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Aquila

von

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Ernsthaft?!

Die Verletzungen waren schlimmer, als sie gedacht hatte. Egal wie sehr sie auch mit ihrer Hand drauf drückte, die Blutung stoppte einfach nicht. Leise fluchte sie. Wenn sie noch mehr Blut verlor könnten sie auch ihre Regenerationskräfte nicht mehr retten. Aber in diesem Auto konnte sie nichts weiter gegen die Blutung tun, als fester zu zudrücken. Während des Kampfes hatte sie die Verletzung an ihrem Arm kaum war genommen. Adrenalin und ihr angeborener Kampfinstinkt hatten den Schmerz unterdrückt. Doch nun brannte ihr gesamter Arm, als stünde er lichterloh in Flammen. Bei jedem Schlag ihres Herzens pochte er heftig, und das Blut floss nur so heraus. Es lief von ihrem Arm, ihre Beine hinunter und sammelte sich in einer großen Lache im Fußraum des Beifahrersitzes.

Als der Mensch es bemerkt hat, hatte sie für einen Moment gefürchtet, es würde ihn umhauen. Doch er hielt mehr aus, als sie dachte. Und er war mutig, sogar sehr mutig. Es war, auch wenn sie es nur ungern zugab, beeindruckend gewesen, wie er sich dem Engel entgegen gestellt hat. Nicht jeder hätte in so einer Situation einen kühlen Kopf bewahrt, und kaum einer hätte ihr geholfen. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass er nur ein einfacher Mensch sein sollte. Noch nie hatte sie von einem gehört, der es auch nur im Entferntesten mit einem Engel hätte aufnehmen können. Sie waren die letzten Götter, die dieser Welt noch Beachtung schenkten, und verfügten über Fähigkeiten, die Grace beim bloßen Gedanken daran erschauern ließen. Engel waren wohl die einzige Spezies die Dämonen ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen waren. Den letzten Teil des Gedankens schon Grace schnell zur Seite. Diese stinkenden Lichtwesen konnten ihnen nicht überlegen sein.

Wieder spürte sie den immer besorgteren Blick des Menschen auf sich.

„Mir geht es gut.“ Grummelte sie. Es behagte ihr nicht, wie er sich um sie sorgte. Das hatte bisher noch nie jemand getan.

„Dein ganzer Arm ist aufgeschlitzt und du verlierst viel Blut, das kann man wohl kaum gut nennen.“ Sie fuhren an einem 70 Schild vorbei. Der Tacho zeigte 100km/h an.

„Ist es hier nicht verboten so schnell zu fahren?“

„Lass das mal meine Sorge sein.“ Mit einem Seitenblick auf sie beschleunigte der Mensch das Tempo noch mal. Grace lachte leise. „Du brichst wohl öfter die Regeln?“ vermutete sie erschöpft. Der Blutverlust machte sich bemerkbar doch sie durfte nicht einschlafen. Der Junge zuckte mit den Schultern. „Regeln sind doch da um gebrochen zu werden.“ Entgegnete er mit einem kühnen Lächeln. „Du scheinst da ja auch nicht gerade zimperlich zu sein. Was ist das für ein Pakt, den Steward erwähnt hat?.“ Er sah sie gerade nicht an, da er sich auf die Straße konzentrieren musste, trotz der zahlreichen Kurven wurde er nicht langsamer. Er fuhr hier bestimmt nicht zum ersten Mal so schnell.

