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Mississippi Dreams

von

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Ein Unglück kommt selten allein Teil 01

Hinweis:

Es tut mir wirklich leid, aber ich hab beim letzten Mal hochladen statt des zweiten Kapitels das dritte hochgeladen. Hab das geändert, aber die Änderungsquote ist zu hoch und deswegen muss es noch mal freigeschaltet werden.

Das dritte hier kennt ihr also schon.

Ich wäre euch total dankbar, wenn ihr das zweite Pitel lesen würdet, wenns denn online ist.

Ich bitte nochmal vielmals um Entschuldigung.

*allen Kekse zum Wartezeit vertreib hinstell*
 


 

Kapitel 03
 

Ein Unglück kommt selten allein Teil 01
 

Um vier Uhr am selben Nachmittag stand June vor dem Spiegel in seinem Schlafzimmer, und Tudi versuchte die Nähte der viel zu kleinen Anzugjacke auszulassen, damit sie ihm überhaupt passte, während Sissie dabei war, die Beine der dazu passenden Hose zu verlängern.

June schnitt eine Grimasse. Er sah schlimmer aus, als die Sklaven, die den ganzen Tag auf den Baumwollfeldern schufteten.

Das weiße Baumwollhemd hatte ihm Tudi von ihrem Mann mitgebracht. Das war das einzige Kleidungsstück, was ihm zu groß war. Er sah darin aus wie ein Schluck Wasser.

Es nutzte alles nichts. Als June sich im Spiegel sah, wurde ihm flau im Magen.

»Ich sehe einfach grässlich aus«, sagte er aus tiefer Überzeugung.

»Nein, Lämmchen, ganz bestimmt nicht«, protestierte Tudi, die nun hinter ihm stand und sein Spiegelbild betrachtete, indem sie über ihn hinwegschaute, weil sie einen halben Kopf größer war als er selbst.

»Du siehst gut aus, June«, fügte Sissie hartnäckig hinzu, doch June ließ sich nichts vormachen. Seufzend drehte er sich vom Spiegel weg und setzte sich aufs Bett. In der kurzen Zeit war es sowieso nicht möglich aus ihm, dem hässlichen Entlein etwas zu machen. Und wenn er ehrlich war, war es ihm auch egal wie er aussah. Die anderen würden eh über ihn lästern und ihn schlecht machen, allen voran seine Stiefmutter. Und er war dazu verdammt gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Am liebsten wäre er weggelaufen. Doch alles aufgeben…? Die Plantage, die sein zu Hause war, um das er sich geschworen hatte zu kämpfen?

Im Moment erschien June alles hoffnungslos. Zusammengesunken und entmutigt saß er da und bemerkte nicht mal die zweifelnden Blicke, die Sissie und Tudi austauschten.

Die beiden gaben sich alle Mühe das beste aus dem alten Anzug herauszuholen. Der Stofff war einmal von einem schönen Blauton gewesen, als sein Vater damals mit ihm einkaufen gewesen war. June erinnerte sich daran, als wäre es erst gestern gewesen.

Dann verblassten die Erinnerungen jedoch und die Realität holte ihn wieder ein. Bereits acht Jahre lag das zurück und es war klar, dass er nicht mehr in den Anzug passte. Nach einer Weile reichte Sissie ihm die Hose und June schlüpfte herein. Trotz ausgelassener Nähte und angenähtem Stoff, damit die Beine ihm wenigstens bis zu den Knöcheln reichten, fühlte er sich darin total eingeengt. Auch die Anzugjacke, die er über das viel zu große schlabbrige Hemd streifte war viel zu klein, zwickte überall und war furchtbar unbequem.

Abermals kam ein Seufzend über seine Lippen und June wagte es nicht, noch einen Blick in den Spiegel zu werfen. Es sah bestimmt noch schrecklicher aus, als er sich fühlte.

Kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, erschien Ceciles fragile Gestalt in der Tür.

Zu allem Überfluss trug sie auch noch Spitzenhandschuhe und einen bemalten Fächer.

»Gütiger Himmel!«, rief sie aus, als ihr Blick auf June fiel und sie die Augen belustigt aufriss. Sofort kam June sich wie eine hässliche Sumpfkröte vor und wäre am liebsten im Boden versunken.

»Ich nehme an, da lässt sich nichts machen«, höhnte Cecile, bevor sie einen freundlicheren Tonfall anschlug. »Jedenfalls bin ich froh, dass du fertig bist. Logan wartet schon auf uns.«

Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Tudi.

