken legte sich ein Schatten über sein Gesicht und er spürte erneut die Wut, die sich in ihm langsam wieder ausbreitete. Fiyero wusste ganz genau, dass er keine wirklichen Gefühle mehr empfinden konnte. Es war eine Art gesteuerter Selbstprozess von Einbildung und dieser erleichterte ihm so einiges in den letzten Tagen.

Der Scheuch wendete seinen Kopf zur rechten Seite des Zimmers. Hier gab es eine kleine Sitzecke mit zwei großen Sesseln und einem Kaffeetisch. In der Wand war ein offener Kamin eingebaut worden und direkt neben dem Kamin stand ein weiterer Kleiderschrank.

Langsam ging er vorwärts, denn im Fackelschein konnte er die gegenüberliegende Wand nicht erkennen. Als er sich der Wand jedoch näherte, konnte er die Konturen eines Schreibtisches ausmachen und rieb sich innerlich schon die Strohhände. Genau DAS hatte er gesucht.

Plötzlich flackerte das Licht der Fackel, was den Scheuch dazu veranlasste, seinen Arm reflexartig weit weg von seinem Körper zu halten.

Schon bald hatte er die Quelle des Übels gefunden: Die Balkontüre stand offen und er kombinierte, dass dies auch noch von jener Nacht gewesen sein musste, denn gleich darauf entdeckte er auch das große Loch in der danebenliegenden Fensterscheibe.

‚Nach dem Vorfall war niemand mehr hier?’, wunderte er sich.

Vorsichtig zündete Fiyero die Kerzen an, welche auf Glindas Schreibtisch standen und nachdem er auch alle anderen Fackeln in diesem Raum angezündet hatte, stellte er seine Fackel in eine dafür vorgesehene Halterung. Der Raum schien nun viel heller und Fiyero ließ seinen Blick noch einmal durch dieses warme und sehr einladende Zimmer schweifen.

Erst dann setzte er sich auf Glindas Schreibtischstuhl. Da der Schreibtisch genau unter dem zerbrochenen Fenster stand, lagen Blätter und Scherben überall verteilt, was darauf hindeutete, dass etwas oder jemand von draußen die Scheibe kaputt geschlagen haben musste. Wäre es andersherum gewesen, würde der Großteil der Scherben auf dem Balkon liegen.

Mit einer Armbewegung wischte Fiyero die Scherben und das Laub vom Tisch. Etwas enttäuscht stellte er fest, dass ansonsten nichts anderes darauf gelegen hatte.

‚Hier muss doch aber etwas drin sein…’, dachte er hoffnungsvoll, als seine Strohhände sich an der obersten Schublade zu schaffen machten. Sie enthielt nichts außer Stifte und einiger lose Blätter.

Auch die zweite Schublade war eine Enttäuschung und Fiyero merkte, wie sehr ihn das frustrierte. Aus lauter Wut und Aggression riss er die letzte Schublade auf. Mit einem Griff schleuderte er alles hinaus, was sich darin befand. Ein Regen aus weißen und unbeschriebenen Blättern, Stiften, Affenmarken, Stempeln und belanglosen Büchern prasselte auf den Teppichboden nieder.

Erschöpft ließ er sich tief in den Schreibtischstuhl versinken: ‚Es kann doch nicht sein, dass es hier kein Anzeichen gibt!’ Dieser Gedanke machte ihm beinahe schon Angst, denn er musste Beweise GEGEN Glinda finden, um seine eigenen Handlungen vor sich und seinem Gewissen rechtfertigen zu können.

‚Und auch gegen Elphaba!’, dachte er wütend, als er sich noch weiter in den Stuhl sinken ließ und die Beine langsam ausstreckte.

„Nanu?“, entwich es ihm, als er gegen die hintere Platte des Schreibtisches stieß. Er hatte seine Beine noch nicht einmal ganz ausgestreckt und es war ein recht großer Schreibtisch, also war es unwahrscheinlich, dass in der Mitte eine Platte unterhalb eingebaut worden war.

Verwundert ließ er sich auf alle viere gleiten und tastete in der Dunkelheit nach der eingebauten Wand. Was er dort fühlte, weckte seine Hoffnung noch viel stärker als je zuvor. Es war eine Art Geheimfach, denn das Schlüsselloch befand sich in der rechten Ecke ganz oben auf der Platte und hatte die gleiche Farbe wie das Brett selber.

‚Wahrscheinlich zur Tarnung’, dachte sich Fiyero und seine Vorfreude glich der eines Kindes während Lurlinachten. Doch diese Vorfreude sank, als er mit allen Mitteln versuchte, die massive Geheimtür zu öffnen, doch es wollte dem Scheuch einfach nicht gelingen.

Schnell krabbelte er wieder unter dem Schreibtisch hervor und durchsuchte erneut, nun viel gründlicher als zuvor, alle Schubladen.

„Oz im Ballon!“, fluchte er, als er nichts fand. Doch dann hatte er einen Einfall: ‚Sie ist eine Frau… Wo verstecken Frauen Dinge, die nicht gefunden werden sollen?’

Innerlich hoffte er auch, dass Glinda den Schlüssel nicht bei sich trug und fing an, ihr Zimmer zu verwüsten.

Er begann mit dem Kleiderschrank neben dem Kamin: Fiyero schmiss alles auf den Boden, was dort zu finden war. Doch nachdem sich alle möglichen Röcke, Blusen, Haarbänder, Nachthemden und jegliche Art von Unterwäsche auf dem Fußboden befanden, stellte er fest, dass es in diesem Schrank nichts zu finden gab.

Mit großer Eile ging er dann zum nächsten Möbelstück über und riss alle Kissen aus den Sesseln, doch auch hier war nichts versteckt. Beinahe wäre er auf dem Weg zu Glindas Bett über eines der Bücher gestolpert, welche er eben noch aus dem Schreibtisch gerissen hatte.

Neugierig betrachtete er das Durcheinander,ging in die Hocke und las sich die Buchtitel durch: ‚Jahrestrends und Jahresflopps – Finden Sie Ihren Stil!’, ‚Romantische Poesie, Band 3’, ‚Innere Verarbeitung und äußere Erscheinung’, ‚Die Liebe am See’, ‚Regieren leicht gemacht’, ‚Emotionenguide: Bekommen Sie Ihre Gefühle in den Griff!’, ‚Komplexe Explikation - Religion: Kritiklose Übernahme oder juristische Prägnanz?’.

‚Kritiklose Übernahme oder was?’, stutzte der Scheuch in Gedanken, denn dieses Buch unterschied sich nicht nur vom Titel her von den anderen Büchern. Während die meisten Bücher noch recht neu und auch ungelesen schienen, war dieses Buch schon sehr zerfallen und hatte ein paar eingeknickte Ecken, was darauf hindeutete, dass es oft gelesen wurde.

Fiyero konnte sich an keine Zeit erinnern, in welcher Glinda sich für ein solches Thema interessiert hatte und wendete es deshalb, um auf dem Rücktext zu lesen. Dabei fiel etwas zwischen den Seiten hinaus und landete vor Fiyeros Füßen auf dem Boden. Neugierig hob er es auf. Auf der Rückseite stand in leserlicher Schrift geschrieben: „Elphaba & Galinda, Sommer; Shiz – 17 n. Oz“. Als er einen Blick darauf warf, musste er sich hinsetzen und ließ das Buch aus der Hand gleiten. Erst betrachtete er das Bild geschockt und dann teuflisch grinsend.

‚Mein erster Beweis!’, gestand er sich innerlich ein und legte das Foto der beiden Studentinnen vorsichtig auf den Kaffeetisch.

Dann machte er dort weiter, wo er aufgehört hatte und riss den ganzen Inhalt von Glindas Nachttischen heraus. Erst danach schaute er unter dem Bett nach.

Da er nichts gefunden hatte, lief er hinüber ins Badezimmer und durchsuchte jede noch so kleine Schmuckdose nach dem Schlüssel.

Auch dort erfolglos ging er wieder grübelnd in das Zimmer und sah sich noch einmal um. Bis auf den Kleiderschrank, der nun direkt rechts neben ihm stand, hatte er alles durchsucht und war nicht fündig geworden.

Mit einem letzten Funken von Hoffnung öffnete Fiyero den sehr großen Schrank. ‚Frauen…’, seufzte er belustigt, als er die unzähligen Schuhe in allen Farben und Formen erblickte. Auf den ersten Blick konnte Fiyero nichts Verdächtiges ausfindig machen. Trotzdem ließ er seinen Blick von Regal zu Regal wandern und sah sich jedes Paar Schuhe genau an: Rosane, gelbe, blaue, weiße, hohe, flache, offene, Riemchenschuhe, Stöckelschuhe…

‚Stiefel?’, erneut stutzte Fiyero, als er in der untersten Ecke des großen Schranks ein Paar braune Schnürstiefel entdeckte, die absolut nicht in das Gesamtbild der Farbenpracht passten.

Aufgeregt griff er nach dem linken Schuh und dachte: ‚Wenn mich nicht alles täuscht, dann… könnten das Elphabas Schuhe von damals sein!’ Die Strohhände drehten das Paar Schuhe hin und her.

„Das SIND Elphabas Schuhe!“, rief er aus, nachdem er die Zunge hinuntergeklappt und die Initialen „E. T.“ entdeckt hatte. Darunter war mit einem anderen Stift ein kleines Herz gekritzelt worden, doch die Schrift wie auch das Herz wiesen große Verschleißspuren auf.

Fiyero wusste, dass er fündig geworden war, nur konnte er noch nicht genau sagen, was er da eigentlich gefunden hatte. Aufgewühlt schüttelte er den Schuh und als nichts zu hören war, griff er zur Sicherheit noch einmal hinein.

‚Nichts!’, stellte er emotionslos fest und griff sofort nach dem zweiten Schuh. Auch hier war etwas auf die Innenseite der Zunge geschrieben worden, doch man konnte es kaum noch lesen. Als er nun den anderen Schuh schüttelte, konnte er durch das braune Leder fühlen, wie sich etwas im Inneren des Schuhs bewegte.

Aufgeregt griff er hinein und zog einen kleinen, silbernen Schlüssel hervor. Unverzüglich hob er den zweiten Schuh vom Boden auf, stellte dann beide Exemplare auf den Kaffeetisch neben das Bild und rannte zum Schreibtisch. Hastig ließ er sich auf die Knie fallen, robbte ein Stück nach vorn und steckte den Schlüssel ins Schloss.

‚Er passt!’, freute die Vogelscheuche sich innerlich, als sie den Schlüssel umdrehte. Die Tür sprang mit einem leisen Knacken auf.

Da es unter dem Schreibtisch noch dunkler war, als im Rest des Raumes, konnte Fiyero nicht direkt erkennen, was er dort gefunden hatte. Also griff er nach einem Stapel Papiere, Akten und Büchern, von welchem er nur die Umrisse sah. Mehr schien sich nicht darin zu befinden, doch auch hier steckte er zur Sicherheit noch einmal seine Hand in das Fach. Als er von der rechten in die linke Ecke des Verstecks fuhr, stießen seine Finger gegen etwas Nachgiebiges und ohne Zögern zog Fiyero es heraus.

Wie gebannt starrte der Scheuch nun auf Elphabas alten, schwarzen Hexenhut, den er mit seiner rechten Hand umklammert hielt.

„So ist das also…“, murmelte er nachdenklich, als er wieder auf dem Schreibtischstuhl Platz nahm und den Stapel Akten auf die Holzplatte legte. Den Hut legte er direkt daneben und machte sich dann über den Stapel her.

„Wertpapiere, Familienstammbaum, Zeugnisse…“, las er laut und warf alles, was er nicht gebrauchen konnte, einfach hinter sich. Der Stapel wurde immer kleiner und am Ende, als nur noch ein Exemplar übrig war, konnte Fiyero seinen Augen nicht trauen.

Vorsichtig nahm er das Buch in die Hand, welches in schwarzes Leder gebunden und sehr alt war. Er schlug es behutsam in der Mitte auf und sah verblüfft auf die violetten Seiten, die mit glitzernder Tinte beschrieben worden waren.

„Das ist doch das Buch, das Elphaba Glinda geschenkt hat…“, raunte er resigniert niemandem zu. Er erinnerte sich, wie er oben auf der Wendeltreppe gestanden und dieses Abschiedszenario der Frauen mit angesehen hatte.

Im Kerzenschein blätterte er einige Seiten um, doch was dort stand, konnte er beim besten Willen nicht lesen. Die Worte schienen sich vor seinen Augen immer wieder neu aufzureihen. Verärgert klappte er das Buch wieder zu und betrachtete das schwarze Leder, welches schwach schimmerte.

Auf dem Leder konnte er keine Anzeichen für einen Titel erkennen, also klappte er nur die lederüberzogene Seite um und hoffte, dass der Titel oder die Bezeichnung für das Buch auf dem Einband stehen würden.

Als er jedoch den Einband aufgeklappt hatte, fiel ihm die Kinnlade vor Verblüffung hinunter, denn die Worte übertrafen all seine Erwartungen.

„Glinda…“, las er laut, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte. Schon bei diesem Wort konnte er deutlich erkennen, dass es Elphabas Handschrift war.

„… es gibt noch so vieles, was ich dir sagen oder dich fragen möchte, aber uns bleibt dazu keine Zeit mehr. Zu viel ist geschehen und nichts davon kann ich rückgängig machen.

Dieses Buch bedeutet mir nichts, genauso wenig wie die Hexerei.

Dennoch will ich es dir schenken. Dabei ist der eigentliche Inhalt des Buches belanglos, genau wie das Buch selber.

Das, was ich dir noch mitteilen möchte, findest du auf der nächsten Seite.

Ich weiß nicht einmal, ob ich noch die Gelegenheit bekomme, dir das Grimorium zu schenken, aber sollte ich es schaffen, dann zeige die nächste Seite jemandem mit musikalischer Begabung und du wirst meine Botschaft verstehen.

Es ist alles, was ich dir noch geben kann.

Lebe wohl,

Elphaba“

Verwirrt starrte Fiyero auf die Handschrift, welche für ein ungeschultes Auge kaum lesbar gewesen wäre. Für ihn war klar, dass Elphaba dies kurz vor ihrem offiziellen Tod geschrieben und dabei nicht gewusst hatte, ob sie Glinda vor ihrem Tod noch einmal sieht.

Fiyero hatte es nie glauben wollen, doch nun war es offensichtlich: Elphaba hatte nie geplant, vor den Hexenjägern zu fliehen. Sie wäre wirklich gestorben, wenn er, Fiyero, nicht eingegriffen hätte.

Die Gedanken vertreibend, atmete der Scheuch noch einmal tief durch und blätterte dann angespannt die Seite um.

Es dauerte einige Sekunden, bis er einen Überblick über dieses scheinbare Durcheinander hatte. Es stand dort nur ein einziger Satz ganz oben am Rand: ‚No, I can’t live.’

‚Nein, ich kann nicht leben?’, rezitierte Fiyero nun noch verwirrter in seinen Gedanken den Satz. Er nahm diesen Satz als Beweis dafür, dass die Hexe wirklich hatte sterben wollen. Nur fragte er sich die ganze Zeit über, aus welchem Grund…

Dann richtete er seinen Fokus wieder auf den anderen Inhalt der Seite: Es waren eindeutig Notenzeilen. Sehr sauber war jede einzelne Linie gezogen worden und genauso sorgfältig war jede Note einzeln gemalt worden. Unter jede Notenzeile hatte Elphaba in sehr leserlicher Schnörkelschrift etwas geschrieben. Erst da verstand Fiyero, dass er ein Lied in den Händen hielt.

Ungläubig las er die erste Zeile des Liedes. Mit jedem Wort wuchs seine Wut, sein Zorn, sein Hass.

Doch nachdem er den Refrain gelesen hatte, war ihm eines begreiflicher als je zuvor: Elphaba Thropp hatte sich damals ein Leben ohne Glinda Hochborn nicht mehr vorstellen können und darum ihr Schicksal zu sterben akzeptiert.

Als er weiterlas, erkannte er auch, dass er, Fiyero Tiggular, also nie eine tragende Rolle in ihrem Leben gespielt hatte. ‚Nie…’, dachte er, als sich seine Hände um den Einband des Buches verkrampften und er sich zwang, das Lied bis zur letzten Zeile zu lesen…
 

Londaro fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er hatte sich um fünf Uhr am frühen Morgen mit Fiyero treffen wollen, doch nun war schon eine halbe Stunde vergangen, ohne dass der Scheuch aufgetaucht war. In einer halben Stunde würde der Trupp aufbrechen, aber ohne Fiyero würde das nicht gehen, schließlich sollte er als Lockvogel in der ganzen Angelegenheit dienen.

Der Sekretär wusste, dass er Ramón unmöglich wecken konnte, denn das hatte er schon versucht. Der blonde Mann war nicht in seinem Zimmer gewesen und Londaro hatte kombiniert, dass nur noch ein Schlafgemach ausstehen würde: Penelopes.

‚Ich werde mich hüten, da noch einmal reinzugehen!’, dachte er und erinnerte sich dabei an den vergangenen Abend, als er Ramón und Penelope schon einmal gestört hatte.

Also hatte Londaro beschlossen, es wäre am Besten, Accursia über Fiyeros Abwesenheit zu informieren.

Als er den noch dunklen Flur entlang ging, an wessen Ende Accursias Schlafzimmer lag, kamen die Erinnerungen wieder in ihm hoch, als er Ramóns Mutter das letzte Mal geweckt hatten: Damals waren er und Ramón sehr früh am Morgen von einer berauschenden Party heimgekommen und die beiden waren nicht weniger berauscht gewesen. Lallend hatten sie das letzte Lied gegröhlt, welches der Mann in der Bar gespielt hatte. Doch plötzlich hatte Accursia vor ihnen gestanden. Kein Wort hatte sie gesprochen, aber bei ihrem Gesichtsausdruck waren beide jungen Männer sofort verstummt. Dann hatte sie die Arme gehoben, damit herumgefuchtelt und war wieder in ihrem Zimmer verschwunden.

Erst hatten beide Jugendlichen keine Ahnung davon gehabt, was passiert war, doch als sie Ramóns Zimmertüre geöffnet hatten, war es ihnen klar: Accursia Akaber hatte einen ‚kleinen’ Hagelsturm in das Zimmer gezaubert. Nach diesem Erlebnis hatte weder Ramón noch Londaro jemals wieder Accursias Schlaf gestört.

‚Jetzt bin ich aus dem erziehbaren Alter heraus…’, dachte Londaro und versuchte so, sich selber Mut zu machen.

Vorsichtig klopfte er an der Zimmertür und wartete geduldig ab. Als nichts passierte, klopfte er noch einmal und dabei fingen seine Hände an zu schwitzen.

Als Londaro Schritte hörte, wich er ein Stück nach hinten.

Accursia öffnete die Tür und blickte Londaro in die Augen: „Ja bitte?“ Sie sah nicht aus, als wäre sie gerade erst aufgewacht oder müde, als riss sich der Sekretär zusammen:

„Guten Morgen, Auria! Verzeih mir, dass ich dich so früh störe, aber ich kann Fiye… Fiyero?!“, rief er ohne jede Vorwarnung aus, als er die Vogelscheuche in Madame Akabers Schlafzimmer stehen sah.

Verwirrt blickte er von Fiyero zu Auria und wieder zu Fiyero.

Zu Londaros noch größerer Verwunderung lächelte Accursia ihn an: „Du kannst ihn mitnehmen. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es gleich losgeht. Du kannst ihn selber fragen, was er bei mir wollte.“

„Ja… Danke…“, stammelte der Sekretär und sah, wie Fiyero ein Buch und einen braunen Stiefel auf den Schreibtisch legte und dann auf ihn zukam. Als er an Madame Akaber vorbeiging, nickte er ihr lächelnd zu und sie lächelte zurück. „Das wird ein Kinderspiel!“, grinste sie weiter und Fiyero nickte abermals.

„Was… kannst du mir das mal erklären?“, fragte Londaro verblüfft, als die beiden Männer den Flur zurückgingen, nachdem Accursia die Tür geschlossen hatte.

Fiyero klärte ihn schnell darüber auf, was er in Glindas Zimmer gefunden hatte.

Ungläubig starrte der Sekretär die Vogelscheuche an und konnte nicht mehr weitergehen.

„Sie hat ihr ein Lied geschrieben?“, fragte Londaro atemlos. Fiyero nickte nur.

„Und darin ging es wirklich darum, dass sie ohne…“

„Jaja!“, unterbrach der Scheuch nun genervt. Er wollte sich das alles nicht noch einmal anhören.

„Ich würde sagen, da haben wir unseren Sapphismus-Beweis gefunden!“, stöhnte der dunkelhaarige Mann und setzte sich wieder in Bewegung.

„Allerdings!“ war das letzte, was Fiyero zu diesem Thema sagte.

Nach einer Weile des Schweigens sagte Londaro: „Ich hole noch eben meine Sachen und dann treffen wir uns draußen.“

Um fünf vor sechs hatten sich soweit alle Soldaten auf dem Hof versammelt. Fiyero stand etwas abseits und wartete noch auf Londaro. Er war froh, dass er nicht alleine mit dem Trupp marschieren sollte.

Als er sah, wie der Sekretär angelaufen kam, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Londaro trug eine dicke Pelzjacke, Mütze und Handschuhe. Es war immer noch bitterkalt, obwohl es irgendwann in der Nacht aufgehört hatte, zu schneien.

„Was ist das?“, fragte Fiyero verwirrt, als er auf das elfenbeinfarbige Etwas in Londaros behandschuhten Händen deutete.

„Offiziell ist es das Start-Horn, aber heute ist es auch das Weck-Horn.“, grinste der Sekretär.

Den ersten Teil hatte Fiyero begriffen, aber mit der Betitelung „Weck-Horn“ konnte er nichts anfangen.

„Wen willst du denn wecken?“

„Na unsere Biester!“, lachte Londaro und setzte das Horn an seine Lippen an. Nach einem kräftigen Atemzug blies der Mann mit ganzer Kraft seinen gesamten Lungeninhalt in das Horn, welches furchtbar laut ertönte. Obwohl Fiyero keine Schmerzen empfinden konnte, hielt er sich reflexartig seine Hände an die Stelle, wo jeder normale Mensch seine Ohren hatte.

Londaro lachte atemlos: „Stella wird das ganz besonders freuen!“

Nachdem er wieder Luft geholt hatte, schrie er: „LINKS UM! … ABMARSCH!“

Wie eine kleine Armee setzte sich der Trupp in Gang, bei welchem Fiyero und Londaro das Ende bildeten. Sie hatten geplant, dass der oberste Soldat den Trupp bis zu dem kleinen Städtchen kurz vor Kiamo Ko anführen sollte. Ab dort sollte Fiyero die Gruppe führen…
 

Als das Horn ertönte, wachte Penelope erschrocken auf: „Ramón?“, sagte sie flüsternd und rüttelte den nackten Mann neben sich. „Ramón, was war das?“

„Das Weck-Horn!“, gähnte er laut.

„Das was?“ Penelope kicherte leise.

„Ich hasse Politik!“, murmelte der blonde Mann neben ihr. „Da muss man immer so früh aufstehen…“

„Oder eben nicht so spät ins Bett gehen…“, grinste Penelope in die Dunkelheit hinein. Die beiden waren vor noch nicht einmal zwei Stunden erst erschöpft eingeschlafen, nachdem sie sich unzählige Male geliebt hatten.

Penelope kuschelte sich etwas näher an Ramóns Brust und spielte mit seinen Armhaaren. Unaufhörlich zupfte sie daran, bis Ramón ein genervtes Gemurmel von sich gab: „Du weißt doch, dass ich das nicht leiden kann…“

„Genau darum mache ich es doch! Wir müssen aufstehen!“, erklärte Penelope sachlich, doch Ramón hörte den scherzhaften Unterton.

Er drehte sich spielerisch von ihr weg und schrie kurz danach erschrocken auf, als Penelope ihm in die Hüfte biss.

„Ich gebe auf!“, stöhnte er und rieb sich seine schmerzende Seite, doch Penelope war schon auf dem Weg zum Badezimmer.
 

„Seelenlos, du hassen Politik, aber komm runter!“, rief Adlerauge ihrem Lieblingsadler zu, der sich nach dem Erklingen des Weck-Horns schreckhaft in die oberen Gewölbe verzogen hatte. Als die schwarz-haarige Frau bemerkte, dass keiner ihrer Adler oder Raben freiwillig seine sichere Position aufgeben wollte, ging sie langsam zu dem Käfig mit den Mäusen und griff hinein. Mit einer gekonnten Handbewegung hielt sie vier Mäuse mit dem Pinzettengriff am Schwanz fest.

„Seelenlos!“, befahl sie und warf die erste Maus in die Luft. Wie ein schwarzer Blitz schoss der Adler durch die Luft und ließ sich mit der Maus im Schnabel auf dem Fußboden nieder.

„Nebulos!“, befahl sie als Nächstes und warf die kleinste Maus in die Luft. Der Rabe schoss im Sturzflug auf die Maus nieder und köpfte sie noch während des Fluges. Zufrieden lächelte Adlerauge.

„Finsternis, Pech!“, rief sie und hielt je eine Maus in jeder Hand mit gespreizten Armen von ihrem Körper weg. Noch ein Rabe und ein Adler schnappten der Frau gezielt die Mäuse aus der Hand und genossen das Festmahl.

Seufzend ließ die Frau aus Quadlingen sich in einen großen Sessel sinken und betrachtete ihr Zimmer. Sie war sehr zufrieden, alle ihre Forderungen waren erfüllt worden. Nach einer halben Stunde, als ihre Vögel mit den Mäusen fertig waren, erhob sich die Frau aus dem Sessel und breitete ihre Arme aus, sodass sie mit den Schultern eine Linie bildeten.

„Adlerauge jetzt auch Frühstück!“, sagte sie laut und pfiff dann kurz durch ihre Zähne. In weniger als drei Sekunden saßen die vier Vögel auf den starken Armen – zwei auf jeder Seite.
 

„WAS IN OZ?!“, schrie Stella erschrocken auf, als das Horn ertönte. Sie war schon vor einer Stunde aufgestanden und gerade dabei, sich zu schminken. Vor lauter Schreck hatte sie sich mit der Wimperntusche ins Auge gestochen und als sie dieses nun wieder öffnete, schrie sie fluchend auf: „ICH HASSE POLITIK!“

Ihr rechtes Auge war völlig mit Tusche verschmiert und es tränte ungemein. Vorsichtig wusch Stella nun noch mal alles ab und begann dann von Neuem. Dass es ein schlechter Morgen werden würde, hatte sie schon festgestellt, als ihr Wecker um fünf Uhr geklingelt hatte: „Denn wenn die Sterne nicht mehr am Himmel stehen, ist es Zeit, aufzustehen. Stella, Starlet, wach auuuf…. Denn wenn die…“

Ganze fünf Mal hatte ihr Wecker auf sie einreden müssen und erst dann hatte sie genervt ihre Schlafbrille vom Gesicht gezogen. Doch ein Blick aus dem Fenster hatte ihr bewiesen, dass die Sterne eben DOCH noch am Himmel standen.
 

Madame Akaber stand mit einem Lächeln auf den Lippen vor ihrem Fenster, als sie das Weck-Horn hörte. Sie schaute kurz von dem schwarzen Lederbuch auf, welches sie in ihren Händen hielt und sah auf den Hof. Die Truppen marschierten gerade los und es würde nicht mehr lange dauern, dann würde auch Aylin Akaber wieder im Palast eintreffen. Sie war die letzten Tage damit beschäftigt gewesen, sich um den Presseteil zu kümmern und die Politiker zu bestechen…

Doch dann richtete Madame Akaber ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Buch. „I can’t live…“, flüsterte sie kopfschüttelnd und das Lächeln auf ihren Lippen wandelte sich in schallendes Gelächter.

Accursia warf ihren Kopf in den Nacken und lachte lauthals los.

‚Das wird ein Kinderspiel!’, dachte sie unter Lachtränen. ‚Ich werde Aylin sofort wieder weiterschicken! Niemand kennt sich besser mit der Handhabung der Gerüchteküche aus als sie!’

Doch Accursia wusste, dass Aylins Talent nicht nur alleine von ihrer Arbeit als Reporterin herrührte. Denn ehemalige Opfer waren einfach immer die Besten, wenn sie auf dem gleichen Gebiet zu Tätern wurden.

‚Noch bevor die Zeremonie heute Abend beginnt, wird ganz Oz…’, setzte sie in Gedanken an, doch der erneute Schwall von Gelächter machte es ihr unmöglich, den Gedanken zu Ende zu führen.
 

Noch immer müde öffnete Meredith die Augen. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war und warum sie trotz geöffneter Augen nichts als Dunkelheit sah. Sie vernahm leises Getuschel und langsam erinnerte sie sich. Ein merkwürdiges Geräusch hatte sie geweckt.

„Was war das eben für ein Geräusch?“, fragte sie in das Gemurmel hinein, welches von Elanora und Gideon kam.

„Ah, Guten… Da ich nicht weiß, welche Uhrzeit es ist: Hallo Meredith! Wie hast du geschlafen?“, fragte Gideon aufheiternd.

„In Anbetracht unserer misslichen Lage ganz gut. Aber ich habe einen grausamen Hunger…“

„Den haben wir wohl alle…“, stimmte Elanora zu.

„Seid ihr schon lange wach?“, fragte Meredith aus Angst, etwas Wichtiges verpasst zu haben.

„Nein, auch erst seit eben…“, meinte Gideon.

„Um mal zu deiner Frage zurückzukommen…“, erklang Orez Stimme, „Das Geräusch war das Start-Horn…“ Er hatte schon einige Male miterlebt, wie der oberste Soldat damit immer wieder einen kleinen Übungstrupp angeführt hatte.

„Du meinst, DAS Start-Horn? Für die Soldaten?“, fragte Meredith verblüfft.

„Ja.“

„Was um alles in Oz geht da draußen vor… Aber… Moment mal… Die Übungstrupps starten doch sonst immer vom Palast aus… Ich bezweifle zwar, dass es sich hierbei um eine Übung handelt, aber… Aber das würde bedeuten, wir sind NICHT im smaragdischen Gefängnis. Wir sind…“

„…mittendrin…“, meinte Elaine trocken, die nur den letzten Teil des Gespräches aufgrund ihres festen Schlafes mitbekommen hatte.

Während der Rest der Gruppe sich nun angeregt über die Bedeutung des Aufenthaltsortes unterhielt, rief Meredith immer und immer wieder leise Resedas Namen. Doch ihre Frau reagierte nicht.

Ohne jede Vorwarnung wurde auf einmal die Tür aufgerissen und Kwen stand im hellen Licht, dass nun in den dunklen Raum geworfen wurde.

„Schönen guten Morgen, alle zusammen!“, meinte er fröhlich und lächelte in die Runde.

„Kwen, bitte hilf Resi. Bitte, ich flehe dich an!“ Meredith war am Rande der Verzweiflung, als sie Resedas blasses Gesicht im Licht sah.

„Später, später…“, winkte der ehemalige Sekretär ab, ging eilig auf Orez zu, band ihn los und führte ihn vor die Tür.

Es vergingen keine fünf Minuten und Orez saß wieder auf seinem alten Platz.

„Was war das denn jetzt?“, fragte Elaine verwundert, als Kwen zur Tür herausgerauscht war.

„Ich habe ihm lediglich erklärt, dass ich nichts heraus finden konnte.“

„Und dann hat er dich einfach so gehen lassen?“ Gideon konnte das nicht glauben.

„Nach einem Tritt in den Unterleib und einer Morddrohung… ja…“, seufzte Orez und versuchte, die Schmerzen im Unterleib zu unterdrücken. „Er hat auch gesagt, dass er in zehn Minuten noch mal herkommt… Keine Ahnung, was er vorhat. Ich hoffe, er kümmert sich dann um Reseda!“

„Das hoffe ich auch…“, sagte Meredith tonlos. Sie hatte große Angst um ihre geliebte Frau… Resi war stark, aber nach beinahe zwei Tagen ohne Wasser und Licht waren sie alle etwas angeschlagen.

„Sie haben diese Soldaten, von denen ihr eben gesprochen habt, bestimmt geschickt, um unsere Galinda zu suchen…“ Elanora fiel es gar nicht auf, dass sie den richtigen Namen ihrer Tochter benutzte. Gideon bemerkte es und wusste, dass seine Frau ihre Tochter nur so nannte, wenn sie sich Sorgen machte oder aber wenn sie mit großer Liebe von ihr sprach. Der gebürtige Name hatte sich bei beiden Elternteilen als ein Synonym für das Kind in Glinda manifestiert.

„Ja, das denke ich auch… Vor allem müssen wir im Palast sein, denn Kwen würde es nie und nimmer in zehn Minuten vom Gefängnis bis zum Palast und wieder zurückschaffen…“, argumentierte Orez.

Das war der Auslöser für eine Diskussion der momentanen Lage und Möglichkeiten, bei welcher Meredith ganz still blieb. In ihrem Kopf schaltete sie alles um sich herum aus und versuchte, ihre Gefühlsebene mit der ihrer Frau zu verbinden. Doch sie schaffte es nicht… Sie empfing nicht mal einen Funken Gefühl von ihrer Frau, was ihre Sorge noch um einiges steigerte.

Es dauerte nicht lange, bis Kwen wieder auftauchte und diesmal zum Erstaunen aller, Elaine mitnahm.

Kurz darauf wurde sie wieder zurückgebracht und Kwen nahm Orez mit.

Als die beiden Männer weg waren, erzählte Elaine, dass sie hatte essen, trinken und auf die Toilette gehen dürfen. Sie musste ein paar Fragen beantworten in Bezug auf Glinda und dann hatte Kwen sie zurückgebracht. Das gleiche berichteten auch Orez und Gideon, als sie erst raus und dann wieder reingebracht worden waren.

Elanora war die nächste und wurde von Kwen abgeführt. Als sie nach kurzer Zeit, genau wie alle anderen zuvor, wiederkam, band Kwen Reseda los und musste sie aus dem Raum tragen, da sie nicht mehr ansprechbar war.

„Oh Oz… ich sterbe gleich…“ Meredith Stimme war mehr ein Flüstern. Sie fühlte sich schrecklich… Es gab keine Worte, die ausgereicht hätten, um ihre Gefühlslage zu beschreiben. Diese verschlechterte sich enorm, als Kwen ohne Reseda wiederkam und dennoch Meredith losband. Dann führte er sie unsanft aus dem Raum.

„Was hast du mit Resi gemacht?“, fauchte die Rothaarige ihren ehemaligen Sekretär an, als sie den Flur entlang gingen. Ihre Hände waren noch immer auf dem Rücken gefesselt und Kwens linke Hand hatte ihren rechten Oberarm in einem festen Griff.

Kwen machte sich nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten.

Genauso wortlos betraten sie dann ein kleines Zimmer. Es hatte zwei Fenster, doch Meredith befand sich am anderen Ende des Raumes und konnte nichts von der Außenwelt erkennen.

Ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen stand direkt vor ihr. Kwen platzierte sie auf dem rechten Stuhl und band ihre Hände an der Stuhllehne fest.

„Erst essen oder erst reden?“, fragte er ohne jegliche Regung und setzte sich dabei auf den anderen Stuhl, der gegenüber von ihr stand.

„Erst reden!“, antwortete Meredith. Beim besten Willen hätte sie jetzt keinen Bissen runtergekriegt.

„Gut. Ich mache es dir einfach, du hast die Wahl.“ Dann machte er eine dramatische Pause.

„Nun sag schon!“, schnauzte Meredith und hätte ihn am liebsten erwürgt, doch ihre Hände waren so fest an den Stuhl gebunden, dass ihre Handgelenke schon zu schmerzen begannen.

„Entweder du erzählst dem Volk von Oz heute Abend genau das, was wir dir sagen oder deine Frau wird sterben.“

„Wie bitte?“, fragte Meredith tonlos und Kwen genoss es, in den Augen seiner ehemalige Chefin das erste Mal so etwas wie Angst zu entdecken.

A/N: Liebe Leser und vor allem GELPHIE-Fans,
 

wir dachten uns, wir 'belohnen' euch mal für das aktive (und auch passive) Lesen unserer FF.

Hiermit schenken wir euch den ersten Teil von 2 reinen Elphaba/Glinda-Kapiteln und wir hoffen, sie sagen euch zu!

(Rechtschreibfehleranmerkungen sind gerne gesehen!)
 

Folgt diesem Link http://www.youtube.com/watch?v=-0P2zWbB8qY und lest die FF. Ihr werdet wissen, wann ihr auf 'play' drücken müsst. (;
 

Genießt es und schaut nochmal bei K 40 vorbei (;

Es gibt eine neue Zeichnung!

LG

Ryu & Jane

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Kapitel 41
 

Draußen war es noch dunkel und Glinda betrachtete den sternenklaren Himmel durch das angefröstelte Fenster. Der Mond schien noch immer und sein Licht fiel auf den Schlafzimmerfußboden.

Glinda seufzte und ihr Atem hinterließ eine Spur in der bitterkalten Luft. Sie hatte gestern gar nicht mehr gemerkt, wie kalt es wirklich geworden war. Sie fühlte, dass auch ihre Nase, die so gerade noch unter der Bettdecke hervorlugte, ein wenig kalt war, doch das machte ihr nichts aus.

Normalerweise schlief sie immer, bis die Sonne sie weckte, aber nun war sie schon eine halbe Stunde wach und konnte nicht mehr einschlafen.

Vielleicht lag es an dem warmen Körper, an den sie sich erneut enger angeschmiegt hatte, nachdem sie aufgewacht war. Sie schloss die blauen Augen und atmete tief ein.

Elphabas Wärme und der leichte Duft nach Kamille erweckten in Glinda den Wunsch, dieses Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit würde nie ein Ende nehmen.

Doch gerade als sie das gedacht hatte, merkte sie, wie Elphaba sich leicht zu bewegen begann. Glinda rührte sich nicht.

Elphaba gähnte leise und öffnete dann die Augen. Leicht verwirrt verblieb sie in ihrer Position, bis sich ihre Erinnerungen wieder entschleiert hatten. Sie fühlte den zierlichen Körper, um den sie ihren rechten Arm gelegt hatte und als sie ihre Finger bewegte, merkte sie, dass Glindas linke und ihre rechte Hand ineinander verflochten waren.

Als die Hexe aus dem gardinenlosen Fenster blickte, sah sie, dass es noch immer dunkel war. Es musste also noch sehr früh am Morgen sein, dennoch war sie ausgeschlafen.

Bevor sie sich vorsichtig von Glinda losmachte, horchte sie in die Stille des Zimmers hinein und hörte nur Glindas regelmäßige Atemzüge.

Als sie ihre Hand aus der von Glinda gelöst hatte, strich Elphaba mit ihren Fingerspitzen sanft über Glindas Oberarm.

Die blonde Frau, die noch immer vorgab zu schlafen, bekam augenblicklich Gänsehaut und musste einen Seufzer unterdrücken. Sie wollte wissen, wohin das ganze führen sollte und regte sich deshalb nicht.

Elphaba stützte ihren Kopf auf ihre linke Hand und betrachtete die blonden Locken im Mondschein. Die Wärme, die nun von der Bettdecke aufstieg, stand im absoluten Kontrast zu der eiskalten Raumtemperatur, die Elphaba nun an ihrem Arm fühlen konnte.

„Flamara chim…“, murmelte die Hexe in die Dunkelheit hinein, ihren Blick auf den Kamin an der gegenüberliegenden Wand gerichtet und schon nach wenigen Sekunden sah sie das Licht vom Feuer an den Wänden tanzen.

Sie hatte beschlossen, mit dem Aufstehen zu warten, bis es nicht mehr ganz so kalt war und lauschte entspannt den Knistergeräuschen des brennenden Holzes.

Mit geschlossenen Augen sog Elphaba den Duft von Glindas Locken ein und seufzte leise. Für sie war es mehr als ungewohnt, neben jemandem aufzuwachen, der ihr Wärme gab.

‚Und nicht nur das…’, stellte Elphaba leicht verwirrt fest. Sie fühlte sich irgendwie nach langer Zeit wieder geborgen und die Nähe zu ihrer Freundin tat ihr gut, das konnte sie fühlen. Aber in ihr stieg langsam ein weiteres Gefühl auf, welches sie noch nicht richtig benennen konnte. Es dauerte einige Zeit, bis Elphaba die Worte gefunden hatte: ‚Es fühlt sich an, als müsste es so sein… Und nicht anders…’

Es war merkwürdig, nach all den Jahren wieder neben Glinda aufzuwachen. In der Zeit, bevor die beiden die Smaragdstadt und den Zauberer besucht hatten, war eine solche Szene zwar auch ungewöhnlich gewesen, aber es war öfter vorgekommen, dass Elphaba morgens aufwachte und die junge Frau in ihren Armen gehalten hatte.

Das war immer dann passiert, wenn Glinda einen Albtraum gehabt hatte und das war beinahe bei jedem Gewitter gewesen. Elphaba hatte sie einmal gefragt, ob sie vor dem Gewitter Angst hatte und Glinda hatte mit ‚Nein’ geantwortet. Die Hexe sah wieder das Bild vor ihrem inneren Auge:

„Nein..“, sagte Glinda und die blonden Locken fielen ihr beim Kopfschütteln ins Gesicht. Dann senkte sie die Augen. Elphaba wollte gerade zu einer erneuten Frage ansetzen, als die eisblauen Augen sie wieder ansahen. Sofort war das grüne Mädchen damals verstummt, als sie den Schmerz und die Verzweiflung ihrer Freundin fast hatte greifen können. Danach hatte sie nie wieder danach gefragt…

‚Hmmm’, dachte Elphaba in Gedanken, ‚Vielleicht ist es nach all den Jahren nun Zeit, wirklich alle Fragen zu beantworten…’ und fügte diese Frage dann auch ihrer Liste hinzu, die sie in ihrem Kopf während des Besenfluges erstellt hatte.

Ohne es zu wollen, driftete Elphaba gedanklich wieder in ihre Zeit während des Studiums ab. Damals waren sie und Glinda noch junge Mädchen gewesen und sie hatte jetzt erst erkannt, wie intensiv ihre Freundschaft wirklich gewesen war.

Bei diesem Gedanken erdunkelgrünte Elphaba leicht. ‚Aber jetzt sind wir beide erwachsen… Wir sind Frauen und …’, sie konnte den Gedanken nicht zu Ende führen. Diese Worte konnte sie nicht einmal DENKEN.

Glinda hatte die Augen noch immer geschlossen und fühlte, wie Elphabas Körper sich von ihrem entfernte. Warum sie das enttäuschte, wusste sie genau, aber sie wollte nicht darüber nachdenken. Schon am See der heiligen Aelphaba hatte sie ihre Gedanken abgewürgt und tat es nun wieder.

Die Hexe schlüpfte vorsichtig unter der warmen Bettdecke hervor und hoffte, Glinda würde nicht wach werden. Sie fühlte, wie die eisige Kälte sich in ihren Körper drängte, doch Elphaba ignorierte die Empfindung.

Sie konnte nach diesen undenkbaren Gedanken einfach nicht mehr ruhig liegen bleiben. Leise öffnete sie ihren Kleiderschrank und zog sich ein Paar dicke Socken, einen Rollkragenpullover und eine lockere Hose an. Dann schlüpfte sie in ihre Hausschuhe und wollte die Tür öffnen.

‚Oh nein!’, dachte Elphaba erschrocken, als sie unabsichtlich etwas lauter an der Tür gerüttelt hatte, ‚Der Schlüssel…’
 

Erstaunt hörte Glinda das Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss knarrend umgedreht wurde. ‚Elphaba hat abgeschlossen?’, dachte sie verwundert. Als sie hörte, wie die Tür von außen wieder geschlossen wurde, setzte sie sich ruckartig im Bett auf.

Das Licht des Feuers fiel auf ihr Gesicht und sie genoss die Wärme, die sich ganz langsam in dem Raum ausbreitete.

So saß sie eine ganze Weile dort und dachte darüber nach, wie es nun weitergehen sollte. Sie hatte keine Ahnung, was Fiyero sagen würde. Genauso wenig wusste sie, was in jener Nacht wirklich passiert war oder wie es mit ihr und Elphaba weitergehen sollte.

Bei dem Gedanken an Elphaba bekam Glinda erneut Gänsehaut und rieb sich fröstelnd die nackten Oberarme. ‚Glinda Hochborn, hör auf damit!’, schalt sie sich selber und wollte sich gerade wieder auf ihre Fragen zu der schrecklichen Nacht konzentrieren, als sie dumpfe Klänge hörte.

„Was…“, setzte Glinda an und verstummte sofort wieder. Lauschend saß sie auf dem Bett und hielt ihren Atem an, als ihr klar wurde, dass jemand irgendwo im Schloss Klavier spielte.
 

Elphaba ging, noch immer mit ihren Gedanken bei Glinda und Shiz, murmelnd die Treppe hinunter. Im Wohnsaal war es noch viel kälter als im Schlafzimmer und sie zog den Morgenmantel etwas fester um den knochigen Körper. Zitternd ließ sie den großen Kamin auflodern, wie sie es auch vorhin im Schlafzimmer getan hatte, nur war dieses Feuer dreimal so groß. Im sanften Licht, welches nun auch von den angehexten Kerzen flackerte, sah sie sich suchend in dem großen Raum um.

Es sah alles genauso aus, wie es gestern Abend gewesen war und noch immer gab es keine Spur von Fiyero.

Seufzend ließ Elphaba sich auf den Hocker des schwarzen Klaviers fallen und öffnete den edlen Kasten. Sie fragte sich, warum Fiyero wohl so lange fortblieb. Die weißen Tasten schimmerten leicht im Schein der Lichter und liebevoll strich die grüne Hand über das edle Holz.

Als die große Wanduhr am anderen Ende des Raumes leise läutete, erkannte Elphaba, dass es erst sieben Uhr war. Sie hatte beinahe neun Stunden geschlafen, was auch erklärte, warum sie nun schon so hellwach war.

Elphaba richtete ihren Blick wieder auf die Tasten, stand dann auf und griff in den Flügel hinein. In einer Art Geheimecke hatte sie alle möglichen Lieder, die sie einmal komponiert hatte, aufbewahrt.

Seit ihrer Kindheit konnte sie Klavier spielen und es war ihre Art, mit verwirrenden, frustrierenden oder traurigen Emotionen umzugehen. Es half ihr sehr, eine Melodie zu ihrer gefühlsmäßigen Lage zu spielen und irgendwann während des Spiels waren dann immer die Worte wie von selber aufgetaucht und sie hatte sie gesungen. Danach hatte sie das Lied immer aufgeschrieben und es behutsam in eine Hülle gepackt. Sie hatte also nicht eine Abstellkammer, in welche sie ihre Gefühle in Schuhkartons verpackt ablegte, wie Glinda es tat, sondern sie hatte eben ein Klavier, mit welchem sie ihre Gefühlslage verarbeitete.

Diese Schuhkartonsache hatte Glinda ihr auch irgendwann während des Studiums erzählt.

Da war sie schon wieder… ‚Glinda…’, dachte Elphaba seufzend und drückte sanft eine Klaviertaste nach unten, sodass ein leiser Ton entstand.

Sie fühlte, wie die Note ihren grünen Körper ergriff und ihn von innen heraus durchflutete. Es war dieses wunderbare Gefühl, welches sie empfand, wann immer sie gute Musik hörte oder aber, und das am liebsten, selber spielte.

Automatisch legte sie ihre andere Hand auf die Tasten und sie konnte beobachten, wie beide Hände nun scheinbar durch eigenen Willen begannen, eine leise und beruhigende Melodie zu spielen. Da sie von Kindesbeinen an spielte, konnte Elphaba ihren Gedanken freien Lauf lassen, während ihre Finger das taten, wonach ihnen gerade war.

Elphaba kam es so vor, als würden ihre Gedanken durch diese flüssige Melodie ebenso flüssig werden.

Sie dachte darüber nach, wie sie erst vor ungefähr dreißig Minuten neben Glinda aufgewacht war und dann erinnerte sie sich an die Zeit, kurz nachdem sie die blonde Frau in der Kutsche davongeschickt hatte. Damals hatte sie sich ein kleines Zimmer in der Smaragdstadt gemietet und jeden Morgen war sie beinahe in solcher Kälte aufgewacht und ebenso hatte sie sich jeden Morgen gewünscht, wie in Shiz neben Glinda aufzuwachen, weil diese in der Nacht laut geschrien hatte.

All diese Erinnerungen spukten ihr im Kopf herum und plötzlich bemerkte sie, was für eine Melodie ihre Hände dort nun erzeugten: Es war die Melodie, welche sie in dieser Zeit komponiert hatte.

Diese Melodie war genau an einem solchen Morgen entstanden: Es war bitterkalt gewesen und Elphaba hatte die ganze Nacht über gefroren und kaum ein Auge zugetan, weil sie wusste, wenn sie aufwachen würde, wäre sie allein. Im frühen Morgengrauen war sie dann endlich aus dem Bett gestiegen und hatte ihren Fingern mit geschlossenen Augen freies Spiel gelassen… Jedoch war sie damals nicht in der Lage dazu gewesen, einen passenden Liedtext zu formulieren. Diese Erinnerung erweckte eine weitere zum Leben und Elphaba dachte: ‚Vor kaum mehr als anderthalb Jahren habe ich an diesem Flügel hier gesessen und die Melodie gespielt… und dann sind die Worte einfach so erschienen, wie aus dem Nichts…’

Sie wollte nicht daran denken, wie sie nach Nessas Tod hier, genau auf diesem Stuhl gesessen und mit den Tränen gekämpft hatte.

Sie wollte nicht daran denken, wie Glindas Worte in ihrem Kopf damals immer wieder und wieder gehallt waren: „Nein, Elphie! So war es nicht! Nein, Elphiiee… Neeein!“

Sie wollte nicht daran denken, wie schuldig sie sich damals gefühlt hatte, nachdem, was sie Glinda alles angetan hatte und wie gemein sie zu ihr gewesen war.

Sie wollte nicht daran denken, wie sie es damals bereut hatte, Glinda so verletzt zu haben.

Sie wollte nicht daran denken, wie die Gewissheit langsam in ihr aufgestiegen war, dass Glinda an der ganzen Sache keine Schuld hatte.

Sie wollte nicht daran denken, wie sie sich selber damals für alles die Schuld gegeben hatte.

Sie wollte nicht daran denken, wie sie damals unter Tränen diese Melodie gespielt und den endgültigen Entschluss gefasst hatte, dass ihr Leben so nicht mehr weitergehen konnte.

Und mit diesem Entschluss hatte sie damals einer Stimme gelauscht. Diese Stimme hatte den Entschluss und die Melodie zu einem vollendeten Lied zusammengefügt und erst am Ende hatte Elphaba realisiert, dass es ihre eigen Stimme gewesen war.

Auch jetzt lauschte sie wieder der Melodie, die scheinbar von anderen Händen als den eigenen gespielt wurde und als sie sich an all das erinnerte, konnte Elphaba sich nicht mehr kontrollieren.

Sie fühlte, wie sich ihr Mund öffnete und ihre Lungen sich mit der kalten Luft vollsogen.

Als der erste Ton erst leise, dann lauter und kräftiger erklang, stiegen ihr die Tränen in die Augen und sie dachte: ‚Elphaba, hör auf! Hör auf, verdammt noch mal! Das ist doch schon alles längst vorbei…’

Doch die Hexe hatte die Kontrolle über ihren Körper verloren und als sie ihre eigene Stimme aus vollem Halse singen hörte, hoffte sie einfach nur, Glinda würde nicht aufwachen und sich daran erinnern, dass genau dieses Lied im Einband des Grimoriums stand…
 

Als Glinda begriffen hatte, dass es nur Elphaba sein konnte, die dort unten Klavier spielte, war sie mit einem Sprung aus dem Bett und an der Tür. ‚Wenn Fiyero schon hier wäre, dann hätten wir es bestimmt gemerkt…’, dachte Glinda, als sie lautlos die schwere Holztür öffnete und sofort wurden die Töne klarer, die nun direkt an ihr Ohr drangen.

Als die blauen Augen das letzte Stück der Wendeltreppe hinab blickten, sah Glinda den Schein der Lichter auf den letzten Stufen und schlich langsam die Treppe hinunter. Die Steintreppen waren eiskalt und ihre nackten Füße schmerzten beinahe schon, aber das war ihr egal. Sie musste wissen, ob diese wundervolle und gleichzeitig traurige Melodie von Elphabas Händen kam.

Aus Furcht, Elphaba würde sofort aufhören, wenn sie Glinda sah, drückte die Blondine ihren zitternden Körper an die noch kältere Steinwand und blieb auf der letzten Stufe stehen, die noch in Dunkelheit gehüllt war.

Sie stand dort im Schatten der Wendeltreppe und traute ihrem Augen kaum: Die grüne Frau saß anmutig an einem eleganten, schwarzen Flügel und die grünen Finger schienen über den Tasten zu schweben.

Glinda war wie gefesselt, sie konnte nicht mehr atmen. Noch nie hatte sie einen Menschen gesehen, der so wie Elphaba Klavier spielen konnte. ‚Dabei habe ich noch nicht einmal gewusst, DASS sie es kann!’, dachte sie und konnte sich an kein Gespräch erinnern, in welchem Elphie etwas in der Richtung erwähnt hatte. Aber in Shiz hatte Elphaba nie gespielt… ‚Oder habe ich sie einfach nie spielen gesehen?’, fragte sich Glinda nun, als sie Elphabas feine Züge im Kerzenschein musterte.

Die grüne Stirn lag in Falten und die dunkle Augen starrten an die gegenüberliegende Wand. Die Hexe schien über etwas nachzudenken, was sie sehr bewegte, denn Glinda sah, wie Elphabas Mundwinkel von Zeit zu Zeit leicht zuckten.

Plötzlich sah Glinda, wie Elphabas Blick glasig wurde und für den Bruchteil einer Sekunde hielten die grünen Hände inne.

„Das ist doch schon alles längst vorbei!“, hörte sie Elphies zittrige Worte. Glinda hatte den Eindruck, als hätte Elphaba nicht gemerkt, dass sie das gerade laut ausgesprochen hatte, denn kurz darauf setzten ihre Hände wieder ein und die Melodie erklang von Neuem.

Glinda sah, wie Elphie einen langen Atemzug nahm.

Als die Stimme ihrer Freundin den Raum erfüllte, zitterte Glinda noch stärker, aber nicht mehr vor Kälte. Mit großen Augen sah sie zu, wie Elphaba erst unsicher, doch dann sehr selbstsicher zu singen begann.

Als sie die ersten gesungenen Worte hörte, schien es, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen…
 

"No, I can’t forget this evening

Nor your face as you were leaving

But I guess that’s just the way this story goes…

You always smile -

But in your eyes your sorrow shows…

Yes it shows…
 

Von der Zärtlichkeit in Elphabas Stimme überwältigt, musste Glinda sich an der Wand festhalten, um nicht ihr Gleichgewicht zu verlieren. Sie wusste nicht, woher auf einmal die vergangene Bilder wieder vor ihrem inneren Auge auftauchten, doch sie sah sich als junges Mädchen weinend in einer Kutsche sitzen, damals, als Elphaba wieder in der Menschenmenge verschwunden war… Und lächelnd war Glinda damals aus der Kutsche gestiegen…
 

“No I cant forget tomorrow

When I think of all my sorrow

When I had you there but then I let you go

And now its only fair that I should let you know

What you should know…”
 

Sie hörte Elphabas Worte von damals: „Ich will dich nicht anlügen, mein Liebes. Das ist gar nicht nötig. Ich weiß nicht wohin, ich gehe. Ich habe mich noch nicht entschieden, damit ich nicht lügen muss.“ Und dann fühlte sie wieder Elphabas Kuss auf ihren Lippen. „Halte durch…“, hatte sie gesagt und mit diesen Worten hatte sie Glinda gehen lassen…
 

“I can’t live

If living is without you.

I can’t live.

I can’t give anymore

Can’t live

If living is without you!

Can’t give,

I can’t give anymore…”
 

Elphaba hörte ihre eigenen Worte, wie sie sich kraftvoll aus dem grünen Körper befreiten. Es war erst das zweite Mal, dass sie dieses Lied wirklich sang und es war noch überwältigender, als beim ersten Mal, obwohl doch alles schon so ewig her war. Das Gefühl der Überwältigung wollte nicht abebben, im Gegenteil, es wuchs…

Glinda sah, wie das Bild von Elphaba am Flügel verschwamm und merkte, wie die Tränen sich ihren Weg suchten. Sie konnte nicht glauben, dass es Elphaba Elea Thropp war, die gerade gesungen hatte, dass sie sich ein Leben ohne Glinda nicht mehr vorstellen konnte.

Elphaba hatte ihren Namen weder gesungen, noch gesprochen, dennoch fühlte Glinda, es ging um sie und sie ahnte auch, dass Elphaba an dieselben Ereignisse gedacht hatte, als sie das Lied geschrieben haben musste.

Als sie durch ihre Tränen sah, wie Elphaba bei den letzten Worten ihren Kopf in die Höhe reckte und aus vollem Halse mit so viel Gefühl sang, gab Glinda dem Drang nach und ließ sich auf die Stufe sinken. Ihre Beine konnten sie nicht mehr tragen…
 

“Well, I cant forget this evening

Nor your face as you were leaving

But I guess that’s just the way the story goes.

You always smile -

But in you eyes your sorrow shows…

Yes it shows…”
 

Glinda schloss die Augen und nun sah sie sich als Glinda die Gute, wie sie über Nessas Grab kniete. In sekundenschnelle spielte sich das Geschehene abermals ab und am Ende wurde sie von Elphaba weggezogen… „Du bist ja viel zu sehr damit beschäftigt, den Leuten hier weis zu machen, wie WUNDERVOLL alles ist…“, hörte sie Elphabas Worte. Glinda die Gute hatte immer gelächelt…
 

“Can’t live

If living is without you

I can’t live.

I can’t give anymore!

Can’t live

If living is without you…

I can’t live,

I can’t give anymore!”
 

Mit der rechten Hand stützte sich Glinda noch immer an der Wand ab. Bei diesen gesungenen Worten musste sie sich ihre linke Hand vor den Mund halten, um nicht zu schluchzen oder Elphabas Namen zu rufen. Die Tränen liefen ihr nun auch über die Hand und als sie Elphabas „Ohhhhhhhh, no, no, no, I can’t liiiiiive…" hörte, hielt sie es nicht mehr aus.

Ruckartig stand sie auf, drehte sich um und fiel dabei vorn über. Sie fing sich noch rechtezeitig mit der rechten Hand ab, denn die linke Hand presste sie noch immer auf ihren Mund. Ihr ganzer Körper vibrierte und zitterte. Sie konnte das alles nicht glauben. ‚Das kann nicht wahr sein…’, dachte sie immer wieder, als die nackten Füße die Steintreppen so leise wie möglich hoch liefen.

Glinda hatte versucht, all die Gedanken, für die sie sich eben noch selbst getadelt hatte, in einen Schuhkarton zu sperren und ihn ganz oben auf den Stapel der anderen Kartons zu stellen, damit sie auch auf keinen Fall mehr in Versuchung kam, den Karton zu öffnen.

Doch nun schien es ihr, als wäre der ganze Stapel auf sie heruntergefallen und sie fühlte sich, als hätten alle Schuhkartons auf einmal ihren Deckel verloren.

Als sie oben angekommen zitternd nach dem Türgriff tastete, überkam sie eine neue Gefühlswelle. Hastig machte sie die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel um.

Erst dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf, nahm sich ein Kissen vom Bett und schrie dort unter Tränen hinein. Das Feuer loderte hell auf und Glinda dachte, das Innere ihres Körpers würde brennen.

Die Schmerzen, die sie seelisch empfand, schienen nun auch physisch zu sein. Ihre Beine und Arme schmerzten, ihr Magen zog sich qualvoll zusammen und sie ließ sich auf den Teppich vor dem Kamin fallen. Jammernd zog sie ihre Beine an die Brust, das Kissen noch immer gegen ihr Gesicht gedrückt.

Ihre Augen schmerzten von dem Salz und ihr Hals brannte von den Schreien, die das Kissen verschluckt hatte.

Wimmernd lag sie dort, bis der Tränenausbruch langsam abgeebbt war. Sie wusste nicht, was sie so sehr aufgewühlt hatte oder was all diese Gefühle erweckt hatte oder wo diese Gefühle überhaupt alle hergekommen waren.

Als sie sich etwas beruhigt hatte und ihr Atem nicht mehr den Anschein erweckte, als würde sie gleich kolabieren, lauschte sie dem Spiel des Feuers und konzentrierte sich dabei auf mögliche andere Geräusche. Doch es drang kein einziger Klavierton mehr an ihr Ohr und sie hoffte innig, Elphaba würde noch nicht nach ihr sehen.

Sie verstand das alles nicht… „Warum jetzt? Warum erst jetzt?“, fragte sie flüsternd das Feuer, als sie langsam das Kissen von ihrem Gesicht nahm und es unter ihren Kopf legte.
 

Als Elphaba merkte, dass keine Worte mehr in ihrem grünen Körper zurückgeblieben waren, spielte sie die letzten Noten und nahm dann ihre langen Finger von den Tasten.

Wie gebannt starrte sie auf das schwarz-weiße Wechselspiel. Ihr Herz schlug in erhöhtem Rhythmus gegen ihre Brust, ihr Atem ging schneller und es dauerte einige Zeit, bis Elphaba wieder den Raum um sich herum wahrnahm.

Sie hatte den Fakt, dass sie nicht alleine auf Kiamo Ko war, ausgeblendet. Doch als sie sich daran erinnerte, drehte sie ihren Kopf blitzartig in Richtung Treppenansatz und als sie dort niemanden sah, blickte sie in Richtung Flurtür.

Erleichtert seufzte sie auf, da sie glaubte, weder Fiyero noch Glinda hätten ihr Spiel gehört. Elphaba hatte keine Ahnung, wie laut oder wie leise sie gesungen hatte, denn wenn das passierte, folgte sie lediglich einem inneren Drang und blendete dabei alles andere um sie herum aus.

Fiyero hatte immer zu ihr gesagt, sie würde mit einem solchen Ausdruck in ihrer Stimme singen, dass es Menschenherzen zum Schmelzen bringen könnte.

„Erzähl keinen Quatsch!“, hatte Elphaba dann immer darauf geantwortet und sich gefragt, wie sich ihr Gesang wohl anhörte…

Bei den Gedanken an Früher stahl sich ein Lächeln auf Elphabas stumme Züge. Noch immer saß sie regungslos auf dem Klavierhocker. Als die Wanduhr hinter ihr erneut erklang, schreckte sie zusammen und wäre beinahe von dem kleinen Stuhl gefallen.

„Gütiger Oz…“, seufzte sie, als sie sich langsam aufrappelte.

Als Elphaba sich umdrehte, fiel ihr Blick erneut auf den weißen Zettel auf dem Tisch.

‚Wo zum Ballon steckt Fiyero?’, fragte sie sich verärgert und merkte, dass sie sich langsam um ihn sorgte. ‚Elphaba, beruhige dich! Es wäre nicht das erste Mal, dass Fiyero zwei ganze Tage wegbleibt und früher hat dir das auch nichts ausgemacht…’, versuchte die Hexe sich selber zu beruhigen, doch diesmal wusste sie, war es anders. Sie musste Fiyero unbedingt sprechen, denn ohne ihn konnten Glinda und sie nicht ausmachen, wie es nun weitergehen sollte…

Elphaba war noch immer etwas zittrig von ihrem gefühlvollen Klavierspiel. Die Emotionen hatten sie beinahe brutal überfahren erst jetzt merkte sie, dass sie sich sammeln und beruhigen musste, bevor sie Glinda wieder gegenübertrat. Schnell rannte sie zurück zum Flügel, steckte das Notenblatt wieder in die Hülle zu den anderen und legte das dicke Paket dann in ihr Geheimfach – in den Flügel hinein.

Mit einem Blick aus dem Fenster sah die grüne Frau, dass es langsam hell wurde und der Schnee glitzerte verführerisch im Schein der aufgehenden Sonne.

Als Elphaba durch das Fenster hinaus in den Schnee starrte, berührte einer ihrer Finger leicht eine Klaviertaste und der leise Ton erfüllte dennoch das Zimmer. Elphaba zuckte erschrocken zusammen und starrte auf die Klaviertasten.

Normalerweise hatte es sie immer beruhigt, Klavier zu spielen. Manchmal war es auch passiert, dass sie erst aufgewühlter geworden war, aber sobald sie etwas gesungen und somit ihre Emotionen ausgesprochen hatte, war diese Aufgewühltheit durch Ruhe ersetzt worden.

Doch dieses Lied eben hatte sie ganz und gar nicht beruhigt. Sie fühlte immer noch das leichte Brennen der Tränen auf ihren Wangen.

Ihre Hände begannen erneut zu zittern, als sie die grünen Finger ausstreckte, um die Tasten zu berühren. Elphaba erkannte verwirrt, dass sie Angst hatte. Angst, dass ein erneuter Gefühlsausbruch sie aus der Bahn werfen würde.

‚Reiß dich zusammen, Elphaba’, stutzte sie sich verärgert in Gedanken zurecht und ließ sich dann erneut auf den Klavierhocker fallen. Mit einer unbeschreiblichen Grazie dehnte sie ihre Finger, wackelte dann mit den Fingerspitzen in der Luft herum und setzte dann die grünen Hände sanft auf die Tasten.

Ihr Puls schoss in die Höhe und in ihren Ohren konnte sie den eigenen Herzschlag hören.

Dennoch begann sie, eine neue, beruhigende Melodie zu spielen, die ihr gerade in den Sinn kam und wonach sie sich fühlte. Leise summte die Hexe mit und sie merkte, wie sich ihr zitternder Körper schon nach einer kurzen Zeit wieder etwas beruhigte. Sie spielte noch eine Weile weiter und horchte in sich hinein, doch die Worte waren noch nicht bereit, gesungen zu werden.

Also beendete Elphaba die Melodie mit den letzten Noten, die ihre Hände spielen konnten und stand dann auf. Im Licht des Kerzenscheins und des Feuers suchte sie sich ein leeres Blatt und setzte sich damit auf das Sofa vor dem Kamin.

Sie liebte es, früh morgens, wenn der Tau noch auf den Blättern klebte, sich vor den brennenden Ofen zu setzen und zu lesen oder etwas zu schreiben oder einfach nur über etwas nachzudenken.

Mit ihrer linken Hand griff sie nach dem Stifthalter, der auf dem kleinen Beistelltisch stand und zog eine elegante, schwarze Füllfeder heraus. Dann langte sie nach einem Buch, welches unter dem Tisch lag und benutzte es als Unterlage für das Blatt.

Erst dann begann sie, die Melodie sorgsam aufzuschreiben, wobei sie die ganze Zeit vor sich hinsummte. Aufgrund ihrer Sorgfalt dauerte es einige Zeit, bis sie damit fertig war und dann erklang schon wieder die Wanduhr.

„Acht Uhr…“, murmelte sie leise, stand dann auf und steckte das Blatt zu den anderen Papieren in ihrem Flügel. Vorsichtig klappte sie das Klavier wieder zu und stellte sich dann vor das große Fenster, an welchem der schwarze Flügel stand.

Elphaba überlegte, was sie nun tun sollte. Glinda würde bestimmt noch schlafen, aber das war wohl auch gut so. ‚Ich kann noch nicht mit ihr sprechen…’, stellte Elphaba erschöpft fest und entschied sich dann dazu, erst einmal das Frühstück vorzubereiten.

Sie wusste, was Glinda am liebsten frühstückte, doch bei der Vorbereitung würde Elphaba mit Wasser in Berührung kommen.

Also stieg sie mit ihren pantoffelbekleideten Füßen die Treppe hinauf und stutzte, als sie merkte, dass die Tür von innen abgeschlossen worden war.

„Nanu?“, fragte sie leise in den kleinen Flur hinein und klopfte vorsichtig. Sie wollte Glinda auf keinen Fall wecken. Nicht nur, weil sie wusste, dass ihre Freundin den Schlaf brauchte, sondern auch weil sie selber merkte, dass sie noch nicht bereit dazu war, in diese eisblauen Augen zu schauen.

‚Hmmm…. Wie ging das jetzt noch mal? Immer diese blöden Sprüche…’, ärgerte sich Elphaba in Gedanken, als ihr der Zauberspruch zum Türen Aufschließen nicht einfallen wollte.

„Clave… clave… clave was?... Clave inversa!“, murmelte sie endlich, als sie meinte, die richtigen Worte gefunden zu haben. Erneut probierte sie, die Tür zu öffnen, doch es gelang ihr nicht.

Erst da sah sie, dass der Schlüssel nun auf ihrer Seite des Schlosses steckte. ‚Naja, nicht ganz korrekt, aber egal..’, schmunzelte sie und drehte den Schlüssel leise um.

Genauso leise öffnete sie das schwere Holz und schlüpfte durch den kleinen Spalt in das Zimmer. Als sie sah, dass Glinda nicht mehr im Bett lag, überkam sie eine Welle von Panik.

„Glin…“, begann sie etwas lauter und hielt sofort inne, als sie Glinda vor dem Kamin entdeckte. Sie hatte sich zu einem Ball zusammengerollt, die zarten Finger lagen an ihrem Mund und unter ihrem Kopf lag Elphabas Kissen.

Die Hexe machte einen Schritt auf sie zu und beobachtete, wie regelmäßige Atemzüge Glindas Brustkorb auf- und abhoben. Der Tanz des Feuers spiegelte sich auf Glindas heller Haut und Elphaba dimmte es etwas, aus Angst, Glinda würde sich sonst noch verbrennen.

Mit der Frage in ihrem Kopf, warum Glinda abgeschlossen hatte, huschte Elphaba ins Badezimmer, zog sich die Kette wieder an und betrachtete eine andere Frau im Spiegel.

Mit einem zärtlichen Blick auf Glinda verließ die Hexe das Schlafzimmer, steckte dann den Schlüssel wieder auf die Innenseite der Tür und zog sie dann hinter sich zu. Da sie den Spruch nicht wusste, wie man Türen von der anderen Seite aus auf- oder abschließen kann, ließ sie es bleiben und machte sich dann auf den Weg in die Küche.

Es dauerte nicht lange und Elphaba war voll und ganz in ihrem Tun versunken.

Sie dachte, es wäre wohl besser, im Wohnsaal zu essen, aufgrund des unangenehmen Gesprächsthemas, was nun noch zu klären war. Außerdem wollte sie Fiyero direkt abfangen, wenn er nach Hause kommen sollte. Elphaba konnte es noch immer nicht fassen, was Fiyero ihr vorgeworfen hatte. Es war nicht der Vorwurf an sich, der Elphaba so fassungslos machte.

‚Es ist die Tatsache, dass er mir etwas vor Augen gehalten hat, was ich die ganze Zeit nicht sehen WOLLTE!’, dachte die Hexe, als sie die Tür zum Garten aufschloss. Schnell schob sie ihre Gedanken wieder beiseite und machte sich daran, einige Tomaten und eine Gurke zu ernten. Sie hoffte, dass die grüne Pracht nicht bald eingehen würde, aufgrund der klirrenden Kälte.

Aufgrund dieser Vorahnung ging sie abermals nach draußen und pflückte auch noch drei rote Paprika.

Schnell huschte sie wieder ins Haus und ließ sich in die Wärme einhüllen, die sich nun überall ausgebreitet hatte.

Sie zog ihren Morgenmantel aus, dann ihren Rollkragenpullover und hängte diesen über einen Küchenstuhl. Schnell schlüpfte sie wieder in ihren Mantel und machte sich dann daran, das Gemüse abzuwaschen. Sie genoss es, das kalte Wasser auf ihren Händen zu spüren und nahm sich die Zeit, etwas mit dem feuchten Nass herumzuspielen. Kichernd sah sie zu, wie die Wasserspritzer sich im Umkreis von einem Meter um sie herum verteilten und gleichzeitig lockerte sich auch ihre innerliche Anspannung etwas auf, die sie seit dem Klavierspiel empfunden hatte.

Dann schnitt sie das Gemüse und schaute in den Kühlschrank. Verwundert stellte sie fest, dass er Quadlinger Brötchen enthielt. Erst da erinnerte sie sich an das Frühstückstablett, welches Fiyero ihr vor drei Tagen ans Bett gebracht hatte.

‚Erspart mir eine Menge Arbeit…’, dachte sich die Hexe und legte die Brötchen zum kurzen Aufbacken in den Ofen. Dann deckte sie den Tisch, lief noch einmal kurz in den Garten und schaute stolz auf ihr fast vollendetes Werk. Mit einem Blick auf die Uhr stellte Elphaba fest, dass die Brötchen noch eine gute Viertelstunde brauchen würden. Also nahm sie sich ihren Pullover von der Stuhllehne und stieg die Steintreppe zu ihrem Zimmer hinauf.

Ihre Gefühlsebene hatte sich soweit wieder eingependelt und nun wollte sie Glinda wecken.

Lauter als zuvor klopften die grünen Hände gegen das Holz, doch es kam keine Antwort. Elphaba drückte die Klinke herunter und trat in das warme Schlafzimmer, das nun von der Morgensonne erfüllt war.
 

„Elphaba, warum erst jetzt?“

„Ich weiß es nicht.“

Glinda konnte das Gesicht der Freundin nicht sehen. Ihr langes, rabenschwarzes Haar versperrte die Sicht.

Die beiden Frauen standen so nah beieinander, dass Glinda die Hitze auf ihrem Körper spüren konnte, die von Elphaba ausging.

„Elphaba, warum erst jetzt?“, fragte sie noch einmal, nun lauter und deutlicher als zuvor.

Im Hintergrund spielte eine beruhigende Melodie, doch als Glinda hinter sich blickte, konnte sie nichst erkennen.

Als sie sich wieder umdrehte, fragte sie verdutzt: „Elphaba?“

Die Hexe war nicht mehr da.

„Glin…“, hörte sie die vertraute Stimme rufen und drehte sich erneut um.

Grüne Arme umschlossen sie plötzlich und Glinda tauchte in die Zärtlichkeit ein.

„Ich verspreche es…“, hörte sie Elphabas Stimme sagen, bevor das Bild langsam verblasste.
 

Verwirrt wachte Glinda auf und rieb sich die verschlafenen Augen. Dann streckte sie ihre nackten Beine und Arme aus und gähnte laut. Das Feuer kitzelte sie mit seiner Wärme an der Nase und Glinda fühlte, wie ihre Wangen glühten.

Entspannt drehte sie sich auf den Rücken und starrte an die Zimmerdecke. Ohne es zu wollen, hörte sie Elphabas Gesang in ihren Ohren: „And now its only fair that I should let you know - what you should know…” Schnell schob sie die aufsteigenden Gedanken zur Seite.

Sie musste darüber nachdenken, das stand fest, aber das konnte sie nicht, wenn Elphaba bei ihr war. Irgendwie musste sie die Freundin loswerden, wenn auch nur für kurze Zeit. Aber sie brauchte definitiv einige Zeit für sich… ‚Und ich weiß auch schon, wie ich das anstellen werde…’, dachte Glinda und streckte sich dann noch einmal.

Nach dem Dämmerschlaf merkte Glinda, wie sich ihre Gefühlswelt langsam wieder beruhigt, aber noch lange nicht geordnet hatte. Sie spürte, dass bestimmte Themen, von denen sie eigentlich gedacht hatte, sie wären abgeschlossen, sich wieder neu geöffnet hatten, aber jetzt wollte und konnte sie darüber nicht nachgrübeln.

