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Die Büchse der Pandora

pyxis pandorae
von

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Mitternacht war die Zeit der Geister.

Es war die Zeit, an der man keine Kinder nach draußen schickte, die Zeit für Morde und Verbrechen, für Blutrache und Ausbrüche.

Die erste Stunde jedes neuen Tages begann mit dieser dunklen und falschen Stunde, in der ein Leben nicht mehr zählte, als die Güte, die man ihm entgegenbrachte.

In der Stadt der Dämonen gab es kein selteneres Gut als die Güte.

Es war die erste und wichtigste Lehre, die jeder Bewohner der Stadt lernte. Und mit dieser Lehre wuchs das Misstrauen, die Missgunst, das Missvergnügen und das Missfallen.

Egoismus und kühle Berechnung waren die wichtigsten Überlebensstrategien, während dunkle Schatten durch die steinernen Gassen der Stadt umherschwebten.
 

Einer dieser Schatten ist sich sicher, dass er am nächsten Morgen nicht mehr gebunden an seinen Körper erwachen wird. Filigrane Finger halten ein Messer.

Die Nervenbahnen nehmen das kühle Metall wahr, die Augen erfassen die nahezu faszinierend schöne Reinheit der sauberen Klinge. Die Haut ist dunkel und zittert nicht und im Kopf existiert ein einziger Gedanke.

Es ist nur diese eine Sekunde die das hier von dem dort trennt.

Nur diese eine Sekunde trennt Leben und Tod.

Ich werde sie verstreichen lassen.
 

Ungewohnte Stille erfüllt die Dunkelheit. Die Füße hatten den Körper an diesen besonders verlassenen Ort geführt, diesen abgelegenen Teil der Stadt.

Es war eine Provokation, alles hier passieren zu lassen.

Hier in den Gassen vor dem Viertel der großen Dämonenhelden, die ihre Welt durch goldene Vorhänge an den kristallernen Fenstern beobachten konnten.

Hier endet es.

Sicher führt die rechte Hand das Messer an die Brust. Die treuen Finger wissen genau, wo die Spitze angesetzt werden muss, sie haben es oft geübt an fremden Körpern. Vielleicht für diesen Moment.

Die Augen schließen sich. Der Verstand will einen allerletzten Gedanken formen, irgendetwas von Bedeutung.

Aber es gelingt ihnen nicht und nur das ist auch der Grund, warum ich hier bin. Es gibt nichts von Bedeutung. Nicht für mich und nicht für irgendjemand anderen. Der Hass hat keine Bedeutung. Und der Hass ist alles, was in meinen Adern pocht.
 

Alles in dieser Nacht war still, alles war bewegungslos in diesem einen wichtigen Moment um Mitternacht.

Güte ist ein seltenes Gut.

Nur eine Sekunde trennte die Klinge vom Blut, das Leben vom Tod.

Aber die Sekunde verstrich nicht und wurde ersetzt.

Laute Schreie gellten durch die Luft.
 

Pandorra öffnete die Augen und sah sich hektisch um. Irgendjemand näherte sich, irgendjemand, der ein offensichtliches Problem zu haben schien, mit dem sie ganz bestimmt nichts zu tun haben wollte.

Sie fluchte leise und versteckte sich in einer Mauersenke, als zwei Gestalten die Gasse betraten.

Es waren zwei Dämonen, ein dunkelhaariger Mann, der mit gehetztem Blick vornweg lief und ein in eiserne Rüstung gehüllter bewaffneter Soldat.

Wenige Sekunden später hatte der Soldat den anderen fest im Griff, drückte ihn gegen die Wand und hielt ihm eine scharfe Klinge an den Hals. Sie hörte, wie der Mann wimmerte und keuchte.

Den beiden folgte ein weiterer Mann. Die Halb-Dämonin erkannte ihn sofort.

Es war einer der Helden, einer von jenen, die in den herrschaftlichen Häusern und Burgen dieses Viertels wohnten und die den Luxus und das Angenehme mit ihrem Ruhm gekauft hatten.