»Vergiss nicht mein Bettzeug morgen zum Bleichen in die Sonne zu legen. Es ist schrecklich vergilbt. Allerdings hält dieser ausgeblichene Anzug den June trägt eindeutig den Rekord!«

»Ja, Mam.«

Tudis Gesicht wurde finster, doch Cecile hatte sich schon abgewandt.

»Kom jetzt, June. Und denk daran, was ich dir gesagt habe, mein Lieber.«

Cecile war bereits auf der Treppe und ihre Stimme klang plötzlich wie Zuckerwatte so süß - June vermutete, zu Recht, wie sich heraus stellen sollte, dass Logan Riplay sie unten in Hörweite erwartete.
 

»Du darfst mich küssen, June, denn schließlich gehörst du ja bald zur Familie.« In diesem Moment hielt ihm Miss Flora Riplay auch schon die verknitterte Wange hin und June tat sein Bestes, um sie nicht allzu finster anzusehen. Letztendlich blieb ihm nichts anderes übrig als ihr einen Kuss zu geben.

»Mich darfst du auch küssen, wenn du magst, June«, sagte Miss Laurel Riplay, als June sich gerade wieder aufrichtete. Tief holte er Atem, ehe er der anderen älteren Dame einen flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte. Dann nahm Miss Laurel seine Hände und die beiden Damen strahlten ihn an, während June krampfhaft versuchte das Lächeln auf seinem Gesicht beizubehalten. Es kostete ihn richtig Mühe, weil ihm überhaupt nicht nach Lächeln zu Mute war, eher zum Gegenteil und June bezweifelte nicht, dass sein aufgesetztes Lächeln überzeugend genug wirkte.

Das Pinknick, dass die Damen Riplay anlässlich der Verlobung ihres Neffen veranstaltet hatten, hatte bei anbrechender Dunkelheit nun endlich seinen Abschluss gefunden. Die Gesellschaft, zu der alle Nachbarn und auch ein paar Freunde aus der Umgebung eingeladen worden waren, hatte sich dann ins Haus zurück gezogen. Das Picknick war schon schlimm genug gewesen, doch als June festgestellt hatte, dass jetzt getanzt wurde, hatte er sich in eines der hinteren Zimmer geschlichen, um dem ganzen Trubel zu entkommen, der sich immer weiter zum Desaster entwickelte. Doch zu seinem Entsetzen war er dort den alten Damen in die Arme gelaufen, die eine hitzige Auseinandersetzungen führten, wessen Schuld es sei, dass das Eis geschmolzen war, ehe es serviert werden konnte.

Er kannte Miss Flora und Miss Laurel von Geburt an, wenn auch nur wenig und wie man eben Nachbarn kennt, die ein paar Kilometer weiter weg wohnen. Bis zu diesem Moment hatten sie nie sonderlich Interesse an ihm gezeigt. Aber jetzt betonten sie deutlich, da sich ihr Neffe mit seiner Stiefmutter verheiratete, sei June ja (mehr oder weniger ) ihr Großneffe.

Sie schweiften dauernd vom Thema ab und fielen einander noch häufiger ins Wort, als die beiden June zu verstehen gaben, dass es ihn sehnlichster Wunsch sei, ihren Neffen in ihrer Nähe zu haben, denn er war ihr nächster männlicher Verwandter, der noch am Leben war.

Das war auch der Grund, weswegen sie Logan eingeladen hatten. Nicht nur einmal, nein! Unzählige Male. Man musste sich ihre Begeisterung vorstellen, als er endlich doch vor der Tür gestanden hatte!

Und dann war er auch noch so charmant und gutaussehend, ihrem kleinen Bruder, der sein Vater gewesen war, wie aus dem Gesicht geschnitten! Natürlich würde Tulip Hill eines Tages an ihn übergehen. Allerdings war ihre Familie äußerst langlebig. Ihre Mutter war einundneunzig geworden, und deren Mutter war erst einen Monat vor ihrem hundertsten Geburtstag verstorben. Daraus schlossen Miss Flora und Miss Laurel mit einem verschwörerischen Blick, dass es noch ein paar Jährchen dauern konnte, bis Logan sie beerbte, denn sie waren beide erst in ihren Sechzigern.

»Und warum tanzt du nicht, mein Kind?«, fragte Miss Flora June unerwartet, der darauf im ersten Moment überhaupt keine gescheite Antwort parat hatte.

»Ich.. ich…«, stammelte June, der sich einfach hatte überrumpeln lassen. Tatsache war, dass er nicht tanzen konnte. Noch schlimmer war aber, dass er sich überhaupt nicht vorstellen konnte jemanden aufzufordern. Bei seinem Anblick ergriffen die Mädchen sowieso gleich die Flucht. Außerdem schien er für sie unsichtbar zu sein, was June insgeheim begrüßte. Er wollte nicht unnötig Aufmerksamkeit auf sich und seine schäbige Gestalt lenken. Und selbst wenn sich jemand für ihn interessiert hätte, hatte er überhaupt keinen blassen Schimmer, wie er sich ihnen gegenüber verhalten sollte. Mit Mädchen hatte er noch nie etwas zu tun gehabt und fühlte sich ihnen gegenüber einfach nur unbeholfen.

