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Dem Himmel zugewandt

von

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Schneegestöber

„Schnee bedeutet Reinheit. Er steht als Symbol für den Abschluss einer Jahreszeit, eines Jahres natürlich auch, außerdem für - “
 

Für was der Schnee noch alles stand, sollten die aufmerksamen blauen Kinderaugen, die mit offenkundiger Begeisterung förmlich am Lippenpaar seines Gegenübers klebten, fürs erste nicht erfahren. Genau in dem Moment, als Kadar schon geahnt hatte dass das werte Brüderchen jeden Moment zu einer seiner äußerst langatmigen Ausführungen, die gut und gerne drei bis vier Stunden in Ansprach nahmen, ansetzten, traf ein äußerst gut gezielter Schneeball den eben noch so eifrig rezitierenden Jungen genau im Nacken. Ein fürchterlicher Fluch hallte kurz darauf auch schon über den tief verschneiten Trainingsplatz unterhalb von Masyaf und mit bitterbösem Blick spähte Malik zu den Burgmauern empor. Er fand den Übeltäter sofort.
 

Groß gewachsen, wild abstehendes braunes Haar, den nächsten Schnellball bereits locker in der Hand wiegend und das breiteste Grinsen, dass die Assasinengesellschaft je gesehen hatte.
 

„Altair Ibn La' Ahad! Komm sofort darunter, damit ich dir deinen verdammten Hals umdrehen kann!“
 

Es war wohl sowas wie ein offenes Geheimnis innerhalb der Bruderschaft, dass Malik und Altaïr sich ungefähr so gut verstanden wie Feuer und Wasser. Es brauchte von Seiten Altairs oft nur einen einzigen, spöttischen Blick und Maliks Blutdruck war bereits an der Schwelle angekommen, die jeder Arzt als gesundheitlich bedenklich eingestuft hätte. Im Gegenzug schaffte es Malik kaum, Altair aus der Fassung zu bringen. Selbiger zog höchstens mal die rechte Augenbraue ein wenig empor, wenn Malik mal wieder dabei war, ihn nach besten Gewissen anzuschreien; so auch in diesem Moment.
 

Kadar beobachtete mit einem leisen Glucksen, wie Malik drohend und vorallen laut fluchend die rechte Faust gen Altair auf der Mauer schüttelte und wie dieser postwendend dem kleinen Schreihals bereits den nächsten Schneeball entgegen warf – selbiger fand seinen Platz diesmal mitten in Maliks Gesicht. Ja, Kadar mochte das alles hier irgendwie ziemlich gerne. Es waren Momente wie dieser, die ihn und alle anderen Kind sein ließen. Bestanden ihre Tage sonst lediglich aus unzähligen Trainingseinheiten und wenig Schlaf, so wusste er angesichts des lachenden Altairs und des wütend auf und ab springenden Maliks, dass sie einmal Zeit ganz für sich alleine hatten. Jedes Jahr um diese Zeit ließ der Meister die Zügel ein wenig lockerer, erlaubte den jungen wie alten Mitgliedern ihren ganz persönlichen Interessen nachzugehen. Kadar freute sich jedes Mal darauf. Mit dem ersten Schnee wusste er, dass Malik noch mehr schreien und Altair noch mehr Unsinn anstellen würde.
 

Der Winter war endlich gekommen.
 

„Komm SOFORT da runter!“
 

Maliks Geschrei riss Kadar aus seinen Gedanken. Auch er sah nun auch nach oben auf, wo Altair mal wieder mit einer seiner Lieblingsangewohnheiten beschäftigt war – dem Posieren. Er stand auf einer der erhöhten Mauersimse, die normalerweise als Schiesscharten benutzt wurden und breitete gerade die Arme aus. Kadar fand immer wieder, dass es dem Ausbreiten der Schwingen eines Adlers unglaublich ähnlich sah.
 

„Wie du willst!“
 

Kadar sah aus dem Augenwinkel, wie Malik protestierend den Mund aufklappte. Der Einwand kam eine winzige Sekunde zu spät – Altair war bereits gesprungen. Elegant wie ein Vogel taucht der schmale Knabe durch die Luft, vollführte im freien Fall einen Salto und landete in einem der größeren Schneehaufen. Mit einem breiteten Grinsen verbeugte er sich vor dem begeistert klatschenden Kadar und dem nun sehr verärgert drein schauenden Malik, der die Arme vor der Brust verschränkte.
 

„Gib gefälligst nicht so an, nur weil du dir aufgrund eines glücklichen Umstandes gerade nicht den Hals gebrochen hast, Ibn La' Ahad!“.
 

