Unschuld
Später wirst du nur den Kopf darüber schütteln können, wie naiv ihr wart.
Lussuria trällert deinen Namen durchs gesamte Anwesen und du wunderst dich, dass du noch nicht taub bist, als du bei ihm ankommst. Aber wer zehn Jahre Squalo übersteht, übersteht auch das.
»Hier ist ein Brief für dich angekommen!«, sagt er mit vielsagend hochgezogenen Augenbrauen und hält dir einen unscheinbaren, weißen Umschlag hin.
»Was?«, machst du geistreich, nimmst ihn entgegen und blickst ihn verwundert an. Du hast keine Ahnung, wer dir einen Brief schreiben sollte. Normalerweise kriegst du hin und wieder Postkarten von Bel oder Luss, wenn sie ohne dich auf Missionen im Ausland sind, aber du kannst dich nicht erinnern, wann du zum letzten Mal einen Brief bekommen hast…
»Es steht kein Absender drauf, also sei lieber vorsichtig«, rät Luss und wendet sich wieder dem rosa Stoffhaufen vor seiner Nähmaschine zu, von dem du gar nicht wissen willst, was das einmal werden wird. »Nicht, dass dir irgendjemand deine hübschen Fingerchen wegbombt, nicht?«
Du findest es höchst irritierend, wie zuckersüß er die Möglichkeit einer Briefbombe in Betracht zieht, und nickst. Still ziehst du dich zurück in dein Zimmer, legst den Brief auf den Schreibtisch und triffst dann alle Vorsichtsmaßnahmen, die dir einfallen, um ihn zu öffnen.
Im Umschlag liegt ein weißer Din-A5-Zettel, der ungelenk mit blauer Tinte beschrieben ist. Misstrauisch nimmst du ihn heraus und suchst zuerst nach dem Ende der Nachricht, in der Hoffnung, dort den Absender zu finden. Und fündig wirst du tatsächlich.
Tsunayoshi Sawada
Du glaubst, dass du spüren kannst, wie dein Herz dir in die Hose rutscht. Du schluckst trocken, atmest unsicher durch und beginnst dann mit unaufhaltsamer Übelkeit, den Brief zu lesen.
Tsuna schreibt dir, dass es ihm leidtut, wie er dir vor drei Tagen gegenübergetreten ist. Er schreibt dir, dass er dir wirklich dankbar ist, für das Wegzeigen und für die Unterstützung an der Seite der Varia. Er schreibt dir, dass er dich sympathisch fand, als du ihm durch Palermo geholfen hast.
Und er möchte dich treffen, damit er zumindest deinen Namen erfahren kann.
Du weißt es nicht, aber während du hier sitzt und wackelig über den Brief lächelst, hat Tsuna am anderen Ende der Stadt die gleichen Gedanken wie du.
Vielleicht schafft ihr es, auch an eurer Arbeit vorbei eine Freundschaft zu schließen.
Vielleicht könnt ihr euch auch ganz unabhängig von der Mafia sehen.
Vielleicht wird sich gar niemand daran stören, wenn ihr anfangt, euch zu mögen.
Vielleicht könnt ihr ja, einfach so, Freunde werden.
Und trotz der sechzehn Jahre Mord und Todschlag ist dein Verstand noch unschuldig genug, daran zu glauben.
Später wirst du nur den Kopf darüber schütteln können, wie naiv ihr wart.