„Eine Art Friedensabkommen. Sie greifen uns im Hades nicht an, wenn wir dafür euch in Ruhe lassen – sprich so lange wir nicht auf die Erde kommen und euch zu verführen.“

„Verführen? Zu was denn?“

„Zum Beispiel euch euren sündigen Gedanken hinzugeben.“ Grace ließ sich Zeit zum Antworten, das Sprechen war anstrengend, doch es hielt sie wach. „Wie Stolz, Hochmut oder Wollust.“

„Du sprichst von den sieben Todsünden?“

„Nenn sie wie du willst. Es ist jedenfalls etwas, was die Engel verurteilen. Und sie geben uns die Schuld, wenn ihr durch sie vom rechten Weg abkommt – dabei muss ich sagen, dass ihr das auch sehr gut alleine hinbekommt.“

„Moment mal! Soll das heißen mein Direktor war ein Engel?!“ Sie konnte seinen deutlichen Unglauben hören, dabei hatte er doch selbst die Flügel gesehen. „Ja, was sollte er sonst sein?“

„Bis vorhin habe ich noch gedacht er sei ein Mensch – wenn auch kein besonders sympathischen. Immerhin sind Engel und Dämonen, doch nicht real.“

Grace hatte gerade keine Energie mehr, um ihn eines anderen zu belehren. Das Atmen fiel ihr immer schwerer und ihre Glieder fühlten sich so schwer wie Blei an. Langsam aber sicher verringerte sich der Druck ihrer Hand und sie begann hinüber zu gleiten in eine Welt ohne Schmerz oder Gefühl. Es war eine ruhige und erholsame Welt. Grace hätte sich ihr nur zu gerne hingegeben, nur ganz kurz. Aber sie wusste, dass es dann vorbei wäre. Also kämpfte sie dagegen an um wach zu bleiben. „Wie weit ist es noch?“ fragte sie kaum hörbar.

„Nicht mehr weit. Du musst nur noch ein paar Minuten durchhalten.“ antwortete er besorgt. „Aber es wäre besser wenn ich dich zu einem Arzt bringe, die Wunde sieht so aus, als müsse sie genäht werden.“

„Nein!“ protestierte sie schwach. „Nur die Blutung muss gestillt werden, dann heilt sie.“ Ihre schläfrige Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie merkte gar nicht mehr wie sich ihre Augen langsam schlossen und die Hand von ihrem Arm rutschte.

„Nicht einschlafen!“ Ihre Hand wurde wieder fest auf die Wunde gedrückt. Sie öffnete ihre Augen ein Stück und schaute in die strahlend blauen Augen des Jungen, die sie ernst musterten. „Wir sind gleich da. Reiß dich so lange noch zusammen.“

Sie nickte kaum merklich und sah aus dem Fenster. Die Landschaft hatte sich wieder verändert. Statt der Wälder und Felder waren nun kleine Häuser zu sehen. Der Mensch fuhr nun langsamer, eine reihe von gut gepflegten Gärten glitten an ihnen vorbei, bis er in die Einfahrt eines gemütlich wirkenden Hauses fuhr. Sie hatte es geschafft.
 

Langsam schleppte er seinen geschundenen Körper durch den Wald. Weg von dem Feuer, den Sirenen und dem Blaulicht. Langsam, beinahe kriechend bewegte sich der einst so stolze Mann durchs Unterholz, beständig um Hilfe bittend. Eine geflüsterte Beschwörung, die kein Mensch hören konnte. Aber Engel konnten es.

Seine Muskeln krampften vor Schmerz, und es fühlte sich so an, als ob er noch immer brenne. Das Feuer hatte seinen ganzen Körper erfasst, und die Wunden heilten einfach nicht. Aber er würde nicht aufgeben. Er würde sich für diese Schande rächen. Bailay und der Dämon würden dafür bezahlen. Streng genommen durfte er Bailay nichts tun, immerhin war er ein Mensch, ein Schutzbefohlener. Aber nachdem was heute passiert war, sah die Sache schon ganz anders aus. Und was den Dämon anging, sie auszulöschen war seine Pflicht. Eine Pflicht, die er mit Vergnügen erledigte. Die beiden würden dieses Tag noch bitter bereuen.

