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Blur - Ancient Curse

[Aoi & Kai] [Ruki & Uruha] [Karyu & Zero] [MC] [Singlework]
von

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Die Zerstörung Gebiks waren erdrückend und sie zerrte an Uruhas Herz.

Sein sanftes Wesen ertrug weder das klagende Wimmern der Frauen oder das Weinen der Kinder, noch die stoischen Masken der überlebenden Kämpfer, die vor all ihren gefallenen Kameraden Stärke beweisen mussten.

Dazu verdammt, nichts weiter tun zu können, als Trost und leere Worte zu spenden, waren die Generäle und der Herrscher von Kistara über die blutverschmierten Straßen gewandelt, hatten sich zu den Überlebenden gekniet, Hände und Schultern gedrückt. Sie hatten geholfen, große Brocken an Gestein zu heben, löschten magische Feuer und sammelten Wertgegenstände aus dem Staub.

Doch es fühlte sich viel zu wenig an.

Uruha wischte sich über die Augen, legte eine Hand über sie, um die Tränen zurück zu drängen, die ihn begleiteten, seit er nach dem Kämpfen hier eingetroffen war. Es gelang ihm nur mit Mühe – und noch schwerer war es, den halbwüchsigen Jungen anzusehen, der, mit tapferem Gesicht und starr an den Seiten geballten Fäusten, auf ihn zu kam und ihn dann mit Augen so voller zwiespältiger Emotionen ansah, dass es dem Langhaarigen das Herz auseinander riss. Er zwang sich zu einem warmen Lächeln, kniete sich zu ihm hinab, wobei seine in einen einfachen Zopf gefassten Locken wie ein Wasserfall um seine Füße spielten.

„Was kann ich für dich tun?“

„Meine kleine Schwester hat mich geschickt. Sie sagte, du bist ein General und kannst uns helfen.“ Der Junge machte eine Pause, die dem Langhaarigen sagte, dass er nicht so zuversichtlich wie sie war, doch dann sprach er weiter, wohl weil seine Schwester sie beobachtete. „Wir suchen unseren Vater. Er hat an der Seite von Fürst Tsukasa gekämpft, als wir ihn das letzte Mal gesehen haben.“

Uruhas Magen zog sich schmerzhaft zusammen, doch sein Lächeln blieb intakt, als er nickte und sich fließend aufrichtete.

„Ich weiß, wo die Garde des Fürsten ist. Komm, ich bringe euch zu ihnen, dort haben wir die beste Chance auf euren Vater zu treffen.“

Er hätte dem Jungen gerne die Hand hin gestreckt, um ihm zu zeigen, dass er nicht allein war, doch das hätte dieser wohl nicht allzu positiv aufgefasst, auch wenn er die Hand seiner kleinen Schwester so fest umklammert hielt, dass er ihr sicher weh tat.

Sie indes sagte kein Ton, sah nur verzweifelt-hoffnungsvoll zu ihm auf, als er ihren Bruder mit einer Hand an der Schulter führte. Je näher sie dem Schloss kamen, desto stärker zögerten die beiden Kinder, bis sie am Ende ganz stehen blieben. Tränen liefen über ihre erschrockenen, schmutzigen Gesichter und die freie Hand des Jungen zitterte darüber hinaus in unterdrückten Zorn.

Uruha konnte es nur zu gut nach vollziehen.

Das ehemals stolze Schloss Draigh glich nun mehr einer Ruine.

Mehre magische Treffer hatten riesige Löcher in die äußere Fassade gerissen, der Nordturm war zunichte gemacht – die Überreste dessen lagen außerhalb der Stadtmauern. Die aufwendig bestickten Banner und Fahnen hingen in Fetzen an ihren Aufhängungen, das ehemals edle, dunkel Gestein war von Rauch und Ruß überzogen. Es sah aus, als hätte man es verbrannt. Fast alle der unglaublichen Glasfenster waren zerstört, Reste der Splitter und Scherben reflektierten das Licht der untergehenden Sonne blutrot.

Uruha schloss selbst einen Moment lang die Augen, bevor er die beiden sanft nach vorne schob, damit sie weiter gingen. Behutsam umrundete er mit ihnen Trümmer und Gräben, die von Blitzeinschlägen herrührten, bis er den Kapitän der Drachenreiter ausmachte.

Er wollte ihn zu sich rufen, doch bevor er dazu kam, sah dieser zu ihn und mit einem Mal geriet hektische Bewegung in den Trupp der wenigen Männer.

Der Dunkelblonde runzelte die Stirn, versuchte zu verstehen, was diese Aufregung verursachte, nur um einen Moment später schlagartig zu verstehen. Ein einzelner Mann kam auf sie zugestürzt, die kräftige Stimme von unterdrücken Tränen durchsetzt, rief er die Namen seiner Kinder.

Diese warfen sich in seine starken Arme, als er, noch nicht ganz bei ihnen, auf die Knie brach, seinen Helm fort warf, um sie so nahe an sich zu bringen, wie es ging. Er übersäte sie mit Küssen, strich durch ihr Haar, drückte sie immer wieder an sich. Er sprach mit ihnen und sie mit ihm, alles gleichzeitig, aber sie schienen sich zu verstehen und - Gott! - Uruhas Herz quoll über, so überwältigend war diese Szene inmitten des Chaos das sie umgab. Es war die Hoffnung, die sich niedergetrampelt, geschunden und blutig geschlagen aus den Staub erhob und das Kinn stolz empor reckte. Sie würde nicht zu besiegen sein.

Nicht, solange es noch Flamme in der Seele der Kistarianer gab.

Uruha beobachtete es länger als ihm zustand – es gab noch so viel, um das er sich kümmern musste – aber er konnte sich einfach nicht abwenden. Und dann drehte sich der Junge zu ihm herum, grinste ihn mit einer Lücke in den Zähnen an, die so gar nicht zum Rest des Kindes passen wollte, formte wortlos ein 'Danke' auf welches Uruha nicht anders konnte, als mit einem eigenen, weitem Lächeln zu antworten.

