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Unfähig

von

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xXxV

Sie kannten sich seit der ersten Klasse der Shuiku Akademie; schon damals war Sango ihm aufgefallen, weil er nicht genauso laut, chaotisch und nervtötend wie der Rest war. So ein ruhiger und gesitteter Charakter lief einem hier selten über den Weg, was eigentlich verwunderlich war, da sich die Schule mit dem Privileg schmückte, die Elite von morgen zu erschaffen.

Was brachte einem eine Elite, die sich durchweg unzilisiert benahm, jede Gelegenheit nach einer schnelle Nummer Sex zwischen den Unterrichtsstunden suchte – natürlich so, dass es keiner mitbekam, Diskretion schrieb man hier ganz groß – und für die Lernen nur eine lästige Nebenbeschäftigung bedeutete?

Riku konnte nur immer wieder den Kopf über diese Auswüchse schütteln. Zu seinem Pech verhielten sich seine beiden Brüder kein Stück besser als diejenigen, über die er sich im Stillen so gerne aufregte, vor allem Kai übertrieb es ziemlich oft mit seinem egoistischen und teilweise sehr triebgesteuerten Benehmen. Sora war zwar auch kein Vorzeigeobjekt, aber er hielt sich wenigstens noch zurück und belästigte nur alle Monate mal einen Jungen aus ihrem Jahrgang mit einer Ladung Stofftiere oder solchem kindischen Zeug.

Je länger man darüber nachdachte, desto mehr hob sich Sango von dieser Masse ab, was ihn so besonders für Riku werden ließ; dazu kam noch, dass sie sich in einigen Dingen ziemlich ähnelten. Ihre überdurchschnittliche Intelligenz, das Vermeiden von sinnfreien Skandalen, die einem im späteren Leben nur schadeten, wenn sie ans Licht kamen, er schrieb konsequent gute Noten, für die er auch arbeitete und nicht nur einen billigen Spickzettel benutze und er legte auch Wert darauf, in den Schülerrat zu kommen, um Dinge an der Schule zu verändern.

Ja, Sango war wirklich ein feingearbeitete Glaskugel in einem Becken voller hässlicher Kieselsteine, wenn man es so ausdrücken wollte, und in Riku regte sich immer häufiger das Verlangen, ihm näher zu kommen.
 

Mit großen Schritten überquerte Riku den Schulhof der Shuiku Akademie. In den Räumen, die er sich mit Kai und Sora teilte, hatte er es nicht mehr ausgehalten; die beiden hatten wieder unanständige Pläne geschmiedet, unter welchem Vorwand sie Hayate dieses Mal zu sich locken konnten, damit Kai sich bei ihm die Befriedigung holen konnte, die ihm anscheinend kein anderer Junge dieses Internats verschaffen konnte. Es wäre Riku deutlich lieber, wenn er von diesem makaberen Treiben nichts mitbekommen würde, da er es in keinster Weise gutheißen, aber auch nicht viel dagegen unternehmen konnte. Irgendwann handelte Kai sich wegen seines unmöglichen Benehmens mächtig Ärger ein.

Auf der Bank, die am Eingang des Gebäudes zu den Klassensälen stand, saß Sango in ein Buch vertieft und markierte sich Textpassagen, die ihm wichtig erschienen.

Das kam Riku ganz gelegen, er versuchte schon seit Wochen, immer mehr in Sangos Nähe zu gelangen, allerdings nicht zu aufdringlich, um ihn nicht auf der Stelle zu verjagen.

Sango war niemand, den man leicht bekam, das war bekannt, denn bis jetzt hatte er noch keine feste Beziehung geführt, sich noch nicht einmal zum Sex überreden lassen.

„Hallo Sango.“ Wie zufällig ließ sich Riku neben ihn auf die Bank sinken und sah von Zeit zu Zeit hinüber, um zu sehen, wie Sango sich mit seiner Arbeit beschäftigte. „Kommst du gut voran?“ Vielleicht brachte es ihm etwas, wenn er ihm besondere Aufmerksamkeit schenkte. Normalerweise musste sich Riku nicht bemühen, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, sie leiteten das eher von sich aus. Bei Sango verlief das natürlich auch anders, eine weitere Herausforderung für Riku.

„Ja, natürlich, der Text ist nicht besonders schwer.“ Er schien Riku kaum wahrzunehmen, seine Konzentration lag eher auf dem Buchstabengewimmel vor ihm. Riku nahm es ihm nicht übel.