Ein Knacken ganz in der Nähe erweckte seine Aufmerksamkeit. Er sah sich um, konnte aber niemanden entdecken bis ein Junge mit geschmeidigen Bewegungen auf die Lichtung trat: Er war nicht besonders groß, hatte kalte gold-grün-gesprenkelte Augen und leicht spitz zulaufende Ohren. Ein selbstzufriedenes Lächeln, dass sein ebenmäßiges Gesicht schmückte, offenbarte kleine spitze Fänge. Seine ganze Erscheinung erinnerte an eine Katze. Klein und süß, aber auf der anderen Seite auch genauso mörderisch. „Ich kann es nicht glauben, den Direktor hat es doch tatsächlich erwischt. Vielleicht hättest du weniger Strafarbeiten verteilen sollen.“ Ein dunkles schnurren unterstrich seine sanfte Stimme.

Alexander warf ihm einen wütenden Blick zu.„Halt die Klappe Gabriel und hilf mir hier weg.“

Der Junge hockte sich direkt vor den verletzten Engel. „Wie heißt das Zauberwort, Alexander?“

„Bring mich, bitte, hier weg.“

Wie immer wenn Gabriel überlegte, spielte er mit seinen schwarzen Locken. Dann verbreiterte sich sein Lächeln etwas. „Nein.“ Er ließ sich das Wort merklich auf der Zunge zergehen. „Erst will ich wissen, wo der Dämon ist.“

Alexander hasste den Jungen. Ein eingebildeter Jungspund, der sich etwas auf seine Abstammung einbildete. Aber dieser Dämon gehörte ihm. „Tot. Du weißt doch, ich erledige meinen Job immer.“ Antwortete Alexander so schnippisch wie möglich.

„Ach komm schon, ich sehe dir an, dass du lügst. Also, sag mir in welche Richtung er verschwunden ist und ich erledige das eben.“

„Vergiss es sie gehört mir.“ zischte er zur Antwort. Gabriel beugte sich noch weiter zu ihm vor. „Ich kann verstehen, dass du es lieber selbst beenden willst, aber du hast schon einmal versagt. Vielleicht solltest du das also jemand jüngeres und vor allem stärkeres überlassen.“

„Jemandem wie dir?“

Der Junge grinste ihn nur an. „Zum Beispiel.“ Entgegnete er.

Alexander versuchte sich aufzurichten. „Du unterschätzt die Situation.“

Gabriel lachte. „Es ist ein einfacher Dämon. Was gibt es da zu unterschätzen?“

Jetzt war es an Alexander zu lachen, was er jedoch direkt bereute, denn es verursachte nur mehr schmerzen und endete in einem erstickten Husten. „Sie hat Unterstützung.“

Für einen Moment war Gabriel das Erstaunen deutlich anzusehen. „Es ist aber nur ein Dämon durch die Porta Cosmicae gekommen, das habe ich genau gespürt. Und hier gibt es keine Dämonen mehr, die haben wir alle getötet. Also wer sollte sie unterstützen?“

Sein Grinsen war verschwunden, stattdessen hatte er nun eine todernste Miene aufgesetzt.

„Ist doch egal. Ich werde mich später darum kümmern und jetzt bring mich endlich hier weg!“ Alexander versuchte sich zusammen zu reißen, und zu verhindern, dass seine Stimme vor Schmerz zitterte. Denn er hielt es kaum noch aus. Seine Regenerationskräfte schafften es nicht ihn zu heilen, er brauchte Hilfe.

„Wer war es?“ Wiederholte Gabriel seine Frage. Alexander musterte ihn: Er kannte den Ausdruck sturer Entschlossenheit der gold-grünen Augen. Egal was er sagen würde, Gabriel würde sich nicht mehr von der Frage abbringen lassen, oder davon eigenhändig Jagd auf den Dämon zu machen. Und Alexander hatte keine Zeit mehr. Die Schmerzen wurden immer schlimmer und bald war es zu spät. Dann konnte ihn Niemand mehr heilen.