Das Picknick war schon reichlich unangenehm gewesen, denn all die jungen Leute hatten ihn, der ihnen mehr oder weniger ein Fremder war, höflich in ihrer Mitte aufgenommen. Aber natürlich hatten sie alle ihre speziellen Freunde und Freundinnen, denen sie sich auch gleich wieder zugewandt hatten, als sich das anfängliche Erstaunen über Junes Erscheinung gelegt hatte.

Gleich nach ihrer Ankunft, war die Verlobung verkündet worden, und die beiden Tanten hatten gemeinsam mit dem Paar die Glückwünsche entgegen genommen, die kaum den Neid der Frauen auf Cecile verhehlen konnten, weil sie diesen Mann bekommen hatte. Als June sah, wie sich die Damen jeden Alters nach Logan verzehrten, gelang es ihm kaum, seinen Hohn zu verbergen. Wie dumm sie doch alle waren, nur sein gutgeschnittenes Gesicht zu sehen, aber nicht, was dahinter steckte!

Er hatte sich hinter dem gelben Forsythienhain ganz wohl gefühlt, während er die Festlichkeiten beobachtet hatte, ohne selber gesehen zu werden. Und selbst dort war er sich fehl am Platze vorgekommen. June fand einfach, dass er nicht zu dieser vornehmen Gesellschaft passte.

Doch schließlich hatte es sich Oscar Castel in den Kopf gesetzt zu seiner Rettung beizutragen. Der braunhaarige Oscar, den er wie alle anderen fast von klein auf kannte, war ein schlanker, recht gut aussehender junger Mann geworden, doch vom Charakter her konnte man ihn recht genau mit Cecile vergleichen. Von außen schleimig nett und einschmeichelnd und innerlich stahlhart. June hatte ihn noch nie gemocht und Oscar hatte schon vor langer Zeit von seinem Vater zu hören bekommen, dass ein wohlerzogener junger Mann sich nicht mit so einem Bauerntrampel wie June abzugeben hatte. Daher war June sehr erstaunt, als Oscar um den Forsythienhain herumsteuerte und ihn in scherzhaften Tonfall ausschalt, sich so abzusondern.

June hatte nicht einmal die Chance sich gegen diesen Kerl zu wehren, der ihn auch gleich fast schon schmerzhaft am Oberarm gegriffen und mit sich gezerrt hatte.

Bess Lionel, Oscars Begleiterin musterte June mit einem interessierten Blick, aber June war das nur peinlich. Er senkte den Blick und starrte krampfhaft zu Boden. Innerlich hatte er gebetet, dass es bald vorbei sein möge.

Oscar hatte ihn an den langen Tisch gezogen, den man für die jungen Leute aufgestellt hatte. Mit einer kurzen fröhlichen Vorstellung durch Oscar wurde dann schließlich alle Aufmerksamkeit auf June gelenkt, der am liebsten im Boden versunken wäre, als sich alle Augenpaare auf ihn und seine bedauerliche Gestalt richteten. Als die anderen ihn begrüßten, blieb June nichts anderes übrig, als sich zu einem Lächeln zu zwingen, so elendig es ihm auch ging, und sich ihnen anzuschließen.

Dort hatte er die schier endlos erscheinende Mahlzeit hinter sich gebracht. Während des Essens redete niemand mit ihm. Es wurden nur die plattesten Höflichkeiten ausgetauscht. June hatte sich so elend wie noch nie in seinem Leben gefühlt und war sich unendlich fehl am Platze erschienen, aber wenigstens hatte er sich mit dem Essen abgelenkt, es von einer Seite des Tellers auf die andere geschoben und ein paar Muster gebastelt. Heruntergebracht hatte er nichts, dazu war ihm viel zu schlecht gewesen.

Aber der anschließende Tanz – oder besser der Umstand, dass er sowieso niemanden finden würde, der mit ihm tanzte, während alle zusehen konnten und ihn zurecht als Außenseiter abstempeln würden – war eine Tortur, die er glaubte nicht verkraften zu können, nicht nach allem, was er heute schon durchgestanden hatte.

»Ist das nicht süß, wie schüchtern er ist«, schwärmte Miss Laurel und zwinkerte ihrer Schwester zu. June verdrehte nur die Augen und verkniff sich einen Kommentar. Es brachte ja sowieso nichts zu widersprechen. Innerlich seufzte er tief.