Sein Name war Thandon und es hatte erst vor kurzem einen Ehrenmarsch für ihn gegeben. Sie erinnerte sich daran sehr gut, es war ein Tag gewesen, an dem sie mit einer Menge Diebesgut in den Taschen nach Hause gegangen war.

Sie wusste nicht genau, warum Thandon ein Held war und eigentlich spielte es auch keine besondere Rolle für sie – aber die Tatsache, dass er nun hier war und sie unmittelbar neben ihm: Das spielte eine ganz gewaltige Rolle.

Denn Pandorra war sich sicher, dass selbst Thandon, ein Held der Dämonen, sein ein oder anderes Geheimnis an Mitternacht beseitigen musste.

Die junge Halb-Dämonin hielt die Luft an und hoffte, dass niemand sie entdeckte. Das Messer ließ sie schnell in eine Innentasche gleiten.

„Also...“, sprach der Dämon und schritt auf den Mann zu, der immer noch von dem Soldaten festgehalten wurde. „Haben wir uns nun genug sportlich erquickt? Ich hoffe es, denn ich hasse es wirklich, wenn ich meine Geschäfte nicht zügig erledigen kann.“

Das Weiß in den Augen des anderen Dämons wurde groß und leuchtend.

„Bitte, Thandon!“, sagte er mit zitternder Stimme. „Habt Erbarmen! Ich werde meinen Teil der Abmachung erfüllen, ich brauche nur noch ein wenig Zeit...“

Eine Handbewegung des Helden genügte und die Klinge des Soldaten drückte sich noch ein wenig näher an den Hals des Mannes, der erschrocken aufschrie. Ein kleines Rinnsal Blut floss seinen Hals herab.

„Ich fürchte du hast mir nicht zugehört.“, meinte Thandon dann. „Ich lege Wert auf Pünktlichkeit und Verlässlichkeit – und beide Tugenden besitzt du nicht. Ich bin sicher du verstehst, dass ich mich nicht auf dein Stillschweigen verlassen kann, nachdem du mich so enttäuscht hast.“

Der Mann begann laut zu jammern und versuchte sich mit aller Kraft aus dem Griff des Soldaten zu befreien, aber es war vergeblich.

Pandorra hatte eine Ahnung, wie diese Geschichte enden würde – und ihr wurde noch mehr bewusst, wie furchtbar fehl sie am Ort eines solchen Geschehens war.

Und gerade, als der Dämon einen weiteren Befehl für den Soldaten gab, der das Schicksal des anderen besiegeln sollte, spürte die Halb-Dämonin einen heißen Stich in ihrem Inneren.
 

Nein.

Nicht jetzt, nein, nein, verflucht noch mal!
 

Sie keuchte laut, als die immense Blutlust sie zu ersticken drohte. Es traf sie unvorbereitet und plötzlich, traf sie immer unvorbereitet und plötzlich, ohne Warnung, selten mit einem Grund.

Die Gier nach Blut, die Lust zum Töten, die pure Zerstörungsfreude. Sie konnte nichts dagegen tun, außer jeden einzelnen Muskel ihres Körpers anzuspannen und sich darauf zu konzentrieren, nicht die Beherrschung zu verlieren.

Ihre Hand griff nach ihrem Herz hielt sich krampfhaft an der Haut unter ihrem Hemd fest, der Schmerz ihrer Fingernägel half gegen den heißen Zorn.

Aber nicht dagegen, dass man sie bemerkt hatte.

Die drei anderen Dämonen hatten inne gehalten, nun schritt der Held auf sie zu.

Pandorra wurde in diesem Moment fast wahnsinnig. Sie wusste, dass ein falsches Wort, eine falsche Bewegung ausreichen würde, um die Wut in ihr zu entfesseln. Und dann würde auch die Reinheit seines Bluts und all der Heldentum nichts mehr nützen.

„Wer ist da?“, zischte Thandon, dann entdeckte er sie. Sie sah, wie seine Gesichtszüge sich von Misstrauen in Erstaunen und dann in verachtende Belustigung verwandelten.
 

Bleib ruhig. Verflucht, bleib ruhig. Er steht nur da.