„Was hältst du davon, wenn wir mal zusammen lernen? Davon können wir beide profitieren. Wenn wir mit jemand anderem lernen würden, wäre das ja wenig sinnvoll für uns.“ Für einen Außenstehenden musste das ziemlich arrogant wirken, aber wenn man sie beide dann mit Personen wie Kai oder Kanya verglich, konnte man dem nur zustimmen.

„Ich überlege es mir.“ Mehr bekam er wohl auch momentan nicht von Sango zu hören, aber das reichte Riku schon, da er mit deutlich weniger gerechnet hatte.

Sango war eine harte Nuss, für die man viel Geschick brauchte, aber Riku traute es sich zu. Immerhin gab es auch sonst nur wenig, was er nicht erreichte.
 

„Riku, dein Geschmack ist wirklich grauenhaft“, beschwerte sich Kai wie so oft bei seinem Bruder, während er sich die langen hellen Haare bürstete und dabei leise vor sich hinfluchte, da sie morgens nach dem Aufstehen meistens wie ein einziger Strohhaufen aussahen. Das wussten natürlich nur seine Brüder, es wäre katastrophal, wenn seine übrigen Mitschüler davon Wind bekämen. Sein Ruf als hervorstechender Schönling der Akademie wäre zerstört.

„Und wieso nun schon wieder?“ Riku, der gerade seine Schuluniform überstreifte, kannte diese Aussage zu Genüge. Irgendwie schienen er und Kai so gut wie keine Gemeinsamkeiten zu haben außer den Eltern.

„Weil du plötzlich so oft mit diesem Sango zusammen sitzt.“ Kai hatte seine Haare erfolgreich in Form gebracht und band sie sich zu einem Zopf zusammen. „Und sag nicht, das wäre Zufall, das ist es nämlich nicht! Das weiß ich genau.“

„Na und, das ist meine Sache und nicht eure.“ Dass sie sich dauernd in seine Angelegenheiten einmischen mussten; wozu gab es so etwas wie Privatsphäre?

„Doch, eigentlich schon.“ Mit selbstverliebtem Blick betrachtete Kai sich im Spiegel neben dem Bett. „Wie kommt das denn rüber, wenn einer von uns sich mit so einem spießigen Typen einlässt? Da kann er angeblich noch so attraktiv sein. Stimmts, Sora?“

Als Zustimmung erhielt er von seinem Bruder nur ein undeutliches Gebrumme; er sah es nicht ein, nun schon aufzustehen und kuschelte stattdessen lieber mit seiner Decke.

„Wie gesagt, das geht nur mich etwas an. Ich bestimme ja auch nicht, mit wem du regelmäßig ins Bett steigst.“ Das empfand er nämlich als absolut unpassend, aber was ging ihm Kais Leben an? Ungefähr so viel, wie dessen sein eigenes. Sie waren fast erwachsen, sie mussten sich um sich selbst kümmern.

„Solltest du auch nicht, Riku“. Zufrieden mit seinem Erscheinungsbild lächelte Kai sich selbst verführerisch an; Riku seufzte genervt über so viel kindisches Benehmen und strich sich die Falten aus seinem Hemd.

Noch länger musste er sich diesen Kindergarten nicht antun.
 

Sie saßen gemeinsam an einem Tisch in einem leeren Klassenzimmer, eine Menge Bücher um sich herum ausgebreitet. Fast sah man die Tischplatte nicht mehr.

„Ich find die Interpretationsweise nicht angemessen für den Text.“ Sango schüttelte den Kopf. „Nein, Riku, woran willst du das herauslesen?“

„An dieser Textstelle, hier.“ Riku deutete auf den unteren Abschnitt der Seite, die er sich davor schon farbig markiert hatte. Die Interpretation eines ziemlich bekannten europäischen Werkes gingen sie heute zusammen durch; nicht unbedingt extrem relevant für den Unterricht, aber zur Analyse ihres Literaturverständnisses allemal hilfreich.

Und es zeigte sich, dass ihre Meinung in diesem Punkt ziemlich weit auseinander ging; zum Glück waren sie nicht wie Kanya und Hayate, die sich wegen solche einer Nichtigkeit sicherlich stundenlang gestritten hätten und damit der gesamten Menschheit auf die Nerven gegangen wäre.

„Ich finde das aber trotzdem nicht logisch“, beharrte Sango ruhig auf seinem Standpunkt und setzte die Brille ab, um die Gläser mit seinem Hemd zu putzen.