Er erhielt ein Strahlen im Gegenzug, dass sein schweres Herz ein wenig leichter machte; er winkte beiden Kindern zu, bevor er sich letztendlich abwandte und in das Schloss ging, in welchen Aoi und Ruki auf ihn warteten.
 

Hier drinnen stand noch der Rauch der Explosionen, die es schwer machten, richtig Luft zu bekommen. Unter den Geruch von Schwefel mischte sich verbranntes Fleisch und versengtes Haar. Uruha musste sich einen Moment an der Wand stützen, um es zu verkraften zu lernen. Erst dann konnte er dem Weg folgen, der in den Hauptsaal führte.

Auch hier waren die Wunden der Verwüstung nur zu deutlich. Einst mächtige Figuren lagen zertrümmert auf ihrer Seite oder es gab nur noch Sockel, die auf ihre vergangene Existenz hinwiesen.

Die mächtigen Türen des Thronsaals waren auf gesprengt – Reste von Aois Magie hafteten noch daran, also war dieser so hier hinein gelangt. Uruha berührte sie leicht, bevor er in den großen Raum trat. Es herrschte nur dämmriges Licht und zwei Wachen entzündeten gerade Fackeln, um die Sichtverhältnisse zu bessern. Uruha wusste, es war nötig, dennoch wünschte sich ein Teil von ihm, dass sie es einfach unterlassen würden. Die Risse in den Wänden zeigten deutlich die Ausmaße der Gewalt, unter welcher die Räumlichkeit gelitten hatte. Die Fenster und die Tür am hinteren Ende waren magisch verriegelt, doch an mehreren Stellen war selbst dieses Siegel gebrochen. Aoi stand mit Ruki bei dem Größten der drei zersplitterten Throne, wo er gerade vor einer Falltür in die Knie ging. Ruki sprach mit dem Dämon, aber auf diese Entfernung konnte Uruha nicht hören, worum es ging – allerdings sah er nur zu deutlich die Anspannung in Aoi, die Art, wie er sich bewegte und mühsam, fast schon gepresst Luft holte.

Er war wie ein Vulkan, der kurz vor der Explosion stand.

Uruha nahm einen tiefen Atemzug, dann eilte er zu dem beiden hinüber. Ruki sah ihn als einziger an, die Züge streng und verbissen; nicht einmal die Augen lächelten und das obwohl sonst immer einen Funken Wärme und Liebe für Uruha in ihnen wohnte. Der Langhaarige presste die Lippen fest aufeinander, strich Ruki seicht über den Unterarm, bevor er sich neben Aoi kniete und vorbeugte, damit er versuchen konnte, in dessen versteinerten Zügen zu lesen.

„Aoi.“

Es war ein sanftes Rufen, ein Flüstern, ein Flehen sich zu öffnen. Es war Beistand, Frage und Bitte zugleich. Aoi schmetterte alles ab, indem er sich erhob und an einen Punkt irgendwo auf der anderen Seite des Saals hinüber starrte.

„Wie ist der Zustand der Stadt?“

Uruha warf einen schnellen, besorgten Blick zu dem Dunkelelfen hinüber, dann gab er Aoi den verlangten Bericht. Die Schäden waren immens, die Verluste von Waffen und Technik hoch, wenn auch ersetzbar und die Opfer der Kämpfe dank Tsukasas Voraussicht geringer, als befürchtet. Dadurch, das der Fürst die Händler und viele der Schätze Gebiks gleich bei der Ankunft Kais hatte fortschaffen lassen, hatte es nicht viel gegeben, was geplündert hätte werden können. Auch viele der Familien waren in das Fürstentum Obe geflüchtet, nur die Frauen und Kinder der Drachenreiter und derer, die hatten für Aoi, für Kai kämpfen wollen, waren zurück geblieben. Darüber hinaus waren Aoi und Ruki zügig und zentral im Gefecht eingetroffen und hatten den Ausgang der Schlacht mit roher Gewalt und immensen, magischen Potential an sich gerissen.

Uruha hatte auf den Straßen gehört, wie Aoi inmitten eines grell leuchtenden Feuers aufgetaucht, wie ihr Herr über die Leichen des Eisvolks gestiegen war, denen er die Kehle und Gedärme mit bloßen Händen heraus gerissen hatte. Bewunderndes Wispern erzählte, wie Aoi Zauber mit dem bloßen Heben der Hand in der Luft gestoppt, wie er die Kraft absorbiert hatte. Eis war unter seinen Fingern zu harmlosen Rinnsalen zerflossen, Gestein hatte sich neu geformt und sich zu seinem Schutz in die Höhe geschraubt. Aois schwarze Runen – so flüsterten selbst die Drachenreiter – waren wie Öl über die blasse Haut gewandert, zischend und fauchend, dem Wort ihres Herrn zu folgen und nichts als Vernichtung in ihrem Pfad zurück zu lassen. Stolz und Ehrfurcht wog schwer in den Herzen der Männer und Frauen, die ihrem Herrn die Finger küssten, wann immer er sich ihnen nährte.

Sie dankten dem Dämon aus den Tiefen ihrer Seele, ahnungslos, dass Aoi das, was sie als große Tat ansahen, als zu gering empfand.

Nicht, dass er dies jemals sagen würde – Uruha wusste dennoch, dass es der Wahrheit entsprach.

Nachdem Ruki und er berichtet hatten, was sie konnten, befahl Aoi die Toten im Atrium aufzubahren und nach Kyō und somit Shinya, dem letzten, menschlichen Drachen, zu schicken – das stolze Wesen der großen Reptilienhaften und er würden den Gefallenen die Ehre des letzten Weges erweisen.
 

Der Langhaarige eilte dem davon schreitendem Dämon nach und folgte diesem in Tsukasas Räume.

Es war Tradition und Protokoll, dass Aoi die Räume des Fürsten nutze, um sich auf die Totenwache vorzubereiten. Selbst wenn Tsukasa noch bei ihnen gewesen wäre, würde Aoi dessen Roben und Schmuck tragen. Es gab etliche Diener, die genau zu diesem Zweck ausgebildet und vorbereitet worden waren, allerdings schickte Uruha sie alle mit einem schmalen Lächeln und einer Handbewegung davon.