Er sieht dich einfach nur an und du siehst ihn an. Bleib ruhig, beherrsche dich!
 

„Was für ein seltenes Vergnügen, hier ein Halbblut anzutreffen!“, lachte er und kam einen Schritt näher –nicht noch ein Schritt, bei den Göttern, nicht noch ein Schritt! „Hast du deine Freunde mitgebracht, Ithramir?“

Der Mann, Ihtramir, wurde kreidebleich und schien noch mehr zu zittern, als er es ohnehin schon getan hatte.

„Ich kenne sie nicht! Ich schwöre bei meinem Leben, ich kenne sie nicht!“, kreischte er hysterisch. „Habt Erbarmen, Erbarmen!“

Hör auf zu schreien.

...Es wird stärker, heißer, mehr, mehr!

Hör auf zu schreien! Sei still!
 

Pandorra schloss ihre Augen, um Herr ihrer Gefühle zu werden, aber sie wusste, dass sie einen vergeblichen Kampf führte. Der Mann schrie weiter und weiter und jeder Schrei stachelte die unbändige Wut in ihr noch ein Stückchen mehr an.

Thandon schien die Unruhe seines Gegenübers zu merken, jedenfalls wich er einen Schritt zurück.

„Beende diese Geschichte und kümmer dich um sie.“, befahl er dem Soldaten und das war der größte Fehler, den er hatte machen können.

Ohne zu zögern trennte der Soldat mit seinem Schwert den Kopf Ithramirs ab.

Das Blut spritzte hervor und färbte die Wände in einem intensiven Rot und es verteilte sich auf der Rüstung des Mannes, auf dem Boden, in ihrem Verstand.

Öl im heißen Feuer. Feuer, Feuer, Ungeheuer.
 

Die Halb-Dämonin wimmerte und kniff die Augen zusammen, aber es half ihr nicht. Es half niemandem. Ungeheuer! Feuer, Ungeheuer! Blut und Wut und noch mehr Wut!

Zerstör sie, friss sie, mach sie nieder, bade in ihrem Saft!
 

Instinktiv wollte sie nach vorn stürmen, aus ihrem Mund röhrte ein Kreischen, wie von einem wilden Tier – und genau das wurde Pandorra in diesem Moment.

Ein blutrünstiges und immerfortwährend rachsüchtiges, wildes, gedankenloses Tier. Bestie, trink das Blut!

Von weiter Ferne erreichte sie noch ein letzter Gedanke und weil es der letzte war, rechnete sie ihm in ihrer Besinnungslosigkeit die größte Bedeutung zu.

Lauf.
 

Und sie lief.
 


 

Es war unwahrscheinlich heiß an diesem Mittag im späten Herbst.

Die Blätter der Bäume waren bereits gelb und wehten durch die Landschaft, der Himmel verlor jeden Tag mehr von seinem kristallklaren Blau und tauschte es gegen ein hartes und schweres Wolkengrau und die Luft roch bereits nach der sich anbahnenden Kälte.

Dennoch hatte sich die Sonne für diesen Tag überlegt, noch einmal durch den Himmel zu brechen und heizte die weiten Ebenen stark auf. Doch hinter ihr, im Norden bahnte sich bereits ein herbstliches Wolkenmeer an und dort war der Himmel schon bedenklich dunkel.

Würde sich der Wind nicht noch drehen, dann waren die Wolken sicherlich bald hier.

Pandorra gab ihrer hellbraunen Stute die Sporen und setzte ihren Weg fort.

Wenn der Regen hier niederprasselte, wollte sie außer Reichweite und möglichst bereits angekommen sein.

Bis sie in Othara, eine Stadt der Menschen und Elfen und ihrem Zielort, ankam, würde es wahrscheinlich schon Abend werden. Die Stadt lag weit im Süden des zentralöstlichen Reichs von König Jhomar dem Edlen.
 

Sie erinnerte sich nicht, schon einmal da gewesen zu sein, obwohl sie in ihrem Leben schon eine Menge Städte gesehen hatte. Man konnte sagen, sie kannte jeden Stein auf dem Kontinent Ashtarin beim Namen.

