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Tagträume

Wenn Träume wahr werden (?)
von

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I. Marktleben

I. Marktleben
 

Der Markt war voller Leben. Die Händler boten mit lauten Stimmen ihre Waren an. Kinder rannten zwischen den einzelnen Ständen hin und her und spielten Verstecken. Verkäufer und Kunden diskutierten über Preise und Qualität der Ware. Das gesamte Dorf befand sich auf der Marktlichtung. Es kam selten vor, dass Händler von außerhalb das versteckt liegende Dorf betreten durften. Selbst Menschen befanden sich unter den Verkäufern. Wohin man auch ging, sah man fremde Gesichter.

Es sollte der letzte wirklich warme Sommertag des Jahres sein und somit auch der letzte Tag, der so viel Freizeit zuließ. Der Herbst war nah und somit auch der Winter. Es mussten die letzten Vorbereitungen für die kalte Jahreszeit getroffen werden. Vorräte mussten angelegt und Winterkleidung genäht oder erneuert werden. Doch diese Überlegungen wurden an diesem Tag zur Seite gelegt. Ein letztes Mal sollte man sich vergnügen. Auf dem Markt bummeln und das Leben genießen.

Ich stand gerade an einem Stand, dessen angebotene Stoffe mir sehr gefielen, als ich eine aufgeregte Gruppe unserer Dorfbewohner bemerkte. Ich hätte mich gleich uninteressiert wieder weggedreht, wenn ich nicht deutlich die Stimme meiner besten Freundin aus der Menge heraus gehört hätte. Das hätte ich mir natürlich gleich denken können, dass sich Irelaa eine solche Aufregung nicht entgehen lassen würde. Sie liebte Klatsch und Tratsch. Den von mir favorisierten Stoff weiter begutachtend grinste ich innerlich, als meine Freundin zu mir eilte.

„Ela, du glaubst nicht was ich gerade gehört habe!“

Ich wendete mich kurz an den Händler und sagte ihm, dass ich den Stoff – er war dunkelgrün und robust, wodurch er hervorragend für ein neues warmes Arbeitskleid geeignet war - nehmen würde, als Irelaa mich in den Arm zwickte. „Hörst du mir überhaupt zu?“

“Natürlich höre ich dir zu!“, erwiderte ich und strich spielerisch beleidigt über die gezwickte Haut. „Ich muss mir aber meine Ware nehmen, bevor sie mir ein anderer wegschnappt.“

Ich lachte, als ich ihren ungeduldigen Blick sah. „Also, was hast du gehört?“

Irelaa war wieder gleich bei der Sache und zog mich aufgeregt vom Stand weg, nachdem ich den Stoff bezahlt hatte. „Sarandas Mann Mialon wird nächste Woche 5 000 Jahre alt und sie geben ein großes Fest.“

Ich zog die Augenbrauen hoch. „Aber Irelaa, das weiß doch jeder, dass er 5 000 Jahre alt wird. Was soll daran plötzlich so spektakulär sein?“

Irelaa schüttelte den Kopf. „Aber sie feiern auf der Sternenlichtung.“

Ich stockte. Die Sternenlichtung war einer der schönsten Festplätze im ganzen Düsterwald. Von dieser Lichtung, die ungefähr eine Meile vom Dorf entfernt war, waren die Sterne so klar zu sehen, dass es einem die Sprache verschlägt. Leider wurde dieser Platz lange nicht mehr benutzt. Nicht nur, weil die Lichtung so weit entfernt war, sondern auch weil vor wenigen Jahrhunderten die Riesenspinnen ihre Nester immer mehr in die Nähe des Festplatzes gebaut hatten. Es schüttelte mich bei dem Gedanken an die großen Geschöpfe mit den langen haarigen Beinen und den giftigen Fangzähnen.

Irelaa riss mich aus meinen Gedanken, als sie völlig außer sich an meinen Schultern rüttelte. „Elandhel, hast du mir zugehört?“

„Klar hab ich dir zugehört. Das Fest wird auf der Sternenlichtung stattfinden-“

Sie verwarf meine Aussage mit einer Handbewegung. „Der Prinz wird kommen!“

„Wie, der Prinz wird kommen?“ Ich musste wie ein lebendes Fragezeichen ausgesehen haben, denn meine Freundin lachte laut los.

„Legolas? Der Prinz? Kannst du mir folgen?“

Ich nahm die Information endlich auf und betrachtete Irelaa skeptisch. Wo hatte sie denn das nun wieder aufgeschnappt? Der Prinz kommt nicht einfach so zu einem gewöhnlichen Fest der Dorfbewohner. Dazu war er sich doch viel zu fein – so selten wie er sich auf den jährlichen Festen blicken ließ. Er konnte nur ein eingebildetes, verwöhntes Einzelkind sein – etwas Anderes konnte ich mir nicht vorstellen.