„Also gut...“ knurrte er schließlich widerwillig. .“Es war einer meiner Schüler: Luca Bailay.“

Gabriel sah ihn eine Weile schweigend an. Alexander war es unmöglich zu sagen, was hinter seiner verschlossenen Miene vor sich ging. Schließlich richtete sich der dunkle Engel auf. „Ich werde das erledigen.“ Meinte er knapp und wandte sich zum Gehen um.

„Hey! Du kannst mich nicht einfach hier zurück lassen!“

„Es kommt jemand anderes um dir zu helfen.“ Er breitete seine großen schwarzen Flügel aus und erhob sich elegant in die Lüfte.

„Ich werde sie dir aber nicht überlassen! Bailay und der Dämon gehören mir, merk dir das!“ Rief Alexander ihm noch so laut wie möglich nach, bevor er erschöpft auf den Boden sank. Egal, was Gabriel plante, er würde es nicht alleine gegen den Dämon und Bailay schaffen. Nicht wenn er schon versagt hatte.

„Alexander!“ Der Engel erkannte die Stimme sofort. Und ein Lächeln schlich sich auf seine Züge. Jetzt würde er geheilt werden, und dann würde er Jagd machen auf Bailay und den Dämon. Und wenn es sein musste auch auf Gabriel.
 

Vorsichtig legte Luca das Mädchen aufs Bett. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn, ihre Haut war fahl und blass, ihre Atmung schwach. Sie war kaum noch bei Bewustsein. Noch immer floss hellrotes Blut aus der Wunde an ihrem Arm. Der Schnitt ging über ihren gesamten Arm und klaffte weit auseinander. Luca wusste nicht, wie es bei so einem Schnitt reichen sollte nur die Blutung zu stillen. Aber etwas anderes konnten sie eh nicht machen. Er konnte nicht nähen, und abgesehen davon, dass sie zu keinem Arzt wollte, war sie wahrscheinlich auch nicht versichert.

Er hastete zum Erste-Hilfe Kasten im Bad und suchte sich einige dicke Mullbinden, Druckverbände und Desinfektionsspray heraus. Er hoffte das würde reichen. Bisher hatte er Glück gehabt, dass Niemand zu Hause war. Wahrscheinlich war seine Mutter einkaufen gefahren und hatte Sarah mitgenommen. Das verschaffte Luca etwas mehr Zeit, sich eine Ausrede für alles einfallen zu lassen. Wenn es überhaupt eine vernünftige Ausrede für ein schwer verletztes Mädchen in ihrem Gästezimmer gab. Luca kehrte zurück in den, in warmen Brauntönen gehaltenen Raum. Er war schlicht eingerichtet, aber ein Gast fand hier alles, was er brauchte. Einen Schrank für Kleider, einen Schreibtisch und sogar eine Kommode samt Spiegel. Nicht zuletzt war da noch das große bequeme Bett, in dem nun das blutüberströmte Mädchen lag. Sie zitterte an am ganzen Körper, und sie warf den Kopf von der einen auf die andere Seite, als hätte sie einen schrecklichen Albtraum. Luca kniete sich neben das Bett, und nahm vorsichtig ihren verletzten Arm in die Hand. Sie zuckte augenblicklich zusammen und sah ihn aus trüben Augen an. „Ist schon gut, ich werde die Wunde desinfizieren, das wird gleich etwas brennen.“ Warnte er sie vor, bevor er das Spray auftrug. Sie schrie auf und versuchte den Arm wegzuziehen, doch Luca hielt ihn fest. Das war gar nicht so leicht, und er vermutete, dass er es nicht geschafft hätte, wenn sie nicht schon so geschwächt gewesen wäre. Es war verrückt, so wie der ganze Tag.