Langsam richtete sie sich auf, wobei sie ihren Körper auf die Arme stützte.

„Meine Güte…“, stöhnte Glinda, als sie merkte, wie heiß ihr war. „Wie lange habe ich denn hier gelegen?“, fragte sie in das Feuer hinein und rappelte sich auf.

Fröhlich sah sie, dass die Morgensonne schon ihre ersten Strahlen in das Zimmer warf. Es hatte schon seinen Grund, warum die blonde Schönheit sich meistens vom Sonnenschein wecken lies, aber auch darüber wollte sie nicht nachdenken-

Glinda verbannte all die anstrengenden oder traurigen Fragen, Tatsachen, Erinnerungen aus ihren Gedanken und stellte sich vor das Fenster. Sie öffnete es leise und steckte ihre Nase in die kühle Morgenluft. Dann atmete sie tief ein und genoss es, die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut zu fühlen, die gleichzeitig von der kalten Luft umgeben war.

Als undeutliche Geräusche an ihr Ohr drangen, öffneten sich die eisblauen Augen und schauten auf den Garten hinab. Glinda sah, wie Elphaba, bekleidet mit Hausschluppen, Morgenmantel und Rollkragenpullover sich an einer Tomatenstaude zu schaffen machte. Eine der roten Kugeln fiel in den Schnee. Als Glinda sah, wie Elphaba danach greifen wollte, fielen der Hexe auch die anderen Tomaten aus der Hand.

Glinda musste grinsen, als sie sah, wie Elphaba sich aufregte und dabei die Hände in die Luft warf. Da sie nicht von Elphaba gesehen werden wollte, schloss Glinda das Fenster wieder und sah noch einmal in den Garten hinunter. Dabei stellte sie fest, dass die Hexe wieder entgrünifiziert war und wunderte sich, warum sie am Klavier grün gewesen war.

„Entweder trug sie die Kette bei sich oder…“, überlegte Glinda laut mit einem Blick auf die Tür, „…oder sie war hier.“

Schnell lief sie zur Tür und stellte beunruhigt fest, dass diese nicht mehr verschlossen war. ‚Oh nein, was wird Elphie jetzt denken?’, fragte sie sich insgeheim. ‚Ich werde einfach sagen, dass ich nach dieser Nacht noch immer schreckliche Angst davor habe, dass jemand in mein Zimmer kommt. Besonders dann, wenn ich alleine bin…’

Doch als sie diesen Gedanken gefasst hatte, merkte Glinda, dass es sogar der Wahrheit entsprach.

Auch, wenn es in dem Zimmer nun gemütlich warm war, stieg die Kälte von dem Steinboden langsam in ihr auf.

Glinda ging zu der Tür, von der Elphaba ihr gesagt hatte, dass dahinter das Badezimmer lag und stieß sie auf. Direkt links von ihr befand sich ein großer, offener Schrank mit drei Regalreihen, die voll von Handtüchern und Badesachen standen. Ihr gegenüber lag ein großes Fenster, durch welches die Sonnenstrahlen fielen und den ganzen Raum erhellten. Unter dem Fenster stand eine Komode, die der Länge des Lichtspenders entsprach. Links daneben stand die Toilette und an der rechten Wand von ihr befand sich die Badewanne. Durch das Zimmer zog sich ein dunkelgrauer Teppich mit rubinfarbenem Muster und einigen roséfarbigen Akzenten, der in Kreuzform zu all den Stellen lief, die man am häufigsten benutzte.

Glinda war noch immer von der Eleganz des dunkelrot lackierten Holzes gefangen, welches beinahe schon an Braun grenzte. Die Türgriffe der Kommodenschränke waren hellgrau, passend zu dem hellgrauen Waschbecken darin und der hellgrauen Badewanne mit rubinfarbenem Rand, auf die Glinda nun zuging.

Sie drehte die Wasserhähne auf und sah , wie der dampfende Qualm sich auf die eiskalte Fensterscheibe über der Badewanne legte. Dann ging sie zu dem Regal, welches in der gleichen Farbe wie die Kommode lackiert worden war und nahm sich ein großes und ein kleines Handtuch heraus.

Während das Wasser munter vor sich hin in die Wanne plätscherte, durchsuchte Glinda die Schubladen der Kommode nach einer Zahnbürste. Schmunzelnd stellte sie fest, dass Elphaba eine grüne benutzte und tatsächlich fand Glinda noch eine pinke in der Schublade. ‚Zwei zum Preis von einer’ las sie auf der Verpackung, als die blonde Frau die pinke Zahnbürste aus ihrer Hülle befreite und die Verpackung in den Mülleimer warf, der zwischen Kommode und Toilette stand.

Schnell putzte sie sich die Zähne und stellte dann ihre Zahnbürste zu der von Elphaba. ‚Pink passt so gut zu grün…’, dachte sie kichernd und erinnerte sich an Elphaba, mit pinkfarbener Blume in dem rabenschwarzen Haar.

Nachdem sie damit fertig war, ging sie zum anderen Ende der Kommode, nahm sich eines der Badesalze und schüttete etwas davon ins gurgelnde Wasser. Dann stellte sie das Fläschchen zurück auf seinen Platz, zog sich ihr Kleid über den Kopf und stieg langsam in das dampfende Wasser der Badewanne.

Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich in das warme Wasser gleiten und drehte dann die Wasserhähne zu. Sie war gerade dabei, ihre Haare zu waschen, als sie hörte, wie es an der Badezimmertür klopfte.

„Ja?“, rief sie fragend.

Die Tür wurde geöffnet und Elphaba steckte ihren Kopf hinein.

„Ach hier bist du, Glin…“, mitten im Satz brach Elphaba ab und sie stellte sich hinter die Tür, sodass Glinda nur noch ihre Hand auf der Klinke erkennen konnte. Die Hexe hatte sich nicht schnell genug bewegt, denn Glinda hatte noch sehen können, wie sich ihr Gesicht dunkelrot gefärbt hatte.

Glinda kicherte: „Elphie, ich sitze im Schaum. Nun komm rein und stell dich nicht so an!“

Etwas zerknirscht trat Elphaba in den Raum, noch immer hielt sie den Türgriff fest umklammert.

„Entschuldige, Liebes…“, sie versuchte zu lächeln, „Aber wieso hast du die Tür nicht abgeschlossen?“

„Ich habe mir gedacht, dass es eh nichts bringt, weil du ja anscheinend Schlösser knacken kannst!“, lachte Glinda nun und Elphaba wusste, worauf sie anspielte.

„Ich habe eben nur schnell meine Kette geholt… Ich wollte dich wirklich nicht wecken, aber ich dachte mir, wenn ich die Tomaten abwasche, wäre meine Wasserresistenz vielleicht gut zu gebrauchen…“ Endlich schaffte Elphaba es, ein Lächeln auf ihre Züge zu zaubern und ihre Augen zwinkerten. Das Eis war gebrochen.

„Tomaten!“, Glinda klatsche erfreut in die Hände und der Schaum spritzte gegen die Wand.

Elphaba nickte: „Ich habe uns Frühstück gemacht. Kommst du gleich runter? So in… einer Viertelstunde?“

„Das werde ich wohl schaffen! Wenn ich mich anstrenge…“, lachte Glinda und Elphaba stieg in das Lachen mit ein. Beide Frauen wussten, wie ewig Glinda baden konnte.

Die Frau in der Badewanne beobachtete, wie Elphaba auf die Kommode zuging und ihre Kette vom Hals nahm.

„Elphie, wieso…?“, begann sie und wurde unterbrochen.

„Fiyero.“, war das einzige, was Elphaba sagte und Glinda nickte.

„Bis gleich.“ Mit diesen Worten war Elphaba wieder verschwunden und Glinda seufzte.

‚Liebes’ hatte Elphaba gesagt. Es war das erste Mal nach mehr als neun Jahren…

„Halte durch, Liebes…“, hörte Glinda Elphabas Worte, als sie die Luft anhielt und untertauchte. Schnell stieg sie wieder auf und sagte laut und deutlich zu sich selber: „Galinda von Hohenhochborn, hör jetzt verdammt noch mal auf damit! Du wirst heute noch genügen Zeit bekommen, über alles nachzudenken. Aber jetzt nicht. JETZT NICHT!“

Bild - sexy Elphie: http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-sexy-Elphie-100170021

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Kapitel 42
 

Elphaba trat gerade mit einem Korb warmer Quadlinger Brötchen in den Wohnsaal, als sie sah, wie Glinda die Treppe herunter kam. Sie trug Elphabas anderen Morgenmantel. Er war dunkelblau mit einem weißen Gürtel, den Glinda zu einer Schleife gebunden hatte.

Lächelnd stellte Elphaba den Korb auf den Tisch, als sie Glindas Stimme hörte: „Mmmmmh, das riecht aber gut!“

Die grüne Frau stand mit dem Rücken zu ihr und als Glinda an dem schwarzen Flügel vorbeiging, fuhr sie einmal kurz mit den Fingerspitzen über das glänzende Holz. Sofort fühlte sie ein warmes Prickeln und zog eilig die Hand wieder weg. Dann setzte sie sich auf den Stuhl, welchen Elphaba ihr bereithielt. Mit großen Augen betrachtete sie den reichlich gedeckten Frühstückstisch.

„Elphaba…“, hauchte sie, noch immer erstaunt und sog das Bild in sich hinein. Auf dem Tisch standen frische Tomaten, Gurken und Paprika. Die warmen Brötchen dampften noch.

„Oh, das Beste habe ich ja vergessen!“, meinte Elphaba plötzlich und verschwand in der Küche.

„Das Beste?“, rief Glinda ihr fragend nach und starrte auf den Tisch, der mit Quadlinger Brötchen, Wurzelkäse, Skalpen Frischkäse, Winkietalern, smaragdischen Getreideflocken, der orzianischen Wurstvariation, darunter auch Kallenwurst, Munchkinberry Marmelade, Glindas Apfelkraut und mit einem Glas Nuss-Vinkus-Créme gedeckt war.

Als Elphaba mit einer Kaffeekanne in der rechten und einer Tüte Milch in der linken Hand wieder in den Raum geschlendert kam, quietschte Glinda vor Vergnügen auf und klatschte in die Hände: „Gillikin Kaffee mit Glikkenmilch! Mmmh!“

Die Hexe verbeugte sich spielerisch und fragte dann mit einer ernsten Miene: „Die Dame, dürfte es vielleicht etwas Kaffe zu diesem umwerfenden Frühstück sein?“

Glinda unterdrückte ein Kichern: „Sehr gerne, Frau…“

„Elrik…“, grinste Elphaba.

„Sehr gerne, Frau Elrik.“

„Ach bitte, nennen Sie mich doch Elphaba.“

„Danke, Fräulein Elphaba.“, lachte Glinda, als die Hexe ihr Kaffee eingegossen hatte. „Elphaba Elrik, das gefällt mir!“

„Oh, nein!“, lachte Elphaba, als sie gegenüber von Glinda Platz nahm. „Komm jetzt nicht auf dumme Gedanken!“ Sie wusste, wie sehr Glinda es liebte, alles und jedem neue Namen oder Spitznamen zu geben.

„Zu spät!“, lachte die Blondine und die blonden, noch immer nassen Haare wackelten leicht.

Ohne darauf einzugehen, fragte Elphaba: „Brötchen?“

„Ja, bitte! Sag mal….“, setzte Glinda an, während Elphaba zwei Brötchen aufschnitt, „… Wie bist du auf den Namen gekommen?“

Schmunzelnd blickte Elphaba in die eisblauen Augen: „Ich habe nur festgestellt, dass eine elektrische Kaffeemaschine viel praktischer als eine manuelle ist ….“

„Und dann bist du von elektrisch auf Elrik gekommen?“, Glinda konnte sich vor Lachen kaum noch halten.

„Nein. Von Elektrik!“, meinte Elphaba und schmollte spielerisch, was bei Glinda zu einem erneuten Lachanfall führte. Jemand, der Elphabas Gedankengänge nachvollziehen konnte, dachte Glinda, musste erst noch geboren werden. Aber diesen Gedanken behielt sie lieber für sich.

Nachdem sie schweigend mit Genuss das erste Brötchen gegessen hatten, wusste Elphaba nicht sicher, wie sie das Gespräch beginnen sollte. Also fragte sie: „Glinda, warum hast du eigentlich die Zimmertür abgeschlossen? Habe ich dich geweckt?“

Elphaba hoffte innig, dass Glinda ihr Klavierspiel nicht gehört hatte und Glinda hoffte umso inniger, dass Elphaba sie nicht auf der Treppe bemerkt hatte.

„Nein, nein, du hast mich nicht geweckt… Aber ich…“, setzte Glinda an und erzählte Elphaba dann, was sie sich zurechtgelegt hatte: „Ich bin aufgewacht und du warst nicht mehr da. Und seit dieser Nacht habe ich irgendwie … Angst, wenn ich alleine aufwache. Ich habe dann die Tür abgeschlossen. Ich weiß, es ist vielleicht kindisch, aber danach habe ich mich besser gefühlt. Und weil mir so kalt war, habe ich mich dann vor den Kamin gelegt… Ich bin wohl wieder eingeschlafen…“

„Nein, Glinda, das ist nicht kindisch.“, sagte Elphaba sanft, streckte ihren Arm aus und berührte kurz Glindas Fingerspitzen.

„Und ja…“, lachte die grüne Frau nun, „Du bist wieder eingeschlafen. Ein kleiner, zusammengezogener Ball vor dem flackernden Ofen. Bist du denn wenigstens ausgeschlafen?“

„Ja, das bin ich! Ich weiß auch von gestern Abend nur noch, dass wir auf dem Besen geflogen sind… Den Rest habe ich anscheinend nicht mehr mitbekommen!“

„Glin…“, setzte Elphaba an und verschluckte sich mitten im Wort an ihrem Kaffee.

„Ich mag das!“, meinte Glinda plötzlich.

„Was?“, fragte Elphaba verwirrt durch ihren Hustenanfall, „Dass ich mich am Kaffee verschlucke?“

„Sei nicht albern! Den Namen, natürlich!“

„Welchen Namen? Elrik?“, fragte die Hexe, als der Husten nachließ.

„Nein! Glin. Nicht Glinda, Glin. So hast du mich heute schon drei Mal genannt.“

Die grüne Stirn legte sich in Falten. Sie konnte sich an kein einziges der angeblichen drei Male erinnern: „Wann denn?“

„Gerade eben, dann vorhin, als du ins Bad gekommen bist und…“

„Und..?“

„Und in meinem Traum.“

Die grüne Stirn zog sich noch mehr zusammen: „Also gerade habe ich mich an meinem Kaffee verschluckt, vorhin habe ich dich im Bad gestört… aber… zu deinen Träumen habe ich keinen Zugang!“

Bei den letzten Worten musste Elphaba ungewollt lächeln und Glinda grinste: „Das war auch ein sehr merkwürdiger Traum. Keine Ahnung, was das bedeuten sollte, aber mit Traumbedeutungen habe ich es ja nicht so! Ich glaube, die Hitze von dem Kamin ist mir einfach zu Kopf gestiegen!“

„Oh…“, entwich es Elphaba, als sie sich daran erinnerte, wie sie nach Glinda gerufen hatte.

„Was ist?“, fragte Glinda verwundert und ließ das Messer in ihrer Hand sinken.

„Ich glaube, ich weiß wann das dritte mal war… Ich habe dich gesucht, weil du nicht im Bett gelegen hast und da wollte ich deinen Namen rufen. Da sah ich dich dann liegen und habe es nur bis ‚Glin…’ geschafft.“

Ohne es zu wollen, drängte sich das Bild von ihr und Fiyero in Elphabas Gedanken, wie sie seine Worte damals im Traum für Glindas gehalten hatte…

„Ich finde es manchmal unheimlich, wenn sich so die Puzzleteile von selbst aufreihen. Aber trotzdem mag ich den Namen… irgendwie…“

Elphaba nickte: „Ja, manchmal kommt es eben anders, als man glaubt.“

Nun war es Glindas Stirn, die sich in Falten legte. Sie merkte, dass Elphaba gerade an etwas anderes dachte, doch die blonde Frau nahm an, es wäre besser, nicht nachzufragen.

„Elphie….“, begann sie stattdessen und die dunklen Augen schauten sie an. „Ich denke, ich habe nun lange genug gewartet. Ich bin bereit für die Wahrheit.“

Elphaba war noch immer in Gedanken bei dem ‚Ich liebe dich’, was sie damals in ihrem Traum aus Glindas Mund gehört hatte und in Kombination mit dieser Aussage von Glinda fuhr sie erschrocken zusammen.

„Die Wahrheit?“, stammelte Elphaba verunsichert, doch als sie Glindas verwunderten Blick sah, verstand sie, dass mit der Wahrheit die Nacht vor drei Tagen gemeint gewesen war.

„Achso, ja. Entschuldige, du redest von dem Feiertag, nicht wahr?“

„Ja, natürlich…“, meinte Glinda, noch immer verwundert, „Was hast du denn gedacht?“

„Nichts, schon gut. Ich war nur kurz mit den Gedanken woanders…“, lächelte Elphaba, „Aber wie dem auch sei… Sollen wir erst zu Ende frühstücken und uns dann in die Kaminecke setzen oder willst du in das Lesezimmer neben der Bibliothek oder sollen wir das hier…“

„Du hast eine Bibliothek?“, unterbrach Glinda verblüfft. Sie hatte bisher nur den Garten, den Wohnsaal und Elphabas Turmbereich gesehen.

„Irgendwas muss ich ja tun, wenn mir langweilig ist!“, grinste Elphie und zuckte mit den Schultern.

Glinda lachte in Erinnerung an das grüne Mädchen, das ihr zu Beginn mit der ganzen Leserei auf die Nerven gegangen war.

„Ich schlage vor, wir frühstücken zu Ende, räumen gemeinsam auf und machen dann eine Hausführung und dabei können wir dann reden… Ich glaube, ich kann dabei nicht still sitzen.“

Elphaba nickte: „Kann ich verstehen… Vorschlag angenommen!“
 

Dann machten sie es wie geplant: Erst frühstückten sie, bis keines der Brötchen mehr übrig war, dann räumten sie den Tisch auf und die Lebensmittel wieder in den Kühler. Da Elphaba ihre Kette nicht trug, machte Glinda den Abwasch, während Elphaba alles wieder auf seinen Platz stellte.

„Sooo….“, begann Elphaba, als sie den letzten Teller in den Schrank geräumt hatte, „Fertig?“

„Ich denke schon!“, grinste Glinda, „Auf geht’s zur Hausbesichtigung!“

„Okay!“, lachte Elphaba, „Fangen wir in der Küche an… Ja, das ist… die Küche…“, lachte sie dann unbeholfen und Glinda lachte laut auf.

„Was? Wirklich? Ach, na klar… jetzt, wo du es sagst…“ Spielerisch klatschte Glinda sich ihre Hand auf die Stirn. Elphaba musste erneut lachen und meinte: „Du solltest mich wirklich nicht so viel ärgern!“

Glinda streckte ihr nur die Zunge heraus und nahm den grünen Arm an, den Elphaba ihr anbot.

„Hier das hinter mir ist der einzige Turm ohne Wendeltreppe. Der untere Bereich ist eine Art Abstellkammer und das Gewölbe gehört Chistery. Er findet, eine Treppe sei unnötig.“ Als Elphaba Glinda ansah, war ihr klar, was sie vergessen hatte: „Chistery, mein Affe…“

Mit diesen Worten hellte sich Glindas Miene auf: „Achso. Er kann sprechen?“

„Ein bisschen… Wo steckt er eigentlich? Hast du ihn gesehen?“

„Glaubst du, ich hätte es bis jetzt verschwiegen, wenn mir ein sprechender Affe über den Weg gelaufen wäre?“ Glinda erinnerte sich an den sprechenden Affen von damals, der ihr nach Elphabas Scheintod begegnet war und fragte sich, ob es wohl ein und derselbe Affe war, von dem Elphaba nun sprach.

„Punkt für dich!“, grinste Elphaba und nahm sich vor, später nach Chistery zu suchen. ‚Im Moment gibt es wichtigere Dinge zu klären…’, dachte sie bei sich.
 

Die grüne Frau öffnete mit einer einladenden Handbewegung die Tür und schon standen die beiden auf dem Innenhof des Schlosses.

„Wow!“, entwich es Glinda, „Ich hatte ja keine Ahnung, dass Kiamo Ko so riesig ist!“

„Kiamo Ko ist noch nach alten Maßen gebaut worden, was bedeutet, es hat vier Türme, die nach den verschiedenen Himmelsrichtungen gebaut worden sind und eben einen Innenhof. Es existiert nur die untere Etage, moderne Bauten besitzen auch noch eine weitere. Und den Keller erreicht man nur durch den Garten.“

„Alles klar, Frau Lehrerin…“, nuschelte Glinda, noch immer gefangen von dem Bild des Innenhofs: unter ihren Füßen lief ein roter Backsteinweg bis zur Mitte des Hofs. Dort spaltete er sich in drei weitere kleine Wege, die zu den jeweiligen Türen führten. Links neben ihr war ein Blumenbeet voller hellblauer und rosafarbener Hortensien. Weiter hinten an der Wand links von ihr stand eine große quoxwälder Eiche, von der eine Schaukel herunterhing.

„Elphie! Eine Schaukel!“, rief Glinda aufgeregt, ließ Elphabas Arm los und rannte hinüber zur Schaukel.

Elphaba setzte sich schweigend auf die Bank, welche neben dem Baum stand und sah amüsiert zu, wie Glinda hin und herwippte.

„Großer Oz!“, schnaubte die Frau in der Schaukel plötzlich und deutete auf das gegenüberliegende Ende des Hofs. „Was um alles im Ballon ist DAS da?“

„Ach das…“, kicherte Elphaba, als sie auf eine Art übergroßes und sehr instabil-erscheinendes Gerüst aus braunen Hölzern blickte. „Das ist Chisterys… Was auch immer… Er klettert darauf immer herum. Er meint, fliegen wäre auf die Dauer zu langweilig.“

„Da kann ich aber nicht zustimmen! Ich finde den Besen toll!“, lachte Glinda, doch wurde danach wieder ruhig.

„Möchtest du Fragen stellen oder soll ich einfach anfangen, von der Nacht zu erzählen?“, fragte Elphaba unsicher, da sie nicht wusste, wie sie hätte anders anfangen sollen.

„Bitte erzähl mir erst alles, was du weißt. Aber können wir dabei bitte reingehen?“, fragte Glinda und hüpfte dabei elegant von der Schaukel. „Ist schon was kalt… so ohne Unterwäsche!“

„Glinda… du…“, Elphaba erdunkelgrünte immens.

„Darüber sprechen wir am Ende!“, lachte die Blondine und zog die dunkelgrüne Freundin hinter sich aus dem Schnee und in das warme Gebäude.

„Oh, wo sind wir denn hier gelandet?“, fragte Glinda, als sie in einen dunklen Raum traten, der nur am anderen Ende zwei Fenster hatte.

Elphaba atmete einmal tief durch, bevor sie antwortete: „Das hier ist der Empfangsflur, wenn man so will. Da vorne ist auch das Eingangstor. Nicht besonders interessant, aber hier….“, Elphaba öffnete die Tür, welche rechts neben ihnen lag, „… das ist das Arbeitszimmer. Da vorne steht mein Schreibtisch und der da drüben gehörte einmal Fiyero. Er benutzt ihn aber kaum noch…“

„Und was ist in dem Turm da drüben?“, fragte Glinda neugierig und deutete mit dem linken Zeigefinger auf die Wendeltreppe am anderen Ende des Raumes. Die Treppe sah genauso aus wie die im Wohnsaal.

„Oh, das ist Fiyeros Turm. Er hat den Ostturm für sich, während ich meinen Privatbereich im Westturm habe. Ehrlich gesagt war ich noch nie dort oben…“

Glinda hätte am Liebsten vorgeschlagen, mal nachsehen zu gehen, ob er vielleicht dort wäre, aber sie verwarf diesen Gedanken gleich wieder.

Stattdessen sagte sie: „Und die Bibliothek ist da?“ Dabei deutete sie durch den Flur und die offen stehende auf die gegenüberliegende, geschlossene Tür.

„Richtig!“, nickte Elphaba, schloss die Tür zum Arbeitszimmer und führte Glinda an ihrem Arm zur gegenüberliegende Seite des Flurs.

Als die grüne Hand die Klinke herunterdrückte und die Tür knarrend aufsprang, hielt Glinda die Luft an.

„Willkommen in meinem Heim!“, grinste Elphaba und sog mit einem kräftigem Atemzug die Luft des Raumes ein. Sie liebte diesen Geruch nach quoxwälder Eiche, gemischt mit dem Duft von alten Büchern. Außerdem lag noch eine Spur Kamille in der Luft, was auch Glinda nicht entging.

„Elphaba, das ist… atemberaubend!“

„Nicht wahr? Ich liebe es hier. Aber das Schönste kann man auf den ersten Blick nicht ausmachen.“

Glinda hörte Elphaba gar nicht zu. Sie starrte auf die großen dunkelgrünen Bücherregale, die ohne Zweifel höher waren als vier Meter. Generell hatte das Schloss eine sehr hohe Decke, aber die Bücherregale berührten diese Decke fast. Direkt rechts neben Glinda begann die dunkelgrüne Regalreihe, welche sich in einer U-Form durch den gesamten Raum zog. Auf der gegenüberliegenden Seite entdeckte Glinda zwei Durchgangsmöglichkeiten in der Regalreihe, welche ohne Zweifel zu dem vierten und letzten Turm führen mussten.

Noch immer sprachlos löste sich Glinda von Elphabas Arm und ging auf das Regal zu, welches in der Mitte des Raumes stand und nicht mit den anderen Regalen, die in der U-Form positioniert worden waren, verknüpft war.

Vorsichtig fuhr sie mit ihren Fingern über das dunkle Holz und griff dann nach einem Buch, welches im Regal stand. ‚Carl Philipp Emmanuel Bach – Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen’ stand dort und dann wendete Glinda das Buch. Neugierig las sie die Kurzbeschreibung: ‚Carl Philipp Emanuel Bachs Lehrbuch ist einerseits eine praktische Anleitung zum Klavierspiel, die für Spieltechnik, Ornamentik und artikulatorische Verfeinerung des Generalbassspiels innovatorisch wirkte, andererseits ein bedeutendes theoretisches Dokument der neuen Musikästhetik…’

„Dieses Regal hier beinhaltet alle Bücher, die ich regelmäßig lese. Durch all die Bücher im Hufeisen bin ich selber noch nicht durch.“

Lächelnd stelle Glinda das Buch wieder zurück und sah sich noch einmal in dem außergewöhnlichen Raum um.

„Bei der Anwesenheit von so viel Literatur fühle ich mich wieder wie eine Studentin…“, flüsterte Glinda in die Stille hinein.

„Man lernt nie aus…“, bestätigte Elphaba.

Plötzlich drehte Glinda sich um und mit leuchtenden Augen nahm sie Elphies Hand in ihre eigene.

„Oh, Elphie! Das erinnert mich so sehr an Shiz! Erinnerst du dich noch an das Foto, was Milla heimlich von uns gemacht hat, als du mir etwas vorgelesen hast? Daran musste ich gerade denken!“

Elphaba lächelte und ging mit Glinda an der Hand ein paar Meter weiter das Bücherregal entlang. Suchend blieb sie stehen und zog nach kurzer Zeit ein dickes Buch aus der dritten Reihe.

„Die wunderbaren Märchen der Ozma Tippertarius!“, lächelte sie und ihre dunklen Augen funkelten.

Es war eines der ältesten Kinderbücher in ganz Oz, doch Glinda hatte die alten Geschichten geliebt. Sie hatten ihr im fernen Shiz ein Gefühl von Heimat vermittelt.

„Ich musste dir immer daraus vorlesen, wenn du Heimweh hattest!“, grinste Elphaba nun und schien in Erinnerungen verloren.

Glinda griff beschwingt nach dem Buch in Elphabas rechter Hand und ließ dabei ihre linke los.

„Dass du das noch weißt!“, meinte Glinda erstaunt, als sie die Hülle des Buches betrachtete.

„Wie könnte ich vergessen, dass du immer vor Lachen geweint hast, wenn ich meine Stimmlage verändert habe!“, grinste Elphaba und machte Anstalten, das Buch wieder ins Regal zu stellen.

Glinda drehte sich mit dem Rücken zu Elphie und schlug das dicke Buch auf. Bald hatte sie ihr altes Lieblingsmärchen aus diesem Buch gefunden. Genau zwischen diesen zwei Seiten steckte das Bild von Glinda und Elphaba unter dem großen Baum.

„Du hast es noch…“, lächelte Glinda in das Buch hinein.

„Natürlich.“, war das einzige, was Elphaba erwiderte.

Schnell umrandete Glinda mit ihrem freien Zeigefinger zart die Konturen der jungen Frauen auf dem Bild, bevor sie das Buch schloss.

Sie stellte das Buch ins Regal und sah Elphaba abwartend an.

Elphie war froh, dass Glinda sie nicht gefragt hatte, warum sie das Bild noch immer hatte oder warum sie es ausgerechnet in diesem Buch aufbewahrte.

Schnell bot sie Glinda den grünen Arm an und führte die blonde Schönheit um das Regal herum, welches in der Mitte stand. Dann deutete sie auf die Wendeltreppe, welche man durch einen Gang zwischen den anderen Regale sehen konnte.

„Darf ich bitten? Der letzte und dazu der schönste Turm im ganzen Hause hier.“

„Ich bitte darum!“, nickte Glinda lächelnd und ließ sich von Elphaba die Treppe hinaufführen.

Oben angekommen, hielt Glinda schon wieder den Atem an. Sie hatte nicht geahnt, dass Kiamo Ko so viele schöne Seiten hatte.

Elphaba betrachtete mit großem Interesse die Mimik der Frau, deren Arm sie hielt. Die blauen Augen funkelten im Sonnenlicht noch viel stärker und ihre Kinnlade fiel langsam herab.

In der Mitte des runden Raumes befand sich eine große, offene Feuerstelle mit einer Art Abzug darüber. Um die Feuerstelle herum waren Sitzbänke angebracht worden. Jedoch waren diese weit genug vom Feuer entfernt, sodass einem nicht zu heiß werden konnte, wenn man darauf Platz nahm. Weiter links und rechts im Raum standen zwei Tische aus schwarzem Ebenholz und dahinter begann die Sitzecke. Das Sofa hatte die gleiche Farbe wie die Regalreihe in der Bibliothek und es zog sich in einer ähnlichen Kurve durch den ganzen Teil des hinteren Raumes.

Die Morgensonne schien kräftig durch die Fenster, welche sich rechts in der Wand befanden.

Elphaba sah, wie Glinda in diese Richtung starrte und summte leise: „Im Osten geht die Sonne auf, im Süden ist ihr Mittagslauf, im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehen…“

Glinda drehte sich lächelnd um und seufzte mit einem erneuten Blick durch den Raum.

„Von meinem Fenster aus sieht man die wunderschönen Sonnenuntergänge!“, meinte Elphaba stolz.

Die Wärme war noch nicht bis in diesen Raum vorgedrungen und Elphaba ließ das Feuer auflodern, als sie Glinda zu dem Sitzhalbkreis führte.

Nach einem kurzen Schweigen begann Elphaba unsicher: „Glinda, ich weiß nicht, wie ich jetzt anfangen soll, darum ….“

„Das war doch schon ein Anfang!“, unterbrach Glinda sie grinsend.

„Bitte, das ist nicht gerade hilfreich!“, Elphaba machte ein verzweifeltes Gesicht.

Die beiden Frauen saßen sich gegenüber, Elphaba hatte ihren linken und Glinda ihren rechten Arm auf die Sofalehne gelegt, mit dem sie ihren blonden Lockenkopf stützte. Die reizvollen Beine hatte sie hochgezogen und der Bademantel teilte sich auf ihrem Oberschenkel.

Ohne Vorwarnung erinnerte Elphaba sich an Glindas Bemerkung über die nicht vorhandene Unterwäsche und sah schnell in die andere Richtung, da sie nicht wollte, dass Glinda merkte, wie sie erdunkelgrünte.

Glinda deutete diese Bewegung anders und legte ihre freie Hand auf Elphabas Oberschenkel: „Entschuldige, Elphie. Ich wollte nicht gemein sein. Bitte erzähl mir von der Nacht.“

Im Inneren ihres Körpers sammelte Elphaba ihre durcheinandergeratenen Gefühle wieder auf, atmete einmal tief durch und starrte dann auf die gegenüberliegende Seite des Zimmers.

„Du solltest wissen, dass noch einiges vor dieser Nacht passiert ist. Ich habe mich schon ungefähr eine Woche vorher in dieser Sache verharkt und zwar nachdem ich dich und diesen Ramón durch die Glasschale gesehen habe.“

Bei diesen Worten merkte Elphaba, wie Glinda ihre Hand von Elphabas Oberschenkel nahm. Elphie wusste, dass Glinda noch etwas Zeit brauchte, um diese Beobachtungsgeschichte zu verarbeiten.

Unbeirrt fuhr sie fort: „Nachdem ich das gesehen hatte, begannen die Träume. Jede Nacht war ich wieder mit dir in diesem Palast, auf der Flucht vor den Wachen. Nur einer der Männer war immer in eine Kutte gehüllt, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich die Träume verändern kann und gerade, als ich kurz davor war, den Mann zu demaskieren, hat Fiyero mich dabei gestört. Also habe ich ihn in der nächsten Nacht gebeten, mich allein zu lassen. Und das war eben diese eine Nacht… ich träumte wieder, doch diesmal war es anders. Ich schaffte es, dem Mann die Kutte vom Kopf zu reißen und es war Ramón…“

Elphaba hörte, wie Glinda die Luft einsog, aber nichts sagte. Also fuhr sie fort: „Ich erinnerte mich, dass er einer der Wachen war, die uns damals verfolgt hatten. Also kombinierte ich, dass er im Dienste des Zauberers und von Akaber gestanden haben musste.

In dieser Nacht nahm ich dann abermals meine Glasschale und sah, wie du ohnmächtig in den Armen zweier Männer lagst und ich sah Madame Akaber am Treppenansatz des Palastes stehen… Und sofort wusste ich, dass du in Gefahr warst….“

Als Elphaba Glinda von dem Regen und ihrem Sturzflug erzählte, drückte die blonde Frau die grüne Schulter sanft. Dann erklärte Elphaba ihr, wie sie auf den Balkon gekommen war: „Den Besen habe ich unten stehen gelassen, er funktionierte ja nicht aufgrund des Banns. Und dann sah ich Madame Akaber ganz gemütlich vor deinem Bett sitzen und auf dich einreden…“

„Was hat sie gesagt?“, fragte Glinda mit deutlicher Stimme. Noch hatte sie ihre Emotionen gut im Griff…

Elphaba rezitierte Accursias Worte, soweit sie sie noch in Erinnerung hatte…

„Erst dachte ich ja, du seist wach…“, fuhr Elphaba daraufhin fort, „Aber dann habe ich erkannt, dass sie dich nur aufrecht im Bett aufgesetzt hatten. Danach ging alles sehr schnell. Akaber saß mit dem Rücken zu mir, also bin ich so schnell es ging unter dein Bett gekrabbelt. Ich hörte, wie sie dich gekratzt hat und habe es erst für Papier gehalten, welches durchgerissen wird.

Ohne Vorwarnung hörten wir dann vom Flur her laute Geräusche. Akaber öffnete die Tür und zwei Männer fielen auf den Boden. Ich erkannte Ramón und hoffte, sie würden mich nicht sehen. Als Akaber auf den Flur hinausgegangen war, bin ich unter dem Bett rausgekommen und habe mich hinter die Tür gestellt. Ich habe dann nach dem silbernen Pokal gegriffen, der bei dir auf dem Nachttisch stand und habe gewartet, bis Madame Akaber wieder eintrat und die Tür schloss… Und dann habe ich… Ich habe…“ Elphaba begann zu stottern.

„Elphie?“, fragte Glinda besorgt und rückte ein Stückchen näher an ihre Freundin heran, sodass sich nun die beiden Hände auf der Sofalehne berührten.

Elphaba atmete einmal ganz tief durch, umfasste Glindas Hand fest und blickte in die eisblauen Augen: „Dann habe ich Accursia Akaber mit meiner ganzen Kraft den Pokal auf den Schädel gedonnert.“

Glinda schnappte kurz nach Luft und drückte Elphabas grüne Hand.

„Plötzlich war überall Blut. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt…“

Elphabas Stimme brach ab und sie zog ihre Hand aus der von Glinda. Dann hielt sie sich die beiden grünen Hände vor ihr Gesicht und starrte sie an. Es hatte so lange gedauert, bis sie das hatte aussprechen können. Als sie Fiyero davon erzählt hatte, hatte sie ohne Frage unter Schock gestanden. Das musste sie sich nun eingestehen, als eine Welle von Schuldgefühlen sie überkam.

Glinda konnte das nicht mit ansehen. Sie setzte sich aufrecht hin, griff mit ihren Händen um die von Elphaba und drückte sie sanft nach unten.

„Elphaba, sieh mich an!“, sagte sie mit klarer Stimme. „Sieh mich an.“

Die dunklen blickten schuldbewusst in die blauen Augen.

„Du hattest keine andere Wahl. Es wäre entweder sie gewesen, oder ich. Und wahrscheinlich noch du dazu.“

„Ich weiß ja, dass du Recht hast, Glinda, aber… Ich hätte nie gedacht, dass ich zu so was fähig bin. Oh Oz, natürlich habe ich mir manchmal vorgestellt, was ich mit Makaber alles machen würde, wenn ich die Chance dazu hätte, aber…“ Elphaba seufzte tief. Sie sah nicht gerade glücklich aus.

Glinda lehnte sich nach vorne, zog Elphaba an sich heran und nahm sie in die Arme. Sie drückte sie fest an sich und fuhr ein paar Mal durch das rabenschwarze Haar.

Elphaba hörte leise Glindas Worte an ihrem Ohr: „Wollten die Menschen, statt die Welt zu retten, sich selber retten; statt die Menschheit befreien, sich selber befreien - wie viel würden sie da zur Rettung der Welt und zur Befreiung der Menschheit beitragen!“

Verwirrt wollte sich Elphaba von Glinda wegdrücken, doch diese hielt sie fest, sodass Elphaba es nur ein stückweit schaffte und die beiden Gesichter der Frauen gerade mal 20 Zentimeter weit voneinander entfernt waren.

Glinda konnte die Verwirrung in Elphabas dunklen Augen sehen: „Die weisen Worte meiner Mutter… Bis heute habe ich nie verstanden, was sie damit gemeint hat. Jetzt weiß ich es. Elphaba, du hast dich in dem Moment selber gerettet.“

„Ich verstehe das nicht!“, meinte Elphaba und die grüne Stirn legte sich in Falten.

Ohne jegliche Vorwarnung lehnte sich Glinda die 20 Zentimeter nach vorne und schloss die Augen. Elphaba fühlte, wie die sanften Lippen einen zarten Kuss auf ihren eigenen platzierten.

Stocksteif saß die Hexe dort, mit weit aufgerissenen Augen. Ihre innere Stimme drängte sie dazu, die Welle der Zärtlichkeit zuzulassen, die sich in ihr ausbreiten wollte, doch Elphaba würgte sie ab.

Der Kuss hatte nicht einmal zwei Sekunden gedauert, als Glinda sich wieder aufrichtete und Elphaba ansah: „Vielleicht hilft dir das, um es zu verstehen.“

Da Elphaba ihre Gefühlsebene in Schach gehalten hatte,war sie in der Lage dazu, deutlich zu sprechen: „Im Moment hilft es meinem Verständnis nicht auf die Sprünge, nein…“

Glinda lächelte, ließ Elphaba los und setzte sich wieder auf ihren alten Platz: „Gut Ding will Weile haben!“, grinste sie und kämpfte schon wieder mit den aufsteigenden Gedanken, die noch warten sollten.

‚Es ist noch nicht an der Zeit…’, dachte Glinda und hoffte, sie hätte Elphaba nicht zu sehr überrascht.

Diese schien jedoch komischerweise ganz gefasst zu sein.

„Elphaba?“

„Ich… ahm… Ich packe das jetzt in einen Schuhkarton und schaue bei Gelegenheit noch einmal rein…“, sagte diese mit völlig ernstem Gesicht, was Glinda auflachen ließ.

„Ist gut. Die, die dir so was beigebracht hat, war wohl eine ziemlich schlaue Frau!“

„Zuweilen mein' ich, eine rein weibliche Natur könne mich retten.“, grinste nun auch Elphaba. Sie hatte es geschafft, alle verwirrenden Gefühle auszublenden. ‚Diese Schuhkartonsache ist manchmal doch ganz schön nützlich!’, dachte sie bei sich.

„Von wem ist das?“

„Von wem ist was?“, fragte Elphaba verdutzt.

„Das Zitat! Mit der weiblichen Natur!“

„Achso, das! Aus einer Autobiografie mit Tagebucheinträgen von Margo Blair.“

„DIE Margo Blair? Die Frauenrechtlerin?“

„Ja.“

„Wieso hast du denn eines ihrer Bücher?“

„Habe ich nicht.“

„Nicht?“, jetzt war es Glinda, die verwirrt war.

„Nein, ich habe ALLE ihre Bücher!“, grinste Elphaba und erntete dafür eine Grimasse von Glinda.

„Gemeines Etwas! Aber bevor wir jetzt wieder vom Thema abkommen… Was ist danach passiert?“

Elphaba seufzte. Sie war für diese kleine Erholungspause dankbar gewesen, doch dieses Gespräch musste wirklich zu Ende geführt werden.

Also erzählte Elphaba ihr, wie sie Glinda dann aus dem Zimmer gerettet und Ramóns Schrei gehört hatte. Glinda, die diesen Teil der Geschichte schon vom See her kannte, war immer noch sehr gefasst. Elphaba ließ mit Absicht das Detail ihres eigenen Verletzungsgrades aus, denn den hatte Glinda ja mit eigenen Augen gesehen. Sie erzählte ihr auch nicht, was Fiyero ihr vorgeworfen hatte, vor allem nicht nach diesem Kuss. Sie berichtete nur lediglich, dass sie Fiyero auch einiges erzählt hatte, bis beide gemerkt hatten, dass Glinda aus dem Bett verschwunden war.

„…Und den Rest der Geschichte kennst du ja“, schloss Elphaba und sah die blonde Frau auf dem Sofa erwartungsvoll an.

„Jetzt bin ich wohl dran…“, seufzte Glinda nach einer kurzen Pause. Sie hatte keine Fragen mehr an Elphie, denn bis auf die Sache mit Akaber war ihr das andere nicht neu gewesen.

„Glinda, wenn du noch nicht berei….“, begann Elphaba und wurde sofort von Glinda unterbrochen.

„Nein, Elphaba, ich muss das jetzt loswerden. Ich habe es all die Zeit verdrängt, um irgendwelche Ausbrüche zu vermeiden und ich denke, dass ich jetzt einigermaßen beruhigt bin. Ich hoffe es zumindest.“

„Du bist hier bei mir. Du bist sicher. Und diese Nacht ist Vergangenheit. Du bist in Sicherheit!“, sagte Elphaba noch einmal mit Nachdruck und Glinda lächelte sie warm an: „Das hast du süß gesagt, danke. Und ich weiß auch, dass du Recht hast, aber ich kann nicht versprechen, dass ich meine Gefühle die ganze Zeit unterdrücken kann!“

„Das erwarte ich doch auch überhaupt nicht! Eher im Gegenteil! Glinda, ich habe mir auch erlaubt, alles zuzulassen und du hast mich aufgefangen. Ich kann nun nicht mehr tun, als dir dasselbe anzubieten. Ich bin für dich da. Du musst nur sagen, was du brauchst.“

Glinda sah in die dunklen Augen und wusste, dass Elphaba es so meinte, wie sie es gesagt hatte. Jedoch wusste sie nicht, ob sie wirklich sagen sollte, was sie brauchte.

„Elphie?“, begann sie zögernd, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten. Elphaba wartete geduldig ab, bis Glinda sie ansah und fragte dann: „Ja?“

„Halte mich… bitte.“, flüsterte Glinda zögernd und sah die grüne Frau fragend an.

Elphaba lehnte sich nach vorne, griff lächelnd nach Glindas Hand und zog sie zu sich heran. Dann drehte sie die blonde Frau sachte um, sodass Glinda sich mit ihrem Rücken an Elphabas Oberkörper anlehnen konnte. Glinda seufzte leise, als Elphaba ihren rechten Arm um die Freundin legte. Sie saß mit der linken Seite noch immer gegen das Sofa gelehnt und Glinda streckte ihre Beine aus, während Elphaba ihre Beine an den Körper zog.

„Ich sagte alles und ich meine auch alles, Glin…“, sagte Elphaba zärtlich. Den Namen aus Elphabas Mund zu hören, rief in Glinda eine seltsame Sehnsucht hervor und sie unterdrückte die aufsteigenden Tränen.

„Danke…“, murmelte die blonde Frau leise und lehnte ihren Kopf gegen Elphies Schulter. Elphaba schwieg und als einzige Antwort strich sie zärtlich mit ihrer linken Hand über Glindas Locken.

In diesen grünen Armen fühlte Glinda sich erst wieder so sicher, wie sie sich gestern Nacht beim Einschlafen gefühlt hatte. Auch da hatten sie die grünen Arme gehalten und dies war genau das, was Glinda brauchte.

Dann fing sie leise an zu erzählen: „Diese ganze Sache fing eigentlich schon mit Akabers Ausbruch aus dem Gefängnis an, denn zu dieser Zeit meldete sich Ramón als Freiwilliger, um mich … zu beschützen. Orez versicherte mir damals, er wäre ein anständiger Kerl, also stellte ich ihn ein. Am Anfang hat er sich sehr angemessen mir gegenüber verhalten und erst mit der Zeit merkte ich dann, dass er anscheinend größeres Interesse an mir hatte. Er hat mich nie gedrängt oder irgendwelche unangebrachten Versuche gestartet… Er ging das ganze eher genau so an, wie sich das eine romantische Frau wünschen würde… Als ich ihn einmal fragte, warum er sich so plötzlich aus heiterem Himmel bei mir gemeldet hatte, erzählte er mir, seine Schwester hätte früher unter Akaber gelitten. Es war wirklich eine haarsträubende Geschichte… Madame Akaber hätte sie wohl soweit getrieben, dass sie nun psychisch gestört wäre. Er log mir etwas vor von Rachegelüsten und dem Bedürfnis danach, mich vor Akaber zu schützen. Er meinte, er hätte ein schlechtes Gewissen seiner Schwester gegenüber und er hätte eben genau gewusst, wie man mit Akaber umzugehen hätte. Nach ihrem vorgespielten Tod blieb er dann noch bei mir, da er damals als meine Begleitung für den Feiertagsball eingeteilt worden war – zu meinem persönlichen Schutz natürlich….“

„Du meinst den Feiertag, der meinem Tod zu Ehren eingerichtet worden ist?“, hörte Glinda Elphabas ruhige Stimme an ihrem linken Ohr.

Leicht nickte sie und die blonden Locken streichelten Elphabas Kinn: „Ja, genau der. Er wollte noch dieses Wochenende bei mir bleiben und danach wollten wir halt weitersehen. Es lag eine Art Spannung zwischen uns, bei der mir nicht ganz wohl war, ihm aber schon. Ich wusste nicht genau, was sich in mir so gegen ihn sträubte, aber da er mir die ganze Zeit über so zuvorkommend und verständnisvoll entgegengetreten ist, konnte ich ihn ja nicht einfach aus heiterem Himmel vor die Tür setzen. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt und wollte mir dann die Woche über noch mal Gewissheit darüber verschaffen, dass zwischen Ramón und mir alles in Ordnung war. Doch merkwürdigerweise war er die letzte Woche vor dem Feiertagsball nicht mehr anzutreffen.

Er entschuldigte seine Abwesenheit dann auch, indem er meinte, er hätte wichtige Dinge erledigen müssen. Ich war natürlich stocksauer und stellte ihn zur Rede. Er äußerte sich nicht und meinte, ich würde es morgen früh verstehen. Das war an dem Freitag Abend vor dem Ball…

Und als ich am nächsten Morgen aufwachte, fand ich eine Rosenblätterspur in meinem Zimmer, die zu seinem Geschenk für mich führte… Es war die Kette der heiligen Aelphaba.“

Der grünen Hexe lief ein kalter Schauer über den Rücken, der das Ergebnis von ihrem ansteigenden Ekel war. Sie fand Ramóns Art einfach nur widerwärtig.

„Und da dachte ich natürlich…“, fuhr Glinda fort, die Elphabas plötzliche Anspannung ignorierte, „… dass er die halbe Woche für dieses Geschenk geopfert hatte. Da konnte ich ihn wirklich nicht mehr rauswerfen und ich fühlte mich auch eigentlich ganz wohl in seiner Anwesenheit. Er hat mich mit Respekt behandelt und war immer sehr schmeichelhaft… Bis eben zu diesem Abend…

Es fing damit an, dass Orez, mein Kutscher, der eigentlich frei hatte, mich gemeinsam mit Ramón abholte. Das war das erste, was mir merkwürdig vorkam… Wir fuhren mit der Kutsche zum Ball und wir wurden natürlich in großer Manier begrüßt… In der Menschenmenge von Presseleuten suchte ich den Reporter, mit dem ich bisher die besten Erfahrungen gemacht habe, doch Ramón zog mich ohne Vorwarnung an den Rand, zu einer anderen Reporterin. Erst dachte ich mir nichts dabei, doch als sie anfing, mir komische Fragen, auch in Bezug auf dich, zu stellen, habe ich mich gefragt, ob diese ganze Sache inszeniert worden war…“

„Sie hat dich was über mich gefragt?“, fragte Elphaba nun verwundert.

„Ja… zum Beispiel, ob ich die Kette dir zu Ehren tragen würde und ob ich dich vermissen würde. Und die ganze Zeit über hat sie so hinterhältige Anspielungen gemacht….“

Glinda gab das Gespräch mit der Reporterin, die sich da noch als ‚Elfina Rob’ ausgegeben hatte, so gut wie sie es noch in Erinnerung hatte wieder. Bei dem Namen der Frau zischte Elphaba abwertend und murmelte etwas, was Glinda jedoch nicht verstand. Glinda erzählte ihr auch, wie diese Elfina sich anscheinend den ganzen Abend auf sie fixiert hatte und dann schilderte sie den gesamten Abend. Sie berichtete von Milla und Marec, von Meredith und Reseda, bis hin zu ihrer Rede vor dem gesamten Publikum und dem Walzer mit Ramón.

„Ich muss zugeben, dass ich den ganzen Abend über reichlich getrunken habe, aber nie zu viel. Ich konnte es einfach ohne einen gewissen Grad von Betäubung nicht aushalten. Ich fühlte mich so schrecklich und wollte das alles gar nicht sagen… Ich habe immer nur gedacht: ‚Gleich ist es vorbei… Gleich hast du es geschafft…’

Aber nach diesem Wein, den ich kurz vor dem Walzer getrunken habe, ging es mir alles andere als gut. Ich merkte, wie ich immer mehr das Bewusstsein verlor und dachte wirklich erst, ich hätte einfach nur zu viel getrunken. Ich hatte plötzlich Angst vor Ramón… Mir war der ganze Abend schon sehr komisch vorgekommen und ich wollte nach diesem Tanz einfach nur verschwinden… Doch dann kam alles anders: Ich glaube, dass etwas in meinem Wein gewesen sein muss, denn ich wurde ohnmächtig und wurde genau um Mitternacht von den Glockenschlägen geweckt….“

Dann erzählte Glinda alles, woran sie sich noch erinnern konnte. Sie berichtete, wie sie Orez und Ramóns Stimme gehört hatte.

„Ich wollte mich wehren, doch dann haben sie mir gedroht, Elaine würde etwas passieren und zum Beweis haben sie mir ihre Perlenkette gezeigt… Oh Oz… Sie muss immer noch dort sein… genau wie Mer und Resi… Und ich weiß nicht, was mit ihnen ist…“

Die ganze Zeit hatte Glinda das Geschehene ruhig geschildert und auch jetzt schien sie gefasst zu sein. Elphaba jedoch merkte, wie sich die blonde Frau in ihren Armen anspannte. Sie legte ihre rechte Hand auf Glindas Rücken und streichelte sie vorsichtig. Sie wusste, dass es jetzt noch nicht an der Zeit war, die Glasschale zu erwähnen…

„Wie ging es weiter?“, fragte Elphaba ruhig. Sie wollte nicht riskieren, dass Glinda die Kontrolle über sich verlor. Jetzt noch nicht…

Glinda atmete einmal tief durch und erzählte ihr dann gefasst von dem Szenario, welches sich draußen vor dem Gebäude abgespielt hatte.

„Irgendwann wurde die Menschenmenge kleiner und nur noch Ramón, diese Elfina und ich standen draußen. Erinnerst du dich an Aylin Heidenbrunn?“, fragte Glinda auf einmal ganz unvermittelt, löste sich aus Elphabas Armen und blickte fragend in die dunklen Augen.

„Was hat das denn jetzt damit zu tun?“, fragte Elphie verwirrt.

„Aylin Heidenbrunn. Das Mädchen, das mein Bett anzünden wollte.“ Glinda ignorierte Elphabas Frage.

„Ja, ja natürlich erinnere ich mich an sie, aber was…“

„Die ganze Zeit über hat sich Aylin als Elfina Rob ausgegeben. Ramón und sie haben sich gestritten und er hat im Eifer des Gefechts ihren richtigen Namen benutzt.“

„Was?“, schoss es aus Elphaba heraus, die nun Glinda fassungslos anstarrte.

„Mir kam das Gesicht schon die ganze Zeit bekannt vor, aber ich konnte es nicht zuordnen… Auch Ramóns Nachname kam mir bekannt vor, aber ich habe nie wirklich darüber nachgedacht.“

„Soll das etwa bedeuten, die beiden sind Geschwister?“, fragte Elphaba, nun noch verblüffter als zuvor.

„Wie… uff…“, seufzte Glinda, die nun auch perplex schien. „So habe ich das noch gar nicht gesehen… Ramón heisst doch in Wirklichkeit Akaber… Er ist ja Accursias Sohn. Vielleicht war der Nachname nur ein Zufall.“ Glinda zuckte ratlos mit den Schultern und erntete dafür einen sehr skeptischen Blick von Elphaba.

„Du glaubst wirklich noch an Zufälle in dieser ganzen Angelegenheit?“, blaffte Elphaba. Glinda nahm diese Äußerung nicht persönlich, da sie wusste, dass Elphaba sich nicht über sie, sondern über die offensichtliche Komplexität der ganzen Geschichte aufregte.

„So viele Verbindungen… Da fragt man sich ja wirklich, wie weit im Voraus das Ganze geplant worden ist!“, seufzte Glinda resigniert und meinte dann: „Wir wissen es natürlich nicht, ob die beiden Geschwister sind… Wir können es nur vermuten. Ich meine, es wäre einleuchtend, aber sag mir mal bitte, von wem Akaber das zweite Kind bekommen haben sollte? Vom Zauberer ganz bestimmt nicht, oder er wusste gar nichts von seinem Glück…“

„Das kann ich mir auch nicht vorstellen… Wer weiß, woher Akaber das zweite Kind gezaubert hat. Hier kann man sowieso nichts mit Gewissheit behaupten!“, ärgerte sich nun die grüne Hexe und ihre Stirn legte sich in Falten.

„Selbst wenn du böse guckst, siehst du noch bei weitem schöner aus, als diese Statue.“, sagte Glinda leise und strich Elphaba mit ihren Fingern über die Wange.

„Was für eine Statue?“, fragte die Hexe verwirrt und sah Glinda fragend an.

Diese erzählte ihr dann den restlichen Teil des Abends, welchen sie noch in Erinnerung hatte. Als Glinda die Statue beschrieb, musste Elphaba lachen: „Na wenigstens ist sie grün! Da könnte ich sogar mit der Kette um den Hals einfach mal so in die Smaragdstadt spazieren, ohne erkannt zu werden, denn so hässlich bin ich ja nun wirklich nicht!“ Elphaba grinste und fasste sich an die Nase, die bei weitem kleiner war, als die der Statue.

„Elphie!“, hauchte Glinda mit weit aufgerissenen Augen.

„Was?“, fragte Elphaba und ihre linke Augenbraue schob sich skeptisch in die Höhe.

„Das ist DIE Idee! Wir können in die Smaragdstadt, ohne erkannt zu werden!“, rief die blonde Frau aufgeregt aus.

„Mal langsam mit den jungen Pferden!“, murmelte Elphaba.

„Ich meine das wirklich ernst!“

„Ja, das sehe ich… Du wirst absolut keine Aufmerksamkeit auf dich lenken, wenn du in meinem Morgenmantel durch die Stadt spazierst!“, meinte Elphaba ironisch. „Wir müssen das gut durchdenken!“

„Schon gut, schon gut!“, sagte Glinda und rollte mit den Augen. „Aber untätig rumsitzen kann ich hier bestimmt nicht!“

„Das hatte ich auch gar nicht vor. Ich habe sogar an das gleiche gedacht, wie du, aber wir müssen uns erstmal ansehen, was momentan in der Smaragdstadt los ist!“, gestand Elphaba.

„Wie willst du das denn anstellen?“ Nun war Glinda verwirrt.

„Meine Glasschale!“, sagte Elphaba ruhig. Sie ahnte, wie Glinda reagieren würde und sie war vorbereitet…

„Aber natürlich! Das ich da nicht von selber drauf gekommen bin!... Aber… Wieso erwähnst du das erst jetzt?! Wir hätten doch schon viel früher…“, begann Glinda und als sich in ihre Stimme ein ärgerlicher Unterton mischte, unterbrach Elphaba sie.

„Glinda, hör mir mal bitte kurz zu…“ Elphaba blickte in die eisblauen Augen und als Glinda nur leicht nickte, fuhr sie fort: „Wir mussten das alles doch erst klären, um herauszufinden, was wir wissen und was nicht. Jetzt wissen wir zum Beispiel, dass Orez auch etwas mit der ganzen Sache zu tun haben muss und wenn ich ehrlich bin, glaube ich das auch von diesem Londaro. Schließlich hing er ja auch die ganze Zeit mit den anderen beiden zusammen. Außerdem wissen wir, dass die ganze Sache wahrscheinlich von Akaber ausgeht und diese ganzen Vernetzungen viel weiter gestrickt sind, als wir bisher ahnen können. Ramón, Aylin, Orez… Wer weiß, wer da noch alles unter einer Decke steckt. Ich denke, es war wichtig, dass wir uns erst alles gesagt haben, was wir wissen… Jetzt können wir die Situation zwar noch immer nicht richtig, aber dennoch besser als zuvor einschätzen… Oder findest du nicht?“

„Doch, doch…“, gab Glinda zu und senkte ihren Blick. „Ich weiß ja, dass du Recht hast, Elphie, aber… Ich habe solche Angst um meine Freunde.“

„Das verstehe ich auch. Wir werden die Schale auch gleich holen gehen. Mir scheint, dass diese Organisation von Leuten alle Personen unschädlich gemacht haben, die dir sehr nahe standen. Ich frage mich, was sie mit den Politikern gemacht haben, die auf deiner Seite waren…“

„Entweder bestochen oder … eingesperrt oder sonst was! Wer weiß, was diese Monster sich alles ausgedacht haben! Ich bin einfach nur froh, dass meine Eltern an diesem Abend nicht gekommen sind!“

Glinda seufzte und sah Elphaba wieder an. Als die grüne Stirn sich abermals in Falten legte, hörte sie Elphabas Worte: „Glinda…“

Erschrocken rief Glinda aus. „Oh nein, Elphie! Nein… Du meinst doch nicht etwa, dass… Nein, das kann nicht sein! Ich… oh, großer Oz… NEIN! … Wenn Londaro… und Ramón… und…“

Verwirrt starrte Elphaba die aufgewühlte Frau an. Ohne Vorwarnung sprang Glinda plötzlich vom Sofa auf und zog Elphaba an der Hand hinter sich her.

„Schnell, Elphie, schnell! Lass uns bitte sofort in die Glasschale gucken! BITTE!“

Elphaba packte sich mit festem Griff Glindas Handgelenke und hielt sie zurück. Ruhig stand sie vor ihr und schaute in die besorgten, blauen Augen: „Glinda, was ist los? Was redest du da?“

„Ramón hat mir gesagt, er hätte meine Eltern eingeladen, aber ich bekam danach einen Brief von ihnen, dass sie noch keine Einladung hätten! Dann habe ich Londaro einen weiteren Brief gegeben – mit zwei Einladungen! Und wenn er wirklich mit zu dieser Bande gehört, dann hat er den Brief wahrscheinlich gar nicht erst abgeschickt oder… oder er hat den Inhalt verändert… oder…“

„Glinda, das wäre doch unlogisch. Wieso sollte Ramón dir so etwas sagen, wenn es doch nicht stimmt und wieso sollte Londaro dann den Brief bei sich behalten? Dann wäre es doch eindeutig, dass die beiden gar nicht geplant hatten, dass deine Eltern kommen und sie hätten sie so mit Absicht ferngehalten!“

„Und was ist, wenn Londaro tatsächlich den Brief geändert hat? Die Uhrzeit oder den Tag oder… ach, was weiß ich!“, rief Glinda aus und riss sich von Elphaba los.

„Aber es war doch in ganz Oz bekannt, dass der Ball an diesem bestimmten Tag um diese bestimmte Uhrzeit beginnt, oder nicht?“

„Elphaba, ich bitte dich!“, nun war Glinda wütend, „Nenne mir einen Grund, warum solche Leute, die die Absicht haben, mich umzubringen und Oz zu stürmen, ausgerechnet meine Eltern verschonen sollten?“ Glinda starrte die Hexe aufgebracht an.

„Ich…“, begann Elphaba stotternd und erkannte, wie ernst die Situation wirklich war. Alle Menschen, denen Glinda etwas bedeutet hatte oder andersherum waren offensichtlich evakuiert worden. Und in Anbetracht der Brutalität, mit welcher diese Organisation vorging, konnte man nur mit dem Schlimmsten rechnen.

Ohne ein weiteres Zögern ergriff Elphaba Glindas Hand und rannte mit ihr in Richtung Bibliothek.

„Die Glasschale ist in meinem Zimmer!“, keuchte Elphaba und Glinda drückte dankbar die grüne Hand.
 

„Elphieee….“, quengelte Glinda ungeduldig und ging im Zimmer auf und ab, zum Zeichen, dass Elphaba sich beeilen sollte. Elphaba durchsuchte hektisch ihre beiden Schränke, die Nachttische und den Kasten der Standuhr, in welchem sie schon einmal die Glasschale versteckt hatte.

„Glinda, ich finde die Schale nicht! Sie muss hier sein!“, murmelte Elphaba und kratzte sich verwirrt am Kopf.

„Was soll das heißen, du findest sie nicht?! Hast du hier mal nachgesehen?“, fragte Glinda ärgerlich und schaute unter das Bett.

„Oh, nein!“, meinte Elphaba, ließ sich auch auf die Knie nieder und tastete mit ihrer Hand nach der Glasschale.

„Verdammt! Da ist sie auch nicht!“, stellte Glinda fest und stand wieder auf. Sie sah Elphaba wütend an: „Elphie, wann hast du das letzte mal in die Schale geschaut und wo hast du das Ding dann hingetan?“ Elphaba wusste, dass Glinda nicht sauer auf sie, sondern auf diese undurchsichtige Situation war und überlegte laut: „Das letzte Mal… hmm… Das war kurz bevor ich zu dir geflogen bin, denn da habe ich Madame Akaber darin gesehen. Und dann habe ich sie… Ich weiß es nicht… Ich glaube, ich habe sie genau hier liegen lassen!“ Elphaba stand vor dem Fenster und deutet mit ihrer Hand in die Nähe der Ecke, in welcher sie die Glasschale hatte liegen lassen.

„Aber sie kann doch nicht einfach weg sein!“, sagte Glinda verärgert und sah sich noch einmal in dem Raum um.

„Vielleicht hat Fiyero sie weggeräumt…“, mutmaßte Elphaba in Erinnerung an die Nacht.

„Und wo hätte er sie hingetan?“, fragte Glinda und sah Elphaba wieder an. Diese zuckte jedoch nur mit den Schultern.

„Großartig, einfach nur großartig. Müssen wir jetzt das Schloss durchsuchen?“ Glinda war offensichtlich genervt.

„Oz im Ballon, nein, nein! Das würde viel zu lange dauern… Wir würden sie wahrscheinlich eh nicht finden!... Aber ich kann versuchen, die Schale durch Magie in das Zimmer hier zu platzieren.“

„Das kannst du?“

„Ich verlege des öfteren meine Brille…“, gab Elphaba grinsend zu. Glinda schwieg und sah ihre Freundin mit Erstaunen an. Elphaba schien keine Ahnung davon zu haben, wie groß ihre Macht war. Dinge um- oder deplatzierten verlangte einiges an Stärke und bei den meisten auch jahrelanges Training. Sie selber hatte es erst mit kleinen Dingen geschafft, wie zum Beispiel mit einem Ohrring, aber die größeren Dinge waren meistens nach einem kurzen Flackern wieder verschwunden.

„Gut, probieren wir das!“, sagte Glinda, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. Sie fühlte sich nutzlos ohne ihren Zauberstab.

Elphaba schloss die Augen und drückte ihre Handballen vor der Brust gegeneinander. Dann murmelte sie einen Satz und versuchte, die Glasschale vor ihrem inneren Auge auftauchen zu lassen, doch es gelang ihr nicht. Sie versuchte es abermals und gab dann verärgert auf.

„Es klappt nicht!“, sagte sie, halb verärgert, halb verwirrt.

Die grüne Stirn zog sich zusammen und Glinda sah die Freundin abwartend an.

Nach einer Weile fragte Glinda seufzend: „Und jetzt?“

„Warte, warte..“, entgegnete die grüne Frau schnell, „… Ich habe da eine Idee… aber ich weiß nicht, ob es funktioniert…“

„Die da wäre?“ Glindas Stimme klang wieder etwas hoffnungsvoller, was Elphaba ermutigte: „Ich… Ich weiß nicht ob es klappt…“ Elphaba rieb sich nachdenklich die Stirn, „Aber wenn ich die richtigen Worte rückwärts aufsage und mich dabei stark konzentriere, gelingt es mir vielleicht, nicht in die Schale hinein, sondern aus ihr heraus zu gucken… Das hat erst ein einziges Mal funktioniert und dabei habe ich letztes Mal mein Bewusstsein verloren…“

„Oh nein, Elphie. Es muss doch auch eine andere Lösung geben….“, sagte Glinda entsetzt.

„Die da wäre?“, zitierte Elphaba Glindas Worte von vorhin, „Glin, lass es mich bitte versuchen… Aber du musst mir versprechen, mich auf keinen Fall zu stören. Das könnte böse enden…“

„Was? Wieso das?“

„Im Grimorium steht ausdrücklich geschrieben, dass es tödlich sein kann, die Sprüche rückwärts aufzusagen, denn in ganz Oz ist eigentlich bekannt, dass die großen Zaubersprüche nicht rückgängig gemacht werden können. Damit sind die Sprüche gemeint, die jemanden oder etwas ausschlaggebend verändern. Und da dieser Spruch für die Glasschale weder mich noch irgendetwas anderes verändert, habe ich mich damals getraut, den Spruch rückwärts aufzusagen. Es ist ein verbotener Zauber und sollte die Konzentration mitten im Prozess gebrochen werden, kann man als Halbwesen zwischen den Welten stecken bleiben…“

„Wovon redest du da?“, fragte Glinda verwirrt, „Was meinst du mit ‚stecken bleiben’?“

„Bei solchen Sprüchen ist es so, dass der Großteil meiner Sinne aus meinem Körper entweicht, um den Gegenstand zu orten. Also so ist es zum Beispiel in diesem Fall hier. Und wenn ich dabei gestört werde, bricht die Verbindung zu meinen Sinnen ab… Und wenn das hier passieren würde, dann könnte ich wahrscheinlich nicht mehr sehen. Im Klartext bedeutet das also: Meine Fähigkeit zu sehen, die ich in die Glasschale projizieren würde, würde auf dem Weg dorthin oder auf dem Weg zurück in meinen Körper verloren gehen.“

„Oh Oz, Elphie… Das kann ich nicht von dir verlangen!“, hauchte Glinda und sah Elphaba mit sorgenvoller Miene an. Die beiden Frauen standen sich noch immer gegenüber, als Elphaba leise flüsterte: „Weißt du, das erste Mal habe ich es auch für dich getan. Es war nach meinem offiziellen Tod… Die Hexenjäger waren hier und haben alles verwüstet… Und die Glasschale war nicht mehr aufzufinden.“

„Elphaba, ich kann nicht von di…“, begann Glinda mit Tränen in den Augen. Elphaba ging schnell auf sie zu und legte ihr einen grünen Zeigefinger auf den Mund: „Shh, shh, mein Liebes.“

Dann nahm sie Glindas Hand und führte sie zum Bett. Elphaba ließ sich auf den Boden nieder, sodass sie ihren Rücken gegen das Bettende lehnen konnte. Glinda ahmte es ihr nach. Dann setzte Elphaba sich in den Schneidersitz und sah Glinda ernst an: „Glinda, egal, was ich tue, egal was ich mache, egal ob ich aufhöre zu atmen oder sonst etwas: Fass mich auf keinen Fall an und bitte mach kein einziges Geräusch!“

Noch immer mit Tränen in den Augen gestand Glinda: „Elphie, ich habe Angst! Ich will das nicht!“

„Ich will es aber…“

„Aber…“

„Nein, Glinda. Es gibt kein ‚aber’. Ich mache das nicht nur für dich, sondern auch für mich. Ich mache es für uns!“

Glinda seufzte und hätte Elphaba am liebsten umarmt, doch sie wusste es besser. Ihre grüne Freundin brauchte nun all ihre geistige Stärke.

„Weißt du den Zauberspruch denn noch auswendig?“, fragte Glinda nun sachlich und schluckte ihre Tränen hinunter. Elphaba war ihr sehr dankbar dafür.

„Du vergisst nie einen Spruch, der dich hat ohnmächtig werden lassen!“, sagte Elphaba ruhig und Glinda konnte in ihren Augen große Zärtlichkeit lesen.

„Soll ich lieber rausgehen?“ Glinda hatte Angst, sie würde Elphaba vielleicht doch ablenken und dann wäre alles zu spät.

„Nein, ich möchte sogar, dass du hier bei mir bleibst. Das gibt mir Kraft.“

„Okay, Elphie, ich bin hier…“, sagte Glinda leise.

Elphaba nickte nur, drehte dann den Kopf zur gegenüberliegenden Wand und schloss die Augen. Sie konzentrierte sich stark und sah die Glasschale vor ihrem inneren Auge. Dann sammelte sie alle Energie, die sie in ihrem Körper spüren konnte, genau an ihrem Brustkorb und hob beide Hände bis dort. Die grünen Hände formten eine Art Halbschale und das offene Ende grenzte an Elphabas Brust.

Erst dann hörte Glinda die leisen, aber sicheren Worte: „Roiretxe noc roiretni ed oirdiv.“ Sofort fühlte Elphaba, wie sich etwas aus ihrem Körper losriss und zwar mit einer solchen Energie, dass ihr schwarz vor Augen wurde.

Glinda wollte aufschreien, als sie sah, wie etwas in Elphabas Händen zu leuchten begann, doch sie hielt sich in letzter Sekunde noch die Hand vor den Mund und unterdrückte den Schrei. Elphabas Gesicht war zu einer Schmerzensmaske verzogen: ihre Lippen waren aufeinandergepresst, um ihre Nase bildeten sich Falten und auch die grüne Stirn war zusammengezogen. Wie ein Blitz schoss der Lichtball plötzlich aus Elphabas Händen und Glinda musste mit ansehen, wie der grüne Körper kraftlos in sich zusammenfiel. Nun lag Elphaba auf der linken Seite, ihre Hände hielt sie noch immer vor der Brust und Glinda saß hilflos daneben.

„Glinda… Fass mich auf keinen Fall an…“, hörte die Blondine die Worte ihrer Freundin im Ohr.

Also saß sie starr neben Elphaba und wusste nicht, was sie nun tun sollte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern und Glinda merkte, wie die Angst in ihr aufstieg.
 

Elphaba sah, wie ihr Körper zur Seite fiel und die schöne blonde Frau sich erschrocken die Hand auf den Mund presste. Beim ersten Mal hatte es sehr lange gedauert, bis ihr visueller Sinn sich von den anderen abgespaltet hatte. In sekundenschnelle wechselte plötzlich das Bild und sie konnte nur noch Wolken erkennen. Dann sah sie Chisterys Arme, die in einem merkwürdigen Winkel um sie gesponnen waren und erkannte, dass dies die Sicht aus der Glasschale sein musste. Im regelmäßigen Takt glitten die Flügel des Affen an ihr vorbei. Sie konnte nichts hören oder fühlen, dennoch wusste sie, dass sie sich in der Luft befinden musste und versuchte, etwas unter ihr zu sehen. Doch sie sah nichts außer Sand. Dann verschwand das Bild und sie fiel in eine unendliche Schwärze.
 

‚Oh Oz! Sie atmet nicht mehr! Sie atmet nicht mehr….’, dachte Glinda panisch und kämpfte mit sich selbst, Elphaba nicht zu berühren. Die blauen Augen starrten auf den mageren Oberkörper der grünen Frau, der sich doch noch ganz leicht im Morgenmantel auf und ab bewegte.

Erleichtert lehnte sich Glinda wieder gegen das Bettende und starrte Elphaba weiter an. Es waren nun schon vier Minuten vergangen, doch in so einem Moment konnte das eine halbe Ewigkeit bedeuten.

Ohne Vorwarnung rutschte Elphabas untere Körperhälfte etwas nach links, sodass die Hexe nun mit dem Rücken auf dem Boden lag, die grünen Hände noch immer auf dem Brustkorb liegend. Mit gleicher Geschwindigkeit zog sich Elphabas Oberkörper in die Höhe, doch ihr Kopf schien im Nacken kraftlos dazuhängen. Ihr langes, rabenschwarzes Haar berührte den Boden des Schlafzimmers und Glinda bekam es erneut mit der Angst zu tun.

Als Elphaba plötzlich nach Luft schnappte und dabei ein Geräusch von sich gab, als würde jemand ihre Atemwege abdrücken, war Glinda sofort neben ihr, jedoch sagte sie nichts.

Aus dem Augenwinkel sah sie wieder den leuchtenden Ball, doch als sie sich umdrehen wollte, bemerkte sie, wie der Ball wieder in Elphabas Hände schoss und Glinda glaubte gesehen zu haben, wie er dann durch Elphabas Brust in dem grünen Körper verschwunden war.

Sofort fiel der grüne Körper kraftlos nach hinten und Elphies Kopf donnerte auf den Boden auf. Reflexartig schossen Glindas Hände nach vorne, doch sie riss sich abermals im letzten Augenblick zusammen, sodass ihre zartgliedrigen Hände neben den grünen Ohren innehielten.

„Glin…“, keuchte Elphabas atemlos und endlich nahm Glinda den grünen Kopf in ihre Hände. Dann beugte sie sich weinend über ihre Freundin.