„Wenn du meinst.“ Als ob Riku sich da hineinsteigern würde, so versessen war er dann doch nicht, seine Vorstellung durchzusetzen. Diese Stunden, die sie mit Lernen verbrachten, sollte auch nicht nur dazu dienen, sich gegenseitig mit intellektuellem Gerede zu übertrumpfen, sondern Riku den Weg ebnen, sich still und seriös an Sango heranzumachen, ohne dass dieser augenblicklich die Flucht ergriff.

„Lassen wir das, das bringt nichts.“ Leicht amüsiert über die Situation schlug Sango das Buch zu und schaute auf die verteilten Blätter um sich herum, ob sie irgendetwas vergessen hatten. „Wir können es ja irgendwann noch mal probieren, vielleicht versteh ich dann, was du genau meinst.“ Damit schien für ihn das Thema abgehakt zu sein, denn er begann seinen Teil der Unterlagen zusammenzusammeln.

„Willst du schon gehen?“ Das war nicht unbedingt Rikus Plan gewesen, der beste Teil fehlte schließlich noch. Natürlich musste man es nicht übertreiben, aber sie trafen sich auch nicht zum ersten Mal, irgendwann durfte er also erwarten, dass man auf ihn einging. Sango war weder blind und blöd, musste also seine Absichten auf Dauer durchschauen.

„He, sogar ich brauch mal so etwas wie Freizeit. Ob man es glaubt oder nicht.“ Sango rückte sich seine Brille etwas gerade und musterte Riku aufmerksam. „Oder hast du noch etwas vor, wovon man unbedingt erfahren sollte?“ In seiner Stimme schwang ein wissender Ton mit, sein Blick verriet nicht, dass er ahnte, dass Riku sich nicht zum Spaß mit ihm hier regelmäßig traf und sich dumm und dämlich philosophierte.

„Kommt immer darauf an, aus welchem Blickwinkel man das betrachtet.“ Wie zufällig berührten seine Fingerspitzen Sangos Knie, der daraufhin merklich zusammenzuckte; er floh allerdings nicht, was Riku als kein Zeichen der Ablehnung deutete. Hätte Sango es nämlich so schrecklich gefunden, hätte er ihn in seine Schranken gewiesen, das hatte dieser schon oft bei anderen Jungs getan, die meinten, ihm unverhältnismäßig nah auf die Pelle zu rücken. Und ihn dabei anzufassen als wäre er ausschließlich dafür geschaffen worden.

„Riku, das ist nicht dein Ernst.“ Sango schien nicht zu wissen, ob er entsetzt oder verwirrt sein sollte; die Hand, die inzwischen seinen Oberschenkel festhielt, als könnte dieser alleine weglaufen, weckte wohl zwiespältige Gefühle in ihm. „Komm, lass das, ich geh jetzt besser.“

Sango wollte seine Worte gerne in die Tat umwandeln, aber Riku hatte heute endgültig genug von diesem scheinheiligen Getue. Er lernte verdammt noch mal nicht mit ihm, um besser zu werden oder ihm zu helfen, sondern um ihn dezent abgraben zu können. Im extremsten Fall landeten sie vielleicht sogar in der Kiste.

„Vergiss es.“ Auch seine andere Hand umklammerte nun Sango, der weiterhin sich bemühte, den Raum vollständig zu verlassen. Das Ziehen und Zerren in unterschiedliche Richtungen bewirkte nichts, nur, dass Sango schließlich den Halt verlor und mitsamt Riku, der ihn unbeabsichtigt unter sich vergrub, zu Boden stürzte.

„Du bist so ein Idiot, Riku.“ Sango wusste nicht, ob er erschrocken über so viel Dreistigkeit oder wütend über die Schmerzen in seinen Knochen sein sollte. Auf jeden Fall probierte er es immer noch, sich unter Riku hervorzukämpfen und notfalls aus der Tür zu kriechen.

„Und du noch viel mehr, weil du dich so anstellst. Lass es doch einfach mal zu, dass man dir was Gutes tut“, wies ihn Riku genervt zurecht und drückte Sango noch fester auf den Boden, um seinen Widerstand endgültig zu brechen. „Ich tu dir nicht weh, sieh es doch endlich ein, du bist doch sonst nicht so blind.“ Seine Hände strichen bestimmend über Sangos Haare, seine Wange, verharrten an seinen Schultern. Wie lange er auf diesen Moment gewartete hatte. Seine Brüder hätten sich längst Sango geschnappt, mit ihm rumgemacht und ihn sicher noch gegen seinen Willen zum Sex gezwungen.