Aoi würde niemand an seiner Seite dulden – vielleicht nicht einmal den General selbst, doch Uruha war bereit, dieses Risiko einzugehen. Er schloss die Türen des großen Bades, entzündete einige Kerzen. Die Sonne stand nur noch als winziger Streif am Horizont – darüber gingen die vier Monde in all ihrer fantastischen, majestätischen Größe auf.

Kistara sang unter ihnen, jeder Stein, jedes Gras leuchtete von innen heraus und machte die beginnende Nacht wesentlich heller, als sie das eigentlich sein dürfte. Uruhas eigene Magie wand sich wie eine unruhige Bestie, hin und her gerissen zwischen Euphorie und Ausbruch. Es war unglaublich schwer zu beschreiben, wie ein Fieber; es konsumierte jede Faser und ließ nichts unberührt. Uruha kannte Wesen, die sich in solchen Nächten einschlossen oder gar fesselten und er kannte viele, andere, die tanzten und zelebrierten. Auch in Lutar und Gebik würde es normalerweise riesige Festlichkeiten geben.

Doch nicht heute.

Uruha entledigte sich seiner Stiefel, trat leise zu Aoi, welcher in die Mitte des Bades gegangen war und sich dann nicht mehr bewegt hatte. Er löste behutsam die Schnallen der Rüstung; der Dämon hinderte ihn nicht augenblicklich, was ein gutes Zeichen war. Das Meerwesen arbeitete behutsam, doch effizient. In wenigen Minuten hatte er Arme und Oberkörper von Leder und darunter liegenden Stoff befreit, welches er in eine bereit gestellte Truhe legte. Nun trat er um Aoi herum und sah diesem einfach nur ins Gesicht. Zwar gab es einige tiefe Kratzer und eine Wunde in der Seite, die er noch behandeln würde müssen, nun aber ging es ihm um etwas anderes. Und darauf würde er warten müssen. Es dauerte, doch letztendlich fanden Aois schwarze Augen die seinen und in diesen sah der Langhaarige genau das, was er erwartet hatte.

Er schob die Finger in den Nacken seines Herrn, wob sie zwischen die Spitzen des dunklen Haares und zog ihn mit einem zärtlichen, singendem Geräusch an sich.

Es war keine wirkliche Umarmung und Aoi duldete es nicht lange, allerdings in den paar Momenten, in denen er den Kopf an der Schulter seines langjährigen Freundes vergrub, fing sich dessen Atem, begleitet von einem halb ersticken, unterdrückten Schluchzen.

Es war das deutlichste an Emotion, dass der Schwarzhaarige seit langer Zeit hatte hervor brechen lassen und es sagte Uruha mehr als alles andere:

Ich habe Angst, zu versagen.

Ich will nicht zu spät sein, aber ich glaube, dass ich das schon bin.

Ich habe zwar diese Schlacht gewonnen, aber ich befürchte, mein Land gegen einen Feind zu verlieren, den ich nicht besiegen kann. Ein Feind, der meinen Gefährten in seiner Gewalt hält.

Ein Feind, der weiß, dass ich kommen werde und ihm gebe, was er will, weil er meine Schwäche gegen mich verwendet.

Ich weiß, Kyō hatte Recht, aber ich habe mich gegen diese Wahrheit geweigert und tue es noch.

Ich werde der Untergang Kistaras sein.

Er presste seinen Kopf gegen Aois, küsste die Schläfe, bot stumm Trost und Beistand, dann ließ er den Dämon los und brach den Augenblick, welcher schwand, als wäre er nie da gewesen.

Uruha akzeptierte dies, auch wenn es so vieles gab, dass er gerne gesagt hätte. Manchmal war das laut gesprochene Versprechen, an der Seite seines Herrn zu stehen, machtvoller, als das Wissen um die Loyalität seiner Untergebenen.

Er nahm einen Lappen aus einer flachen Schale, tränkte diesen in warmen Wasser, welches er über den Schultern und Oberkörper des Älteren ausdrückte und so Blut, Dreck und Schweiß davon spülte. Auf dem Boden, unter ihren Füßen, bildete sich ein kleiner, bläulich verfärbter Rinnsal, der in die Mitte des Bades lief und dort im Abfluss versickerte.

Aoi beugte sich unter der Führung des Meerwesens nach vorn, sodass dieses sein Haupt und Haar waschen konnte, dann öffnete es die Hosen seines Herrn, legte diese fort und wusch auch den Rest des schlanken Leibes.

Uruha führte Aoi näher an die Fenster, trocknete ihn dort und legte ihm die neue, strahlend weiße Kleidung an, die von den anderen Dienern hier her gelegt worden war.

Er schloss das weite, robenartigen Gewand, legte Aoi die breite, rote Schärpe um, glättete umsichtig jede Falte und als er sich drehte, um den Stirnschmuck aus seiner reich verzierten Schatulle zu nehmen, sprach Aoi unvermittelt und ließ Uruhas Herz unangenehm schwer in seiner Brust springen.

„Uruha? War es richtig? Vorzugeben, ich sei menschlich?“

Das Meerwesen lächelte liebevoll, als er Aoi den Schmuck aufsetzte und fest in dessen unergründliche Iriden schaute.

„Es ist nie falsch, seinen Gefühlen nachzujagen, mein Herr. Ihr solltet nun nicht beginnen, zu zweifeln. Zweifel sind ein schlechter Weggefährte.“

Der Hauch eines Lächeln legte sich auf Aois Lippen, etwas, dass Uruha mit einem weiten Eigenen erwiderte. Die Hand des Dämons hob sich, um sich auf seine Schulter zu legen und diese sanft zu drücken, bevor der Herrscher Kistaras barfüßig an ihm vorbei schritt und den Raum verließ.