„Elphie… Elphie, ich bin hier. Ich bin hier. Geht es dir gut? Kannst du mich sehen?“, fragte Glinda panisch, als Elphaba langsam die Augen öffnete.

„Ein blonder Engel…“, flüsterte Elphaba und versuchte zu kichern, was ihr jedoch misslang und sie musste schrecklich husten.

Glinda hob Elphaba auf und schloss sie in ihre Arme, sodass nun der grüne Rücken an Glindas Brustkorb grenzte.

„Du solltest lieber keine Witze machen!“, kicherte sie und strich mit der rechten Hand über Elphabas rechte Wange. „Geht es dir gut?“, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.

„Mir ja… aber wie geht es dir?“, fragte Elphaba, noch immer atemlos. Ihr war etwas schwindelig und erst nach und nach bekam sie wieder ein Gefühl für ihre Arme und Beine.

„Mir? Wieso mir?“, fragte Glinda verwirrt und hörte auf, die grüne Wange zu streicheln.

„Ich habe gesehen, wie geschockt du reagiert hast, als mein Körper umgefallen ist.“, sagte die Hexe trocken.

„Du hast… was?“

Elphaba erzählte ihr, was sie erst gefühlt und dann nur noch gesehen hatte. Sie erzählte ihr von Chistery und dem Sand, aber auch von dem Raum, in dem sie die ersten Sekunden noch gewesen war.

„Dein Affe hat die Glasschale und fliegt damit über Sand?“, fragte Glinda verwirrt. Diese ganze Sache machte keinen Sinn für sie.

„Ich verstehe es auch nicht. Es war unter mir nur Sand zu sehen und um mich herum waren Wolken. Ich habe keine Ahnung, wohin er damit fliegen will und vor allem habe ich keine Ahnung, aus welchem Grund er meine Glasschale mitgenommen hat!“, meinte Elphaba und richtete sich stöhnend auf. Glinda ließ sie los und sah, wie ihre Freundin sich abermals im Schneidersitz gegenüber von ihr setzte.

Die blonde Frau nahm dies als Zeichen, dass es ihrer Elphie wieder etwas besser ging und lächelte sie an: „Wie wäre es erstmal mit einem Schluck Kaffee?“

„Der von heute Morgen? Nein danke!“, wehrte Elphaba mit einem angeekeltem Grinsen ab.

„Elphie, wir haben erst kurz vor elf!“, bemerkte Glinda mit einem Blick auf die Standuhr.

„Oh, wirklich?“, fragte die Hexe überrascht und drehte sich um. „Tatsächlich!“, sagte sie erstaunt, „Dann lass uns mal gehen!“
 

Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter, nahmen sich die Kaffeekanne und zwei Tassen und setzten sich damit auf das Sofa vor dem Kamin, dessen Feuer noch immer leicht brannte. Die ganze Zeit fragte Glinda Elphaba über den Sinneszauber aus. Sie hatte so etwas noch nie gesehen und es gab kaum Leute in Oz, die so etwas schon einmal miterlebt hatten.

Als Glindas größte Neugierde gestillt war, saßen sie schweigend nebeneinander und nippten an ihrem Kaffee.

„Aber Elphaba…“, begann Glinda nach einer Weile wieder von Neuem, was die Hexe grinsen ließ, „Eins verstehe ich aber immer noch nicht… Wieso hat der Platzierungszauber nicht funktioniert und der Sinneswechselzauber schon? Der Platzierungszauber ist doch normalerweise viel einfacher… Wieso konntest du die Glasschale nicht sehen, aber durch sie hindurch sehen?“

Elphaba legte ihre Füße auf den Wohnzimmertisch und schwieg. Darüber hatte sie die ganze Zeit schon nachgedacht und sie konnte nicht glauben, dass der Grund dafür wirklich der war, den sie sich vorstellte.

„Elphaba?“, fragte Glinda nach einer Weile.

„Wie? Was? Hast du mich eben etwas gefragt?“ Die dunklen Augen sahen die Blondine fragend an.

Glinda kicherte und wiederholte ihre Frage geduldig.

Plötzlich wurde Elphabas Gesicht ernst, als sie sagte: „Weil man Dinge, die sich außerhalb von Oz befinden, nicht mehr zurückholen kann!“

„Was?!“, schoss es aus Glinda heraus, die ihre Freundin nun ungläubig anstarrte. Schnell stellte sie den Kaffe auf den Tisch, um nicht vor lauter Schreck noch etwas zu vergießen.

Elphaba sagte nichts und ging ihre Theorie noch einmal im Kopf durch.

„Elphie, das macht doch keinen Sinn… Erstens ist es nicht einmal bewiesen, dass es noch etwas außerhalb von Oz gibt und zweitens, wenn es wirklich etwas außerhalb des Landes geben sollte, wieso sollte dann dort der erste Zauber nicht funktioniert haben, der zweite aber schon?“

„Hast du mal im Grimorium gelesen?“, fragte Elphaba und merkte erst danach, was diese Frage bedeutete. Glinda war es unangenehm, dennoch gab sie ehrlich zu: „Nein… Ich konnte es einfach nie öffnen… Aber bitte lass uns da ein andermal drüber sprechen…“

Elphaba wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte oder eher nicht. Denn das Glinda das Buch nie geöffnet hatte, bedeutete auch, dass sie nie das Lied gesehen oder gelesen hatte…

„Wieso fragst du?“, unterbrach Glindas Stimme die Gedanken der grünen Frau.

„Weil die mögliche Erklärung zu dieser Sache dort drin steht.“

„Die da wäre?“, meinte Glinda mit einem Grinsen, welches Elphaba ihr in Anbetracht der dritten Wiederholung des Satzes zurückschenkte.

„Es steht darin, dass es in Oz zwei Magiekreise geben soll. Der erste ist der kleinere von beiden. Er geht bis zu den Grenzen des Landes und er endet demnach vor den Bergen und den Wüsten, die wir nur ansatzweise kennen. Der zweite Kreis jedoch, so steht es im Buch, geht noch weiter und zwar reicht er bis zu den Bergspitzen und bis in die Mitte der Wüsten.“

„Das wusste ich ja gar nicht!“, unterbrach Glinda erstaunt.

„Die Lehre der Magiekreise ist in Oz auch kaum verbreitet und ich glaube, ich weiß, warum. Das Wissen über solche Kreise hat in früheren Jahren nämlich böse Zauberer dazu veranlasst, eigene Wirkungskreise zu legen und in diesen ihre Bevölkerung gefangen zu halten. Darum hat man damals kurzerhand beschlossen, jegliche Aufzeichnungen darüber zu verbrennen und mit organisierter Propaganda hat man es geschafft, dass diese Lehre als Gerücht abgetan wurde.“

„Woher weißt du das alles?“ Glinda war noch immer verblüfft.

„Ich kann lesen!“, grinste die Hexe.

„Haha…“, machte Glinda ironisch und streckte der Frau gegenüber von ihr die Zunge heraus.

„Nana! Das ist nicht gerade damenhaft!“

„Lenk nicht ab, erzähl schon!“, drängte Glinda sie. In ihren Augen stand neben Neugier auch großer Wissensdurst und Verwunderung.

„Es steht als Erklärung im Grimorium. Ich habe es selbst nicht geglaubt, vor allem, weil ja dort stand, alle Aufzeichnungen wären verbrannt worden. Aber wahrscheinlich ist dieses Buch schon so uralt, dass man einfach nicht riskieren konnte, die größte Aufzeichnung der Magie zu verbrennen. Nebenbei bemerkt ist das auch der Grund, warum beinahe niemand mehr die Schrift lesen kann: die Aufzeichnungen stammen noch aus Urzeiten und damals gab es eben auch noch eine andere Schriftart. Wie dem auch sei… Mein eigentlicher Punkt ist, dass Chistery sich im Zwischenraum dieser Magiekreise befinden muss. Er muss die Grenze des ersten Kreises schon überflogen haben, aber befindet sich noch im zweiten Kreis. Das würde auch erklären, warum der erste Zauberspruch nicht funktioniert hat.“

Als Elphaba Glindas verwirrten Blick sah, fuhr sie fort: „Es ist nämlich so, dass die etwas einfacheren Zaubersprüche nur im Rahmen des ersten Kreises vollzogen werden können und demnach auch nur bis an seine Grenzen reichen. So zum Beispiel auch die Wetterzauberei. Wir wissen zwar über die Wüsten Bescheid, aber es ist offensichtlich, dass unsere … naja, eher alltäglichen Zaubereien nicht bis dort vordringen. Ansonsten müsste die Wüste schon grünen und blühen.

Im Gegensatz zu den weniger starken Zaubersprüchen reichen die wirklich komplizierten und somit mächtigen Sprüche bis in den zweiten Kreis hinein und sogar bis zu seinen Grenzen.

Und das dürfte auch der Grund sein, warum ich die Glasschale beim ersten Versuch nicht sehen konnte: sie befand sich außerhalb des ersten Kreises. Aber der Sinnerzauber war mächtig genug, um auch bis in den zweiten Magiekreis vorzudringen. Deshalb konnte ich durch die Glasschale gucken… Und im Umkehrschluss bedeutet das, dass Chistery sich nahe der Grenze des Landes Oz aufhalten muss. Aber ich habe keine Ahnung, warum…“

Glinda rauchte nun langsam der Kopf. Sie hatte all die Dinge nicht gewusst und war hin und weg von Elphabas Wissen … und auch von ihrer Macht.

„Ich… Ich….“, stammelte sie und Elphaba sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ich muss das jetzt erst einmal verdauen… Zwei Magiekreise… Ob meine Mutter davon weiß?“ Bei dem Gedanken an ihre Mutter trübte sich Glindas Blick, was auch Elphaba nicht entging, also sagte sie: „Auch wenn ich jetzt noch nicht verstehe, was es mit Chistery auf sich hat und auch wenn Fiyero noch immer nicht aufgetaucht ist… Ich kann das nicht mehr länger ertragen. Zum Einen meine oder unsere Unwissenheit und zum Anderen deine sorgenvollen Blicke, zu denen du allen Grund hast, Glinda. Wir müssen jetzt etwas tun!“

Glinda sah Elphaba erstaunt an, nickte dann aber dankend. „Was schlägst du vor?“, fragte sie und blickte fragend in die dunklen Augen.

„Wir müssen mit eigenen Augen sehen, was im Moment in der Smaragdstadt vor sich geht! Wenn ich meine Kette trage, wird mich niemand erkennen.“

„Daran hatte ich auch schon gedacht. Nur kann ich da beim besten Willen nicht im Morgenmantel auftauchen!“, meinte Glinda mit ernster Miene, was Elphaba grinsen ließ.

Glinda hatte lange auf dieses Gespräch gewartet, denn nun konnte sie endlich dafür sorgen, dass Elphaba sie allein lassen würde. ‚Vielleicht lange genug, damit ich meine Gedanken ordnen und zu einem festen Entschluss kommen kann….’, dachte Glinda hoffnungsvoll. Sie wollte Elphaba nicht loswerden, weil sie von ihr genervt war, sondern eher das Gegenteil war der Grund…

„Da muss ich dir Recht geben!“, nickte die grüne Frau, „Willst du nicht etwas von mir anziehen?“

„Elphie, auch hier wieder beim besten Willen… Da passe ich nicht rein…“, kicherte nun Glinda und deutete auf ihren üppigen Busen, was Elphaba erdunkelgrünen ließ.

„Wo du Recht hast… hast du Recht…“, grinste die Hexe nun und fragte: „Also, was schlägst du vor?“

Endlich kam Glinda dazu, ihren Plan in die Tat umzusetzen: „Wie heisst noch mal der kleine Ort vor Kiamo Ko?“

„Vorko… Wieso?“, fragte Elphaba verwirrt.

Glinda lachte laut auf: „Vorko? Wie originell! Wer hat sich bloß damals all die Namen einfallen lassen?!“

Elphaba musste auch grinsen: „Der Zauberer wahrscheinlich nicht, aber trotzdem würde er auch den Teil für sich beanspruchen…“

Diese Anspielung auf ihren lautstarken Disput vor Jahren an Nessas Grab ließ Glinda noch lauter lachen und auch Elphaba konnte sich vor Lachen nicht mehr halten.

Es war in diesem Moment, als beide Frauen erkannten, wie gut es ihnen getan hatte, dass sie sich über all diese Dinge ausgesprochen hatten.

Nachdem Elphaba sich wieder beruhigt hatte, während Glinda nur noch halbwegs kontrolliert kicherte, fragte sie erneut: „Was ist denn mit Vorko?“

Glinda atmete einmal tief durch, um ihr Gekicher in den Griff zu bekommen und erklärte dann: „Der Ort ist zwar nicht besonders groß, aber dort wird es doch sicher ein Bekleidungsgeschäft geben, oder?“

„Ich… naja, das nehme ich mal an…“, sagte Elphaba schulterzuckend und ahnte schon, was nun kommen würde.

„Dann würde ich dich bitten, für mich dort etwas zum Anziehen zu kaufen, inklusive… Unterwäsche, bitte.“

„Du willst, dass ICH dir etwas zum Anziehen kaufe? Kleidung? Die du dann auch anziehen musst?“, fragte Elphaba entgeistert, musste dann aber lachen.

„Ich dachte mir, ich möchte in der Smaragdstadt nicht gerade als ‚Glinda die Gute’ auffallen… Und wer würde besser neben meinem gewöhnlichen Stil einkaufen, als du?“, grinste Glinda frech.

„Na danke! Da bin ich gleich viel motivierter! Zur Strafe kaufe ich dir dann Seniorenunterwäsche!“

„Elphaba Thropp! Und so etwas aus deinem Mund!“, rief Glinda aus und musste schmunzeln. Ihre sonst so reservierte Elphie machte Witze über Seniorenunterwäsche…

„Dass du überhaupt weißt, welche Unterwäsche die alten Leute tragen!“, kicherte Glinda.

„Na nun ist aber mal gut! Ansonsten überlege ich mir meine Antwort noch einmal!“, meinte Elphaba sachlich und Glinda unterdrückte einen erneuten Kicheranfall.

„Ich bin ganz artig…“ Glinda machte große Augen und klimperte spielerisch mit ihren Wimpern.

„Ich bin ja schon fast weg…“, lachte Elphaba. Doch dann erdunkelgrünte sie leicht: „Ich bräuchte dann wohl deine Größe und deine… Größe eben…“ Die grüne Freundin machte einen sehr unbeholfenen Eindruck, was Glinda ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

„He, das ist nicht komisch!“

„Doch, Elphie! Ist es!“, kicherte Glinda. Als sie Elphabas bösen Blick bemerkte, stand sie auf und lief in Richtung Küche.

„Glinda, was…“

„Bin gleich wieder daha!“, singsangte die Blondine und war schon verschwunden.

Verdutzt saß Elphaba auf dem Sofa und sah Glinda nach. Dann drehte sie sich wieder zum Kamin und beobachtete das Flammenspiel des Feuers.

„Deine Größe und deine Größe…“, murmelte sie leise, „Manchmal stellst du dich ganz schön blöd an, Elphaba Thropp!“ Lächelnd schüttelte sie den Kopf und hörte dann schon wieder Glindas Schritte.

Neugierig drehte sie sich um und sah eine hüpfende Glinda mit einem weißen Zettel in der Hand.

„Hier, Elphie!“, grinste Glinda und hielt der grünen Frau den weißen Zettel hin.

„Was ist das?“

„Meine Größe und meine… Größe!“, zwinkerte Glinda und Elphaba seufzte: „Nicht komisch, sagte ich…“

„Du wiederholst dich! Und nun ab mit dir!“ Bei diesen Worten zog Glinda die Frau an ihren grünen Händen vom Sofa hoch und in Richtung Wendeltreppe.

„Glinda, warte mal…“

Sofort blieb die blonde Frau stehen und sah die Hexe fragend an: „Was ist denn?“

„Was ist, wenn Fiyero wiederkommt?“

„Ich… schließe mich ein und tauche in der Wanne unter…“, grinste Glinda.

„Gute Tugend…“, seufzte Elphaba, „Was bist du anstrengend.“ Als sie Glindas Schmollmund sah, musste sie jedoch lachen.

„Tut mir leid, Elphie. Ich kann verstehen, dass du dir darum Gedanken machst, aber ich denke, wenn er kommt, werde ich das schon regeln können! Er kann ja sprechen…“

Elphaba war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass Glinda vor ihr mit Fiyero sprechen würde, dennoch blieb ihr nichts anderes übrig: „Gut. Erklär ihm dann einfach nur das Nötigste und bitte sag ihm ni…. Ach, ist ja auch egal. Du machst das schon, du bist ja schon groß!“

„Und nackt! Naja, halb…“, grinste die Blondine.

„Glinda!“, rief Elphaba verlegen aus.

„Was denn? Wenn du dich nicht beeilst, dann wird der Zustand auch noch eine Weile andauern… Also, husch, husch…“ Bei den letzten Worten machte Glinda eine passende Handbewegung und scheuchte Elphaba die Treppe hinauf.

„Sag mal, willst du mich loswerden?“, lachte Elphaba.

„Nein… Ich will einen BH!“
 

„Elphabaaaaa….“, rief Glinda genervt, „Komm rahaaauuus….“ Sie saß am Bettende, ihre Beine hingen herab und sie blickte erwartungsvoll auf die noch immer geschlossene Badezimmertür.

Elphaba stand im Badezimmer. In einer Hand hielt sie den Pullover, den Glinda in ihrem Kleiderschrank gefunden hatte und der bestimmt schon über fünf Jahre alt war und in der anderen Hand hielt sie den dazugehörigen schwarzen Rock. Als sie Glindas Stimme hörte, ließ sie den Rock einfach fallen und öffnete die Tür. Sie war so genervt von diesem Pullover, dass sie ganz vergaß, sich den Morgenmantel überzuziehen.

„Glinda, ich kann das hier nicht anziehen! Das … passt einfach nicht zu mir!“ Elphaba stand jetzt vor dem geöffneten Kleiderschrank und hielt den Pullover mit ihrer rechten Hand in die Höhe.

Glinda rang nach Atem… Elphaba trug eine schwarze Unterhose mit passendem Oberteil und… mehr nicht. Ihr smaragdischer Körper stand im starken Kontrast zu der schwarzen Unterwäsche, was die grüne Haut noch intensiver wirken ließ. Glinda konnte es an einer Hand abzählen, wie oft sie den straffen Bauch oder die langen, dünnen Beine schon so gesehen hatte. Ihre Haare hatte Elphaba zu einem Knoten zusammengebunden und nur ein paar Haarsträhnen fielen über ihre trägerfreien Schultern. Die Schlüsselbeine standen etwas hervor und plötzlich hatte Glindas das Bedürfnis, sich ganz nah vor die Freundin zu stellen und mit den Fingerspitzen sanft über die grünen Schlüsselbeine zu streicheln. Glinda nahm überhaupt nicht wahr, dass Elphaba sich genervt zu ihrem Schrank umdrehte, um nach einem besseren Oberteil zu suchen, denn die Blondine sah nur den grünen Rücken und bemerkte dann, dass Elphabas Slip nur ihren halben Po bedeckte. Schnell schnappte sie nach Luft, bevor sie sich mit aller Macht gegen die aufs Neue aufsteigenden Gedanken wehrte.

‚Elphaba Thropp…’, dachte Glinda, ‚Jetzt wird es wirklich Zeit, dass du gehst. Ansonsten vergesse ich mich!’

Mit bloßer Willenskraft schaffte es Glinda, auf Elphabas Hinterkopf zu starren und ihren Blick nicht wieder abschweifen zu lassen: „Elphie? Was machst du da?“

„Nach einem gescheiten Pullover suchen!“

„Das da in deiner Hand IST ein gescheiter Pullover!“

„Glinda…“, seufzte Elphaba und drehte sich um. Die Muskeln unter ihrer Bauchdecke spannten sich leicht an.

„Nein! Keine Diskussion!“, antwortete Glinda und zwang sich, Elphabas Blick standzuhalten. „Elphie, du ziehst das jetzt an!“

„Warum um alles in Oz? Wieso tut es denn kein normaler Pullover?“

„Unsere Ansichten von normal unterscheiden sich ein wenig, aber stell dir mal vor, die Menschen aus Vorko erinnern sich an die Hexe, die andauernd nur in schwarzen Sachen herumlief? Keine Frau mit langen, schwarzen Haaren in Oz zieht sich mehr komplett schwarz an. Ich will einfach nicht, dass du auffällst!“

Elphaba fand, dass Glinda nun ein wenig arrogant klang, aber mit dem zweiten Teil ihrer Aussage hatte sie nun mal Recht: „Ist ja gut, ist ja gut!“

Seufzend warf Elphaba ihre Hände in die Luft, drehte sich um und marschierte ins Badezimmer. Glinda erhaschte schnell noch einen letzten Blick auf Elphabas Po.

„Und gnade dir Ozma, wenn du mir dunkle Kleidung kaufst!“, rief sie Elphaba kichernd nach.
 

„Wieso findest du Sachen in meinem Kleiderschrank, von deren Existenz ich nicht einmal mehr wusste?“, fragte Elphaba seufzend, als sie die Badezimmertür wieder öffnete und in das Schlafzimmer trat.

Glinda klatschte vor Freude in die Hände und grinste: „Pink passt so gut zu grün!“

„Kommt mir irgendwie bekannt vor… dieser Satz!“, zwinkerte Elphaba. Glinda hatte ganz hinten in ihrem Kleiderschrank einen alten, weißen Pullover gefunden. Die Ärmel begannen zu beiden Seiten mit einem grünen Streifen, worauf ein pinker folgte und am Ende der Ärmel bildete ein schwarzer Streifen den Abschluss. Ihre braune Tragetasche hatte sie sich umgehängt und zog sich nun die Kette an, an welcher die Träne der heiligen Aelphaba baumelte.

„Die Zeit verändert alles…“, flüsterte Glinda erstaunt. Es war immer noch ungewohnt, Elphabas sonnengebräunte, aber dennoch normale Hautfarbe zu betrachten und jedes Mal verblüffte es Glinda aufs Neue.

Elphaba seufzte, als sie an sich herunter sah: „Kann ich so gehen?“

„Natürlich, Fräulein Elrik. Schließlich habe ich ja auch dieses fabelhafte Oberteil, passend zu ihrem schwarzen Rock ausgesucht! Wenn ich Sie nun auf der Straße treffen würde, dann würde ich Sie wahrscheinlich gar nicht mehr wiedererkennen!“, kicherte Glinda.

„Ich habe dir ein Bad eingelassen, Liebes!“, entgegnete Elphaba zärtlich und ignorierte Glindas Albernheit. Glinda hatte zwar am Morgen schon ein Bad genommen, aber dieses Bad war ein besonderes… Sie wollte so schnell es ging wieder zurück sein, damit nicht zufälligerweise Fiyero und Glinda ohne ihr Beisein aufeinandertreffen würden.

„Oh, danke dir! Wo ist eigentlich dein Besen? Oder willst du den ganzen Berg zu Fuß hinab gehen?“, fragte Glinda und sah sich suchend im Raum um.

„Nein, der Besen müsste noch unten im Hof stehen. … Gut, ich bin dann mal weg und ich beeile mich! Damit wir so schnell wie möglich losziehen können!“

„Ist gut. Bis später dann!“, sagte Glinda, stand auf und umarmte die normalfarbige Freundin kurz. Dann verschwand sie ins Bad.

Als Elphaba hörte, wie Glinda summend in die Wanne stieg, lächelte sie und murmelte: „Nein, die Zeit verändert vielleicht vieles, aber nicht alles…“

Erst dann machte sie sich auf den Weg nach Vorko.
 

Glinda ließ sich seufzend in das warme Wasser der Wanne gleiten und tauchte kurz unter. Durch das Panoramafenster konnte sie noch sehen, wie Elphaba auf ihrem Besen in Richtung Vorko flog und bald nicht mehr zu erkennen war. Erst als die Hexe aus ihrem Blickfeld verschwunden war, schloss Glinda die Augen und fühlte, wie sich ihr Körper in dem warmen Wasser entspannte.

Mit einem Mal wusste sie, warum Elphaba ihr dieses Bad eingelassen hatte…

Sie atmete den Duft von Gillikinrose tief ein und war Elphie dankbar dafür, dass sie diesen Duft gewählt hatte. Nach dieser schrecklichen Nacht hatte die schöne Blonde sich nicht mehr getraut, den wohligen und entspannenden Duft einzuatmen. Doch nachdem sie die ganze Geschichte hatte erzählen können, war dieser Duft nun wieder entspannend, auch, wenn ihre Erinnerungen dadurch etwas lebendiger wurden.

In Gedanken öffnete Glinda einen Schuhkarton und packte jede einzelne Erinnerung sorgfältig dort hinein. Dann schloss sie den Deckel und stellte den Karton in einen Schrank.

Noch immer mit geschlossenen Augen griff sie nach dem Haarwaschmittel, welches Elphie für sie auf den Badewannenrand gestellt hatte und massierte die kühle Flüssigkeit in ihr nasses Haar.

Nach einer halben Stunde entspannen und summen, wusch Glinda ihr Haar aus und stieg aus der Wanne. Dann trocknete sie sich ab, wickelte ihre blonden Locken in ein Handtuch und schlüpfte wieder in den Morgenmantel.

Mit nackten Füßen tippelte sie zum Bett und ließ sich seufzend mit dem Rücken zuerst auf die weichen Kissen sinken. So lag sie dort weitere zehn Minuten und starrte an die Decke.

‚Jetzt ist Elphie endlich weg und meine Gedanken schwirren ungeordnet in meinem Kopf herum… Das darf doch nicht wahr sein!’, dachte sie, setzte sich auf und suchte in Elphies Nachttisch nach einem Blatt und einem Stift.

Als sie beides gefunden hatte, setzte sie sich auf und lehnte ihren Rücken an das Kopfende des Bettes. Die Knie zog sie an und legte das Blatt darauf. Mit einem gekonnten Griff wickelte sie sich das Handtuch vom Kopf, aus welchem dann die angetrockneten, blonden Haare fielen und legte es neben sich.

„Schreib es auf, Glinda… Schreib es auf…“, ermutigte sie sich selber und als sie den Stift ansetzte, füllte sich das weiße Blatt wie von selbst…
 

Nach einer halben Stunde schreiben, wieder durchstreichen und korrigieren betrachtete Glinda zufrieden ihr Werk.

„Gedichte schreiben hilft immer…“, lächelte Glinda. Ihr kam es vor, als würden sich ihre Gedanken immer dann ordnen, wenn sie sie dichterisch verpacken wollte.

Nun war sie in der Lage, die ganze Sache auch ohne Reime oder Metaphern zu durchdenken, denn im Gegensatz zu Elphaba hatte sie nicht das Bedürfnis, die Worte aussprechen zu müssen.

‚Ich fange am Besten mit den Gedanken an, die seit diesen Tagen wieder so penetrant in meinem Kopf herumschwirren, sodass ich mich immer wieder zurückhalten musste… Ich musste mich meinen Gefühlen gegenüber Elphaba nie wirklich stellen, weil sie immer im entscheidenden Moment weggelaufen ist… Und jetzt habe ich keine andere Wahl – ich MUSS eine Entscheidung treffen.

Ja, es ist nun einfach an der Zeit, dass ich mir eingestehen muss, dass meine Gefühle für Elphaba Thropp über Freundschaft hinaus gehen… Ich verstehe mich selber kaum, aber es ist das, was ich fühle. Aber was genau fühle ich… Es ist doch nicht normal, wenn eine Freundin dich berührt und dir ganz warm und kribbelig wird… Es ist nicht normal, dass ich am liebsten rund um die Uhr ihre Nähe und Wärme spüren möchte und es ist doch auch nicht normal, dass ich das starke Bedürfnis verspüre, sie zu berühren… sie in meine Arme zu nehmen… sie zu streicheln und küssen… Die Frage ist natürlich auch, was ist normal… aber unter Freundschaft verstehe ich etwas anderes!

Und nun bin ich an dem Punkt angelangt, an welchem ich sagen muss: Es ist mehr. Ich bin nicht in der Lage, genau zu definieren, was ich genau für Elphaba fühle… Ich weiß nicht, ob es Liebe ist, denn ich finde, Liebe ist ein solch abstrakter Begriff, dass man ihn für sich selber definieren muss und wenn ich unbedingt einen Begriff dazu nennen müsste, würde ich wohl sagen: Ich bin verliebt in sie.

Und ich weiß auch, dass es schon lange so ist, aber nach ihrem damaligen Verschwinden habe ich den Entschluss gefasst, nie, nie, nie mehr wieder über Elphaba in dieser Art und Weise nachzudenken.

Denn jedes Mal, wenn diese Gedanken wieder und wieder auftauchten, wurden sie durch Elphabas Verschwinden unterbrochen. Ich hatte nie die Gelegenheit zu erfahren, was ich für sie fühle, geschweige denn was sie für mich fühlt…

Nach all den Jahren sollte sich dieses Thema abgekühlt haben - so hatte ich gedacht und auch gehofft… Aber schon am See musste ich erkennen, dass es nicht so war…

Es hat schon gereicht, dass sie mich nur angelächelt hat und sofort kamen die Gefühle wieder… Dieses Kribbeln, die Unsicherheit… einfach alles. Und es kam mir vor und das kommt es auch jetzt noch, als wären diese Gefühle noch stärker als früher.

Diese ganze Sache ist schon kompliziert genug und ich habe jetzt einfach das dringende Bedürfnis, mich für eine Seite klar zu entscheiden. Die Frage ist ganz einfach: Was mache ich jetzt? Welchen Weg wähle ich? Sage ich ihr das alles oder unterdrücke ich jegliches Gefühl und hoffe dann auf Gefühlsabbau?

Mich stört einfach die Tatsache, dass ich mit dem Kopf versuche, eine Entscheidung über meine Gefühlswelt zu fällen und ich weiß genau, dass das eigentlich nicht möglich ist. Zumindest nicht für mich… Für Elphaba vielleicht schon, aber ob ich das schaffen würde, weiß ich nicht…

Ich habe die letzten Tage ziemlich viele Anspielungen gemacht und Elphaba hat auf keine einzige reagiert…’

Glinda seufzte und erinnerte sich an Elphabas Worte: „…Ich konnte unmöglich mit dir abschließen, in dem Wissen, dass meine Gefühle erwidert werden…“

Das war das einzige Mal gewesen, bei dem Elphaba nicht die passenden Worte gefunden hatte…

‚Oder eben genau die passenden…’, dachte Glinda.

„Nachdem du dich aus dem Staub gemacht hast, blieb mir nur noch Fiyero…“, hörte Glinda nun ihre eigene Worte…

‚Und das war doch wohl eine eindeutige Anspielung… oder etwa nicht?’, fragte sie sich in Gedanken, ‚Auch auf meine Worte in der Bibliothek hat sie eher abweisend reagiert, genau wie auf den Kuss… Sie wird es vielleicht irgendwann begreifen, was ich damit gemeint habe… Aber so lange kann ich nicht mehr warten. Ich muss mich jetzt entscheiden… JETZT!

Jetzt, nach all den Jahren habe ich meine Elphie wieder… Sie hat mich verletzt und mich enttäuscht… Sie hat sich entschuldigt und mich gerettet… Aber das wichtigste ist: Sie hat auch MIR alles verziehen… Und ich glaube… nein, ich weiß, dass ich sie nicht noch einmal verlieren will oder kann… Das würde ich nicht aushalten. Ich brauche einfach ihre Nähe. Sie tut mir so gut und ich kann das, was ich hier und jetzt wiedergeschenkt bekommen habe, nicht einfach so gefährden, nur, weil meine Gefühle meinen, sie müssten auf dem Tisch tanzen… Außerdem befinden wir uns beide in einer Situation, deren Ende wir nicht vorhersehen können und ich will nicht, dass wir uns schon wieder mit offenen Fragen trennen… Das will ich eigentlich gar nicht denken, aber auch diese Möglichkeit beschäftigt mich sehr… Wir wissen nicht, was uns in der Smaragdstadt erwartet und ich kann jetzt nicht riskieren, dass etwas zwischen uns steht, wenn wir uns auf den Weg dorthin machen…

Dafür bedeutet sie mir zu viel… Es ist mir egal, was passiert, aber ich will sie auf keinen Fall verlieren… Vielleicht kommt irgendwann einmal der Tag, an welchem ich ihr all das sagen werde, aber dieser Tag wird bestimmt nicht heute, nicht morgen und auch nicht in absehbarer Zeit sein…

Ich, Glinda, entscheide mich hier und jetzt nun dafür, meine Gefühle für Elphaba Thropp, die über Freundschaft hinaus gehen, in einen Schuhkarton zu packen und ihn zuzukleben… Das scheint mir der beste und klügste… aber auch einfachste Weg zur Zeit zu sein.

Alles andere würde die ganze Sache nur noch komplizierter machen… Und das weiß ich.’

Erschöpft ließ Glinda sich in die Kissen hineinsinken. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Sie fühlte sich einerseits erleichterte, aber andererseits tat diese Entscheidung auch weh…

Mit den letzten klaren Gedanken packte sie das Thema ‚Elphaba Thropp’ in einen Karton und verschloss ihn sorgfältig. Danach schlief sie erschöpft ein.

Elphaba & Frieda: http://wickedryu.deviantart.com/art/Snowy-Playtime-99546779

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Kapitel 43
 

Der kleine Trupp von Männern und einer Vogelscheuche war nun schon mehrere Stunden unterwegs gewesen. Die Morgensonne brannte den Männern auf der Haut und Londaro zog keuchend seine Handschuhe aus: „Ich glaube… ich habe mich zu warm angezogen!“

Fiyero grinste: „Wer hätte gedacht, dass marschieren so anstrengend ist?“

„Lach du nur, du wirst ja nicht müde! Für gerade mal neun Uhr ist die Sonne sehr warm! Aber der Schnee könnte noch zu einem großen Problem werden! Er liegt so hoch, dass wir an bestimmten Stellen nicht durchkommen werden… Das fürchte ich zumindest, denn er will offensichtlich nicht schmelzen!“

„Wo denn, zum Beispiel?“, fragte Fiyero neugierig und verlangsamte seinen Schritt, da Londaro außer Atem war. Die meiste Zeit hatten sie geschwiegen, da das Marschieren im teilweise kniehohen Schnee sehr anstrengend gewesen war. Doch nun gingen sie über ein weites Feld, auf welchem der Schnee nur knöchelhoch lag.

„Hinter diesem Feld liegt die Grenze zum Winkie-Land. Da liegen auch die beiden, großen Seen: einmal der Restsee und einmal der große Kallensee. Aber da die beiden Seen so eng beieinander liegen, gibt es nur einen schmalen Durchgang und der wird aller Wahrscheinlichkeit nach voller Schnee liegen!“

„Wieso schicken wir dann nicht einen Boten zurück zu Accursia und bitten Sie, einen Regenschauer herzuschicken? Dann würde der Schnee schmelzen?“

„Fiyero! Daran habe ich noch gar nicht gedacht! Natürlich! Warte kurz!“, keuchte Londaro und war schon verschwunden. Der Scheuch sah dem Mann nach, der nun zum Anfang des Trupps lief und einen jungen Burschen aus der zweiten Reihe an die Seite zog. Ohne Zögern marschierte der Trupp weiter und als Fiyero an Londaro vorbeiging, rannte der junge Bote in die Richtung zurück, aus welcher sie gekommen waren.

„Wenn es stimmt, was du sagst, dann braucht der Bursche mindestens zwei Stunden, bis er Accursia erreicht hat! Wir sind allein schon drei Stunden marschiert!“, meinte Fiyero, als Londaro sich wieder zu ihm gesellte.

„Ich habe ihm gesagt, er soll zu dem Bauernhof gehen, an welchem wir eben vorbeigekommen sind. Ich denke mal, dass sie dort zumindest ein Pferd haben! Denn eigentlich können wir uns keine Verspätung erlauben! Wir wollten sie ja in den frühen Morgenstunden überraschen, aber wenn wir uns um so viele Stunden verspäten, sind sie wahrscheinlich schon wach! Da Kiamo Ko auf dem höchsten Punkt im Lande liegt, könnten sie uns sehr leicht erspähen, wenn wir über die Felder von Vorko einmarschieren…“

„Londaro, darf ich einen Vorschlag machen?“

Der Sekretär blickte den Scheuch an und machte eine einladende Geste mit seinen Händen: „Bitte, nur zu!“

„Kiamo Ko lässt sich über zwei Wege erreichen: Der erste, den wir geplant hatten zu nehmen, ist der über Vorkos Felder. Es ist ein ebener Weg und auch nicht anstrengend, aber nur bei Nacht zu empfehlen.

Darum lautet mein Vorschlag im Falle einer ausschlaggebenden Verspätung: Lass uns den zweiten Weg nehmen. Vom Restsee gehen zwei große Flüsse ab, nämlich der Gillikin- und der Vinkusfluss. Wo der Gillikinfluss mündet, sagt der Name ja schon, aber der Vinkusfluss entspringt an zwei Stellen den großen Kallen. Und eine dieser Stellen liegt ganz in der Nähe von Kiamo Ko.

Im Umkehrschluss bedeutet dass, dass der Fluss im Restsee mündet und wir ihn nur entlanggehen brauchen. Er wird uns durch die großen Kallen im Schutz der Berge und des Waldes ganz in die Nähe von Kiamo Ko führen! Dazu muss ich wohl sagen, dass ein Marsch durch die Berge wahrscheinlich auch etwas von unserer Zeit stielt, die wir ohnehin nicht haben, aber wenn wir uns um mehr als zwei Stunden verspäten sollten, könnte es sein, dass die beiden uns in der Morgensonne kommen sehen. Diese Chance haben sie nicht, wenn wir uns im Wald aufhalten.“

„Fiyero… Alle Achtung! Ich hatte keine Ahnung, wo der Vinkusfluss seinen Ursprung hat! Wenn wir diese Route nehmen, dann macht eine kleine Verspätung auch nichts aus! Wir hatten ja geplant, den Gillikinfluss entlang zu gehen, denn der läuft einmal quer durch Vorko. Aber so wie es aussieht, werden wir uns mindestens um fünf Stunden verspäten!“

„Das würde bedeuten, wir wären erst gegen elf Uhr morgen früh auf Kiamo Ko?“

„Richtig. Der Engpass zwischen den beiden Seen müsste gleich vor unseren Augen auftauchen. Dahinter liegt die Brücke, die uns über den Gillikinfluss bringt. Durch den Schnee liegen wir jetzt schon eine Stunde hinter der geplanten Zeit. Ich hoffe, Auria regelt das mit dem Schnee für uns!“

„Kennst du dich also nicht in den großen Kallen aus?“, fragte Fiyero schlussfolgernd.

„Nein!“, grinste Londaro ihn an und fügte hinzu: „Weder ich noch irgendein anderer aus diesem Trupp! Damit ist ja wohl klar, wer uns dann führt!“

„Mir bleibt wohl nichts anderes übrig!“, lachte Fiyero achselzuckend.

„Lass uns mal nach vorne gehen und dem Oberbefehlshaber die Planumstellung mitteilen…“, meinte Londaro und zog Fiyero an seinem Stroharm hinter sich her.

Nach einer weiteren Stunde kamen die Männer an dem Engpass an und wie erwartet war dieser völlig zugeschneit. Fiyero versuchte in seinem Wagemut, einen Weg zu finden und löste dabei eine kleine Lawine aus, welche ihn sofort unter sich begrub. Die anderen Männer hatten in einem sicheren Abstand gewartet und eilten dann sofort zur Hilfe, als Londaro sich daran machte, den Scheuch wieder auszubuddeln.

„Gütiger Oz…“, flüsterte Fiyero, als sein Kopf schon wieder freigeschaufelt worden war, „Das ist glaube ich die erste Lawine in meinem Leben, die ich je gesehen habe. Wir müssen warten, bis der Durchgang begehbar ist, denn wenn wir am Vinkusfluss entlanggehen, laufen wir mitten in die Kallen hinein und ich kann euch versichern, dass dieses Gebirge auch ohne Schnee schon sehr gefährlich ist!“

Nach weiteren zehn Minuten hatten die Männer es geschafft und stiefelten gemeinsam mit Fiyero ein Stück zurück, sodass sie in sicherer Distanz zu der Schneebruchgefahr standen.

„Okay, Männer!“, brüllte der Befehlshaber und löste damit einen weiteren Schneefall aus. Dann sprach er etwas leiser weiter: „Wir lassen uns hier nieder! Legt die Thermodecken aus und zündet ein Feuer an! Verfrühte Mittagspause! Danach baut ihr sofort eure Zelte auf! Es sieht nach Regen aus!“

„Aber Sir!“, wendete sich einer der jungen Soldaten an den älteren Mann, „Der Himmel ist strahlend blau, Sir!“ Dabei machte er eine salutierende Handbewegung.

„Mein Junge, du musst noch viel lernen!“, meinte der alte Mann lachend, drehte sich um und machte sich daran, sein Allwetter-Zelt aufzubauen.

Nach ungefähr zwei Stunden sahen die Männer einen Reiter, der mit großer Geschwindigkeit auf den Trupp zuritt.

„Achtung, Männer!“, flüsterte der Kommandant so laut, wie er konnte, „Wir bekommen Besuch!“

Der Reiter jedoch hielt einige hundert Meter vor dem Trupp an, sprang vom Pferd und klatschte ihm sanft auf das Hinterteil. Das Pferd wieherte laut, drehte sich um und galoppierte davon.

Als der Mann dann zu Fuß näher kam, erkannte ihn der Kommandant: „Waffen runter, es ist Joel.“

Londaro erhob sich als Erster, als Joel nur noch einige Meter von ihnen entfernt war: „Joel, was ist geschehen?“

„Keine Sorge, ich habe die Botschaft überbracht! Zu meinem Erstaunen besaßen die Leute auf dem Bauernhof einen Eilaffen! Ich habe ihnen mein Dienstabzeichen gezeigt und sie haben mir den Affen, wenn auch widerwillig, zur Verfügung gestellt. Das war vor ungefähr einer halben Stunde. Jetzt ist es Mittag und der Affe müsste dann also gegen halb eins bei Madame Akaber eintreffen!“

„Das ist ja mal eine fabelhafte Neuigkeit!“, murmelte Londaro und bot Joel den Platz neben sich an. Die Männer hatten gerade erst ihre Zwischenmahlzeit beendet und es war noch etwas übrig geblieben, da Fiyero seine Portion nicht einmal angerührt hatte.

Als Joel davon berichtete, wie der Bauer ihm auch das Pferd zur Verfügung gestellt hatte, mit der Bitte, es danach wieder heimzuschicken, schwiegen die anderen Männer und hörten aufmerksam zu. Nur einer der jüngeren Soldaten starrte in den blauen Himmel hinauf und suchte ohne Erfolg nach den Wolken, von denen der Kommandant eben gesprochen hatte…
 

Nachdem Fiyero ihr Zimmer am früheren Morgen verlassen hatte, war Madame Akaber schmunzelnd in ihre Badewanne gestiegen. Diese ganze Geschichte entwickelte sich immer mehr zu ihrem Vorteil und das dank Fiyero. Nach einer halben Stunde schrubben, waschen und summen war Accursia wieder aus ihrer Wanne gestiegen und hatte sich angezogen. Sie schlüpfte in eine enge, schwarze Stoffhose, deren Bund bis über ihren Bauchnabel reichte. Durch ihre Zu- und wieder Abnahme war das Gewebe nicht mehr ganz so straff, doch diese Hose hielt alles an seinem Platz. Darüber zog sie eine bordeauxrote Bluse mit langen Ärmeln. Sie schlüpfte in die schwarzen Stiefeletten, sammelte Glindas Sachen ein, die Fiyero auf ihrem Schreibtisch abgestellt hatte und machte sich dann auf den Weg zum Frühstückssaal.

Die anderen Damen hatten noch eine gute Viertelstunde und Accursia stattete dem Koch einen Besuch ab. Der war gerade dabei, das Brot und die Brötchen zu backen, also ging sie zurück in den Saal. Der Tisch war zu Madame Akabers Zufriedenheit gedeckt worden und sie setzte sich in den dunklen Sessel, der am Kopfende des Tisches stand. Zwei der anderen Stühle standen rechts und die anderen beiden links von ihr. Madame Akaber musste schmunzeln… Sie hatte schon in jungen Jahren gefallen daran gefunden, wie die Hierarchie immer auf solchen Veranstaltungen sichtbar gewesen war.

Sie saß mit dem Rücken zum Fenster, sodass sie die Tür im Blick hatte. Es waren noch keine sieben Uhr gewesen, als es an der Tür geklopft hatte.

Zu Madame Akabers Vergnügen flogen erst die Vögel durch den Türspalt und erst dann trat Adlerauge in den Raum. Einer der Adler ließ sich auf Accursias Sessellehne nieder, legte den Kopf schief und starrte die ältere Frau an.

Sie tat es ihm nach, wobei ihr graues Haar zur Seite fiel, was den Vogel erschrocken wegfliegen ließ. Accursia lachte, als sie sich erhob und die Arme ausbreitete: „Guten Morgen, Adlena!“

„Guten Morgen, Accursia!“ Adlerauge drückte die Frau leicht. „Ich muss Fenster aufmachen. Vögel wollten mich noch bringen!“

„Mach nur, mach nur!“, winkte Accursia ab und nahm wieder Platz. Adlerauge öffnete das Fenster und ließ ihre Raben und Adler ins Freie fliegen.

„Setz dich doch, Kind!“, sagte Accursia und bot ihr den Platz links neben sich an.

„Danke!“, nickte Adlerauge und nahm ebenfalls Platz.

„Wir beide haben uns gestern Abend ja gar nicht mehr gesehen! Wie geht es dir? Bist du gut angekommen? Wie war deine Reise?“

„Es geht gut und ja, gut angekommen. Reise war auch angenehm!“, lächelte Adlerauge etwas unbeholfen.

„Ah, wie ich merke, warst du zu lange in Quadlingen!“, stellte Accursia sachlich fest.

„Ja, ich finde schrecklich, dass Menschen so sprechen dort. Es wird etwas dauern, aber dann ich werde wieder mich gewöhnt haben!“

Accursia lächelte sie nickend an. Adlerauge hieß in Wirklichkeit Adlena Adlerauge Uganus. Ihr Vater war ein berühmter Politiker aus Gillikin gewesen, der aufgrund einer heiklen Angelegenheit vor 37 Jahren auf einer Geschäftsreise in Quadlingen gewesen war. Dort hatte er Adlerauges Mutter kennengelernt und sich in sie verliebt. Da er dort für mehrere Jahre stationiert gewesen war, fingen die beiden eine heimliche Beziehung an. Heimlich deshalb, weil es nicht gerne gesehen wurde zu dieser Zeit, dass sich Gillikinesen eine quadlinger Dame zur Frau nahmen und drei Jahre später wurde Adlerauge geboren. Bei ihrer Geburt starb die Mutter und ihr Vater reiste mit ihr gemeinsam zurück nach Gillikin. Durch Fälschungen einiger Papiere gelang es ihm, Adlerauges wahren Geburtsort zu verschweigen und mit Madame Akabers Hilfe konnte sie auf die Shizzer Universität gehen. Natürlich nicht ohne Gegenpreis… Im letzten Jahr ihres Studiums war ihr geliebter Vater gestorben und Madame Akaber hatte sich um alles gekümmert, sodass sie mit einem Zusatzjahr noch ihren Abschluss schaffte. Erst danach erzählte sie Adlena von ihrem wahren Geburtsort und dass neben dem gillikinesischen Blut auch quadlinger Blut in ihren Adern floss.

Damals hatte sich Adlena hintergangen und betrogen gefühlt und als sie dann auch noch ihre richtige Geburtsurkunde im Schreibtisch ihres Vaters gefunden hatte, hatte sie beschlossen, wieder nach Quadlingen zurückzukehren. Accursia hatte ihr mitgeteilt, dass dort ihre letzten Verwandten lebten und Adlena hatte sich auf die Suche nach ihrer wahren Identität gemacht. Sie hatte ihren quadlinger Namen wieder angenommen und Accursia hatte jahrelang auf eine Nachricht von ihr gewartet. Vor ein paar Jahren erst hatte Adlerauge sie kontaktiert und seitdem war der Kontakt nicht mehr abgebrochen. Mit ihren 34 Jahren war Adlerauge nun in ganz Quadlingen als neues Staatsoberhaupt akzeptiert worden.

Die beiden Frauen sprachen gerade über diesen Regierungswechsel, als Stellaione pünktlich zur Tür herein stürmte, jedoch ohne vorher angeklopft zu haben.

Madame Akaber und Adleraugen erhoben sich und begrüßten sie lächelnd: „Guten Morgen Starlet!“, sagte Madame Akaber und drückte die Blondine fest. „Morgen Auria! Du siehst fabelhaft aus!“

„Stella.“, nickte Adlerauge lächelnd.

„Adlenaaa!“, war die quietschige Antwort und die etwas reserviertere Schwarzhaarige wurde stürmisch umarmt.

„Ja…“, lachte sie, „Es freut mich auch, dich zu sehen!“

Als Stella Adlerauge losließ und sich neben sie setzte, meinte sie: „Es ist schon lange her! Das letzte Mal haben wir uns wann gesehen? In der Schule?“

„Ja, glaube schon…“

„Und wie du dich verändert hast! Sieh dich an. Sehr extravaganter Stil, meine Liebe, das muss ich dir lassen. Dir stehen Federn sehr gut!“

„Danke!“, lächelte Adlena.

„Starlet, mein Kind. Wo steckt dein Mann?“

„Auria, gib es auf! Wir heiraten noch nicht! Nachher will er dann auch noch Kinder und ich sehe aus wie ein Ballon! Aber zurück zur Frage: Er steckt hoffentlich in einer Kutsche, denn er wollte so gegen acht hier sein… Also in einer Stunde. Er war auf Geschäftsreise und wurde auch durch den Schnee aufgehalten.“

„Oh, ja… Der Schnee…“, lächelte Madame Akaber und zwinkerte Stella zu.

Die drei Frauen unterhielten sich dann über Accursias Befreiung aus dem Gefängnis, zu welchem sich nur Stella, Penelope und Aylin getroffen hatten, da Adlena keine Möglichkeit gehabt hatte, zum Treffpunkt zu gelangen. Adlena war schon immer eine fleißige Schülerin gewesen und auch jetzt sog sie die Konversationen in sich hinein, um schnell wieder ihre alte Redegewandtheit aufzufrischen.

Es dauerte nicht lange, als eine junge Frauenstimme das Gespräch störte.

„Mutter!“, rief Aylin freudestrahlend und rannte auf Accursia zu. Hinter ihr schloss Penelope die Tür.

Accursia begrüßte beide Frauen lächelnd und bot Aylin den rechten Platz neben sich an. Penelope setzte sich neben Aylin und sie begannen mit dem Frühstück. Accursia fragte ihre Tochter danach, wie sie mit ihrer Pressearbeit vorangekommen war und hörte gespannt zu, als Aylin ihr alles erzählte.

„… und demnach weiß ganz Oz nun Bescheid über die offizielle ‚Krönung’, die heute Abend stattfindet.“ Bei dem Wort ‚Krönung’ wackelte Aylin mit ihren beide Zeigefingern auf und ab. „Auch die kleinsten Orte und die minderbemittelten Völker!“, fügte sie noch stolz hinzu.

„Genau so habe ich mir das vorgestellt!“, meinte Accursia. „Aber Liebes, ich muss dich um einen erneuten Gefallen bitten… Während deiner Abwesenheit hat sich einiges getan und es gibt eine kleine, aber feine Planänderung.“

„Die da wäre?“, fragte Penelope mit vollem Mund, wofür Stella sie mit einem strafenden Blick ansah. Penelope streckte ihr die Zunge heraus.

Madame Akaber berichtete den Frauen über ihren Plan, Glinda die Gute, sowie die böse Hexe des Westens zu einem Sappho-Pärchen zu machen. Bevor die Frauen überhaupt Fragen stellen konnten, zeigte Akaber ihnen die Beweise, welche Fiyero in Glindas Zimmer gefunden hatte. Aylin fiel das Brötchen aus der Hand und verblüfft griff sie nach dem braunen Stiefel.

„Nicht wahr sein kann!“, platzte es aus Adlerauge heraus, die in ihrem Schock vergessen hatte, unter welchen Leuten sie sich befand. Stellas linke Augenbraue schoss in die Höhe und sie musterte Adlena von der Seite.

„Stella?“, fragte Accursia und hielt ihr den Hexenhut hin. Sie selber behielt das Grimorium und blätterte die erste Seite auf. „Wer von euch versteht etwas von Noten und Musik?“, fragte sie in die Damenrunde.

Aylin und Penelope sahen sich grinsend an und sagten dann zeitgleich: „Musiktherapie!“, bevor sie in schallendes Gelächter ausbrachen. Auch die anderen wussten, dass dies eine Anspielung auf den gemeinsamen Aufenthalt in der Appelstetter-Anstalt gewesen war und kicherten mit.

„Hier, bitte. Sagt mir doch mal, was das hier zu bedeuten hat!“, sagte Akaber, reichte den beiden Frauen das schwarze Lederbuch und deutete auf die Notenreihen.

Penelope hielt das Buch mit ihrer linken und Aylin die andere Seite mit ihrer rechten Hand. Nach einem kurzen Schweigen begannen beide Frauen, eine wunderschöne Melodie zu summen. Aylin summte weiter, als Penelope leise mit dem Text einsetzte.

Stellaiones Stirn legte sich in Falten und sie schaute skeptisch zu den beiden summenden und singenden Frauen hinüber. Als sie jedoch merkte, dass sie ihre Stirn zusammenzog, entspannte sie diese unverzüglich aus Angst, wirklich Falten zu bekommen.

„Jetzt verstehe ich die Worte erst…“, murmelte Madame Akaber nachdenklich.

„Das Lied wurde mit großer Zuneigung komponiert…“, flüsterte Penelope ergriffen.

Adlerauge zeigte sich unbeeindruckt. „Musik-Magie.“, meinte sie sachlich.

„Was?“, fragte Accursia neugierig.

„Musik-Magie. Solche Lieder machen erst einen Sinn, wenn sie mit der dazugehörigen Melodie erklingen. Ansonsten bleiben die Worte oder deren Botschaft schleierhaft bis unidentifizierbar.“

„Sowas!“, rief Madame Akaber aus, „Das wusste ich ja überhaupt nicht!“

„Mutter… Du warst musikalisch auch immer unbegabt und desinteressiert…“, kicherte Aylin und Madame Akaber stimmte ihr grinsend zu.

„Blätter mal bitte eine Seite zurück, Aylin und lies laut vor, was da steht.“

Aylin tat, was ihre Mutter forderte und las Elphabas Worte laut aus. Zum Erstaunen aller zog Accursia dann noch das Foto von Elphaba und Glinda aus dem Sommer 18. nach Oz aus ihrer Tasche, wofür sie einiges an Beifall erntete.

„Ich würde mal aus diesem ganzen Paradebeispiel schlussfolgern, dass der offizielle Regierungswechsel oder die Krönung, wie Aylin es vorhin so schön genannt hat, ganz ohne größere Aufstände ablaufen wird… Denn durch die nun mögliche Darstellung als Sappho werden auch einige von Glindas Anhängern das Interesse an einem Protest verlieren. Von daher dürfte uns der Missmut der Kleingruppen nur noch peripher interessieren…“, sagte Adlena in die Runde.

Stellas Augenbraue schoss wieder in die Höhe: „Paradebeispiel? Protest? Missmut? Peripher? Willkommen in deiner alten Welt, mein Mädchen!“

Adlena grinste sie an und Stella klopfte ihr anerkennend auf die Schulter.

„Sie war schon immer schnell im Lernen!“, nickte Akaber und erklärte den anderen Frauen dann, was sie nun vorhatte. Die Damenrunde war begeistert von dem hinterhältigen Plan und besonders Stella brachte noch weitere, gute Vorschläge mit ein. Als der Plan stand und auch die Feinheiten geklärt waren, wandte sich Accursia an ihre Tochter: „Aylin, was meinst du? Schaffst du das alles noch bis heute Mittag?“

„Mittag wird knapp, aber bis ein Uhr müsste ich das ohne Probleme hinkriegen! Ich weiß auch schon, an wen ich mich wende. Wir haben ja gerade mal kurz vor acht… Ich hätte also noch fünf Stunden. Reicht das auch?“

„Natürlich. Wenn du dich beeilst, bist du vielleicht zur Teepause wieder hier!“

„Das werde ich wohl schaffen! Aber wehe ihr übergeht meine Ansichten, bei eurer Regierungskonzeption!“

„Das würde uns nie und nimmer einfallen!“, grinste Penelope und zwinkerte der jüngeren Frau zu.

„Na klar, Nele.. Antisozialismus ist ein Fremdwort für dich!“, lachte Aylin und erhob sich. Penelope kniff ihr leicht in den Oberschenkel und die jüngere Frau sprang zur Seite.

„Ihr entschuldigt mich also jetzt. Ich nehme das hier alles mal mit…“, meinte Aylin und sammelte Glindas Sachen auf.

„Das wird eine Sensation!“, murmelte sie, als sie nach dem Foto griff, welches zwei junge Frauen unter einem Baum zeigte. „Bis heute Nachmittag!“, rief sie und war schon zur Tür heraus.

„Die Damen, es wird Zeit für unsere Konzeptionstagung!“, sagte Madame Akaber und auch sie erhob sich.

„Endlich beginnt der Spaß!“, sagte Adlerauge, als sie sich auch erhob. Stella blieb auf ihrem Stuhl sitzen und schüttelte den Kopf. Entgeistert sah sie ihre alte Freundin an: „Spaß! Deine Definition von Spaß hat sich anscheinend auch nach all den Jahren nicht geändert! Ich würde sagen: Auf geht es zum minder interessanten und staubtrockenen Teil!“

Penelope lachte: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“

Als die drei jüngeren Frauen vor Accursia aus dem Raum gingen, musste sie schmunzeln. Ja, ihre Mädchen waren alle etwas Besonderes und die eine ergänzte, was der anderen fehlte.
 

„Meredith? … Meredith? …. MERE…“ „Ja, verdammt! Ich habe dich gehört!”, schnauzte die Rothaarige den Mann an, der sie an diesen Stuhl gefesselt hatte.

„Also, was ist? Ja oder nein? Resi lebend oder tot?“, fragte Kwen mit einem abartigen Lächeln auf seinen Zügen.

„Du kennst die Antwort und hör auf, mich unnötig zu quälen!“, murmelte Meredith zerknirscht.

„Und du hör auf, mir etwas zu befehlen, ansonsten überlege ich mir das alles noch einmal!“, zischte Kwen. „Also wirst du tun, was man von dir verlangt?“

„Ja. Aber was werde ich denn sagen müssen?“

„Das wirst du noch früh genug erfahren!“

„Tze… du weißt es selber nicht!“, stellte Meredith verachtend fest. Ohne Vorwarnung gab Kwen ihr eine Ohrfeige. Ihre Wange brannte, doch sie lächelte abwertend. Die Rothaarige wusste, dass ihr Verhalten den Mann nur noch mehr provozierte, aber sie konnte sich einfach nicht zusammenreißen. Er war so ein Scheusal… Er schöpfte Macht daraus, Schwächere zu quälen und das fand sie einfach nur widerwärtig. Kwen hatte sie geohrfeigt, weil sie seine Macht infrage gestellt hatte… Das war ihr klar, also versuchte sie es erneut: „Kwen, egal was ich machen soll, ich werde tun, was ihr mir sagt, wenn ihr euch dafür um Reseda kümmert!“

„Das hört sich doch schon…“ Plötzlich wurden sie von einem lauten Klopfen an der Tür unterbrochen.

Bevor Kwen antworten konnte, stand der blonde Mann schon im Türrahmen und hielt die Klinke in seiner linken Hand.

„Ramón!“, riefen Kwen und Meredith einheitlich aus, er etwas überrascht und sie eher abfällig.

„Kwen du kannst gehen.“, sagte Ramón und hielt die Tür noch immer auf.

„Was? Aber ich…“

„Jetzt!“, sagte Ramón mit Nachdruck und Kwen erhob sich.

„Ramón, ich…“ Als Kwen Ramóns warnenden Blick sah, brach er mitten im Satz ab und ging schweigend zur Tür hinaus. Meredith wusste, dass er noch unmenschlicher sein würde, wenn sie das nächste Mal auf ihn traf, denn gerade hatte Ramón sämtliche Autorität, die Kwen gehabt hatte, untergraben.

Leise schloss Ramón die Tür und zu ihrem Erstaunen erlöste er Meredith von ihren Fesseln. Schmerzend rieb sie sich die Handgelenke, als er sich auf den Stuhl setzte, auf welchem eben noch Kwen gesessen hatte.

„Was soll das?“, fragte sie ohne Umschweife.

„Meredith, du weißt, dass das Leben deiner Frau auf dem Spiel steht, also hör mir jetzt genau zu.“, begann Ramón in ruhiger Tonlage. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Wenn du dich während dieses Gesprächs angemessen benimmst, werde ich dich zu Reseda bringen. Deal?“

„Deal.“, murmelte Mutter Meredith. Sie hatte ja keine andere Wahl…

„Wir wollen, dass du heute vor ganz Oz erklärst, dass du weißt, dass Glinda die Gute eine Sappho ist.“ Er machte eine dramatische Pause und wunderte sich, dass Meredith nicht überrascht schien.

„Lass mich raten…“, sagte sie stattdessen, „Das ist noch nicht alles?“

„Nein. Du sollst weiterhin zugeben, dass du eine Affäre mit ihr gehabt hast!“

„WAS?“, rief Meredith aufgebracht aus und sprang vom Stuhl auf. Ramón wich erschrocken zurück und sagte mit fester Stimme: „Setz dich hin.“

Sie gehorchte ihm und sagte dann: „Nein, Ramón. Das kann ich nicht! Dafür liebe ich Resi zu sehr!“

„Nenne mir ein Argument und einen neuen Vorschlag. Vielleicht überzeugst du mich.“

Meredith wunderte sich darüber, dass er im Gegensatz zu Kwen nur halb so brutal und dabei auch noch kompromissbereit schien.

Angestrengt dachte sie nach und murmelte nach einer kurzen Pause: „Wenn ich… eine Affäre mit Glinda gehabt hätte, dann hätte ich auch etwas für sie empfunden… Wieso sollte ich mich dann auf eure Seite stellen? Viel logischer wäre es doch, wenn ich sagen würde, Glinda hätte mir Avancen gemacht, aber ich wäre darauf nicht eingegangen! Und dann hätte ich mich auf eure Seite gestellt, weil… Ja, warum eigentlich?“

„Das erfährst du noch früh genug. Dein Argument ist logisch, aber ich denke, dann solltest du sagen, dass Glinda dich gezwungen hat, mit ihr ins Bett zu steigen!“

Meredith wäre diesem blonden Buckelprinzen am liebsten an den Hals gesprungen, doch sie hielt sich zurück. ‚Denk an Resi und denk logisch!’, mahnte sie sich innerlich.

„Ramón, Glinda die Gute heisst nicht ohne Grund so. Das sähe ihrem Charakter nicht ähnlich und die Menschen würden an euch zweifeln, wenn ihr so etwas behaupten würdet!“

„Nicht übertreiben, also. Gut. Dann bin ich mit deiner Version einverstanden. Du verstehst schließlich etwas von Volksregierung.“

„Ramón, worum geht es eigentlich hier?“, fragte Meredith und war ohne jegliche Hoffnung, dass Ramón ihr eine gescheite Antwort geben würde.

Zu ihrem Erstaunen sagte er: „Was soll’s. Du erfährst es heute Abend so oder so. Heute Abend wird der Regierungswechsel öffentlich bekannt gegeben. Aber bevor uns das Volk akzeptiert, müssen wir Glindas Bild schlecht machen und das soll, dank deiner Hilfe, uns auch heute Abend überzeugend gelingen.“

„Wo ist Glinda?“, fragte Meredith aus heiterem Himmel.

„Wie meinst du das?“, fragte Ramón und versuchte, seine Anspannung und Verwunderung zu verstecken, was ihm jedoch nicht gelang.

„Du hast mich schon richtig verstanden. Sie ist nicht hier, das weiß ich. Also, wo ist sie?“

Ramón sah die rothaarige Frau skeptisch an. Sie wusste mehr, als er angenommen hatte und heute Abend würde sie noch mehr erfahren. Wenn er sie nun verärgerte, könnte sie heute Abend eine große Katastrophe anrichten. Der blonde Mann konnte die Frau einfach nicht einschätzen.

„Wir wissen nicht, wo Glinda sich aufhält. Wir haben einen Anhaltspunkt, aber wenn sie dort nicht ist, wollen wir das Volk von Oz auf unserer Seite haben, bevor sie sich wieder an ihm bemächtigen kann!“, antwortete er wahrheitsgemäß.

„Ihr wollt durch falsche Propaganda also Glindas Bild in den Dreck ziehen, damit jeder sie für schlecht hält und ihr von Vorneherein kein Wort mehr glaubt?“, fragte Meredith erstaunt.

„Korrekt.“

„Ich weiß nicht, wer sich so etwas ausgedacht hat, aber ich muss zugeben, dieser jemand versteht etwas von Politik und Regierung!“, sagte sie anerkennend, obwohl sie die Vorstellung hasste, dass jemand Glindas Ruf schädigen würde. Aber sie gestand sich ein, dass sie alles für Resis Überleben tun würde, was nötig war.

Ramón ignorierte dieses Kompliment an seine Mutter: „Wir wollen, dass du heute Abend frei sprichst. Das klingt weitaus authentischer, als wenn du nur mit ‚ja’ oder ‚nein’ auf gewisse Fragen antwortest. Wir haben jetzt ungefähr elf Uhr. Und um 17 Uhr musst du mit allem fertig sein. Ich werde dich jetzt zu deiner Frau bringen. Dann werde ich euch gemeinsam auf ein Zimmer bringen, welches extra für dich und sie hergerichtet worden ist. Im Klartext bedeutet dass, sobald du über die Türschwelle trittst, wirst du nicht wieder herauskommen, bis jemand den Bann von dem Zimmer nimmt. Du brauchst es also erst gar nicht zu versuchen. Die Medikamente, die Resi braucht, stehen bereit, genauso wie ein Kleid für dich. Du kannst duschen und dich fertig machen. Um kurz vor fünf Uhr heute Nachmittag wird dich jemand abholen.“

Meredith blickte den blonden Mann verunsichert an. Sie sollte gemeinsam mit ihrer Frau auf einem Zimmer sein, in welchem sie sich frei bewegen konnte? Und das ganze sechs Stunden lang?

„Wo ist der Haken?“, fragte sie nach einer Weile.

„Reseda liegt dort hinter der Tür und wir müssen in den zweiten Stock. Ich werde sie nicht tragen.“

Hektisch drehte sich Meredith um und starrte die Tür an, auf welche Ramón gerade gedeutet hatte.

„Das ist alles?“, hauchte sie, ohne ihren Blick abzuwenden.

„Nicht ganz. Reseda wird heute Abend auch anwesend sein. Kwen wird sie begleiten, nur zur Sicherheit.“

Jetzt drehte sich Meredith um und starrte in die kühlen Augen: „Du meinst, zur Sicherheit, dass ich nichts falsches sage?“

„Wenn du es von der Perspektive aus betrachten möchtest… dann ja.“

„Aha. Und was passiert, nachdem ich das getan habe, was ihr verlangt habt? Bringt ihr mich dann um?“

„Bist du des Wahnsinns? Du und Reseda, ihr habt die größte Überlebenschance von allen, die noch dort unten sind. Aber dennoch werdet ihr alle mindestens noch drei Tage leben.“

„Super, da geht es mir gleich besser…“, murmelte Meredith ironisch.

„Hast du noch mehr Fragen, die die gemeinsame Zeit mit deiner Frau verkürzen oder aber ihr Leben?“, fragte Ramón ohne jegliche Regung auf seinem Gesicht.

„Nein.“, antwortete Meredith schnell und ihr Herz setzte einen Schlag aus.

Ohne ein weiteres Wort führte Ramón die zitternde Frau zu jener Tür und öffnete sie. Sofort schoss Meredith in den dunklen Raum und nahm die noch immer fiebrige Resi in ihre Arme. Sie redete auf die schlafende Schönheit ein, küsste sie und trug sie dann in ihren Armen aus dem Zimmer heraus. Da Reseda schlief und sich nicht festhalten konnte, hatte Meredith es schwer, auf der Treppe nicht ihr Gleichgewicht zu verlieren, doch sie schaffte es. Ramón machte keine Anstalten, ihr zu helfen und schlenderte gemütlich vor ihr auf dem langen Flur. Er wusste, dass Meredith nichts Unüberlegtes tun würde. Dafür liebte sie die Frau in ihren Armen einfach zu sehr. Er hatte zwar keine Ahnung, wie Sapphos einander lieben konnten, aber erst heute Nacht hatte er wieder festgestellt, wie bedingungslos wahre Liebe sein kann.

„Hier ist es!“, meinte er und blieb vor einer dunklen Holztür stehen. Als Meredith ihn keuchend erreichte, öffnete er die Tür und ließ die Frau passieren.

„Und denk dran, 17 Uhr!“, rief er ihr nach und deutete dabei auf die Uhr, welche an der Raumwand hing. Dann schloss er die Tür und die beiden Frauen waren allein in dem doch sehr einfachen Zimmer. Es hatte nur ein großes Fenster und kein Licht. Das Mobiliar war gerade ausreichend: Ein abgenutztes Sofa, ein Bett und ein kleiner Beistelltisch, auf welchem die Medikamente standen. Rechts lag das kleine Badezimmer mit der Toilette und Dusche.

Meredith zögerte nicht lange und legte ihre Frau auf das anscheinend frisch bezogene Bett. Sie schälte die schwitzende Brünette vorsichtig aus dem schmutzigen Ballkleid heraus und deckte den nun halb nackten Körper sorgsam mit der schweren Bettdecke zu. Als sie einen Kuss vorsichtig auf den blassen Lippen platzierte, merkte sie nicht nur, wie ihre Frau glühte, sondern auch, wie spröde ihre Lippen waren.

Schnell rannte sie zu dem kleinen Beistelltisch, welcher neben dem Sofa stand. Dort lagen drei kleinere Verpackungen, zwei Rollen Verband, ein Löffel, ein Fieberthermometer und ein Zettel. Automatisch griff Meredith nach dem Zettel und musste erst einmal tief durchatmen, bevor sie ihre Hand kontrollieren konnte und das Zittern nachließ. Dann las sie die Anweisungen, welche auf dem Zettel standen:

„Frau Schiforsan,

Ihre Ehefrau hat hohes Fieber. Folgen Sie bitte genau diesen Anweisungen:

Sie muss im Sechsstundentakt eine Metamizol-Tablette nehmen (siehe Verpackung). Geben Sie ihr jetzt davon eine.

Danach nehmen Sie bitte zwei Löffel von der pulverisierten Weidenrinde (siehe Verpackung) und vermischen diese mit kaltem Wasser. Dazu mischen Sie noch etwas von dem Vitaminpräparat (siehe Verpackung). Lassen Sie dieses Ihre Frau trinken und dann schlafen. Wenn sie aufwacht, mischen Sie ihr das zweite Glas. Diesem Rhythmus folgen Sie, bis das Fläschchen leer ist.

Stellen Sie sicher, dass Ihre Frau kalte Wadenwickel bekommt und wechseln Sie diese so oft wie nötig.

Dies alles wird ihr Fieber senken.

Menko Strawls – landesweit anerkannter Heilkünstler“

Hektisch suchte Meredith die Verpackung, auf welcher ‚Metamizol’ stand, öffnete sie und drückte eine Tablette aus der Folie. Dann rannte sie ins Bad. Als sie dort ein Glas gefunden hatte, füllte sie es mit Wasser und eilte zum Bett ihrer Frau. Beides stellte sie auf dem kleinen Nachttisch ab und setzte Reseda auf.

„Resi? Resi, bitte wach auf…“, flehte sie. Ihre Frau stöhnte nur, was aber bedeutete, dass sie nicht ohnmächtig war. Schnell schob Meredith ihr die Tablette in den Mund und setzte das Glas Wasser an ihre Lippen. Reseda machte keine Anstalten, ihren Mund zu öffnen, also drückte Meredith auf die zarten Wangenknochen, sodass die Muskulatur nachgab und der Mund sich öffnete.

Vorsichtig schüttete die rothaarige Frau etwas Wasser hinein, drückte dann das Kinn wieder nach oben und streichelte dann etwas fester über Resis Hals, sodass die Tablette ihren Weg fand und nicht drohte, in die Luftröhre zu rutschen. Abermals öffnete Meredith ihrer Frau den Mund und schaute hinein. Beruhigt stellte sie fest, dass die Tablette verschwunden war und Resi sich nicht verschluckt hatte.

Das gleiche machte sie dann auch mit dem Weidenrinden-Vitamin-Gebräu und erst danach legte sie Reseda wieder hin. Diese schien von der ganzen Prozedur nichts mitzubekommen, also beeilte Meredith sich, die Wadenwickel zu machen. Ihr dunkelgrünes Ballkleid trug sie noch immer, jedoch hatte sie ihre hochhackigen Schuhe schon im Verlies ausgezogen.

Sie schlug die Decke an Resedas Füßen zurück und umwickelte jede ihrer Waden mit den nun nass-kühlen Bandagen. Darunter legte sie ein Handtuch und deckte ihre Frau dann wieder zu.

Erneut eilte sie zum Beistelltisch, griff sich das Thermometer und steckte es Reseda unter den Arm. Sie wartete einige Minuten, bevor sie es wieder herauszog. Während der Wartezeit setzte sie sich neben Resi, streichelte über ihre nass geschwitzten Haare und küsste ihre glühende Stirn.

„Resi, mein Engel…“, flüsterte sie, „Es wird alles gut. Ich bin bei dir. Ich weiß, dass du mich hörst. Ich liebe dich… Ich liebe dich und ich bin bei dir, alles wird gut.“ Dann küsste sie noch einmal die spröden Lippen und zog das Fieberthermometer heraus.

„Gütiger Oz… 40,1 Grad…“, rief sie leise aus und sah besorgt auf das blasse Gesicht. „Wir schaffen das… Wir schaffen das! Du wirst wieder gesund!“, murmelte Meredith nun zitternd und gestand sich ein, dass sie sich gerade selber Mut gemacht hatte.

Etwas zittrig ging sie zurück ins Badezimmer, suchte einen Lappen und machte diesen nass. Dann wusch sie ihrer Frau den Schweiß ab, so gut es ihr gelang. Resi schien tief und fest zu schlafen.

Meredith beschloss, es wäre besser, Resis Schlaf nicht mehr zu stören, also sah sie sich noch einmal im Zimmer um. Gegenüber an der Wand hing ein weiterer, weißer Zettel. Leise tappste sie mit ihren nackten Füßen über den Holzboden.

„Freie Auswahl – 17 Uhr“, stand auf dem Zettel und Meredith erkannte, dass er an dem Türgriff eines Kleiderschranks hing, welcher in der Wand eingebaut worden war.

„Freie Auswahl?“, murmelte sie fragend, als sie den Schrank leise öffnete. Verblüfft betrachtete sie drei ihrer schönsten Abendkleider. Darunter standen die passenden Schuhe und links in den kleineren Fächern lag frische Unterwäsche, eine bequeme Hose und ein weites T-Shirt, ein Paar Socken und ihre Hausschuhe.