Mal wieder war Riku froh, nicht dieselben Verhaltensmuster wie Kai und Sora ausleben zu müssen. Es brachte ihm gar nichts, wenn Sango ihn nach dieser Nummer nie wieder auch nur ansehen wollte, von reden ganz zu schweigen.

„Du bist unmöglich, Riku.“ Vorsichtig versuchte sich Sango etwas aufzurichten; es ging nur so weit, wie Riku es auch zuließ, sie sahen sich direkt in die Augen, wie sie es bisher nur selten getan hatten. Irgendeiner von beiden war immer in ein Buch oder Blatt vertieft gewesen.

„Das fällt dir aber sehr früh ein.“ Ironischerweise erst dann, wenn ihm diese charakteristische Zug zum Verhängnis werden konnte; aber selbst schuld, wenn man die Gefahr nicht früh genug erkannte. Riku würde sich für die Zukunft kein Schild umhängen, auf dem er groß und breit seine Vorhaben, in die andere Menschen involviert waren, preisgab. Das schadete dann doch eher seinem Ruf als arroganter Intellektueller und beförderte ihn mehr auf eine Stufe mit dem Rest hier, der für ein Mal Sex seine eigene Familie verkaufen würde.

Der Zeitpunkt war nicht perfekt, Sango wirkte nicht begeistert oder aufgeregt wegen dem, was nun unweigerlich folgte, und er selbst konnte sich selbst ebenfalls nicht dazu durchringen, sich imaginär für seine Hartnäckigkeit zu feiern. Trotzdem beugte sich Riku provozierend langsam nach vorne und knabberte an Sangos Lippen herum. Nein, Erregung fühlte sich anders an und wirkliche Gefühle ebenfalls, aber beim ersten Kuss durfte man nicht zu viel erhoffen, vor allem nicht von Sango, den man ja leider zu seinem Glück hatte zwingen müssen.

Er wehrte sich nicht, er biss ihm nicht auf die Zunge, er trat nicht nach ihm; aber genauso wenig erwiderte er Rikus seltsames Zeichen von anfänglicher Zuneigung noch zeigte er mit irgendeiner Faser seines Körpers, dass es ihn emotional berührte.

Genauso gut hätte Riku einen Klappstuhl küssen können.
 

Es fühlte seltsam an; jemand zu küssen, dem diese Handlung so sehr egal war, dass er sie fast ignorierte. Riku verstand einfach nicht, wie Sango es dann zuließ, wenn es in ihm rein gar nichts berührte.

Hätte ihn ein Junge dermaßen aufdringlich überrumpelt, von dem er nichts wollte, hätte er ihn ausdrücklich in seine Schranken gewiesen und ihm zur Not eine gescheuert. Zwar war Riku alles andere als gewalttätig, er verletzte Menschen höchstens mit verbaler Gemeinheit, aber im absoluten Notfall musste er sich verteidigen können.

Sango sah das wohl anders, er baute wohl einen spürbaren inneren Widerstand gegen ihn auf. Und diese Tatsache tat Riku mindestens genauso weh wie eine unerwartete Ohrfeige, obwohl er das nie in seinem Leben zugegeben hätte.

Seufzend löste er sich von Sango und wollte aufstehen, um den Rückzug anzutreten, doch ein paar Finger fassten nach seinem Hemd und hielten ihn beharrlich fest.

„Meinst du das ernst?“ In Sangos Stimme schwank ziemlicher Zweifel mit und skeptisch beäugte er Riku, der halb aufgerichtet vor ihm kniete.

„Was soll ich ernst meinen? Glaubst du, ich mach das zum Spaß? Bin ich so einer wie Kai, der sonst nichts zu tun hat?“ Die Frage verärgerte Riku ein wenig; Sango musste ihn doch genug kennen, um zu wissen, dass er sich nicht aus alberner Neugier mit allem, was zwei Beine hatte und an der Shuiku Akademie herumeilte, einließ. „Falls du das wirklich denkst: Nein, ich bin es nicht. Eigentlich dachte ich, du wärst klug genug, um das sehen zu können.“

„Manchmal trügt der Schein“, flüsterte Sango so leise, dass Riku ihn kaum verstand.