»Keine Sorge, June, wir werden uns um dich kümmern. Komm mit, mein Lieber…«

»Bitte… ich…« Jeder Protest war zwecklos. Miss Laurel hing sich bei June ein, als wäre er ihr Kavalier, und zog ihn ans andere Ende des Hauses. Die Musiker auf der kleinen Bühne spielten gerade eine Quadrille.

Auf kleinen Stühlen an den Wänden des Raumes saßen zurückhaltend gekleidete verheiratete Frauen jeden Alters und unterhielten sich leise miteinander.

Sie würden den ganzen Abend damit zubringen, den tanzenden Paaren zuzusehen und an den Mädchen und ihren Kavalieren Kritik zu üben, und sie würden nur mit ihren Ehemännern oder mit ihren Brüdern tanzen. Vor ihnen ängstigte sich June am meisten, denn sie hatten die schärfsten Zungen und konnten genauso verletzend daher reden wie Cecile.

Die älteren Herren, die zweifellos ohne Ausnahme von ihren Frauen dazu überredet worden waren, mitzukommen, hatten sich um die Punschschale herum versammelt, die zusammen mit anderen Erfrischungen in einem kleinen Vorraum stand. Sie diskutierten über erlegtes Wild und das Fallen der Baumwollpreise. Mitten im Raum tanzten vielleicht zweiundzwanzig Paare. June kannte sie natürlich alle, kannte sie schon von Geburt an, aber… aber…

Die Mädchen wiesen in ihren pastellfarbenen Kleidern wenig Ähnlichkeit mit den verspielten Kindern auf, an die er sich noch aus alten Zeiten erinnerte, ehe ihre Mütter beschlossen hatten, dass June für sie wohl doch kein so angemessener Freund für ihre reizenden Töchter war. Jede einzelne von ihnen sah so hübsch aus und die schimmernden Haare waren so raffiniert zurück gebunden, dass June gar nicht wusste, wo er zuerst hinschauen sollte.

Sie hatten sich zum Tanzen anscheinend umgekleidet und trugen nicht mehr das, was sie beim Picknick angehabt hatten. Dann schweifte sein Blick weiter zu den jungen Männern. Vorhin schon waren sie alle in schönen schwarz glänzenden Anzügen erschienen, die bis zur Fliege hin perfekt saßen und deren schlanke hochgewachsene Gestalten noch betonten.

Im Vergleich dazu fühlte June sich noch viel deplazierter als vorher.

Schon beim Zuschauen spürte June gewaltige Hemmungen in sich aufsteigen. Er selbst war sich nur allzu klar über die Unvollkommenheit seiner äußeren Erscheinung.

Hätten ihn doch bloß alle in Ruhe gelassen, denn dann hätte er sich davon geschlichen und irgendwo unbemerkt abgewartet, bis es an der Zeit war, sich auf den Heimweg zu machen.

Doch die Damen Riplay hatten ihre eigenen Vorstellungen.

Miss Flora hing sich auf Junes anderer Seite ein. Sie zogen ihn mitten ins Getümmel.

»Soo.. dann wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht eine Partnerin für dich finden können«, meinte Miss Flora zu Junes Entsetzen und blieb stehen, um sich umzuschauen. Da er sich weder losreißen konnte, noch eine Möglichkeit sah, den beiden Damen auszuweichen, ohne allzu unhöflich zu wirken, war June gezwungen, zwischen ihnen stehen zu bleiben. Ihm war jämmerlich bewusst, wie schrecklich er zwischen den beiden aussehen musste.

Die Damen Riplay waren genauso klein wie June, aber sehr rundlich. Nichts desto trotz trugen sie wunderschöne Satinkleider, Miss Laurel in Lavendel und Miss Flora in bordeaux.

Die Musik wurde lauter. Gelächter und Stimmengewirr hingen in der Luft.

Chancey Dart tanzte mit Eleanor Bidswell, die in einem Kleid aus apfelgrüner Gaze einfach fantastisch aussah an ihnen vorbei. Im Alter von sieben Jahren hatte June ihn als Chance gekannte, doch der stattliche Rothaarige wies kaum noch Ähnlichkeit mit dem Kindheitsfreund auf, den er damals gekannt hatte. Der Dunkelhaarige Lewis Russel tanzte mit der gertenschlanken Susan Latow, die in einem blaugesprenkelten Musselinkleid steckte und Howie Duke, der durch seinen gut geschnittenen Anzug seine Molligkeit gut kaschieren konnte, hatte Margaret Culpepper als Partnerin.