Meredith packte sich die bequemeren Sachen unter den Arm, zog ihre Pantoffeln an und ging hinüber ins Badezimmer. Leise schloss sie die Tür und drehte am Knopf der Dusche. Das Wasser sprudelte sofort hervor und Meredith schloss die Duschentür. Dann zog sie sich aus, legte das Handtuch, welches an der Wand für sie bereit hing, auf den Fußboden und stieg unter das warme Wasser.

Nach einer halben Stunde war sie geduscht, gekämmt und frisch angezogen. Sie fühlte sich wie ein neuer Mensch und endlich war die ganze Schminke aus ihrem Gesicht verschwunden. Seufzend ließ sie sich auf das Sofa fallen und wunderte sich, warum es in diesem Raum nicht kalt war. Als sie eben aus dem Fenster gesehen hatte, hatte doch überall Schnee gelegen? Erst da entdeckte sie den kleinen Heizer, der ganz hinten und etwas versteckt in der Ecke stand.

Das Gerät an der Wand zeigte gerade mal zwölf Uhr an, also langte sie nach den Medikamenten und begann, deren Beipackzettel durchzulesen.

„Die naturheilkundlich verwendete Weidenrinde enthält Salicin, das im Körper zu Salicylsäure verstoffwechselt wird und ähnlich wie Acetylsalicylsäure wirkt…“, las sie leise. Gelangweilt, weil sie doch nichts verstand, seufzte sie kurz auf. Sie hatte weiterlesen wollen, doch in dem Moment seufzte Resi und ihr Seufzen ging in ein schwaches Husten über.

Unachtsam ließ Meredith den Beipackzettel fallen und war sofort neben ihrer Frau: „Resi? Wie geht es dir?“ Sie war erleichtert, dass Reseda die Augen geöffnet hatte.

„Scheiße…“, krächzte sie und versuchte zu lächeln.

„Oh Resi, ich hatte solche Angst um dich…“

„Küss mich…“

Ohne ein weiteres Wort beugte sich die rothaarige Frau nach vorne und küsste die kranke Brünette mit all ihrer Liebe und Leidenschaft, die sie hatte.

Als sie sich voneinander lösten, erklärte Meredith ihrer Frau, was für Medikamente sie nehmen musste, wann und warum. Also mischte sie erneut den Weidenrinden-Vitamin-Trank und Resi kippte ihn ohne ein Klagen hinunter. Jedoch schnitt sie eine Grimasse, was Meredith lächeln ließ. Ihre Frau war schon wieder mehr sie selbst…

„Bah! Das schmeckt ja scheußlich!“

„Kann schon sein…“, lächelte Meredith, „Aber es soll dein Fieber senken… Apropos Fieber, das können wir noch mal messen!“ Sie machte es wie zuvor und wartete geduldig einige Minuten ab.

„Oz sei Dank… nur noch 39,8 Grad!“

„Was? Wie viel hatte ich denn eben?“, fragte Reseda entsetzt, die als bekannte Biotechnologin etwas mehr von der Funktion des Körpers verstand, als ihre politisch-orientierte Frau.

„40,1…“, sagte Meredith und sah ihre Frau abwartend an.

„Fibris septica…“, murmelte diese leise.

„Fibri-was?“

„Die Bezeichnung für plötzlich hohes Fieber… Das erklärt meinen starken Schüttelfrost… Und es wird wohl noch drei Tage dauern, bis ich wieder völlig auf den Beinen bin…“

‚Oh nein…’, dachte Meredith in Gedanken an den heutigen Abend.

„Liebes, ich mache dir jetzt noch einmal neue Wadenwickel und danach schläfst du noch etwas, ja?“

„Ja, Mama…“, grinste Reseda und schloss jedoch sofort die Augen.

„Oh und ich hole dir eine frische Unterhose!“

„Unter normalen Umständen würde ich darauf jetzt etwas erwidern, aber ich bin einfach zu kaputt!“, grinste Resi frech.

Nachdem Reseda mit ihren neuen Wadenwickeln und in frischer Unterhose wieder eingeschlafen war, schlenderte Meredith wieder zum Sofa. Dabei trat sie auf das unachtsam fallen gelassene Papier und hob es auf.

„Hm?“, machte Meredith leise, als sie sah, dass auf der sonst leeren Rückseite des Beipackzettels etwas geschrieben stand. Ihr Herz begann schneller zu klopfen, als sie sich auf das Sofa setzte und die Zeilen las:

„Meredith,

ich weiß, dass ihr in der Klemme steckt. Menko ist ein Freund von mir und hat sich dazu bereiterklärt, mir zu helfen.

Meine Zeit und das Blatt hier sind begrenzt und ganz Oz hat noch keinen wirklichen Plan davon, was kommen wird.

Ich weiß jedoch, dass sie dich benutzen wollen und hoffe, dass du den Zettel findest!

Hilfe ist unterwegs! Es wird noch etwas dauern, aber haltet durch, meine beiden!

Ich werde auch heute Abend dort sein, aber sei vorsichtig!

Halte durch, ich beeile mich!

Margo“

Verwirrt, erstaunt, aber auch erleichtert las Meredith den Zettel noch einmal.

„Margo…“, flüsterte sie leise… „Margo Blair.“
 

„Ramón!“, rief Kwen, als er sah, wie der blonde Mann den Flur hinuntereilte.

„Ah, Kwen, dich habe ich gesucht!“

„Gleichfalls. Was sollte das da bitte eben?“, fragte der offensichtlich verärgerte Mann und machte eine Geste in Richtung Keller.

„Anweisung von oben. Mer muss in guter Verfassung sein, heute Abend. Und wenn Reseda stirbt, stirbt mit ihr auch unser Druckmittel. Der Arzt meinte, ihre Erkrankung wäre nicht normal.“

„Was heißt, ‚nicht normal’?“, fragte Kwen schnippisch.

„Ihr Krankheitsverlauf sei nicht nachvollziehbar. Das Fieber wäre zu schnell zu hoch gestiegen. Er meinte, es wäre teils wegen den unmenschlichen Umständen, aber auch teils psychosomatisch. Er sagte, es wäre wahrscheinlich, dass die Medikamente alleine nichts bringen würden. Sie brauchte die Nähe ihrer Frau und da Meredith sowieso bis heute Abend wieder fit sein muss, kam eines zum Anderen.“

„Aha. Meinte er das also, der Arzt…“

„Kwen, dieser Arzt stand jahrelang im Dienste des Palastes und mit ein paar Drohungen und Edelsteinen war er von jetzt auf gleich parteiisch!“

„Du hast mich vor ihr bloßgestellt!“, schoss es plötzlich aus dem ehemaligen Sekretär heraus.

„Ich bitte dich! Dir scheint das hier alles etwas zu Kopf zu steigen! Ich glaube, ich lasse dich in einen anderen Dienst versetzen.“

„Nein, nein! Schon gut. Ich habe mich wieder gefangen…“

„Gut, dann kannst du mir das jetzt beweisen. Auch für unsere anderen Gäste wurde angeordnet, dass sie ein gebanntes Zimmer bekommen. Elanora und Gideon bekommen das am Ende des Flures, Orez und Elaine dieses hier.“, erklärte Ramón und deutete dabei auf die Tür hinter sich.

„Wozu soll das gut sein?“, fragte Kwen misstrauisch.

„Wir brauchen alle von ihnen spätestens in drei Tagen und halb tot können wir sie nicht mehr gebrauchen. Sie haben lange genug gelitten.“

„Und wer bitte hat die Zimmer mit dem Bann belegt? Deine Mutter kann so etwas doch gar nicht.“

„Domingus. Er ist durch den Schnee etwas verspätet heute Morgen angekommen.“

„Wer?“

„Domingus Wigluv. Der Freund von Stellaione Arlet.“

„Sagt mir nichts…“

„Er ist auch kein großer Zauberer, aber er kann einiges! Und Stella hat gut daran getan, ihn einzuladen.“

„Wenn er doch aber mit Stella zusammen ist, warum sind sie dann nicht beide schon gestern Abend angekommen?“

„Was weiß ich… Vielleicht musste er noch etwas erledigen. Aber das tut nichts zur Sache. Sieh zu, dass du unsere Gäste in ihre Zimmer steckst. Sie sind alle vorbereitet und pass auf, dass du nicht über die Türschwelle trittst!“

„Schon klar, ganz blöd bin ich auch nicht!“, maulte Kwen und ging die Treppe hinunter.

„Wer weiß…“, murmelte Ramón und machte sich auf den Weg, Penelope in ihrer Mittagspause einen Besuch abzustatten.
 

Elphaba flog im Schutz der Baumwipfel so nah an Vorko heran, wie es ihr nur möglich war. Dann landete sie auf einer kleinen Lichtung und versteckte ihren Besen hinter einem großen Busch. Während des Fluges hatte sie viel nachgedacht und mit sich selber gesprochen. Als ihr dabei jedoch eine dicke Fliege in den Mund geflogen war, hatte sie ihre Gedanken auf später verschoben.

Bei dem Gedanken an das dicke, schwarze Etwas in ihrem Mund spuckte die Hexe abermals aus, bevor sie sich auf den Weg in das Dorf machte.

„So, wo war ich stehen geblieben, bevor du mich gestört hast, Fliegenbein?“, fragte sie in den Wald hinein, der nach 200 Metern am Torbogen von Vorko endete.

„Achja, Glinda. Natürlich, wo sonst?“, seufzte sie. „Ich hatte also schon festgestellt, dass ich vergessen habe, Glinda nach der ‚außergewöhnlichen Freundschaft’ zu fragen… Ich habe das Gefühl, ich wüsste, was sie mir damit sagen wollte… Aber nachdem ich sie damals in der Kutsche habe gehen lassen, habe ich mir geschworen, nie mehr wieder über Glinda in dieser Art und Weise nachzudenken und auch jetzt scheint es nicht der richtige Zeitpunkt zu sein… Sie hat im Moment größere Sorgen und ich muss ihr da jetzt durchhelfen und die ganze Angelegenheit nicht noch komplizierter machen… Und was bitte würde ich mir herausnehmen, wenn ich darüber noch fachsimpeln würde?!

Nein, nein…“, Elphaba schüttelte den Kopf und merkte gar nicht, dass sie gerade durch den Dorfbogen ging, „Es ist schon richtig so. Ich habe es mir damals geschworen und ich halte mich daran. Ich wähle diesen Weg! Ich werde nicht einmal mehr darüber nachdenken! Das würde eh zu nichts führen… Ich halte mich an den Satz, an den ich mich schon mein ganzes Leben gehalten habe… Ich weiß nicht, was Liebe ist… Ich weiß nicht, was Liebe ist!“

Elphaba wusste, dass sie sich selber anlog, aber nachdem sie diesen Satz mehrere Male gemurmelt hatte, war sie wieder selber davon überzeugt.

„Liebe ist, wenn man küsst! Und meine Mama sagt, dass es ganz egal ist, wen, solange man sich dabei gut fühlt.“, unterbrach eine Kinderstimme ihr andauerndes Gemurmel und Elphaba fuhr erschrocken zusammen. Im gleichen Augenblick erklang die Turmglocke zwölf Mal hintereinander.

„Oz im Ballon, hast du mich aber erschreckt!“, sagte sie keuchend zu dem Kind.

Es war ein Mädchen mit hellrosa Haaren und violetten Augen. Sie trug ein hellblaues Winterkleid und hatte braune Stiefel an den Füßen. Ihre Haare waren zu zwei Zöpfen gebunden, an denen sie nun schuldbewusst herumspielte.

„Entschuldigung, Tante… Das wollte ich nicht.“

Reflexartig kniete sich Elphaba hin: „Ach, quatsch!“, winkte sie ab, „Ich erschrecke mich leicht, vor allem, wenn ich so viel nachdenke!“

Das Mädchen kicherte: „Das sagt meine Lehrerin auch immer!“

Elphaba lächelte das Mädchen an und hatte plötzlich eine Idee, als sie sich suchend in dem kleinen Ort umsah: „Sag mal, Kleine, hast du vielleicht eine Ahnung, wo ich hier etwas zum Anziehen kaufen kann?“

„Meine Mama hat ein Geschäft, da kann man alles kaufen.“

„Alles?“

„Jaaa!“, rief das Mädchen stolz und ihre Wangen glühten rot, „Da gibt es Kleider, Schminke, Mützen und Süßigkeiten!“

Elphaba musste lachen, als das Kind das Wort ‚Süßigkeiten’ ganz lang zog. „Kannst du mir denn vielleicht verraten, wo deine Mama ihr Geschäft hat?“

„Na klar! Komm mit!“, sagte das Mädchen freudestrahlend und Griff ohne zu zögern nach Elphabas Hand. Diese erschrak kurz und ließ sich dann jedoch von dem jungen Mädchen durch die schneebedeckten Straßen von Vorko ziehen.

„Oh, warte mal kurz…“, sagte Elphaba, als sie in einem der doch recht vielen Schaufenster einen Bücherladen erkannte. Das Mädchen verlangsamte ihren Schritt, ließ die warme Hand los und musterte die fremde Frau von der Seite.

„Kann ich da mal kurz rein?“, fragte Elphaba und deutete auf die Tür des Ladens, denn sie hatte ein besonderes Buch im Schaufenster entdeckt.

„Na klar, ich warte hier solange.“

„Danke!“, lächelte die Hexe und war schon verschwunden.
 

„Guten Tag!“, begrüßte ein alter Herr mit wettergefärbter Haut die junge Dame.

„Guten Tag!“, nickte Elphaba und sah sich suchend in dem alten Laden um.

„Kann ich Ihnen vielleicht helfen? Suchen Sie etwas bestimmtes?“, fragte der alte Mann freundlich und kam hinter der Ladentheke hervor.

„Ja, ich habe gerade das Buch im Schaufenster gesehen und würde es gerne kaufen.“

„Sie meinen, das neue Buch von Margo Blair? Deena und der Rosengarten?“

„Ja, genau.“, nickte Elphaba.

„Ah, ich seh schon!“, nickte der alte Mann und Elphaba hatte den Eindruck, als wüsste er mehr als sie. Trotzdem folgte sie ihm und er drückte ihr einen dicken Roman in die Hand.

„Darf es sonst noch etwas sein?“

„Nein, danke. Das war’s!“, lächelte Elphaba, drehte das Buch um und las sich schnell den Buchrücken durch.

„Oh!“, sagte sie etwas lauter als sie wollte und da sie die einzige Kundin in dem Laden war, fragte der ältere Herr sofort: „Gibt es ein Problem?“

„Nein, nein!“, winkte Elphaba schnell ab. Sie ging langsam und noch immer lesend auf die Ladentheke zu. „Hier steht, dass es in dem Buch um eine Abhandlung von Sapphismus und Uranismus in Bezug auf die konservative Gesellschaft geht.“, sagte sie etwas verblüfft.

„Ja und?“, fragte der Mann, der die Gedankengänge der jungen Frau nicht verstand.

Elphaba schien ganz in Gedanken verloren: „Ich meine ja… also, der Titel… ach, hier steht etwas darüber: ‚Lesen Sie, wie Deena die wundervollen Rosen pflückt, obwohl sie sich jedes Mal an den großen Dornen sticht! Ein einzigartiges Leseerlebnis und für alle Liberalisten genau das Richtige – smaragdische Morgenpost’“, zitierte sie murmelnd.

„Also wollen Sie das Buch nun kaufen oder nicht?“, fragte der Mann hinter der Theke und schien etwas angenervt.

„Ja, bitte.“ Als sie auf ihr Rückgeld wartete, sah sie durch das Schaufenster, wie ihre junge Freundin einen großen Schneeball formte.
 

„Da bin ich wieder!“, sagte Elphaba munter, als sie mit dem Buch in ihrer Tasche wieder auf die Straße trat. Erfreut sah das Mädchen auf, dessen Schneeball nun eher schon eine Schneekugel war.

„Hast du Lust, mit mir einen Schneemann zu bauen, Tante?“, fragte das Mädchen hoffnungsvoll. Elphaba ließ ihren Blick in Richtung Kiamo Ko schweifen und seufzte. Dann schenkte sie dem Mädchen ein kleines Zwinkern: „Aber nur einen Mini-Schneemann!“

„Juchuu!“, jubelte das Mädchen und zeigte der Hexe, wie man eine Schneekugel rollte.

„Wie heisst du eigentlich?“, fragte Elphaba, als sie ihre Schneekugel auf der anderen platzierte. Es war schon so lange her, dass sie auf fremde Menschen getroffen war, sodass sie beinahe schon vergessen hatte, wie man diese Leute kennen lernte.

„Frieda und du?“

„Ich, ahm…“, stotterte Elphaba und fragte sich, warum sie diese Frage so überraschte.

„Tante?“, fragte das Mädchen lachend und Elphaba lachte mit: „Nein! Mein Name ist Deena.“

„Oh, das ist aber ein schöner Name! Den kann ich, glaub’ ich, auch schon schreiben! Da ist ein d drin, genau wie bei mir und ein a und ein e. Oder?“

„Ja, richtig. Aber da sind zwei e’s drin und noch ein n…“, meinte Elphaba und sah die Kleine erwartungsvoll an.

„Wie schreibt man ein n?“

„Schau mal, so…“ Bei diesen Worten hockte sich Elphaba in den Schnee und schrieb ‚Deena’ hinein.

„Hä? Das kann ich gar nicht lesen!“, protestierte Frieda. „Ist das Schreibschrift?“

„Oh, ja, natürlich. Entschuldige!“, lachte Elphaba, wischte das Wort weg und schrieb es erneut. Diesmal jedoch in Druckschrift.

„Probier du es mal!“, ermutigte Elphaba das Kind und Frieda schrieb, wenn auch etwas unleserlich, ‚Deena’ in den Schnee.

„Super!“, klatschte Elphaba und Frieda sprang fröhlich umher.

„Guck mal, ich bin schon sechs und das ist so viel!“, erklärte Frieda der Hexe und hielt ihr sechs Finger vor die Nase, da Elphaba noch immer im Schnee hockte.

„Und wie alt bist du?“

„Oh, dafür reichen meine Finger nicht aus! Ich bin 26!“

„Wie viel ist das?“, fragte Frieda neugierig.

„Zeig’ mir mal alle deine Finger!“, grinste Elphaba und streckte selber ihre zehn Finger aus.

„So und dazu kommen dann noch mal deine sechs Jahre. So alt bin ich!“

„Boah, das ist aber schon alt!“, sagte Frieda erstaunt und schaute verblüfft auf die zwanzig Finger.

„Und ich werde auch nicht mehr jünger, darum müssen wir schnell unseren Mini-Mann hier fertig bauen!“, lachte Elphaba und erhob sich. Dann setzte sie die letzte und die kleinste Kugel von allen auf die anderen beiden.

Frieda hielt zwei Steine in der Hand und sah verzweifelt nach oben: „Da komme ich ja gar nicht dran. Das ist kein Mini-Mann!“

Elphaba lachte und hob das Kind hoch, sodass es die zwei Steine anstelle der Augen in das Schneegesicht drücken konnte. Dann malte Frieda ihm noch einen Mund und eine Nase.

„Fertig ist er, der Mini-Mann!“, lachte sie, als Elphaba sie wieder auf dem Boden absetzte.

Als die Turmglocken erneut erklungen, sah Elphaba auf.

„Oh, schon halb eins! Jetzt muss ich aber wirklich los! Kannst du mir noch schnell den Weg zeigen?“

„Na klar!“, nickte Frieda, nahm Elphaba wieder an die Hand und zog sie davon.

Ohne Vorwarnung verdunkelte sich der wolkenfreie Himmel und beide weiblichen Geschöpfe blickten verwirrt in die Höhe. Als Elphaba die Schreie der Eilaffen hörte, fragte sie verblüfft: „Was geht denn da vor?“

„Ach, das passiert jetzt schon seit drei Tagen. Die kommen immer her, werfen irgendwas ab für die großen Leute und fliegen dann wieder weg…“

„Achso…“, sagte Elphaba nur und grübelte darüber nach, was das zu bedeuten hatte.

Als sie durch die Straßen von Vorko eilten, erzählte Frieda ihr, wo sie zur Schule ging, wie ihre Lehrerin hieß und das sie, ‚Deena’ sogar noch schöner war, als ihre Lehrerin, obwohl Friedas Mama ja immer sagte, dass Fräulein Delox die schönste Frau wäre, die sie je gesehen hätte.

„Und da wohnen wir!“, erklärte Frieda ihr, als sie stehen blieben. „Und hier unten ist Mamas Geschäft!“

Die dunklen Augen musterten das kleine Haus und wie der Buchladen hätte man es gar nicht als Geschäft erkannt, wenn nicht zwei große Schaufenster anstelle von normalen Fenstern angebracht worden wären.

„Komm rein!“, drängelte Frieda und noch bevor Elphaba den Namen des Geschäftes hatte lesen können, stand sie schon vor der Ladentheke.

„Mama?“, rief Frieda laut, „Mamaaaaaa…“

„Frieda! Ich habe dir doch gesagt, du sollst während meiner Mittagspause hintenrum…“, erklang die kräftige Stimme von Friedas Mutter, doch als sie um die Ecke kam und Elphaba erblickte, hielt sie plötzlich inne: „Oh, entschuldigen Sie, ich habe nicht gewu…“

„Mama, das hier ist Tante Deena! Wir haben einen Mini-Schneemann gebaut!“, unterbrach Frieda freudestrahlend ihre Mutter.

Nun wusste Elphaba, woher das Mädchen ihre Haar- und Augenfarbe hatte:„Verzeihen Sie, ich wusste nicht, dass Sie Mittagspause haben, ansonsten hätte ich gewartet! Ich werde sofort wieder gehen und…“

Friedas Mutter hatte Elphaba von oben bis unten gemustert, das war der Hexe nicht entgangen und sie fühlte sich etwas unwohl.

„Nein, nein!“, wehrte die etwas ältere Frau ab, „Jetzt, wo Sie schon einmal da sind, bleiben Sie doch bitte. Wir trinken noch gemeinsam einen Tee und dann schauen wir mal, was Sie suchen…“

„Nein, das ist wirklich nicht nötig. Ich kann auch..“

„Oooh, bitte Deena, bitte, bitte, bitte! Ich zeige dir auch mein Lieblingsschulbuch und du darfst auch was Süßes von mir haben!“, bettelte Frieda und zog an Elphabas Hand.

„Sie haben es gehört! Wer kann bei Tee, Schulbüchern und Süßigkeiten schon nein sagen?“, lachte Friedas Mutter und machte eine einladende Handbewegung zum hinteren Teil des Raumes.

„Ich glaube, ich wurde gerade überstimmt…“, grinste Elphaba und ließ sich von Frieda durch die Tür in die Küche führen. Diese war nicht besonders groß: Links befanden sich Herd, Ablage und Kühlschrank, gegenüber von Elphaba war ein weiteres Fenster und an der rechten Wand stand ein runder Küchentisch, mit zwei Teetassen darauf und einer blonden Frau daran. Sie schien konzentriert zu lesen und drückte sich mit einem Zeigefinger die schwarze Brille auf der Nase zurecht.

„Lexie…“, begann Friedas Mutter, doch die Frau am Tisch hob ohne aufzusehen ihre Hand und murmelte: „Nicht jetzt, Nilly… Die Neuigkeitenblätter sind unglaublich…“

„Gut, dann stelle ich mich erstmal vor!“, lächelte nun die ältere Frau Elphaba an und bot ihr die Hand dar. „Mein Name ist Gunilla Hukalo!“ Elphaba nahm lächelnd die Hand an und schüttelte sie: „Ich heiße El…“, schnell räusperte sie sich und setzte erneut an: „Deena… Elrik! Danke für Ihre Gastfreundschaft, Frau Hukalo!“

„Deena? Was für ein außergewöhnlicher Name… Aber ich bitte Sie, nennen Sie mich Nilla! Und ohne Frau! Wer in meine Küche eingeladen wird, der darf auch gerne persönlich werden!“, lachte Gunilla.

Die Frau am Tisch hatte inzwischen aufgeblickt und musterte Elphaba interessiert: „Und sieh mal einer an, was Unglaubliches hier gerade reingeschneit ist!“, grinste sie und schloss damit bei ihrem letzten Satz an. Anmutig nahm sie ihre schwarze Lesebrille von der Nase und klappte sie zusammen. Dann stand sie auf und ihr langes, blondes Haar fiel glänzend über die schmalen Schultern. Als sie auf Elphaba zukam und ihr in die dunklen Augen blickte, staunte die Hexe nicht schlecht. Die blonde Frau hatte dunkelblaue Augen. Sie erinnerten an den See der heiligen Aelphaba und der wohlgeformte Körper steckte in einem knielangen, weißen Rock und einer schwarz-weiß karierten Bluse, über welcher die Frau in Hüfthöhe einen knallroten Gürtel trug.

„Hallo, ich bin Lexana Delox!“ Mit diesen Worten reichte sie Elphie graziös ihre rechte Hand, an welcher drei goldene Armbänder klimperten.

„Wie gesagt…“, lächelte Elphaba, „Ich bin Deena Elrik!“

„Freut mich sehr, Deena…“, murmelte Lexana und sah Elphaba tief in die braunen Augen. Die Hexe hielt dem Blick stand, obwohl sie nicht so recht wusste, was das alles zu bedeuten hatte.

Gunilla räusperte sich und die blonde Frau löste ihren Blick.

„Tee?“

„Nein, danke Nilly. Ich habe noch!“

„Ja, sehr gerne!“, sagte Elphaba, als sie sich gemeinsam mit den anderen beiden Frauen an den Tisch setzte. „Wo ist Frieda?“, fragte sie verwirrt, als sie merkte, dass das Mädchen sie die ganze Zeit verschont hatte.

„Ich nehme an, sie holt, was sie dir versprochen hat!“, grinste Nilla und goss Elphaba eine Kamillentee ein.

„Sooo… Deena…“, begann Lexana von Neuem und faltete das Neuigkeitenblatt wieder zusammen, welches sie eben noch so interessiert gelesen hatte. „Ich kenne dich gar nicht. Bist du neu hier in der Gegend?“

„Ich bin… mehr oder minder auf der Durchreise und brauche nur etwas Neues zum Anziehen. Und du? Bist du nicht Friedas Lehrerin? Oder habe ich mich eben verhört?“, fragte Elphaba und wollte von sich ablenken.

„Ja richtig. Hat Frieda dir das erzählt?“

„Natürlich, wer sonst?“

„Ich müsste auch noch einige hübsche Sachen in deiner Größe dahaben!“, mischte sich Nilla ein und musterte Elphabas Körper erneut.

Diese war so viel Aufmerksamkeit auf einmal nicht gewohnt und errötete leicht.

„Tante Deeenaaaa!“, erklang es plötzlich von weiter oben und die Damen konnten die eiligen Schritte des Mädchens auf der Treppe hören.

„Tante Deena!“ Frieda kam atemlos angelaufen und wedelte mit einem Buch vor ihrer Nase herum. „Guck mal, ich habe es gefunden! Das hier ist mein Lieblingsbuch! Guuuck! Es heißt: Gr..ün i..ist bö…se u-und pink i-ist gut!“ Stolz las Frieda den Titel des Buches und fuhr mit ihrem Finger über jeden einzelnen Buchstaben.

Elphaba musste grinsen: ‚Dass jetzt schon die jungen Kinder so einen Blödsinn verkauft bekommen!’, dachte sie bei sich.

„Du kannst ja schon richtig lesen!“, bewunderte sie dann Friedas Leserei, obwohl sie genau wusste, dass das Kind den Titel wahrscheinlich nur auswendig kannte.

„Kann ich dein Buch auch mal lesen?“, fragte Frieda aufgeregt und stellte sich abwartend neben Elphabas Tasche, die um ihre Stuhllehne baumelte.

„Sie scheinen… Du scheinst Frieda aber sehr beeindruckt zu haben!“, hörte Elphie Lexanas Stimme, doch Frieda bettelte im gleichen Moment: „Bitte… Bitteeee!“

„Ja, natürlich. Einen Moment!“, lachte Elphaba, öffnete ihre Tasche und händigte Frieda das dicke Buch aus. Das war auch der Grund warum sie nicht mitbekam, wie Nilla murmelte: „Anscheinend nicht nur Frieda!“, wofür sie einen bösen Blick aus den dunkelblauen Augen erntete.

Als Elphaba sich wieder umdrehte, lächelten beide Frauen sie an.

„Da steht ja Deena!“, rief Frieda erfreut aus und zeigte auf das erste Wort des Titels. Erschrocken fuhr Elphaba zusammen. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht!

„Ja, genau! Die Frau, um die es in dem Buch geht, die heißt genau so wie ich!“, lächelte Elphaba Frieda an und die beiden anderen Damen wechselten neugierige Blicke. Sie kannten das Buch, auch wenn sie noch nicht den kompletten Titel gehört hatten…

„Und was steht da? Ist das ein n?“, fragte Frieda und deutete auf das ‚und’ im Titel.

„Ja, genau.“, nickte Elphie.

„Ääähm… Deena und deeer… Das Wort da ist viel zu lang! Was steht da?“ Nun tippte das Mädchen verärgert mit ihrem Zeigefinger auf das letzte Wort.

„Rosengarten steht da. Deena und der Rosengarten.“

„Oh! Ich habe auch was zu Rosen! Soll ich dir das mal zeigen?“, fragte Frieda aufgeregt und wartete Elphabas Antwort gar nicht erst ab. Sofort war sie schon wieder die Treppe hinaufgestürmt.

„Interessantes Buch…“, meinte Nilla, „Darf ich mal?“

„Hier, bitte sehr.“, sagte Elphaba und reichte der Dame das Buch.

„Deena und der Rosengarten… geschrieben von Margo Blair…“, zitierte Nilla nun den Text auf dem Einband, „Klasse Schriftstellerin!“

„Sie… ach, du kennst sie?“, fragte Elphaba interessiert.

„Ja, ich habe alle ihre Bücher!“, nickte Nilla.

„Oh, fantastisch! Ich auch. Also… das heißt, wenn das hier ihr neustes Werk ist!“, grinste Elphaba.

„Das ist ihr neustes Werk!“, antwortete Lexana kopfnickend, „Aber sagt mal, habt ihr beiden heute schon einen Blick in die Neuigkeitenblätter geworfen, die eben exklusiv per Eilaffe geliefert worden sind?“

Sowohl Elphaba als auch Nilla schüttelten den Kopf.

„Dann informiere ich euch jetzt mal darüber, dass es in Zukunft gefährlich sein könnte, öffentlich die Bücher von Margo Blair zu kaufen…“

„Lexie, was redest du da?“, fragte Nilla aufgebracht und verlangte mit einer eindeutigen Handbewegung nach den Blättern, welche Lexana ihr zuschob.

Der Ausdruck der älteren Frau wechselte von verblüfft zu entgeistert, als sie den Bericht auf der ersten Seite las und manche Stellen leise mit murmelte: „Glinda die Gute – eine Sappho…. Schockierend aber wahr… jahrelange Beziehung mit der Hexe des Westens… lebendig… zusammen geflohen, um sich zu lieben… gemeinsamer Rachefeldzug gegen das Land und die Bürger von Oz…“

Wütend warf sie die Blätter auf den Boden: „Was ist das wieder für ein Scheiß?“, ärgerte sie sich.

„Oh Oz, Deena! Ist dir nicht gut? Du bist so blass um die Nase!“, rief Lexana aus und griff über den Tisch nach Elphabas Hand.

„Ich… Ich…“, stammelte diese nur und konnte nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte.

„Kindchen!“, rief nun auch Nilla aus und hielt Elphaba davon ab, vom Stuhl zu rutschen, „Trink mal was!“

Elphaba tat wie ihr geheißen und nippte an ihrem Tee. Es dauerte einige Sekunden, doch dann hatte sie sich wieder gefangen.

„Kann ich den Artikel mal lesen?“, fragte sie nach einer Weile.

Wortlos hob Nilla das fallen gelassene Neuigkeiten Blatt auf und reichte es der Hexe.

„Lies mal bitte laut! Ich bin ja nicht bis zum Ende gekommen!“ Für diesen Satz erntete Lexie diesmal einen boshaften Blick von Nilla.

„Achtung, Volk von Oz – Sondermeldung!“, begann Elphaba laut, „Glinda die Gute – Eine Sappho.

Es ist schockierend, aber wahr. Die ganze Zeit über hat Glinda die Gute das Volk von Oz an der Nase herumgeführt. Hinter unserem Rücken führte sie eine jahrelange Beziehung mit der bösen Hexe des Westens. Es besteht Grund zu der Annahme, dass die Hexe in Wirklichkeit nicht tot, sondern sehr lebendig ist. Ein Augenzeuge berichtete, die beiden seien vor kurzem zusammen geflohen und nun wissen wir, warum: Um sich zu lieben.

Aufgrund der landesweiten Abneigung gegen die Hexe scheint es logisch, dass Glinda die Gute und die böse Hexe des Westens nun einen gemeinsamen Rachefeldzug gegen das Land und die Bürger von Oz planen.

Heute Abend wird Accursia Akaber, die ihren lebensbedrohlichen Unfall überlebt hat, vor ganz Oz berichten, wie sie Glinda und die Hexe erwischt hat und dabei abermals fast ums Leben gekommen wäre. Nachdem ihre Gefängnisstrafe aufgrund von Glindas Betrug fallen gelassen wurde, war sie so gütig und erklärte sich bereit, dem Volk von Oz in dieser schwierigen Zeit eine Stütze zu sein.

Auch Mutter Meredith wird heute öffentlich erklären, dass es stimmt, dass Glinda die Gute eine Sappho ist und sie wird von Glindas Untreue berichten.

Geschätzte Leser, dies ist ein Aufruf an Ihre Vernunft: Seien Sie vorsichtig! In jeder Sappho könnte die Verbündete der Hexe stecken!

Aber seien Sie unbesorgt, heute Abend wird sich alles ändern!

A. Heidenbrunn“

„Was das wieder für ein Bockmist ist!“, ärgerte sich Nilla.

„Aylin…“, hauchte Elphaba fassungslos und starrte ungläubig auf das abgedruckte Foto von ihr und Glinda vom Sommer 18 nach Oz, „Was… Was steht in den anderen beiden Neuigkeitenblättern drin?“

„Der selbe Müll!“, antwortete Lexie gereizt, „Und das wirft unsere gesamten Pläne durcheinander. Margo muss sich schnell etwas einfallen lassen.“

„Lexie!“, zischte Nilla warnend und Elphaba hatte plötzlich das Gefühl, mitten in Etwas hineingeraten zu sein.

Plötzlich polterte es ganz laut und die drei Damen hörten Friedas Geschrei, als sie die Treppe hinunterfiel. „Mamaaaa…“, weinte sie ganz laut.

„Oh Oz, Friedi! Kümmere du dich um Deena, ich sehe nach Frieda!“, sagte Nilla schnell, als sie aufstand und aus der Küche lief.

„Ich… Ich muss sofort gehen!“, stotterte Elphaba und sprang auf. Lexana stand sofort neben ihr und griff ihre Hand.

„Deena, wir gehen alle in die Smaragdstadt, wenn es an der Zeit ist. Jetzt ist es noch nicht soweit.“

„Ich habe nie gesagt, dass ich in die Smaragdstadt will!“, antwortete Elphaba und sah der Frau fragend in die blauen Augen, ihre Augenbrauen zuckten kurz.

Lexana war sich die ganze Zeit über sicher gewesen, dass auch Deena eine Sappho war, doch nun schien sie nicht mehr ganz so sicher zu sein: „Ich… naja, du sagtest, du seist auf der Durchreise und da nahm ich einfach mal an, du willst dorthin.“

„Einfach mal angenommen, ja?“, fragte Elphaba nun skeptisch.

„Schöne Frauen gehen immer dorthin oder kommen von da.“, sagte Lexana und ihre Stimme war gerade mal etwas lauter als ein Flüstern.

Elphaba löste sich aus ihrem Griff und starrte sie verwirrt an: „Ich gehe jetzt besser!“, sagte sie und drehte sich entschlossen um. Sie konnte es nicht fassen: Hatte diese Frau gerade versucht, sie zu umwerben? Elphaba kannte sich in diesem Bereich nicht besonders gut aus, aber dennoch war sie nicht blind durch ihre Studienzeit gelaufen.

„Deena, bist du dir sicher, dass du die Sachen, die du kaufen wolltest, wirklich nicht brauchst?“, rief Lexana ihr nach.
 

Nach dem Frühstück hatte Madame Akaber die offiziellen Gewänder der ‚Mächtigen Fünf’ verteilt und die Damen hatten noch eine halbe Stunde Freizeit bekommen. Dann erst begann ihre Tagung zur Aufstellung eines bodenständigen Konzeptes. Die ersten Stunden liefen sehr gut: Sie diskutierten das Rechtssystem, ihren Machtzirkel und ein paar grundlegende Regeln. Der erste Teil ihres Konzeptes stand schon, wenn auch noch auf wackligen Beinen, als Ramón Penelope zur Mittagspause um halb eins abholte.

Madame Akaber nutzte die Zeit, um ihre Post durchzugehen.

Plötzlich flog etwas mit einem lauten Knall gegen ihr Fenster und fiel dann zu Boden. Erschrocken fuhr Accursia zusammen und lehnte sich aus dem Fenster hinaus. Unten auf dem Hof lag ein keuchender Eilaffe.

„Diese dämlichen Viecher!“, murrte sie und stiefelte die Treppe hinab.

Schnell eilte sie zu dem Affen, nahm ihm den Brief aus der Hand und scheuchte ihn davon. Mit lautem Schnattern kreiste er noch zwei Mal um ihren Kopf und flog dann weg.

Accursia rannte beinahe in den Palast zurück, da es doch noch sehr kalt draußen und ihr Schneezauber mächtiger gewesen war, als sich angenommen hatte.

Als sie wieder in ihrem wohlig warmen Zimmer saß, öffnete sie das Telegramm und las:

„Haben Problem mit Durchgang STOP Schnee versperrt Weg STOP Wir bitten um Wetterzauber STOP Großer Regen lässt Schnee schmelzen STOP Danke ENDE“

„Na wundervoll!“, seufzte Accursia, doch als sie die Uhrzeiten verglich, bemerkte sie, dass der Affe erst vor ungefähr einer Stunde losgeschickt worden war.

Schnell richtete sie sich auf, öffnete das Fenster und konzentrierte sich. Mit ihren grauen Augen starrte sie fest in den Himmel und murmelte immer und immer wieder einen bestimmten Satz. Als sie sah, wie sich die Wolken verdunkelten und die ersten Blitze in weiter Ferne vom Himmel preschten, schloss sie zufrieden wieder das Fenster und machte sich auf den Weg, die Tagung wieder weiterzuführen.

Langsam streifte sie sich ihr Gewand wieder über, welches auf der linken Brust das Emblem der Mächtigen Fünf trug.

Durch ihren Zauber hatte sie sich um ein paar Minuten verspätet und als sie die Tür zum Kongresssaal öffnete, sah sie, wie die anderen drei Frauen schon geduldig warteten.

„Gebt mir Fünf!“, rief Madame Akaber ihnen zu und das Echo kam aus den drei Mündern folgsam zurück: „Gebt mir Fünf!“
 

Augenblicklich blieb Elphaba im Türrahmen stehen. ‚Ohne diese Dinge kann ich mit Glinda niemals in die Smaragdstadt gehen… Und gerade nach dieser Meldung müssen wir unbedingt wissen, was dort vor sich geht…’, dachte sie verzweifelt.

„Nein, ehrlich gesagt, brauche ich diese Sachen sehr dringend.“, sagte Elphie, als sie sich umdrehte und Lexana ansah.

„Ich helfe dir. Sag mir, was du brauchst und ich suche dir deine Sachen! Ich beeile mich auch!“, sagte die blonde Frau und rauschte an der Hexe vorbei in den Laden. Elphaba eilte hinter ihr her, obwohl sie viel lieber so schnell es ging zu Glinda geflogen wäre, um ihr diese Neuigkeiten mitzuteilen.

‚Wenigstens lebt Meredith noch…’, dachte sie bei sich und wäre beinahe in Lexana hineingerannt.

„Uff… Entschuldige!“

„Immer wieder gern!“, grinste Lexie und fragte dann schnell: „Also, was brauchst du?“

„Ich brauche etwas für mich zum Anziehen und etwas für .. meine Freundin, aber keine dunklen Farben!“, sagte Elphaba ebenso schnell und Lexie sah sie mit großen Augen an, sagte jedoch nichts.

„Alles klar, dann komm mal mit!“ Bei diesen Worten ergriff sie erneut Elphabas Hand und zog sie hinter sich her.

In sekundenschnelle hielt Lexie ihr verschiedene Kleidungsstücke an den Körper und murmelte dabei immer nur: „Ja… neee… hmm… vielleicht…“ Die Anziehsachen wechselten so schnell, dass Elphaba gar nicht erkannte, was sie da nun in den Arm gedrückt bekommen hatte.

„Fertig!“, rief Lexie aus und schob Elphaba in eine Umkleidekabine, „Na los, zieh dich um! Worauf wartest du?“

Elphaba sah, wie die Blondine sie anzwinkerte und zog elegant den Vorhang zu.

„Ich hatte eh nicht erwartet, dass du mich einlädst!“, hörte Elphaba nun die Lehrerin kichern, die nicht viel älter sein konnte, als sie selber. „Was ist deine Freundin für ein Typ?“, fragte sie unvermittelt und Elphaba blieb mit ihrem Kopf in dem dünnen, weißen Pullover stecken, die Lexie ihr ausgesucht hatte.

„Sie ist eine Frau!“, rief Elphaba durch den Pullover, in welchem sie feststeckte.

„Kommst du klar da drinnen?“

„Jaja!“

„Ich meinte eben, was für ein Typ Mensch sie ist. Trägt sie bunte oder einfarbige Sachen? Brünett oder blond?“

„Wofür musst du das wissen?“, keuchte Elphaba, als sie sich endlich durch das Kopfloch des Oberteils gezwängt hatte.

„Damit ich besser einschätzen kann, welche Kleidung ihr steht!“, antwortete Lexie geduldig, die langsam den Eindruck bekam, die Frau in der Kabine wäre etwas paranoid.

„Sie ist blond, schlank, etwas kleiner als ich, hat strahlend-blaue Augen, trägt gerne farbenfrohe Sachen – auch gerne mit Muster, vor allem Röcke. Aber sie will mal etwas anderes ausprobieren.“

„Welche Größe hat sie denn… Also Kleidergröße?“, fügte die Lehrerin schnell noch hinzu.

„Oh! Ich habe einen Zettel mit ihrer Größe darauf in meiner Handtasche, aber die hängt noch in der Küche. Könntest du sie mir mal bitte bringen?“

„Ja, klar, warte.

„Lexana?“

„Ja?“

„Könnte ich vielleicht eines der Neuigkeitenblätter haben?“

„Ich bringe dir eines mit!“

„Danke.“

Während Lexie wieder in die Küche eilte, zog Elphaba sich den grünen Rock an. Als sie in den Spiegel guckte, schrie sie erschrocken auf.

„Was ist passiert?“, hörte sie Lexies Stimme, die schnell näher kam.

Panisch suchte die grüne Frau nach ihrer Kette, die sie beim Umziehen verloren haben musste.

„Nichts! Nichts!“, versicherte sie etwas zu hektisch, als sie die Kette gefunden und wieder um ihren Hals gelegt hatte.

In letzter Sekunde sah sie, wie sich ihre Hautfarbe wieder änderte, als Lexie den Vorhang aufriss. Verwundert sah sie, wie die hübsche Schwarzhaarige auf dem Boden hockte und in den Spiegel blickte.

Elphabas Herzschlag pochte ihr in den eigenen Ohren.

„Deena? Alles in Ordnung?“, fragte Lexie verwirrt.

„Ja, ich ziehe mir nur die Schuhe an!“, grinste diese und hielt den rechten Sandalen hoch, welchen Lexie ihr ausgesucht hatte.

„Okaaay… Hier ist jedenfalls deine Tasche und das Blatt.“

„Danke!“, sagte Elphaba, zog sich auch den zweiten Schuh an und nahm ihre Tasche in Empfang. Aus dieser fischte sie dann den kleinen Zettel, welchen Glinda ihr geschrieben hatte und wollte ihn Lexie überreichen. Doch diese starrte Elphaba nur mit offenem Mund an.

„Lexana?“ Elphaba wedelte mit dem weißen Zettel vor der erröteten Nase herum.

„Deena, du siehst umwerfend aus! Aber…“

„Aber was?“

„Da fehlt noch was! Bin gleich wieder da!“, rief sie freudig und rannte, noch immer die Neuigkeitenblätter in ihrer Hand haltend, um die Ecke.

Elphaba drehte sich zum Spiegel um, der links von ihr stand und musterte sich selber diesmal von oben bis unten. Beim Anblick des grünen Rocks musste sie schmunzeln.

„Tada!“, singsangte Lexie, als sie wieder um die Ecke gerannt kam und hielt Elphaba eine kleine, elfenbeinfarbene Weste hin, ohne Ärmel. „Zieh das mal über den Pulli!“

Als die Hexe endlich fertig angezogen war, seufzte Lexie: „Perfekt.“ Sie stand hinter Elphaba, griff ohne Vorwarnung in die schwarzen Haare und löste den Knoten. Die rabenschwarze Seide fiel herab und Elphaba bekam Gänsehaut, als Lexie ihr die Haare von der Schulter schob.

„Bist du sicher, dass der Rock so grün sein muss?“

„Das ist kein grün! Das ist petrol! Aber ja, ich bin mir sicher, dass er diese Farbe haben muss! Wieso, magst du denn kein grün?“

„Nach 26 Jahren gewöhnt man sich an alles!“, lächelte Elphaba und nahm dabei Lexana das Neuigkeitenblatt aus der Hand.

„Was?“

„Ach, schon gut!“

„Wie dem auch sei, ich finde, dass du umwerfend aussiehst!“

„Wenn du das sagst, dann nehme ich das hier alles. Ach und hier ist der Zettel mit G… genauen Größen meiner Freundin!“

„Alles klar. Ich mache mich mal auf die Suche.“

„Ich werde mich in der Zwischenzeit wieder umziehen!“

„Ist gut! Passen die Schuhe denn? Ich meine, es sind zwar Sandalen, aber der Schnee wird nicht ewig halten! Das ist ja sehr selten der Fall!“

„Wie angegossen!“, antwortete Elphaba, als sie zurück in die Kabine ging. ‚Die Weste gefällt mir wirklich gut…’, dachte sie, als sie das Kleidungsstück von ihren Armen streifte und dann den Zettel in ihre Tasche steckte.

„Deena?“, hörte Elphaba nach kurzer Zeit schon wieder Lexies Stimme.

„Ja?“

„Sehe ich das hier richtig, dass deine Freundin auch neue Unterwäsche haben möchte?“

„Wie gesagt, sie möchte alles neu.“

„Dann sollte sie vielleicht mal ihre Haarfarbe verändern!“ In Lexies Tonlage schwang etwas Ironie mit, was Elphaba aber nicht bemerkte.

„So was geht?“

„Na klar. Auch ganz ohne Magie. Wir haben hier mehrere Farben zur Auswahl. Aber die halten nur ungefähr für neun Haarwäschen. Die, die länger halten, sind schwer zu kriegen. Soll ich dir eine davon geben?“

„Ich bin mir nicht sicher… Aber ja, wieso nicht! Das muss ja nicht gleich heißen, dass sie sie benutzt.“

„Wie wäre es mit brünett?“

‚Glinda und braune Haare…’, dachte Elphaba schmunzelnd. „Ja, bitte!“, sagte sie dann und blieb kurz darauf wieder in ihrem Pullover stecken.

„Himmel, Ballon und Oz!“, fluchte sie lautstark, was Lexie, die zwar um die Ecke stand und die Sachen für Deenas Freundin schon ausgesucht hatte, dennoch nicht entging. Schnell eilte sie zu der attraktiven Dame in der Umkleide, in der Hoffnung, sie könnte ihr behilflich sein…

„Alles klar da drinnen?“

Elphaba kam weder vor- noch rückwärts. Sie hatte darauf achten wollen, die Kette nicht ein weiteres Mal zu verlieren, doch da sie so enge Kleidung nicht gewohnt war, steckte sie nun wirklich fest.

„Ahm… Ich habe ein kleines Problem!“, gab sie zerknirscht zu. Ihr war nicht Wohl bei dem Gedanken, dass Lexana sie so sehen würde.

„Soll ich dir helfen?“

„Es geht nicht anders.“

Vorsichtig und mit einem leichten Kribbeln in den Fingern schob Lexana den Vorhang zur Seite. Die dünne Frau stand dort in schwarzer Unterhose und steckte offensichtlich in ihrem Pullover fest.

„Wie hast du denn das geschafft?“, kicherte sie nun und sog das Bild dieser umwerfend aufreizenden Beine in sich auf.

„Ich gehe nicht so oft einkaufen!“, gestand Elphaba und musste wohl oder übel auch kichern.

„Dreh dich mal um!“, sagte Lexie und Elphaba drehte sich mit dem Rücken zu ihr.

Als sie fühlte, wie Lexanas Hände sich an ihre Hüfte schmiegten und zärtlich den weißen Pullover in die Höhe schoben, spannte sich ihr gesamter Körper an.

Lexie fühlte die selten-weiche Haut unter ihren Fingerspitzen und am liebsten hätte sie den Pullover auch über die kleinen, aber durchaus ansprechenden Brüste der Frau geschoben.

„Ist das eigentlich deine Freundin oder… deine Freundin?“, hörte Elphaba die Stimme ganz nah an ihrem Ohr und sie bekam erneut Gänsehaut.

Elphie wusste, auf was Lexana hinaus wollte und ohne vorher darüber nachzudenken, antwortete sie: „Sie ist meine Frau!“ Das Wort ‚meine’ betonte Elphaba dabei noch einmal mit Nachdruck und bemerkte erleichtert, wie sich Lexies Griff lockerte.

„Oh, das ist aber schön…“, murmelte die Blondine, riss sich zusammen, griff nach Elphabas Hand, die irgendwo zwischen Pullover und Hals steckte und gab ihr den unteren Teil des Pullovers zu fassen, sodass Elphaba sich eigenständig ausziehen konnte.

Erleichtert, dass Lexie sie losgelassen und sie sich endlich aus diesem Ding befreit hatte, seufzte sie.

Lexana erhaschte noch schnell einen Blick auf die schlanke Frau in schwarzer Unterwäsche und mit diesem tollen Hintern, bevor sie den Vorhang wieder zuzog. Dann machte sie sich auf die Suche nach einer Haartönung.

Es dauerte keine zehn Minuten mehr, bis Elphaba wieder angezogen an der Ladentheke stand und Lexana dabei zusah, wie diese die ganzen Sachen in einer großen Tüte verstaute.

„Passt das alles in deine Tasche?“, fragte sie und lugte mit prüfendem Blick über die Ladentheke.

„Das passt schon!“, versicherte Elphaba ihr.

„Wenn du meinst. Ich mache dir eben die Rechnung fertig. Ich bin da ja nicht so geübt drin, wie Gunilla, also kann es ein bisschen dauern.“

„Kein Problem…“, nickte Elphaba und spielte gedankenabwesend an dem Schmuckständer, der links neben der Kasse stand.

Nach einer Weile unterbrach Lexies Stimme ihre Starrheit: „Oh, Deena. Willst du das nicht noch für deine Frau mitnehmen? Sie mag doch bestimmt gerne pink!“

„Wie – was?“, fragte Elphaba verwirrt.

„Die Kette, die du da in deinen Händen hast!“

Verwirrt blickte Elphaba auf ihre Hand und sah eine silberne Kette, mit einem grünen Herzchen, in welches ein pinkes Herzchen eingeharkt war.

„Nein, ich glaube…“

„Deena, ich bitte dich! Sie ist deine Frau und du trägst deinen Ehering nicht! Das mindeste, was du da für sie mitnehmen kannst, ist ein Schmuckstück!“

Verblüfft blickte Elphaba in die dunkelblauen Augen: „Ja, das wird mir vielleicht eine Freude bereiten!“

Als Lexie wissend grinste und Elphaba realisierte, was sie da gerade gesagt hatte, berichtigte sie sich schnell: „Ihr, meine ich! Ihr wird es…“

Doch Lexie winkte lachend ab: „Schon klar, Botschaft verstanden! Die Unterwäsche, die ich für sie ausgesucht habe, wird dir auch einiges an Freude bereiten!“

Elphabas Gesicht glich einer Tomate, was Lexie noch mehr kichern ließ.

„Tante Deena…“, schnüffte Frieda plötzlich, als sie in den Laden hineingehumpelt kam. Automatisch ging Elphaba in die Hocke, um auf einer Augenhöhe mit dem Kind zu sein.

„Hallo Frieda, da bist du ja wieder. Schön, dass ich dir noch ‚Auf Wiedersehen’ sagen kann. Wie geht es deinem Knie?“

Als Elphaba das Knie der Kleinen sanft tätschelte, hellte sich Friedas Miene auf und sie erzählte ‚Tante Deena’ von dem unglaublichen Sturz von der Treppe.

„Deena, deine Rechnung ist fertig.“, meinte Lexie leise und schob ihr einen Zettel zu.

„Warte mal kurz, Frieda!“, sagte Elphaba, richtete sich auf und wollte gerade die Rechnung bezahlen, als ein ohrenbetäubender Donnerknall alle anderen Geräusche ausblendete.

Erschrocken fiel Elphaba das Geld aus der Hand, welches Frieda sofort wieder aufsammelte.

„Glinda!“, hauchte sie panisch und drehte sich wieder zu Frieda um.

„Frieda, ich muss nun wirklich ganz schnell nach Hause. Meine Freundin hat immer ganz viel Angst, wenn es so laut gewittert.“

„Ich mag aber nicht, dass du gehst!“, protestierte das Mädchen und ihre violetten Augen füllten sich mit Tränen. „Ich wollte dir doch noch etwas Süßes geben und dir das Buch mit den Rosen zeigen!“, weinte sie.

Elphaba drückte Frieda kurz und flüsterte ihr dann etwas ins Ohr: „Ich verspreche dir, ich komme noch einmal her und dann bringe ich dir etwas Süßes mit. Aber jetzt muss ich wirklich gehen.“

„Zu deiner Freundin?“, schluchzte Frieda leise.

„Ja, genau. Meine neue, kleine Freundin lasse ich hier bei ihrer Mama, aber nun muss ich zu meiner großen Freundin, die schon auf mich wartet!“

Bei diesen Worten lächelte Frieda Elphaba an und drückte sie einmal fest.

Mit dem zweiten Donnerschlag erhob Elphaba sich und bedankte sich bei Nilla und Lexie für ihre Gastfreundschaft. Auch ihnen musste sie versprechen, noch einmal vorbei zu schauen und als sie schon den Türgriff in der Hand hatte, hörte sie Friedas Stimme.

„Tante, warte!“ Das Mädchen lief auf sie zu und hielt einen großen Regenschirm in den kleinen Händen.

„Damit du nicht nass wirst!“, sagte sie und hob den Schirm so hoch, wie sie nur konnte.

Fragend sah Elphaba zu Nilla und Lexie hinüber und deutete auf den Regenschirm.

„Schon gut!“, rief Nilla ihr durch das nächste Donnergrollen zu. „Den musst du nur irgendwann zurückbringen! Jetzt hast du einen Grund, noch mal herzukommen!“ Elphaba lachte, rief den beiden ein ‚Danke sehr’ zu und stand schon auf der Straße. Schnell klappte sie den Schirm auf und lief die Straße entlang, auf der eben noch zentimeterhoch der Schnee gelegen hatte.

Achtung! Extrem langes Kapitel. :)

Schaut nochmal bei K 42 vorbei - neue Elphie-Zeichnung

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K 44
 

„Heiliger Strohsack!“, rief der junge Soldat erschrocken aus, als plötzlich aus dem Nichts ein gleißend heller Blitz auftauchte, gefolgt von einem lauten Donnergrollen.

„Ich fühle mich geehrt!“, nickte Fiyero und machte ein ernstes Gesicht. Londaro prustete neben ihm.

Der junge Soldat wurde puterrot.

„Männer, ab in eure Zelte! Seht zu, dass ihr euch noch etwas ausruht! Länger als eine halbe Stunde wird das nicht andauern!“, rief der Kommandant und alle Männer stoben in ihre Zelte.

Auch der Kommandant ging auf sein Zelt zu, drehte sich noch einmal um und nickte dem Scheuch und dem Mann, die noch immer auf der Decke saßen, zu, bevor er in sein sicheres Zelt verschwand.

„Fiyero, worauf wartest du?“, fragte Londaro rhetorisch. Er war schon aufgestanden und sah nun auf den Scheuch herab, der sich nicht rührte.

„Auf Sonne.“

„Kommst du etwa nicht mit ins Zelt?“, fragte Londaro überrascht.

„Du weißt doch, mir macht der Regen nichts!“

„Fiyero… Es blitzt. Und lass mich raten, was passiert, wenn du vom Bli...“

„Schon gut!“, lachte Fiyero und in diesem Moment fing es kräftig an zu regnen, „Überredet!“

Als Fiyero sah, wie Londaro sich schützend die Hände über den Kopf hielt, packte er sich den dunkelhaarigen Mann und beugte sich etwas über ihn. Fiyero war etwas größer als Londaro, von daher wurde Londaro kaum noch nass.

Im Gleichschritt liefen sie dann zu ihrem Zelt und der Sekretär plumpste unsanft durch die Zeltöffnung.

„Alles klar?“, fragte Fiyero, als er sich durch das Loch gezwängt hatte und gerade dabei war, den Reißverschluss zuzuziehen.

„Na sicher! Mehr Hämatome kann ich mir eh nicht mehr zuziehen, als ich ohnehin schon habe!“, lachte der brünette Mann und rieb sich schmerzend den Hintern.

Fiyero grinste und setzte sich auf die linke Matte, die in den Zeltboden eingebaut war, da Londaro auf der rechten Matte saß.

„Was meinst du, Fiyero? Sollen wir uns noch eine Runde auf’s Ohr hauen, bevor es gleich weiter geht?“

„Mach nur, ich kann ohnehin nicht schlafen!“

„Warum?“

„Weil ich eine Vogelscheuche bin!“, lachte Fiyero und Londaro errötete leicht.

„Mensch… Daran denke ich nie! Tut mir leid, man.“

„Ach, Blödsinn! Ist doch mal echt angenehm, menschliche Fähigkeiten zugeschrieben zu bekommen!“

„Nervt dich das nicht, dass du all solche Dinge nicht mehr kannst?“ Londaro schien sehr interessiert an der Vogelscheuche zu sein, denn er setzte sich Fiyero genau gegenüber und stützte seine Hände auf den angewinkelten Beinen ab.

„Im Moment macht es mir alles einfacher, aber ich muss auch zugeben, dass ich die erste Zeit echt Probleme damit hatte… Ich meine, sieh mich an! Da kannst du alles außer Lesen oder Raben verscheuchen vergessen!“

„Das ist doch Blödsinn! Du hast doch viele Möglichkeiten!“

„Ach ja und welche?“

„Du kannst zum Beispiel in den militärischen Dienst eintreten oder ehrenamtliche Arbeiten verrichten oder was auch immer! Du hast besondere Fähigkeiten!“

„Ich kapier nicht, was du meinst…“

„Du wirst nie müde, du brauchst kein essen, du schläfst nicht und du bist unverletzbar! Was meinst du, wo du alles eine Anstellung bekommen würdest? Die meisten Leute würden dich mit Kusshand empfangen und ich mein… jetzt mal ehrlich! Du bist zwar ein schräger Vogel, aber du bist schon ein ganz ordentlicher Kumpel!“, lachte Londaro, langte hinüber zu Fiyero und klopfte ihm anerkennend auf die Strohschulter.

„So habe ich das noch nie gesehen…“, murmelte Fiyero nachdenklich und starrte auf seine Hände.

„Kein Problem!“, grinste Londaro und war froh, dem Scheuch einen ordentlichen Denkanstoß gegeben zu haben. Er wusste nicht warum, aber der Mann hinter dem Stroh war ihm sehr sympathisch.

„Wie? Was?“ Fiyero blickte verwirrt auf: „Achso! Ja, danke schön!“, lachte er dann.

Londaro zog sich seufzend die Schuhe aus und rieb seine Fußsohlen: „Meine Güte! Das tut vielleicht weh! Das ist das erste Mal, dass ich meine Schneestiefel benutzen kann! Ich glaub, ich hab mir ne dicke Blase gelaufen!“

„Anscheinend noch ein Problem, das ich nicht habe!“, grinste Fiyero und griff nach dem Schuh, welchen Londaro gerade ausgezogen hatte.

„Auch noch einer von der guten Marke!“, grinste der Scheuch, als er mit seiner Strohfaust gegen die Schuhsohle klopfte!“

„Na klar… Ahh…“, stöhnte Londaro und rieb sich weiterhin die Fußsohlen.

Schnell stellte Fiyero den Schuh beiseite: „Du machst das ganz falsch! Nimm die Daumen und… guck, so!“

Fiyero zeigte dem Mann, wie er seine Füße massieren sollte, doch es gelang ihm nicht: „Ach, verdammt! Das tut noch mehr weh!“

„Meine Herren!“, lachte Fiyero, „Du bist aber unbegabt!“

„Danke!“, grinste Londaro, „Da geht es gleich leichter von der Hand!“

„Nicht wahr? Streck mal deinen Fuß aus!“

Londaro zog vor Überraschung seine Augenbrauen in die Höhe, sagte aber nichts. Als er merkte, wie Fiyeros Stroh seine Füße kitzelte, musste er auflachen: „Das hilft auch nicht wirklich!“

„Mit Händen ging das mal besser! Warte… so gut?“, fragte Fiyero und drückte etwas fester, sodass sein Stroh nicht mehr kitzeln konnte.

„Hallo Tugend, das fühlt sich klasse an! Ja, genau da hab ich irgendwas!“, murmelte Londaro und schloss die Augen. Der Regen prasselte laut gegen die Zeltwände und hatte eine entspannende Wirkung.

So saßen die beiden Männer eine Weile dort, bis sie die Stimme des Kommandanten hörten: „MÄNNER! ES GEHT WEITER!“

„Londaro?“, fragte Fiyero leise. „He, Londar…“

“Was? Was ist los?”, fragte der Mann und schreckte hoch.

„Es geht weiter! Der Regen hat aufgehört! Du bist eingeschlafen!“

„Oh man, das habe ich ja gar nicht mitbekommen!“, nuschelte Londaro und zog vorsichtig seinen anderen Fuß aus Fiyeros Händen.

„Danke, man!“, grinste er, als er sich schnell seine Socken und Schuhe wieder anzog.

„Kein Ding!“, nickte Fiyero und öffnete den Zeltausgang. Dann kroch er hinaus.

„Aaaah! Scheuch Fiyero, da sind Sie ja! Können Sie uns ab hier führen?“, fragte der Kommandant, als er näher kam.

„Ja, Sir. Wie wir es vorhin abgesprochen hatten.“

„Wunderbar! MÄNNER! BEEILUNG!“, schrie der Kommandant und wendete sich von der Vogelscheuche ab.

„Aber Sir?“, begann Fiyero und sprach erst weiter, als ihn der Kommandant ansah, „Wäre es nicht klug zu warten, bis es wirklich aufgehört hat, zu regnen?“

„Wenn Sie dann den Part übernehmen, Accursia Akaber zu erklären, warum wir viel zu spät eintreffen, bin ich damit einverstanden!“, lachte der alte Mann.

„Überredet!“, grinste Fiyero und als Londaro kurze Zeit später aus dem Zelt gekrochen kam, machte er sich daran, dieses abzubauen.

Es dauerte keine halbe Stunde mehr, da hatte der kleine Trupp alle Sachen zusammengepackt und sie durchquerten im leichten Nieselregen den Engpass.

Als sie dann die Brücke überquert hatten, rief der Kommandant Fiyero nach vorne.

„Worauf wartest du?“, fragte Fiyero an Londaro gewandt, als dieser keine Anstalten machte, mit dem Scheuch mitzugehen.

„Ich… ahm… auf gar nichts!“, lachte der Sekretär und kratzte sich dabei am Kopf. Zusammen eilten die Männer dann an die Spitze des Trupps und klärten die letzten Details mit dem Oberbefehlshaber ab.

„Gibt es sonst noch etwas, auf was meine Männer achten müssten?“, fragte der Kommandant mit lauter Stimme.

Fiyero blickte besorgt zu den Gipfeln der großen Kallen. Kiamo Ko war mindestens noch einen 15-Stunden-Marsch entfernt… Aber es schien, als würden die Berge die Gewitterwolken in der Höhe gefangen halten.

„Egal was passiert, sie dürfen niemals vom Weg abkommen. Niemals!“, sagte Fiyero und erinnerte sich, wie er einmal bei Regen vom Weg abgekommen und im Schlamm ausgerutscht war. Bei der darauffolgenden Rutschpartie wäre ihm beinahe sein Strohkopf abgerissen worden.

„Alles klar!“, nickte der Kommandant und brüllte den Männern zu, was Fiyero gerade gesagt hatte. Londaro hielt sich erschrocken die Ohren zu. Bei diesem Anblick musste Fiyero grinsen.

„MARSCH!“, schrie der Kommandant und wies Fiyero an, endlich loszugehen.

Es waren gerade mal drei Uhr am Nachmittag, doch dem Scheuch kam es vor, als hätte die Welt sich verdunkelt. Im andauernden Regen marschierte der in Richtung Kiamo Ko und der Wald verschluckte sie bald.
 

Elphaba rannte, so schnell sie nur konnte, mit dem Regenschirm in ihrer Hand durch die nassen Straßen von Vorko. Als der erste Tropfen ihre Haut berührte, funkelte die Träne um ihren Hals grell auf, doch Elphaba blieb nicht stehen.

Sie wurde nur von einem einzigen Gedanken gesteuert: Glinda.

Seit Elphaba die Freundin kannte, hatte sie bei jedem Gewitter leichte, aber auch oft ganz schön heftige Panikattacken bekommen. Jedoch hatte Elphaba nie erfahren, ob es dafür einen anderen Grund gab, außer Glindas offensichtliche Abneigung gegen schlechtes Wetter.

Als sie das Leuchten der Kette wahrnahm, wunderte sich die Hexe: ‚Nanu? Was soll das denn jetzt? Als ich meine Füße in den See oder meine Hände beim Tomatenwaschen unter den Wasserhahn gehalten habe, hat sie doch auch nicht geleuchtet?’

Elphaba hatte zwar das Gefühl, dass dieser plötzliche und vor allem heftige Regen keinen natürlichen Ursprung hatte, dennoch wusste sie nicht, warum die Kette so reagierte.

Aber in Anbetracht der Situation war Elphaba Thropp diese scheinbare Kleinigkeit ganz egal.

Als der nächste gleißende Lichtstrahl vom Himmel herabfuhr und der augenblicklich nachfolgende Donnerschlag ohrenbetäubend laut war, klappte Elphaba den Regenschirm während des Laufens zu und sprintete noch schneller in Richtung Torbogen.

Die Häuser rasten an ihr vorbei und verschwammen durch die hohe Geschwindigkeit zu einem fließenden Bild aus bunten Leuchtpunkten und beschwingten Streifen. Elphabas Blick war so auf den Torbogen fixiert, dass sie auch nicht wahrnahm, wie der Mini-Schneemann aufgrund ihres Vorbeihastens seine Steinaugen verlor.

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, als sie endlich ihren Besen erreichte und sofort in die Höhe stieg. Trotz der Uhrzeit war es beinahe schon dunkel, sodass sich die Hexe auch nicht darum scherte, ob jemand sie sah.

Sie wiederholte den Schnelligkeitszauber so oft, dass ihr die Augen tränten und der Wind sie beinahe peitschte. Auf dem Besen machte sie sich ganz klein und konnte fühlen, wie durchnässt sie schon war.

Unter normalen Umständen hätte sie erbärmlich gefroren, doch jetzt hoffte sie nur, Glinda würde durchhalten.

Die Tränen in ihren Augen ließen das Bild verschwimmen, doch die Hexe erkannte noch die Umrisse von Kiamo Ko. Als sie trotz des schnellen Tempos nur langsam der Burg näher kam, fühlte sie, wie sich das Gefühl der Erleichterung in sich breitmachte und fragte sich, woher dies so plötzlich kam.

Als sie kurz vor Kiamo Ko war, schoss ihr ein Name durch den Kopf. „Madame Akaber!“, hauchte sie gegen den Wind, „Sie lebt! Ich habe sie nicht umgebracht!“

In diesem Moment wusste sie, woher das Gefühl der Erleichterung rührte und sie dachte angestrengt darüber nach, wie sie Glinda das mit dem Artikel erklären sollte.

Als Elphaba jedoch Kiamo Ko direkt vor sich sah und eine Sturzlandung machen musste, verschwanden diese Überlegungen genauso schnell wieder, wie sie aufgetaucht waren.

Im letzten Moment sprang die Hexe von ihrem Besen und rollte sich reflexartig über ihre Schulter ab.

Sofort schossen ihr die Erinnerungen an jene Nacht durch den Kopf, als sie auf einem der smaragdischen Dächer in genau derselben Art und Weise gelandet war. Eigentlich war die Situation dieselbe: Sie musste Glinda beistehen, jedoch hatte sie nun nicht einmal einen Kratzer.

Eilig griff sie nach ihrem Besen und rannte zu dem großen Eingangstor. Als sie im Dunkeln durch die Eingangshalle rannte, die sporadisch von gleißenden Blitzen erhellt wurde, warf sie ihren Besen hektisch in eine Ecke und öffnete die Tür zum Wohnsaal.

Auch dieser lag in Finsternis vor ihr, doch sie rannte weiter. Während sie jedoch diesen Saal durchquerte, riss sie ihre Arme in die Höhe: „Flamara!“

In sekundenschnelle brannten alle Kerzen im Raum und die Glut des Feuers loderte erneut auf. Ein lauter Donnerschlag ließ ihr Herz für einen Schlag aussetzen und sie eilte die Wendeltreppe hinauf, wobei sie zwei Stufen auf einmal nahm. Die Wassertropfen hinterließen eine Spur bei jeder Bewegung, die Elphaba machte.

Keuchend und ganz außer Atem erreichte sie endlich ihre Schlafzimmertür. Sie hielt einen Moment inne, atmete einmal tief durch, schluckte und horchte.

Das laute Geprassel des Regens war sogar durch die Zimmertür zu hören und ein erneutes Donnergrollen verschluckte all die anderen Geräusche.

Mit pochendem Herzen und noch immer nasser Hand drückte Elphaba vorsichtig die Klinke runter und schob die Tür langsam auf. Der Raum war ebenfalls recht dunkel, sodass die Hexe gerade mal die Konturen ihrer Möbel erkannte. Das Feuer war erloschen.

Behutsam setzte sie einen Fuß vor den anderen und ging lautlos an die Bettseite, auf welcher sie letzte Nacht geschlafen hatte. Nun erkannte sie auch die Umrisse von Glindas Locken und der Bettdecke, unter welcher sie liegen musste.

Erneut ließ Elphaba den Kamin auflodern und die wiederbelebten Flammen erhellten den Raum augenblicklich. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten, doch dann sah sie, wie Glinda sich weit unter der dicken Bettdecke verkrochen hatte.

Ein leises Wimmern drang an ihre Ohren und sie konnte sehen, wie die blonde Schönheit unter der Decke heftig zitterte.

„Glinda?“, flüsterte sie leise und ging dabei auf die andere Seite des Bettes, „Glinda? Ich bin wieder da… Glin…“ Ein plötzlicher Donnerschlag übertönte Elphabas Worte und sie fuhr erschrocken zusammen. Auch Glindas Körper zuckte unkontrolliert bei diesem dröhnenden Geräusch.

‚Das ist aber auch ein Unwetter!’, ärgerte sich Elphaba innerlich und ließ sich dann neben ihrem Bett auf die Knie nieder, da sie noch immer durchnässt war. Als sie sich mit ihrer Hand auf dem Boden abstützend wollte, fühlte sie etwas weiches auf dem Boden und hob das noch immer feuchte Handtuch ins Licht.

‚Das kommt mir ja gerade recht…’, dachte Elphaba und wischte sich die letzten Regentropfen aus ihrem Gesicht. Dann legte sie das Handtuch wieder beiseite.

Da ihr Oberkörper jedoch gestreckt war und sie nicht auf ihren Füßen saß, war Elphaba immer noch eine Kopf größer, als die im Bett liegende Glinda.

Sanft legte sie ihre Hand auf die Stelle der Bettdecke, unter welcher Glindas Schulter sein musste.

„Glinda… Du bist in Sicherheit… Ich bin…“, flüsterte Elphaba und hielt plötzlich inne.

Vorsichtig lehnte sie sich ein Stück nach vorne und zog die Bettdecke etwas zurück. Glindas Augen waren geschlossen. Ihre Augenlieder zuckten von Zeit zu Zeit, aber es war eindeutig zu erkennen, dass sie schlief.

Eilig stand Elphaba auf und schlich ins Badezimmer. Lautlos stellte sie ihre Tasche ab, zog sich aus und rubbelte ihren nackten Körper mit einem dicken Handtuch trocken. Dann wickelte sie sich in das Handtuch ein und schlich zurück in ihr Schlafzimmer. Glinda wimmerte immer noch und Elphabas Herz setzte abermals einen Schlag aus.

Sie wusste, dass Glinda sie nun brauchte. Also beeilte sie sich, so leise wie möglich den Schrank zu öffnen und schlüpfte in eine trockene Unterhose. Da sie im Licht des Feuers stand und ihr Schatten auf den Schrank geworfen wurde, griff sie ohne zu sehen hinein und zog ein kurzes, ärmelloses Nachthemd heraus.

„Ach, was soll’s…“, murmelte sie, als Glinda laut aufschluchzte. Schnell zog Elphaba sich das Hemd über den Kopf, schloss die Schranktür und eilte zu ihrer Seite des Bettes. Als sie ihre Bettdecke zurückwarf, um darunter kriechen zu können, sah sie einen schwarzen Schatten durch die Luft fliegen und kurz darauf war ein leiser Aufprall zu hören.

Neugierig stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um sehen zu können, was sie da gerade vom Bett geworfen hatte.

Als sie den Gegenstand im Schein des Feuers erkannte, hielt sie verwundert inne: ‚Mein Stift?’

Mit einem erneuten Blick auf Glinda war ihr alles klar. Zwischen ihrer und der Bettdecke von Glinda lag ein weißes, unbeschriebenes Blatt und Elphaba nahm an, Glinda wäre noch vor dem offensichtlich gewollten Schreiben eingeschlafen.

Ohne noch einmal genauer hinzusehen hob Elphaba das Blatt auf und legte es auf den Nachtisch an ihrer Seite des Bettes. Als sie sich gerade zurückdrehen wollte, erklang das nächste Donnergrollen und Glinda zuckte abermals zusammen.

Ohne jegliche Vorwarnung sah Elphaba aus ihrem Augenwinkel, wie Glinda in die Höhe schoss und in das Feuer starrte. Augenblicklich erfüllte ein panischer Schrei das Zimmer und ließ Elphaba zusammen fahren. Sofort danach brach Glinda weinend zusammen.

„Emely! Nein, Emely… Emely.. NEIN! NEIN! NEEEEEEEEEEEIN!”