Wie er es im Este-Hilfe Kurs gelernt hatte, legte die Mullbinden auf die Wunde und fixierte sie dann mit einem Druckverband. Er legte den Verband so straff wie möglich an, damit die Blutung möglichst schnell stoppte. Während er ihren Arm verband erzählte er ihr, wie verrückt ihm der ganze Tag vorkam. Dass sein Rektor ein Engel sein solle, kam ihm vor wie ein schlechter Scherz. Und noch immer konnte er nicht glauben, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. Er hatte nie etwas übrig gehabt für irgendwelche Übernatürlichen Dinge. Er hatte als Kind nicht mal wirklich an den Weihnachtsmann geglaubt. Und nun war er auf einmal mitten in einem Kampf mit Engeln. Das war verdammt viel für einen Tag.

Als er mit dem Verband fertig war, bemerkte er, dass sie eingeschlafen war. Sie sah noch immer sehr blass aus, aber er glaubte, dass sie schon viel ruhiger geworden sei. Er überlegte kurz, was er jetzt machen solle. Entschied sich jedoch, dass es unklug war, sie allein zu lassen. Ein seufzen entfuhr ihm. Also würde er hier wohl wache halten. Er stand auf, nur um sich in den Bequemeren Schreibtischstuhl zu setzten. Er wusste nicht, wie lange sie schlafen würde. Allerdings hatte er so viel über das er nachdenken musste, dass ihm bestimmt nicht langweilig werden würde.
 

So schnell, dass kein Menschenauge ihn erblicken konnte trugen ihn die schwarzen Schwingen über den Himmel. Was sollte er nun tun? Diese Frage schwirrte nun schon in seinem Kopf, seit Alexander den Namen Luca Bailay ausgesprochen hatte. Er hätte nie für möglich gehalten, dass ein Mensch auf diese Art in ihren Krieg mit hineingezogen werden konnte.

Es dauerte nicht lange, bis er das kleine Haus der Bailays erreichte. Sanft landete er auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die von üppigen Sträuchern gesäumt war. Eine Weile betrachtete er das Haus. Sarah und ihre Mutter schienen nicht zu Hause zu sein. Nur Luca war da, und er schien tatsächlich den Dämon bei sich zu haben. Gabriel hatte schon immer ein ausgezeichnetes Gefühl für so etwas gehabt. Seine Instinkte waren selbst für Engel extrem ausgeprägt, deswegen war er auch ein so hervorragender Krieger. Allerdings war er noch viel mehr als das. Er war auch als Beschützer auf die Erde gesandt worden. Als Schutzengel der Familie Bailay. Und genau das war sein Problem: Als Krieger war es seine Pflicht alle zu vernichten, die mit den Dämonen Kontakt hatten.

Langsam zog er sein Handy raus und zögerte einen Moment, bevor er die Kurzwahltaste betätigte. „Ja?“ meldete sich die vertraute Samtstimme des älteren.

„Ich habe ein Problem.“ Kurz schilderte Gabriel dem anderen, was passiert war. Dieser schwieg für einen Moment. „Ich weiß nicht, wo dein Problem liegt. Du kennst meine Anweisungen, also befolge sie.“

„Aber ich habe doch die Pflicht-“

„Wem bist du mehr verpflichtet Gabriel? Ihnen oder mir?“ Die Stimme war nun kalt und befehlend. „Ich gab dir einen Auftrag, und an dem hat sich nichts geändert. Kannst du den Auftrag erfüllen, oder nicht?“

Gabriel zögerte kurz. Konnte er das tun?

„Gabriel? Soll ich jemand anderes schicken, der es erledigt?“

„Nein!“ erwiderte Gabriel schnell. „Ich werde das schon erledigen.“

„Gut, ich verlass mich auf dich.“ Am anderen Ende der Leitung wurde aufgelegt. Mit einem mulmigen Gefühl stand Gabriel da und starrte sein Handy an. Er hatte nie zu einem Verräter werden wollen, und nun wurde ihm keine Wahl gelassen.
 

Vor dem Fenster war es mittlerweile stockdunkel geworden. Langsam wurde Luca nervös, er wusste nicht, wann seine Mutter und seine Schwester wieder kämen, und er hatte noch immer keine Ausrede gefunden. Wenn sie doch nur nicht verletzt wäre, dann könnte er sie als eine Austauschschülerin oder so tarnen, da fiele ihm schon was ein. Aber so.