Am Rand des Saales saß Michele Flake und wartete offensichtlich auf ihren Tanzpartner, der gerade etwas zu trinken holen musste. Michele war schon immer ein hübsches Mädchen gewesen und sah in ihrem gelben Satinkleid einfach wundervoll aus. Sie hatte braune Locken und unter langen Wimpern musterten himmelblaue Augen die Umgebung.

Ohne sich weiter umsehen zu können, um einen Fluchtweg zu finden, wurde June plötzlich zu Michele gezogen.

»Oh hallo, Michele…«

Voller Entsetzen hörte June, dass Miss Flora gerade dieses Mädchen ansprach. Er drehte sich zu der alten Dame um, wollte Einspruch erheben, denn das ging nun wirklich nicht. Michele war eines der schönsten Mädchen auf dieser Feier und es würde ein ausnahmsloses Desaster werden, wenn ausgerechnet er mit ihr tanzte. Sie hatte doch schon längst einen Freund!

Doch es war schon zu spät.

»Ja, Miss…« Mit gewohnt guten Manieren drehte sie sich um und zog fragend die Augenbrauen hoch, als sie Miss Flora sah. Sie beugte sich ein wenig zu der alten Dame hinunter, um sie besser zu verstehen, da der Geräuschpegel im Saal bereits beträchtlich angestiegen war. Dann wandte sie den Blick von Miss Flora ab und sah stattdessen ihn an und June glaubte sterben zu müssen vor Scham.

»Komm, meine Liebe… tanz mit June.« Bei diesem Befehl wäre der Blondschopf am liebsten im Erdboden versunken. Sein Gesicht wurde mit einem mal ganz heiß, als Michele kurz zögerte. Ihr Blick glitt in das Gemenge auf der Tanzfläche. Dann zuckte sie die Achseln und kam mit einem Lächeln auf ihn zu…

Wenn ein Tornado durchs Land gefegt wäre und Tulip Hill samt seinen Gästen in ein anderes Lang geweht hätte, hätte June das als Erlösung empfunden. Wie gesagt, wenn…

Doch es blieb keine Zeit mehr für ein Wenn und Aber. Michele stand vor ihm und June war in seiner Verlegenheit derart erstarrt, dass er sie nicht ansehen konnte. Und noch weniger gelang es ihm, das zu verhindern, was ihm jetzt bevor stand.

Von Miss Laurel bekam er einen kräftigen Stupser in die Seite und nahm die zarte Hand, die Michele ihm bereits hinhielt. Seine Handflächen waren feucht vor Nervosität und er war wie gelähmt, als er in ihr Gesicht blickte. Was konnte er bloß tun? Was sollte er bloß sagen? Er wollte nicht, dass sie nur mit ihm tanzte, weil ihm nichts anderes übrig blieb.

»Nun… wollen wir dann tanzen, oder hast du es dir anders überlegt?«

Hilflos sah er zu Miss Laurel und Miss Flora.

»Nun geh schon, June. Hab deinen Spaß und mach dir um uns keine Sorgen. Natürlich hatten die beiden sein Zögern bemerkt und, sei es aus Unwissenheit oder aus Herzensgüte, hatten es auf seinen Unwillen zurückgeführt, seine beiden Gastgeberinnen allein stehen zu lassen.«

»Ich…« June machte den Mund auf, um abzulehnen, um Michele zu sagen, dass sie glimpflich davongekommen war, weil er nämlich nicht tanzen konnte und auch gar nicht tanzen wollte, und wenn schon, dann am allerwenigsten mit ihr. Doch Michele schien das alles ernster zu nehmen als es war und zog ihn nun ihrerseits zur Tanzfläche, ohne das ihm eine große Wahl blieb.

»June wir jetzt bald unser Neffe sein!«, rief Miss Flora – oder war es Miss Laurel? – noch nach, als Michele mit ihm auf die Tanzfläche ging. Dann wandte sie sich lächelnd zu ihm um, während ihm kalter Schweiß über den Rücken lief und seine Füße fühlen sich plötzlich genauso gelähmt an wie seine Zunge.

Ein neues Stück begann mit einem lebhafteren Rhythmus. Ein Murmeln zog über die Tanzfläche.

»Ein Reel!«, tönte es plötzlich von allen Seiten. Jubelnd wurde Beifall gespendet, und dann gingen alle auseinander, um sich für den Tanz in Reihen aufzustellen. Michele sah ihn lächelnd an und June war nahezu benommen vor Erleichterung, weil ihm das grässliche Eingeständnis erspart blieb, dass er nicht tanzen konnte. Ganz zu schweigen von dem Anblick, den er mit Sicherheit geboten hätte, wenn er es versucht hätte und daher gelang ihm das so ziemlich erste echte Lächeln an diesem bescheidenen Tag. Es kam zu neunzig Prozent aus reiner Erleichterung zustande, doch es war immerhin ein Lächeln.