Genervt über diese unverhoffte Wendung und in seinem Stolz gekränkt entflog Riku beinahe aus dem Raum und ließ Sango ohne ein Wort der Erklärung auf dem Boden zurück.

Hoffentlich bekamen seine Brüder davon nichts mit, die besaßen sicher noch die Frechheit, sich ausgiebig über ihn lustig zu machen, worauf Riku gerne verzichtete.

Erst einmal brauchte er Ruhe und einen gewissen Abstand zu Menschen, um sein spürbar angeknackstes Ego zu heilen.
 

Die nächsten Tage verstrichen, ohne dass Riku es noch einmal wagte, Sango auf seine besondere Weise zu attackieren. Erstens, weil er nicht noch einmal gegen diese imaginäre Mauer der Ablehnung rennen wollte und zweitens, weil sich auch die passende Gelegenheit nicht ergab. Meistens schlich entweder Kanya um Sango herum oder eine Horde anderer Schüler hinderte ihn daran, mit Sango unter vier Augen zu sprechen.

Es war wie verhext und Riku ärgerte sich von Tag zu Tag mehr über die Ungerechtigkeit des Lebens. Gegen das Schicksal half noch so viel schlaues Getue nichts. Das musste er auf andere Art zurechtbiegen.

Aber war ihm Sango überhaupt so wichtig, als dass er so viel Energie und Zeit in ihn verschwenden wollte? Das musste er sich wirklich erst überlegen, bevor er im schlimmsten Fall unüberlegte Dinge tat.

Objektiv betrachtet brachte es ihm gar nichts, Sango nicht mehr als Gespräch- und Lernpartner zu haben, sondern auch als festen Freund; möglicherweise lenkte ihn das nur vom Lernen und auf die Zukunft vorbereiten ab und dann wäre die Mühe der letzten Jahre ziemlich in den Sand gesetzt worden.

Andererseits konnte er auch noch alles herumreißen, sie waren noch nicht im Abschlussjahr, also war noch nicht alles verloren.

Irgendwie wusste er gerade selbst nicht so genau, was er wollte, da störte ihn gewaltig.

„Ach Riku, du machst dir echt alles schwerer, als es ist“, grinste Kai selbstgefällig vor sich hin. „Such dir einen anderen; hier laufen tausende Jungs herum und du willst natürlich ausgerechnet den, der wohl nichts von dir will.“

„Kai, sei still und halt dich endlich aus meinem Leben raus.“ So ging das schon die ganze Zeit, seitdem Kai mit seinem untrüglichen Gespür für Beziehungsangelegenheiten gewittert hatte, dass da nicht so viel lief, wie Riku gerne gehabt hätte.

„Ich geb dir Tipps, nicht mehr. Wenn du sie nicht annimmst, kann ich auch nichts dafür.“ Er warf theatralisch seine Haare zurück. „Du solltest dir echt keinen suchen, der dir zu ähnlich ist; hol dir einen kleinen, dummen Jungen, der dich für dein Wissen anbetet, der wird dir hinterher rennen, ohne dass du viel machen musst.“

„Ich steh nicht so auf unterwürfige, hirnlose kleine Kinder, mit denen man nicht einmal reden kann.“ Da konnte er sich gleich mit der Tapete unterhalten, die hätte mit Sicherheit das gleiche geistige Niveau.

Nein, seine Brüder halfen ihm in der Sache kein bisschen weiter. Das musste er ganz alleine regeln.
 

Irgendwann mitten in der Nacht stand Rikus Entschluss fest: Er würde es noch einmal bei Sango probieren und wenn dieser dann wieder in Abwehrhaltung ging, ließ er es bleiben und konzentrierte sich wieder auf die wesentlichen Dinge in seinem Leben.

Der Gedanke nahm im Laufe der Stunden immer mehr Gestalt an, sodass Riku am nächsten Morgen, als der Wecker klingelte und er kaum eine Stunde durchgeschlafen hatte, als erste Handlung des Tages Sangos Zimmer aufsuchte. Er musste das jetzt klären, es beschäftigte ihn zu sehr, um auf später verlegt zu werden.

Auf sein energisches Klopfen reagierte Sango, der ebenfalls noch im Schlafanzug war, nichts besonders schnell und schob die Tür nur ein paar Zentimeter auf; er ahnte wohl etwas.