Noch immer lag das Mädchen auf dem Bett und schlief. Immer wieder hatte Luca ihre Atmung überprüft um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich nur schlief. Sich die Wunde nochmal an zu sehen hat er sich nicht getraut. Es war kein Blut durch den weißen Verband zu erkennen, also war die Blutung wahrscheinlich gestillt und er wollte nicht das Risiko eingehen, dass sie wieder anfing.

Langsam drehte er sich mit dem Stuhl. Er hatte so viele Fragen, die er ihr gerne gestellt hätte. Wer sie war, wo sie herkam, was sie hier tat, wieso die Engel sie umbringen wollten, was das für eine Tür war, die er gesehen hatte und noch vieles mehr beschäftigte ihn.

Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie sie langsam aufwachte. Sofort hörte er auf sich zudrehen und sah sie an. „Wie geht es dir?“

Sie sah zu ihm herüber. Sie war noch immer verschwitzt, doch wirkte sie nicht mehr blass und schwach, sondern ausgeruht und gesund. „Mir geht es fantastisch.“ Entgegnete sie knapp. Sie sah sich kurz im Zimmer um, dann wendete sie sich ihrem Arm zu.

„Nicht! Es könnte wieder anfangen-“ Doch noch bevor Luca hatte aussprechen können löste das Mädchen den Verband und offenbarte ihren Arm. Von der Wunde war nicht mehr das geringste gesehen. „Wie ist das -? Was genau bist du?“

Sie sah zu ihm auf, und schien zu überlegen, ob er es wert war ihm zu antworten. „Ich finde ich habe einige Erklärungen verdient, nach allem, was ich heute für dich getan habe.“ rief er ihr ins Gedächtnis.

Sie seufzte. „Also schön was willst du wissen?“

„Einfach alles!“ Entgegnete Luca. „Wer und vor allem was du bist. Was es mit den Engeln. Wieso sie versuchen dich zu töten. Und was war das für eine Tür, durch die du hergekommen bist?“

„Zu deiner ersten Frage: Ich bin ein Dämon, wie du schon mitbekommen haben solltest. Was die Engel angeht... das ist eine längere Geschichte. Und die Tür, durch die ich gekommen bin war eine Porta Cosmicae, das sind -“ erklärte sie.

„Portale zwischen verschiedenen Welten oder Dimensionen, richtig?“ Seine Schwester hatte ihm so oft davon erzählt, dass der lateinische Begriff bei ihm hängen geblieben ist.

Das Mädchen sah ihn sichtlich überrascht an. „Ja. Woher weißt du das?“

„Meine Schwester redet oft von ihnen.“ Erklärte Luca. „Wenn diese Türen wirklich existieren, und Steward ein Engel ist, du ein Dämon – Bedeutet das dann etwa, dass alles, was Sarah erzählt hat wahr ist? Auch das mit Gabbi?“ Luca konnte kaum glauben, dass er tatsächlich in Betracht zog, dass die Hirngespinste seiner Schwester real waren. Aber eine andere Erklärung gab es nicht für das, was er heute alles gesehen hatte.

Das Mädchen sah ihn verwirrt an. „Wer sind Sarah und Gabbi?“

„Sarah ist meine kleine Schwester. Sie redet ständig von den verschiedensten übernatürlichen Dingen, unter anderen auch von den Porta Cosmicae oder Engeln und Dämonen, die sich bekriegen. Deswegen wollte Steward dich umbringen, oder?“ Die Dämonin nickte kurz und Luca fuhr fort: „Gabbi ist Sarahs Katze, sie glaubt, dass er reden könnte. Ich habe nie in Betracht gezogen, dass es stimmen könnte. Aber, wenn der Rest stimmt, dann kann Gabbi vielleicht wirklich reden?“

„Normale Katzen sprechen nicht.“ entgegnete das Mädchen.