Sie war fast überall schon einmal gewesen oder hatte zumindest etwas gehört – denn selbst wenn man Kontakt zu anderen zu vermeiden versuchte, traf man in einem Leben als ewige Nomadin immer wieder die merkwürdigsten Kreaturen und Personen, die einem allerlei erzählen konnten.
 

So hatte sie von Reisenden aus dem Osten gehört, die von angeblichen Begegnungen mit dem sagenhaften Volk der Nixen erzählten.

Besonders an den Ufern des Graumeeres sollten sie anzutreffen sein, wenn sie nachts in den Meereswogen standen, wie ewig vom Meer umspülte Felsen und mit großen Muscheln Mondlicht sammelten, um ihre angeblich unter dem Wasser verborgene, großartige Stadt Lorian damit zu erleuchten.

Aber solchen Geschichten schenkte niemand Glauben - Nixen existierten vielleicht lebhaft in Legenden, Märchen und ganz offensichtlich in den Köpfen einiger Reisender, doch waren sie nichts als eine Ausgeburt der Fantasie.

Andere berichteten davon, dass sie Opfer eines Greifenraubzugs geworden waren, während sie durch die Ebenen am Fuße des großen Gebirges von Nundamas, dem isoliert lebenden Heimatland der Greifen.

Pandorra wusste nicht viel, wie viel Wahres an diesen Geschichten war. Bevor die Neumondkriege vor 20 Jahren ausgebrochen waren, war sie in Nundamas gewesen. Damals hatten die Greifen noch Kontakt zu den anderen Ländern aber nun galt dieses Volk als kriminell, hinterlistig und primitiv.

Besonders letzteres war eine schlichtweg lächerliche Behauptung, betrachtete man sich die filigranen und feinen Schnitzereien und Skulpturen, die sie anzufertigen wussten.
 

Genau wegen solch einem Kunstobjekt war die Halb-Dämonin auch unterwegs.

Ein Kunsthändler aus Kesharn hatte sie damit beauftragt, die Skulptur aus reinem, weißem Marmor nach Othara zu transportieren.

Kesharn lag nah an der Grenze zu Nundamas, daher nahm Pandorra an, dass der Händler das Kunstwerk über die Grenze geschmuggelt hatte und es nun zu einem Kunden befördern wollte – anscheinend aber so viel Angst vor einer möglichen Kontrolle hatte, dass er jemanden angeheuert hatte, der den Job übernehmen konnte.

Ihr selbst war das recht gleichgültig.

Die in jeder größeren Siedlung stationierten Wächter, die damit beauftragt waren, mögliche Verdächtige nach kulturellen Gegenständen aus Nundamas zu durchsuchen, die seit den Neumondkriegen verboten waren, hatten meist wesentlich wichtigere Dinge zu tun, wie zum Beispiel das Kartenspiel oder die Ausweitung ihrer Leberschäden.

Außerdem glaubte sie nicht, dass sich irgendjemand ernsthaft an sie heranwagen würde.
 

Hatte sie eines in ihrem Leben gelernt, dann, dass sie auf die eine oder andere Art und Weise gehörig Angst einjagen konnte.

Niemand trat einer zwielichten, bewaffneten und gerüsteten, fremden Person gern aggressiv gegenüber. Auch wenn sie sich als Menschenfrau ausgab, die durch die Härte des Lebens zur Kriegerin herangezogen wurde und der traditionellen Kultur der im Haus verweilenden Frau nicht ausleben konnte, schienen die meisten zu spüren, dass sie eine gewisse Eigenheit an sich hatte, die einem nicht so ganz geheuer sein konnte...

Wohl einer der wenigen, gerechten Vorteile, die eine Existenz als Halbblut besaß. Die Leute taten was man von ihnen verlangte. Zumindest in den meisten Fällen und wenn man lang genug überlebte, um die Erfahrung zu sammeln, die man für diese Fähigkeit brauchte, jeden auf Abstand zu halten.
 

Ich hatte sie nicht immer.

Bei den Göttern...nicht immer.
 

∞Ω∞
 



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