Aber das genügte Riku schon; er verbreiterte den Spalt und drängte Sango in den Raum zurück. „Wir müssen das jetzt klären.“

Sango hatte genügend Zeit gehabt, sich mit dem Thema auseinander zu setzen.

„Riku, ich glaube nicht, dass…“, begann Sango noch etwas verschlafen, doch er wurde mitten in seinem Satz unterbrochen, indem er gegen die nächste Wand gedrückt und von Riku etwas aggressiver als beabsichtigt geküsst wurde.

Sanftheit gehörte nicht unbedingt zu Rikus Stärken, vor allem in diesem Punkt.

Und endlich spürte er, wie Sango sich auf ihn einließ; zwar zögerlich und immer noch viel zu schwach, um wirklich damit zufrieden zu sein, aber es bedeutete ein Fortschritt für ihr Verhältnis zueinander.

Riku umarmte ihn etwas unbeholfen; Sango sah in seinem verschlafenen Zustand mit den zerzausten Haaren und ohne Brille noch verwirrter aus nach dem Kuss als er es wohl in Schuluniform und in anderer Umgebung getan hätte.

Aber wenigstens erwiderte er die Geste und schlang die Arme um seine Hüfte.

Mehr Zustimmung zur unausgesprochenen Frage durfte Riku wohl nicht von ihm einfordern.
 

Er hätte glücklich sein sollen, er hatte sein Ziel endlich erreicht und zwar nicht mit den falschen Mitteln, wie seine Brüder sie gerne an jüngeren Mitschülern anwendeten.

Sango war eine zu starke Persönlichkeit, um ihn in eine Beziehung zu zwingen.

Aber trotz der Tatsache, dass Sango nun irgendwie mit ihm zusammen war, war Riku nicht zufrieden. Nicht, weil er plötzlich merkte, dass Sango der falsche war, dann hätte er ihn relativ schnell wieder frei gelassen, sondern weil Sango teilweise so teilnahmslos auf ihn wirkte.

Wenn sie zusammen auf Sangos Bett saßen und Riku entgegen seines normalen Verhaltens kaum die Finger von ihm lassen konnte, hockte Sango da und beteiligte sich nicht daran. Er legte vielleicht seine Hand auf Rikus Knie, aber das war für ihn schon das höchste der Gefühle.

Entweder traute er sich nicht oder er wollte sich nicht auf ihn einlassen.

Dass er ihm nicht sagte, dass er ihn liebte, kümmerte Riku nicht, er wusste schließlich selbst nicht einmal, ob er Sango liebte. Er wusste nur, dass er mehr für ihn fühlte als für diese unterbelichteten Gartenzwerge in seinem Jahrgang, die ihn nicht interessierten.

Aber dass er ihm auch nicht sagte, dass er ihn mochte, war hart. Riku gehörte auch nicht zu den Menschen, die ihr Herz auf der Zunge trugen und zu solchen Bekundungen musste er sich auch jedes Mal durchringen, aber er tat es immerhin und es war die reine Wahrheit.

Ihm bedeutete Sango etwas; aber er Sango anscheinend nicht.

Es war wirklich zum Verzweifeln.

Vorsichtig strich Riku mit seinen Fingern durch Sangos Haar, sein Gesicht entlang, über den Hals und das Schlüsselbein. Sein Freund hatte die Brille abgesetzt und die Augen geschlossen.

Genoss er es oder wollte er nicht hinsehen? Es blieb ihm ein Rätsel.

Die Schuluniform hinderte ihn daran, seine Erkundungen weiter fortzuführen; Riku knöpfte ohne zu fragen das Hemd auf und zog es Sango von den Schultern.

Wenn er es nicht wollte, sollte er es sagen; wenn es ihm gefiel, sollte er es ihm zeigen; aber diese leblose Puppe, die ihm gegenüber zu sitzen schien, war wohl zu keiner emotionalen Regung fähig.

Vielleicht half Provokation dabei, ihn aufzutauen.

Riku zeichnete Muster auf seiner Brust, rieb mit seinen Fingerspitzen leicht über die Brustwarzen, kratzte mit seinen Nägeln an der hellen Haut entlang.

Nichts geschah, nicht einmal Sangos Atem schien schneller zu werden.

War er innerlich so tot, dass er das so stumm hinnahm?