Als June gerade dachte, es müsse wohl doch einen Gott im Himmel geben, als er gerade seinem Schutzheiligen, seinem Glücksstern oder sonst wem danken wollte, nahm Michele ihn erneut an der Hand und sie schlossen die Reihen. Die Herren stellten sich auf der einen Seite auf, die Damen auf der anderen.

Der Reel war allgemein beliebt. Deshalb tanzten jetzt nicht nur die jungen Leute, sondern auch die älteren. Zu seiner Linken stand Howie Duke, zu seiner Rechten Chancey Dart. Der Geiger trat an den vorderen Rand der Bühne und begann zu spielen.

Cecile und Logan tanzten als Ehrengäste als erstes durch den Korridor aus lachenden und klatschenden Paaren. Als er die beiden ansah, vermutete June, dass sie gemeinsam ein gutes Bild abgaben. Für Cecile stellte dieser Abend einen Triumph dar und es war ihr deutlich anzumerken, dass sie jeden einzelnen Moment vollkommen auskostete. Mit Sicherheit war sie hübscher, als June sie bisher überhaupt gesehen hatte und was Logan Riplay anging… June musste zugeben, auch wenn er es sich auch noch so ungern eingestand, dass er in seinem eleganten schwarzen Abendanzug ein Anblick war, der einem den Atem rauben konnte. Und das nicht nur den Frauen…

Nur das bewies mal wieder, wie recht das alte Sprichwort hatte, Schönheit ginge nicht unter die Haut. Doch er war sicher das einzige Wesen in diesem Raum, das sich nicht in den Bann seiner schönen Fassade ziehen ließ. Seit Riplays Ankunft waren ihm die Blicke der Frauen unablässig gefolgt. Die Kühneren hatten ganz offensichtlich mit ihm geflirtet, wenn sie auch widerwillig anerkennen mussten, dass Cecile bereits Anspruch auf ihn hatte. Dennoch versuchten sie nachdrücklich ihr Glück und June fand das so was von ätzend. Er verstand die Frauen einfach nicht, würde es nie tun.

Sogar manche der älteren Damen hatten ihn mit mehr als nur einem flüchtigen Blick bedacht. Man musste Riplay zu Gute halten – und June wollte sich nur ungern eingestehen, dass es überhaupt etwas gab, was für ihn sprach, und er suchte immer noch nach einem Motiv, mit dem sich seine Zurückhaltung erklären ließ – dass er keiner der Damen mehr als höfliche Aufmerksamkeit entgegen gebracht hatte. Er war den ganzen Tag an der Seite seiner Verlobten geblieben, wie es sich gehörte, während Cecile ihn herumgezeigt hatte wie eine Jagdtrophäe und sich mit ihm vor allen Frauen gebrüstet hatte, weil sie ihn bekommen hatte und die anderen sich nur wünschen konnte, ihn zu haben.

June konnte das kaum mit ansehen, ohne Übelkeit in sich aufsteigen zu spüren. Aber über Ceciles wortloses Prahlen und das betont charmante Lächeln konnte man kaum hinweg sehen.

Cecile und Logan wurden bejubelt als sie durch die Reihen getanzt waren. Darauf folgte ein älteres Paar, das June nicht beim Namen kannte. Zu seinem Erstaunen hatte Miss Flora in dem verwitweten Dr. Angus Maguire einen Partner gefunden und dieses ältere Paar wurde ebenfalls bejubelt.

June war derart in den Anblick vertieft, dass er nicht bemerkte, dass Michele und er an der Reihe waren, bis Chancey Dart mit seiner Partnerin vortrat. Zweifelnd sah er den beiden hinterher und allmählich keimte Entschlossenheit in ihm auf. Er musste es schaffen, und er würde sich nicht vor allen Leuten lächerlich machen und schon gar nicht vor Michele, die das Übel auf sich genommen hatte, mit ihm zu tanzen. Wenigsten sie wollte er nicht blamieren.

Die Musik war gar nicht so schlecht und ein bisschen ließ sich June von dem heiteren Gelächter anstecken.

Michele lächelte ihn die ganze Zeit über an und für June sah die Welt nun nicht mehr ganz so trostlos aus. Er begann sogar die Hoffnung zu hegen, dass Michele ihn vielleicht doch nicht so schrecklich fand und es schaffte den Jungen in ihm zu sehen, der hinter den verschlissenen Sachen steckte.
 