Uruha sah diesem nach, dann verließ auch er das große Bad und wechselte stattdessen in ein Kleineres; es würde seinen Ansprüchen sich zu waschen und auf die Zeremonie vorzubereiten genügen, zumal er ob seines Ranges ohnehin nicht im Waschraum des Herrschers hätte verbleiben dürfen. Er stand in der Hierarchie unter Aoi. Mit einem Seufzen streifte er seine eigene Rüstung und Kleidung ab, verwahrte sie für einen späteren Zeitpunkt in einer Truhe, ähnlich der, in welche er auch Aois Sachen platziert hatte. Er griff nach einer Bürste, wollte zunächst die Knoten aus seinem langen Haar kämen, aber er kam nicht dazu.

Kaum das er die Locken über seine Schulter nach vorn gezogen hatte, wurde seine Hand mit der Bürste ergriffen und fest gehalten.

Ruki.

Es zauberte ein zärtliches Lächeln auf Uruhas Lippen. Niemand sonst würde sich ihm so unbemerkt nähern oder sich erlauben, ihn nackt zu betrachten.

„Lass mich das machen.“

Ruhige Worte, auf welche Uruha nur nickte, Ruki sein Haar überließ und schlicht diesen Moment der Nähe genoss. Sie waren hier zwar allein, doch nicht ungestört genug, um sich ihrer aufgestauten, kochenden Passion hinzugeben. Das wussten sie beide und deswegen begnügten sich sich mit minimalen Streicheln, derweil Ruki sein Haar flocht und er dessen Robe öffnete. Unter anderen Umständen hätte sie nichts und niemand voneinander halten können – sie mussten sich beide auf körperlicher Ebene einander versichern, so ihre Liebe und Bindung stärken. Sie verarbeiteten so ihre Ängste und Zweifel, ihre Wut und all das, was kein Platz in Worten fand. Nun war es einfach nicht möglich; sie würden es sich aufheben und dann würde es umso intensiver werden. Trotzdem nahmen sie sich fest in den Arm, atmeten tief ein, um sich wenige Sekunden in den Geruch des jeweils anderen fallen zu lassen, dann blickten sie sich an, nickten und verließen das Bad, um ins Atrium hinab zu steigen und dort während der Zeremonie an Aois Seite zu stehen.
 

Dort angekommen trafen sie auf Reita und gingen gemeinsam die aufgebaute Treppe am nördlichen Ende des Platzes hinauf, die zu einem Podest führte, auf dem ein großer Thron und drei weitere Kleinere standen. Sie ließen sich auf ihre Plätze sinken, wo sich Uruha einen Moment nahm, sich nahe zu dem Geisterwesen zu lehnen und nach dessen Hand zu greifen. Reita und Tsukasa waren eng befreundet; Uruha wollte nicht, dass sich der Blonde so fühlte, als hätten das alle um ihn herum vergessen. Er erhielt ein schmales, dankbares Lächeln in Reaktion, dann wandte sich der Blick der Hand auf den Platz vor ihnen.

Am östlichen Ende öffneten sich in diesem Moment die Türen, vor welchen Aoi verweilte. Durch diese traten Kyō, Kaoru und überraschender Weise auch Die, aber kein Shinya, wie sie erwartet hatten.

An seiner Seite zog Ruki die Stirn zusammen, doch seine Fragen würde bis nach der Wache warten müssen. Aoi hingegen trat auf den Hoheelfen zu, senkte kurz den Kopf. Die Roben des Blonden waren im Gegensatz zu denen des Herrschers und aller anderen Beteiligten von einem dunklen Rot. Er stach damit deutlich hervor; es unterstrich seine Rolle als Priester, die die Toten geleitete – abermals etwas das nicht den normalen Ritus entsprach. Shinya sollte diese Kleidung tragen und die des Hoheelfen der Seinen ähneln. Das der Drachen nicht bei ihnen war, beunruhigte einen jeden von ihnen. Leises, unsicheres Murmeln erhob sich zwischen den Trauernden und Kämpfern, die an den Seitenlinien der Bahren standen; es wurde unterbunden, indem Aoi eine Hand zur Faust geballt in die Höhe hielt.

„Kyō.“, seine Stimme war klar ruhig und machtvoll, „Was hat das zu bedeuten. Wo ist Shinya?“

Der Elf sah Aoi ruhig an, aber der Griff um den weißen Stab festigte sich sichtlich.

„Er ist unpässlich und hat mich an seiner Stelle geschickt.“

»Wir können ihn nicht finden. Er reagiert nicht auf meinen Ruf.«

Die Gedanken des Hoheelfen waren beunruhigt, der Kiefer Kyōs arbeitete immer wieder, währenddessen sich jeder Muskel in Aoi nacheinander anzuspannen begann. Es brachte ein heftiges Stechen in seinen Kopf, trotzdem nickte er nur, seine nächsten Worte kräftig und an sein versammeltes Volk gerichtet.

„Sehr wohl. Wir beugen uns den Wünschen des Drachen. Der Hoheelf Kyō ist mehr als fähig, die Toten zu geleiten.“

Dem Elfen mitzuteilen, ihm zu berichten, was geschehen war, war unnötig. Sie wussten beide, dass darüber gesprochen werden würde. Nicht nur, was Shinya betraf, sondern auch, warum der Traumtänzer hier war.

Nun aber wandten sie sich den Toten zu.

Aoi nahm eine Fackel und entzündete sie mit einem Blick; ihr magisches Licht in einem leuchtenden Violett – das Feuer der Seelen. Derer, die in der Schlacht um Gebik gefallen waren. Jene, die ihren Land und vor allem ihren Herrscher so treu ergeben gewesen waren, das sie ihm das ultimative Opfer dar gebracht hatten.

Jeder der Gefallenen wog schwer auf Aois Schultern und würde ihn für den Rest seines Lebens begleiten. Manchmal würde er aus ihnen Kraft ziehen und manches Mal würden sie ihn unter Gram ersticken, bis er stark genug war, sich über sie und ihr stetiges Wispern hinweg zu setzen.