Es ärgerte Riku; es ärgerte ihn, dass er sich solche Mühe gab und ständig über seinen Schatten und seinen Stolz sprang und dafür nichts erntete, nicht einmal ein liebes Lächeln. Manchmal überkam ihn für einen winzigen Augenblick das Bedürfnis, Sango so lange zu schlagen, bis er vor Schmerzen weinte, damit er überhaupt Gefühle bei ihm erkannte.

Im nächsten Augenblick verfluchte er sich selbst für solche Gedanken; wie frustriert musste er inzwischen sein, um so zu denken? Das war nicht mehr er selbst.

Als letzte Möglichkeit, Sango aus seinem Zustand zu reißen, begann Riku, ihm die Hose auszuziehen. Wenn nun immer noch kein Lebenszeichen bei ihm ankam, hatte er es definitiv mit keinem richtigen Menschen zu tun.

Provokant schob sich Riku über ihn, drückte ihn nach hinten und legte seine Hand auf seinen Po, deutete ihm somit an, mit seinem Finger gleich in ihn einzudringen. Eigentlich wollte er so weit noch gar nicht gehen, immerhin wäre es das erste Mal für Riku, sich in einer aktiven Position zu befinden, aber Sango ließ ihm ja keine Wahl.

Er sollte einfach nur eindeutig auf ihn reagieren.

Sein Wunsch wurde ihm nicht erfüllte, statt sich in irgendeiner Form dazu zu äußern, dass sie gleich miteinander schlafen würden, drehte Sango einfach nur den Kopf zur Seite; ein kaum wahrnehmbares Zittern durchlief seine Schultern.

War das Erregung oder ekelte er sich einfach nur vor Riku?

„Ich habs satt, ganz ehrlich“, fauchte Riku ihn schließlich aufgebracht an. Länger hielt er es so nicht mehr aus. „Wenn du mich abstoßend findest, dann gib es wenigstens zu.“ Wütend sprang er auf, richtete eilig sein Oberteil und stürmte den halbnackten Sango zurücklassend davon. Raus aus dem Zimmer, über den Flur, Hauptsache weg.

„Riku“, stammelte Sango überrumpelt. „Bleib da, bitte.“ Aber es war schon zu spät, Riku hörte ihn schon nicht mehr. Und selbst wenn er die Worte verstanden hätte, wäre er nicht mehr auf sie eingegangen.

Für ihn war die Angelegenheit entschieden.
 

Riku gab auf, endgültig. Mit einem gefühllosen Wesen wie Sango konnte er keine Beziehung führen, das hielt nicht einmal er aus, der sonst keinen so großen Wert auf Emotionen und Nettigkeiten legte. Das tötete nur seine Nerven und seinen Verstand. Da litt er lieber allein vor sich hin als sich an so einer Person die Seele zu zerschneiden.

So schrecklich niederschmetternd hatte er sich seine erste Beziehung nicht vorgestellt, dabei war er ja nicht einmal unsterblich in Sango verliebt gewesen. Er wollte gar nicht wissen, was passiert wäre, wenn das der Fall gewesen wäre, dann wäre er daran wohl wirklich zerbrochen.

So blieb es dabei, dass er sich einfach nur erniedrigt fühlte.

Die nächsten Monate mieden sie sich, zogen allein ihr Ding durch und Riku spürte langsam, wie seine verwirrten Gefühle Sango gegenüber wieder so weit abklangen, dass er mit ihm sprechen konnte, ohne dass sein Selbstbewusstsein dagegen rebellieren wollte.

Richtige Freunde würden sie nach diesem Vorfall nie werden, sie waren es sowieso nie gewesen, aber wenigstens konnte er Sango weiterhin als ebenbürtigen Mitschüler ansehen.
 

Als im dritten Schuljahr plötzlich dieser dahergelaufene Yuuhi mit seiner kindlichen Weltanschauung auf der Shuiku Akademie auftauchte, plötzlich kräftig am Geschehen dort teilnahm und Sango sich für ihn zu interessieren begann, stand etwas für Riku fest.

Sango konnte wohl Gefühle entwickeln, sehr innige sogar, die er dann auch zeigte.

Nur leider nicht für ihn. In der Beziehung war er definitiv unfähig.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  -StarkThePlayboy-
2012-02-20T18:39:57+00:00 20.02.2012 19:39
Klasse FF! Ich finde das hätte wirklich so sein können oO"
Ist wirklich toll geschrieben und macht echt Spaß zu lesen!!!
Von:  kyouhaku
2011-10-19T20:10:57+00:00 19.10.2011 22:10
Wahrlich tadellos *nick*


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