Altair zog abermals die rechte Augenbraue eine Winzigkeit nach oben und Kadar sah, dass die Schläfenader an Maliks linker Stirn bedrohlich zu pulsieren begonnen hatte. „Glück?“, kam es von Altair zurück und grinste nur noch breiter. „Das war Können, Malik – achja, sowas besitzt du ja nicht. Na, wie sollst du es da auch erkennen.“
 

Ein wütender Laut später und Malik war mal wieder dabei, sich auf Altair zu stürzen. Lachend sah Kadar dabei zu, wie Altair elegant über den Trainingsplatz fegte und sein wertes Brüderchen laut fluchend hinterher jagte. Es waren einfach diese Tage, an denen die Welt in Ordnung war. An denen Spaß und Spiel im Vordergrund standen, die gemeinsame Zeit mit Freunden und denen, die einem am Herzen lagen. Kadar wusste ganz genau, dass es Malik im Grunde seines Herzens Freude daran hatte, sich mit Altair zu balgen. In diesen Moment war Malik einmal ganz er selbst. War er sonst ein Musterbeispiel an Selbstbeherrschung und eiserner Disziplin und auch sonst eher jemand, der ungefähr so aufregend wie ein Blatt weißes Pergament war, so zeigte sich bei Altair dieses hitzige, aufbrausende Temperament, dass nicht einmal die Ausbildung wirklich ersticken konnte.
 

Kadar war Altair dankbar dafür.
 

Er gab ihm so seinen Bruder zurück. Er gab ihm das an seinem Bruder zurück, dass er verloren hatte, seitdem ihre Eltern gestorben waren. Seit dieser Zeit hatte Malik aufgehört Kind zu sein und war Erwachsen geworden. Es war alles viel zu schnell gegangen. Plötzlich hatte er Verantwortung für seinen jüngeren Bruder gehabt. Genauso plötzlich hatten Schuldeneintreiber vor der Tür gestanden und sie aus dem Haus geworfen. Von einem Tag auf den anderen hatte sich ihr komplettes Leben geändert. In diesen Zeiten hatte es niemanden großartig gekümmert, hungerende Kinder auf der Straße zu sehen. Malik hatte stets Kadar sein Essen gegeben und wenn es nur aus einer einzigen Scheibe altes Brot bestand. Wegen einem Apfel war er von einem Händler fast todgeprügelt wurden, als Malik versucht hatte, diesen zu stehlen. Für Kadar stand fest, dass wenn Altair nicht in diesen Moment aufgetaucht wär, als der Händler zum nächsten Schlag ansetzte, Malik es nicht überlebt hätte.
 

Niemand hatte Malik geholfen.

Niemand hatte es für nötig befunden, einem 10 jährigen Knaben zu Hilfe zu kommen, der von einem mindestens doppelt so alten Mann gerade verprügelt wurde.

Niemand.

Bis auf Altair.
 

Kadar hatte noch niemals einen solch seltsam gekleideten Jungen gesehen. Ganz in weiß, bildete nur die rote Bauchbinde einen Farbakzent. Die Züge waren unter der tief herab gezogenen Kapuze kaum zu erkennen gewesen. Im ersten Moment hatte ihn Kadar nicht einmal bemerkt. Erst im Nachhinein hatte er sich an diesen weißen Schatten erinnert, der ihm manchmal in den Straßen aufgefallen war.
 

„Kleine Ratte! Ich werde dich lehren was es heißt mich zu bestehlen!“ hatte der Händler gebrüllt und hätte wohl seine Faust noch einmal auf der ohnehin gebrochenen Nase des Jungen platziert, wäre nicht genau in diesem Moment eine unscheinbare, blasse Hand hervor geschnellt und hätte in einer einzige, fließenden Bewegung einen Dolch durch die Hand des Händler gejagt. Ein gellender, schmerzerfüllter Schrei, zwei irgendwie abgearbeitete Kinderhände die einen verdutzt dreinblickenden Malik auf die Füße zogen und ein raues, gezischtes „Lauft!“ – das war Kadars erste Erinnerung an Altair gewesen.
 

Sie waren eine ganze Weile gemeinsam gerannt. Weit weg vom Marktstand, hinauf zu den Hügeln, die sich vor der Stadt abzeichneten. Erst da gönnte ihnen der fremde Knabe eine Pause, beugte sich zu Malik hinab und strich die Kapuze zurück. Ein von der Sonne gebräuntes Gesicht kam zum Vorschein. Nichts sonderlich auffälliges, aber das Gesicht fein geschnitten genug, um das kleine Lächeln auf den schmalen Lippen sympathisch wirken zu lassen. Helle, bernsteinfarbende Augen musterten erst Kadar und dann Malik, der sich inzwischen das Blut mit dem Ärmel halbwegs vom Gesicht gewischt hatte.
 