Micheles Hände waren warm, ihre Haut zart und trocken. Er hielt ihre Hände fest in seinen und lächelte sie an und irgendwie schaffte er es ans Ende der klatschenden Reihen. Seine Wangen waren leicht gerötet, während er alle Gedanken verbannte. June ließ sich von dem Lachen der anderen mitreißen, klatschte und tanzte durch den Gang, wenn er an der Reihe war und wusste nur, dass es an diesem Tag, der so schrecklich angefangen hatte, doch noch ein paar angenehme Momente für ihn gab. Das hätte er nicht zu hoffen gewagt.

Als der Tanz vorbei war, senkte June ein wenig verlegen den Kopf. Jetzt würde Michele ihn bestimmt stehen lassen. Kurz kaute er unsicher auf seiner Unterlippe herum, bevor er ihr seinen Arm anbot, den sie zu seiner Überraschung mit einem Lächeln annahm.

June wagte einen scheuen Seitenblick und hoffte darauf einen Einstieg in ein Gespräch zu finden, doch ihm fiel absolut nichts ein, über das er mit ihr reden konnte. Dennoch lächelte er sie an.

»Ähm… soll ich dir vielleicht einen Becher Punsch holen?«, fragte June immer noch unsicher und nun wieder etwas nervöser.

»Das wäre sehr nett«, gab Michele zurück und bedachte ihn mit einem koketten Augenaufschlag. Gesittet verschlang sie ihre Hände ineinander und June nickte einfach nur, bevor er sich umdrehte und am Rande des Saals zu den Tischen mit den leicht alkoholischen Getränken strebte. Eine gewisse Erleichterung überkam ihn, sowie er aus Micheles Reichweite war. Gott sei dank hatte er jetzt einen Moment Zeit, sich etwas gescheites einfallen zu lassen, was er sagen konnte.

Worüber redeten Frauen wohl gerne? Kleider? Schmuck? Verzweifelt versuchte sich June an die Gesprächsfetzen zu erinnern, die er aufgeschnappt hatte, ehe Miss Flora ihn zu Michele geschleppt hatte. Während seiner Gedankengänge war June unabsichtlich stehen geblieben. Wegen seiner schäbigen Erscheinung hatte er sich instinktiv am Rand bewegt und trat nun in eine Nische zurück, als er Cecile in Begleitung von Mrs. Latow herannahen sah.

»… kann einfach nicht glauben, dass du das Kind in dieser Aufmachung auftreten lässt! Er sieht einfach lächerlich aus.«

»Also wirklich Cynthia, was erwartest du denn von mir? Er ist siebzehn, verstehst du – ja, tatsächlich! – und er hat den ganzen Schrank voller eleganter Anzüge, aber er weigert sich, sie zu tragen! Ich kann ihn schließlich nicht dazu zwingen. Und auch wenn ich das noch so ungern über meinen Stiefsohn sage, hat er eine gewalttätige Veranlagung die mir manchmal Angst macht. Aus diesem Grunde traue ich mich schon gar nicht, etwas gegen seine Kleidungswünsche zu sagen. Es grenzt schon an ein Wunder, dass ich ihn überhaupt dazu gebracht habe, heute mitzukommen. Ich musste ihn ganz schön unter Druck setzen, das kann ich dir versichern!«

»Jedenfalls wird er nie ein Mädchen finden, solange er sich so zurecht macht. Er sollte sich ein Beispiel an deinem Verlobten nehmen. Könnte seine Mutter ihn so sehen, würde sie sich bestimmt im Grabe umdrehen.«

Cecile und Mrs. Latow schlenderten ziemlich nahe an ihm vorbei. Die beiden hätten ihn sofort entdeckt, wenn sie auch nur den Kopf gedreht hätten. June sah zu Boden und die ganze fröhliche Stimmung war mit einem Mal verflogen. Er wusste, dass Cecile ununterbrochen Lügen über ihn verbreitete und dass er sich nichts daraus machen sollte, doch es tat jedes Mal von neuem weh. Mrs Latows Kommentar über seine Kleidung machte ihm noch mehr zu schaffen. Insgeheim wusste June, dass die Frau nichts als die pure Wahrheit gesagt hatte und er überlegte, ob er sich nicht einfach in einer Ecke verstecken sollte.

Doch dann schüttelte er energisch den Kopf.

Michele wartete bestimmt noch auf ihn und er wollte sich nicht auch noch vor ihr die Blöße geben. Also holte er schnell den Punsch und machte sich auf den Rückweg. Er sah Michele von weitem schon. Er musste nur noch ein Stück um eine Säule herum, doch ein Tanzpärchen schwebte förmlich an ihm vorbei, sodass June kurz stehen blieb und sie vorbei ließ. Gerade wollte er weiter gehen, da bemerkte er, dass Michele nicht mehr allein war.