„Oh, ok...“ Es enttäuschte Luca leicht, dass seine Schwester sich einiges wohl doch nur einbildete. Der Gedanke, dass sie nicht verrückt war, sondern nur unheimlich viel wusste, war irgendwie beruhigend gewesen.

„Was genau weiß deine Schwester über uns? Und woher weiß sie es?“ Erkundigte sich das Mädchen neugierig. Luca musste kurz überlegen. „ Ich verstehe gar nichts von diesen Dingen, deswegen kann ich es nicht genau sagen, aber sie scheint sehr viel zu wissen. Sie erzählt manchmal von einem Laden, aber das meiste weiß sie angeblich von Gabbi.“ gab Luca zögernd zu. Es klang noch immer sehr verrückt.

„Wo hat sie die Katze her?“

„Ihr damaliger Babysitter, Micha, hat sie ihr vor einigen Jahren geschenkt.“ Er stoppte, und sah sie skeptisch an. „Was interessiert dich das überhaupt?“

„Vielleicht kann deine Schwester mir helfen mich vor den Engeln in Sicherheit zu bringen.“ erklärte das Mädchen.

„Das heißt es werden noch mehr Engel auftauchen, die dich suchen?“ Die Vorstellung, dass eines dieser geflügelten Monster vor seiner Tür auftauchen könnte behagte Luca gar nicht.

Die Dämonin nickte. „Ja, sie werden mich jagen, und jeden der in meiner Nähe ist. Ich danke dir wirklich für alles, was du für mich getan hast, aber ich sollte so bald wie möglich gehen.“ erklärte sie.

„Denkst du, dass du einen sicheren Ort findest?“

Das Mädchen sah zur Seite. „Engel sind gut organisiert... sie haben überall Krieger postiert, deren einzige Aufgabe die Dämonenjagd ist – also wahrscheinlich nicht. Aber ich werde es schon schaffen.“

So ganz überzeugte das Luca jedoch nicht. „Kannst du nicht wieder zurück; dort müsstest du doch in Sicherheit sein.“

Grace schüttelte den Kopf „Nein, es ist nicht sicherer. Außerdem will nicht wieder zurück...“ Die Antwort kam ganz leise. Luca versuchte sich zu erinnern, woher Dämonen kamen. Doch auch ohne, dass er es schaffte, konnte er sich vorstellen, dass es ein schrecklicher Ort sein musste. Selbst wenn dieses Mädchen vor ihm ein Dämon war, war sie doch anders, als er sich diese Monster vorgestellt hatte. Und so wie sie nun vor ihm saß, und ihr ganz offensichtlich vor einer Rückkehr graute, hatte er keine Zweifel mehr, dass sie von dem schrecklichsten der Welt kam. Er zögerte kurz, aber legte ihr dann doch eine Hand auf die Schulter. „Dann musst du auch nicht zurück.“
 

Grace sah zu der Hand auf ihrer Schulter und dann hoch zu dem lächelnden Gesicht des Jungen. Sie brachte kein Wort heraus, sie konnte nicht in Worte fassen, was es ihr bedeutete, dass er sie nicht zurück schicken wollte. Wie dankbar sie ihm war, dass er ihr die Möglichkeit gab in dieser Welt zu bleiben. Um davon abzulenken versuchte sie schnell wieder aufs Thema zurück zu kommen. „Also wo ist deine Schwester? Je schneller ich-“

„Sie ist nicht da.“ unterbrach Luca sie. „Außerdem denke ich solltest du hier bleiben.“

„Sie werden mich jagen und sie werden mich hier finden. Wahrscheinlich wissen sie schon, dass ich hier bin. Du bringst deine Familie in Gefahr, ist dir das klar? Engel kennen keine Gnade. Sie werden euch töten, und euch in den Tartarus werfen.“ protestierte Grace. Ihr gefiel die Vorstellung nicht, dass der Junge litt. Er hatte ihr geholfen, eine dumme Tat, aber sie musste zugeben, aber eine mutige. Noch nie hatte jemand so etwas für sie getan. Sie wollte nicht dafür verantwortlich sein, wenn ihm etwas passierte. Es schmeichelte ihr zwar, dass er ihr helfen wollte. Aber Fakt war nun mal, dass dieser Kampf nichts für Menschen war. Sie waren zu schwach, zu zerbrechlich um es mit Engeln aufzunehmen.