Die blonden Locken bewegten sich ruhelos unter dem bebenden Körper. Glindas Hände waren zu zwei festen Fäusten geballt, die unaufhörlich auf die Bettdecke einschlugen. Ihre Beine strampelten und Elphaba hatte große Probleme damit, den zitternden Körper der Freundin zu fassen. Den Namen ‚Emely’ hatte sie noch nie aus Glindas Mund gehört.

„Glinda… Glinda…“, wiederholte sie hilflos. Glinda schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen.

„Glinda!“ Elphaba rief den Namen nun fast schon aus doch ihr strenger Ton schien bis zu Glinda durchgedrungen zu sein. Die blonde Frau zuckte kurz zusammen, bevor ihr Körper aufhörte, sich unaufhörlich hin und her zu bewegen. Die blonde Frau wandte ihr Gesicht zögernd vom Feuer ab. Mit verstörtem Blick und tränenerfüllten Augen blickte Glinda in die Richtung von Elphabas Kopf, jedoch bemerkte die Hexe, dass die blauen Augen sie nicht wirklich ansahen.

Elphaba erholte sich unverzüglich von ihrem Schock, da sie wusste, Glinda brauchte sie nun mehr als alles andere. Da die blonde Frau sich nicht mehr unkontrollierbar umherwarf, rutschte Elphaba ein Stück näher an sie heran.

„Glinda…“, sagte sie leise, als sie zärtlich ihre rechte Hand auf Glindas linke Wange legte, „Glinda, ich bin es, Elphaba. Alles ist gut. Es war nur ein Traum. Es ist vorbei…“

Elphaba wusste nicht, ob Glinda sie überhaupt hörte und versuchte verzweifelt, in die sonst so leuchtend blauen Augen zu blicken.

„Glinda…“, flüsterte sie erneut, doch die blonde Frau reagierte noch immer nicht. Immer wieder schluchzte sie auf: „Emely…“ und geistesabwesend starrte sie durch Elphaba hindurch.

Also legte diese ihre andere Hand auf Glindas freie Wange, hob ihren Kopf leicht an und sagte erneut, diesmal mit fester Stimme: „Glinda, ich bin es, Elphaba.“

Elphaba sah, wie Glinda kurz blinzelte und die blauen Augen dann endlich die ihren suchten. Der Schatten auf Glindas Gesicht fiel ab, als sie Elphabas zärtliche Berührung fühlte, die blauen Augen zeigten endlich wieder eine lebendige Regung.

Durch das verschwommene Bild ihrer Tränen erkannte Glinda Elphaba und fühlte die warmen Finger auf ihren Wangen.

„Elphaba…“, stöhnte sie mit heiserer Stimme. Ihre Stimmbänder waren von den grellen Schreien ganz wund.

„Glinda, ich bin hier. Alles ist gut…“, flüsterte die Hexe ruhig und streichelte zärtlich Glindas heiße Wange, die noch immer ganz nass von den Tränen war.

Als die blonde Frau die Berührungen auf ihrer Wange fühlte, brach sie weinend zusammen und Elphabas Arme umschlossen sie sanft.

„Alles wird gut, Glinda… Ich bin ja hier…“, flüsterte Elphaba besänftigend, zog die zitternde Frau ganz nah an sich heran und streichelte die bebenden Locken.

Da diese Situation so unerwartet eingetreten war, befand sich Elphaba in einer unkomfortablen Haltung zwischen sitzen und liegen. Glinda hatte ihren Kopf auf die knochige Schulter gelegt und weinte heftig. Also drückte die Hexe ihre Freundin sanft von sich weg und rutschte etwas höher, damit sie ihren Rücken am Kopfende des Bettes anlehnen konnte. Dann zog sie Glinda zu sich heran und positionierte sie zwischen ihren Beinen.

Als die blonde Frau sich mit ihrer linken Seite gegen Elphaba kuschelte und ihr Gesicht in Elphabas Brust vergrub, legte diese beide Arme um die Freundin und wiegte sie sanft hin und her.

Aus dem Augenwinkel sah Elphaba den nächsten Blitz und der leise Donnerschlag folgte gleich darauf. Erneut zuckte Glinda zusammen und schrie auf. Elphaba drückte sie an sich, während das Schluchzen wieder stärker wurde.

Hilflos sahen die dunklen Augen auf die blonden Locken, die durch das wilde herumschlagen und –treten ganz durcheinander waren. ‚So schlimm war es noch nie….’, dachte Elphaba verzweifel, ‚Sonst hat es immer geholfen, wenn ich sie gehalten und gestreichelt habe….’

Glinda schluchzte erneut laut auf. „Emely…nein… “, flüsterte sie weinend.

‚Was soll ich nur tun?’, fragte sich die Hexe, als sie Glindas Worte hörte.

Plötzlich erleuchtete ein so heller Blitzschlag das Zimmer, sodass Elphaba blinzeln musste. Im Einklang mit diesem Blitz donnerte es auch so heftig, dass die Scheiben des Zimmers leicht vibrierten. Erschrocken hielt Elphaba den Atem an und starrte hinab auf Glinda, die in ihren Armen auch aufgehört hatte zu atmen.

Nach nur einer Sekunde der absoluten Stille wollte sich Glinda ruckartig aufsetzen, doch Elphaba hielt sie fest. Sie wusste, wenn sie die Freundin nun loslassen würde, würde sie sie nicht mehr zu fassen kriegen.

Wütend strampelte und boxte Glinda um sich und traf Elphaba dabei am Kinn. „Es war meine Schuld!“, schrie sie, außer sich vor Wut und Frustration, „Es ist alles meine Schuld!“

Glindas Schreie dröhnten in Elphabas Ohren und ihr Kinn schmerzte, doch sie wusste Glinda würde gar nicht erst auf ihre Fragen eingehen. Kurz ließ sie Glinda los und packte sich mit festem Griff die schmalen Handgelenke. Dann umarmte sie den ruhelosen Körper erneut, sodass Glindas Arme um die eigenen Hüften lagen. Jetzt konnte sie nur noch mit den Beinen strampeln und warf dabei die Bettdecke auf den Boden. Reflexartig hob Elphaba ihre Beine an und drückte dann mit ihnen Glindas Beine auf das Bett.

Dann atmete sie einmal tief durch, um ihre Gedanken zu ordnen und dann entschloss sie sich dazu, einfach auf ihre innere Stimme zu hören. Sie fühlte, wie Glindas Muskeln sich immer wieder anspannten und gegen Elphabas Beine und Arme drückten. Als Glinda jedoch heftig ihren Kopf zurückwarf und dabei auf Elphabas Brustkorb aufschlug, wusste die Hexe, dass sie nun etwas tun musste.

„Glinda!“, sagte sie mit lauter Stimme, doch die Frau versuchte immer wieder sich mit aller Kraft aus Elphabas festem Griff zu befreien.

Die Hexe atmete einmal tief ein und begann dann, eine immer lauter werdende Melodie zu summen.

Glinda verbalisierte ihren Widerstand mit kurzen Schreien, in denen ihre Verzweiflung und Wut deutlich wurde. Als Elphaba begann, etwas lauter zu summen, wurden die Schreie langsam leiser und ebbten ab. Elphaba hörte ihre eigene Melodie und wie gewöhnlich formten sich die Worte passend zu diesen Tönen einfach so in ihrem Kopf. Erst da begann die Hexe leise zu singen:
 

„Do not be afraid, my sweet.

I am here for you.

I always will be.

I’ll give you what you need.
 

Do not be afraid, my sweet.

Do not be afraid of what morning will bring.

Just close your eyes

And trust me.

Because the sun will rise

And brighten your worries.
 

Do not be afraid, my sweet

And feel my embrace.

Feel my warmth

And my love

In so many ways.
 

Do not be afraid, my sweet.

I am here for you.

I always will be.

I’ll give you what you need.
 

Just close your eyes

And you will see –

The sun will rise

to change the terribly.
 

The terribly –

This you will see –

Was nothing but a lie.

This, my sweet

You will know

When the sun hits the sky.
 

So close your eyes

And go back to sleep.

I am here for you

And I’ll give you what you need.
 

You are safe in my arms.

I will hold on to you.

Never again letting you go.

There is nothing in here.

Nothing that you harms.
 

So close your eyes

And go back to sleep.

I am here for you

And I’ll give you what you need.”
 

Mit jeder Strophe wurde Glindas Atem regelmäßiger und ihr Körper ruhiger. Ihre verkrampften Hände entspannten sich, sodass auch Elphaba ihren Griff etwas lockern konnte. Glindas Beine drückten nicht mehr unaufhörlich gegen die von Elphaba und ihren Kopf hatte Glinda während des Liedes langsam auf Elphabas Brustkorb sinken lassen.

Die ruhige Melodie, die bedachten Worte und der langsame Rhythmus schienen den zitternden Körper eingenommen zu haben und als Elphaba ihr Lied summend ausklingen ließ, hörte sie Glindas vertrautes Murmeln, welches sie immer im Schlaf von sich gab.

Erschöpft lehnte Elphaba ihren Kopf gegen das Ende des Bettes und seufzte. Erst jetzt merkte sie, wie sehr sie schwitzte und wie anstrengend dieser Kampf um Kontrolle gewesen war.

Als sie ihre Hände von den dünnen Handgelenken nahm und Glindas Arme streichelte, merkte die Hexe, dass auch Glinda nass geschwitzt war.

Sie wunderte sich, woher dieser plötzliche Ausbruch kam und wie Glinda die anderen Gewitter überstanden hatte. Niemals zuvor war es so heftig gewesen, auch nicht während ihrer gemeinsamen Zeit in Shiz. Elphaba hatte auch niemals zuvor daran geglaubt, dass Glindas Angst einen tieferen Grund besaß. Doch was Glinda gerade durchgemacht hatte, war keine bloße Angst, sondern es war eine heftige Panikattacke gewesen und Elphaba wusste genau, dass solche Attacken nicht von irgendwoher kamen und aus dem Nichts auftauchten.

‚Dafür muss es einen komplexeren Grund geben….’, dachte die Hexe und schloss müde die Augen, ‚Einen weitaus komplexeren Grund, als die bloße Abneigung gegen schlechtes Wetter… Und dieser Grund ist wahrscheinlich viel schrecklicher, als ich ahnen kann….’

Bei diesem Gedanken seufzte Elphaba erneut. Sie fragte sich, warum sie daran nicht früher gedacht hatte. Mit dem dritten Seufzer schob sie die aufsteigenden Schuldgefühle zur Seite. ‚Glinda hat mir nie Grund zu dem Anlass gegeben, dass sie irgendetwas in traumatischer Art und Weise beschäftigt. Wie hätte ich es also ahnen können?’, dachte die Hexe und wusste, dass sie Recht hatte.

Als ihre Wanduhr leise läutete, öffnete Elphaba die Augen und sah, dass es erst 15 Uhr waren. Sie war nicht überrascht, dass sie sich trotz der Uhrzeit so müde fühlte, als hätte sie drei Nächte nicht geschlafen. Ihr Kinn schmerzte etwas und im Brustbereich spürte sie ein leises Pochen, genau an der Stelle, welche Glinda mit ihrem Hinterkopf getroffen hatten.

Der nächste Blitz ließ nicht lange auf sich warten und sofort begann Elphaba wieder, die Melodie zu summen. Beruhigt stellte sie fest, dass der darauffolgende Donner nicht mehr ganz so laut war. Bei dem fernen Donnergrollen bewegte sich die Frau in ihren Armen nur leicht.

Noch immer summend schloss Elphaba die Augen und legte zärtlich ihre Arme um Glindas Oberkörper.
 

Als es klopfte, küsste Meredith ihre Frau ein letztes Mal, jedoch mit solch einer Leidenschaft, dass beiden die Luft wegblieb.

„Ich liebe dich…“, flüsterte Meredith atemlos. „Ich liebe dich auch…“, hauchte Reseda und sah ihrer wunderschönen Frau ein letztes Mal tief in die Augen, bevor sie sich, wie abgesprochen, schlafend stellte.

Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete Ramón die Tür und sah, wie Meredith mit dem Rücken zu ihm an Resedas Seite saß.

„Meredith, es ist Zeit zu geh….“, begann der blonde Mann und hielt dann verblüfft inne, als Mutter Meredith sich zu ihm umdrehte. Sie trug ein schwarz-weiß gepunktetes Kleid, welches bis zum Hals geschlossen war und um ihre Hüfte war ein schwarzes Seidenband zu einer Schleife gebunden worden. Darüber trug sie eine schwarze Kette und die roten Haare fielen ihr über die Schultern. Ihre Augenlider waren in einem hellen grün geschminkt, was ihre grünen Augen noch stärker leuchten ließ. Sie sah umwerfend aus.

„… zu gehen.“, setzte Ramón fort, als er seine Stimme wiedergefunden hatte. „Das hier ist Domingus Wigluv.“ Bei diesen Worten deutet Ramón auf den dunkelhaarigen Mann neben sich. Er war groß und schlaksig. Seine etwas längeren schwarzen Haare fielen ihm etwas strähnig ins Gesicht und er schien übergroße Hände und Füße zu haben. Letztere steckten in polierten, schwarzen Schuhen, welche zu seinem schwarzen Anzug passten. Darunter trug er ein schwarz-weiß kariertes Hemd und an seiner schwarzen Jacke baumelte eine goldene Brosche. Bei näherem Hinsehen erkannte Meredith, dass dies das neue Wahrzeichen der neuen Oberhäupter von Oz sein musste, denn auf der Brosche war eine kleine 5 zu sehen und darunter standen groß die Buchstaben ‚MA’. Die Augen des Mannes, den Ramón eben als Domingus Wigluv vorgestellt hatte, kamen Meredith sehr stechend vor, jedoch konnte sie nicht genau erkennen, welche Augenfarbe er hatte. Sie schienen farblos zu sein, dennoch funkelten sie enorm. Vielleicht lag das jedoch eher an den dichten, schwarzen Augenbrauen oder an dem kleinen Bart, welchen er am unteren Ende seines Kinns trug.

Meredith sah interessiert zu, wie der Mann seinen übergroßen Mittel- und Ringfinger der rechten Hand gegen seine Augen drückte und irgendetwas murmelte.

„Danke, Domingus!“, nickte Ramón, als der Mann sich aus dieser merkwürdigen Position löste. Erst jetzt verstand Meredith, dass dieser Mann gerade den Bann von ihrem Zimmer genommen hatte.

„Meredith? Du wirst erwartet.“, sagte Ramón feierlich und machte mit seinem Arm eine Geste in Richtung Flur.

„Was ist mit Resi?“, fragte die rothaarige Frau besorgt und wandte sich ein letztes Mal um, als sie in Richtung Tür ging. Die Absätze ihrer hohen Schuhe machten bei jedem Schritt ein klackendes Geräusch, während ihre kranke Frau noch immer vorgab, zu schlafen.

„Kwen wird sich um sie kümmern. Sie wird pünktlich erscheinen.“

‚Oh nein…’, dachte Meredith besorgt, in Erinnerung an ihre letzte Begegnung mit dem violetthaarigen Monster, ‚Hoffentlich tut er ihr nichts an…’

Als Ramón und Meredith sich auf den Weg machten, blieb Domingus an der Tür zurück und Meredith sah, wie er seine komische Handbewegung von eben wiederholte.

„Ich dachte, ich soll nun meine öffentliche Erklärung abgeben?“, fragte Meredith etwas verwirrt darüber, dass Reseda doch zur gleichen Zeit dort sein sollte.

„Nein. Jetzt noch nicht. Erst gegen 19 Uhr… Nun, wahrscheinlich sogar noch eine halbe Stunde später.“, antwortete Ramón, als er Meredith an ihrem Arm durch die langen Flure des Palastes führte. Mit seiner Antwort hatte er Meredith noch mehr verwirrt: „Und wo werde ich jetzt hingebracht, wenn ich doch erst gegen halb acht meine Rede halten soll?“

„Zu den mächtigen Fünf!“ Ramóns Worte jagten Meredith einen kalten Schauer über den Rücken. Sie hatte nicht gedacht, dass sie dieses Gefühl einmal haben würde, doch seit jener Nacht fühlte sie es ständig: Angst. Sie hatte kein Angst vor Accursia Akaber oder wer noch hinter dieser schweren Eichentür auf sie wartete, vor der Ramón nun stehen blieb und klopfte. Sie hatte Angst um Reseda.

Als der blonde Mann ihr den Rücken zukehrte, rückte Meredith schnell noch einmal ihren BH zurecht, sodass der Zettel von Margo Blair sie nicht mehr kratzte. Als Reseda vor einigen Stunden erneut aufgewacht war, hatten die beiden Frauen über diesen Zettel gesprochen und waren sich einig darüber gewesen, dass er verschwinden musste.

Diesmal wartete Ramón die Antwort ab, bevor er die schwere Tür öffnete. Er selber blieb an der Türschwelle stehen und machte Meredith mit einer Handbewegung klar, dass sie bitte eintreten sollte.

Ihr Herzklopfen pochte der rothaarigen Frau in den eigenen Ohren, als Ramón die Tür hinter ihr schloss. Sie stand in einem schmalen, aber lang gezogenem Raum. Der Gang lag im Dämmerlicht der Kerzen vor ihr, welche nur im hinteren Ende des Raumes brannten. Dort hinten stand auch ein mächtiger Holztisch, an welchem vier Frauen saßen.

Mit selbstsicherem Gang setzte sich Meredith in Bewegung. Die kahlen Wände warfen das Echo ihrer Stöckelschuhe in regelmäßigen Abständen zurück. Als sie sich dem Tisch näherte, erkannte sie Madame Akaber, welche am Kopfende des Tisches saß und sie anstarrte, genau wie die anderen drei Frauen am Tisch.

‚Und wo ist Nummer Fünf?’, schoss es Meredith durch den Kopf, als sie sah, dass noch zwei Stühle unbesetzt waren. Als sie den Tisch erreicht hatte, blieb sie regungslos davor stehen.

„Meredith Schiforsan, Mutter Meredith. Was für eine Augenweide!“, begrüßte Madame Akaber sie mit mächtiger Stimmlage. Meredith sah, wie die einzige Blondine am Tisch bei dem Wort ‚Augenweide’ heftig nickte.

„Setzen Sie sich doch, bitte.“, sagte Accursia und deutete auf den Stuhl gegenüber von sich. Ohne ein Wort setzte sich die rothaarige Frau auf den Stuhl am anderen Ende des Tisches und starrte Madame Akaber an.

„Also, was genau soll ich sagen?“, fragte sie ohne Umschweife.

Madame Akaber wollte gerade zu einer Antwort ansetzten, als die schwere Tür am anderen Ende des Raumes aufflog. Meredith erschreckte sich enorm, dennoch sah man ihr das äußerlich nicht an. Sie machte sich auch keine Mühe nachzusehen, wer da gekommen war.

„Hier bin ich!“, schrie eine Frauenstimme und schnelle Schritte waren im Raum zu hören.

Madame Akaber nickte nur, als die junge Frau in Meredith Blickfeld gelaufen kam und deutete auf den noch freien Stuhl rechts neben ihr.

Mit einem Blick durch die Runde stellte Meredith verwundert fest, dass sie mindestens 15 Jahre älter sein musste, als all die Frauen, bis auf Accursia Akaber, welche an diesem Tisch saßen. Außerdem trug jede Frau das gleiche: eine dunkle Kutte, ohne Kapuze mit demselben Emblem über der linken Brust, wie auch Domingus eines getragen hatte.

„Wie ich gerade sagen wollte…“, setzte Madame Akaber erneut an, „… warteten wir noch auf diese junge Dame. Nun sind wir komplett. Also beginnen wir?“

Die anderen Frauen in der Runde nickten im Takt, während die junge Frau noch immer nach Atem rang.

Meredith fragte sich, warum sie so gehetzt war und woher sie gerade kam.

‚Irgendwoher kenne ich doch dieses Gesicht…’, dachte sie und versuchte sich zu erinnern.

„Elfina? Elfina Rob?“, fragte Meredith atemlos, als sie das Gesicht endlich identifiziert hatte. Madame Akaber hatte gerade etwas über ihre ‚Erwartungen’ an Meredith während der Rede erzählt, wie sie die Erpressung so schön nannte und hielt mitten im Satz inne.

Meredith starrte die vermeintliche Elfina an und die blonde Frau von vorhin lehnte sich hinüber. „Wovon spricht sie?“, fragte sie flüsternd und auf die Züge der jungen Frau, die eben noch atemlos gewesen war, trat ein fieses Grinsen.

„Ich glaube kaum, dass der Name der Wahrheit entspricht, aber das waren Sie doch, oder nicht?“, wandte sich Meredith nun an die Reporterin, welche Glinda und sie auf dem Ball belästigt hatte.

„Ja und ja.“, erwiderte Aylin und die anderen Damen, bis auf Accursia, hatten keine Ahnung, worum es ging.

„Dachte ich es mir doch.“, zischte Meredith und fokussierte sich wieder auf Accursia, „Ich höre.“

Mit einem eindeutigen Blick wies Madame Akaber die anderen Frauen an, nun keine Fragen zu stellen und begann dann, Mutter Meredith zu erklären, was sie heute Abend und wie sie es sagen sollte.

Nach einer Stunde wurde Meredith von Ramón wieder zurück zu ihrem Zimmer begleitet. Sie war verwirrt, wütend, verletzt, aber am meisten verspürte sie großen Zorn. Die Damen hatten sie nur über ihre eigene Rede informiert und die dazugehörigen Details durchgesprochen, wobei Madame Akaber die meiste Zeit Wortführende gewesen war. Nur diese merkwürdige, hellblonde Frau hatte sich ein paar Mal eingebracht und zwar nur, um die ganze Sache für Meredith noch schwieriger zu gestalten. Sollte sie jemals aus dieser Situation herauskommen, so hatte sich Meredith geschworen, würde sie diese blonde Person höchstpersönlich aufsuchen und ihr das zurückzahlen, was sie ihr gerade angetan hatte.

Normalerweise verachtete Meredith so etwas wie Rache oder körperliche Gewalt, aber seit jener Nacht hatte nur der Gedanke an Rache sie noch am Leben gehalten… und ihre Liebe zu Reseda.

Meredith war so in ihren Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie Ramón sie zu ihrem Zimmer zurückgeführt hatte. Erst seine Worte holten sie wieder in die Gegenwart zurück: „Ich komme dich und deine Frau in 45 Minuten abholen. Auch sie sollte sich etwas schick machen.“

„Was?“, fragte Meredith überrascht, „Ich dachte Kwen würde…“

„Nein.“, unterbrach Ramón den Satz, „Ich habe ihm eine andere Aufgabe gegeben.“

„Wieso?“

„Weil ich deinem Blick angesehen habe, dass dir unwohl bei dem Gedanken war, dass Kwen deine Frau … fertig macht.“

‚Fertig machen in sehr doppeldeutiger Weise…’, dachte Meredith und verstand, dass Ramón genau wusste, was er da gerade gesagt hatte.

„Das verstehe ich nicht…“, sagte sie schließlich verblüfft, als sie ihre Stimme wiederfand.

„Das musst du auch nicht. 44 Minuten.“

„Schon gut!“, entgegnete Meredith hektisch und drehte sich zur Tür um.

Sie zuckte erschrocken zusammen, als sie nur wenige Zentimeter vor Domingus innehielt. Sie hatte ihn gar nicht bemerkt.

„Bitte.“, sagte der dunkelhaarige Mann mit tiefer Stimme und hielt ihr die Tür auf.

„Danke…“, hauchte Meredith und lief eilig in den Raum.

‚Was um alles in Oz wird hier gespielt?’, fragte sie sich innerlich, als sie auf Reseda zuging.
 

„Ela, es hat aufgehört…“ Gideon wiegte seine Frau in seinen Armen hin und her. Die beiden waren von Kwen in dieses Zimmer gebracht worden und nachdem sich jeder von ihnen geduscht und umgezogen hatte, waren sie nicht mehr auseinander gewichen. Sie hatten sich leidenschaftlich geliebt, doch dann war das Gewitter über Oz hereingebrochen…

Elanora lag mit dem Gesicht an Gideons Brust gedrückt und weinte leise.

„Es ist vorbei…“, flüsterte Gideon mit einem Blick aus dem Fenster und streichelte sanft den Rücken seiner Frau. Er war sehr erleichtert, dass dieses starke Gewitter nun endlich ein Ende hatte. So langsam kam die Sonne wieder hinter den Wolken hervor.

„Gideon…“, flüsterte Elanora leise, „Ich halte das nicht aus… Ich halte das nicht aus….“

„Oh, mein Ela-Engel… In solchen Stunden fühle ich mich nicht anders, aber wir müssen uns vor Augen halten, dass wir nichts daran ändern können… und es ist schon so lange her…“, seufzte der Mann und eine Träne kullerte über seine Wange.

Elanora setzte sich auf und sah ihren Ehemann mit tränenerfülltem Blick an: „Ich weiß… Ich weiß, dass es schon eine Ewigkeit her ist… beinahe 20 Jahre… und ich weiß auch, dass wir die Vergangenheit nicht ändern können… Aber bei jedem Gewitter sehe ich sie wieder vor mir… Ich höre noch immer Glindas Schreie, die sich mit meinen vermischen… ‚Emely… Emely…’… Ich sehe das Feuer und ich…“ Dann brach ihre Stimme ab und sie biss sich auf die Unterlippe.

„Oh, Ela…“, seufzte Gideon erneut und zog seine Frau wieder an seine Brust. Als er zärtlich durch ihr graues Haar strich, flüsterte er: „Es gibt einen Platz… Einen einzigen Platz und dort wird sie nichts und niemand vertreiben können: unser Herz.“
 

Als Elphaba die Augen öffnete, wusste sie erst nicht, wo sie war. Sie war wach geworden, weil sie geträumt hatte zu ersticken, da sie im Traum einen hohen Druck auf ihrem Brustkorb gespürt hatte. Die Abendsonne schien durch das Fenster und die blonden Locken leuchteten wie immer in solchen Momenten. Mit einem Blick auf Glinda, wusste Elphaba wieder, wo sie war und warum sie diesen Traum gehabt hatte.

Ihre Freundin lag noch immer an sie gekuschelt und sie hatte ihren Kopf während des Schlafens nicht bewegt. Elphaba fühlte, wie ihre Haut klebte und erinnerte sich wieder an den Kampf, den sie mit Glinda vor erst drei Stunden gehabt hatte.

Vorsichtig löste sie ihre Arme von der Freundin und positionierte diese neben sich, sodass die Hexe aufstehen konnte. Ihre Glieder waren steif, da sie im Sitzen eingeschlafen war und ihr Brustkorb schmerzte, als sie sich aufsetzte.

Lautlos schlug Elphaba die Bettdecke zurück, doch der Luftschub wehte das unbeschriebene Blatt Papier von ihrem Nachttisch und es landete auf dem Boden.

Langsam stand Elphaba auf. Erst setzte sie ihre Füße auf den Boden und richtete sich dann auf. Bevor sie das Blatt aufhob, streckte und reckte sie sich, um ihre verkrampften Arme und Beine zu lockern.

Dann erst bückte sie sich und staunte nicht schlecht, als sie das Blatt vom Boden aufhob. Es war ganz und gar nicht unbeschrieben… Es hatte nur immer auf der falschen Seite gelegen.

Elphaba tappste auf nackten Füßen wieder zu ihrem Nachttisch und wollte das Blatt gerade dorthin legen, als ihr der Titel ins Auge fiel. „Parting of the ways – which path will I choose?“, las sie murmelnd und ihr Herz begann schneller zu schlagen.

In diesem Moment drehte sich Glinda im Bett um, was Elphaba mit dem Blatt in der Hand erstarren ließ. Ohne den Text gelesen zu haben, wusste Elphaba, dass Glinda es nicht mit Absicht vergessen hatte und irgendetwas sagte der Hexe auch, dass es auch nicht für ihre Augen bestimmt war…

Es war nicht Elphabas Neugierde, welche sie davon abhielt, das Blatt ungelesen zu lassen… Es war ihre Angst. ‚Welche Wege meint Glinda mit der Überschrift? Will sie fortgehen?’, fragte sie sich in Gedanken und ohne darüber nachzudenken, drehte sie sich mit dem Blatt in der Hand um und ging in das Badezimmer. Dann schloss sie die Tür und ließ sich auf dem Teppich nieder. Ihre Augen wehrten sich noch einen Moment, die Zeilen wirklich zu lesen. Elphaba war etwas erstaunt: sie hätte Glindas Handschrift nicht identifizieren können, wenn nicht die blonde Frau mit ‚Glinda Hochborn’ unterschrieben hatte. Es war mehr ein Gekritzel und überall war etwas durchgestrichen und wieder neu geschrieben worden. Es dauerte nicht lange und Elphaba erkannte die Struktur eines Gedichts. Dass die Zeilen gekritzelt waren, änderte nichts daran, dass die Worte mit sehr viel Gefühl geschrieben worden waren, denn viele der Buchstaben waren geschwungen oder gezackt…

Erst nachdem Elphaba sich mit dem Aufbau der Strophen befasst hatte, konnte sie sich dazu überwinden, auch den Inhalt der Zeilen aufzunehmen und begann zu lesen…
 

“Parting of the ways – Which path will I choose?
 

Is there any place tonight?

Will the sun come out and light

The shadows creeping through this barren land?
 

Nothing is familiar now

looking back I see somehow

the future holding out it’s empty hands.
 

And I am the one to realize -

It must be destiny,

not left a chance

with a wave of a hand, in a wasted land, we dance…
 

No truth my soul can trust –

will sleep come rescue us?

Then I will lay my head down on a bed of steel.
 

After my decision

This will never be the same –

to close to risk the pain.

No touch of skin feels how it used to feel…

And I have to be the one

Whose feelings somehow are going to peel.
 

And I am the one to realize -

It must be destiny,

not left a chance

with a wave of a hand, in a wasted land, we dance…
 

I chose –

I’m gonna be the strength you need tonight.

I’m gonna stand beside you

when you just can’t fight to hold on.

I’m not giving up on the plans we made.

If there’s a chance I believe we can find a way…

I won’t let you give up now!

We will survive all of this somehow!

Together.
 

But I am the one to realize -

It must be destiny,

not left a chance

with a wave of a hand, in a wasted land, we dance…

and it must be destiny,

for only we two.

I will know what the meaning of love can do…
 

I am the one to realize

It’s getting dangerous, for me to hear you say…

it’s getting dangerous, to see you go astray…

it’s killing me enough, to wait another day…

and it’s killing me enough, to push my feelings far away!
 

But it must be destiny,

for only we two.

We will know what the meaning of love can do…
 

Glinda Upland

Xxx”
 

Mit zitternden Händen ließ Elphaba das Blatt aus ihren Fingern gleiten. Als es zu Boden segelte, starrte sie darauf, als würde es plötzlich anfangen, zu sprechen und ihr erklären, was das alles zu bedeuten hatte.

Das Herz in ihrer Brust pochte so heftig, als würde es sich aus ihrem Brustkorb befreien wollen. Ihre Gedanken rasten wirr durch ihren Kopf und sie verstand nichts von dem, was sie da gelesen hatte.

Oder vielleicht wollte sie es auch gar nicht verstehen.

Mit einer schnellen Handbewegung drehte sie das Blatt um, als sie das Gefühl hatte, die Buchstaben würden vor ihren Augen zu tanzen beginnen. Nun lag die unbeschriebene Seite des Blattes oben, was Elphaba etwas beruhigte.

„Das… ich… Das kann doch nicht wahr sein… Ich verstehe das nicht…“, murmelte Elphaba in das sonst menschenleere Badezimmer hinein und konnte den Blick noch immer nicht von dem unschuldig-weißen Papier nehmen.

Als Elphaba merkte, dass ihre Gedanken sich weder ordnen konnten, noch wollten, erhob sie sich und ging rückwärts in Richtung Badewanne… Noch immer war ihr Blick auf das Blatt gerichtet. Als ihre Wade die Wanne berührte, tastete sie mit ihrer linken Hand nach dem Wasserhahn und drehte ihn auf.

Seufzend ließ sie sich dann auf den Rand der Wanne sinken und ihre Hände verkrampften sich am Badewannenrand.

‚Elphaba….’, mahnte sie sich gedanklich, atmete einmal tief durch und schloss dann die Augen. Abermals holte sie tief Luft und öffnete ihre Augen dann wieder. Jedoch blickte sie nun mit Absicht aus dem großen Panorama-Fenster des Zimmers und sah, wie die Sonne langsam zu sinken begann.

‚Wenn Glinda aufwacht, wird sie dich brauchen… Du kannst sie später danach fragen…’, dachte sie bei sich und zog sich schnell aus.

Dann stieg sie in die Wanne, zog den Vorhang zu und wechselte mit einem Knopfdruck die Wasserleitung, sodass das feuchte Nass nun aus der Brause sprudelte.

Sie erschrak fürchterlich, als das Wasser ihre Haut berührte und panisch griff sie an ihren Hals. Die Kette war noch da… Mit tiefen Atemzügen beruhigte sie sich. Es dauerte etwas, bis sie die richtige Temperatur gefunden hatte, doch dann ließ sie das ungewohnte, aber faszinierende Gefühl zu, welches das sprudelnde Wasser auf ihrer Haut verursachte.

Eilig seifte sie ihren Körper ein und wusch das rabenschwarze Haar. Sie fand es unglaublich, wie schwer und doch samtig es sich anfühlte, denn sonst hatte sie es immer nur mit Trocken-Shampoo ‚waschen’ können. Sie war begeistert davon, wie das Wasser an ihrer Haut abperlte und langsam ihren Rücken hinunterfloss. Das Gefühl ihres nassen Körpers in den eigenen Händen hatte eine andere Wirkung auf sie. Trotz der Nässe merkte Elphaba, wie sich ihre Nackenhärchen aufstellten und schnell öffnete sie wieder ihre Augen, welche sie unter dem Wasserstrahl geschlossen hatte. Verwirrt wusch sie sich das schwarze Haar aus und fragte sich, ob das Duschen an sich auf jeden Menschen eine solche Wirkung hatte. ‚Wenn ja….’, dachte Elphaba verwirrt, aber auch leicht amüsiert, ‚… dann ist es kein Wunder, dass die meisten Menschen so häufig duschen…’

Es dauerte keine weiteren zehn Minuten mehr, bis Elphaba wieder trocken und mit ihrem Morgenmantel bekleidet im Badezimmer stand und amüsiert auf ihren Spiegel starrte. Sie konnte sich darin kaum noch sehen, da der Wasserdampf sich darauf abgelegt hatte. Vorsichtig drückte sie ihren Finger gegen das kalte Glas und bemerkte, wie der Wasserbelag verschwand.

Nach kurzer Überlegung machte sie ein paar Bewegungen mit ihrem Zeigefinger und lächelte, als sie den Namen ‚Deena’ las.

Erst dann drehte sie sich um und ging in Richtung Tür. Das Blatt lag noch immer an der gleichen Stelle und als Elphaba es aufhob, fühlte es sich etwas klamm an.

Ohne das Papier umzudrehen, öffnete Elphaba leise die Tür und sah durch den Spalt hinüber zum Bett.

Glinda schien noch immer zu schlafen, also schlich sie zu ihrem Nachttisch und legte das Blatt darauf – mit der beschriebenen Seite nach unten.

Kopfschüttelnd setzte sie sich auf ihre Bettseite, als die Zeilen des Gedichts ihr wieder in den Sinn kamen. ‚Sie hat tatsächlich etwas von einer aussichtslosen Zukunft geschrieben… und sie hat die Wörter Schicksal und … Liebe… benutzt….’, dachte Elphaba verwirrt und schob die Gedanken sofort wieder zu Seite, als sie merkte, wie Glinda sich neben ihr bewegte.

Elphaba wusste nicht, ob sie Glinda danach fragen würde oder nicht… Sie beschloss, im entscheidenden Moment ihrer inneren Stimme die Führung zu überlassen.

Als sie hörte, wie die blonde Frau neben ihr leise murmelte, schlüpfte Elphaba unter ihre Bettdecke und drehte sich mit ihrem Gesicht zu Glinda, in dem Wissen, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis die Freundin aufwachen würde.

Glinda erwachte aus ihrem Halb-Schlaf, als sie fühlte, wie jemand ihr zärtlich über den Rücken streichelte. Ohne die Augen zu öffnen, griff sie unter den Bettdecken nach dieser Hand, zog sie zu sich hin und kuschelte sich dann gegen den warmen Körper und in den Arm hinein.

Sie erinnerte sich an ihren Traum und sie wusste auch, dass Elphaba da gewesen sein musste, aber die Details waren noch verschwommen.

Elphaba schwieg, als sie fühlte, wie Glinda sich an sie kuschelte und den sonst grünen Arm eigenständig um sich legte. Sie schwieg auch noch nach einer Weile, als ihre eigenen Finger die Lücken zwischen denen von Glinda suchten und sie schließlich füllten.

Auch Glinda schwieg, als sie horchend feststellte, dass das Gewitter abgeklungen war und sie schwieg immer noch, als sie sich nach längerer Zeit zu Elphaba umdrehte und ihre Augen öffnete.

Die dunklen Augen blickten fragend, aber nicht fordernd in die eisblauen Augen.

„Zieh bitte die Kette aus…“, flüsterte Glinda heiser.

Elphaba erwiderte nichts, als sie ihre Hand aus Glindas löste und den Verschluss der Kette öffnete.

Als die blonde Frau fühlte, wie die grüne Hand wieder mit ihrer eigenen verschmolz, seufzte sie und fing leise an zu weinen.

Elphaba zog die wimmernde Blondine so nah an sich heran, dass das tränennasse Gesicht in ihrer Armbeuge lag.

Glinda kuschelte sich noch etwas tiefer in die neue Position und hörte dann ein leises Summen an ihrem Ohr. Sie erkannte die Melodie… Irgendwann in den vorherigen Stunden hatte Elphaba ein Lied dazu gesungen…

Elphaba wusste, dass das, was sie nun zu tun gedachte, Glindas Tränen verstärken würde, aber sie wusste auch, dass ihre Freundin das nun brauchte. Also begann sie, wie vier Stunden zuvor, leise zu singen:

„Do not be afraid, my sweet.

I am here for you.

I always will be.

I’ll give you what you need.”

Wie erwartet, begann Glinda zu schluchzen. „Lass es raus, Glin… Lass alles raus…“, flüsterte Elphaba und streichelte sanft über den blonden Lockenkopf.

Nach ein paar Schluchzern von Glinda und einigen beruhigenden „Shhh… Shhh…“s von Elphaba, schien die blonde Frau sich langsam wieder zu beruhigen.

„Erzähl mir bitte, was eben passiert ist…“, sagte Glinda leise in Elphabas Ärmel hinein, als ihre Tränen aufgehört hatten, zu fließen.

Die grüne Frau erzählte ihr also, was geschehen war. Sie berichtete von Glindas geistiger Abwesenheit und ihren Ausbrüchen. Sie beschrieb, wie Glinda sich gewehrt und um sich geschlagen hatte. Sie erzählte ihr von dem Lied und der Melodie und schilderte, wie die blonde Frau sich dann endlich beruhigt hatte.

Da Elphaba wusste, dass die Frau in ihren Armen Zeit brauchte, um das alles zu verarbeiten, schwieg sie, nachdem sie alles erklärt hatte. Außerdem hätte Elphaba sowieso nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen…

Demnach war es auch Glinda, die nach ein paar Minuten des Schweigens die Stille brach.

„Ich war sechs Jahre alt, als es passierte…“, murmelte Glinda abermals in den Ärmel hinein und drehte dann ihr Gesicht so, dass ihr Mund frei war und sie Elphaba ansehen konnte.

„Ich war noch zu klein, um es zu verstehen… Aber ich wusste trotzdem, was ich tun musste…“, fuhr Glinda fort. Elphaba verstand nicht, worum es ging, doch sie sagte nichts, aus Angst, Glinda würde dann nicht weitersprechen.

„Den ganzen Tag über hatte es schon geregnet… Es war der Hochzeitstag meiner Eltern und sie waren über das Wetter nicht glücklich gewesen, da sie für diesen Tag einen Ausflug in den Glikkenpark geplant hatten… Mit einem Picknick und allem drum und dran. Aber das fiel aufgrund des Regens – wortwörtlich – ins Wasser… Sie haben sich dann spontan dazu entschieden, am Abend in die Stadt zu fahren… In Gillikin war zu dieser Zeit der Jahrmarkt aufgebaut… und sie wollten mit dem Riesenrad fahren… in welchem sie sich auch das erste Mal gesehen haben… Danach wollten sie noch in ihr Lieblingsrestaurant fahren. Das gibt es auch heute noch. Es heißt ‚Die Schwanendame’ und es gibt dort auch einen Tanzsaal.

Ämmchen sollte also am Abend auf mich aufpassen. Auf mich und… meine Schwester…“, Glindas Stimme brach. „Meine Schwester, Emeline…“, flüsterte sie leise und blickte traurig in Elphabas dunkle Augen.

‚Emeline? Schwester?!’, schoss es der Hexe durch den Kopf, doch sie ließ sich ihr Erstaunen nicht anmerken. Zärtlich streichelte sie über Glindas heiße Wange und deutet ihr somit an, fortzufahren.

„Am Abend mischte sich in den Regen noch ein enormer Wind, der Stunde um Stunde stärker wurde… Irgendwann fing es an, heftig zu gewittern und ich weiß noch, dass Ämmchen zu mir sagte: „Galinda, mein liebes Kind… Ich hoffe, deine Eltern sitzen nicht mehr in ihrer Liebesgondel! Sie sollten bei dem Wetter lieber nach Hause kommen und ins Bett gehen… Übrigens… für dich ist es auch Zeit… Abmarsch, meine kleine Prinzessin! Ab ins Bett!“ Ich weiß auch noch, dass ich den ganzen Abend nicht wie üblich vor dem Kamin gespielt habe, sondern die ganze Zeit über am Fenster gestanden und in die dunkle Nacht hinausgeschaut hatte. Nicht aus Angst um meine Eltern, sondern weil ich es so toll fand, wie die Blitze am Himmel zuckten und die ganze Welt für einige Sekunden erleuchtet schien. Ich war so sauer darüber, dass ich ins Bett musste und da habe ich aus lauter Wut auf dem Weg zu meinem Zimmer gegen mein Spielzeugauto getreten.

Als Ämmchen mich dann auf mein Zimmer geschickt und mich ins Bett gestopft hatte, wartete ich, bis sie die Tür hinter sich schloss… Dann schlüpfte ich wieder aus dem Bett und setzte mich auf meine breite Fensterbank. Ich weiß nicht, wie lange ich dort gesessen habe… Irgendwann hörte ich Emely schreien und hörte, wie Ämmchen nach ihr sah. Emely war damals gerade erst ein Jahr alt gewesen.

Ich hörte auch, wie Ämmchen sich ärgerte und murmelnd an meiner Zimmertür vorbeiging. Sie schlief im unteren Stockwerk, also musste sie immer die Stufen hinauflaufen und sie war damals ja auch schon weit über die 50…

Danach war wieder alles still und das Gewitter kam immer näher. Ich musste mir sogar einmal die Ohren zuhalten, weil der Donner so laut war, dass sogar die Fensterscheibe, auf die ich meine Nase gedrückt hatte, vibrierte…“

Bei diese Worten sah Elphaba wieder ihre eigenen Fensterscheiben vibrieren, als der Donner vom Nachmittag so heftig erklungen war.

„… und dann… Plötzlich… Ich sah nur, wie der Himmel sich genau über uns erhellte und dann hörte ich einen lauten Knall. Ich erschrak fürchterlich, weil es der lauteste Donnerknall gewesen war, den ich bisher gehört hatte. Doch zwei oder drei Sekunden später hörte ich dann ein erneutes Donnergrollen… Aber ich hatte keinen Blitz mehr gesehen. Dann dauerte es noch ein paar Minuten, bevor ich sah, wie unser Rasen vor dem Haus orange funkelte. Erst ganz leicht… doch dann wurde das Leuchten immer stärker und ich sah, dass es andauernd hin und her flackerte…

Und dann stellte ich fest, dass es fast so aussah, wie das Flackern von dem Ofenfeuer auf unserem Teppichboden… Ich spielte ja beinahe jeden Abend vor dem Ofen…

Ich hatte plötzlich große Angst und rannte zur Tür. Aber anstatt rauszugehen, blieb ich stehen und legte mein Ohr an die Tür. Ich hörte, wie Emely schrie und ich hoffte, Ämmchen würde nach ihr sehen… Ämmchen hatte mich schon so oft ausgeschimpft, wenn ich nachts noch einmal aus meinem Zimmer gekommen war und ich … ich hatte im ersten Moment viel größere Angst vor ihr und der Strafe, die mich erwarten würde. Das letzte Mal, als ich nach dem Zubettgehen noch einmal aus meinem Zimmer gekommen war, hatte ich eine Woche lang keinen Nachtisch bekommen…

Als ich Ämmchen nicht hören konnte und Emelys Schreie aber dafür immer lauter wurden, wusste ich nicht, was ich tun sollte… Also lief ich zurück zum Fenster und schaute hinaus. Das orange Flackern war schon viel näher an mein Fenster gerückt und plötzlich hörte ich, wie Emelys Schreie verstummten.

Ich weiß bis heute nicht, warum… aber in diesem Moment wusste ich, es war etwas passiert.

Ohne noch länger zu zögern, riss ich meine Zimmertür auf und musste sofort einen Schritt zurück gehen… Der ganze obere Flur stand voller Qualm und ich sah, wie aus dem hinteren Zimmer Flammen schlugen. Es war das Zimmer meiner Eltern und direkt daneben befand sich Emelys Zimmer. Ich schrie wie verrückt nach Ämmchen, doch sie kam nicht. Mein Zimmer war am Anfang des Flures, also lief ich mit der Hand vor dem Mund zu Emelys Zimmer und riss die Tür auf. Die Klinke war schon so heiß, dass ich mich an ihre verbrannte, doch ich merkte das gar nicht.

Emely lag reglos in ihrem Bettchen und das Zimmer war auch voller Rauch und Qualm. Es stank fürchterlich und der Geruch brannte mir in der Lunge. So schnell ich konnte, hob ich meine Schwester aus ihrem Bettchen und lief den Flur zurück, dann die Treppen hinunter. Dabei wurde mir so schwindelig, dass ich beinahe umgefallen wäre… Doch die Luft in der unteren Etage war noch nicht verqualmt und ich glaube das war auch der Grund dafür, dass ich nicht ohnmächtig geworden bin…

Mit Emely im Arm habe ich dann verzweifelt nach Ämmchen geschrien und sie gesucht. Ich fand sie im Wohnzimmer. Sie lag auf dem Boden und hielt sich wimmernd ihr Fußgelenk. Daneben lag mein Spielzeugauto… Als sie mich mit Emeline im Arm sah, hat sie gerufen: „Oz sei Dank! Galinda! Mach, dass du hier raus kommst!“ …

Ich wollte nicht ohne sie gehen und habe angefangen, zu weinen… Ich sagte ihr, sie solle krabbeln… und sie versprach mir dann, hinter mir herzukrabbeln, aber nur…. Nur wenn ich jetzt sofort und auf der Stelle dieses Haus verlassen würde.

Mir blieb keine andere Wahl… also rannte ich raus… ich rannte den ganzen Weg unserer Einfahrt hinauf, bis zu dem letzten Baum und da stellte ich mich dann unter. Ich hielt es für eine gute Idee… Dort war es wenigstens etwas trockener und ich war schließlich noch immer in meinem Schlafanzug… Genau wie Emely.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand… Ich muss unter Schock gestanden habe… Ich sah, wie der hintere Teil unseres Hauses lichterloh brannte… Die Flammen schossen trotz des Regens immer wieder erneut in die Höhe und auf dem Rasen sah ich jenen orangen Schatten, in dem ich sonst immer so friedlich gespielt hatte…

Ich hörte gar nicht, wie die Kutsche meiner Eltern am Eingang der Einfahrt hielt. Ich fühlte nur einen plötzlichen Ruck an meiner Schulter… Jemand nahm mir Emely aus den Armen und dann sah ich meinen Vater vor mir… Er fragte mich irgendetwas, doch ich hörte es nicht… Dann lief er ins Haus… Und das erste, was ich dann wieder hörte, war Mutters Schrei… Sie rief ihm nach, er solle zurückkommen… Wie gebannt starrten wir dann auf unsere Haustür… und dann kam Vater mit Ämmchen im Arm hinausgehumpelt. Meine Mutter schrie, aber ich weiß genau, dass sie nicht geweint hat… Sie hat geschrien, er solle sich beeilen und dass sie ins Krankenhaus müssten… Von da an weiß ich nichts mehr…

Ich wachte im Krankenhaus auf… und war an irgendwelche Schläuche gekettet… Mein Vater war sofort neben mir… Er hat mich beruhigt und mir gesagt, alles sei gut… Ich lag drei Tage dort… und meine Mutter … sie…“, Glinda brach plötzlich ab und atmete einmal tief durch. Elphaba wusste, dass sie mit den Tränen kämpfte.

„Sie war nicht da gewesen. Kein einziges Mal… Als ich dann endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hat mein Vater mir erklärt, wir würden nun einige Wochen bei meiner Tante wohnen… Unser Haus müsste renoviert und unser Dach repariert werden, hat er gesagt… Und er hat mir gesagt, dass Ämmchen nun ein anderes zu Hause hat. Ich war ganz traurig, also fuhr mein Vater mich zu ihr, damit ich mich verabschieden konnte. Sie lebte von da an in einem Heim für ältere Leute… und als ich ihr ‚Auf Wiedersehen’ sagte, hat sie mich umarmt und mir ins Ohr geflüstert: „Meine kleine Prinzessin… Galinda, es war nicht deine Schuld. Dich trifft keine Schuld, hörst du?“ … Ich verstand es nicht, aber nickte trotzdem… Ich war mir keiner Schuld bewusst…

Als wir dann bei meiner Tante ankamen, fragte ich, wo meine Mutter sei… Mir wurde gesagt, sie wäre etwas krank und ich könnte sie erstmal nicht sehen… Mein Vater hat mir in dieser Zeit all seine Liebe gegeben, die er nur hatte… Nachts hörte ich meine Mutter weinen… Aber ich verstand einfach nicht, was passiert war…

Irgendwann durfte ich dann zu ihr… Und ich sehe das Bild heute noch genau vor mir… Es war früh am Morgen… Die Sonne ging gerade auf… Als ich die Tür öffnete, saß meine Mutter aufrecht im Bett und starrte an die Wand… Ihr mageres Gesicht war schneeweiß und nur ihre Augen leuchteten ganz rot. Ich ging zu ihr, nahm ihre große Hand in meine kleine und sagte: „Mama, du wirst wieder gesund. Ich hab dich doch lieb…“ Sie fing sofort an zu weinen… Ich dachte, ich hätte etwas falsches gesagt… und sofort holte mein Vater mich aus dem Zimmer… Ich schrie und weinte… aber vor allem war ich wütend, weil ich nichts von dem verstand…

Am Abend kam meine Mutter dann an mein Bett… sie entschuldigte sich und sagte mir, ihr ginge es jetzt gut und ich hätte nichts falsches gesagt. Sie sagte, dass sie mich über alles lieben würde…

„Du bist mein größter Schatz auf Erden…“, hatte sie geflüstert und mich angelächelt.

Danach schien es meiner Mutter wirklich langsam besser zu gehen… Ich sah sie wieder essen und reden… Wir spielten wieder zusammen und ich durfte nachts in das Bett meiner Eltern… Aber ich sah sie nie lächeln… Nicht ein einziges Mal…

Und dann… dann kam der Tag, an dem wir wieder in unser eigenes Haus konnten. Ich freute mich sehr und war ganz aufgeregt… Als wir ankamen, sprang ich von der Kutsche ab und lief ins Haus. Ich rannte in Emelys Zimmer und rief fröhlich: „Emely, wir sind wieder da!“ … Aber sie war nicht da. Ich suchte überall dort, wie sie schon einmal hineingekrochen und eingeschlafen war, aber ich fand sie nicht.

Meine Mutter war im Türrahmen unserer Haustür wie angewurzelt stehen geblieben und starrte mich an, während ich unter dem Flurtisch nachschaute… Dann kam mein Vater… Er ließ sofort die Koffer fallen und drängte sich an meiner Mutter vorbei.

„Wo ist Emely?“, hatte ich ihn gefragt… Er nahm mich auf seinen Arm und ging mit mir ins Wohnzimmer. Auf dem Weg dorthin hörte ich schon Mutters Schluchzen… Im Wohnzimmer erklärte er mir dann, dass Emely gestorben wäre, weil sie während des Feuers zu viel Rauch eingeatmet hatte.

„Aber ihr geht es jetzt gut. Jetzt guckt sie vom Himmel auf uns hinab…“, hatte er mir gesagt. Aber ich begriff das nicht… schließlich hatte ich sie ja aus ihrem Bett geholt… Mein Vater erklärte mir dann, dass Emely keine Luft mehr bekommen hatte… Heute weiß ich, dass es eine Rauchvergiftung war.

Aber da ich damals noch keine Erfahrungen mit dem Tod gemacht hatte, wusste ich nicht, was es bedeutete… Erst einige Tage später begriff ich, dass meine Schwester nicht mehr da war und das ich sie nie mehr wieder sehen würde… Damals hatte ich dann einen Aussetzer nach dem anderen… Ich schrie und weinte… schlug um mich, rannte nachts aus dem Haus… und einmal war es sogar so schlimm, dass ich während eines Wutanfalls ohnmächtig wurde.

Ich fühlte mich so schuldig… und ich war so wütend… Ich hatte sie doch gerettet! Und dann war sie trotzdem gestorben…

Ich konnte dieses Ereignis einfach nicht verarbeiten, denn normalerweise lernen Kinder den Tod kennen, indem der erst der Hund stirbt oder die Großmutter… Aber ich erfuhr ihn beinahe am eigenen Leib und wurde damit nicht fertig… Wie auch… als sechsjähriges Kind…“

Während Glinda erzählte, zog sich in Elphaba alles zusammen… Sie konnte Glindas seelische Schmerzen beinahe körperlich fühlen. Sie tat nichts anderes, als der blonden Frau in die blauen Augen zu sehen und sie zu halten.

„Nach diesem Ohnmachtsanfall hatten meine Eltern beschlossen, dass ich externe Hilfe bräuchte… Jeden Tag kam ein Mann zu uns, der mit mir die erste Zeit nur spielte und sich mit mir unterhielt. Meine Mutter nahm seine Hilfe schon etwas länger in Anspruch… Nach dieser Gewöhnungsphase fasste ich dann langsam Vertrauen zu ihm und ab da begannen unsere therapeutischen Gespräche… Anfangs redeten wir nur darüber, was ich noch von dem Unfall wusste, doch dann kam der Tag, an welchem ich diese ganze Nacht noch einmal durchleben musste. Damals war es schrecklich und fürchterlich doch heute weiß ich, dass es mir geholfen hat, einige Dinge zu verstehen. Ich musste das alles einfach noch mal durchmachen, um damit abschließen zu können…

Ich weiß auch, dass es nicht meine Schuld war… Aber…“, Glinda hielt inne und Elphaba sah, wie sich die blauen Augen mit Tränen füllten.

„Aber Elphaba, meine Schwester ist gestorben, weil ich Angst hatte, keinen verdammten Nachtisch mehr zu bekommen. Sie ist gestorben, weil ich mein bescheuertes Spielzeugauto aus lauter Wut einfach in den Weg geschossen habe.

Wegen Nachtisch, Elphaba! Nachtisch… Kannst du dir das vorstellen…“

Glindas Stimme brach ab und sie ließ ihren Tränen freien Lauf.

„Wäre ich doch direkt aus meinem Zimmer gegangen… Und wenn ich nicht gegen mein Auto getreten hätte….“, schluchzte sie und Elphaba legte ihr zärtlich den grünen Zeigefinger auf den Mund.

„Shhh…“, machte sie und sah Glinda dabei tief in die blauen Augen, „Glinda, du warst damals erst sechs Jahre alt und es war nicht deine Aufgabe, auf deine Schwester aufzupassen. Und selbst wenn… So eine Katastrophe war doch unvorhersehbar!“ Während des Sprechens hatte die Hexe ihren Finger von Glindas Mund genommen und sah sie nun erwartungsvoll an.

„Ich weiß das alles doch auch selber… Und ich habe es auch schon so oft gehört und mir auch selber gesagt… Aber trotzdem… bei jedem Gewitter muss ich an Emely denken und an diese schreckliche Nacht… Was wäre, wenn meine Eltern zu Hause geblieben wären? Dann …“

Elphaba unterbrach sie: „Dann wären sie vielleicht jetzt tot.“

„Elphaba!“, hauchte Glinda geschockt.

„Glin, ich wollte dich nicht angreifen, aber siehst du denn nicht, das all dieses „Was-wäre-wenn“ zu nichts führt? Ich denke einfach, dass jeder, der mit dir über diesen Unfall gesprochen hat, dir sehr… naja, sagen wir mal: weich, entgegengekommen ist. Aber wie du selber merkst, hat es kaum etwas gebracht. Ich sage dir jetzt eines ganz deutlich…“ Elphaba machte ein kurze Pause. Sie hatte mit einer sehr festen Stimme gesprochen und hoffte einfach, dass sie auf ihre Intuition vertrauen konnte.

„Du musst aufhören, dich für Emelines Tod verantwortlich zu machen. Wenn du erst gar nicht versuchst, das alles hinter dir zu lassen, wird es dich dein Leben lang verfolgen und ich nehme an, dass dich das auch nach all den Jahren, die nun schon vergangen sind, immer wieder sehr mitnimmt und es ist wahrscheinlich auch so, dass diese Sache dich immer und immer wieder beschäftigt und dich auch…“

„Runterzieht?“, vollendete Glinda seufzend den Satz. Es war das erste Mal, dass jemand so direkt mit ihr über Emelys Tod gesprochen hatte. Sie war verwundert, aber auch sehr dankbar, dass Elphaba sich so schnell auf diese Geschichte hatte einlassen können.

„Ja…“, nickte Elphaba und streichelte Glinda sanft über die Wange, „Ich weiß, dass es nicht leicht für dich sein wird, aber Glin, du bist nicht allein. Ich werde immer bei dir sein, wenn es gewittert oder wenn du drohst zu fallen. Ich werde da sein und dich auffangen. Du kannst es schaffen und wir beide wissen es. Ich sage ja nicht, dass du von jetzt auf gleich damit abschließen sollst. Denn das kann nicht funktionieren. Aber du musst jetzt damit anfangen… Du darfst es nicht weiter aufschieben und diese Schuldgefühle zulassen. Ich sage auch nicht, dass du nicht mehr um deine Schwester trauern sollst, denn Trauer ist ein wichtiger Prozess im Leben der Menschen. Aber trauern oder sich selber für den Tod verantwortlich machen ist ein großer Unterschied…“

Glinda war nicht in der Lage zu antworten und nickte aus diesem Grund nur leicht. Elphaba blickte liebevoll in die blauen Augen und schwieg eine Weile.

Dann sagte sie leise: „Ich will, dass du es sagst.“

„Was?“, fragte Glinda verwirrt und fühlte, wie Elphabas Hand sich von ihrer Wange entfernte und unter der Bettdecke nach Glindas Hand suchte.

Als Elphaba die Hand ihrer Freundin gefunden hatte und sich ihre Finger ineinander verflochten, antwortete sie ruhig: „Dass du keine Schuld daran hast.“

„Wie bitte?“ Glindas Augen weiteten sich und die grüne Frau fühlte die Anspannung ihrer Freundin.

„Ich will, dass du sagst: ‚Ich habe keine Schuld an Emelines Tod.’“

„Elphaba, das kann ich nich…“

„Sag es!“, unterbrach die Hexe die blonde Frau mit Nachdruck. Sie hatte etwas über traumatisierte Menschen gelesen und hoffte, dass sie gerade das Richtige tat.

„Ich…“, begann Glinda und brach ab. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Elphaba wurde von einer Gefühlswelle überflutete. Sie konnte Glindas Verzweiflung in den blauen Augen lesen und ihren seelischen Schmerz fühlen, aber sie hielt sich zurück und sagte erneut: „Glinda Hochborn, ich verlange von dir, dass du es sagst! Sag es!“

Der grünen Frau tat es weh, die blonde Schönheit so vor sich zu sehen, mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck, welcher von den Tränen nur noch verstärkt wurde.

Unter Tränen schluckte Glinda einmal und setzte dann erneut an: „Ich habe… keine Schuld an… an…“

Als Elphaba merkte, wie Glindas jahrelange Schuldgefühle sie daran hinderten, den Satz zu vollenden, murmelte sie leise aber bestimmt: „Sprich es aus!“

„… an Emelines… Tod!“, vollbrachte Glinda letztendlich doch den Satz und brach dann zitternd in Tränen aus. Elphaba ließ die Hand los und griff mit ihrer eigenen um Glindas Hüfte und zog die bebende Frau an sich heran, sodass Glindas Kopf nun unter dem grünen Kinn war.

Die Hexe wusste, dass das erst der Anfang war. ‚Ich habe damit angefangen und jetzt gibt es kein Zurück mehr…’, dachte sie, beugte sich hinunter zu Glindas Ohr und flüsterte: „Sag es noch einmal.“

„Nein, Elphie, bitte… Ich…“

„Glinda, sag es.“

„Ich habe… keine Schuld… an Emelines Tod.“, schluchzte Glinda unter Tränen.

„Und noch einmal.“

Glinda fühlte sich, als würde Elphaba sie mit Absicht quälen. Doch sie wusste, dass Elphie ihr nie mit Absicht weh tun würde, also vertraute sie ihrer Freundin: „Ich habe… keine… Schuld an… Emelines Tod.“

Noch immer wurden die Worte von lauten Schluchzern begleitet.

„Noch mal.“ Elphabas Magen zog sich zusammen und sie musste sich beherrschen, nicht selber in Tränen auszubrechen. Jedoch war ihre Stimme fest und ihre Umarmung sicher.

„Ich habe… keine Schuld an Emelines Tod!“, sagte Glinda nun in Elphabas Morgenmantel hinein und das Schluchzen ebbte langsam ab.

„Wiederhole es.“

„Ich habe keine Schuld an Emelines Tod!“, sagte Glinda nun lauter. Sie wusste nicht, was das für ein Gefühl war, was langsam in ihr aufstieg. Jedoch wusste sie, dass es anscheinend alle anderen Gefühle verdrängte.

„Noch einmal!“, sagte Elphaba und ihr Herz pochte laut.

„Ich habe keine Schuld an Emelines Tod!“, sagte Glinda und ihre Tränen hörten auf zu fließen.

„Noch ei…“, setzte Elphaba an und wurde unterbrochen.

„Ich habe keine Schuld an Emelines Tod!“, sagte Glinda und riss sich von Elphaba los. Aufrecht saß sie im Bett und starrte Elphaba an, die sich nun auch aufrecht hinsetzte.

„Ich habe… keine verdammte Schuld an Emelines Tod!“, zischte Glinda nun langsam, aber deutlich. In den blauen Augen stand Wut.

Elphaba sah sie abwartend an und nickte dann.

„Ich habe keine Schuld! Ich habe keine Schuld! ICH HABE KEINE SCHULD AN EMELINES TOOOOD!“, schrie Glinda plötzlich mit einem markerschütterndem Gebrüll aus. Ihre Stimme war immer lauter und sie war immer wütender geworden. Doch nach diesem Schrei verschwand die Wut so plötzlich, wie sie aufgetaucht war. Stattdessen füllten nun die Tränen wieder die vorhandene Lücke und Elphaba zog die erneut zitternde Frau in ihre Arme.

Sanft streichelte die grüne Hand über die blonden Locken. „Es ist alles gut. Es ist vorbei…“, flüsterte Elphaba immer wieder und Glinda beruhigte sich nach einer Weile.

Die blonde Frau war verwirrt. Sie wusste nicht, woher das alles plötzlich gekommen war und sie hatte auch keine Ahnung, was der Grund von alledem gewesen war.

„Wie fühlst du dich?“, fragte Elphaba nach einigen Minuten und schob Glinda ein Stück von sich weg, sodass sie ihr in die Augen gucken konnte.

Sie hatte gelesen, dass durch einen Verlust traumatisierte Menschen dazu neigen, sich die Schuld für diesen Verlust zuzuschreiben und auch oft den objektiven Blick verlieren. Demnach seien sie nicht in der Lage dazu, eigenständig ihren Fehler einzusehen. Man musste sie mit der Wahrheit auf eine brutale Art und Weise konfrontieren, sodass der traumatisierte Person keine Fluchtmöglichkeit mehr blieb. In dem Buch hatte auch gestanden, dass man die Person sinnbildlich festhalten muss, sobald man sie in eine Ecke getrieben hatte und dann sollte man sie dazu bringen, die Wahrheit auszusprechen.

‚Es ist von aller größter Wichtigkeit…’, rezitierte Elphaba die Zeilen des Buches in Gedanken, ‚… dass die Person diese Worte ausspricht. Denn hier zählt das alte Sprichwort: Während Gedachtes nicht gehört werden kann, fällt Gesagtes so stark ins Gewicht, dass man es nicht nur hört, sondern auch glaubt.’

Und es war Elphaba Thropp, die dieses Sprichwort am besten kannte. Denn wie oft hatte sie sich selber eingeredet, sie würde nicht wissen, was Liebe ist…

„Irgendwie… etwas befreiter…“, flüsterte Glinda leise und holte damit die grüne Frau in die Gegenwart zurück. „Aber ich… ich verstehe das alles nicht.“

Ohne Vorwarnung legte sich die grüne Hand auf die glühende Wange und Glinda fühlte, wie ein Paar grüner Lippen sie sanft auf den Mund küsste.

„Vielleicht hilft dir das, um es zu verstehen…“, hörte Glinda ihre eigenen Worte aus Elphabas Mund und musste lächeln.

Nun war es Elphaba, die ihre eigenen Worte aus Glindas Mund hörte, als diese sagte: „Im Moment hilft es meinem Verständnis nicht auf die Sprünge, nein…“

Als die beiden Frauen sich gegenseitig tief in die Augen blickten, formten sich die nächsten Worte automatisch in ihren Gedanken. „Gut Ding will Weile haben…“, sagten Elphaba und Glinda dann gleichzeitig und mussten erneut lächeln.

Erst danach zog die Hexe die blonde Frau in eine warme Umarmung und hielt sie fest an sich gedrückt. Glinda seufzte und legte nun auch ihrerseits die Arme um den grünen Körper.

Das Kapitel der Traumtherapie war jedoch nach diesem Absatz noch nicht zu Ende gewesen und Elphaba war nicht ganz sicher, ob sie noch weiter gehen konnte. Ihre innere Stimme allerdings war sich sehr sicher.

Also streichelte sie Glindas Rücken noch eine Weile, bevor sie die Frau wieder etwas von sich wegdrückte und ansah.

„Glin, ich verlange noch eine Sache von dir.“

Glinda merkte, dass Elphaba anscheinend wusste, was zu tun war.

„Alles“, nickte sie und strich sich unsicher eine blonde Strähne hinter ihr Ohr.

Elphaba beobachtete angespannt Glindas Mimik, als sie sagte: „Ich möchte, dass du mit Emely sprichst. Ich möchte, dass du ihr etwas mitteilst.“

Als sie sah, wie auf Glindas Züge wieder die Verzweiflung trat, legte sie schnell ihren grünen Finger auf den rosigen Mund, noch bevor Glinda protestieren konnte.

„Ich möchte…“, sagte Elphaba langsam, „… dass du ihr das mitteilst, was du ihr sagen würdest, wenn du sie noch einmal sehen könntest.“

Ohne ein weiteres Wort ließ die Hexe die blonde Frau los und setzte sich wieder mit ihrem Rücken an das Kopfende des Bettes. Dann zog sie die noch immer stumme Glinda zwischen ihre Beine, sodass Glindas Gesicht zum Kamin gedreht war. Da Elphaba nun nicht mehr die Mimik ihrer Freundin beobachten konnte, strich sie einmal kurz über ihren Rücken und ließ dann das Feuer wieder hell auflodern. Im gleichen Moment stupste sie Glinda sanft an und faltete dann die grünen Hände über ihrer eigenen Brust. Elphaba wusste, dass es wichtig war, dass sie Glinda nicht festhielt und ihr aber dennoch gleichzeitig einen sicheren Halt bot.

Die blonde Frau lehnte sich beim Anblick des wiederbelebten Feuers mit ihrem Rücken gegen Elphabas Brust und atmete einmal tief durch. Ohne zu wissen, woher die Worte auf einmal kamen, sprach sie sie aus: „Emely…“, hauchte Glinda leise und faltete ihre Hände im eigenen Schoß, „… es tut mir so leid. Es tut mir unendlich leid! Ich wollte, es wäre alles anders gekommen…

Es war nicht deine Schuld und auch nicht meine… Auch Ämmchen trifft keine Schuld… Niemand hat Schuld daran und das ist es, was mich so fertig macht…“

Elphaba hörte, wie die Frau zwischen ihren Beinen begann, mit den Tränen zu kämpfen. Mit einem Kloß im Hals sprach Glinda weiter: „Dass niemand Schuld hat, bedeutete nämlich, dass niemand verantwortlich ist für… für so etwas Schreckliches und Ungerechtes! Es gibt niemanden, den ich zur Rechenschaft ziehen kann. Ich kann deinen Tod nicht rächen, auch wenn ich es wollen würde. Ich kann die Schulden nicht begleichen, weil es nichts zu begleichen gibt…“

Glinda musste erneut schlucken, bevor sie in der Lage war, weiterzusprechen: „Wenn jemand Schuld daran gehabt hätte, dann hätte ich wenigstens eine Möglichkeit, in Erfahrung zu bringen, warum gerade dir so etwas angetan wurde… Ich hätte versuchen können, es zu verstehen… Aber es gibt nichts, was ich verstehen kann… Es gibt nichts, was ich in Erfahrung bringen kann… Es gibt keinen Grund dafür, warum gerade du sterben musstest!“ Mit diesen Worten ließ Glinda ihren Tränen freien Lauf, löste sich von Elphabas Brutkorb und setzte sich aufrecht hin.

„Mir ist jetzt klar geworden, was mich immer so fertig gemacht hat… Es gibt keine normale Erklärung für das, was uns allen angetan wurde. Es ist einfach so passiert… ohne Grund. Ohne Grund reißt irgendetwas aus reiner Willkür… eine ganze Familie in Stücke… Du wurdest uns weggenommen und mit dir ging auch noch vieles andere verloren…

An deinem ersten Geburtstag hatte unsere Mutter dich im Arm… sie hat mit ihrer Nase die deine berührt und dich gekitzelt. Und dann hat sie… sie hat… Dann hat sie gesagt: „G steht für Gideon und Glinda… aber E steht für Elanora und Emeline.“… weißt du das noch?“, bei diesen Worten musste Glinda unter Tränen lächeln.

„Ich hatte immer schon einen intensiveren Bezug zu unserem Vater… Aber ich glaube, dass du dieses Band mit Mutter geknüpft hast… Schon seit dem ersten Tag nach deiner Geburt hat sie dich immer ihr ‚Sternchen’ genannt… Ich will damit nicht sagen, dass Mutter dich mehr geliebt hat… Denn das glaube ich nicht. Ich habe mich nie vernachlässigt gefühlt, aber es ist doch immer so, dass ein intensiveres Band existiert… sei es nun mit Mutter oder Vater… Unsere Eltern haben mir auch später erzählt, dass wir ganz unterschiedliche Kinder waren… schon als Babys… Ich war immer laut und quirlig… Und du warst eher ruhig und besonnen… Ich habe unseren Vater gefragt, wie sie so was schon bei Babys wissen könnten und Mutter hat darauf nur gesagt, Eltern würden so etwas fühlen… Ich glaube, sie hat viele ihrer Wünsche in dich hineingelegt und gehofft, dir alles geben zu können, was du brauchst. Ich war ja damals schließlich schon sechs und unsere Eltern hatten schon ihre Vorahnungen, was ich und wie ich es erreichen würde… Da du aber anscheinend andere Charakterzüge als ich hattest, hatten sie auch andere Vorahnungen für dich… Du und ich, wir hätten unterm Strich all’ das erreicht, was sich unsere Eltern für uns gewünscht hätten…

Und ich wünschte, das wäre uns auch möglich gewesen…“ Glinda seufzte tief und wischte sich mit ihrer Hand die Tränen von ihren Wangen.

Elphaba hatte die ganze Zeit still zugehört und sich auch das ein oder andere Mal eine Träne von den brennenden Wangen gewischt. Doch es war in diesem Moment, als sie all das verstand, worüber sie sich jahrelang den Kopf zerbrochen hatte… Galinda Hochborn war ihr nicht ohne Grund damals so oberflächlich erschienen… Sie hatte damals nur versucht, allen zu gefallen, um alles erreichen zu können, was sich ihre Eltern für beide Töchter ausgemalt hatten…

„Ich vermisse dich, Emely und ich würde alles tun, um diese Nacht ungeschehen zu machen. Aber es geht nicht. Es geht nicht und das macht mich immer wieder traurig. Ich weiß, dass es mich auch mein ganzes Leben lang traurig machen wird, aber ich muss dich gehen lassen.

Ich kann dich nicht bei jedem Unwetter zurück holen und mir ausmalen, wie wir zusammen gespielt hätten oder wie wir uns gestritten hätten. Ich hätte dir gerne gezeigt, wie man ohne gesehen zu werden, nachts im Sandkasten spielen kann oder wie man sich ein Stück Kuchen aus der Küche moppst, ohne dass es jemand bemerkt… All das und noch viel mehr… Und ich weiß, wir hätten sehr viel zusammen erreicht… Aber ich muss endlich aufhören, für dich mitzuleben…

Ich liebe dich und das sollst du wissen. Auch, wenn wir beide noch sehr klein waren… Jetzt ist es aber endlich Zeit, dich loszulassen. Ich werde viel an dich denken und auch noch das ein oder andere Mal um dich weinen… Aber ich weiß, dass ich keine Schuld habe und deswegen muss ich jetzt endlich anfangen, mein eigenes Leben so zu leben, wie ich es gelebt hätte, wenn du nicht gestorben wärst…“ Bei diesen Worten erinnerte sich Glinda an ihre Zeit auf der Shizzer Universität... Es war so oft vorgekommen, dass sie am liebsten protestiert oder ihre Stimme erhoben hätte, doch damals war immer der Satz ihrer Mutter eingefallen: „Emeline war schon als Baby eher ruhig und besonnen…“. Diese Worte hatte sich Galinda damals immer wieder ins Gedächtnis gerufen, als ihr kämpferischer Geist gedroht hatte, die Oberhand zu gewinnen.

„Emeline, ich liebe dich und ich werde dich nie vergessen. Du wirst immer in meinem Herzen sein und auch in dem Herzen unserer Eltern. Ich kann nicht so sein, wie du geworden wärst und ich kann auch nicht das erreichen, was du erreicht hättest. Ich trage keine Schuld an deinem Tod und ich muss mich damit abfinden, dass es niemanden gibt, den wir dafür zur Rechenschaft ziehen können. Es sollte nicht sein… Du bist von uns gegangen und ich muss dich jetzt endlich gehen lassen. Ich hatte immer Angst davor… Ich dachte immer, ich würde einen Teil meiner Selbst verlieren, wenn ich dich loslassen würde… Doch jetzt weiß ich, ich werde viel mehr ich selbst sein können, wenn ich dich gehen lasse.