Das Feuer der Fackel sprang auf das Holz über, welches leise zischte und knisterte, derweil es verzehrt wurde und dem Flammen erlaubte, höher und höher zu klettern, den in weiß eingewickelten Leichnam zu erklimmen, zu umarmen. Das Licht wurde heller, begann leise zu singen, ein trauriges Lied in welches erst Uruha, Ruki und Reita einstimmten, dann folgten immer mehr Stimmen, bis es am Ende ein ganzer Chor war unter dem mehr und mehr Feuer zum Leben erwachten.

Es war das Lied des Geleits, über welchen sich Kyōs Stimme in einem anderen, tieferen Ton erhob, seine Worte mehr Sprache, denn Gesang. Der Hoheelf trat zu jedem der Toten, die Aoi zuvor in Brand gesteckt hatte, strich mit den Händen über und in die Flammen, formte sie zu einer Drachenschwinge, die die Seele umgarnen und in das Reich der Anderen bringen würde.

Gebadet im Licht der vier Monde erstrahlte das Atrium des Schlosses Draigh wie ein Amethyst; es war ein unwirklicher und zugleich bezaubernder Anblick, der den zurück gebliebenen Wesen einen Moment des Friedens gewährte.

Umso größer der Horror, als unvermittelt ein kreischender, grellgrüner Feuerball durch das lilane Licht schnitt und in den Stufen des Podestes einschlug, die Aoi und Kyō in diesen Moment hinauf gestiegen waren.

Ruki, Reita, Uruha und Kaoru reagierten instinktiv – sie alle bewegten sich wie ein einzelnes Lebewesen, griffen nach den beiden Fürsten vor ihnen und begruben sie unter ihren eigenen Leibern, um sie, wenn nötig, mit dem eigenen Leben zu schützen. Vom Platz selbst kamen panische Rufe, darüber die donnernden Stimmen der Drachenreiter, die versuchten, die aufgebrachte Meute wieder in eine Ordnung zu bringen. Es dauerte einige Herzschläge, die so laut in Uruhas Ohren hämmerten, dass er darüber nichts anderes mehr verstehen konnte.

Er löste sich von Aoi, welchen er unsanft umgerissen hatte, um sich über ihn zu werfen, glitt hektisch mit den Händen über dessen Gesicht, Hals und Oberkörper, kontrollierend, ob den Dämon Schaden gefunden hatte. Es war Ruki, der seine Gelenke packte und ihn so zwang aufzuhören und es war auch der Dunkelf, der heiser in sein Ohr wisperte, dass Aoi in Ordnung war. Niemanden war etwas geschehen.

Und trotzdem starrten ein jeder von ihnen in den Himmel, wo sich das Gesicht des Geistes mit erschreckender Detailgenauigkeit abzeichnete.

Das kleine, amüsierte Lächeln auf den Lippen starrte Zero erhaben auf sie herab und als er die Lippen öffnete, um zu sprechen, hallte es nicht nur von den Ruinen des Schlosses sondern auch in den Köpfen jedes Anwesenden wieder.

„In drei Stunden im Dunkelwald. Ich erwarte euch allein, mein Herr.“
 

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Schmerz.

Das war das Erste, das in Kais diffusen Geist als real registrierte. Es war keine konstante Pein, die er fühlte. Sie war mehr wie das Meer; rollte in langsamen Wellen durch seinen Körper und brach sich am Ende in der Nähe seiner Hand- und Fußgelenke. Er konnte sie nicht bewegen, aber das galt für all seine Gliedmaßen. Entweder lag das daran, dass er seine Gedanken nicht genug darauf konzentrieren konnte, oder aber er war gefesselt. Es gab nur eine Möglichkeit das heraus zu finden, doch das Öffnen seiner Augen gestaltete sich schwieriger als angenommen und gelang dem Braunhaarigen erst nach einigen Versuchen. Sein Umfeld war vage, die Farben wabbelten wie Wackelpudding und erst nach einem nochmaligen Blinzeln definierten sie sich klarer und erlaubten Kai auszumachen, wo er sich überhaupt befand. Er lag auf einer Art steinigen Boden, der uneben und in seinen Farben schwer zu identifizieren war. Es wirkte auf den ersten Blick wie perlmutt, doch dann mischten sich mehrere Stufen von weiß und beige hinein; Kai bekam Kopfschmerzen, als er die genaue Bezeichnung auszuloten suchte, weswegen er aufgab und stattdessen den Kopf bewegte, um mehr von seiner Umgebung sehen zu können. Es war frustrierend wenig. Seine Zelle war nicht viel größer als seine Person, die Wände in der Länge nur wenige Zentimeter von Kopf und Füßen entfernt. In die Breite ging sie auch nicht viel weiter als er selbst; vielleicht konnte ein weiteres Wesen hier drinnen stehen, wenn sich dieses neben seinen Beinen befand und wenn eben besagte Person nicht größer als ein Mann durchschnittlicher Höhe war.

Kai bezweifelte, dass er genug Platz haben würde, um seine auf dem Rücken gefesselten Hände über seine Beine nach vorne zu ziehen, aber das hinderte ihn nicht daran, es zu versuchen. Nach etlichen Winden, Krümmen, Keuchen und üblen Flüchen hatte er seine Hände soweit, dass sie unter seinem Hintern waren, nun musste er sich nur noch vor ziehen. Er rollte sich zusammen – fluchte noch einmal, was in einem halben Schrei endete – und war letztendlich etwas beweglicher als zuvor. Denn nun konnte er sich auf den Bauch rollen und hoch stemmen. Nun kniete er zumindest und so hob er seine Hände, betrachtete die Fesseln. Es waren Ringe aus einem ihm unbekannten Metall und sie wiesen neben unzähligen Zeichen weder einen Verschluss noch eine Naht auf. Sie waren absolut makellos und das wiederum bedeutete, dass sie magisch waren. Er seufzte und ließ seine Hände ernüchtert sinken.

Was auch sonst.

Es wäre ja zu viel verlangt, wenn einmal die minimale Chance bestanden hätte, dass er sich befreien könnte. Nein, das war ihm, Kai, garantiert nicht gegönnt. Mit Sicherheit saß das Schicksal auf seiner Wolke und lachte sich über ihn kaputt.