„Mialon selbst hat ihn eingeladen. Warum sollte er nicht kommen? Ein 5 000. Geburtstag ist etwas Besonderes.“ Irelaas Blick schweifte in die Ferne. „Stell dir vor. Der gutaussehende, gutgebaute Krieger Legolas.“ Sie seufzte und ließ die Schultern hängen.

„Er ist genau in unserem Alter.“

Ich pikste sie lachend in die Seite. „Irelaa, bei uns Elben spielt das Alter keine Rolle.“

Wie jede junge Elbe im Düsterwald schwärmte Irelaa von unserem jungen Prinzen. Ständig kursierten Gerüchte über die Schönheit des blonden Elbs, doch ich hatte nur das Bild im Kopf, wie ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Es war eine Ewigkeit her, dass ich ihn zuletzt auf einem Jahresfest zu sehen bekommen hatte. Damals wirkte er auf mich... sehr jung. Mittlerweile hörte man von ihm nicht mehr viel – manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass ein Prinz namens Legolas überhaupt nicht existierte, bis irgendein aufgeregter Dorfbewohner schwärmend davon erzählte, dass er seine Hoheit mit Sohnemann auf der Jagd gesehen hätte. Meine Illusion der Nichtexistenz des Prinzen wurde jedes Mal zerstört.
 

Der restliche Tag auf dem Sommermarkt ging rasch zu Ende und ich genoss es, zwischen den Ständen zu schlendern und die Ware zu begutachten. Die Gespräche der Leute, die vom Prinzen und seinem möglichen Erscheinen handelten blendete ich gekonnt aus.

Die goldroten Strahlen der untergehenden Sonne tauchten den Markt in ein atemberaubendes Licht und mit ihnen begannen die ersten Flöten zu spielen. Kurz darauf roch ich das Feuer, das den Beginn des letzten Sommerfestes bedeutete. Die Stände wurden geschlossen, mehr Instrumente wurden gebracht und auf den letzten freien Stellen des Marktplatzes wurde ausgelassen getanzt. Verspielt mischten sich Glühwürmchen unter die Tanzenden. Der Anblick wirkte wie ein Traum – zumindest für Außenstehende. Oft bekam ich bei diesem Markt von den menschlichen Verkäufern gesagt, wie magisch das abendliche Fest der Elben auf sie wirkte. Ich musste jedes Mal lächeln. Für uns war das etwas völlig Normales.

Auch mich zog die Musik an. Mein Körper begann von alleine sich zu bewegen. Ich schloss die Augen. Entspannt vergaß ich die Welt um mich herum. Nichts konnte mich berühren...

Jemand stieß hart gegen mich und brachte mich zu Fall. Mein Angreifer entschuldigte sich abermals bei mir, während ich mich fluchend aufrichtete. Wer konnte es wagen mich so aus diesem wunderschönen Moment herauszureißen? Ich blickte auf – in das Gesicht des Elben, der sich zu mir hinunterbeugte. Lange blonde Haare ließen mich stocken. War das etwa...?

Lachend sprang ich auf und umarmte den Elben. „Medrahel, wo warst du denn?“

Medrahel grinste mich an. Er war mein bester Freund und ich kannte ihn schon ewig. Um genauer zu sein: es hatte für mich noch nie eine Zeit ohne Medrahel gegeben.

„Ich war mal hier, ich war mal da. Hast du etwas Schönes gefunden?“ Ich erzählte ihm von dem Stoff, den ich mir besorgt hatte und aus dem ich mir ein neues Arbeitskleid für die kälteren Tage nähen wollte. Er räusperte sich.

„Ich gehe mal davon aus, dass ich dir dann helfen darf... muss.“ Ich lachte mit ihm. Es war unter meinen Bekannten allgemein bekannt, dass ich beim Nähen zwei linke Hände hatte. Medrahel half mir da des Öfteren aus.
 

Als Irelaa zu uns stieß verbrachten wir die Nacht zu dritt und es wurde ein weiteres Mal unvergesslich schön. Damals wussten wir nicht, dass es das letzte ruhige Fest für eine längere Zeit sein sollte. Denn danach wurde alles anders.
 

In dieser Nacht träumte ich den einzigen Traum, der mich während meines ganzen Lebens immer und immer wieder heimsuchte. Es war jedes Mal der gleiche Ort, die gleiche Situation, die gleiche Person. Ein junger Elb – nicht einmal größer als ein Zwerg – stand an einer großen alten Eiche. Sein Gesicht lag im Schatten, nur sein Lächeln erkannte ich. Er streckte mir seine von Blut bedeckte Hand entgegen, doch bevor ich nach ihr greifen konnte verschwand er wie Nebel. Wie ein Geist.

An dieser Stelle wachte ich stets schweißgebadet auf. Was der Traum bedeutete, wusste nur ich. Lange war es mein einziges Geheimnis, das ich in mir trug.



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