Emeline, vergiss mich nicht… Ich liebe dich…“

Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern gewesen, da die Tränen wieder ihr Eigenleben entwickelt hatten und über Glindas Wangen kullerten. Sie schluchzte jedoch nicht und auch ihr Körper zitterte nicht. Langsam führte sie ihre Hände, die sie irgendwann während ihrer Worte zu zwei festen Fäusten geballt hatte, zu ihrem Mund, küsste ihre Finger und streckte dann ihre Arme aus.

„Ich liebe dich, Emely…“, flüsterte sie ganz leise, pustete dann sanft in Richtung ihrer Hände und entballte die Fäuste.

Elphaba wartete noch einige Sekunden und stand dann auf. Glinda verwirrt zu, wie die grüne Frau das Fenster öffnete. Ein Windstoß durchfuhr das Zimmer und ließ das Feuer stärker flackern. Ohne ein Wort drehte Elphaba der Frau im Bett den Rücken zu und starrte aus dem Fenster. Unter normalen Umständen hätte Glinda gedacht, ihre Freundin hätte den Verstand verloren, doch sie begriff, was Elphaba vorhatte.

Die Hexe streckte ohne sich umzudrehen ihre grüne Hand aus und fühlte, wie sie von Glindas Hand angenommen wurde. Noch immer schweigend zog Elphaba nun die Freundin zu sich und legte ihren linken Arm um Glindas Hüfte, während diese ihren blonden Lockenkopf auf Elphabas Schulter legte.

So standen sie eine Weile da und starrten schweigend in den Sonnenuntergang hinein.

„Mach’s gut, Sternchen…“, flüsterte Glinda leise und winkte mit einer zaghaften Geste aus dem Fenster hinaus. Dann löste sie sich aus Elphabas Arm, schloss das Fenster und drehte sich wieder um, sodass sie Elphaba ansehen konnte.

Im Schein der untergehenden Sonne sah Glinda die zwei roten Streifen auf den grünen Wangen und lächelte leicht.

„Alles in Ordnung?“, fragte Elphaba vorsichtig und hielt die Arme auf. Glinda kuschelte sich in die dargebotenen Ärmel hinein und legte seufzend ihren Kopf auf Elphies Brustkorb.

„Danke, Elphaba…“, nuschelte sie in den weichen Morgenmantel hinein.

„Nimm dir die Zeit, Glin… Alle Zeit, die du brauchst. Ich bin da.“

„Ich weiß… und das werde ich. Lass mich…“

„Nein…“, unterbrach Elphaba sanft. Sie wollte diesen Satz nicht noch einmal aus Glindas Mund hören, denn er erinnerte sie immer wieder an ihre falschen Entscheidungen. „Nein, ich lasse dich nie wieder alleine. Solange es in meiner Macht steht, nie wieder.“

Glinda wusste, dass Elphaba es verabscheute, das Wort ‚nie’ zu benutzen, denn es war ihr viel zu endgültig. Aus diesem Grund stiegen auch wieder die Tränen in die Augen und sie drückte sich ein Stückchen von der Freundin weg, sodass Elphaba sie zwar immer noch hielt, aber die beiden Frauen sich nun ansehen konnten.

Ohne ein Wort blickten sich die zwei magischen Frauen in die Augen und Glinda formte ein lautloses ‚Danke’ mit ihren Lippen, als eine Träne ihre Wange herunterkullerte. Elphaba tat es ihr nach und formte ein lautloses ‚Bitte’ mit ihrem Mund, lehnte sich dann ein Stück vor und gab Glinda einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Sie wusste nicht, warum sie das andauernde Bedürfnis dazu verspürte, aber sie war selber viel zu erschöpft, um all das zu hinterfragen.

Als Elphaba ihren Mund wieder von Glindas Wange löste, hob diese ihre Hand und streichelte vorsichtig mit den Fingern über die grün-rötliche Wange.

„Ich glaube, du solltest dir jetzt mal etwas Gutes tun…“, sagte Glinda leise und befreite sich aus Elphabas Umarmung. Langsam bekam sie wieder Kontrolle über sich und ihre Gedanken. Sie rief sich auch wieder ihre Entscheidung ins Gedächtnis, die sie nur ein paar Stunden zuvor auf ein Blatt gekritzelt hatte.

‚Das Blatt!’, dachte Glinda panisch und unterdrückte den Impuls, ihren Blick von der grünen Frau abzuwenden, um im Zimmer nach dem Blatt zu suchen.

„Ja, ich werde mein Gesicht mal eben versorgen gehen… Willst du ein Bad nehmen?“, fragte Elphaba und wunderte sich über Glindas unerwartet angespannten Gesichtsausdruck. Als dieser jedoch gleich wieder verschwand und Glinda das Bad verneinte, machte Elphaba sich keine Gedanken mehr darum und ging mit einer letzten Umarmung ins Badezimmer.

Sofort war Glinda wieder neben dem Bett und suchte aufgeregt nach ihrem Gedicht. Als sie es auf dem Nachttisch fand, war sie erleichtert, dass die unbeschriebene Seite oben lag und sie hoffte, Elphaba hätte das Gedicht nicht gelesen.

Schnell faltete sie das Blatt zusammen, lief auf ihre Seite des Bettes und stopfte es unter die Bettmatratze, da ihr im Moment kein besseres Versteck einfiel.

Nach einem tiefen Atemzug, der sie etwas beruhigte, ging sie langsam zur Badezimmertür, klopfte an und trat ein. Elphaba stand vor dem Spiegel, der über dem Waschbecken hing und tupfte mit einem öligen Watteplättchen auf ihren Wangen herum. Es gab kein Anzeichen mehr von der Unordnung, die Elphaba in ihrer Angst um Glinda vorhin hier veranstaltet hatte. Alle Anziehsachen waren aus dem Weg geräumt worden, genauso wie die Tasche mit den neuen Sachen für Glinda.

„Geht es?“, fragte sie und hielt noch immer die Türklinke in ihrer Hand.

„Ja. Es ist nicht schlimm…. Brennt nur ein bisschen!“, grinste Elphaba in den Spiegel hinein.

„Ich muss mich wohl oder übel abduschen… Ich habe so geschwitzt. An mir klebt alles!“, lachte Glinda und zog zur Demonstration am Ärmel ihres Morgenmantels, der sich erst nach einigen Sekunden löste.

„Ist gut. Ich bringe dir sofort ein frisches Nachthemd.“ Mit diesen Worten drehte sich Elphaba um und ging zurück ins Schlafzimmer, während Glinda den Wasserhahn der Dusche aufdrehte.

Es dauerte keine Minute, bis Elphaba ein Nachthemd fand, von welchem sie dachte, es müsse Glinda passen und damit zurück ins Badezimmer ging.

„Bis gleich.“, sagte sie lächelnd, als sie Glinda das Nachthemd reichte.

„Bis gleich.“, nickte die blonde Schönheit und sah Elphaba nach, wie diese die Tür hinter sich schloss.

Erschöpft ließ sich die grüne Frau zurück auf ihr Bett sinken.

‚Die neuen Sachen kann ich Glinda auch noch morgen früh geben… Und das mit Frieda kann ich ihr auch später noch erzählen…’, dachte Elphaba, doch bevor sie weiterdenken konnte, war sie eingeschlafen.

Als Glinda frisch geduscht aus dem Badezimmer kam und die schlafende Elphaba sah, musste sie lächeln. Auch sie war sehr müde und erschöpft, obwohl sie so viel geschlafen hatte. Also kuschelte sie sich auch unter die warme Bettdecke und legte einen grünen Arm um ihre Hüfte. Erst dann schlief sie todmüde ein.

Es war mitten in der Nacht, als Elphaba hochschreckte.

„Glinda!“, sagte sie panisch, während sie noch halb träumend die zarte Schulter rüttelte, „Glinda, Sie lebt! Sie lebt!“

Und wie versprochen, das neue Kapitel - enjoy!

Bilder:

Reseda - http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Reseda-101298986

Akaber - http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Akaber-101299644

Glinda - http://gillian-leigh.deviantart.com/art/Schall-und-Rauch-Glinda-101299796
 

Gelphie beim Streit: http://wickedryu.deviantart.com/art/Lover-s-tiff-101837706
 

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Kapitel 45
 

Zur gleichen Zeit, als es im Turmzimmer der beiden Frauen immer ruhiger wurde, wurde es in der Smaragdstadt immer lauter.

Seit 17 Uhr hatten die Menschenmassen begonnen, sich auf dem Marktplatz zu sammeln und nun standen die Leute schon auf den dahinterliegenden Straßen, da der große Platz völlig ausgefüllt war.

Ganz am Ende war eine Bühne aufgebaut worden, die noch im Dunkeln lag und die Menschen starrten abwartend und murmelnd dorthin.

Margo Blair war eine der letzten, die sich dort versammelten, da sie in einen Streit mit ihrer Frau geraten war. Als sie sich nun in einem schwarzen Umhang mit Kapuze durch die Menschenmenge zwängte, hörte sie noch immer ihre eigenen Worte und die ihrer Frau:

„Margo, ich möchte mitkommen!“

„Nein, das ist zu gefährlich. Wir dürfen noch nicht auffliegen!“

„Ach und du meinst, deine Präsenz bleibt unbemerkt?“

„Das habe ich nicht gesagt, aber ich gebe mein Bestes… Ich muss aber dorthin. Erstens, weil ich sehen muss, was dort vor sich geht, um dann weiter planen zu können und zweitens, weil ich mit eigenen Augen sehen will, wie es Meredith und Reseda geht!“

„Dass du dich immer als Heldin aufspielen musst! Es sind unsere Freunde und das bedeutet, auch mich interessiert das alles!“

„Yve… Ich spiele mich überhaupt nicht auf. Und ich gehe alleine, weil ich es nicht überleben würde, wenn sie dich mir wegnehmen…“

Margo wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein Mann sie mit seinem Ellbogen am Kinn erwischte.

„Passen Sie doch auf!“, zischte der Mann.

„Verzeihung!“, nickte Margo und zog sich die Kapuze noch tiefer ins Gesicht. Dann bahnte sie sich ihren Weg in den vorderen Teil der Menschenmasse.

Als sie stehen blieb, schaute sie sich vorsichtig um. Es waren sehr viele bekannte, aber auch doppelt so viele unbekannte Gesichter hier. Sie hatte allen Frauen, mit denen sie zurzeit in Kontakt stand, nahe gelegt, diese Veranstaltung nicht zu besuchen, um erst gar keinen Verdacht auf sich zu lenken.

„Blair!“, zischte es auf einmal neben ihr und sie fuhr erschrocken zusammen. Als sie den Mann neben sich anblickte, fiel ihr ein Stein vom Herzen.

„Menko! Oz, hast du mich erschreckt.“, flüsterte sie gedämpft.

„Verzeih mir, aber es hat ja eine Ewigkeit gedauert, bis ich dich gefunden habe! Ich dachte schon, ich hätte dich verloren.“

Margo sah den alten Freund fragend an.

„Ich hatte dich schon erspäht, als du gerade erst in die Menschenmenge reingehuscht bist. Aber ich war zu langsam!“, grinste der Heilkünstler.

„Ah, ich verstehe. Gut, dass du es doch noch geschafft hast. Wie ist die Lage?“

„Es hat alles geklappt, hoffe ich. Ich habe diesem blonden Typen aber auch nahe gelegt, die anderen Leute aus dem Verlies zu holen und paarweise in ein Zimmer zu lassen… Ich glaube, den Ratschlag hat er auch befolgt.“

„Fantastisch!“, flüsterte Margo mit funkelnden Augen und klopfte Menko anerkennend auf die Schulter, „Ich hoffe nur, unseren beiden geht es gut…“

„Woher kennst du sie eigentlich?“, fragte Menko neugierig und in diesem Moment wurde die Bühne hell erleuchtet.

„Lange Geschichte… Das erzähle ich dir ein anderes Mal!“, zischte Margo ihm zu, bevor sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Bühne richtete, die nun im hellen Glanz der gleißenden Lichtstrahler vor ihnen lag.
 

Madame Akaber war gerade fertig und betrachtete sich zufrieden in ihrem Wandspiegel, als es an der Tür klopfte.

„Ja bitte?“, fragte sie und drehte sich um.

„Madame Akaber, Ihr Sohn schickt mich. Es ist an der Zeit.“, sagte Kwen, nachdem er nur seinen violetten Haarschopf zur Tür reingesteckt hatte.

„Ich bin fertig!“, nickte Accursia, nahm sich einen breiten Schal von der Stuhllehne und hängte ihn sich um die Schultern, als sie ihre Zimmertür hinter sich schloss.

„Was ist mit den Schiforsans?“, fragte sie, als sie gemeinsam mit Kwen die Treppen hinunterstieg.

„Fertig und startbereit. Sie sind schon da.“, antwortete Kwen und blickte auf seine Uhr, „Wir haben jetzt halb acht, das bedeutet, Ihre Tochter eröffnet gerade in diesem Moment die Veranstaltung. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, ist Mutter Meredith dann in einer halben Stunde dran und danach…“

„Danach kommt mein Part, exakt. Kwen, würden Sie jetzt bitte aufhören, mich zu nerven und mich einfach zu meiner Kutsche begleiten?“

„Ja, Madame…“, nuschelte Kwen und sein Selbstbewusstsein, welches gerade noch stetig angestiegen war, befand sich nun wieder im Keller.
 

Meredith und Reseda standen Arm in Arm hinter der Bühne und lauschten angespannt den Worten von Aylin Akaber, die gerade auf der Bühne stand und die Veranstaltung eröffnete. Überall um sie herum standen Wachleute und andere Bedienstete. Auch die anderen drei jungen Frauen, welche Meredith bei ihrem Verhör eben gesehen hatte, standen nicht weit von ihnen entfernt.

„Das ist doch alles absoluter Schwachsinn!“, zischte Meredith, die das Gefühl der Ohnmacht hasste, als Aylin die Bürger von Oz gerade über ‚Glinda die Sappho’ aufklärte.

„Mer…“, flüsterte Reseda sanft und streichelte ihrer Frau beruhigend über den Arm, der sie festhielt, „Das ist alles ein durchgeplantes Spiel… Sie machen Glinda jetzt vor dem Volk schlecht und machen den Leuten auch noch Angst, sodass niemand mehr wagt, seine Stimme für sie zu erheben… Aber ich glaube nicht, dass…“, hustete Reseda und musste den Satz abbrechen. Sie trug einen weißen Rollkragenpullover und darüber einen weinroten Schal, dennoch zitterte sie von Zeit zu Zeit.

„Aber genau das ist es doch, was mich so stört… Wir können nichts dagegen tun und ich muss diese Lüge gleich auch noch bestätigen…“, antwortete Meredith mit gedämpfter Stimme, nachdem Resis Hustenanfall abgeebbt war.

Resi fühlte Merediths Anspannung und gab ihr einen zärtlichen Kuss. „Ich liebe doch von ganzem Herzen, Meredith Schiforsan und wir werden das zusammen durchstehen. Es wird alles wieder gut werden, hörst du?“

„Ohne deinen Optimismus wäre ich verloren, mein Engel…“, flüsterte die rothaarige Frau ihrer großen Liebe zu und küsste sie noch einmal.

„Meredith!“, unterbrach Ramón leise den Kuss, „Es ist Zeit. Du bist gleich dran.“

„Ich liebe dich…“, flüsterte Resi noch einmal, bevor die Hände der beiden Frauen auseinandergerissen wurden.

Madame Akaber stieg gerade aus ihrer Kutsche aus und sah, wie Meredith die Stufen zur Bühne hochging. Kwen war sofort neben Reseda und zog sie seitlich zum Podest hin, sodass Meredith genau in ihrem Blickfeld war.

„Schön stillhalten, meine Hübsche…“, flüsterte er in Resis Ohr und schmiegte seine an die glühend heiße Wange der hübschen Frau.
 

„Und hier ist sie! Mutter Meredith!“, sagte Aylin gerade zum Publikum hin und ihre Stimme schallte laut. Die Menschenmenge applaudierte lautstark, als Meredith mit ihren Stöckelschuhen ganz ruhig über die Bühne ging, bis sie gegenüber von Aylin stand.

Die junge Frau blickte abwartend in die stechend grünen Augen der älteren Dame, welche sie ganz still anblickte.

Aylin wusste nicht, was sie tun sollte, also deutete sie Meredith mit einer Geste an, sich zum Publikum zu drehen und zu sprechen.

Langsam drehte sich Mutter Meredith zu der Menschenmasse um und hörte ermutigende Zurufe. Mit starrem Blick durchforstete sie die vielen Leute, doch es war unmöglich, bei der ganzen Masse von Menschen Margo Blair ausfindig zu machen.

‚Komm schon, Margo…’, dachte sie verzweifelt und presste ihre Zähne aufeinander.

„Meredith, bitte sehr!“, schallten Aylins Worte über den Marktplatz und sie wiederholte die Geste.

Die rothaarige Frau auf der Bühne jedoch regte sich nicht. Stumm ließ sie ihre Blicke über das Publikum schweifen.

„Meredith…“, schrie auf einmal eine Stimme links von ihr. Schnell drehte Mutter Meredith ihren Kopf in die Richtung und sah, wie Kwen ihre geliebte Frau fest umklammerte. Mit flehenden Augen sah Resi zu ihr hinüber.

Resi stand zusammen mit Kwen an der ersten Stufe, sodass nur Meredith und Aylin die beiden sehen konnten, da die schweren Vorhänge, welche an der Bühne angebracht worden waren, die beiden verdeckte.

‚Augen zu und durch…’, dachte die rothaarige Frau, als sie ihren Blick wieder dem abwartenden Publikum zuwandte.

„Bürger von Oz…“, begann sie und wunderte sich nicht darüber, dass ihre Stimme genauso zu schallen schien, wie die von Aylin.
 

Als die Frau auf der Bühne endlich zu sprechen begann, kuschelte sich Stellaione Arlet noch tiefer in die warme Umarmung ihres Freundes.

„Mein Schatz, habe ich dir schon gesagt, dass ich dich liebe?“

„Wofür?“, grinste Domingus.

„Dafür, dass du den Stischa-Zauber bei mir gleich noch etwas versüßt…“, grinste Stella zurück.

„Aha, daher weht der Wind!“, lachte ihr Freund.

Adlerauge hatte die kurze Unterhaltung mitbekommen und fragte verwirrt: „Stischa-Zauber?“

„Ja…“, nickte Stella nun in ihre Richtung, „Der Stimmen-Schall-Zauber. Was meinst du, warum das Gesprochene dort oben auf der Bühne in der ganzen Smaragdstadt zu hören ist?“

„Aha. So funktioniert das also.“, murmelte Adlerauge nickend.

„Seid doch mal leise! Ich will das hören!“, zischte Penelope und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Meredith, als die anderen verstummten.
 

Ein plötzlich aufsteigendes Übelkeitsgefühl drohte, die Überhand zu nehmen, also atmete Meredith einmal tief durch, bevor sie weitersprach. Sie hasste die Worte, die sie nun sprechen musste und konnte sich nur mit dem Gedanken an ihre Frau dazu überwinden.

„Bürger von Oz…“, fing sie noch einmal an, „Ich bin heute hier, um zu bestätigen, dass Glinda die Gute eine Sappho ist. Sie war eine gute Freundin, doch die derzeitige Lage macht es mir unmöglich, ihr weiterhin den Rücken zu decken.“ Sie pausierte kurz und wartete, bis das laute Gemurmel abgeklungen war.

„Ganz zu Beginn meiner Dienstzeit hat Glinda die Gute mir Avancen gemacht, doch ich lehnte sie aus Liebe zu meiner Frau ab.“ Nach diesem Satz musste sie schon wieder innehalten, da laute Rufe und Proteste aus dem Publikum zu hören waren. Beschwichtigend hob sie die Arme: „Auch ich war im ersten Moment geschockt, da sie von meiner Ehe wusste und ich mit so etwas nicht gerechnet hätte. Doch nun ist sie mit der bösen Hexe des Westens geflohen und hat uns alle zurück gelassen. Wir wissen nicht, was uns erwartet und in Anbetracht der Situation müssen wir auf das Schlimmste gefasst sein….“

Meredith wusste, was der nächste Satz für Schäden anrichten würde, doch Madame Akaber hatte darauf bestanden. Sie hielt erneut inne und konnte die Worte nicht über ihre Lippen bringen, bis sie Resis Wimmern hörte. Ohne sich umzusehen sprach sie schnell weiter: „Glinda die Gute ist nun mit der offensichtlichen Liebe ihres Lebens wieder vereint und ich für meinen Teil muss gestehen, wenn jemand so schlecht über meine Frau geurteilt hätte, dann würde ich vor nichts mehr zurückschrecken. Auch nicht vor Rache…“

Meredith hatte es geahnt: nach diesen Worten ging ein lautes Raunen durch die Menge, welches sich schnell zu einem noch lauteren Gemurmel ausbreitete. Sie stand still auf der Bühne und starrte in die Menschenmenge, ohne wirklich hinzusehen.

‚Jetzt!’, dachte Margo, schloss die Augen und legte ihre Zeigefinger an die Schläfen.

‚Meredith… Meredith…’, dachte sie und konzentrierte sich stark.

Im gleichen Moment hatte die rothaarige Frau auf der Bühne das dringende Bedürfnis, die Augen zu schließen und ging ihm nach. Ein leichtes Schwindelgefühl stieg in ihr auf und sie erschrak leicht, als sie Margos bekannte Stimme in ihrem eigenen Kopf hörte: ‚Meredith… ich bin es. Kannst du mich hören? Du weißt, wie es funktioniert… Kommuniziere mit mir…’

Mutter Meredith konzentrierte sich nun ebenso stark und dachte: ‚Ich bin hier und höre dich… Wo bist du?’

‚In der Menschenmenge… Ich kann die Verbindung nicht lange halten… Es sind zu viele Gedanken hier… Wie geht es dir?’

‚Soweit ganz gut. Körperlich zumindest. Deine Kräfte sind mit den Jahren erstaunlich gewachsen!’

‚Danke, Meredith, aber unsere Studienzeit liegt auch schon lange zurück. Aber weswegen ich hier bin: Wir arbeiten an einem Plan, euch da rauszuholen. Wenn es stimmt, was Jytte mir erzählt hat, wollen sie Glinda bald öffentlich vorführen und dann wollen wir zuschlagen.’

‚Jytte? Unsere Jytte? Die Dienstmagd?!’

‚Genau die. Du kennst mich, Mer. Ich habe überall meine Leute. Wenn ich schon keine öffentliche Politik betreiben darf, dann wenigstens inoffiziell!’

‚Oh Margo, ich bin dir so viel schuldig.’

‚Nein mein Schatz, nach dieser Sache sind wir quitt. Du weißt, was ich meine…’

‚Ja, ich weiß.’

‚Ich muss….’, war das letzte, was Meredith noch hörte, bevor sie die Augen wieder öffnete. Die Verbindung war unterbrochen worden und als sie fühlte, wie Aylin sie an der Schulter rüttelte, wusste sie auch, warum.

„Meredith, du bist noch nicht fertig!“, flüsterte Aylin und blickte sie böse an.

Die rothaarige Frau seufzte, bevor sie erneut ansetzte, um ihrem Vortrag endlich ein Ende zu bereiten.
 

„Ela, hörst du das?“, fragte Gideon aufgeregt und löste sich von seiner Frau. Auch Elanora stand nun auf und ging hinter ihrem Mann zum Fenster.

„Was ist das?“, fragte sie verwirrt, als sie leises Gemurmel hörte.

„Da spricht jemand… Warte mal…“, murmelte ihr Mann und öffnete das Fenster. Mit einem Mal waren die Worte ganz deutlich zu verstehen.

„Das ist Meredith…“, hauchte Elanora fassungslos und lauschte dann noch fassungsloser den Worten, welche sie nicht glauben konnte…

Orez und Elaine, die nur zwei Türen weiter einquartiert worden waren, waren ebenso perplex.

„Was redet sie da für einen Mist?“, fragte Elaine aufgebracht.

„Es hat begonnen…“, murmelte Orez vor sich hin.

„Was hat begonnen?“

„Der Tag der Vergeltung…“
 

Madame Akaber grinste zufrieden, als Meredith offensichtlich erschöpft die Treppen hinunterstieg und Reseda kraftlos umarmte. Zu ihrem Erstaunen beobachtete sie auch, wie ihr Sohn Kwen von den beiden Damen wegzog und ihn anscheinend anwies, die Damen nicht zu stören.

Sie konnte sich jedoch nicht länger daran aufhalten, denn nun hatte sie ihren glorreichen Auftritt und bei dieser Show durfte nichts schiefgehen.

„Sieh zu, dass Kwen die beiden zurückbringt!“, knurrte Accursia im Vorbeigehen ihren Sohn an und stieg dann anmutig die Stufen zum Podest hinauf.

Langsam ging sie zur Mitte der Bühne und schaute auf die noch immer murmelnde Menge hinab. Rasant schossen ihre Arme in die Höhe und sie klatschte einmal kurz in die Hände. Im gleichen Augenblick donnerte es laut und wie aus dem Nichts schossen die Blitze vom Himmel.

Sofort war die Menschenmenge verstummt und blickte wie gebannt zum wolkenfreien Himmel hinauf.

„Meine lieben Bürger von Oz…“, begann sie laut und ihre Stimme schallte durch die ganze Stadt. Accursia wackelte leicht mit ihrem rechten Zeigefinger und plötzlich fuhr ihr eine kräftige Brise durch das Haar, welches daraufhin in die Höhe flatterte. Zufrieden stellte sie fest, wie die Menschen zu ihren Füßen sie mit offenem Mund anstarrten.

Sie trug ein weinrotes, figurbetontes Kleid, welches an ihrer linken Schulter mit gelben Federn besetzt war. Ihr langes, graues Haar flatterte noch immer im Wind, als sie erneut zu sprechen begann: „Bevor ich nun mit irgendetwas anderem beginne, möchte ich euch, geschätzte Mitbürger, erst einmal darüber aufklären, wie es dazu kommt, dass ihr mich heute vor euch seht! Vor etwas länger als einem Jahr wurde ich – wie alle wissen – inhaftiert. Jedoch wusste niemand, dass es ungerechtfertigt passierte. Glinda die Gute hat all die Jahre mit der bösen Hexe zusammengearbeitet und es deshalb geschafft, den Zauberer und mich zu verbannen. Nach einem halben Jahr gab Glinda die Gute dann bekannt, ich sei geflohen und dabei ums Leben gekommen. Auch das war Betrug. Die böse Hexe des Westens hatte versucht, mich zu töten. Erst als sie sich sicher war, dass ich sterben würde, ließ sie von mir ab. Ich jedoch überlebte nur aufgrund von drei hilfsbereiten Frauen, die mich damals von der Straße aufgelesen haben. Ich habe ein weiteres halbes Jahr gebraucht, um meine Kräfte und meine Erinnerungen wieder zu finden….“

Als Madame Akaber sprach, tat sie es mit einer solchen Überzeugungskraft, dass das ganze Publikum ihr wie gebannt zuhörte.

„Es war der Todestag der Hexe und unser offizieller Feiertag, an welchem ich mein Gedächtnis wiederfand und ich nahm an, Glinda sei in Gefahr. Ich wusste ja nun, dass die böse Hexe des Westens gar nicht tot war und machte mich auf den Weg, um Glinda zu warnen. In diesem Moment war es für mich unwichtig, dass ich wegen ihr ein halbes Jahr in diesem schrecklichen Gefängnis verbracht habe. Ich wollte sie warnen, denn ich wollte nicht tatenlos mit ansehen, wie das Volk von Oz wieder sein Oberhaupt verliert. So dachte ich zumindest…

Als ich am Palast ankam, traf ich dort zu meinem Erstaunen meinen eigenen Sohn, der sich nach meinem offiziellen Tod in den Dienst von Glinda der Guten gestellt hatte, um dem Land seinen Dienst zu erweisen. Da ich ja meine Erinnerungen erst kurze Zeit vorher wiedergefunden hatte, erklärte ich ihm in aller Eile meine Situation und das, was ich wusste. Gemeinsam mit den drei besagten Frauen durfte ich dann in den Palast und stürmte in Glindas Zimmer, da ich schon von Weitem die verdächtigen Geräusche gehört hatte. Als ich die Tür aufriss, sah ich, wie die Hexe sich gerade über Glinda beugte und ihre grünen, hässlichen Hände hielten Glindas Körper fest umschlungen.

Ich schrie, sie solle sie loslassen und als beide Damen sich erschrocken umdrehten, wurde mir schlagartig klar, in was für eine Situation ich da gerade reingeplatzt war. Die böse Hexe des Westens wollte Glinda die Gute überhaupt nicht umbringen… Sie waren gerade dabei…“ Accursia machte eine dramatische Pause. Diese Stelle hatte sie lange geübt und errötete nun gespielt.

„Oh Oz…“, seufzte sie, „Das kann ich gar nicht aussprechen. Ich sage es mal so: In diesem Moment wurde mir klar, dass ich ohne Zweifel ein Sappho-Pärchen vor meinen Augen hatte…“

Wie erwartet brach die Menge nun in laute Diskussionen aus und Accursia nickte nur hin und wieder.

Sie wusste, dass diese Sätze erst einmal ihre gesamte Wirkung entfalten mussten und diese Zeit nahm sie sich, bevor sie weitersprach.

„Und dann kam alles ganz plötzlich…“, begann Madame Akaber laut und sofort richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf sie, „Erst sahen mich beide erschrocken an, doch dann griff die Hexe nach einem großen Gegenstand und prügelte erneut auf mich ein, bis ich mein Bewusstsein verlor. Ich… Ich…“, stammelte sie gekünstelt, denn auch diese Stelle hatte sie mehrmals geübt. Nach einem lauten Seufzer fand sie ihre Stimme wieder – so schien es zumindest für das Publikum: „Ich lag sogar einige Tage im Koma… Und als ich aufwachte, erfuhr ich, dass sowohl Glinda die Gute als auch die böse Hexe des Westens spurlos verschwunden waren… Und da wusste ich: Die beiden haben das Volk jahrelang an der Nase herumgeführt und werden auch jetzt vor nichts zurückschrecken. Es musste sich also jemand um das Volk kümmern, das war mir klar, aber ich war ratlos. Niemand außer mir wusste von dieser Situation und ich wusste auch, wenn ich diese Informationen euch, liebe Bürger von Oz, mitteilen würde, wäre der Schock groß. Aber das habe ich gerade riskiert.

In dem Jahr meiner Abwesenheit ist mir klar geworden, dass ich unmöglich alleine in der Lage dazu bin, dem ganzen Volk von Oz gerecht zu werden und ich hatte eigentlich nicht geplant, jemals wieder in eine solche Situation zu geraten, die dies von mir verlangen würde.

Doch ich habe mich im Interesse des Volkes dazu entschieden, diesen Posten wieder einzunehmen, jedoch mit Hilfe der drei Frauen, die mir damals und auch vor wenigen Tagen noch das Leben gerettet haben. Diese Frauen möchte ich dem Volk auch gleich vorstellen.

Zum Schluss möchte ich aber noch eine Sache loswerden…“

Accursia atmete tief durch, denn nun kam der Part, den sie am Schluss doch noch einmal umgeschrieben hatte: „Ich kann verstehen, wenn einige von euch mir noch nicht trauen, denn wir wissen alle, welchen Einfluss Glinda die Gute auf uns alle hatte. Ja, auch ich muss zugeben, ich wurde von ihr geblendet.

Aber nichtsdestotrotz ist uns allen klar, dass Oz nicht ohne eine Führungsperson überleben kann und es war für mich keine leichte Entscheidung, ob ich diesen Schritt nun gehen sollte oder nicht.

Ich will, dass sich in Oz nun endlich etwas ändert und nicht nur eine Person das Sagen hat. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, für jedes Land ein weiteres Oberhaupt einzusetzen, denn so wird es leichter fallen, auf die Wünsche und Interessen der Bürger einzugehen.

Ich wünsche mir für Oz, dass die Bürger des Landes endlich so leben können, wie sie es wollen!

Doch lasst euch noch eines gesagt sein: Wir sind noch auf der Suche nach Glinda und der Hexe, also seit wachsam! Jede Sappho könnte eine Verbündete sein und wir wissen nicht, wie weit das Wirken der beiden noch geht. Nehmt euch also in Acht…“

Nickend beendete Madame Akaber ihren Vortrag und nach einigen Sekunden der unangenehmen Stille brach tosender Jubel aus. Sie hatte mit Absicht den Aspekt der TIERE ausgelassen, da Accursia wusste, dass das Volk noch immer empfindlich darauf reagierte. Außerdem waren genug TIERE im Publikum, sodass es zu riskant gewesen wäre, über dieses Thema zu sprechen.

„Doch nun…“, schrie Accursia in den Jubel hinein, „Will ich euch die anderen vier Oberhäupter vorstellen: Die drei Lebensretterinnen und meine Tochter! Gebt mir Fünf!“

„Gebt mir Fünf!“, echote es aus dem Publikum her, „Gebt mir Fünf!“
 

„Oh großer Oz, küssen Sie mich doch endlich, Domingus Wigluv…“, hauchte Stella ihrem Freund ins Ohr und hörte für einen kurzen Moment auf, daran zu knabbern, als der Mann sie sanft auf das große Bett ihres Zimmer hob.

„Mit Vergnügen, Fräulein Arlet…“, nuschelte er erregt und drückte seine hungrigen Lippen auf Stellas feuchten Mund.

„Du hast so sexy ausgesehen…“, nuschelte Domingus weiter, als er den Reißverschluss von Stellas langem Abendkleid öffnete und seine Hand darunter schob.

Die Blondine grinste frech in den Kuss hinein: „Es hat ja auch alles so geklappt, wie es geplant war… Und das auch dank dir, mein Geliebter.“

„Oh, du kennst kreativere Wege, um mir deinen Dank zu erweisen…“, grinste der Zauberer zurück und zwinkerte seiner Freundin zu.

„Allerdings….“, flüsterte Stella und küsste den Mann erneut.

In Wirklichkeit war es sogar noch besser gelaufen als geplant. Nachdem die Damen sich der Reihe nach vorgestellt hatten, hatte Madame Akaber noch einmal die neue Regierungsform und auch die Ergebnisse der Konzepttagung überliefert. Das Volk war in erneuten Jubel ausgebrochen, da natürlich bestimmte Dinge ausgelassen und andere Dinge beschönigt worden waren.

Die große Feier unten im Palast war noch immer in vollem Gange. Aus diesem Grund hatten Stella und Domingus auch nach einer Weile ungesehen verschwinden können. Die tanzende Menge war vom Wein benebelt und zur Feier des Tages hatte Madame Akaber eine Runde Hexenkraut für jeden Gast spendiert. Penelope hatte ihr diesen Tipp gegeben, denn niemand wusste besser als sie, dass dieses Kraut eine berauschende Wirkung hatte, aber nur, wenn es in Maßen geraucht wurde.

Penelope selber jedoch zündete sich gerade schon das dritte Stäbchen Hexenkraut an und sah, wie Accursia sich durch die Menge zu ihr hindurch kämpfte.

„Auria, du siehst so verdammt heiß heute Abend aus! Großer Oz, jede Sappho würde dich vernaschen. Tanz doch mal ne Runde mit Meredith!“, lachte Penelope laut der Frau entgegen.

Als Accursia die benebelte Frau erreichte, packte sie diese am Arm und zog sie ein Stück zur Seite: „Reiß dich zusammen, Penelope Griek. Wie viele hast du davon heute schon gehabt?!“

„Ist meine zweite, ich schwör’s!“

„Himmel und Ballon, ich komme mir vor, wie in einem Kindergarten!“, seufzte Accursia verärgert.

„Aber Schätzchen, das ist es doch… Das ist das Tolle daran. Morgen früh, wenn die Leute aufwachen, haben sie noch dieses beschwingte Gefühl der angerauchten Euphorie in sich. Darum habe ich es dir doch auch empfohlen! Die Leutchen werden nur denken, was das für eine umwerfende Party war und das alles gut und schön ist!“

„Ich nehme dich beim Wort, meine Gute! Wo ist mein Sohn eigentlich?“

„Haste den nich grad irgendwohin geschickt?“

„Ja, er sollte Meredith zurück auf ihr Zimmer begleiten. Jetzt, wo die Menschen hier so … benebelt sind, fällt ihre Abwesenheit nicht mehr auf.“

„Ja, da haste doch deine Antwort. Kannste mich mal loslassen?“, fragte Penelope bettelnd, denn Madame Akaber machte es ihr unmöglich, sich das dritte Stäbchen anzustecken.

„Aber das war vor einer halben Stunde! Wo ist er?“, fragte Accursia verwirrt und ließ Penelope endlich los.

„Keine Ahnung. Aber ich sag’s dir… Wenn ich ihn sehe, entfernen wir uns auch mal unauffällig!“, nuschelte Penelope und grinste breit.

„Oh du Grundgütiger, Penelope! So was will ich gar nicht wissen!“, zischte Accursia zurück und machte sich dann auf die Suche nach ihrem Sohn.

„Ramón! Da bist du ja! Wo hast du gesteckt?“, rief sie ihrem Sohn zu, der gerade die Treppen hinunterkam.

„Hallo Mutter, es ist auch schön, dich zu sehen und ja, danke, es geht mir gut!“, lächelte der blonde Mann.

„Lass den Quatsch! Wo warst du so lange?“

„Ich habe auch noch mal nach den anderen Inhaftierten dort oben gesehen.“, entgegnete Ramón trocken.

„Und das hat so lange gedauert?“

„Nein.“

„Was… Ramón, lass diese Spielchen!“, fauchte Accursia nun aufgebracht. Sie wusste, auch ihr Sohn hatte das ein oder andere Stäbchen geraucht, denn seine Augen leuchteten rot.

„Mutti, wenn du es genau wissen willst: Ich bin dann in Neles Zimmer gegangen, habe 34 Kerzen angezündet, dann habe ich das Bett neu bezogen… Nee, eigentlich war es anders herum, aber das ist ja auch egal… Und dann habe ich den Ring hier in meine Jackentasche gesteckt. Jetzt bin ich auf dem Weg zu ihr, um sie abzuholen und mit mir zu nehmen.“ Mit diesen Worten wollte sich Ramón an seiner Mutter vorbeidrängen, doch sie hielt ihn fest.

„Das mit dem Mutti kann ich überhören, aber was für ein Ring?“, fragte Accursia nur halb so verärgert wie geschockt.

„Ich werd sie heiraten!“, grinste Ramón breit und befreite sich aus dem festen Griff seiner Mutter.

Verblüfft starrte Accursia ihrem Sohn hinterher und schüttelte den Kopf: „Macht doch, was ihr wollt, Kinder. Ich gehe jetzt ins Bett…“

Als sie erschöpft und vom Wein beduselt die Stufen zu ihrem Schlafzimmer hochstieg, summte sie eine leise Melodie und sang den Kinderreim mit: „Kurz nach Mitternacht - Ich habe dir etwas mitgebracht. Sieh mal hier, Hexenkraut! Und schon hat der nächste eine Braut.“

Dann brach sie in schallendes Gelächter aus.
 

„Sag mal, Fiyero…“, keuchte Londaro, als er mit dem Scheuch vorne weg den Trupp den Berg hoch leitete, „Wie weit ist es noch? Wie lange müssen wir noch marschieren?“

„Hmm…. Ich schätze noch ungefähr fünf Stunden!“, grinste Fiyero und hopste mit Leichtigkeit über einen im Weg liegenden Baumstamm.

„Dann… sind … wir ja … nur zwei Stunden zu spät!“, hechelte der Sekretär, als er über denn Stamm kletterte und Fiyero wieder eingeholt hatte.

„Ja, das wundert mich auch! Ich hatte mit einigen Stunden mehr gerechnet!“

„Dann… müssten… wir…“

„Oh Oz, sag mir doch, dass ich etwas langsamer gehen soll!“, erschrak Fiyero, als er Londaros schweißbedeckte Stirn bemerkte.

„Danke… Geht schon…“, murmelte der Sekretär nach einer Weile, als seine Atemzüge wieder gleichmäßiger kamen, „Aber was ich eben fragen wollte: Dann müssten wir also so um acht Uhr heute früh dort sein?“

„Wenn wir jetzt ungefähr drei Uhr nachts haben, ja!“, grinste Fiyero zurück und wackelte mit seinem Uhrlosen Handgelenk vor Londaros Nase herum.
 

Um die gleiche Zeit schreckte Elphaba aus ihrem Schlaf hoch und wäre durch den Schwung beinahe aus dem Bett gefallen. Sie hatte von Madame Akaber geträumt und dann war ihr im Traum eingefallen, dass sie Glinda nichts von Accursia und Meredith erzählt hatte.

„Glinda!“, sagte sie panisch, während sie noch halb träumend die zarte Schulter rüttelte, „Glinda, Akaber lebt! Sie lebt!“

„Nicht jetzt… noch schlafen…“, murmelte Glinda müde und drehte sich mit dem Rücken zu Elphaba, die schwer atmend im Bett saß.

Erst langsam kehrte Elphaba aus ihrer Traumwelt auf und es dauerte einige Minuten, bis sie diese Welt von der Realität getrennt hatte. In dieser Zeit war Glinda schon wieder eingeschlafen.

Langsam drehte sich die Hexe zu der blonden Frau um und rüttelte erneut, diesmal jedoch sanfter, ihre Schulter. „Glinda, bitte wach auf. Wir müssen los! … Glinda? Glinda? Glinda!“

„Was ist denn? Wir haben fünf Uhr!“, fauchte die müde Blondine und wirbelte im Bett herum, sodass sie Elphaba ansehen konnte, „Ich bin ja wach!“

„Glinda, Akaber lebt! Und Meredith auch!“, brach es aus Elphaba heraus.

„Was?“, fragte Glinda geschockt und war augenblicklich hellwach. Sie rieb sich verwirrt die Augen und setzte sich auf.

Als die blonde Schönheit nun mit verschlafenen Locken vor Elphaba saß, bemerkte diese, dass sie sich gar keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie sie der Freundin beibringen wollte, dass die beiden nun als Sappho-Pärchen verschrien waren.

„Hallo?“, fragte Glinda und wedelte mit der Hand vor Elphabas Augen herum.

Diese löste ihren starren Blick und schaute im Schein des noch immer brennenden Feuers in Glindas blaue Augen: „Ich… also… Als ich heute… gestern, für uns eingekauft habe, da stand in einer extra Ausgabe der Neuigkeitenblätter, dass Madame Akaber und Meredith am gleichen Abend eine öffentliche Rede in der Smaragdstadt halten sollten…“

„Aber das ist doch noch nicht alles?“ Glinda sah mit sie mit argwöhnischem Blick an und wusste, dass Elphaba nicht ohne Grund so aufgebracht war.

„Nein… Aber das… Wir… Da stand…. Oh Oz…“, seufzte Elphaba und gab schließlich auf, „Kann ich dir das alles erklären, wenn wir uns angezogen haben?“

Glindas Augenbrauen schossen vor Überraschung in die Höhe: „Du willst jetzt gehen? Jetzt sofort?“

„So schnell wie möglich, ja…“, nickte Elphaba.

„Ich habe zwar keine Ahnung, was du mir noch zu sagen hast, aber offensichtlich ist die Situation brenzlig. Also ja, du kannst es mir auch danach sagen, wenn du die passenden Formulierungen gefunden hast…“, grinste Glinda.

„Du kennst mich eben zu gut…“, grinste Elphaba zurück, lehnte sich ein Stück vor und schloss Glinda in ihre grünen Arme, „Danke.“

In diesem Moment schmolz Glinda in das warme Zeichen der Zuneigung hinein und wurde sofort wieder an den vergangenen Abend erinnert. Sie merkte, wie sehr die Geschichte mit ihrer Schwester ihr noch auf der Seele lag und atmete seufzend Elphabas Duft ein. Diese angenehme Duftnote aus Milch und Honig beruhigte sie immer wieder.

„Kein Problem…“, flüsterte Glinda schließlich und drückte Elphaba zärtlich, bevor sie sich aus den Armen der Freundin befreite, „Aber jetzt will ich sehen, was du mir mitgebracht hast!“

„Ich bin gespannt, ob es dir gefällt…“, murmelte Elphaba, als sie aus dem Bett kletterte und ihren Morgenmantel fest um ihren dünnen Körper zog.

„Und ich erst!“, grinste Glinda breit und ließ ihre Füße von dem Bettende baumeln.

Mit einem leisen Stöhnen holte Elphaba ihre Tasche aus dem Badezimmer und machte dann das Licht im Schlafzimmer an.

„Uhhh…“, quietschte Glinda und zog eine Grimasse, bei welcher sie die Augen zusammenkniff, „Ich hasse elektrisches Licht! Das ist so hell…“

Auch Elphaba musste blinzeln: „Ich auch. Darum haben wir im Wohnsaal auch nur den Kamin und die Kerzen!“

Glinda öffnete ihr linkes Auge halb, während sie das andere noch immer zukniff: „Ich hoffe sehr, dass das nicht meine Anziehsachen sind!“, sagte sie ernst.

„Wie, was? Ich habe doch noch gar nichts in den Händen!“, sagte Elphaba verwirrt.

„Darum ja!“, lachte Glinda und öffnete langsam wieder beide Augen.

„Du bist unmöglich!“, grinste Elphie und öffnete ihre Tasche.

„Ich weiß! Nun mach schon!“, lachte Glinda und wackelte aufgeregt mit ihren nackten Füßen.

Als Elphaba eine große Plastiktüte aus ihrer Tasche zog, staunte Glinda nicht schlecht: „Großer Oz… Ich hoffe, da sind nicht nur schwarze Sachen drin…“

Elphaba hielt augenblicklich in ihren Bewegungen inne und schielte hinüber zu der Frau auf ihrem Bett: „Glin, deine Kommentare sind nicht gerade hilfreich! Willst du die Sachen nun sehen oder nicht?“

„Bin schon brav…“, flötete Glinda grinsend und faltete ihre Hände auf dem Schoß.

„Wer’s glaubt wird selig…“, murmelte Elphaba und öffnete die Einkaufstüte.

„Hey! Das habe ich gehört!“

„Anziehsachen: Ja oder nein?“

„Ja….“

„Dann sei leise!“, grinste Elphie.

„Nicht fair!“, schmollte Glinda und unterdrückte ein Grinsen.

Als Elphaba sah, wie die blonde Schönheit ihre Arme vor der Brust verschränkte und gespielt schmollte, rollte sie mit den Augen und musste lachen. Wie sie jedoch in die Tüte schaute, erstarb das Lächeln auf ihrem Gesicht. Oben auf lag die Kette mit den zwei Herzen, die ineinander verlinkt waren.

Vorsichtig schob Elphaba die Kette zur Seite und zog Glindas Outfit hervor.

„Tada!“, flötete Elphaba sarkastisch und machte eine sehr untypische Bewegung, welche Glinda zum Lachen brachte.

Ohne wirklich hinzusehen schlug Glinda vor: „Ich ziehe jetzt meins an und du deins! Erst wenn wir fertig sind, öffnen wir die Tür!“

Noch bevor Elphaba antworten konnte, stand sie alleine und ohne Kleidung in der Hand im Schlafzimmer.

„Alles klar…“, grinste Elphaba in den leeren Raum hinein und zog sich ihre neuen Sachen an. Dann betrachtete sie sich im Spiegel.

„Grün auf grün… Ach nein, petrol auf grün!“, kicherte sie und entschied sich dann dazu, die Kette vom Nachtisch zu nehmen und sie anzuziehen.

„Aha, schon besser!“, stellte sie nickend fest, als nur noch der petrolfarbene Rock die einzigen Grüntöne an ihrem Körper beinhaltete.

Sie hatte sich in sekundenschnelle umgezogen und wusste, dass Glinda etwas länger brauchen würde. Also setzte sie sich auf ihr Bett und dachte darüber nach, wie sie ihrer blonden Freundin nun die ganze Geschichte erklären könnte.

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Doch als Elphaba das nächste Mal auf die Uhr sah, waren es schon kurz nach halb sechs.

„Glinda?“, fragte Elphaba besorgt und stand vom Bett auf, „Alles in Ordnung da drinnen?“

„Jaaaa…“, kam Glindas Antwort augenblicklich.

„Was machst du denn so lange?“, fragte Elphaba und wollte die Tür öffnen.

„Nein! Nicht reinkommen!“, schrie Glinda laut und vor Schreck ließ Elphaba die Tür wieder los.

„Noch fünf Minuten!“, hörte sie Glindas Stimme durch die wieder geschlossene Tür.

Seufzend setzte Elphie sich auf ihr Bett und wartete geduldig ab. Sie wusste nun, wie sie die Sache am Besten angehen sollte.

Noch vor den angekündigten fünf Minuten ging die Badezimmertür auf, doch Elphaba konnte Glinda nicht sehen. Das Licht im Bad war jedoch noch an.

„Glin…“

„Tadaaaa!“, rief Glinda nun ganz und gar nicht sarkastisch und sprang hinter der Tür hervor. Sie riss die Arme in die Höhe und strahlte Elphaba abwartend an.

Mit offenem Mund starrte die Hexe ihre Freundin an und es dauerte einige Sekunden, bis sie ihre Fassung wiedergefunden hatte.

„Großer Oz!“, stöhnte sie und betrachtete Glinda von oben bis unten.

„War die Farbe etwa nicht für mich?“, fragte Glinda verwirrt und ließ die Arme sinken.

„Doch… doch… aber… Ich… Woher hast du sie denn bitte gehabt?“, stammelte Elphaba und staunte über Glindas brünette Haare.

„Die Packung steckte zwischen meinen gefalteten Sachen und ich nahm an, es gehörte zu meiner Tarnung.“, grinste Glinda und fuhr sich mit einer frechen Geste durch ihr Haar, bevor sie es sich zu einem Zopf zusammenband. „Gefällt es dir?“

„Es ist anders, aber ich müsste lügen, wenn ich nein sagen würde. Es steht dir gut… Aber woher wusstest du denn, wie so was funktioniert? Ich wusste bis vor ein paar Stunden nicht einmal, dass so etwas existiert!“, fragte Elphaba, nachdem sie endlich ihre Stimme wiedergefunden hatte.

„Du hast dir auch bestimmt nicht in deiner Kindheit die Haare mit dem Zeug blau gefärbt, oder?“, fragte Glinda lachend.

„Du hast was?“, entgegnete Elphaba fassungslos und musste bei der Vorstellung grinsen.

„Das Zeug gibt es schon Jahrzehnte! Du mischst einfach den Puder nach Anleitung und streust es über deine Haare. Dann nehmen sie die gewünschte Farbe an. Na ja… Wenn du es richtig machst. Damals habe ich mir von einer Freundin eine braune Strähne in die Haare machen lassen und meine Mutter fand es so scheußlich, dass sie mit so einem Zauberpuder die Strähne wieder blondieren wollte. Sie hatte aber zwei Zutaten vertauscht und in falscher Reihenfolge gemixt… Und danach waren meine Haare blau!“, lachte Glinda und nachdem sie sich beruhigt hatte, fügte sie grinsend hinzu: „Aber jetzt sind sie braun und ich muss sagen, mir gefällt es auch. Aber für immer ist das keine Lösung!“

„Soll es ja auch nicht sein! Aber Lexie hat wirklich gute Dinge ausgesucht!“, nickte Elphaba und musterte Glinda erneut.

„Wer ist Lexie?“, fragte Glinda erstaunt und zog fragend ihre linke Augenbraue in die Höhe.

Elphaba seufzte und blickte auf den Boden. Sie wusste, nun war es an der Zeit, Glinda aufzuklären.

Die blonde Schönheit merkte, dass ihre Freundin offensichtlich Probleme hatte, ihr die ganze Geschichte zu erzählen, also ging sie langsam hinüber zum Bett uns setzte sich neben Elphaba.

„Aber egal wer es ist, ich stimme dir zu. Du siehst fabelhaft aus!“, sagte Glinda leise, als sie neben Elphie saß und diese abwartend anblickte.

Ohne auf den Kommentar einzugehen, sagte Elphaba: „Lexie oder Lexana war mehr oder minder die Verkäuferin… Aber ich fange am besten vorne an…“

„Wäre vielleicht ganz praktisch!“, grinste Glinda, die nicht wusste, was eine mehr oder minder Verkäuferin bedeuten sollte.

Also erzählte Elphaba ihr, wie sie Frieda getroffen hatte und auf dem Weg zum Geschäft noch das Buch von Margo Blair gekauft und auch noch einen Mini-Schneemann gebaut hatte. Dann berichtete sie von Gunilla und Lexana und sie erzählte Glinda von dem Gespräch in der Küche, jedoch ohne auf den Inhalt des Artikels einzugehen.

„Deena Elrik?“, lachte Glinda und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel.

„Was ist daran so komisch?“, murmelte Elphaba, leicht verärgert.

„Das ist einfach nur so… so… typisch du!“, grinste die blonde Schönheit an Elphies Seite und musste sich erneut die Lachtränen von der Wange wischen.

„Muss ich mich jetzt beleidigt fühlen?“, fragte Elphaba und konnte ihr eigenes Grinsen nicht länger unterdrücken. Sie wusste, dass Glinda es nicht böse meinte und das Lachen ihrer Freundin steckte Elphaba immer wieder an.

„Nein, ich bitte Sie, Fräulein Elrik!“, kicherte Glinda und war kurz davor, in einen weiteren Lachanfall auszubrechen. Elphaba rollte stöhnend mit den Augen und erzählte schnell weiter, bevor Glindas Lachmuskeln erneut gereizt wurden.

„Und dann hat Lexie mir noch mit der Kleiderauswahl geholfen. Als es dann so plötzlich anfing zu gewittern, habe ich mich direkt auf den Weg gemacht. Und gestern Abend habe ich dann einfach nicht mehr daran gedacht, weil du… weil … das andere einfach wichtiger war…“, schloss Elphaba seufzend, da sie wusste, was Glinda nun fragen würde.

Glinda war die ganze Zeit über still gewesen und ihr war nun klar, dass es der Artikel sein musste, der ihre Elphie so aus der Fassung gebracht hatte.

„Elphaba…“, begann sie ruhig und wartete, bis die dunklen Augen sie ansahen, „Was stand in dem Artikel genau drin?“

Ohne ein Wort stand Elphaba auf und ging hinüber zu ihrer Tasche. Ihr Herz klopfte wie wild und sie konnte nicht genau zuordnen, woran das lag. Sie war nervös und wusste nicht warum, aber genau das war es, was sie ärgerte.

Mit zitternder Hand griff Elphaba in die Tasche und zog den Artikel hervor, den Lexana ihr noch gegeben hatte. Glinda entging nicht, dass Elphaba etwas zittrig war und hoffte, dass es in dem Artikel nicht um ihre Eltern ging oder um irgendetwas anderes, was sie erschüttern würde.

„Elphie? Ist alles in Ordnung?“, fragte Glinda vorsichtig und machte Anstalten, vom Bett aufzustehen.

„Jaja doch! Alles in Ordnung!“, antwortete Elphaba etwas zu schnell und setzte sich wieder neben Glinda auf das Bett. Innerlich rang sie noch immer um Kontrolle, während ihr äußeres Erscheinungsbild nun wieder etwas ruhiger wirkte.

„Ist… das da der Artikel?“ Glinda deutete mit einer zarten Geste ihres rechten Zeigefingers auf das Neuigkeitenblatt in Elphabas hautfarbenen Händen.

Mit einem leichten Nicken und einem tiefen Blick in die blauen Augen hielt Elphaba ihrer Freundin den Artikel hin.

Glinda wusste nicht, ob Elphabas Schweigen ein gutes oder ein schlechtes Vorzeichen war, also fragte sie etwas unsicher: „Muss ich irgendetwas wissen, bevor ich das lese?“

Mit diesen Worten nahm sie Elphaba den Artikel aus den Händen und als Elphaba, immer noch schweigend, den Kopf schüttelte, begann sie zu lesen.

Elphaba beobachtete Glinda angespannt von der Seite.

„Was?!“, hauchte Glinda fassungslos und Elphaba nahm an, sie hätte gerade die Überschrift gelesen.

‚Oh Oz, ich kann das nicht… Ich kann das nicht…’, dachte Elphaba und versuchte, ihr pochendes Herz zu beruhigen, doch es gelang ihr nicht. Gestresst stand sie auf und begann, im Raum auf und ab zu laufen. Glinda schien dies gar nicht zu bemerken, denn sie war so sehr vertieft in diesen Artikel, dass ihr auch nicht auffiel, wie die Glühlampe durchbrannte.

„Wundervoll!“, grummelte Elphaba ironisch mit einem Blick zu der Deckenlampe und ließ die Kerzen an den Wänden auflodern. Dann setzte sie ihre Wanderei durch das Turmzimmer fort, ohne zu merken, dass Glinda mit starrem Blick das Blatt auf ihren Schoß legte.

Nach einigen Minuten hob Elphaba den Kopf und war überrascht, als sie eine stumme Glinda mit glasigem Blick auf dem Bett entdeckte. Sie hatte damit gerechnet, dass Glinda ausflippen würde, sobald sie den Artikel gelesen hatte. Doch nun wusste die Hexe nicht, ob sie erleichtert oder besorgt sein sollte.

Langsam löste sie ihre Hände, die sie hinter dem Rücken gefaltete hatte und ging vorsichtig auf die blonde Freundin zu.

„Glin?“, fragte sie leise und kniete sich vor Glinda auf den Boden, um ihr in die Augen sehen zu können.

Glinda schien ganz in Gedanken versunken. Ihr Herz schmerzte, denn es schlug viel zu schnell. In ihrem Körper fühlte sie, wie langsam verschiedene Gefühle aufstiegen und sie wusste, dass sie diese nicht kontrollieren konnte. Die Worte ‚… um sich zu lieben… Untreue… Mutter Meredith wird davon berichten…’ schossen ihr durch den Kopf und sie war nicht in der Lage dazu, diese ganzen Dinge zu ordnen.

Erst das zweite „Glin?“ riss sie aus ihrer Starre und als sie in Elphabas dunkle Augen blickte, brach Glindas innere Mauer, die die Gefühle und Gedanken noch zurückgehalten hatte.

Ohne Vorwarnung sprang die blonde Schönheit energisch auf und warf Elphaba dabei um, sodass diese auf ihrem Hinterteil landete.

„Untreu?!“, schrie Glinda aufgebracht. Elphaba schaute verblüfft in ihre Richtung und sah zu, wie nun ihre Freundin begann, im Raum auf und ab zu laufen. Jedoch war dieses Laufen von wilden Gestikulierungen begleitet.

„Untreu! Ich glaube das nicht!“, spuckte Glinda beinahe aus, „Ich habe nie… Die ganzen Jahre über… seit, Oh Oz hilf mir… seit ich weiß nicht wann… NIE habe ich jemand anderen ge…“ Plötzlich hielt Glinda inne. Sie hatte ihre Hände zu zwei festen Fäusten geballt und ihren Rücken zu Elphie gedreht, welche gar nichts mehr verstand und verdattert auf dem Boden hockte.

‚Glinda Hochborn, reiß dich zusammen, bevor du zu viel sagst!’, tadelte sich Glinda in Gedanken, denn beinahe hätte sie ihre eigene Entscheidung missachtet, welche sie erst vor ein paar Stunden in einem Gedicht getroffen hatte.

Mit tiefen Atemzügen stand sie schweigend dort und versuchte, sich zu beruhigen. Elphaba hingegen saß unbeholfen am Boden und wusste nicht, was sie nun tun sollte. Also drehte sie sich zu Glinda um und verschränkte ihre Beine zu einem Schneidersitz. Geduldig wartete sie, bis Glinda sich endlich umdrehte und sie ansah.

„Entschuldige Elphie…“, murmelte Glinda verlegen, als sie auf Elphaba zuging und sich zu ihr auf den Boden setzte, „Vergiss das einfach…“

Als Elphie sie nur fragend ansah, sprach Glinda schnell weiter, um das Thema nicht aufgreifen zu müssen: „Ich kann nicht glauben, dass Meredith so etwas tun würde…“

„Ich glaube auch kaum, dass sie das freiwillig gemacht hat.“, sagte Elphaba sachlich.

„Ich weiß…“, seufzte Glinda und blickte Elphaba in die Augen, „Aber genau das macht mir Sorgen. Ich meine, ich weiß jetzt, dass sie lebt… und Oz sei Dank, sie lebt! Aber… sie würde so etwas nie tun… niemals… es sei denn, sie hat keine andere Wahl…“

Elphaba bemerkte, dass Glinda offensichtlich eine Vorahnung hatte. „Was glaubst du, womit sie ihr gedroht haben?“, fragte die Hexe vorsichtig.

Glinda senkte ihren Blick und flüsterte resigniert: „Resi etwas anzutun.“

Elphie erinnerte sich an das Gespräch über das weibliche Ehepaar. „Wie kommst du darauf?“, fragte sie nach einer kurzen Pause.

„Weil Reseda das einzige ist, worum Meredith in ihrem Leben wirklich hart kämpfen musste. Sie hätten alles mit ihr machen können, es wäre ihr egal gewesen. Aber wenn Resi irgendetwas passieren würde… darüber würde sie nie hinwegkommen.“, sagte Glinda mit Tränen in den Augen, als sie wieder zu Elphaba aufblickte, „Sie liebt sie von ganzem Herzen. Sie ist ihre große Liebe. Für Resi würde Mer alles tun. Alles…“

Elphaba wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, also strich sie Glinda schweigend die Träne von der Wange.

„Aber sie lebt…“, seufzte Glinda erleichtert, „Und Resi auch…“

„Und Accursia auch…“, murmelte Elphaba, „Aber ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich deswegen erleichtert sein sollte oder eher das Gegenteil…“

„Ich glaube, du bist beides. Einerseits erleichtert, weil du sie nicht… umgebracht hast und andererseits wäre es vielleicht doch besser gewesen…“, kommentierte Glinda einfühlsam.

Elphie war froh, das schwierigste Thema noch weiter hinauszögern zu können: „Du hast wohl Recht. Aber das erleichtert uns die Sache nicht wirklich.“

„Nein…“ Glinda schüttelte den Kopf und hob den auf dem Boden liegenden Artikel auf, welchen sie vorhin runtergeworfen hatte, „Es macht alles nur noch viel komplizierter.“

Die Hexe schwieg und sah zu, wie ihre blonde Freundin sich den Artikel erneut durchlas. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

Als Glinda die Zeilen immer und immer wieder durchging, wusste sie, dass nun der richtige Zeitpunkt wäre. Nie hatte sie Elphaba nach ihren Gefühlen oder Sichtweise über die Beziehung zwischen ihnen gefragt.

‚Jetzt oder nie, Glinda… Jetzt oder nie…’, dachte sie bei sich, ‚Vielleicht ist das deine letzte Chance…’

„Elphaba, zieh doch bitte deine Kette aus…“, sagte Glinda schließlich und sah Elphie an.

Ohne etwas zu erwidern, ging Elphie der Bitte nach und steckte die Kette in ihre Rocktasche. Erst dann fragte sie: "Wieso?"

"Weil ich dich etwas fragen möchte und nicht Deena Elrik..."

Der Hexe glitt ein Schauer über den Rücken, als sie den Blick aus den funkelnden Augen sah. Sie wusste, was nun kommen würde und sie hatte keine Ahnung, wie sie reagieren sollte. Aus diesem Grund konnte Elphaba auch nichts erwidern und sah Glinda nur fragend an.

„… was hast du gedacht, als du das gelesen hast?“, fragte Glinda ruhig und fügte dann noch hinzu: „Also ich meine, das mit uns. Diese Anschuldigung hier, oder was es auch immer ist…“

In Elphabas Kopf rasten die Gedanken durcheinander und sie konnte nicht mehr klar denken.

„Ich… ich weiß nicht…“, stotterte sie nach einem kurzen Schweigen und blickte auf den Boden, während Glinda schweigend abwartete.

‚Oh großer Oz, Elphaba! Konzentriere dich! Du benimmst dich wie ein Kind!’, ermahnte sich die Hexe in Gedanken und brachte es nur mit ganzer Willenskraft fertig, Glinda wieder anzusehen.

„Ich fand es merkwürdig. Ich hätte nicht gedacht, dass man uns so sehen könnte.“, gab Elphaba zu und ihre Stimme klang schon wieder etwas sicherer, obwohl sie nervlich ein totales Wrack war.

„Wieso nicht?“, fragte die brünette Schönheit neugierig.

„Wie… Na weil … du und ich.. Ich meine, wir haben nie das gemacht, was Akaber und Anhang uns da

ankreiden.“, stammelte Elphie, während Glinda ganz ruhig schien.

„Natürlich nicht. Das ist ja auch nur ein politischer Schach-matt-Zug. Aber ich meinte ja auch nicht das, sondern vielmehr… Was hast du gedacht, als du gelesen hast, dass wir uns lieben?“

Glindas Herz pochte laut und ihre Hände waren schwitzig. Sie hielt noch immer den Artikel umklammert, doch Elphaba schien ihre Anspannung nicht zu bemerken. Sie hatte große Schwierigkeiten damit, ihre Stimme ruhig und gelassen erklingen zu lassen und die Frage hatte sie nur über ihre Lippen bringen können, weil sie ihren Verstand nach hinten gestellt hatte.

„Glinda, ich habe da noch nie drüber nachgedacht. Ich kenne keine Liebe…“, murmelte Elphaba und sah Glinda erwartungsvoll an. Sie fühlte so viel, aber sie fand keine Worte, um diese Gefühle auszudrücken. Das hatte sie vorher in ihrem Leben auch nie getan und aus ihrer Kindheit hatte sie auch keine Erinnerungen an warme Worte, die ihr Vater hätte zu ihr sagen sollen.

‚Ich kenne keine Liebe…’, hallten Elphabas Worte in Glindas Kopf wieder und gleichzeitig sah sie vor ihrem Auge all die gemeinsamen Momente mit der grünen Frau, die in ihr immer ein bestimmtes Gefühl erweckt hatten. ‚Du kennst keine Liebe?’, dachte Glinda verärgert und sah sich selber neben der grünen Frau im Bett liegen. Dann sah sie, wie die Freundin ihr aus einem dicken Buch vorlas und mit einem grünen Zeigefinger kleine Kreise auf Glindas Unterarmen zog. Plötzlich wandelte sich das Bild vor ihrem inneren Auge und sie fühlte wieder den sanften Kuss auf ihren Lippen, als Elphaba sie das erste Mal verlassen hatte.

In Glinda stiegen in sekundenschnelle all die Gefühle wieder auf, die sie je empfunden hatte, wann immer sie mit Elphaba zusammen gewesen war. Sie wusste, dass es Zuneigung war und jetzt stellte Elphaba alles so hin, als wären all diese Gefühle von Wärme, Geborgenheit… ja, sogar Liebe nur einseitig gewesen?

„Du bist so… oah!“, sagte Glinda verärgert und stand ruckartig auf.

Elphaba sah ihr verwirrt hinterher, als die nun brünette Freundin sich vor das Fenster stellte und mit verschränkten Armen in das Morgengrauen hinausblickte.

„Glinda?“, fragte Elphaba irritiert und stand auf. Die Freundin rührte sich nicht.

‚Wie kann sie nur?’, dachte Glinda immer wieder verärgert und vor allem verletzt.

Elphaba wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte. Sie hätte Glinda am liebsten in den Arm genommen, aber sie merkte, wie aufgebracht ihre Freundin war und blieb zwei Meter hinter ihr stehen.

„Glin?“

„WAS?“, schrie Glinda und fuhr herum. Sie merkte, wie sie langsam, aber sicher außer Kontrolle geriet.

Elphaba erschrak, doch fand ihre Stimme augenblicklich wieder: „Ich wollte nicht….“

„Was wolltest du nicht?“, keifte Glinda und unterbrach Elphaba mitten im Satz. „Du wolltest nicht die Wahrheit sagen? Wolltest du mich in dem Irrglauben lassen? Ich fasse das einfach nicht!“

Als Elphaba sah, wie Glinda die Tränen in die Augen schossen, fühlte sie sich noch schuldiger, als sie sich ohnehin schon fühlte.

„Glinda, wovon redest du da?“, fragte sie verzweifelt und blieb stehen, als Glinda einen Schritt auf sie zuschnellte.

„Wovon ICH rede?“, fragte Glinda aufgebracht, „Wovon redest DU, Elphaba? All die Jahre habe ich geglaubt… und dann, in einer Sekunde… Oh Oz, ich fühle mich so dämlich!“

Die Hexe verstand nichts von dem zusammenhangslosen Zeugs, was Glinda redete: „Glinda, ich weiß wirklich nicht, was ich jetzt getan habe. Bitte, erkläre es mir doch!“, bat Elphaba verzweifelt und wusste nicht wohin mit ihren Händen.

Seufzend drehte sich Glinda zum Fenster um und sah hinaus. Dann murmelte sie leise: „All die Jahre habe ich geglaubt, dass ich dir auch etwas bedeute und zwar in dem Ausmaß, wie du mir etwas bedeutest.“

„Aber Glinda!“, hauchte Elphaba nun entsetzt und die Freundin drehte sich wieder zu ihr um. „Du bedeutest mir doch etwas! Was ist das für ein Unsinn? Du warst der Mensch, der mir am meisten bedeutet hat und das bist du auch noch immer…“

Bei diesen Worten ging die Hexe auf Glinda zu und nahm ihre Hände in die eigenen.

„Sie mich an, Glin.“, flüsterte Elphaba mit zittriger Stimme. Als die blauen Augen in die ihren blickten, sprach sie weiter: „Hast du gehört? Du bedeutest mir sehr wohl etwas!“

„Ach, Elphie…“, seufzte Glinda müde und schüttelte leicht den Kopf, „Ich rede hier nicht von Freundschaft. Immer, wenn du in der Nähe warst, habe ich mich sicher gefühlt. Immer, wenn du mich in den Arm genommen hast, habe ich mich geborgen gefühlt. Immer, wenn ich mich an dich kuscheln durfte, habe ich mich umsorgt gefühlt. Und als du mich geküsst hast, habe ich mich… geliebt gefühlt.“

In diesem Moment verstand Elphaba plötzlich, was Glinda ihr die ganze Zeit über hatte sagen wollen.

Glinda hingegen konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie wollte Elphabas Nähe fühlen, auch wenn sie wusste, dass ihre Freundin zurückschrecken würde. Ohne Vorwarnung zog Glinda ihre Elphie an sich heran, schloss die Augen und küsste die Hexe sanft auf den Mund. Als die rosigen Lippen die dunkelgrünen berührten, setzte das Herz beider Frauen einen Schlag aus.

Elphaba hatte das Bedürfnis, sich diesem Kuss hinzugeben, doch reflexartig drückte sie Glinda nach ein paar Sekunden unsanft von sich und starrte sie entgeistert an. Die Hexe ließ Glindas Hände erschrocken los und ging einen Schritt zurück. Sie wollte das gar nicht, aber sie hatte keine Kontrolle mehr über ihren Körper.

„Warum hast du das gemacht?“, fragte Elphaba ärgerlicher, als sie es wollte.

„Der Verstand bringt den Körper nicht immer dazu das zu tun, was er gern hätte“, antwortete Glinda ganz ruhig und sah Elphaba fragend an.

Die Hexe merkte, dass sie zu heftig reagiert hatte und versuchte, sich zu beruhigen

„Ge-Geliebt? Du hast dich geliebt gefühlt?“, stotterte Elphaba und starrte Glinda an, die seufzend lächelte.

„Ja…“

„Von… von mir?“

„Ja, Elphaba…“, hauchte Glinda und die Tränen stiegen ihr erneut in die Augen. Ihre Entscheidung, sich solche Gedanken über Elphaba zu verbieten, war nutzlos gewesen, denn nun spürte die brünette Schönheit, wie die Liebe zu ihrer Freundin ihr das Herz und die Kehle zuschnürte.

‚Noch ein letzter Versuch…’, dachte Glinda und wischte sich mit ihrer linken Hand die Träne weg.

„Elphie?“, fragte sie mit heiserer Stimme und blickte auf den Boden.

„Ja?“, fragte Elphaba und starrte Glinda an, ohne wirklich hinzusehen. Ihr Herz raste, ihre Hände schwitzten und sie hatte das Gefühl, nicht mehr sie selbst zu sein.

„Elphaba… stell dir vor, es gibt keine Zukunft, keine Vergangenheit… Nur diesen Augenblick. Was würdest du tun, wenn der Vorhang fallen würde? Es gibt hier nur uns. Es gibt hier nur das, nur diesen Augenblick….“ Glinda hielt kurz inne und sah wieder zu der grünen Frau auf.

„Vergiss die Reue, vergiss alles. Sonst wirst du es sein, der etwas im Leben fehlen wird… Es gibt keinen anderen Weg, keine andere Möglichkeit, keinen anderen Augenblick als diesen. Elphie, lebe den Augenblick… Es gibt nur das Jetzt und Hier… Gib dich der Liebe hin oder lebe in Angst… Ich kann mein Schicksal nicht bestimmen, aber ich vertraue meinen Gefühlen, die mich leiten. Und sie leiten mich jetzt und hier … zu dir. Lebe den Augenblick…“

Die letzten Worte hatte Glinda nur mit Müh und Not herausbringen können und die Tränen flossen ihr wieder über die Wangen. Elphaba hatte jedes einzelnes Wort gehört und verstanden. Ihre innere Stimme befahl ihr, die wunderschöne Frau vor ihren Augen zu küssen, doch die Bilder aus ihrer Kindheit, alle Erfahrungen ihres bisherigen Lebens schossen ihr durch den Kopf und ihr Körper wollten dieser Stimme nicht gehorche.

„Ich… ich kann nicht…“, flüsterte Elphaba verzweifelt. Sie fühlte so viel, doch sie hatte keine Ahnung, was genau das war oder wie sie es hätte ausdrücken können.

Bei diesen Worten brach Glindas Herz. Sie fühlte sich elend, als würde ihr jemand die Luft abdrücken.

Erschöpft drehte sie sich wieder zum Fenster um, stützte sich mit beiden Händen auf der Fensterbank ab und ließ ihren Kopf hängen.

Elphaba hörte, wie ihre Freundin weinte und endlich wollte ihr Körper wieder gehorchen. Leise ging sie auf Glinda zu und legte ihr tröstend eine Hand auf den Rücken.

„Lass mich, bitte.“, flüsterte Glinda unter Tränen mit zusammengebissenen Zähnen.

Geschockt nahm Elphaba ihre Hand wieder weg und nun war auch sie den Tränen nahe. Sie wollte das alles nicht. Nicht noch einmal wollte sie Glinda so verletzen. Aber sie wusste auch nicht, was sie noch sagen sollte, also schwieg sie und blickte traurig auf Glindas braunen Zopf.

Nach ein paar Minuten hatte Glinda sich wieder etwas beruhigt, auch wenn sie sich innerlich noch immer zerrissen fühlte. Sie wusste nun, was sie zu tun hatte.

Als Glinda sich zu Elphaba umdrehte, sah sie die rötlichen Spuren auf Elphabas Gesicht.

„Glinda, ich…“, setzte Elphaba an, doch Glinda gebot der Freundin mit ihrer Hand Einhalt.

„Bitte, lass mich zuerst etwas sagen…“

„Ist gut…“, nickte Elphie und machte ein verzweifeltes Gesicht.