„Verdammt noch mal!“, schimpfte der Mensch leise, als er sich gegen die Wand seines erdrückenden Gefängnisses fallen ließ

Er wischte sich wütend über das Gesicht, starrte vor sich hin und ignorierte dabei erfolgreich das leise, bissige Summen – bis aus seinem Augenwinkel unvermittelt eine Hand auftauchte, die sich gegen die andere Seite der, bis eben noch undurchsichtigen, Wand presste. Eine blutige Hand.

Kai fuhr erschrocken zurück, prallte dabei gegen die andere Seite, welche in Resonanz leise zu schwingen begann, der gleiche hohe summende Ton, der Kai in den Ohren zu schmerzen begann. Allerdings realisierte er es nur im Hintergrund, sein Fokus lag ganz auf dem Mann zu dem die Hand gehörte.

„Ari!“

Hektisch rutschte Kai näher, legte seine Hände gegen die seines Freundes.

„Ari, kannst du mich hören?“

Der Grünäugige nickte nur und Kais Stirn legte sich in besorgte Falten – Blut klebte an Aris Schläfe und sein halbes Gesicht hinunter, aber es war alles getrocknet, was bedeutete, dass die Wunde nicht schlimm sein konnte. Trotzdem waren die grünen Tiefen benommen und die Pupillen unnatürlich weit geöffnet. Eine Gehirnerschütterung? Kai presste die Lippen zusammen. Das wäre übel. Sein Blick wanderte an dem Anderen hinab; die Arme waren ebenfalls voller Blut, wie auch die Kleidung seines Freundes. Es ließ Kais Herz vor Furcht krampfen.

„Ari! Ari, wo bist du überall verletzt?“

„Das... ist nicht mein Blut.“

Endlich eine Antwort, auch wenn die Stimme belegt klang; der Größere sprach langsam, es schien ihm viel abzuverlangen, die Worte überhaupt zu formen, nichtsdestotrotz begriff Kai und seine Augen weiteten sich in Horror.

„Tsukasa...“

Ari nickte nur.

„Wo ist er? Hast du ihn gesehen?“, drängte Kai mit aufkommender Panik, währenddessen er sich gegen die Wand presste, als würde allein seine Präsenz dafür sorgen, dass die Barriere zwischen ihnen fiel. Doch sie gab nicht nach, brummte nur, nun tiefer, und zwang den Braunhaarigen sich zurück zuziehen. Ari indes hob eine Hand Hand und deutete auf die gegenüberliegende Wand der Zelle. Kai verstand augenblicklich, rutschte zur anderen Seite um sie zu berühren. Sie war kühl und surrte ärgerlich, aber sie verlor an Dichte und gab einen Blick auf das dahinter Liegende frei.

Es ließ Kai entsetzt keuchen.
 

Anders als er und Ari stand der Vampir in seinem Gefängnis – nein, er wurde aufrecht gehalten.

Zwei Sperre im Oberkörper des Fürsten fixierten Tsukasa an der Wand, gaben ihm keine Möglichkeit sich zu bewegen. Darüber hinaus war der Man gebunden und anders als bei ihm führten von seinen Fesseln an Händen und Füßen schwere Ketten quer durch die Zelle, die in Boden und Decke verankert waren. Die Lippen des Vampirs waren leicht geteilt, aber Kai konnte beim besten Willen nicht erkennen, ob dieser noch atmete – musste er es als Vampir überhaupt? Kai konnte sich nicht erinnern, ob er es zuvor getan hatte. Auch die Augen waren geöffnet, was in Kai die Hoffnung keimen ließ, mit dem Fürsten zu kommunizieren.

„Tsukasa.“

Nichts.

Kai drückte die Panik zurück, legte die Hand gegen die Wand; er schauderte unter dem nun deutlich lauteren Surren. Gott, es klang wie ein Schwarm Hornissen! Trotzdem er gab nicht auf, auch wenn das Geräusch seine Ohren zum klingeln brachte und ihm so seinen Sinn für sein Gleichgewicht zu stehlen begann.

„Tsukasa!“

Dieses Mal blinzelte der Vampir langsam, wie als würde er gerade aufwachen, aber abgesehen davon, wies nichts darauf hin, dass der Fürst ihn wahrnahm. Es trieb Kai Tränen in die Augen. So kurz er den Vampir kannte, so sehr respektierte und schätze er ihn und ihn nun so zu sehen, machtlos etwas dagegen zu tun, ließ ihn verzweifelt schreien, wieder und wieder.

Es war zwecklos.

Tsukasa hörte ihn nicht, bewegte sich nicht, tat nichts, um das Blut aufzuhalten, das den Sperr entlang lief und vor ihm auf den Boden tropfte und dort eine immer größer werdende Lache bildete. Gott, wie viel Blut durfte er verlieren, bis es fatal werden würde? Brachte eine solche Verletzung einen Vampir überhaupt um? Kai wusste nicht genug, um es mit Sicherheit sagen zu können und das wiederum machte ihn noch panischer. Sie waren ausgeliefert, gefangen und es gab nicht die leiseste Chance auf Entkommen.

„Schön, dass du das einsiehst.“

Kai fuhr in die Höhe, vergessend, dass seine Füße gefesselt waren, weswegen er erst gegen die Seitliche, dann gegen die hinter ihm liegende Wand prallte, an welcher er sich keuchend abzustützen schaffte, derweil er zu Zero starrte, welcher in aller Seelenruhe durch die Wand seiner Zelle glitt, als wäre sie nichts als ein Stück Stoff, dass er beiseite streifen musste.Ein kleines, süffisantes Lächeln lag auf den Zügen des Geistes – Kai begann es zu hassen.