„Ich heiße Altair. Und wer seid ihr?“
 

Es war der Beginn einer Freundschaft gewesen.
 

Altair erwies sich als Geschenk des Himmels. Irgendwie schaffte er es tatsächlich, den alten Meister von der Wichtigkeit Maliks und Kadars zu überzeugen. Sie wurden aufgenommen. Eingegliedert in eine Gesellschaft, die den freien Willen eines jeden Menschen zu verteidigen versuchten. Stumme, dunkle Beschützer, Schattenläufer. Eine tödliche Dunkelheit, die ihre Feinde erbarmungslos verfolgte.
 

Sie alle waren ein Teil davon geworden.
 

Aber in diesem Moment, als Altair lachend einen vollkommen von Schnee durchnässten Malik auf die Füße zog und selbiger mit einem breiten Grinsen seinen Freund postwendend in den Schnee beförderte, da waren sie nichts weiter als spielende Kinder. Nichts weiter als Freunde, die gerne ihre Zeit miteinander verbrachten. Für die Krieg, Tod und Hunger in eine weite, weite Distanz gerückt war, an die man nicht denken wollte.
 

Unter einem verschneiten Himmelszelt gingen sie langsam in Richtung Burgtor zurück und Kadar warf einen letzten Blick über die Schulter.
 

Der Winter war endlich gekommen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  NaruKura
2011-11-24T00:19:28+00:00 24.11.2011 01:19
wow ... einfach wow ...
Wundervoll geschrieben, mitfühlend, herzerwärmend und soo sweet, das man nur schmunzeln kann. Der Schreibstil ist einfach herrlich und die Characktere wecken einfach Muttergefühle xDD
Bin gespannt wie der Zweite Part ist.
Von:  Sasu-
2011-05-30T17:03:54+00:00 30.05.2011 19:03
du hast einen ganz tolles schreibstil, muss ich meinen vorschreibern mal recht geben ^^
wirklich gut.
Von:  YouKnowNothing
2011-03-30T17:20:44+00:00 30.03.2011 19:20
wooo~w!
O.O
Habe schon lange nichts mehr so Gutes gelesen, ehrlich!

Ganz, ganz großes Kompliment, deine Art, die Charaktere darzustellen und vor allem von einander abzugrenzen ist wahnsinnig gut!
Und dieser herrliche Gegensatz zwischen dem Kind-sein und der erzwungen Pflicht und erwachsen-sein durch die Ausbildung - wahrlich topp!

Und dieser kindliche Streit zwischen Altair & Malik wirkt so glaubhaft, wunderbar!

Ich bin sehr beeindruckt und freue mich total auf kapitel 2 ;)
Von:  Schatten_des_Lichts
2010-12-19T16:08:59+00:00 19.12.2010 17:08
erstmal muss ich sagen, die Idee im Allgemeinen ist schon verdammt gut, aber durch deinen lebendigen Schreibstil wird sie noch besser.
Du hast viele Aspekte aus dem Spiel mit ein fließen lassen, so dass man sich wirklich vorstellen kann,dass es ein Teil des Spiels ist! Gleichzeitig, waren genug neue Aspekte in der kleinen Geschichte, dass sie neu und Aufregend dargestellt worden konnte.
Ich freue mich wenn du noch mehr solcher lustigen, doch ernsten Geschichten über Kadar, Altair und Malik verfasst und hier hochlädst.
Die Darstellung der Charakter ist auch wirklich gut, so wie man sich heranwachsende Assassinen vorstellt, wie man sich die drei eben vorstellen kann, wie sie früher waren. Es ist Herz zerreisend wie Kadar berichtet, wie du berichtest, was indem Moment passiert.

Von: abgemeldet
2010-12-06T17:50:15+00:00 06.12.2010 18:50
Ich muss es einfach mal loswerden: Ich liebe deinen Schreibstil o.o
Und ich liebe deine Geschichten <3
Aber das kommt ja so ziemlich auf's Gleiche .__.

Trotzdem, hör' ja nicht auf zu schreiben,
deine Geschichten versüßen mir jedes Mal den Tag ^__^
Von:  Starscourge
2010-12-04T19:44:16+00:00 04.12.2010 20:44
Aw ich liebe es wie du Altaïr dastellst, ehrlich.
Er war damals schon niedlich und trotzdem eine kleine Nervensäge mit hang zum Übertrieben.
Wahnsinn :'D


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