„Es war falsch von mir, das alles zu sagen und mich so zu verhalten, wie ich es getan habe. Ich hätte wissen müssen, dass du… nicht… so für mich empfindest, wie ich für dich. Aber nach all den Jahren musste ich es dir sagen, auch, wenn mein Verstand das gar nicht wollte. Es… Es tut mir leid, Elphaba. Das musste raus und jetzt… geht es mir besser. Es tut weh, aber ich werde darüber hinwegkommen… irgendwann…“

Beide Frauen wussten, dass das eine Lüge war.

„Glinda, das ist doch in Ordnung. Wir können doch…“, murmelte Elphaba und wollte nach Glindas Hand greifen, doch diese wich einen Schritt zurück, sodass ihr Rücken an die Fensterbank stieß.

„Nein, Elphie, es ist nicht in Ordnung und nein, WIR können gar nichts.“

„Was… Was soll das bedeuten…?“, sprach Elphaba stockend. Plötzlich fühlte sie Angst in sich aufsteigen und wusste nicht, warum.

Glinda schossen abermals die Tränen in die Augen. Sie ging langsam auf Elphaba zu, nahm die grüne Hand in ihre und fing mit heiserer Stimme an zu singen:

„Come into my heart….“ Bei diesen Worten führte sie Elphabas Hand zu ihrer Brust. Die Hexe konnte Glindas Herzpochen unter ihren grünen Fingern spüren, doch sie konnte ihren Blick nicht von den tränenerfüllten Augen abwenden.

„Can you feel my desperation deep inside?

Come into my soul…

Can you see me?

Here I am - far away from you.
 

See you – be sensible and let me go…

See you – you will stay my soulmate although…

I should say good bye…

for now say good bye!”
 

Unter Tränen sah Glinda ihre Freundin an, der nun auch die Salzperlen über die grünen Wangen liefen.

„Nein…“, flüsterte Elphaba erschüttert. Ihre Stimme versagte, da der Kloß in ihrem Hals ihr jedes andere Wort unmöglich machte. Glinda ignorierte das Flehen der Freundin und sang unter Tränen mit gebrochener Stimme weiter:

„You know these rainy days of our life…

You can make it if you try.

You know I will be right by your side.

One day we will meet in another life…
 

Come into my heart!

I am searching you so desperately - forever more…

Come into my soul!

So must I put up with this cruel infinity…”
 

Bei diesen Worten drückte Glinda die grüne Hand und nahm sie von ihrem Burstkorb. Die Frauen standen sich weinend gegenüber und Elphaba hatte das Gefühl, als könnte sie kein weiteres gesungenes Wort mehr ertragen. Sie fühlte den Herzschlag des eigenen Organs, welches den Anschein erweckte, als würde es aus ihrer Brust springen wollen. Glindas Worte fühlten sich an wie Messerstiche in das Zentrum ihres Herzens.

“See you – be sensible and let me go…

See you – you will stay my soulmate although…

You should say good bye…

for now say good bye!
 

One day we will meet in another life…”

Den letzten Satz hatte Glinda flüstern müssen, da ihre Stimme gebrochen war. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie Elphaba Elea Thropp so weinen gesehen und ihr Herz schmolz bei diesem Anblick, aber Glinda wusste, sie hatte diese Entscheidung treffen müssen.

Die Hexe konnte nicht fassen, was Glinda da gerade beschlossen hatte.

„Heißt das… Du willst… wir werden uns…“, hauchte Elphaba und wischte sich mit ihrer freien Hand die Tränen aus dem brennenden Gesicht.

„Ja, ich werde gehen. Ich werde jetzt die sein, die geht.“

„Warum?“, fragte Elphaba verwirrt und ihre Verzweiflung war offensichtlich. Die Hexe fühlte sich schutzlos wie ein kleines Kind und genau das konnte sie nicht begreifen. Sonst war sie doch immer die Starke.

„Weil ich nicht so leben kann. Wir wissen so oder so nicht, was kommt, aber… Es schmerzt so sehr, Elphie…“, flüsterte Glinda wieder unter Tränen, „Ich halte das nicht aus. Ich muss dich loslassen… Mir bleibt keine Wahl. Vielleicht werde ich das auch nie schaffen, aber ich weiß, dass du es schaffen wirst. Ich kann nicht mehr einfach nur an deiner Seite sein… Ich wollte immer mehr sein für dich, doch immer und immer wieder wurde mir die Chance genommen, dir das zu sagen. Und nach deinem Tod war es sowieso für mich vorbei… Ich hatte ja dann keine Perspektive mehr. Aber auch jetzt, wo du lebendig vor mir stehst, habe ich keine Perspektive. Ein Teil von mir wird sterben, das weiß ich. Aber ich will nicht, dass du mir dabei zusehen musst. Ich würde das nicht ertragen. Bitte, Elphie, versteh das und lass mich los…“

Der Song zu diesem Kapitel: http://www.youtube.com/watch?v=f0TXOAeu6Gc
 

Empfehlung: Erst an entsprechender Stelle abspielen (:
 

Bild zum Kapitel: http://fc85.deviantart.com/fs38/f/2008/339/7/a/7a20b4b399ef0b19f094781da6a71f14.jpg

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Kapitel 46
 

Elphaba stand wie angewurzelt vor Glinda und konnte sich nicht rühren. Die Worte ihrer Freundin hatten auf sie eingeschlagen wie ein Blitzgewitter und die Hexe fühlte sich ohnmächtig, sowie betäubt. Sie konnte nicht glauben, was Glinda gerade gesagt hatte… Nein, sie wollte das nicht glauben.

Glinda wartete ab, aber ihr schien es, als hätte Elphaba nichts mehr zu sagen, da die Hexe sich nicht rührte.

Keine der beiden Frauen weinte mehr. Schweigend standen sie sich gegenüber. Glinda hielt noch immer Elphabas rechte Hand in ihren beiden.

‚Elphaba, sag doch bitte was…’, flehte die brünette Zauberin in Gedanken, doch die Freundin bewegte sich nicht.

Seufzend zog Glinda die grüne Frau an sich heran und drückte sie sanft.

„Wir werden uns wieder sehen… Im nächsten Leben. Ich glaube daran…“, hörte Elphaba ein Flüstern an ihrem Ohr. Doch noch immer war Elphaba nicht in der Lage, sich zu bewegen oder etwas zu sagen. Sie schien ihrer Stimme nicht mehr mächtig zu sein und ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Wie ein böser Traum fühlte sich dies alles an und Elphie hoffte, dass sie bald aufwachen würde.

Sie fühlte nur noch, wie Glinda ihre Wange kurz gegen die grüne drückte und sich dann von der Hexe löste. Wie hypnotisiert sah Elphaba ihrer Freundin hinterher, die langsam zur Tür ging, diese öffnete und dann verschwunden war. Glinda hatte sich nicht einmal mehr umgedreht…
 

„Der Sonnenaufgang auf Kiamo Ko ist immer atemberaubend!“, meinte Fiyero und nickte mit seinem Kopf in Richtung Osten, „Sieh, da!“

„Oh, wow…“, murmelte Londaro, der neben Fiyero herging und nun auch Richtung Osten blickte. Die aufgehende Sonne schimmerte in den Tönen weinrot bis orange am Himmel und wurde von Minute zu Minute heller.

„Nicht wahr?“, grinste der Scheuch und deutete dann mit seiner Strohhand geradeaus, „Siehst du die Umrisse dort oben auf dem Berg? Das ist Kiamo Ko. Noch eine knappe Stunde und wir sind dort.“

„Das ist ja nicht mehr weit. Weiß du schon, wie du vorgehen willst, Fiyero?“

„Ich hatte gedacht, ich gehe erst einmal alleine rein und tue so, als wäre alles beim Alten. Ich muss die beiden dann nur irgendwie herauslocken und ihr könnt sie euch dann schnappen.“

„Aber ist die Grüne nicht die Hexe?“, fragte Londaro zögernd.

„Ja, wieso?“, entgegnete Fiyero verdutzt.

„Können Hexen nicht hexen?“, fragte der Sekretär unschuldig und zwinkerte den Scheuch an.

„Achso, jetzt verstehe ich, worauf du hinaus willst. Keine Sorge, Accursia hat mich ausgestattet…“

„Was meinst du damit?“

„Lass das mal meine Sorge sein…“, sagte Fiyero geheimnisvoll und ging einen Schritt schneller, zum Zeichen, dass das Gespräch für ihn beendet war.
 

Die Morgensonne ließ die Smaragde in der grünen Stadt funkeln, als Jytte sich heimlich und leise in der frühen Morgenstunde aus dem Palast schlich. Ein paar Straßen weiter bog sie in eine dunkle Seitengasse ab, die kalt und grau vor ihr lag.

Plötzlich wurde sie am Arm gepackt und kraftvoll an die Mauer eines Hauses gezogen. Als sich ihr Mund zum Schrei öffnete, fühlte sie, wie eine Hand blitzschnell über ihren Mund gelegt wurde.

„Jytte, ich bin es…“, flüsterte eine bekannte Stimme und die Dienstmagd wurde losgelassen.

„Oh Oz, Margo! Hast du mich erschreckt!“, hauchte Jytte atemlos.

„Entschuldige, das wollte ich nicht, aber du kennst mich ja!“, grinste Margo und ihre weißen Zähne blitzten selbst in der Dunkelheit hell auf.

„Wir haben nicht viel Zeit! In zwei Stunden werden die ersten berauschten Gäste wieder aufwachen und dann muss ich mich um das Frühstück kümmern. Außerdem habe ich ja die glorreiche Aufgabe, mich um Stellaione Arlets persönliches Wohlergehen zu bemühen…“, knurrte Jytte sarkastisch, was Margo noch breiter grinsen ließ.

„Ist der blonde Giftzwerg nicht süß?“, fragte die grünhaarige Frau ebenso sarkastisch.

„Hör bloß auf!“

„Bin schon still. Wir haben ohnehin dafür leider jetzt keine Zeit. Also, was gibt es Neues?“, fragte Margo und sah die kleinere Frau abwartend an.

„Der Trupp müsste bald in Kiamo Ko eintreffen und Glinda, sowie die Hexe gefangen nehmen. Dann kehren sie zurück und Elphaba soll öffentlich hingerichtet werden. Vor Glindas Augen. Danach soll diese in den Kerker gesteckt werden – zusammen mit Elphabas Gegenständen und ihrer Asche. Und einem Messer.“

„Großer Oz, Suizid?“, fragte Margo entgeistert und konnte nicht glauben, dass jemand so etwas grausames planen konnte, „Von wem stammt die Idee? Akaber?“

„Nicht ganz…“, setzte Jytte an und schüttelte den Kopf, „Unsere Stella hat da auch ganz gewaltig ihre Finger mit drin…“

„Woher weißt du das eigentlich alles?“

„Ich musste die Damen während ihrer Konzepttagung bedienen und habe mal das eine oder andere vergessen… Darum musste ich also mehrmals in den Raum… Diese Frequenz habe ich auch mitbekommen. Die Selbstmordidee stammt von Stella.“

„Mich würde interessieren, was bei dieser Frau alles falsch gelaufen ist!“, schimpfte Margo plötzlich mit gedämpfter Stimme.

Jyttes Augenbrauen schossen vor Überraschung in die Höhe: „Sag nicht, du kennst sie? Du hast die ganze Zeit schon so über sie geredet…“

„Doch, ich kenne sie… Aber das ist Jahrzehnte her. Ich werde mich persönlich um sie kümmern… Da gibt es noch eine offene Rechnung… Und außerdem ist sie viel zu gerissen und gefährlich. Das würde ich niemand anderem antun wollen…“

„Oh Oz…“, stöhnte Jytte auf, „Wie verstrickt ist diese Geschichte eigentlich?“

Da es mehr eine rethorische Frage war, nickte Margo nur zustimmend und klärte Jytte dann über den weiteren Plan auf.

Nachdem Margo der Dienstmagd noch einen Brief für Meredith zugesteckt und sich bei ihr bedankt hatte, gingen die beiden Frauen in entgegengesetzte Richtungen auseinander, als hätten sie sich nie getroffen.
 

Elphaba stand wie angewurzelt in ihrem Turmzimmer, als sie Glindas Absätze auf den Steinstufen hörte. Mit jeder Stufe, die Glinda erst ging und dann rannte, wurde Elphaba wieder lebendiger.

‚Sie geht… Sie verlässt dich…’, dachte die Hexe panisch und starrte auf die offen stehende Tür.

‚Nein! Lass das nicht zu! Lass es nicht zu! … Was willst du eigentlich?’, fragte sie sich selber und zuckte mit den Schultern.

‚Ich weiß es nicht… Ich kann es nicht ausdrücken…’, gestand Elphaba sich gedanklich ein. ‚Dann frage dich, was du nicht willst… Was ist das? … Ich will nicht, dass Glinda geht… Da hast du deine Antwort! Worauf wartest du…?!’ Elphaba schien es, als gäbe es zwei Stimmen in ihrem Kopf, doch das war ihr jetzt ganz egal.

Mit einem Ruck setzte sich ihr Körper in Bewegung. Sie rannte zur Tüte, zog die neue Kette daraus hervor und steckte diese in die Rocktasche, zu ihrer anderen Kette. Als sie Glindas Schritte nicht mehr hörte, wurde sie erneut von Angst ergriffen. Diese Angst war ihr nicht unbekannt: das einzige in ihrem Leben gehen zu lassen, was ihr je etwas bedeutet hatte. Wie ein gejagter Hase raste sie die Stufen zum Wohnsaal hinunter.

Als Glinda die Stufen hinuntergeeilt war, blieb sie noch einmal kurz vor dem eleganten Flügel stehen, an welchem Elphaba dieses wundervolle Lied geschrieben hatte.

„No, I can’t live if living is without you….“, flüsterte sie leise und merkte, wie ihr die Tränen über die Wangen kullerten. Elphaba hatte noch nicht einmal versucht, sie aufzuhalten. Glinda hatte keine Ahnung, was sie nun tun sollte, aber eines wusste sie: sie musste raus hier.

„Glin!“, rief Elphaba, als sie sah, wie Glinda gerade auf die Flurtür zusteuerte. Ohne sich umzudrehen, blieb Glinda stehen und fragte nach einem kurzen Schweigen gerade noch laut genug: „Was?“

Langsam ging die Hexe auf ihre brünette Freundin zu, bis sie ganz dich hinter ihr stand. Da der Wohnsaal im westlichen Teil des Schlosses lag, war es noch sehr dunkel und nur die Morgendämmerung brachte etwas Licht in den Raum.

„Glin…“, flüsterte Elphaba nun zärtlich, ohne die Freundin zu berühren.

Glinda lief ein kalter Schauer über den Rücken, als sie Elphabas Atem in ihrem Nacken spürte. Sofort roch sie wieder den bekannten Duft von Milch und Honig.

Vorsichtig drehte sie sich zu Elphaba um und sah sie mit feuchten Augen an.

„Elphaba, was…“, begann Glinda, doch wurde von einem grünen Zeigefinger unterbrochen, der sich liebevoll auf ihre zitternden Lippen legte.

Als Glinda verstummte, hob Elphaba beide Hände in die Höhe und ließ alle Kerzen und den Kamin im Raum aufleuchten.

„Wenn du glaubst, ich lasse dich noch einmal gehen, Glinda Hochborn, dann hast du dich getäuscht…“, murmelte Elphaba gefühlvoll, legte beide Hände auf Glindas Wangen und zog die Freundin zu sich heran. Sie schloss die grünen Augenlieder und ihre dunkelgrünen Lippen suchten hingebungsvoll nach dem anderen Paar Lippen.

Verärgert drückte Glinda die Freundin von sich weg, sodass sie Elphaba ansehen konnte.

„Was… Was soll das?“, stotterte sie, doch Elphaba lächelte nur und wollte sie erneut küssen.

Abermals drückte Glinda die Hexe von sich weg. Diesmal jedoch weniger stark.

„Was ist in dich gefahren?“

Auch diesmal antwortete Elphaba nicht. Stattdessen nahm sie ihre rechte Hand von Glindas Wange und legte sie um ihre Hüfte. Dann zog sie die brünette Schönheit im Kerzenschein noch näher an sich heran und sah sie fragend an.

„Was… Mir gehen die Fragen aus….“, hauchte Glinda, als sie Elphabas Blick sah, in welchem grenzenlose Liebe lag. Solche Blicke kannte sie nur aus ihrer Kindheit, denn ihre Mutter und ihr Vater hatten sich oft so angesehen.

„Gedankt sei Oz….“, flüsterte Elphaba und endlich weigerte sich Glinda nicht mehr, als die Hexe sie ein drittes Mal an sich zog und sie diesmal vorsichtig, aber zärtlich küsste.

Als Glinda sich jedoch dem Kuss hingab und ihre Arme im spiegelverkehrten Abbild zu Elphaba um die grüne Frau legte, merkte sie, wie die Zärtlichkeit langsam in Leidenschaft steigerte.

Als Glinda jedoch langsam den Mund öffnete, um Elphabas Zunge Einlass zu gewähren, zog die Hexe ihren Kopf leicht zurück und legte ihre Stirn schwer atmend gegen die Stirn von Glinda.

Der Kuss hatte auch Glinda den Atem geraubt und sie hörte, wie Elphaba sich langsam wieder erholte.

„Es gibt nur das Hier und Jetzt…“, flüsterte Elphie und zitierte damit Glindas Worte von vorhin, „Es gibt nur uns. Die Vergangenheit zählt nicht mehr und die Zukunft ist jetzt, in diesem Augenblick, nicht wichtig… Ich weiß nicht, was ich fühle, aber nur, weil ich keine Ahnung habe, wie ich es ausdrücken kann. Ich weiß aber eines ganz genau: Ich kann dich nicht gehen lassen, Glin. Du bist alles, was für mich noch wichtig ist. Du bist alles, was mir jemals wichtig war. Nachdem ich dich in die Kutsche gesetzt habe, habe ich jeden Tag meines weiteren Lebens an dich gedacht. Ich tue alles, was nötig ist, dass du bei mir bleibst. Ich will lernen, dir zu zeigen, was du mir bedeutest. Ich will wachsen, aber das kann ich nur mit dir. Lass mich lernen, Glinda. Ich lebe den Augenblick…“

Erst nachdem sie das gesagt hatte, löste Elphaba ihre Stirn von der ihrer Freundin und sah sie an. Mit diesen Worten hatte die Hexe nicht nur Glinda überrascht, sondern vor allem sich selbst.

Glinda erwiderte den Blick mit Tränen erfüllten Augen.

„Du weißt nicht, wie du deine Gefühle ausdrücken kannst?“, fragte sie mit einem Kloß im Hals, „Du brauchst dafür keine Worte, Elphie…“

Ohne von Glinda wegzuschauen, griff Elphaba in ihre Rocktasche und zog die Kette mit den zwei Herzen heraus. Auch Glinda blickte nicht hinab, sondern sah Elphaba die ganze Zeit über tief in die Augen, als diese ihr die Kette umband.

Als der Verschluss einrastete, küsste Elphie Glindas Stirn.

„Danke…“, flüsterte sie leise.

„Wofür?“, fragte Glinda ebenso leise und tastete nach dem Anhänger der Kette.

„Für alles… gefällt sie dir?“

Erst bei dieser Frage fühlte Glinda, dass sie nicht die Träne der heiligen Aelphaba um den Hals trug und schaute verwirrt hinab. In ihren Händen hielt sie ein kleines, grünes Herz, in welches ein größeres, pinkes Herz eingehängt war.

„Oh Oz…“, hauchte Glinda und eine kleine Träne kullerte ihre Wange hinab.

„Ist das jetzt eine gute Träne?“, fragte Elphaba und lächelte liebevoll, als sie mit ihrer Hand unter Glindas Kinn griff und dieses hochzog, sodass Glindas blaue Augen wieder in Elphabas dunkelbraune blickten.

„Allerdings…“, flüsterte Glinda und drückte die beiden Herzen sanft. „Aber wieso hast du…“

„Ich glaube, ein Teil von mir wusste schon immer… was das zwischen uns ist… Auch wenn ich es nicht definieren kann…“, gab Elphaba ehrlich zu.

„Das geht mir gerade nicht anders…“, gestand auch Glinda, „Auch ich kann das gerade nicht in Worte fassen… Aber ich erinnere mich auch noch an einen anderen Weg… meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen…“

Bei diesen Worten lehnte sich Glinda wieder ein Stückchen vor und schloss die Augen. Elphaba tat es ihr gleich und sie nahm Glinda in ihre Arme, als die beiden Münder der Frauen sich abermals berührten. Dieses Mal war es jedoch die brünette Schönheit, die den Kuss leitete.

Sie küsste Elphaba erst zärtlich und sanft, dann jedoch wurde der Kuss wieder etwas leidenschaftlicher und langsam bahnte sich Glindas Zunge ihren Weg.

Elphaba fühlte, wie Glindas Zunge ihre Lippen streichelte. Dabei stellten sich die Nackenhärchen der Hexe auf und in ihr machte sich ein Gefühl breit, welches sie noch nie erlebt hatte. Elphie öffnete etwas zaghaft ihren Mund, was Glinda nicht entging.

Sie wusste, dass es Elphaba überfordern würde, also widerstand Glinda dem Drang, den dünnen, grünen Körper mit ihren Händen zu erforschen.

Sie hatte in ihrer Jugend so einige Küsse erhalten, erwidert und auch gegeben, aber dieser Kuss fühlte sich ganz anders an. Er war viel intensiver. Glindas gesamter Körper reagierte, als sie Elphabas Zunge mit ihrer streichelte. Dieser Kuss war der erste, der sich für Glinda absolut richtig anfühlte.

Auch Elphaba war überwältigt von den Reaktionen ihres Körpers. Das einzige Mal, als sie in ähnlicher Weise jemanden geküsst hatte, war mit Fiyero gewesen. Doch dieser Kuss fühlte sich ganz anders an. Denn dieser Kuss war gewollt und Elphaba stellte überrascht fest, dass es sich sogar wundervoll anfühlen konnte.

Glinda fühlte, wie Elphabas Körper sich nach einer kurzen Zeit anspannte und langsam ging sie wieder dazu über, an den grünen Lippen zu knabbern und sie zärtlich zu küssen.

„Oh heilige Lurline…“, stöhnte Glinda, als sich die beiden Münder nach einer scheinbaren Ewigkeit wieder voneinander trennten.

„Du sagst es…“, keuchte Elphaba, die die hübsche Brünette nun atemlos im Arm hielt und ihren Kopf in Glindas Schulter vergraben hatte.

Als die Brünette merkte, wie die Hexe leise in ihre Schulter lächelte, fragte sie erstaunt: „Elphie, was ist?“

Elphaba hob ihren Kopf und sah Glinda grinsend an: „Küsst du immer so beim ersten Mal?“

„Elphaba Elea Thropp!“, kicherte Glinda mit gespielt-entsetzter Stimme, „Sie überraschen mich heute ganz schön oft und nein, ich habe seit…“, sie hielt inne und musste überlegen, „.. seit ganzen zwei Jahren niemanden mehr geküsst und noch nie in meinem Leben habe ich jemanden SO geküsst!“

„Ich überrasche mich selber…“, murmelte Elphaba nachdenklich und ihr Lächeln ließ langsam nach, als sie in die funkelnd-blauen Augen blickte.

Glinda erwiderte diesen Blick schweigend.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie nach einiger Zeit und sah die grüne Frau in ihren Armen besorgt an.

„Ich… Ich…“, stammelte Elphaba und holte dann tief Luft, „Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich fühle…“

„Wie das?“, fragte Glinda überrascht und schaffte es nicht, ihr Erstaunen zu verbergen.

„Deine Augen… Ich weiß nicht, ich kann das nicht beschreiben… Ich kann es nicht aussprechen…“

„Was dann?“

„Ich muss es singen…“, flüsterte Elphaba leise und nahm Glindas Hand.

„I can’t live if living is without you…“, murmelte Glinda ebenso leise.

„Du hast mich also doch gehört…”, sagte Elphaba ruhig und es war mehr eine Feststellung, als eine Frage.

„Ja, ich konnte nicht anders… Ich… Ist es schlimm?“, fragte Glinda verunsichert.

„Nein, Glin, gar nicht. Nun macht es mir nichts mehr aus. Ich weiß nicht warum, aber ich glaube, ich kann meine Gefühle am Besten zum Ausdruck bringen, wenn ich singe. Es fühlt sich dann einfach so an, als würde nichts mehr meine Gefühle zurückhalten können…“

„Ich kenne das Gefühl…“, nickte Glinda, „Ich schreibe immer – Gedichte. Ein weißes Blatt Papier und ein Stift in meiner Hand… Und schon fühlt es sich an, als würden die Worte nur so fließen, die ich zum Beschreiben meiner Gefühle brauche.“

„Ich weiss…”, gestand Elphaba und zitierte dann leise eine Strophe aus Glindas Gedicht, welches sie vor ein paar Stunden erst gelesen hatte: “I chose –

I’m gonna be the strength you need tonight.

I’m gonna stand beside you

when you just can’t fight to hold on.

I’m not giving up on the plans we made.

If there’s a chance I believe we can find a way…

I won’t let you give up now!

We will survive all of this somehow!

Together.”

„Oh nein… Du hast es gelesen?“, fragte Glinda und bereute sofort, dass sie das Gedicht hatte liegen lassen.

„Ja, aber es hat mir geholfen… Ist es schlimm?“, fragte Elphie lächelnd, als sie Glinda abermals zitierte.

„Nein…“, lächelte Glinda unsicher zurück, „Wenn es dir geholfen hat, natürlich nicht… Aber wie denn geholfen? Ich habe mich ja eigentlich gegen das alles entschieden…“

„Du hast dich nur dagegen entschieden, weil du dachtest, es wäre der beste … und einfachste Weg…“, stellte Elphie fest.

„Ja, das stimmt….“

„Du hast daran geglaubt, dass wir das alles zusammen durchstehen und in dem Moment, als du aus der Tür gegangen bist, wusste ich, dass du Recht hattest. Ich würde das ohne dich nicht durchstehen, aber nicht nur, weil du mir Unterstützung gibst und mir Mut machst, sondern vielmehr, weil ich in den kurzen Tagen gemerkt habe, was genau in meinem Leben gefehlt hat, Glinda. Und das warst du. Ich wusste, dass ich dich nicht gehen lassen kann. Das hätte ich nicht noch einmal überlebt. Es stimmt: I can’t live if living is without you…“

„Ich habe dich nie aufgegeben, Elphie… Auch nicht nach deinem offiziellen Tod. Aber genau das tat immer nur weh und es hat geschmerzt… Ich wollte, dass das aufhört und habe erkannt, dass es an mir liegt… Ich wollte immer mehr von dir und dachte, du könntest mir dieses ‚mehr’ nicht geben… Und darum habe ich diese Entscheidung getroffen, um bei dir bleiben zu können. In diesem Zustand hätte ich nicht mit dir, aber auch nicht ohne dich gekonnt, also musste ich das ändern, was mich in deiner Anwesenheit so verletzte: meine Gefühle für dich…“

„Was aber nicht auf die Schnelle geklappt hat, wie ich vermute und hoffe…“, lächelte Elphaba und strich Glinda eine braune Haarsträhne hinter ihr Ohr.

„Nein… So was kann man ja kaum steuern. Auf diesen Augenblick habe ich länger gewartet, als ich mir eingestehen wollte, Elphaba. Ich hoffe einfach nur, dass das kein Traum ist!“, seufzte Glinda und legte ihren Kopf auf Elphabas Brustkorb.

„Ich werde dir jetzt beweisen, dass es kein Traum ist, meine Schöne…“, murmelte die Hexe und drückte die Freundin sanft von sich weg. Sie nahm Glindas Hand und führte sie zu dem eleganten Flügel.

Als Elphaba sich setzte, sagte sie: „Ich habe gestern noch eine Melodie gespielt, zu welcher mir aber noch kein Liedtext einfiel… Aber jetzt… jetzt weiß ich, welche Worte diese Melodie begleiten müssen…“

Gespannt stellte sie Glinda neben den Flügel. Als Elphaba die ersten Noten spielte, glitt ihr ein angenehmer Schauer über den Rücken.
 

„Heilige Scheiße…“, stöhnte Penelope, als sie sich von Ramóns nacktem Körper befreite und sich den schmerzenden Schädel hielt. Blinzelnd stolperte sie in Richtung Badezimmer. Dort wusch sie sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser, putzte sich die Zähne und sah sich suchend nach einem Kleidungsstück um.

„Irgendwo hier muss doch mein…. Aha!“, überlegte Nele laut, als sie unter Ramóns Party-Jackett ihren Morgenmantel entdeckte. Noch immer etwas benommen griff sie nach dem dunklen Kleidungsstück des nackten Mannes in ihrem Bett, um an ihren Morgenmantel zu gelangen. Als sie das Jackett jedoch aus Versehen fallen ließ, vernahm sie verwundert ein leises Klacken.

Sie zog erst ihren Mantel an, bevor sie sich bückte, um das Kleidungsstück vom Boden aufzuheben. Dabei fiel eine kleine Schmuckdose aus der Tasche und landete genau vor Penelopes Füßen.

„Was zum Ballon…“, flüsterte sie perplex und bückte sich erneut. Ihre Hände zitterten vor Hunger, als sie das Döschen langsam öffnete.

„Heilige Scheiße!“, schrie sie etwas zu laut aus, als ein wunderschöner Diamant ihr entgegenfunkelte. Die Fassung des Steins sah aus, wie eine kleine Krone und der Ring selber war aus purem Gold gemacht worden.

‚Für meine Königin’ lautete die Inschrift und Penelope wurde augenblicklich übel.

„RAMÓN!“, donnerte sie und stampfte zurück in das Schlafzimmer, „Hast du sie eigentlich noch alle?!“

„Dir auch’n schönen guten Morgen…“, nuschelte der blonde Mann müde und drehte sich im Bett um, sodass er seine Geliebte ansehen konnte.

„Was soll das?“, schrie Nele weiter und stemmte ihre Hände in die Hüften.

„Was soll was?“, fragte Ramón verwirrt. Er war noch immer nicht ganz wach. „AUA!“, schrie nun auch er auf, als ihn etwas hart am Kopf traf.

„DAS!“, maulte die Frau und deutete auf das Döschen, welches sie gerade geworfen hatte.

Als der Mann sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Stirn rieb, murmelte er: „Ich hätte dich gestern Nacht fragen sollen, aber der Sex hat mich einfach abgelenkt.“

„Sag mir jetzt nicht, dass du wirklich um meine Hand anhalten wolltest….“, sagte Penelope nun etwas ruhiger, aber dafür umso mehr entgeistert.

„Wollte ich nicht.“

„Was wolltest du denn?“

„Dich fragen, ob du meine Frau werden willst!“, lachte Ramón und wich dem nächsten Gegenstand aus, der gezielt in seine Richtung flog.

„Heiraten! Ich fasse es nicht!“, ärgerte sie sich und stellte sich genervt ans Fenster.

Ramón zog sich schnell seinen Morgenmantel über, nachdem er aus dem Bett gestiegen war und ging auf die Frau zu. Von hinten legte er seine Arme um die Liebe seines Lebens, welche sich jedoch sofort werte.

„Nele, bitte, hör mir nur kurz zu, ich bitte dich!“, flüsterte er, als die beiden sich ansahen.

Als Penelope schwieg, atmete Ramón einmal tief durch und begann zu sprechen: „Ich habe diesen Ring schon etwas länger und gestern schien mir einfach der richtige Zeitpunkt zu sein. Dazu hat das Hexenkraut natürlich auch beigetragen… Du bist die Liebe meines Lebens und das weißt du auch! Aber jetzt sehe ich alles wieder normal und nicht so leicht und beschwingt, wie gestern Nacht.

Ich weiß, dass es noch nie einen anderen Mann außer mir an deiner Seite gegeben hat, weil du unglaubliche Bindungsängste hast. Du warst immer eingesperrt, bis zu deinem 21. Lebensjahr. Du hattest nie eine feste Bezugsperson und immer wieder wurdest du im Stich gelassen. Du hast diese Angst noch immer. Wenn du meinen Antrag annehmen würdest, käme damit auch wieder die Angst hoch… Ich möchte dich zwar sehr gerne fragen, aber ich werde es nicht tun.

Ich werde dich damit nicht belasten. Ich will dir beweisen, dass ich, egal was du auch tust, an deiner Seite bleibe, bis du mir vollkommen vertraust. Ich will gemeinsam mit dir an deiner Angst arbeiten, bis du siehst, dass es auch etwas anderes gibt, als ständig verlassen zu werden.

Darum frage ich dich jetzt etwas anderes: Nimmst du den Ring an, als Zeichen meiner Liebe und wirst du ihn tragen, als Zeichen, dass du mich auch liebst?“

Während Ramón gesprochen hatte, war Penelopes Kindheit und ihre Jugendzeit noch einmal an ihr vorbeigelaufen. Mit Kindesaugen hatte sie mit ansehen müssen, wie ihr Vater im Vollrausch nach einem heftigen Streit ihre Mutter niedergestochen hatte. Danach hatte sie ihn nie wieder sehen müssen.

Ramón war der erste Mann in ihrem Leben gewesen, den sie an sich und ihre Gefühle herangelassen hatte und alles nur, weil er damals so hilflos gewesen war. Sie hatte sich damals das erste Mal in ihrem Leben stärker gefühlt, als ein Mann. Und aus diesem Grund hatte sie sich auch in Ramón verliebt. Er hatte ihr nie das Gefühl gegeben, schwach zu sein. Immer wieder hatte er ihr gezeigt, dass er sie auf Händen trug und sie war der Überzeugung, dass dies auch ein Grund war, warum sie dieses Leben hatte ertragen können.

„Wieso liebst du mich so sehr… So sehr, nach allem… Du stehst hier vor mir und willst mich lieben, obwohl ich schon drei Mal davongelaufen bin, Ramón…“, fragte Penelope leise, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.

„Ich liebe dich, weil du die einzige Frau in meinem Leben bist, die mich kein einziges Mal bevormundet hat. Neben dir habe ich mich immer akzeptiert gefühlt. Ich konnte dir etwas geben und kann es auch noch immer… All die anderen Frauenfiguren in meinem Leben haben mir immer deutlich gemacht, dass sie mich nicht brauchen. Aber du, Nele, du warst die einzige, die jemals zu mir gesagt hat: ‚Ich brauche dich’. Aber so, wie du mich brauchst, brauche ich dich auch… Ich liebe dich, von ganzem Herzen…“

„Glaubst du… dass wir beide… füreinander… ich meine…“, stammelte Penelope und blickte auf den Boden. Sie glaubte nicht an Schicksal und brachte es darum auch nicht fertig, diese Frage zu stellen.

„Füreinander bestimmt sind, meinst du?“, half Ramón ihr und wartete nicht einmal die Antwort ab, „Ja, das glaube ich… Du hast dich immer von Männern bedroht gefühlt, auch wenn ich nicht weiß, warum. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich habe mich immer von Frauen bedroht gefühlt und du weißt, warum. Du hast immer die Starke sein müssen. Du hast immer deinen Kopf durchgesetzt, um zu zeigen, dass du nicht schwach bist. Ich habe immer einstecken müssen, wodurch ich nie jemandem zeigen konnte, wie stark ich eigentlich sein kann. Wir sind zwei Puzzleteile eines großen Bildes, welche genau ineinanderpassen. Ja, wir sind füreinander bestimmt, weil niemand meine Lücke so füllen kann, wie du es kannst. Und niemand kann deine Lücke so füllen, wie ich es kann. Wir verstehen den anderen so, wie es niemand anderes könnte…“

„Wie poetisch, Herr Akaber…“, lächelte Penelope und über ihre Wange rollte eine kleine Träne. Sie wusste, dass er Recht hatte und sie liebte ihn von ganzem Herzen dafür, dass er in solchen Situationen immer den Mut hatte, diese Dinge auszusprechen.

„Du weißt, dass ich Recht habe…“, lächelte Ramón zurück und küsste seine Geliebte sanft auf den Mund.

„Ja, ich nehme den Ring an als Zeichen deiner Liebe zu mir und ich werde ihn tragen als Zeichen meiner Liebe zu dir. Aber bitte, versuch nicht, mich einzufangen. Dafür ist es noch zu früh…“, flüsterte Penelope und blickte wieder auf den Boden.

„Nele…“, sagte Ramón ruhig und schob mit seiner Hand zärtlich Penelopes Kinn in die Höhe, sodass sie ihn ansehen musste, „Eine Königin, wie du es bist, gehört nicht in einen Käfig. Ich werde dich niemals festhalten, wenn du gehen willst. Aber ich werde dir Halt geben. Wenn du mich irgendwann heiraten willst, werde ich es tun. Wenn es nicht so sein sollte, werde ich dennoch nichts vermissen, solange ich als Mann an deiner Seite – gemeinsam mit dir – leben kann.“

„Ich liebe dich, Ramón. Wie habe ich das nur alles verdient?“

„Ich liebe dich auch, Nele und dieselbe Frage könnte ich dir auch stellen… Wir sollten aufhören, unser Glück zu hinterfragen… Wir müssen beide lernen, das zu akzeptieren. Ich denke, dann wird uns vieles leichter fallen…“

Penelope konnte nur noch nicken und ließ sich von Ramón den wunderschönen Ring auf ihren dünnen Finger stecken. Er passte genau.

„Danke…“, flüsterte sie unter Tränen.

„Ich danke dir, meine Liebe!“, erwiderte Ramón und küsste seine Freundin mit all seiner Liebe und Leidenschaft, die er für sie empfand.

Es war in diesem Moment, als sich beide Liebenden wünschten, sie könnten ihr wahres Ich, welches sich gerade offenbart hatte, öfter in der Öffentlichkeit zeigen.
 

„Und?“, fragte Londaro aufgeregt, als Fiyero wieder zurückgelaufen kam. Der Trupp hatte sich hinter sämtlichen Bäumen und Büschen rund um Kiamo Ko versteckt und da der Morgen gerade erst anbrach, waren sie kaum sichtbar.

„Ich glaube, El… die Hexe spielt Klavier…“, murmelte Fiyero offensichtlich verwirrt.

„Was? Um diese Uhrzeit? Warum?“, fragte Londaro ebenso verwirrt.

„Ich habe keine Ahnung, aber das ist jetzt auch egal! Seid ihr bereit?“, fragte Fiyero die Männer, die sich in seiner Nähe befanden.

„Ja, Sir, sind wir!“

„Gut!“, nickte der Scheuch und ging neben einem Soldaten in die Knie, „Sie wissen, was Sie zu tun haben?“

„Ja, in den Oberschenkel!“, flüsterte der Mann hinter dem Baum, welcher seinen Bogen schon gespannt hatte.

„Richtig. Bei beiden.“

„Fiyero?“, fragte Londaro dazwischen, „Was ist das eigentlich da auf der Spitze des Pfeils?“

„Akaber hat es mir gegeben. Spätestens, wenn es trifft, wirst du verstehen, was es ist!“, grinste der Scheuch, „Ich werde jetzt reingehen.“

Ohne ein weiteres Wort schlich Fiyero aus dem Gebüsch. Bevor er jedoch das große Eingangstor erreichte, drehte er sich zu dem Trupp um und klatschte einmal über seinem Kopf in die Hände. Dies war das Zeichen, dass es nun losgehen sollte.

Erst dann drehte er sich um und öffnete die große Eingangstür. Als diese sich knarrend aufschob, bestieg Fiyero ein mulmiges Gefühl.

‚Fiyero Tiggular, reiß dich zusammen!’, tadelte er sich in Gedanken und schloss die Tür hinter sich.

Er ging langsam den dunklen Flur entlang und die Töne des Klaviers drangen gedämpft an seine Ohren. Hätte er noch ein Herz gehabt, so hätte dieses laut gepocht.

Vorsichtig öffnete er die Tür zum Wohnsaal nur einen kleinen Spalt und blickte hindurch. Dort am Klavier saß sie, seine Fae. Das weiße Oberteil, welches sie trug, untermalte ihren smaragdischen Grünton und Fiyero verspürte den Drang, die Frau in seine Arme zu nehmen.

„Was…“, stutze der Scheuch, als er eine Brünette erblickte, die neben Elphaba am Klavier stand und wie gebannt auf die Hexe starrte.

‚Großer Oz, ist das GLINDA?’, fragte sich der Scheuch innerlich und war äußerst erstaunt. Er fragte sich, was die beiden wohl vor hatten und ob dieser offensichtliche Stilwandel der beiden etwas damit zu tun hatte, was gerade in der Smaragdstadt passierte.

Als er die grünen Finger über die Tasten gleiten sah, schossen die Zweifel in ihm hoch: ‚Ich kann das nicht tun… All die Jahre, nein, nein… Das kann ich ihr einfach nicht antun und Glinda auch nicht. Ganz gleich, ob mein Stolz verletzt ist, aber das… nein…’

Mit diesen Zweifeln wollte er gerade eintreten und sich bemerkbar machen, um die beiden zu warnen, als Elphaba plötzlich anfing, zu singen. Fiyero fuhr erschrocken zusammen und stand lauschend, mit der Klinke in der Hand, in der Tür.

Mit jedem gesungenem Wort, welches aus Elphabas Mund kam, wurden seine Zweifel Schritt für Schritt, Wort um Wort, zunichte gemacht.
 

Als Elphaba ihre Hände auf die Klaviertasten legte, brach ihre innere Mauer und sie hatte das Gefühl, als wüsste sie genau, was sie nun zu tun hatte. Mit einem letzten Blick zu Glinda, welche ihr ermutigend zunickte und sie liebevoll anlächelte, begann Elphaba zu singen:
 

„There is something that I see

In the way you look at me.

There's a smile, there's a truth in your eyes…

But an unexpected way

On this unexpected day…”
 

Bei diesen Worten musste Glinda lächelnd. Auch für sie war dies alles sehr unerwartet passiert, auch wenn sie es sich gewünscht hatte.
 

„Could it mean this is where I belong?

It is you I have loved all along.
 

It's no more mystery.

It is finally clear to me.

You're the home my heart searched for so long

And it is you I have loved all along!”
 

Elphaba wusste nicht, woher diese Worte kamen, aber jedes einzelne von ihnen fühlte sich richtig an. Sie vertraute auf ihre innere Stimme, als diese ihr sagte, sie solle weitersingen…
 

„There were times I ran to hide -

Afraid to show the other side.

Alone in the night without you

But now I know just who you are…

And I know you hold my heart!

Finally this is where I belong

It is you I have loved all along.
 

It's no more mystery.

It is finally clear to me.

You're the home my heart searched for so long

And it is you I have loved all along.
 

Over and over I'm filled with emotion

Your love it rushes through my veins

And I am filled with the sweetest devotion

As I, I look into your perfect face…”
 

Als die Hexe diese Strophe sang, blickte sie Glinda an. In den wunderschönen blauen Augen der Freundin standen die Tränen, aber sie lächelte. Glinda lächelte eines ihrer schönsten Lächeln, welches sie hatte und Elphaba wusste in diesem Moment, all das, was sie in der vergangene halben Stunde getan hatte, war genau das, was sie hatte tun wollen. Mit einem tiefen Atemzug setzte sie noch einmal an, um dem Lied ein würdevolles Ende zu bereiten.
 

„It's no more mystery!

It is finally clear to me!

You're the home my heart searched for so long!

And it is you I have loved -

It is you I have loved -

It is you I have loved all along!“
 

Schwer atmend saß Elphaba vor dem Klavier und starrte auf die Tasten. Sie fühlte sich frei und in ihr war während des Singens eine ungewohnte Wärme aufgestiegen. Seufzend schloss sie die Augen und legte den Kopf in den Nacken.

Plötzlich fühlte sie, wie Glindas Hände sich auf ihre Schultern legten und ein bekannter Mund einen sanften Kuss auf den grünen Lippen platzierte. Lächelnd öffnete sie die Augen.

„Ich glaube, das habe ich gebraucht, Glin.“, lächelte sie.

„Danke…“, hauchte Glinda und setzte sich neben die Hexe auf die Bank, sodass sie mit dem Rücken zu den Klaviertasten saß.

Die Hexe griff mit ihrer linken Hand um Glindas Hüfte und zog sie ein Stück näher zu sich heran. Mit einem liebevollen Blick und einer zarten Handbewegung strich Elphaba der Freundin eine Träne von der Wange.

Glinda wand den Kopf, sodass sie in die dunkelbraunen Augen blicken konnte und verlor sich in ihnen.

„Wofür danke?“, fragte Elphaba leise, obwohl sie die Antwort kannte.

„Für das hier…“, murmelte Glinda und deutete mit einer leichten Kopfbewegung in Richtung Klavier. „Und für das hier…“, fügte sie noch hinzu, bevor sie die Augen schloss und Elphaba abermals küsste.

Die Hexe legte nun auch die zweite Hand um Glindas Hüfte und zog sie während des sanften Kusses noch ein Stückchen näher zu sich heran.

Ohne den Kontakt der Münder zu unterbrechen, schaffte es Glinda, sich auf Elphabas Schoß zu setzen und schlang ihre Arme um den grünen Nacken. Sie konnte nicht genug davon kriegen, Elphabas weiche Haut auf ihrer eigenen zu fühlen. Die Hitze der Wangen, die beinahe greifbar war und Elphabas sanfte Küsse trieben sie fast in den Wahnsinn.

Nach einer ganzen Reihe von vorsichtigen Küssen legte Glinda ihren Kopf auf Elphabas Schulter und seufzte tief.

„Was ist los?“, fragte Elphie leise, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. Der dunkelgrüne Zustand jedoch wollte noch nicht abebben.

„Ich glaube, es ist an der Zeit… Wir müssen gehen…“, flüsterte Glinda und fing leise an zu schluchzen.

„Glin…“, sagte Elphaba mit sanfter Stimme und hob mit ihrer freien Hand das zierliche Kinn hoch, sodass die beiden Frauen sich ansahen.

„Egal was passiert, wir schaffen das. Nichts und niemand kann uns jetzt noch trennen. Wir haben so lange gebraucht, bis wir über unsere Schatten gesprungen sind… Man kann nicht wieder zurück. WIR können und wollen auch nicht wieder zurück. Solang ich dich hab, wird alles gut…“

„Solang ich dich hab, wird alles gut…“, lächelte Glinda und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.

„Bist du bereit?“, fragte Elphaba geduldig.

„Nein, warte…“, lächelte die Brünette und küsste Elphaba ein letztes Mal mit aller Zärtlichkeit, die sie besaß, sodass es Elphaba einen Schauer über den Rücken scheuchte. „Jetzt bin ich bereit!“, grinste Glinda und hüpfte vom Schoß der Hexe.

„Dann gehen wir…“, sagte Elphie und hielt Glinda ihre Hand hin. Als die beiden ihre Finger ineinander verflochten, wussten plötzlich beide Frauen, was es hieß, wenn es „kribbelte“.
 

Fiyero stand wie angewurzelt an der Wohnsaaltür und konnte sich nicht rühren, auch, wenn er es gewollt hätte. Er konnte nicht fassen, was er da gerade gesehen und gehört hatte. Seine Geliebte liebte seine Exgeliebte? Das war zu viel Liebe für ihn in einem Satz.

Noch nie zuvor war er so in Rage gewesen, wie gerade in diesem Moment und er musste sich nun gut überlegen, was sein nächster Schritt sein sollte.

‚Ich fasse das nicht…’, dachte er aufgebracht, jedoch schien er äußerlich ganz ruhig, ‚Und ich habe immer noch gehofft, dass das alles Einbildung war…’

Er hatte keine Ahnung, wie lange er dort gestanden hatte, als ihn Glindas Stimme aus seinen Gedanken riss: „Ich hole uns noch schnell etwas zu Essen und warte dann unten!“

Da er noch immer am Türspalt stand, sah er, wie eine brünette Glinda durch den Wohnsaal in die Küche huschte und er wusste, jetzt war seine Zeit gekommen.

Langsam öffnete er die Tür und trat in den Wohnsaal ein. Ganz gemütlich spazierte er in die Mitte des Raumes und stellte sich dort abwartend hin.

Kapitel 47
 

Leise summend stand Glinda vor dem Kühlfach in der dunklen Küche. Elphaba war nach oben gegangen, um ihrer Tarnung den letzten Schliff zu geben, schließlich musste sie auch die Kette noch anziehen. Es waren gerade mal acht Uhr und darum wurde es draußen erst langsam hell. Als sie zwei Äpfel und etwas Quadlingbrot aus dem Schrank herausnahm, dachte sie an ihren allerersten Besuch in die Smaragdstadt und an den Moment, in welchem Elphaba Elea Thropp sie das erste Mal verlassen hatte.

‚Wie anders jetzt alles ist…’, dachte Glinda lächelnd, ‚Ich wusste es schon damals, aber sie… sie nicht. Oder sie wollte es nicht wahrhaben. Dieses Mal wird alles anders… Nichts und niemand kann uns jetzt noch auseinander bringen…’

In diesen Gedanken verloren öffnete Glinda die Küchentür und wollte den Wohnsaal durchqueren, als plötzlich jemand vor ihr stand.

Vor Schreck zuckte sie zusammen und ließ dabei einen Apfel fallen, der bis an den Strohfuß kullerte.

„Fi-Fi-yero…“, stotterte Glinda, nur knapp über einem Flüstern.

Lächelnd hob der Scheuch den Apfel auf und hielt ihn der Brünette hin. „Glinda? Du siehst so anders aus.“, sagte er ebenso leise. Er wollte noch eine ungestörte Minute mit seiner alten Bekannten haben.

„Ich… wir… die Haare… Oz noch mal! Was machst du hier?“, stammelte Glinda ganz verwirrt.

„Ich wohne hier?“, gab Fiyero noch immer lächelnd zurück.

Glinda fand dieses Lächeln abscheulich. Sie wusste zwar nicht warum, aber dieses wissende Grinsen auf seinem Gesicht machte ihr Angst. Bevor sie weitersprach, atmete Glinda einmal tief durch und nahm den Apfel wieder an sich.

„Danke. Nein, so war das nicht gemeint. Wir haben dich auch schon vermisst! Es freut mich, dass wir uns noch sehen, bevor wir…“, Glinda stockte. Sie wusste, sie hatte schon zu viel verraten.

‚Wenn doch nur Elphie hier wäre…’, dachte sie verzweifelt.

„Bevor ihr… was?“, fragte der Scheuch neugierig und ließ seinen Blick zur Wendeltreppe schweifen. Er konnte die Hexe noch nicht sehen.

„Wir… wollten in die Smaragdstadt gehen.“

„Und warum?“

Glinda wusste, dass Fiyero irgendetwas vorhatte. Er war ganz verändert und außerdem hätte sie erwartet, dass er ganz anders reagieren würde, wenn er Glinda die Gute bei Elphaba der Bösen wiederfinden würde.

„Warte mal eben, ich hole Elphie..ba!“ Glinda wartete gar nicht mehr auf eine Antwort und rannte die Wendeltreppe hoch.

Fiyero hatte sie zurückhalten wollen, doch er wusste, dass dann möglicherweise seine Tarnung aufgeflogen wäre. Also setzte er sich gemütlich an den Tisch und wartete.
 

„Elphie!“, zischte Glinda durch den Raum, „Wo bist du?“

„Im Bad!“, rief Elphaba mit lauter Stimme. Sie stand vor dem Spiegel und band sich ihr langes, schwarzes Haar zu einem Zopf. Als Glinda den Raum betrat, erblickte Elphaba ein blasses Gesicht im Spiegel und drehte sich panisch um.

Die hübsche Brünette stand mit zwei Äpfeln und etwas Brot in den Armen zitternd vor ihr.

„Glin, was ist passiert?“, fragte Elphaba entsetzt und war sofort neben ihrer Freundin.

„Fiyero ist da…“, flüsterte Glinda mit gebrochener Stimme und sah Elphaba mit angsterfülltem Blick an.

„Fiyero?!“ Elphaba klang perplex und Glinda konnte nur nicken.

„Was macht der denn jetzt hier? Wo war er?“

„Ich weiß es nicht, Elphie. Er hat nichts gesagt, aber er ist … komisch…“

„Was meinst du mit komisch?“, fragte Elphaba verdutzt und drückte Glinda ein Stück von sich weg, sodass sie der Freundin in die blauen Augen gucken konnte.

„Er… Ach, ich weiß es nicht… Überzeuge dich selbst.“

„Ja, aber was soll ich denn jetzt bitte machen?!“, fragte Elphaba etwas lauter. Glinda wusste, dass das ein Anzeichen dafür war, dass die Freundin gestresst war.

„Zieh erstmal wieder deine Kette aus. Fiyero bekommt einen Herzinfarkt, wenn er dich entgrünifiziert sieht!“

„Herzinfarkt wohl kaum…“, murmelte Elphaba sarkastisch, als sie nach dem Kettenverschluss tastete. Glinda rollte mit den Augen und seufzte: „Fräulein Goldwaage, nun machen Sie schon, die Zeit drängt.“

„Glinda, das hilft mir nicht weiter!“, zischte Elphaba ihr zu, als sie endlich den Verschluss gelöst und die Kette abgenommen hatte. „Was meinst du, was ich jetzt mit ihm machen soll? Soll ich ihn vielleicht auch in unser Picknickkörbchen stecken und mitnehmen?“, bellte Elphaba weiter.

Glinda hob beschwichtigend die Hände: „Ich warte draußen auf Sie, Fräulein Elrik!“

Elphaba stöhnte auf und drehte sich wieder zum Spiegel um. Sie steckte ihre Kette in die Rocktasche und starrte sich an.

‚Wieso kann nicht einmal alles so klappen, wie ich es gerne hätte? Was will er denn jetzt hier? Wieso ist er nicht gestern gekommen? Wieso muss er dann kommen, wenn wir gerade gehen wollen? Was mache ich jetzt mit ihm… Oh, großer Oz…’

Diese Gedanken schossen durch Elphabas Kopf und wirbelten sie nur noch mehr auf. Als die Hexe das merkte, schob sie sich gedanklich einen Riegel vor diesen Fragen-Wasserfall.

„Schluss jetzt, Elphaba Elea Thropp. Geh hin und sieh was er will!“, sagte sie leise, aber deutlich zu sich selber, „Du reagierst über, beruhige dich…“
 

Glinda saß im Schlafzimmer auf dem Bett, in welchem sie die letzten Tage unvergessliches erlebt hatte. Gedankenabwesend rieb sie sich ihre Narbe an der Hand, welche sie immer wieder an Emely erinnerte.

„Glin?“, riss sie eine zärtliche Stimme wieder aus den Gedanken. Neugierig sah die Brünette auf und sah die Hexe vor sich stehen.

„Alles wieder in Ordnung?“, fragte Glinda lächelnd und nahm die dargebotene Hand an.

„Im Moment ist noch alles im Lot…“, brummte Elphaba, musste jedoch grinsen, als sie ihrer Freundin beim Aufstehen half.

Ohne ein Wort küsste Glinda die grüne Wange und streichelte sie danach einmal kurz. Sie hätte ihrer Elphie gerne noch gesagt, was sie fühlt, aber sie wusste, das wäre zu viel für ihre Freundin gewesen.

„Danke…“, flüsterte Elphaba mit geschlossenen Augen und ließ Glindas Hand los.
 

„Ah, da seid ihr ja!“, nickte Fiyero freundlich, als er sah, wie die beiden Damen die Wendeltreppe hinunterstiegen. Am liebsten hätte er ihnen irgendetwas an den Kopf geschmissen und das sogar wortwörtlich, jedoch konnte er sich beherrschen und fragte stattdessen: „Was habt ihr denn noch so lange gemacht?“

Elphaba merkte, dass Glinda in sicherem Abstand hinter ihr stehen blieb, als die Hexe auf den Scheuch zuging.

„Letzte Reisevorbereitungen!“, sagte sie lächelnd und deutet auf ihre Umhängetasche, in welche sie gerade noch den Proviant eingepackt hatte.

„Fiyero!“, sagte sie dann erfreut und öffnete ihre Arme. Der Scheuch stand etwas verdutzt auf und umarmte die grüne Hexe. „Ich bin froh, dass du wieder da bist. Wo warst du?“

Während der Umarmung blickte Fiyero Glinda grinsend an, was der Brünette einen Schauer über den Rücken jagte.

Als Elphaba die Umarmung wieder löste, sah die Vogelscheuche der Hexe in die Augen: „Ich war spazieren, das habe ich dir doch geschrieben.“

„Ja, aber drei Tage lang? Oder wie viele waren es nun?“

„Ich war in der Smaragdstadt…“, fügte er leise hinzu, sodass nur Elphaba es hören konnte.

„Du warst WO?“, rief Elphaba entgeistert aus. Sie konnte sich aus der ganzen Situation keinen Reim machen.

„Können wir mal kurz nach draußen gehen?“, fragte Fiyero nun wieder laut genug und Glindas Augenbrauen schossen vor Neugierde in die Höhe.

„Ich wüsste nicht, warum.“, sagte Elphaba kalt. Sie bekam auch langsam den Eindruck, als würde an dieser ganzen Sache etwas faul sein. Vor ein paar Tagen hatte ihr Fiyero noch allesamt Sachen unterstellt und nun schien er dafür viel zu ruhig und ausgeglichen. Sie hatte ein Donnerwetter erwartet, aber es passierte nichts dergleichen.

„Ich will dir etwas zeigen…“, verriet Fiyero geheimnisvoll und hoffte, Elphaba würde darauf anspringen.

„Wir sollten erstmal…“, begann Elphaba, doch Glinda unterbrach sie.

„Geh nur, Elphaba. Ich hole uns noch etwas Glikkenmilch und komme dann sofort.“

Etwas verwirrt drehte sich Elphaba um, doch als sie Glindas zärtlichen Blick und ihr leichtes Nicken sah, wusste sie, dass es kein Problem für die Freundin war.

„Na gut…“, stimmte Elphaba gedehnt zu, als sie sich wieder umgedreht hatte.

Auch Fiyero nickte noch einmal der brünetten Dame zu und ging dann in Richtung Tür. Als er merkte, dass Elphaba ihm nicht folgte, drehte er sich verwirrt um.

„Kommst du nun?“, fragte er freundlich und hielt die Tür offen.

Endlich setzte Elphaba sich in Gang und rauschte an dem Scheuch vorbei mit den Worten: „Wir müssen uns mal dringend unterhalten!“

Nach zwei schnellen Schritten hatte Fiyero die grüne Frau eingeholt.

„Worüber?“, fragte er neugierig und wusste schon, worauf diese Andeutung hinauslaufen würde.

„Über uns.“, antwortete Elphaba leise und verlangsamte ihren Schritt.

‚Lass dich jetzt nicht einwickeln!’, mahnte sich Fiyero in Gedanken, ‚Erst heuchelt sie dir etwas von Liebe vor und dann musst du erfahren, dass sie eigentlich deine Ex-Verlobte liebt und auch noch hinter deinem Rücken vöge…’

„Fiyero?!“, riss Elphabas Stimme ihn unsanft aus seinen Gedanken.

Verwirrt blickte der Scheuch sich um. Er hatte gar nicht wahrgenommen, dass die Hexe stehen geblieben war und drehte sich um.

„Hast du gehört, was ich gesagt habe?“

„Ja doch, Elphaba. Und ich finde auch, dass wir uns darüber unterhalten sollten. Aber erst musst du dir das ansehen…“, sagte er und deutete auf das große Eingangstor.

Die Hexe seufzte: „Na gut, wenn es denn sein muss.“

Erneut setzte sie sich in Bewegung und ging durch die Eingangstür, welche von dem Scheuch aufgehalten wurde. In diesem Moment fiel ihr wieder ein, dass sie Fiyero hatte fragen wollen, ob er wüsste, wo Chistery sei. Natürlich wusste sie das selber, aber sie wollte wissen, warum ihr Affe so weit über die Grenzen des Landes geflogen war.

Als Elphaba den Kies unter ihren Füßen spürte, wurde sie von der Morgensonne geblendet. Verwirrt drehte sie sich um und sah, dass der Scheuch noch immer am Eingangstor stand und dieses gerade schloss.

„Und was soll hier nun sein?“, fragte Elphaba genervt, als sie sich umdrehte und sich eine Hand über die Augen hielt.

„Warte es ab…“, grinste Fiyero und plötzlich überkam Elphaba das dringende Bedürfnis, sich aus dem Staub zu machen.

Langsam drehte sie sich wieder um und blickte in die Bäume und Büsche, die um Kiamo Ko herum verteilt standen. Die Sonne stand jedoch in einer so unglücklichen Position, dass ihre Augen sich erst an die Helligkeit gewöhnen mussten.

„Fiyero…“, sagte Elphaba ganz langsam, aber sehr deutlich, „Da gibt es noch etwas, was ich dich fragen wollte…“

„Und das wäre?“, rief Fiyero vom Eingangstor aus und hob beide Hände in die Luft.

„Weißt du, wo Chis-uh…“ Elphabas Stimme brach und sie sank erschrocken zu Boden.

Ihr rechter Unterschenkel brannte wie Feuer und sie merkte, wie sie sehr schnell die Kontrolle über ihren Körper verlor.

Als sie mit letzter Kraft auf ihr Bein blickte, sah sie den feuerroten Pfeil in ihrer Wade. Auf dem hinteren Teil des Stiels war ein „MA“ eingraviert.

„Akaber….“, hauchte Elphaba und sah noch, wie ein lächelnder Fiyero sich nickend zu ihr hinunterbeugte.
 

Zufrieden ließ sich der Scheuch neben der Hexe nieder und rief: „Volltreffer!“

Er legte seine Strohhand auf Elphabas Wange und schüttelte die grüne Frau: „Elphaba! Elphaba! … Sehr gut, wie versprochen!“

Dann lehnte er sich ein Stück nach rechts, sodass er besser an den Pfeil kam und zog diesen vorsichtig aus dem grünen Unterschenkel hervor. Die Einstichwunde war so groß wie bei einer Nadel und Fiyero erinnerte sich an Madame Akabers Worte: „Der rote Pfeil ist ausschließlich für Elphaba. Der erste Schuss muss treffen. Er enthält ein bestimmtes Sekret, dass sie nicht nur ohnmächtig, sondern auch wehrlos macht. Sie wird ihre Zauberkraft für die nächsten 24 Stunden nicht abrufen können, aber der Haken bei der ganzen Sache ist: Es funktioniert nur ein einziges Mal. Der Pfeil wird auch automatisch gebremst, sobald die Spitze ein Körperteil berührt, also nehmt keine Rücksicht auf Verletzungsgefahr. Elphaba wird nur minimal verletzt werden. Das gleiche gilt auch für Glinda – hier, für sie ist der grüne Pfeil bestimmt. Er enthält nur Betäubungsmittel, aber ich denke, dass sie keine Bedrohung…“

„ELPHABA!“, schrie Glinda erschrocken auf und Fiyero zuckte zusammen. Als Glinda ihre Freundin dort auf dem Boden liegen sah, ließ sie die Milchflasche fallen, welche mit lautem Geklirre am Boden zersplitterte. Glinda jedoch kümmerte sich nicht darum und lief panisch auf Elphaba und Fiyero zu.

„Großer Oz, was hast du mit ihr gemacht?!“, keuchte die Brünette, als sie sich neben Fiyero niederließ und das grüne Gesicht in ihre Hände nahm.

Der Scheuch war schnell genug gewesen und hatte ohne Glindas Bemerken den Pfeil unter dem Bein der Hexe versteckt.

„Elphie… Elphie, wach auf…“, flüsterte Glinda und merkte nicht, wie Fiyero sich langsam erhob und drei Schritte zurückging.

„Oh Oz, Elphie, bitte…“, Glinda weinte fast und konnte nur mit letztem Willen ihre Tränen zurückhalten.

Wutentbrannt wollte sie sich zu Fiyero wenden: „WAS HAST DU…“, doch plötzlich merkte sie, dass der Scheuch nicht mehr neben ihr saß, sondern hinter ihr stand.

Mit einem Satz war sie auf den Beinen und schubste Fiyero an den Schultern ein Stück zurück.

„Was hast du mit ihr gemacht?!“, schrie sie aus voller Kehle und Fiyero hob beide Arme in die Luft. Für Glinda sah es so aus, als würde er damit seine Unschuld ausdrücken wollen.

„Nichts…“, sagte er. Im gleichen Moment fühlte er, wie etwas seine Strohbeine durchfuhr.

Auch Glinda hörte das Rascheln des Strohs und blickte verwirrt hinab. In Fiyero Strohbein steckte ein Giftgrüner Pfeil, dessen Spitze an der anderen Seite wieder herausguckte.

„Was zum…“, wollte Glinda gerade fragen, als Fiyero sie unterbrach.

„DANEBEN!“, schrie er laut und augenblicklich wusste Glinda, was hier für ein Spiel gespielt wurde.

Augenblicklich wandte sie ihren Kopf in die Richtung, aus welcher der Pfeil gekommen sein musste, doch sie konnte nichts erkennen.

Fiyero wusste, dass es nur diesen einen Pfeil gegeben hatte und nutzte die Chance, dass Glinda in eine andere Richtung guckte.

Grob packte er sie an beiden Handgelenken und drückte fest zu.

„Lass mich los!“, schrie Glinda und trat dem Scheuch mit voller Wucht in die Gegend, wo bei einem Menschen der Magen gewesen wäre.

Fiyero wurde ein Stück zurückgeschleudert und musste von Glinda ablassen, die dann mit gehetztem Blick zurück zu der am Boden liegenden Elphaba rannte.

„Na los! Macht schon!“, hörte sie Fiyero schreien und ließ sich neben Elphaba auf die Knie fallen.

„Elphaba! Mach schon! Wach auf!“, sagte sie panisch und schlug der Freundin ein paar Mal vorsichtig auf die Wange. Diese jedoch rührte sich nicht.

„Elphaba Elea Thropp, wenn du glaubst, ich gehe ohne dich, dann hast du dich getäuscht!“, sagte Glinda fest entschlossen und versuchte, die grüne Frau aufzusetzen.

In diesem Moment fühlte sie, wie jemand sie unsanft von der Freundin wegzog. Sie schrie und strampelte, doch die Hände verdoppelten und verdreifachten sich, bis sie am Boden lag, sodass sie keine Bewegungsfreiheit mehr hatte.

„Lasst mich los! Elphaba! Lasst mich los, ihr Schweine!“, schrie sie und warf ihren Kopf hin und her.

„Jetzt!“, hörte sie Fiyero sagen und fühlte, wie etwas spitzes ihre linke Wade durchbohrte.

„Ihr kriegt … uns … nicht…“, hauchte sie mit ihrem letzten Atemzug, bevor Glinda das Bewusstsein verlor.
 

„Halt jetzt den Mund, Stella!“, fuhr Accursia die blonde Frau von der Seite an.

Madame Akaber stand in ihrem großen Konferenzsaal vor der Versammlung, die sie gerade ohne Vorwarnung einberufen hatte.

Zu ihrer linken saßen die vier Frauen: Stella, die ungeschminkt ganz anders aussah. Große Augenringe zierten ihr sonst so zartes Gesicht.

Penelope, die anscheinend keine Zeit mehr hatte, sich vernünftige Kleidung zu suchen, genau wie Ramón.

Adlerauge, die nun mit größerer Neugierde, als man es ihr sonst ansehen konnte, auf das nächste Wort von Akaber wartete.

Aylin, die als einzige in den letzten Tagen hart gearbeitete hatte und auch an diesem Morgen schon früh auf den Beinen war.

Zu Akabers rechten saßen die Männer, Ramón, Domingus, und der Bote, der ihr den Grund für diese spontane Versammlung überliefert hatte.

Accursia konnte die Neugierde, die Spannung und die Überraschung beinahe physisch spüren und sie genoss die angespannte Stille für einen kurzen Moment.

Auch sie hatte an diesem Morgen nicht besonders viel Zeit gehabt, sich dem Anlass entsprechend zu kleiden, aber mit den Jahren, so wusste sie, lernt man, wie man als Dame aus der kürzesten Zeit den größten Gewinn macht.

‚Und genau das werde ich jetzt tun…’, dachte sie sich und schmunzelte, was zu einer noch größeren Neugierde der anderen führte.

Beschwichtigend hob Accursia ihre Arme und begann, mit leiser Stimme zu sprechen: „Der Grund für diese frühmorgendliche und äußerst spontanitäre Versammlung, hält dieser junge Mann gerade in seinen Händen.“

Bei diesen Worten deutete Akaber auf den jungen Boten, der rechts neben ihr saß.

‚Spontanitär?’, dachte Ramón verwundert. Er wusste, was es bedeutete, wenn seine Mutter wieder in ihr altes Wort-Abänderungsmuster verfiel.

Es bedeutete, dass irgendetwas passiert war.

Irgendetwas… sehr, sehr positives. Zumindest für sie. Für Accursia.

Die Menge schwieg. An Stellas Beispiel hatte Madame Akaber eben sehr deutlich gemacht, dass ihr diese Situation sehr ernst war. Äußerst ernst. Und darum traute sich nun niemand mehr, seine Stimme zu erheben.

„Lies vor, Junge.“, befahl Madame Akaber dem jungen Burschen mit einer Stimme, die keine Widerworte zuließ.

Der Bote erhob sich und faltete den Zettel wieder auf, den er in seinen zittrigen Händen hielt.

„Auria…“, begann er, doch seine Stimme klang sehr dünn. Er räusperte sich und begann erneut, diesmal war seine Stimme etwas fester: „Auria, wir haben sie. Beide. Glinda hat uns mehr Widerstand geleistet, als die Hexe. Wir werden spätestens morgen früh ankommen. Wir beeilen uns, da der Pfeil nur 24 Stunden hält. Wir bitten darum, dass ihr den Bann früh genug legt, falls die Hexe früher als erwartet aufwacht. Außerdem stimmen die Gerüchte: Die Hexe und Glinda sind ein Sappho-Pärchen. Danke, Londaro.“

Bevor das laute Gemurmel einsetzen konnte, hob Accursia wieder ihre Hand.

„Wie ihr also hört…“, begann sie und wies dem jungen Mann an, sich wieder hinzusetzen, „…ist es dem Trupp gelungen, Glinda und die Hexe für 24 Stunden außer Gefecht zu setzen und sie werden sie nun endlich hierher bringen. Ich habe diese Versammlung einberufen, um nun genaustens zu planen, wie es weitergeht.“

„Aber haben wir das nicht schon besprochen?“, fragte Stella genervt. Accursia hatte sie noch vor dem morgendlichen Kaffee geweckt und das schlug ihr mächtig auf die Laune.

Penelope, die neben Stella saß, stupste sie warnend mit dem Ellbogen an.

„Was?“, fauchte die Blondine und wurde mit einem bösen Blick von Accursia bedacht.

„Mein liebes Kind…“, knurrte Akaber schon fast, „Wir sind alle müde. Wir alle stehen unter Stress und niemand hat gesagt, es würde einfach werden, eine Legende einzufangen und in die Fußstapfen einer anderen Legende zu treten, um das Volk zu regieren. Hüte deine Zunge, mein liebes Fräulein.“

Nun war es für jeden offensichtlich: Accursia stand unter Strom und das noch viel schlimmer, als man es hätte ahnen können.

„Oz sei Dank…“, flüsterte Stella kleinlaut, als Jytte, leise wie eine Kirchenmaus, in den Raum trat. In der Hand hielt sie ein Tablett mit einer Kanne Kaffee und sechs Tassen.

Accursia schenkte ihrem Hausmädchen keine Beachtung. Lautlos sank sie in den Stuhl und überblickte die Runde. Sie saß am Kopfende des Tisches, sodass sie jeden im Blick hatte.

„Also…“, begann sie, „Wenn die beiden ankommen, was wird mit ihnen gemacht?“

„Sie werden in den Kerker gesperrt, aber einzeln!“, antwortete Penelope und unterdrückte ein Gähnen.

„Und ich übernehme die erste Bann-Runde.“, fügte Domingus hinzu.

„Sehr gut.“, nickte Auria Domingus zu und an die anderen gewandt sagte sie: „Domingus und ich werden uns im 23 Stunden-Takt abwechseln mit den Bann-Zaubersprüchen, damit wir auch kein Risiko eingehen. Es wäre für jeden von uns unmöglich, diesen Bann für länger als 48 Stunden zu halten, darum sparen wir unsere Energie. Wir werden die Stadt mit dem gleichen Bann belegen, wie damals, als Glinda sterben sollte. Das macht es der Hexe und auch Glinda unmöglich, ihre Magie anzuwenden.“

„Das Problem ist nur…“, griff Domingus ein, „…, dass dieser Spruch jede magische Person betrifft, außer diejenige, die den Bann gelegt hat.“

„Moment mal…“, Penelope setzte sich aufrecht hin und starrte Accursia fragend an, „Bedeutete das etwas, dass wenn Domingus den Bann legt, dass du dann auch keine Magie anwenden kannst?“

„Das ist korrekt…“, nickte Accursia, „Und genau das ist das Manko. Ich wäre theoretisch dazu in der Lage, Domingus’ Bann zu durchbrechen, da ich mächtiger bin als er. Wir wissen nicht, wie mächtig El… die Hexe ist, demnach werden wir sie auch durchgehend mit Beruhigungsmitteln versorgen. Nur am Tag der Hinrichtung wird sie bei klarem Verstand und bei vollen Kräften sein. An diesem Tag nämlich, werden Domingus und ich gemeinsam den Bann legen… und den wird dann auch keine Hexe durchbrechen können.“

„Also, wir sperren die beiden in getrennte Zellen und pumpen die Grüne mit irgendwelchem Zeugs voll… Und dann?“, fragte Ramón, der verärgert feststellte, dass er kaum informiert worden war.

„Dann kümmere ich mich erstmal um die Presse…“, begann Aylin, „Und wenn ganz Oz heiß auf die Hinrichtung der Hexe ist… und das wird nicht länger als drei tage dauern, werden wir sie …“

„Verbrennen!“, sagten die vier Frauen wie aus einem Mund und Accursia nickte zufrieden.

Ach, was hatte sie ihre Mädchen doch gut erzogen.

„Ah… Moment mal… Ich dachte, sie stirbt von Wasser?“, fragte Ramón verwirrt.

„Na klar, das hat ja auch beim ersten Mal schon so toll funktioniert, du Held!“, zischte Stella und nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Kaffee.

Jytte verteilte gerade die Löffel.

Ramón machte ein verachtendes Geräusch und sah seine Mutter fragend an.

„Wir verbrennen sie nicht ohne Grund. Würde jemand bitte unseren Plan, der hinter der ganzen Sache steckt, erklären? Stella? Du vielleicht? Du hast ja auch den Löwenanteil dazu beigetragen…“

„Gern…“, nickte Stella, nun etwas freundlicher als zuvor.

„Also…“, begann sie mit gedehnter Stimme, als wäre Ramón ein Volltrottel, „Wir trennen die beiden erst einmal voneinander und lassen sie in der Unwissenheit, was mit der anderen ist. Es ist wichtig für uns, dass die beiden keine Gelegenheit mehr bekommen, miteinander zu sprechen.

Wir werden die Hexe dann an ihrem Hinrichtungstag zuerst vorführen – die Menge wird toben. Dann werden wir Glinda ebenfalls vorführen. Und wir rechnen damit, dass die beiden sich vor dem Tod noch etwas zu sagen haben… Und nach dem Brief hier zu urteilen… wird es genau das richtige sein, um die Menge aufzuwirbeln. Es wird ein riesen Tumult entstehen und es wird so aussehen, als würde jemand Glinda zur Hilfe eilen. Sie bekommt ihren Zauberstab durch einen Boten, der aber von UNS aus gesandt wurde. Sie wird also versuchen, Elphaba frei zu zaubern. Aufgrund des Banns jedoch wird sie dazu nicht in der Lage sein.