„Ich hoffe, du hast es bequem?“ Der Braunhaarige legte den Kopf abschätzend auf die Seite, musterte ihn. „Ich würde mich ja wegen der Fesseln entschuldigen, aber wie du mir bewiesen hast, bist du nicht sonderlich kooperativ. Daher diese etwas... drastischen Maßnahmen.“

Kai starrte den Geist einfach nur an. Wovon zum Teufel sprach dieser? Was für eine Kooperation? Er suchte fieberhaft nach Erinnerungen, aber in seinem Gedanken fand sich nur Schwärze. Er wich soweit zurück wie er konnte, derweil Zero näher kam, aber die Wand im Rücken blockierte diese Bewegung effektiv. Dennoch schlug er nach Zeros Fingern, als diese sich auf seine Wange legen wollten.

„Fass mich nicht an!“, zischte er, weit mutiger und aufgebrachter, als ihm tatsächlich zumute war. In Wahrheit war er verängstigt, sodass ihm kotzübel war und sein Herz flatterte in seiner Brust wie ein nervöser Kolibri; er hatte das Gefühl, es würde jeden Moment bersten.

Der Langhaarige lachte samten auf seine Worte, ignorierte sie und legte einen der krallenbewährten Finger unter sein Kinn. Die metallene Spitze bohrte sich in seine Haut und ließ Kai still verharren.

„Du solltest nett zu mir sein, Kai. Immerhin halte ich weit mehr als nur dich in meiner Gewalt, nicht wahr? Wir würden doch nicht wollen, dass jemand leidet, nur weil du nicht weißt, wie du mit mir zu sprechen hast?“

Zeros Tonfall und seine Stimme waren so krankhaft süß, dass Kai noch übler wurde; alles, wirklich alles an dem anderen Mann war hassenswert. Und auch wenn er diesem am Liebsten in seinen feinen Züge gespuckt hätte, um ihm zu zeigen, was genau er von ihm hielt, so blieb er doch still. Er erkannte eine Drohung, wenn er sie hörte. Er würde Ari und Tsukasa nicht riskieren. Nicht mehr, als es ohnehin schon passiert war. Zeros Lächeln weitete sich wissend und seine Kralle glitt über Kais Wange.

„Eine kluge Entscheidung. Und nun komm, ich möchte mit dir dinieren.“

Die Fesseln von Kais Füßen fielen, die an seinen Händen auch, weswegen er instinktiv über seine Gelenke rieb; er zischte ob der wunden Haut, die er berührte. Trotz allem hörte er nicht damit auf. Der Eingang zu seiner Zelle schmolz wie Wasser und erlaubte ihm aus dieser zu treten. Für einen winzigen Moment gab es einen Impuls, der ihm sagte, dass er rennen musste, doch er wischte ihn harsch beiseite. Er hätte keine Chance.
 

Er folgte dem Geist durch mehrere Gänge, die alle aus dem gleichen, unerkennbaren Material bestanden wie es Kai auch schon in seinem Gefängnis umgeben hatte, mit dem Unterschied, dass hier feine florale Ornamente aus den Wänden wuchsen – sie veränderten sich, sobald Kai länger darauf blickte und sie folgten Zero, als er an ihnen vorüber schritt. Wie als würden sie ihn erkennen und - mehr noch - verehren.

Es war ein unheimlicher Anblick. Feuer oder Fackeln gab es hier keine, aber von der Decke über ihnen hingen fluoreszierende Wurzeln herab, die ihrer Umgebung sanftes blau-weißes Licht spendeten. Allerdings trugen sie wenig zum Wohlsein Kais bei.

Wo waren sie hier nur?

War dies überhaupt noch ein Teil von Kistara?

Er hatte sich mit alten Karten und Routen beschäftigt, aber sein Wissen reichte bei weitem nicht aus. Ihr Weg stieg ein wenig an; die Wände wurden durchsichtiger und Kai konnte hier und da einen Blick nach draußen erhaschen. Die Umgebung zeichnete sich allerdings nur in Umrissen ab – es war Nacht und mehr als ein paar scharfkantigen Konturen vermochte Kai nicht zu erspähen. Sie gingen nach links, umrundeten eine weitere Ecke nach welcher sich der Gang unvermittelt in einen große, weite Halle öffnete.

Es erinnerte an eine Art Aussichtsplatform; rund in ihrem Design bildete der neue Raum am Rand dicht aneinander liegende, deckenhohe, fensterartige Gebilde, die eine wahnsinnig weite Aussicht am Tage bieten mussten. An der Decke hingen wieder die gleichen Wurzeln hinab, aber sie waren hier dicker, massiver. Sie lösten einen heftigen Schauer in Kai aus. Zusätzlich gab es aber auch Fackeln, deren warmer Schein gespenstisch mit dem anderen, kälteren Licht kontrastierte. Mobiliar fand sich nur wenig; um es spezifisch auszudrücken, gab es nur eine große Tafel mit den dazugehörigen Stühlen. Sie stand in Zentrum des Raumes auf einem Podest und zu dieser wurde er nun geführt.

Zero zog einen der Stühle zurück, bedeutete ihm sich zu setzen. Kai kam der Geste steif und angespannt nach.

Es war nur für sie beide eingedeckt worden. Tisch, Stuhl und Geschirr waren aus dem gleichen Material; ihr Ton-in-Ton-Aussehen erinnerte Kai an einen Ort ohne Leben. Er schauderte abermals.

Die Speisen hingegen sahen gut genug aus und erinnerten Kai brutal daran, dass er nicht mehr wusste, wann er das letzte Mal etwas gegessen oder getrunken hatte.

Wie lange war er schon in Gewalt des Geistes?

Wie lange war er bewusstlos gewesen?

„Iss. Du musst bei Kräften bleiben. Aoi würde mir nie verzeihen, wenn ich dich verkümmern lasse.“

Kai funkelte Zero an – wie konnte es dieser wagen, von Aoi zu sprechen, als wären sie alte Freunde! Zero lachte leise und zeigte Kai damit, dass er seinen Gedanken ganz klar erkannt hatte, denn er tat ihm reichlich auf, bevor er die Hände unter dem Kinn faltete.