„Dann sag mir, was passiert, wenn die Engel dich hier suchen, und du nicht hier bist?“ Stellte der Junge als Gegenfrage. Grace wusste keine Antwort. Der Junge hatte recht. So oder so würden die Engel ihn für seine Hilfe heute bestrafen.

„Das hab ich mir gedacht.“ Entgegnete er. „Also ist es beschlossen, du bleibst hier. Ich bin mir sicher, dass es Möglichkeiten gibt, das Haus zu sichern.“ meinte er überzeugt.

Ihr blieb wohl keine andere Wahl mehr. Ganz kurz schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, das sie jedoch schnellst möglich unterdrückte. „Also gut ich bleibe.“ meinte sie desinteressiert. „Aber was erzählen wir deiner Familie?“

Ein listiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Wir sagen ihr einfach du seist eine Austauschschülerin aus Europa. Eigentlich hättest du bei Henry unterkommen sollen, aber da er krank geworden ist, brauchtest du eine andere Unterkunft. Ich bot mich an auszuhelfen – wir könnten auch sagen mein Direktor sei der Meinung, dass es gut für mich sei, mich um dich zu kümmern.“ Erklärte er ihr seinen Plan.

„Und deine Mutter wird nicht dagegen haben, wenn du vollkommen Fremde einfach bei dir aufnimmst?“

Der Junge winkte ab. „Meine Mutter ist da ziemlich offen – besonders, wenn jemand Hilfe braucht. Allerdings solltest du besser Duschen, bevor sie wiederkommt und ich dich vorstelle. Du bist voller Blut.“ meinte er grinsend. Grace sah an sich hinunter. Ihre gesamten Kleider waren verkrustet von Blut und Staub, zerrissen durch den Kampf und sahen nicht mehr zu retten aus. „Ich habe nichts anders anzuziehen.“ murmelte sie leicht verlegen.

„Hm.“ Der Junge musterte sie einen Moment genau. Sie fühlte sich seltsam unter diesem abschätzenden Blick, er gab ihr das Gefühl vollkommener Nacktheit. „Ich würde schätzen, dass du die selbe Größe wie Claire hast.... Dann habe ich Kleidung für dich.“

„Gut.“ Da er sich erhob erhob sie sich ebenfalls.

„Dann zeig ihr dir jetzt das Bad und such dir ein paar Sachen raus. Am besten wir beeilen uns etwas, ich hab das Gefühl, meine Familie kommt bald wieder.“ Grace nickte nur um ihm zu zeigen, dass sie verstanden hatte. Dann folgte sie ihm zur Tür, wo er nochmal inne hielt und sich zu ihr drehte. „Ich hab dich noch gar nicht nach deinem Namen gefragt.“ bemerkte er mit einem leicht verlegenen Lächeln.

Sie erwiderte sein Lächeln. „Ich bin Grace.“

„Luca.“ Er reichte ihr die Hand und nach kurzem zögern ergriff sie sie. „Und es gibt doch einen Weg, das Haus zu sichern, oder?“ fragte er nun doch leicht besorgt.

„Deine Schwester kennt bestimmt welche.“

Luca atmete beruhigt durch. „Sehr gut.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sozl
2012-10-22T20:01:32+00:00 22.10.2012 22:01
Teilweise recht unerwartetes Geschehen, aber insgesamt ziemlich interessant und immer noch irgendwie sehr anime-esque :D


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