Domingus wird diesen Moment abpassen und dann wendet sich das Blatt: Glinda will die Hexe befreien durch einen Zauberspruch, aber anstelle ihre Fesseln zu lösen, wird sie das Feuer entfachen.

Zumindest sieht es für das Publikum so aus, wenn Domingus den Scheiterhaufen aufbrennen lässt.

Auch deine glorreiche Idee haben wir eingebracht, lieber Ramón: Glinda wird die Asche ihrer Freundin einatmen.

Nachdem der Scheiterhaufen brennt, wird Glinda wieder gefasst und Accursia wird den Wind passend drehen. Dann muss sie mit ansehen, mitfühlen und mitleiden, wie die Hexe lichterloh verbrennt.

Ich fand… Wir fanden, dass es ganz nett ist, das gegenteilige Element von Wasser zu nehmen…

Mitten in diesem Tumult, wenn die Hexe brennt, werden wir Glinda wegschaffen in die Zelle. Dort wird der Hexenhut auf sie warten und das Foto von den beiden, welches wir gefunden haben…“

Stella machte eine dramatische Pause und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. Die Anspannung im Raum war greifbar, sie lag in der Luft wie der Duft von frisch gekochtem Essen. Ein jeder konnte sich denken, was nun kam. Die Wahrheit war nämlich, dass der Plan niemals komplett unter allen Frauen besprochen wurde. Es hatte schon seinen Grund, warum Stella Accursias Liebling war…

„Und dann…“, Stella flüsterte fast, „… DANN wird unsere arme Glinda dort allein in ihrer Zelle sitzen. Mit den Andenken an ihre Liebste – dem Hut, dem Bild… und… einem Zaubertrank. Ein Gifttrank. Sie wird dort allein in der Zelle weinen… Die Schuldgefühle werden sich in ihr breit machen… ‚Was habe ich getan?’… wird sie sich fragen… sie wird dort in der dunklen Ecke kauern, in ihrem prächtigen Kleid, in welches wir sie stecken werden… Sie wird ihre eigenen Hände betrachten und sich fragen, wie sie der Liebe ihres Lebens das Leben nehmen konnte… Wie kann nur ein Zauberspruch so daneben gehen… wird sie sich fragen…“

Stella brach in hysterisches Lachen aus. Ihre Augen funkelten, ihre Hände verkrampften sich an der Tischkante. Sie befand sich gerade in höchster Ekstase und jeder, der Stella kannte, wusste das.

Ramón lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er sah Glinda vor sich, wie sie in der Ecke kauerte. Die Detailliertheit, wie Stella diese Szenerie beschrieb, fand er gruselig. Es machte ihm Angst.

‚Was ist bei dieser Frau im Leben schief gelaufen…?’, fragte er sich.

Dem jungen Boten ging es nicht anders. Er war ganz weiss um die Nase geworden und er schnappte nach Luft. Wo war er da nur hineingeraten?

Die anderen Damen im Raum schienen eher ungerührt von Stellas Ausbruch zu sein. Sie kannten die Freundin schließlich schon seit Jahren.

‚Und wenn man sich mal vor Augen hält, was Stella damals in der Schule mit dieser Mentorin abgezogen hat…’, dachte Penelope und musterte Stella von der Seite.

Adlerauge verfolgten denselben Gedankengang: ‚Wie war noch der Name gewesen…?’, dachte sie nachdenklich, ‚… Irgendwas mit M… Miriam… Margot… Margo! Das war’s. Margo Blair… unsere Politikmentorin!’

‚Ich habe genug gehört…’, dachte sich Jytte, der speiübel war. Sie nutzte die Gelegenheit, als Stella wieder ansetzte und huschte aus dem Raum.

„Und dann… Dann wird da dieses Fläschchen stehen. Das Gift. Das Gift, das verspricht, ohne Schmerzen zu sterben. Ohne physisches Leid, denn seelisches Leiden wird sie genug plagen.“

Die blonde Frau atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus, bevor sie etwas ruhiger weiter erklärte: „Sie wird Suizid begehen. Da bin ich mir sicher. Für Glinda wird es so aussehen, als hätte sie die Liebe ihres Lebens getötet. Wir werden ihr auch vorlügen, dass nach Elphaba ihre Eltern sterben werden, doch dass sie das nicht miterleben darf. Sie wird denken, dass sie niemanden und nichts mehr hat. Es gibt dann nichts mehr auf der Welt, für was es sich lohnt, zu leben. Und da wird ein solches Fläschchen sehr verführerisch….“

Das Lächeln, was nun auf Stellas Züge trat und welches jeder als unpassend bewerten würde, außer natürlich Domingus, war das Zeichen dafür, das Stella mit ihrer Erklärung am Ende war.

„Und, mein Sohn, was sagst du? Haben wir deine Idee nicht würdevoll berücksichtigt?“, fragte Accursia munter. Etwas zu munter.

Ramón schluckte und ließ die Hand des jungen Burschen los, die seine Hand unter dem Tisch gesucht hatte. Ja, er musste zugeben, er hatte Rache gewollt und er hatte solche Gedanken gehabt, aber ein solches Szenario? Wer konnte sich eine solche Grausamkeit ausdenken?

‚Nur eine Frau… Nur eine Frau….’, dachte er resigniert und blickte Penelope an. Sie wusste, wie er sich gerade fühlte.

‚Nein! Ich werde hier jetzt keine Schwache zeigen!’, befahl er sich, als er durch die Frauenrunde blickte.

„Ja, Mutter, ich denke, der Plan ist sehr ausgeklügelt!“, nickte er und wollte das Thema damit beenden.

„In der Tat. Ausgeklügelt! Und absolut grauifiziert! Aber damit ist es noch nicht getan!“, sprach Madame Akaber etwas zu euphorisch und Ramón sah seine Mutter plötzlich in einem ganz anderen Licht.

Was um Oz’s Willen war mit den Frauen in diesem Raum los?

Ramón hoffte nur, dass diese Greulichkeit, diese Abscheulichkeit, nicht auf seine Nele abfärben würde. Für ihn war sie die heimliche Rose der Nacht… Ihre Zartheit eingehüllt in den schwarzen Mantel der Tarnung und Verschleierung.

„Was hältst du davon?“

„Was?“, schreckte Ramón aus seinen Gedanken auf.

„Was du davon hältst?“, fragte Accursia erneut.

„Wo..von…?“

„Ramón!“, zischte Akaber wütend. Wie sie es hasste, Dinge zu wiederholen. Und dann auch noch in einer solch wichtigen Versammlung!

„Es tut mir leid Mutter, wovon habt ihr gesprochen?“

„Davon, wie es danach weitergeht. Durch Glindas scheinbaren Mord an ihrer Freundin wird die Menge absolut verwirrt sein. Wir können uns daraus auch wieder die passende Geschichte drehen. Glinda wäre wahnsinnig geworden… Nach einem öffentlichen Gefühlsbekenntnis dann die Liebe ihres Lebens töten… Wer macht so was schon? Und das Volk von Oz wird sich nach einer starken Hand, nun, nach starken Händen sehnen, die klare und logische Strukturen angeben… und vorgeben… Das wird ein Kinderspiel!“

„Allerdings…“, brachte Ramón noch hervor, mit dem letzten bisschen Würde, die er noch hatte. Er musste raus.

„Ich werde mich jetzt mal um die Gefangenen kümmern. Ich nehme an, ihr wollt noch die Details besprechen?“

Accursias Augenbrauen schossen in die Höhe. Ramón wusste nicht, ob es aus Überraschung oder Verachtung war, aber es war ihm auch ganz egal. Diese Frauen waren Monster. Monster….

„Ja, wir besprechen noch die Details… Wem welche Aufgabe zugeteilt wird…“

„Gut…“, nickte der blonde Mann, „Dann wird Nele mich nachher aufklären.“

Mit einem schnellen Kuss auf Penelopes Wange verabschiedete er sich von der eher weiblichen Runde – der junge Bote folgte ihm hinaus.

Noch bevor sie den Ausgang erreichten, setzte schon eine neue Diskussion darüber an, wie man sicher stellen kann, dass Glinda die Gute wirklich Suizid begeht.
 

„Großer Oz…“, stöhnte der junge Mann, als er sich schwer atmend gegen die große Eichentür lehnte, die die beiden Männer gerade hinter sich geschlossen hatten. Ramón tat es ihm gleich.

„Sind die immer so?“, keuchte der Bursche.

„Meistens…“, nickte Ramón. Er hatte keine große Lust, weiter auf dem Thema herumzureiten.

„Du siehst nicht gerade gesund aus..“, murmelt er, als er sich von der Tür abdrückte und den jungen Mann musterte. Er schwitzte. Der Schweiß stand ihm auf der blassen Stirn und sein vorderes Haar klebte nass an seiner Kopfhaut.

„Moment mal…“, stutzte Ramón, „Du bist doch mit dem Trupp losgezogen! Wieso bist du schon hier?“

„Ich wurde an einem Bauernhof hier in der Nähe stationiert. Ich musste auf den ADLER warten und als ich seine Nachricht bekam, sollte ich sie nur überbringen.“

„Ein Adler? Was für ein Adler?“, fragte Ramón verwirrt.

„Nein, ein ADLER! Der Kommandant verfügt doch über einen TIER-Trupp. Auf diese Mission hat er seinen ADLER mitgenommen.“

„TIER-Trupp…“, murmelte Ramón nachdenklich und schlug den Weg ein, der zu den Zimmern der Gefangenen führte. Er hatte schon beinahe vergessen, dass es in Oz Tiere gab, die sprechen können. TIERE. Wie lange hatte man in Oz schon nicht mehr über TIERE gesprochen? Glinda die Gute hatte schon sehr gute Arbeit geleistet, den TIEREN ihre rechte wiederzugeben… Aber was würde nun aus ihnen werden?

Die Leute, die unter seiner Mutter arbeiteten, hielten TIERE wie Tiere. Als Werkzeuge. Als Fußvolk, nein, noch nicht einmal das. Der ADLER hätte die Botschaft auch überbringen können – verbal. Aber ihm wurde das Sprechen abgenommen… Von einem Menschen.
 

„Hat sie eine Kette an? … uff…“, fragte Londaro durch aufeinandergepresste Zähne. Er war gerade dabei, mit zwei anderen Männern, die grüne Hexe auf einen Wagen zu hieven, den die Soldaten in der Gartenscheune aufgetrieben hatten. Fiyero hatte sie dorthin verwiesen.

„Was?“, fragte dieser verdutzt. Er stand vor Glinda und hielt noch immer ihre Handgelenke fest. Sein Blick wanderte auf Glindas Dekolleté und… ja, da war sie.

„Ja…“, rief der Scheuch zurück. Beim Anblick der Kette war es ihm, als pfiffen im tausend Winde durch die Ohren. Wie offensichtlich sollte die ganze Geschichte noch werden?

„Ist es DIE… Kette?“ Londaro schob Elphaba in eine Ecke des Wagens, sodass noch Platz für die zweite Frau war.

„Was.. wie…“, Fiyero war verwirrt.

Londaro wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte nicht gedacht, dass es so anstrengend werden würde, die beiden unfähig zu machen. Mit eilenden Schritten kam er auf Fiyero zu: „Na die Träne!“

Erst da fiel der Groschen beim Scheuch: „Achso, nein… sie trägt eine andere Kette. Aber die ist auch nicht von schlechten Eltern…“

Neugierig kniete sich der hübsche Sekretär neben die ohnmächtige Blondine und zog ihr den Pfeil aus der Wade.

„Das gibt ne hübsche Narbe… Aber: wen kümmerts? Oh… na sieh mal einer an!“, rief er beinahe aus und nahm die beiden Herzen in seine Hand.

„Pink und grün – wenn das nicht ein Zeichen ist!“

„Ja, wenn das nicht ein Zeichen ist…“, knurrte Fiyero und ließ Glindas Handgelenke los. Ihr Körper lag schlaff und regungslos in der Morgensonne. Das einzige, was sich von Zeit zu Zeit noch bewegte, war ihr Brustkorb, der sich bei jedem flachen Atemzug leicht auf- und abwölbte.

‚Sie ist eigentlich eine Schönheit…’, dachte Fiyero, als er dem Schauspiel der Sonnenstrahlen auf Glindas braunem Haar zusah.

‚EIGENTLICH! Wenn da nicht… Ja, wenn da nicht…’ Er konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen. Diese Vorstellung ekelte ihn an.

„Wir brauchen diese Kette!“, unterbrach Londaro die Gedanken des Scheuchs, „Die Hexe trägt sie auch nicht. Entweder ist sie drinnen…“

„Oder?“

„Oder.. ich weiß es nicht. Ich würde vorschlagen, du und ich, wir gehen rein und durchsuchen das Haus… Schloss… Was auch immer es ist. Und die Männer sollen hier draußen alles regeln?“

„Einverstanden!“, nickte Fiyero und stand auf. Er drehte sich um, ohne noch einmal auf Glinda herabzusehen. Londaro gab den Männern die entsprechenden Anweisungen und dann folgte er dem Scheuch, der schon am Eingangstor auf ihn wartete.
 

„Sag mal, läufst du mir hinterher?“, fragte Ramón verdutzt, als er feststellte, dass der junge Bursche ihm auf jeden Schritt und Tritt verfolgte.

„Ja… Ich weiß nicht, was ich machen soll… Ich meine, der Kommandant..“

„Schon gut, dann komm mit mir. Du darfst mich gerne begleiten. In so einer Frauenwelt ist das Überleben nicht leicht!“

„Da sagst du was… Das war ja wohl mal schärfer als das Gruselkabinett…“, sagte der junge Mann und schüttelte sich.

„Meinst du unsere Mächtigen Fünf? Die SIND das Gruselkabinett! … Sag mal, wie heißt du eigentlich?“

„Florin und … du bist Ramón?“

„Richtig…“, nickte Ramón und betrachtete den dunkelhaarigen Jungen. Wie alt mochte er sein? Mindestens fünf Jahre jünger, wenn nicht noch mehr…

Schweigend setzten die beiden Männer ihren Weg fort. Florin sah neben Ramón schmal und schwach aus. Er war groß, aber dünn und gegen Ramóns Muskeln sahen seine Arme eher aus wie schlappe Nudeln.

Florin ging einen halben Schritt hinter dem blonden, hübschen Mann und beäugte ihn von der Seite.

‚Was für starke Arme…’, seufzte er innerlich und wäre beinahe in seinen neuen Mentor hineingelaufen, als dieser stehen blieb und auf eine Tür deutete.

„Mach dich bereit, wir treffen jetzt auf Meredith Schiforsan und Anhang.“
 

Fiyero wusste nicht, was er von diesem Anblick halten sollte: Auf dem Boden, vor Elphabas Bett, lagen die Neuigkeitenblätter mit der Skandalnachricht. Das Bett war nicht gemacht und es war deutlich zu erkennen, dass beide Frauen darin geschlafen hatten… und zwar sehr nah beieinander. Die Kissen lagen schon fast aufeinander und die Bettdecken lagen auch in einer eindeutigen Position. Die Tür zum Badezimmer stand offen.

Glindas alte Kleider hingen über einem Stuhl und waren anscheinend nicht weiter beachtet worden.

Fiyero war froh, dass er seine Sinne verloren hatte. Der Raum stank wahrscheinlich nur so nach dem gemischten Duft von den beiden weiblichen Körpern, ihren Küssen und ihren … Experimenten!

Wenn sein Körper noch menschliche Funktionen besessen hätte, dann hätte sein Frühstück wahrscheinlich den Boden verziert.

Ohne einen weiteren Blick ging er ins Bad. Er kannte Elphabas Räumlichkeiten gut genug um zu wissen, dass nichts umgeräumt worden war. Auch im Bad fand er nichts außergewöhnliches.

Langsam ging er wieder zurück in das Schlafzimmer und kniete sich vor die Standuhr. Der Schlüssel drehte sich mit einem leisen Geknirsche um und die Tür sprang auf. Nichts.

„Also den hier sollten wir vielleicht mit ihr verbrennen!“

Erschrocken setzte Fiyero sich auf seinen Hintern. „Londaro! Ich habe dich gar nicht gehört!“, sagte Fiyero etwas erschrocken, als er sich wieder auf die Beine stellte.

„Entschuldige!“, lachte der Sekretär und wedelte mit dem Besen in seiner Hand rum, „Meinst du nicht auch?“

„Naja, könnte nicht schaden!“, nickte Fiyero, „Aber hier ist nichts, weder eine Kette, noch irgendetwas anderes…“

„Mist! Aber wir können auch nicht länger warten…“
 

Als der Mann und die Vogelscheuche in den sonnenbedeckten Hof traten, waren die Männer gerade dabei, Glinda wieder von der Karre zu ziehen.

„Was macht ihr da?“, rief Londaro und Fiyero sah, wie ein andere Soldat über Elphaba kniete, die bewusstlos auf dem Wagen lag.

Bilder würde ich erst NACH dem Lesen anschauen

(Dann versteht ihr auch die Titel):
 

Elphie-Sequenz: http://wickedryu.deviantart.com/art/and-true-the-visions-hazy-104377274

Glinda-Sequenz: http://wickedryu.deviantart.com/art/There-s-no-place-like-home-103649786
 

An die Reviewer: Vielen Dank für eure Rückmeldugen! Sie bedeuten uns sehr viel! Und inspirieren uns :)

Macht bitte weiter so!
 

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Kapitel 48
 

„Elphie, mein Herz, wach auf. Elphie? Elphieeee….“

Elphaba hörte Glindas süße Stimme durch einen dichten Nebel. Ihre Stimme klang dumpf und leise.

„Elphie?!“

Sie fühlte ein sanftes Paar Lippen auf ihren eigenen…

Panisch schoss sie in die Höhe – keuchend. Ihr Herz raste.

Verwirrt blickte sie sich im Raum um.

„Elphaba, was ist los mit dir?“

Die Hexe jedoch konnte die Stimme nicht hören. Sie starrte in den Raum. Er war groß und hell – das konnte man auch schon im Morgengrauen erkennen. Die Wände waren dunkelblau gestrichen und ein rotes Muster zog sich sporadisch durch den Raum. Ein weißer Teppich und ein großer, weißer Schrank… Leicht rötliche Gardinen vor einem großen Fenster. Das Bett… groß, weich, warm… Mit einer dunkelblauen Bettdecke, in welche Elphaba gerade ihre Hände krampfte.

„Elphaba Elea Throppborn, wo bist du?“

Die Frau holte drei Mal tief Luft. Es war alles gut – anscheinend.

‚Ich bin sicher... Aber… wo bin ich?’ In Elphabas Kopf schossen die Gedanken nur so durcheinander und sie wusste gar nichts mehr.

Verwirrt drehte sie sich zur Seite.

„Glinda!“, hauchte Elphaba verblüfft. Ihre Freundin saß aufrecht im Bett, auf den rechten Arm gestützt und machte ein besorgtes Gesicht. Ihr blondes Haar war viel länger geworden und fiel ihr in Korkenzieherlocken bis zu den Brüsten hinab, die unschuldig in einem sehr einsichtigen Negligé steckten.

„Guten Morgen, mein Herz. Geht es dir gut? Hattest du einen schlechten Traum?“, fragte Glinda mit besänftigender Stimme und legte sich zurück ins Bett. Sie zog Elphaba mit sich und kuschelte sich an sie.

Elphie fühlte die Wärme von Glindas Körper und nahm sie fest in den Arm.

„Mir geht es gut… glaube ich… Oh Oz, Glin, ich hatte einen so furchtbaren Traum…“, flüsterte Elphie in Glindas goldene Locken.

‚Goldene Locken…’, dachte Elphaba erleichtert. Nichts hatte sich geändert. Nichts war passiert.

In die dunklen Augen schossen ohne Vorwarnung Tränen und als Glinda sich von ihrer Freundin löste und dies sah, klang sie erneut sehr besorgt: „Oh nein, Elphie… Was war es denn für ein Traum? Magst du mir davon erzählen?“

Elphaba nickte, als eine Träne über ihre Wange rollte. Schnell wischte sie die Träne weg und wartete auf das Brennen. Doch es setzte nicht ein.

Verdutzt blickte sie auf ihre Hände. Sie waren nicht grün.

„Ich bin nicht grün?“, fragte Elphaba mit gebrochener Stimme, was Glinda das Herz brach. Sie klang wie ein verletztes Kind.

„Oh mein Schatz, was ist dir heute Nacht nur im Traum widerfahren…“, nuschelte Glinda, nahm Elphies Hände in ihre und küsste die Liebes ihres Lebens mit ihrer ganzen Liebe und Fürsorge.

„Danke…“, seufzte Elphaba, als sie sich nach einer ganzen Reihe von beruhigenden Küssen trennten.

Sie tastete nach der Kette und fand sie an ihrem Hals. Die Träne der Aelphaba war genauso warm wie ihr eigener Körper.

Elphaba ging es etwas besser, als sie so eng an Glinda gekuschelt lag. Die Wärme und Liebe, die Sicherheit und Vertrautheit, die sie fühlte, machten ihr die Verwirrung etwas leichter, aber dennoch fragte sie sich, warum in alles in der Welt sie sich nicht erinnern konnte. Der Traum jedoch war noch ganz deutlich in ihrem Gedächtnis verankert.

Glinda beugte sich hinüber zu Elphie und küsste sie auf die Wange. Dann stützte sie ihren Kopf auf den rechten Arm und sah Elphaba fragend an: „Und?“

Bevor sie antwortete, suchte die Hexe die Hand ihrer Freundin und verflocht ihre Finger mit denen der anderen Hand.

„Ich… es war so viel… Ich weiß nicht… Es war alles so schrecklich…“, seufzte Elphaba irritiert.

„Wie wäre es, wenn du von ganz vorne anfängst?“, schlug Glinda ruhig vor.

„Das ist es ja… Ich weiß nicht, womit es angefangen hat…“

„Dann erzähle mir, was dir als Erstes einfällt…“

„Fiyero hat uns verraten. Dich und mich… Und Akaber war wieder an der Macht. Wir wollten in die Smaragdstadt um deine Freundin zu befreien und dann…“

„Mamaaaa! Muttiiiiiii!“, unterbrach eine quietschende Stimme das Gespräch und Elphaba zuckte vor Schreck zusammen. Glinda jedoch lachte hell auf.

„Guten Morgen, mein Engelchen. Wir haben dir doch gestern Abend gesagt, dass wir DICH wecken werden und nicht umgekehrt!“, kicherte Glinda und setzte sich auf.

Eine nun absolut orientierungslose Elphaba tat es Glinda gleich, um sehen zu können, woher die Stimme kam.

„Ja ich weiß… aber… ich konnte nicht mehr warten!“, kicherte die Stimme.

„Komm her!“, sagte Glinda und Elphie sah, wie sie jemanden in den Arm nahm, fest drückte und dann auch noch küsste. „Alles Liebe zum Geburtstag!“, murmelte sie dann liebevoll und ließ die kleine Person los.

„Oz im Ballon!“, stöhnte Elphaba und wurde bleich im Gesicht, „Frieda!“

„Ja, Mama?“, fragte Frieda mit fröhlicher Miene, ging um das Bett herum und kletterte neben Elphaba ins Bett.

Eine wortlose Elphaba konnte nur mit offenem Mund regungslos im Bett sitzen und wehrte sich nicht, als Frieda sich in ihre Arme kuschelte.

„Mama?“, fragte Frieda nach einer Weile des Schweigens und sah zu Elphaba auf.

„Elphie?“, fragte Glinda, als Elphaba keine Antwort gab.

„Ich… Ich glaube…“, stammelte Elphaba und löste sich von Friedas Umarmung, bevor sie dann aufstand, „… ich muss hier raus…“

Torkelnd suchte sie sich ihren Weg zur Tür und stand plötzlich auf einem großen Flur. Sie ging drei Schritte nach vorn zum Geländer und ihr wurde schwindelig, als sie in die Tiefe sah. Ein Schwarz-weiß-karierter Fliesenboden zierte die unterste Etage.

Auf der Wie vielten befinde ich mich denn gerade?’, fragte sich Elphaba entgeistert und lief den Flur entlang. Es dauerte nicht lange und sie erreichte das Ende des Flures und durch einen Bogen ging sie in das letzte Zimmer. Dort befand sich eine Treppe, die offensichtlich aufs Dach führte.

Elphaba wusste nicht, was sie tun sollte, also beschloss sie, erstmal etwas frische Luft zu schnappen. Vielleicht würde das ja ihre Gehirnzellen wieder in Gang bringen.

„Heilige Lurline…“, flüsterte Elphaba, diesmal jedoch aus Bewunderung, als sie auf die Dachterrasse trat. Rechts von ihr war ein weißes Geländer angebracht worden und an der rechten Hauswand standen Stühle und ein Tisch, eine Blubbelwanne, zwei Liegestühle, ein paar Blumen und ein…

„Wow…“ Elphaba verschlug es die Sprache: ein gläserner Flügel.

Langsam und auf wackligen Beinen ging Elphaba zum Flügel und strich mit den Fingerspitzen über den Tastendeckel. Sie fühlte, wie ihre Finger auf etwas stießen und beugte sich hinab, um genauer hinsehen zu können.

„Für Elphaba Elea Throppborn, mein Herz, zum ersten Hochzeitstag und in ewiger Liebe, Glinda Throppborn“ sagte die Gravur.

‚Hochzeitstag… Hochzeitstag?’ wiederholte Elphaba in Gedanken und musste sich setzen.

Die Morgensonne überflutete die Terrasse mit ihren Strahlen und die Hexe fühlte die wohlige Wärme in ihrem Gesicht.

‚Das kann doch alles nicht…’

„Elphaba?“, unterbrach Glindas Stimme ihre Gedanken und sie öffnete die Augen.

„Glinda, ich…“, begann Elphaba verzweifelt, doch die blonde Frau war sofort neben ihr und setzte sich zu ihr auf den Hocker.

„Shhhh…“, machte sie, „Elphie, was ist los?“ Glindas ruhige Stimme half Elphaba dabei, sich zu fokussieren und sie beruhigte sich etwas.

„Glin, ich kann mich an nichts mehr erinnern. Seit wann sind wir verheiratet? Warum nennt Frieda mich Mama-Mutti? Wo sind wir hier? Was sind das da für Berge…“

„Langsam, mein Herz…“, stoppte Glinda Elphabas Fragewut und lächelte leicht: „Der Traum muss dich sehr mitgenommen haben…“

„Ich glaube auch…“

„Das ist aber nicht normal… Ich habe Angst um dich, Elphie.“

„Erzähl mir doch einfach, was ich wissen möchte… Dann werde ich mich bestimmt erinnern…“, flüsterte Elphaba verzweifelt und Glinda nahm sie in die Arme.

„Na gut… Dann werden wir das so probieren… Aber sollte es nicht funktionieren, versprich mir, dass du dann heute Nachmittag mal bei Resi vorbeischaust.“

„Resi?“

„Ja.. Resi, die Frau v..“

„Von Meredith?“, fragte Elphaba mit großen Augen und starrte Glinda an.

„Na siehst du… Du hast nicht alles vergessen…“, nickte Glinda.

„Sie wohnt auch hier?“ Elphaba wurde von Minute zu Minute verwirrter. Sie konnte sich keinen Reim aus dieser ganzen Situation machen.

„Hier im Haus, nein, aber hier in Wittica.“

„Wir sind in Wittica?“

„Elphie…“, sagte Glinda in einem Ton, der deutlich machte, dass sie nun ausreden wollte, „Ich erkläre dir jetzt alles, was du wissen möchtest und danach kannst du weiter fragen, in Ordnung?“

„Ja, ist gut…“, murmelte Elphaba zerknirscht und lehnte sich an Glinda an.

„Also, die Berge da vorn trennen Frottica und Wittica. Meine Eltern wohnen noch immer in Frottica und wir sind vor zwei Jahren hierher gezogen. Um die gleiche Zeit haben wir auch geheiratet… Und Frieda nennt dich Mama und mich Mutti… Aber auch erst seit Kurzem… Wir haben sie nach dieser ganzen Akaber-Misere zu uns genommen, da ihre Mutter bei einer Aktion von den Mächtigen Fünf gestorben ist. Es ging alles ganz schnell… Die Menge brach plötzlich in Panik aus und wollte davon rennen… Frieda und ihre Mutter wurden unter den Füßen der Menschen begraben. Ihre Mutter hat sich über sie gelegt und sie so geschützt… Aber sie selber hat es nicht überlebt… Heute ist Friedas neunter Geburtstag und sie liebt dich von ganzem Herzen. Und du liebst sie. Wie deine Tochter… Wie unsere Tochter…“

‚Also ist das doch passiert…’, dachte Elphaba und sie hätte am liebsten noch weiter nachgefragt. Jedoch fühlte sie die Wahrheit hinter Glindas Worten… die Wärme… die Liebe. Sie fühlte sich miserabel.

„Wieso kann ich mich an so etwas Wundervolles nicht erinnern… so, wie das Klavier…“, seufzte Elphaba, offensichtlich sehr gestresst.

Glinda tat es im Herzen weh, ihre Frau so zu sehen, jedoch ließ sie sich nichts anmerken.

„Willst du sehen, was du mir zum ersten Hochzeitstag geschenkt hast?“, fragte sie mit einem breitem Grinsen, „Jetzt kann ich dir zeigen, was du MIR geschenkt hast. So eine Chance bekomme ich nie wieder.“

„Habe ich auch etwas eingravieren lassen?“, fragte Elphaba neugierig, obwohl sie sich die Antwort schon denken konnte.

„Ja… in meinem Geschenk steht: „Für Glinda Throppborn, meine Seele, zum ersten Hochzeitstag und für den Rest meines Lebens, E. E. Throppborn“

„E. E. Throppborn?“, fragte Elphaba und musste gegen ihren Willen lächeln.

„Ja, dein Geschenk war zu kurz für die komplette Gravur…“, kicherte Glinda und bot Elphie ihre Hand dar. Die Hexe legte ihre Hand in die Hand ihrer Frau.

„Okay?“, fragte Glinda und schaute Elphaba mit einem langen Blick in die Augen.

„Ja, ich denke schon. Es wird alles…“, nickte Elphie und ihr schwarzes Haar wurde von einer leichten Brise nach hinten geweht.

Die Hexe bemerkte Glindas Blick, der so voller Liebe und Zuneigung war, dass sie sich augenblicklich sicher war, dass alles wieder in Ordnung kommen würde.

Die blonde Schönheit zog ihre Frau vom Hocker hoch und tänzelte zur Tür.

„Aber dass du unsere Hochzeit vergessen hast… Diese riesen Zeremonie, mit Akaber und deinem Vater, Mer und Resi, Mar…“

„Accursia Akaber? … Akaber war auf unserer Hochzeit?!?!“, rief Elphaba entgeistert aus und Glinda konnte nicht anders als lachen, als sie Elphabas entrüsteten Gesichtsausdruck sah.

„Ich liebe dich, weißt du das, mein Herz?“, murmelte sie, „Ich werde dich jetzt küssen und dann geben wir unserer Tochter ihr lang ersehntes Geburtstagsgeschenk.“

„Hat es irgendetwas mit einem Schneemann zu tun?“, fragte Elphaba schnell.

Glinda nickte nur mit einem Lächeln auf den Lippen, bevor sie Elphaba küsste, wie die Hexe es noch nie erlebt hatte.
 

Fiyero konnte von seinem Standpunkt aus nicht erkennen, was der Soldat mit Elphaba machte, aber seine Hände bewegten sich ungefähr über ihrer Bauchhöhe. Es sah sehr merkwürdig aus.

„Wir haben noch einen zweiten Wagen gefunden!“, brüllte einer der Männer zu Londaro hinüber, als er und Fiyero auf die anderen Männer zugingen.

Als sie näher kamen, erkannte der Scheuch, was gerade mit der Hexe veranstaltet wurde.

„Londaro…“, flüsterte Fiyero und stupste den Mann neben sich in die Seite.

„Hm?“

„Sag mal… warum wird die Hexe gefesselt?“

Londaro blickte hinüber zu Elphaba, deren Gesicht abgewandt war. Der Soldat, der über ihr kniete, fesselte gerade ihre Hände mit einem leuchtend-roten Seil. Es war das gleiche Rot, wie auch der Pfeil gehabt hatte.

„Anweisung von Akaber. Die Fesseln haben wohl den gleichen Bann auf sich, wie der Pfeil. Mehr weiß ich aber auch nicht. Warte mal kurz…“

Mit schnellen Schritten war Londaro neben den Männern, die Glinda gerade auf einen kleineren Wagen hievten.

„Sehr gut, Männer…“, begann er mit lauter Stimme und warf Elphabas Hexenbesen, den er noch immer in der Hand hielt, zu ihr auf die Karre, „Dann dürfte jetzt alles zu Accursias Zufriedenheit geklärt sein: Die beiden separat auf einem Wagen, die Hexe gefesselt, beide bewusstlos… Tut mir den Gefallen und fesselt die Brünette hier auch noch, dann können wir los.“

Fiyero wusste, was das zu bedeuten hatte: Er würde einen der Karren ziehen müssen, da sie nur eines der Pferde etwas weiter unten im Wald hatten stehen lassen. Er überlegte sich, welches wohl das geringere Übel wäre – sollte er die eine Frau ziehen, mit der er beinahe verheiratet gewesen wäre und die er dann für die andere Frau verlassen hatte? Oder sollte er die andere Frau ziehen, die ihn mit der einen Frau betrogen hatte? Die sein Leben zerstört hatte? Die ihn niemals geliebt hatte? Für die er beinahe gestorben wäre?

„Londaro, kann ich die Hexe ziehen?“, fragte er, als der Sekretär wieder neben ihm stand.

Mit hochgezogenen Augenbrauen fragte dieser: „Klar, aber gibt es dafür einen Grund?“

„Ich will ihr meinen letzten Dienst erweisen. Ich will sie in den Tod ziehen…“

Fiyero Worte klangen so kalt, aber nicht gefühlslos, dass Londaro nur stumm nicken konnte.

‚Da muss einiges passiert sein…’, dachte der Sekretär und erinnerte sich an das, was Fiyero ihm über seine Beziehung zu Elphaba und Glinda erzählt hatte.

„Ich… geh mal den Trupp einsammeln…“, murmelte Londaro und musterte den Scheuch von der Seite, der ins Leere starrte.

Es dauerte keine Viertelstunde mehr und der gesamte Trupp machte sich wieder auf den Heimweg.

Fiyero führte den Trupp an. Er zog den Karren, auf welchem Elphaba lag, ohne ein Murren und Londaro versuchte erst gar nicht, mit ihm zu gehen. Der Scheuch kannte als Einziger den kürzesten Weg, also blieb auch der restliche Trupp hinter ihm.

Einer der Männer hatte die beiden Frauen noch mit einer Decke zugedeckt, denn erst langsam wurde es wieder wärmer.

Londaro starrte die ganze Zeit auf Fiyeros Rücken und seinen Strohhut. Es schien, als würde er den Karren geistesabwesend lenken.

Doch von Zeit zu Zeit, wenn dem Sekretär eine leichte Brise ins Gesicht wehte, konnte er hören, wie Fiyero redete: „… ist es, was du verdienst, Elphaba: den Tod!...“
 

Glinda hörte einen grellen Schrei und saß augenblicklich aufrecht im Bett. Sie schwitzte, ihr ganzer Körper vibrierte und das blonde Haar klebte an ihrem Hals.

„Ich geh schon… ich geh schon…“, murmelte jemand neben ihr. Glinda konnte im ersten Moment nichts erkennen, es war stock duster, aber es war Elphabas Stimme gewesen.

Sie konnte nichts sagen, denn ihr Mund war trocken und sie konnte nicht richtig atmen. Panik stieg in ihr auf.

Wo war sie? Was sollte das alles? Glinda schloss noch einmal die Augen und befahl sich erst einmal, tief durchzuatmen.

Da! Da war er schon wieder, dieser grelle Schrei.

„Shhh… Shhh…“, hörte sie Elphaba zärtlich zischen.

Nach zwei oder drei Atemzügen schlug ihr Herz wieder etwas ruhiger und Glinda öffnete erneut die Augen. Ein kleines Licht brannte irgendwo in diesem Zimmer, wo sie war. Es musste links von ihr sein, denn sie sah vor den Lichtstrahlen eine dunkle Silhouette. Es war eine Frau – definitiv, aber wer war sie?

Erneut stieg die Angst in Glinda auf. Die Frau konnte nicht Elphaba sein – sie war zwar keinesfalls dick, aber doch rundlicher, als Elphie, die immer schon so dürr gewesen war. Diese Silhouette ließ eindeutig die größeren Brüste erkennen.

Plötzlich beugte sich die Frau im Dunkeln nach vorn, hielt inne, drehte sich um und kam dann auf Glinda zu.

„Sie schläft wieder.. Oz sei Dank“, flüsterte Elphabas Stimme.

„Elphie?“, fragte Glinda mit weinerlich-heiser Stimme ins Dunkle hinein. Ihr Herz pochte laut.

„Was ist los, mein Schatz?“, fragte Elphaba besorgt und plötzlich wurde ein kleines Licht angeknipst.

Glinda blinzelte und es dauerte nicht lang, da hatten sich ihre Augen an die neue Lichtquelle gewöhnt.

„Glin, um Himmels willen, was ist passiert?“, fragte Elphaba nun mit beunruhigter Stimme. Sie hatte sich auf ihre Bettseite gesetzt und die Lampe auf ihrem Nachttisch angemacht. Als sie jedoch Glindas Tränen sah, rutschte sie sofort neben die blonde Schönheit.

Glinda starrte Elphaba ungläubig an: Die Züge der Freundin waren nicht mehr so hart und knochig, wie sie immer in Erinnerung hatte. Ihr Gesicht war zwar noch immer schmal, aber es hatte einen viel weicheren Schwung um die Wangen bekommen. Die dunklen, schwarzen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden und eine lange Ponysträhne schmiegte sich an die grüne Wange.

„Glinda, bitte, rede mit mir!“ Elphabas Stimme klang nun ängstlich, aber dennoch hatte sie eine beruhigende Wirkung aufeinander.

„Ich.. Elphie…“, begann sie, doch dann brach sie in Tränen aus.

Elphaba legte beide Arme um sie und zog den vibrierenden Körper zu sich heran. Sie begann leise zu singen und sie legte in ihre Stimme all ihre Liebe, die sie für Glinda empfand:

„There were times I ran to hide -

Afraid to show the other side.

Alone in the night without you

But now I know just who you are…

And I know you hold my heart!

Finally this is where I belong

It is you I have loved all along.
 

It's no more mystery.

It is finally clear to me.

You're the home my heart searched for so long

And it is you I have loved all along.”
 

Während des Liedes beruhigte sich Glinda langsam wieder. Es war ihr gemeinsames Lied. Das war es auch im Traum gewesen, aber was danach passiert war…

„Elphie… ich hatte einen fruchtbaren Traum!“, flüsterte Glinda verzweifelt und Elphaba schob sie ein Stückchen von sich weg, um in die blauen Augen blicken zu können.

„Willst du mir davon erzählen?“, fragte Elphaba mit ruhiger Stimme und gab Glinda einen Kuss auf die Stirn.

„Ich kann mich nicht erinnern…“, begann Glinda niedergeschlagen.

„An den Traum?“

„Nein… nein… An das hier… Wo ich hier bin, was ich hier mache… Oh Oz, ich fühle mich so… so… schrecklich! Elphie, hilf mir…“ Glindas Stimme brach abermals und wurde von Schluchzern unterbrochen.

Elphaba hielt die Freundin hilflos in den Armen. „Shhh… shhh, Glin, lass uns mal aus dem Zimmer gehen… dann mache ich dir ein großes Glas aufgeschäumte Milch mit Lebkuchenaroma…“

„Woher weißt du, dass ich das mag?“, schnüffte Glinda und ließ von Elphaba zur Tür schieben.

„Das haben wir auf unserer Hochzeitsreise nur getrunken…“, sagte Elphaba und schloss lautlos die Zimmertür hinter sich.

„Wir sind verheiratet?“, fragte Glinda, halb be- und halb entgeistert.

„Ohje, das muss aber ein ziemlich heftiger Traum gewesen sein, mein Engel… Hast du irgendwelche körperlichen Schmerzen?“

„Nein, wieso?“, fragte Glinda verwirrt und als Elphaba sie stützen wollte, fragte sie erstaunt: „Sag mal, was soll das werden?“

Die Hexe ließ sofort von ihrer Freundin ab und musterte sie im Licht der Dämmerung.

„Also, als ich schwanger war, hatte ich auch verwirrende Träume, aber so..“

„Du warst was?“, rief Glinda, lauter als sie es eigentlich gewollt hatte.

Elphaba nahm sie bei der Hand und zog sie über den Flur. Als sie vor einem großen Fenster mit breiter, gepolsteter Fensterbank zum Stehen kamen, sagte Elphaba: „So, du wartest hier und ich hole uns die Milch…“

Glinda tat, wie ihr geheißen, doch erst, als sie sich setzen wollte, bemerkte sie, dass ihr Körper etwas unförmig zu sein schien.

„Oh … du … heilige … Lurline…“, hauchte Glinda fassungslos und starrte nach unten. So saß sie dort, bis Elphaba wieder kam.

„Glin?“, fragte Elphaba leise. Ihre Frau schien geistig abwesend zu sein und Elphie wollte sie nicht erschrecken. Vorsichtig reichte sie Glinda die Tasse Milch und eine Decke, die sie mitgebracht hatte.

„Elphaba…“, begann Glinda trocken.

„Ja?“, fragte die Hexe und setzte sich neben ihre Frau.

„Bin ich schwanger?“

Normalerweise hätte Elphaba die Frage für einen Scherz gehalten, aber als sie in Glindas Augen blickte, wurde ihr klar, dass es vollkommen ernst gemeint war.

„Ja, das bist du“, antwortete Elphie deswegen sehr ruhig und legte Glinda die Decke um die Schulter.

„Seit wann?“

„Seit 6 Monaten…“

Nun begannen in Glindas Kopf die Gedanken nur so hin und her zu schwirren. Von wem sollte dieses Kind sein?

„Von wem ist das Kind?“

„Wie meinst du das, von wem das Kind ist?“, fragte Elphaba verwirrt und legte sich nun die andere decke um die eigene Schulter.

„Wer mir das Kind gemacht hat, verdammt! Wer mich geschwängert hat! Welcher Kerl…“

„Oh Glin!“, rief Elphaba ganz erschrocken über Glindas Ausfall auf und zog ihre Frau zu sich heran.

„Das Kind ist von mir! Von mir, mein Schatz…“

Glindas Puls schlug heftig, ihre Halsschlagader pochte, jedoch ebbte ihre Wut auf ihre Orientierungslosigkeit sofort wider ab, als sie Elphabas Duft einatmete – Milch und Honig.

„Komm mal her…“, murmelte Elphaba, stellte ihre Tasse mit der warmen Milch ab und rückte in die Ecke, wo sich Fenster und Wand trafen. Die Sonne ging langsam auf und der Schnee fiel in dicken Flocken vom Himmel herab.

Glinda stellte die Tasse ab und krabbelte mit ihrer Decke auf dem Rücken zu Elphaba und legte ihren Kopf erschöpft auf Elphabas Brustkorb.

Der Schlag ihres Herzens beruhigte sich noch Stück mehr und unter den Decken suchte Glinda nach Elphabas grüner Hand.

„Was weißt du denn noch, mein Engel..?“, fragte Elphaba vorsichtig und strich Glinda mit der freuen Hand über die Wange.

Mit geschlossenen Augen murmelte Glinda: „Von hier… gar nichts mehr, befürchte ich. Es ist wie.. wie… als wäre ich nie hier gewesen… Aber der Traum ist noch so deutlich…“

„Dann erzähle mir von dem Traum…“

Also erzählte Glinda in einer kurzen Fassung, was sie noch von dem Traum in Erinnerung hatte. Dann hob sie den Kopf und sah ihre Frau fragend an.

„Das stimmt schon alles… bis auf das Ende..“, gestand Elphaba ruhig, „Fiyero hat uns in Wirklichkeit nicht verraten, sondern er hat uns geholfen… Ihm ist es zu verdanken, dass Akaber nun wieder sicher hinter Gittern sitzt.“

„Was? Wie das?“, fragte Glinda überrascht.

„Er hat uns durch den Garten geschickt und den Soldaten gesagt, dass wir wahrscheinlich auf dem Weg nach Frottica wären, zu deinen Eltern. Der Trupp ist also dorthin gezogen, während er zurück zu Akaber gegangen ist. Dann hat er uns in den Palast geschleust und wir haben nach dem Grimmerie gesucht. Stella hat uns erwischt, aber dank Margo Blair und Meredith gab es keinen großen Aufstand. Und dann haben du und ich, mit Hilfe von Margo, Meredith, deiner Mutter und Fiyero die Situation umgedreht und die mächtigen Fünf festnehmen lassen. Es war kein großer Aufstand. Aber jetzt regiert eine Vogelscheuche in der Smaragdstadt.“

„Fiyero? Fiyero… macht… was?!“, Glinda war außer sich vor Ungläubigkeit.

„In deinem Traum war er sicherlich einer der Bösewichte, aber hier in dieser Welt, Glin, hat er uns das Leben gerettet.“

„Nach dieser Nacht scheint es sehr schwer, das zu glauben…“, murmelte Glinda und fragte dann: „Na gut… aber wieso schneit es denn bitte, wenn Akaber keine Macht mehr hat? Sie war schließlich die stärkste Wetterhexe…“

„Nachdem Akaber hinter Schloss und Riegel war, war das Volk von Oz natürlich sehr durcheinander… Fiyero hat mit einigen Projekten ihr Vertrauen wiedergewonnen… Er hat mithilfe seines Zauberkomitees eine Art „Volkskasten“ eingerichtet. Hier konnte das Volk sich zu Verbänden zusammenschließen und dann seine Wünsche vortragen. Und sehr oft kam der Wunsch nach anderem Wetter.. Es sollte regelmäßiger werden, denn dieser Wechsel von Sonne auf Schnee hätte in diesem Jahr, als Madame Akaber noch einmal an der Macht war, die ganzen Ernten ruiniert.. und ein solches Projekt für das Volk war: „Die Wechselhaftigkeit des Jahres“. Gemeinsam mit dem Zauberkomitee hat er es irgendwie hinbekommen, dass es nun so genannte vier Jahreszeiten gibt: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. So nennt man es zumindest in der Welt, aus der mein Vater kommt.“

„Woher weißt du das denn?“ Glindas Frage klang neugierig und sie setzte sich auf, um Elphaba ansehen zu können.

„Er war noch einmal hier und hat uns auch geholfen, Akaber einzubuchten. Er war lange hier… Wir haben uns ausgesprochen… Er war sogar auf unserer Hochzeit und er hat uns auch geholfen, das Haus hier zu bauen.“

„Oh Oz, das ist mir gerade alles zu viel…“, seufzte Glinda und lehnte sich wieder an Elphie an. Dann schloss sie die Augen und die beiden schwiegen eine Weile.

„Ist dein Kind auch von mir?“, fragte Glinda nach zehn Minuten – ganz zu Elphabas Vergnügen.

„Ja, Liebes, das ist es. Das sind unsere Kinder… Meredith und Emmanuel…“

„Meredith?“, Glinda wurde augenblicklich hellhörig, „Wieso Meredith?“

„Wir haben uns dazu entschieden, weil…“, Elphaba stockte und Glinda hörte, wie das Herz in der grünen Brust plötzlich doppelt so schnell schlug, „… weil sie in der Nacht gestorben ist, als wir das Grimmerie gefunden haben…“

„Stella?“, fragte Glinda in einem heiseren Flüstern, setzte sich auf und sah Elphaba an. Als diese nickte, bildeten sich Tränen in Glindas Augen.

„Wie ist das passiert?“, fragte sie und das feuchte Nass lief ihr über die Wangen.

„Als Stella uns erwischte, hat Margo sich sofort um sie gekümmert. Nach allem, was wir danach erfahren haben, kannten die beiden sich schon seit Jahren und hatten wohl noch… ein Hühnchen zu rupfen… Nun, Stella und Margo stritten heftig und dann kam noch ihr widerwärtiger Freund, Domingus dazu. Im Gefecht schleuderte er einen Energieball auf Margo. Die aber duckte sich. Reseda und du habt dicht hinter ihr gestanden… Meredith hat den Ball mit einem Sprung abgefangen…“

„Oh Oz…“, hauchte Glinda und suchte Elphabas Umarmung, „Sie hat mir das Leben gerettet…“

„Ja… und deshalb haben wir unsere Tochter nach ihr benannt.“

Die beiden Frauen redeten noch eine Weile über Meredith und darüber, was noch alles geschehen war.

Nach einer Weile jedoch fragte Glinda, die sich in der Zwischenzeit wieder beruhigt hatte: „Aber ich habe niemals zu dem Namen Emmanuel zugestimmt, oder?“

„Nein…“, gab Elphaba mit einem breitem Grinsen zu, „Du warst die ganze Zeit für Oskar… Es sollte ja ein Name von der ganzen Namenreihe meines Vaters sein… und ich bin für Emmanuel!“

Nun lachte Glinda zum ersten Mal auf: „Du grünes, gemeines Etwas! Nutzt meine Situation schamlos aus…“

„Schuldig!“, nickte Elphaba, schaute aus dem Fenster und seufzte.

„Was ist?“, fragte Glinda und schob ihre Hand hinauf zu Elphabas Schlüsselbein.

„Nichts, ich liebe nur einfach den Winter. Dieser ganze Schnee ist unglaublich schön und…“

„Heiliger Strohsack!“, unterbrach Glindas Ausruf ihren Satz, „Ist das mein Verlobungsring?“

Elphaba wandte ihren Kopf wieder vom Fenster ab und sah Glinda an, die ihr mit der ganzen Hand wild vor dem Gesicht herum gestikulierte.

Die grünen Finger umschlossen die hautfarbene Hand und küssten sie.

„Japp, das ist der Verlobungsring!“, grinste Elphie breit und schaute auf den leicht rosafarbenen Diamanten, der in Weißgold gefasst war.

„Hast du mir auch einen Antrag gemacht?“, fragte Glinda ganz aufgeregt.

„Ja!“, lachte die Hexe, „Das habe ich auch. Einen ganz romantischen… Zumindest habe ich mir Mühe gegeben.“

„Ohh, erzähl mir davon…!“, bettelte Glinda und sah Elphaba mit leuchtenden Augen an.

„Also gut…“, gab die Hexe nach und Glinda kuschelte sich wieder an ihre Frau.

Plötzlich erklang das Geschrei von der kleinen Meredith und es erfüllte den ganzen Flur.

„Ich glaube… ich habe da vorher noch etwas zu erledigen…“, murmelte Elphaba in die goldenen Locken und befreite sich aus Glindas Armen, „Bin gleich wieder da!“

„Ist gut…“, nickte Glinda, langte nach ihrer Tasse mit der nun lauwarmen Milch und blickte der grünen Frau hinterher. Ihrer grünen Frau, die sie mehr als alles andere in ihrem Leben liebte.
 

Es hämmerte und klopfte an der Tür und dabei waren es noch nicht einmal neun Uhr…

„Es ist noch geschlossen!“, brüllte Gunilla Hukalo. Sie saß in der Küche und trank ihren morgendlichen Kaffee. Frieda lag noch in ihrem Bett und schlief.

„Nilly! Ich bin es, lass mich rein!“, schrie Lexana und hämmerte erneut gegen die Vordertür.

Mit einem Sprung war Gunilla auf den Beinen und rannte durch ihren Laden. Als sie die Tür öffnete, fragte sie verwundert: „Guten Morgen, Lexie… Sag mal, wieso kommst du nicht durch die Küchentür?“

Lexie drängelte sich an Gunilla vorbei und rannte in die Küche, während sie fragte: „Hast du’s schon gelesen? Hat Margo dir schon Bescheid gesagt?“

Schnell schloss Gunilla wieder die Tür und ging hinter Lexie her, die im Gegensatz zu sonst nicht Platz genommen hatte, sondern wie ein aufgescheuchtes Huhn in der Küche herumlief.

„Nein.. Was soll ich gelesen haben und warum sollte Margo mich kontaktieren? Ist es schon soweit?“

„Jaa! Jaa!“, rief Lexie aufgeregt und setzte sich endlich hin. Dann zog sie etwas aus ihrem Mantel hervor.

„Hier! Lies!“, befahl die Lehrerin der Freundin, welche sich daraufhin auch an den Tisch setzte und neugierig das Neuigkeitenblatt überflog.

„Verdammte Scheiße!“, murmelte Nilly ungehalten, bevor sie sich zensieren konnte, „Das darf doch nicht wahr sein!“

Gestresst blickte sie auf und in Lexies schöne Augen: „Hat Margo dich etwa schon kontaktiert?“

Lexie nickte: „Ja, sie meinte, ich solle dir Bescheid sagen. Es geht heute Abend los. Keine Waffen, keine Kinder, keine auffällige Kleidung.“

„Na das ist mal ein Zusammenhang…“, murrte Nilly und fügte hinzu: „Heute Abend schon.. Ohje, was mache ich denn mit Frieda? Mitnehmen werde ich sie auf keinen Fall. Das ist ja viel zu gefährlich für sie.“

„Frag doch mal Frau Umladre, eure Nachbarin. Sie hat ja schon des Öfteren auf Frieda aufgepasst…“, schlug Lexana vor und schälte sich aus ihrem dicken Wintermantel.

Gunilla beobachtete dies und fragte neugierig: „Sag mal, ist es noch so kalt draußen?“

„Nein, es wird langsam wärmer… Aber ich war gerade so in Eile… Da habe ich das nächstbeste Kleidungsstück genommen…“

„Achso… hmmm…“, machte die ältere Frau und las den Artikel, geschrieben von Aylin Akaber, noch einmal.

„Sie haben die beiden also… und in drei Tagen soll es soweit sein? Die Hexe wird gehängt… ‚Das Volk feiert’? So ein Scheiß…“, zitierte Gunilla mit einem Kopfschütteln, „Hast du schon eine Idee vom Plan?“

„Sehr geringe Angaben gab es diesmal… Wir treffen uns heute Abend am Torbogen und gehen dann los. Margo meinte, in allen Teilen Oz’s würden die Frauen das so machen… naja, zumindest unsere Fraktion. Sie hat alles durchgerechnet… In Quadlingen müssen die Frauen zum Beispiel schon heute Mittag losziehen, damit sie pünktlich da sind. Wir haben dann einen Eintagesmarsch vor uns und ich habe eine Adresse bekommen, wo wir uns alle treffen… Es ist in einem kleinen Vorort von der Smaragdstadt. Ein großes Bauernhaus…“

„Das klingt ja noch alles sehr mysteriös… Oder findest du nicht?“

„Margo sagte mir, sie wolle erst dort mit uns den kompletten Plan besprechen, denn man wisse ja nie, wer wo was sagt… Somit kann sie sich sicher sein, dass bis dato also noch niemand den Plan kennt. Sie meinte auch, wir müssten so früh anreisen, da es noch einiges an Vorbereitung und Besprechung geben wird. Ich bin sehr gespannt.“

„Ich auch, meine Liebe…“, murmelte Gunilla und schaute sich das Bild des Artikels an – die Statue der bösen Hexe des Westens, „… ich auch.“

„Was ist?“, fragte Lexie verwundert, als Gunilla sich ganz dicht an das abgedruckte Bild beugte.

„Lexie, hast du das hier schon gesehen?“, fragte sie mit einem angespannten Gesichtsausdruck.

„Nein, so genau habe ich mir das alles nicht angeschaut. Was ist denn?“

Ohne ein Wort drehte Nilly das Blatt zu ihrer Freundin und deutete mit dem Zeigefinger auf den unteren Teil des Bildes.

„Was soll da sein?“

„Sie genau hin, Lexie“, forderte Gunilla und Lexie gehorchte ihr. Nun beugte auch sie sich knapp über das Papier und las langsam vor: „El…ha… Elphaba … lebt… Elphaba lebt!“ Dann hielt sie inne und hob den Kopf, „Elphaba lebt? Steht das da wirklich drauf?“

„Ich glaube ja…“, nickte Gunilla, „Sieht so aus, als hätte sie noch ein Paar Graffiti-Freunde in der Smaragdstadt. Das war eine mutige.. oder kopflose Aktion… So dick und groß ihren Namen auf den Sockel zu schmieren…“

„Ich bin gespannt, wie sie aussieht… Ob sie wirklich grün ist? Und ob sie wirklich sooooo eine lange Nase hat wie auf dem Bild?“

„Ach Lexie…“, stöhnte Nilly, „Das glaubst du doch wohl selber nicht. Grün? Ich muss zugeben, darauf bin ich auch gespannt… Aber die Sache mit der Nase? Niemals. Dann müsste sie ja eine ELEFANTEN-Frau zur Mutter gehabt haben.“

„Na wer weiß…“

„Ich bitte dich!“

„Okay, schon gut!“, gab Lexana nach und rollte mit den Augen, „Ich würde mal vorschlagen, wir sammeln schon mal unsere sieben Sachen zusammen und machen dann mal die Runde durchs Dorf. Alle Sapphos informieren.“

„Ich muss auch noch zu meiner Frau Nachbarin…“, fügte Gunilla hinzu.

„Ach ja, richtig. Dann sieh zu, dass du deine Tochter sicher untergebracht bekommst. Ich weiß nicht, wie lange es diesmal dauern wird. Vielleicht drei oder vier Tage? Keine Ahnung… Als wir uns damals für die TIERE eingesetzt haben, ging das ja alles was schneller…“

„Ja, aber auch nur, weil der Zauberer, der Blödmann, uns direkt mal den Wind aus den Flügeln genommen hat… Und den AFFEN auch“, erinnerte Nilly ihre Freundin.

„Da hast du auch wieder recht. Ich hoffe, dass sich die TIERE in den nächsten zwei Tagen dafür revanchieren. Weil diese Frauen hier…“, höhnte Lexana und deutete auf die Namen der mächtigen Fünf, welche im Artikel aufgeführt waren, „… die sind nicht ganz ohne.“

„Das ist das Problem mit uns Frauen… Wir sind alle nicht ohne, aber denen werden wir es zeigen!“, sagte Nilla fest entschlossen.

Plötzlich ging die Küchentür auf und Frieda kam hereinspaziert: „Wem wirst du was zeigen, Mama?“, fragte sie und schloss die Tür hinter sich.

„Frieda! Ich dachte, du würdest noch schlafen!“, rief Nilla erschrocken.

„Nee, ich bin doch noch vor dir aufgewacht und… ich war spielen!“ Frieda setzte ihre Unschuldsmiene auf und kuschelte sich bei ihrer Mutter in den Arm.

„Frieda, mein Schatz. Jag mir bloß nie mehr so einen Schreck ein. Du bist erst sechs und da möchte ich bitte noch wissen, wo du wann spielen gehst, ja?“

„Ja Mama…“

„Gut. Und du wirst wahrscheinlich die nächsten paar Tage bei Frau Umladre bleiben müssen, weil Mama in die Smaragdstadt muss.“

„Oh, aber ich will miiit. Ich will mit in die Smaragdstaaaadt!“, quengelte das Kind und seine Mutter schüttelte den Kopf.

„Nein, Frieda, das ist zu gefährlich und das ist mein letztes Wort.“

„Manno…“, schmollte die Kleine und fragte dann wie aus heiterem Himmel: „Wenn du Deena siehst, dann sag ihr, ich hab sie lieb!“

Lexana hatte den Dialog der beiden nicht wirklich mitverfolgt. Sie saß über das Blatt gebeugt, doch als sie den Namen „Deena“ hörte, blickte sie ruckartig auf.

„Wieso? Hat sie gesagt, sie kommt?“, fragte Lexana, bevor sie sich zurückhalten konnte und sofort warf Nilly ihr einen wissenden Blick zu.

„Versprich mir das, Mami, ja?“, bettelte Frieda und wippte dabei auf und ab.

„Ja, ich verspreche es dir.“

„Juchu! Ich geh jetzt nach oben und spiel Friseursalon!“

„Frieda!“, rief Lexie ihr hinterher, doch das Kind drehte sich nicht mehr um.

„Hat Deena gesagt, sie kommt?“, fragte Lexie nun an Nilla gewandt, die nun nur noch einen genervten Gesichtsausdruck machte.

„Woher soll ich das wissen?!“, fauchte sie und stand auf, nicht sicher, was sie nun tun sollte.

Lexie rollte mit den Augen und erhob sich ebenfalls: „Ich werde mich mal auf den Weg machen. Treffen wir uns gegen Mittag bei mir?“

„Ja, ist gut. Ich werde mal nach Frieda sehen…“

„Tu das, bis dann!“

Lexana zog sich wieder ihren Mantel an und drückte Gunilla zum Abschied.

„Bis dann…“, sagte diese und wartete nicht mehr ab, bis Lexie zur Tür raus war. Sie stieg die Treppen hoch und klopfte an Friedas Zimmertür an.

„Frieda?“

„Ja, Mama, hier!“

„Ah, da bist du ja!“, lächelte Nilla ihre Tochter an und ließ sich neben ihr auf den Boden nieder. Frieda hatte Kämme, Bürsten, Haargummis und Klämmerchen überall um sich herum verteilt und frisierte ihre Lieblingspuppe. Es war die einzige Puppe, die langes dunkles Haar hatte.

„Hast du Lust, mal eben mit mir zu unserer Frau Nachbarin zu gehen?“

„Nee, ich hab Angst…“, sagte Frieda mit neutraler Stimme und Gunilla zog vor Überraschung die Augenbrauen in die Höhe.

„Wovor? Vor unserer Nachbarin?“

„Nein… Ich habe eben am Torbogen gespielt und da waren auf einmal ganz, ganz viele Männer und ein ganz noch viel Komischer ist vorne gegangt.“

„Wer ist vorne gegangen?“, fragte Gunilla und berichtigte somit Friedas Zeitfehler. Sie hatte das ungute Gefühl, dass an dieser Sache mehr dran war, als die morgendliche Jägerversammlung.

„So ein Strohmann ist da gegangen…“

„Ein… Strohmann?“

„Jahaaa!“, maulte Frieda und Gunilla bemerkte, dass sie wie ein Papagei klingen musste.

„Und was haben die gemacht? Hatten die Männer noch wen anderes dabei?“

„Keine Ahnung… Die hatten noch zwei Wagen und die haben die so hinter sich hergezogen… Die hatten alle was Blaues an. So ganz blau und dann war da ne dicke, fette fünf hinten auf dem Rücken. Das sah total doof aus.“

„Eine Fünf!“, rief Gunilla geschockt aus.

„Boah, Mama!“, maulte Frieda, weil ihre Mutter schon wieder ihren Satz wiederholt hatte, „Bist du taub?!“

„Nein, mein Schatz, entschuldige! Hast du gesehen, was auf den Wagen gelegen hat?“

„Nö, die haben total böse geguckt. Die sind ja auch nur am Dorf vorbeigegangen. Und als ein Mann zu mir kommen wollte, bin ich schnell nach Hause gelaufen.“

„Zwei Wagen… die Fünf… die mächtigen Fü… Frieda! Wir müssen jetzt noch mal ganz schnell zu Lexie!“

„Aber ich will doch nicht mehr raus!“, protestierte Frieda und drückte ihre Puppe fest an ihre Brust.

„Ich bin doch dabei, Schatz. Komm, zieh dir die Schuhe an. Das ist Mama ganz wichtig.“

„Nimmst du mich auf den Arm?“

„Frieda… Du bist alt genug, um zu laufen. Ich nehme dich an die Hand. Ich gehe nach unten und zieh mich um. Beeil dich, bitte.“

„Jaja…“, murmelte Frieda und stand auf, während Nilla die Treppenstufen herunter eilte.

„Komm Deena…“, sagte Frieda zu ihrer Puppe, „Die großen Leute sind manchmal ganz schön doof.“
 

„Bist du bereit?“, fragte Ramón ernst und sah Florin in die Augen.

Dieser bekam weiche Knie, jedoch nicht aus Angst, wie Ramón es vermutete.

„Ja, bin ich…“, nickte Florin und drehte sich zur Tür.

„Eins noch: Du darfst auf keinen Fall die Türschwelle übertreten!“

„Wieso?“, fragte der junge Soldat verwundert und sah Ramón wieder an.

„Weil ein Bann auf dem Zimmer liegt. Wenn du reingehst, kommst du nicht mehr raus…“, murmelte Ramón und öffnete die Tür.

Meredith und Reseda standen am Fenster. Die rothaarige Dame hatte ihre Arme um die Hüften ihrer Frau geschlungen und Reseda musste mit dem Rücken an Meredith gelehnt sein, denn man sah nur ihr braunes Haar.

Als die beiden Frauen das Geräusch der aufgehenden Tür hörten, drehten sie sich mit fragenden Gesichtern um.

„Hallo ihr beiden…“, begann Ramón freundlich.

„Was? Schon Zeit fürs Frühstück?“, fragte Meredith kalt und schob sich ein Stückchen vor Reseda.

„Nein… Also ja, das kommt gleich. Aber ich wollte nach euch sehen. Wie geht es euch?“

„Das kannst du dir sparen!“, zischte Reseda mit heiserer Stimme und Meredith langte nach hinten mit ihrem Arm, um sie zurückzuhalten.

„Uns geht es den Umständen entsprechend. Ich bräuchte noch mal frische Kleidung, wenn das möglich wäre. Und meine Frau bräuchte noch etwas neue Medizin, geht das?“

„Ja sicher. Florin, geh doch bitte zu Jytte und sag ihr Bescheid. Die Dienstmagd, die uns eben Kaffee gebracht hat während der Sitzung…“

„Ach so, ja, die… Ja mache ich, bis gleich“, nickte Florin und machte auf dem Fuß kehrt, um Jytte zu suchen.

„Wer war das? Dein neuer Schoßhund?“, murmelte Mer abwertend.

„Nein. Was ist heute mit dir los, Meredith?“ Ramóns Frage war nicht als Provokation gemeint und das wusste Meredith auch. Dennoch stieg die Wut immer mehr in ihr hoch. Warum war dieser Ekel so nett zu ihr?

„Ramón…“, sagte sie langsam, „Tu mir den Gefallen und lass uns in Ruhe, es sei denn, du willst uns hier rausholen.“

„Ich… Also…“, stammelte Ramón unsicher.

„Das reicht mir als Antwort. Lass uns das bisschen Frieden, was wir hier noch haben können und geh.“

Ohne ein weiteres Wort schloss Ramón die Tür. Er lehnte sich mit seinem Rücken an die Wand und beschloss, es wäre besser, nicht nach Glindas Eltern zu sehen – auch für sein eigenes Wohlergehen.

Also wartete er, bis Florin wiederkam.
 

„Schatz, dein Herz klopft aber wild…“, flüsterte Resi und kuschelte sich an Merediths Brust. Die beiden hatten sich wieder zum Fenster gedreht, jedoch stand Reseda nun mit dem Rücken dazu.

„Ich bin auch … verdammt sauer…“, zischte Meredith durch aufeinander gepresste Zähne hindurch.

„Ich auch… Aber… ehrlich gesagt verstehe ich auch nicht, warum Ramón so… scheiße freundlich zu uns ist. Vielleicht will er was von uns…“, mutmaßte Resi mit geschlossenen Augen. Sie konnte fühlen, wie sich Meredith Herzschlag langsam wieder normalisierte.

„Na zugucken lasse ich ihn bestimmt nicht!“, flüsterte Meredith ihrer Frau ins Ohr, welche am Klang der Worte hören konnte, dass Meredith ein Lächeln auf den Lippen lag.

„Was meinst du?“, fragte sie neugierig und hob den Kopf. Als sie jedoch in die funkelnden Augen blickte, wusste sie, was ihre Ehefrau da gerade gemeint hatte.

„Meredith Schiforsan!“, rief sie empört aus und kicherte dabei, „Du bist unmöglich!“

„Ich weiß…“, lachte Meredith, „Aber darum hast du dich in mich verliebt.“

„Ohja…“, lächelte Resi und ihre Gesichtszüge wurden ganz weich. Die rothaarige Frau wusste, dass Resi gerade in Erinnerungen schwelgte.

Langsam lehnte sie sich vor und küsste Reseda auf den Mund.

„Frühstück im Bett?“, fragte sie zwinkernd, als sich die Lippen wieder voneinander trennten.

„Aber einer muss gleich aufstehen und es holen gehen…“, schmollte Resi mit Kindesmiene.

„Das werde ich dann wohl sein…“, seufzte Meredith gespielt.

„Und darum liebe ich dich auch!“, grinste die brünette Frau und zog Mer zum Bett.
 

„Ah, da bist du ja wieder…“, sagte Ramón, als Florin den Flur entlangtänzelte.

‚Komischer Typ…’, dachte sich Ramón, als er sah, wie Florin sich bewegte.

„Ja, ich habe dieser Jytte alles gesagt. Was machen wir jetzt? Warst du schon bei den anderen beiden?“, fragte Florin neugierig.

„Jaja, da ist auch alles in Ordnung“, log Ramón und zog Florin am Uniformärmel aus dem Gefangenenflur, „Ich würde sagen, wir gehen erst Bericht erstatten und dann Mittag essen?“

„Oh, klingt super. Das war ein ganz schön langer Ritt, ohne etwas zu essen…“, murmelte Florin und eilte hinter Ramón die Stufen hinunter.
 

Es dauerte nicht lange und es klopfte an der Tür.

„Das ist bestimmt Jytte!“, flüsterte Resi, „Sie ist die Einzige, die anklopft und dann wartet…“

„Ich komme schon!“, rief Meredith, küsste Resi dann noch einmal und stieg aus dem Bett.

„Guten Morgen Meredith, hier ist Ihr Frühstück. Ich werde in zwei Stunden noch einmal vorbei schauen. Auf Wiedersehen!“, sagte Jytte etwas lauter als es angebracht wäre und bevor Meredith irgendetwas sagen konnte.

Mit dem Tablett in der Hand blieb die Dienstmagd jedoch stehen und schaute erst nach rechts und dann nach links.

Meredith beobachtete diese Szene mit einer hochgezogenen Augenbraue und sah Jytte dann fragend an, als diese ein Stückchen nach vorne kam.

„Meredith…“, begann Jytte zu flüstern und Resi erhob sich vom Bett, „Unter dem linken Teller liegt ein Brief von Margo für Sie. Lesen und vernichten, habe Sie das verstanden?“

Überrascht starrte Meredith in die ehrlichen Augen der jungen Frau und nickte nur. Margo hatte ihr zwar während des Telepathiemoments verraten, dass sie mit Jytte zusammenarbeiten würde, aber sie hatte nicht mit einer so schnellen Nachricht gerechnet.

„Gut! Dann guten Appetit!“, sagte Jytte nicht mehr flüsternd, aber dennoch leise genug und schloss dann wieder die Tür.

Regungslos stand Meredith mit dem Tablett in der Hand vor der geschlossenen Tür.

„Mer?“, fragte Resi leise und legte eine Hand auf die Schulter ihrer Frau.

Meredith drehte sich langsam um: „Wir haben Post!“, flüsterte sie, ging an einer erstaunten Reseda vorbei und stellte das Tablett auf den kleinen Tisch.

„Gegessen wird später!“
 

Jytte ging langsam über den Flur zum nächsten Zimmer. Ob Meredith bis eben nicht gewusst hatte, dass sie auch eine ‚von’ ihnen war? Hatte Margo nicht gesagt, die beiden wüssten bescheid?

‚Und wie soll ich Margo jetzt noch erreichen und ihr sagen, dass die Damen den Plan geändert haben? Anstatt des Messers einen giftigen Zaubertrunk… Sehr gerissen… Da fällt die Schmerzensgrenze weg…’, dachte sie verächtlich und wäre beinahe an das Zimmer von Elaine und Orez vorbei gelaufen.

‚In weniger als 24 Stunden wird der Trupp zurückkehren…’

Mit diesem Gedanken klopfte sie an die zweite Tür und sie wusste, die Zeit wurde knapp. Sehr knapp.



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Kommentare zu dieser Fanfic (55)
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Von:  Shane66
2011-11-10T10:43:58+00:00 10.11.2011 11:43
Leute Leute, ich hab vorgestern angefangen diesen FF zu lesen und bin eben gerade fertig geworden.
Konnte einfach nicht mehr die Finger davon lassen. Sogar während meiner Arbeitszeit hab ich heimlich gelesen. :-)
Diese Story ist unheimlich süß geschrieben. Sie geht sehr ins Detail was mir gut gefällt, dadurch kann ich mir als Leser alles sehr gut vorstellen.
Zum niederknien ist natürlich die Beziehung zwischen Glin und Elphie. Einfach herzerwärmend die beiden, zwischendruch war ich wirklich aufgeregt ob die beiden es wirklich schaffen zusammen zu kommen. Und jetzt diese beiden "Träume" im letzten Kapitel. Die haben mich zu Tränen gerührt.

Deswegen meine große Bitte:
Bitte bitte schreibt denn FF weiter. So eine tolle Geschichte muss meiner Meinung nach einfach beendet werden und nicht einfach halb angefangen hier stehen gelassen.

Bitte bitte schreibt weiter.

Liebe Grüße, Shane
Von: abgemeldet
2010-09-07T15:55:14+00:00 07.09.2010 17:55
*kreisch*
OMG OMG OMG
Mein Herz rast und ich hab wieder Tränen in den Augen
endlich haben sie es geschafft, ich glaub die letzen 2 Kapis sind für mnich bloß noch formsache *dahinschmacht*
Von: abgemeldet
2010-09-07T15:46:54+00:00 07.09.2010 17:46
*am Boden liegt und weint*
Das ist doch jetrzt ein riesen Scherz oder?
Ich mein wie kannst du Elphie bloß so dumm sein lassen
*mich in die Ecke leg und weiter wein*
Von: abgemeldet
2010-09-07T14:19:45+00:00 07.09.2010 16:19
Ach man ey Wann werden sie es sich endlich gestehen,. Das ist die reinste Folter hier *schmoll*

Von: abgemeldet
2010-09-06T15:50:33+00:00 06.09.2010 17:50
Die Gespräche zwischen Glindfa und Elphie sind so toll. Ich kann gar nicht sagen wie schön, ers berührt mein Herz einfach so sehr
Von: abgemeldet
2010-09-06T14:05:39+00:00 06.09.2010 16:05
*schnüff*
gott ich wein gleich.
Ich kann Glindas Gefühle verstehen aber auch Elphies. Ach ich muss einfach weiter lesen
Von: abgemeldet
2010-09-06T13:52:17+00:00 06.09.2010 15:52
Ey alta wann endlich begegnen sich die beiden bewusst, langsam hab ich keine Lust mehr auf das herausszögern *grummel*
Von: abgemeldet
2010-09-06T13:16:32+00:00 06.09.2010 15:16
Mein Herz schlägt immer schneller oh gott ich bin so aufgeregt *hinb und her hüpf*
Von: abgemeldet
2010-09-06T12:20:01+00:00 06.09.2010 14:20
Boah ey *mit Faust wedel*
Das kann doch wohl nicht sein *grummel*
Ey das sind alles solche Arschlöcher *fauch*
Von: abgemeldet
2010-09-06T12:13:23+00:00 06.09.2010 14:13
OMG OMG OMG *kreisch*
Mehr kann icxh grad nicht sagen *weiterles*


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