„Wie wenig du doch weißt, Kai. Aoi und ich, wir teilen eine Vergangenheit die bereits mehrere Jahrhunderte andauert.“

„Das macht euch nicht zu Freunden.“, konterte Kai unverblümt. Aoi würde ausrasten, wenn er nur hörte, dass der Geist ihn als einen Freund bezeichnete. Zeros hochmütiges Lächeln war seine Antwort.

„Das liegt im Auge des Betrachters. Ich bin sicher, Aoi wird Freund genug sein, mir zu geben, was ich will.“

„Und dabei dachte ich, du hast es schon?“

Kai schob eine sarkastische Braue in die Höhe – abermals waren seine Worte und Gesten sehr viel mutiger, als er sich tatsächlich fühlte, aber er schien Zero zu amüsieren und somit kaufte er Ari und Tsukasa Zeit. Denn solange sich der Braunhaarige mit ihm beschäftigte, ließ er die anderen beiden in Ruhe. Zero summte leise, hob seinen reich verzierten Kelch, um an diesem zu nippen, bevor er Kai mit einen durchdringenden Blick fixierte.

„Noch nicht ganz, wie ich zugeben muss. Aber es ist nur noch eine Sache von Stunden.“

„Was hast du mit meiner Seele vor?“

Kai wusste es im Grunde – es waren genug Vermutungen angestellt worden, aber er wollte es von Zero direkt hören. Er wollte wissen, was ihn erwartete, damit er sehen konnte, ob er es nicht möglich war, es weiter hinaus zu zögern. Durch die Monde war Zero an Zeit gebunden. Ein halb gebackener Plan entstand in Kais Geist. Lenke Zero ab, gewinne Zeit. Hoffe, dass Aoi dich retten kommt. Befreie Ari und Tsukasa. Er hatte zwar noch keine Ahnung, wie er diese Ziele miteinander verbunden umsetzen sollte, doch dann würde er improvisieren. Irgendwie... halbwegs...

Zeros lautes, amüsiertes Lachen riss ihn nicht nur aus seinen Gedanken, es zog ihm regelrecht den Boden unter den Füßen weg. Der Geist hatte den Kopf in den Nacken gelegt, ganz so, als ob er gerade etwas furchtbar Witziges gehört hatte. Es irritierte Kai ohne Ende. Was, verdammt noch mal, war daran lustig?

Zero war so gnädig es ihm zu beantworten.

„Mit deiner Seele, kleine Puppe? Mit diesen kleinen Licht habe ich gar nichts vor. Du interessiert mich nur aus einen einzigen Grund.“ Eine kleine, bedeutungsschwangere Pause, die der Geist mit voller Absicht setzte, dann: „ Du bist der Köder.“

Es wirkte; Kais Herz fiel bis in seine Fußspitzen.

„Aoi.“, murmelte er tonlos, unfähig zu handeln, zu denken.

„Exakt.“, gurrte Zero entzückt, „Und wenn mich nicht alles täuscht, wird er gleich hier sein, um mit uns zu speisen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  BleedingRose
2013-07-03T08:34:15+00:00 03.07.2013 10:34
Hallo erstmal!!!

Wie habe ich mich gefreut, als ich sah, dass es hier weiter geht.
Ein dreiviertel Jahr Pause war echt eine Qual. und kaum auszuhalten :-)

Mit einem mulmigen Gefühl, bin ich an dieses Kapitel rangegangen, da das letzte ja so fies aufgehört hatte.
Umso erleichtert war ich, als ich las, dass es mit Uruha weitergeht, auch wenn sich die Erleichterung sehr schnell umgeschlagen hat.
Die Zerstörung von Gebiks hast du wirklich sehr anschaulich beschrieben und ich wundere mich immer wieder, wie du das nur so hinbekommst.
Ich hatte echt eine Gänsehaut und konnte mit Uruha sehr gut mitfühlen.
Solch ein Leid will man im realen Leben, echt nicht miterleben wollen.

Dann ging es mit Kai weiter und ich wusste echt nicht, ob ich weiterlesen soll oder nicht.
Die Neugierde allerdings hat gesiegt und ich las weiter.
Ari scheint ja nicht so sehr verletzt zu sein, und Kai zum Glück auch nicht, aber...
Der arme Tsukasa, wie kannst du ihm nur so etwas antun? Das hat er echt nicht verdient.

Zum Schluss kam dann Zero und... ich hasse ihn (Nein, natürlich nicht)
Der ist so durchtrieben und... keine Ahnung, mir fehlen einfach die Worte ;-)
Charakterlich gefällt mir Zero ja sehr gut, denn so richtig böse ist er ja nicht.
Er will sich nur für sein und Karyus Schicksal rächen. Man kann ihn irgendwo verstehen.

Ich bin also etwas im Zwiespalt.
Einerseits kann ich Zero verstehen, aber andererseits.
Er will Aoi schaden und so wie ich es verstanden habe, seine Seele benutzen.
Das wiederum finde ich ganz und gar nicht nett.
Ich weiss also im Moment nicht, wer mir mehr leid tut.
Aoi, weil er offensichtlich genau so gehandelt hat, wie Zero es wollte und ihm das viel zu spät klar wurde, oder
Zero, dem alles genommen wurde und der sich, verständlicherweise, dafür rächen will.

***

Dieses Kapitel war mal wieder der Hammer, aber nichts anderes bin ich von dir gewohnt.
Ich hoffe, dass nächste Kapitel ist bald zum Lesen bereit, denn ich kann es kaum mehr abwarten, wie es weitergeht.
Auf ein Zusammentreffen von Zero und Aoi, warte ich nämlich schon lange.

Bis zum nächsten Mal also.
LG

PS: Bitte nicht wundern... Ich war früher Cat2010
Ich hatt meinen Acount gelöscht gehabt, weil ich auf Animexx nicht mehr so viel unterwegs bin.
Nach vielem hin und her überlegen, habe ich mich dann aber doch wieder angemeldet, da es schon noch die ein oder andere FF gibt, die ich gerne lese und da gehören deine mit dazu.
Ich liebe deine FF's einfach und wenn ich sie schon lese, dann will ich auch immer ein kleines Kommt da lassen :-)


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