James Scott war bei ihr.

»Siehst du, was habe ich dir gesagt? Er kommt nicht zurück. Ihm hat wahrscheinlich genauso sehr davor gegraut mit dir zu tanzen, wie dir, als du ihn plötzlich am Hals hattest. Ich wette er war froh, als er eine Chance hatte sich zurückzuziehen.«

»Nun ja… Ich glaube er würde nicht einfach davon laufen. Er kommt bestimmt noch zurück«, mutmaßte Michele und sah sich um. June war unbemerkt hinter den Vorhang getreten, der die Nische hinter der Säule verdeckte, durch die man seitlich auf die Terrasse kam.

»Der kommt nicht zurück… Wenn ich er wäre, würde ich mich in einem Mauseloch verkriechen und den Rest des Abends nicht mehr rauskommen«, meinte James gehässig.

»Das ist nicht nett von dir, James.« Michele sah den Schwarzhaarigen vorwurfsvoll an. Dieser verzog das Gesicht.

»Ja… Du hast natürlich Recht, und es tut mir leid«, entschuldigte er sich halbherzig. »Aber es war einfach mies! Ich hatte dir den Tanz versprochen, bin nur etwas zu Trinken holen gegangen und dann hast du mit ihm getanzt!«

»Ich weiß, James.« Michele hörte sich reumütig an. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich nichts daran ändern konnte. Was hätte ich denn sagen können, wenn Miss Flora es mir geradezu befiehlt?«

»Ja, sicher, du bist eben eine Lady. Aber wahrscheinlich hätte ich dich nur halb so gern, wenn du keine wärst.«

Gequält ballte June die Fäuste und presste sich dicht an die kühle Hausmauer. All seine Instinkte drängten ihn dazu fortzulaufen, damit er sich nicht noch mehr anhören musste, doch er konnte sich einfach nicht von der Stelle rühren.

»Und du bist manchmal ganz schön ungehobelt.« Micheles Stimme klang keineswegs missbilligend.

»Und genau das gefällt dir, das weißt du selbst.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so verschwunden ist«, meinte Michelle nun noch einmal. Es genervtes Seufzen war zu hören, das anscheinend von James kam. Dann herrschte eine Weile Funkstille zwischen den Beiden.

»Vielleicht brauchte er einen Moment Zeit für sich. Oder vielleicht hat er jemand anderes zum Tanzen gefunden.«

Michele schien ungeduldig zu werden und schließlich lachten sie beide.

»Schon gut. Ich muss dir lassen, dass das ziemlich unwahrscheinlich ist. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er nicht mehr wiederkommt, mein kleiner Sonnenschein. Und jetzt möchte ich tanzen! «

Mit einer scherzhaften Verbeugung bot James Michele den Arm an. June konnte es genau sehen, als er kurz den Kopf ein Stück zur Seite neigte und an der Säule vorbei schaute.

»Darf ich um diesen Tanz bitten, Miss Flake?«

»Sie dürfen…« Michele lächelte, knickste und nahm seinen Arm, ohne sich noch einmal umzusehen und schließlich verschwanden beide auf der Tanzfläche.

June lehnte sich wieder an die Wand und blieb einfach wo er war. Er war zutiefst dankbar für die schützende Dunkelheit, die ihn umhüllte. Plötzlich war ihm die zu kleine Anzugjacke viel zu eng und June streifte sie sich langsam von den Schultern. Trotzdem drehte sich die Welt um ihn herum auf einmal und er drückte die Stirn gegen die kalte Steinsäule. Ein trostloses Seufzen entkam seinen Lippen und er schloss die Augen, denn der Schmerz in seiner Brust war gerade so groß, dass er es kaum noch aushielt.

Dann umfassten von hinten zwei große Hände seine Oberarme. Eine Stimme, die er augenblicklich erkannte, brummte ihm ins Ohr.

»Ich hoffe du hast nicht vor wie ein Mädchen in Ohnmacht zu fallen.«
 

Tbc…
 

© by desertdevil



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  kaya17
2010-05-03T19:45:08+00:00 03.05.2010 21:45
Ne super Fanfic bisher :D liest sich toll^^ mir gefällt June total gut mit seiner Sturen Art. Ich freue mich sehr auf das weiter :)
Von:  me-luna
2010-04-18T17:26:22+00:00 18.04.2010 19:26
Oh armer June, ich kann gar nicht sagen, wie sehr mir der Junge leid tut.
Wieder eine deiner Geschichten, die süchtig macht und mir so wunderbar den Sonntag Nachmittag versüßt ^^.
Lg

me-luna


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