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Aquila

von

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Die Vögel

„Flieg langsamer!", rief Isabelle Alexander verzweifelt hinterher, doch der andere hörte sie scheinbar nicht. Vielleicht war es ihm auch einfach egal. Mit einem mulmigen Gefühl sah sie , wie er von der Dunkelheit verschluckt wurde. Sie wollte ihm hinter her, wollte ihn einholen, an seiner Seite fliegen. Doch sie konnte nicht. Jetzt schon hatte sie das Gefühl ihre Flügel würden abreißen, so viel Kraft legte sie in jeden einzelnen Schlag. Isabelle war keine schnelle Fliegerin. Sie war auch keine Kriegerin, zumindest sah sie selbst sich nicht so. Und es widerstrebte ihr, zu einem Haus zu fliegen, um die dort lebenden Menschen zu töten. Dämonen, ja. Dämonen waren etwas anderes; besonders wenn sie ihren Alexander verletzt hatten.

„Wir werden ihn früh genug einholen." kam es von rechts.

Isabelle schaute kurz zu dem jüngeren, der direkt neben ihr flog. Es wäre ein leichtes für ihn gewesen Alexander nicht nur einzuholen, sondern ihn sogar zu überholen. Gabriel war von ihnen dreien der mit Abstand schnellste Flieger. Sie die schwächste. „Wieso fliegst du bei mir?"

„Jemand muss doch auf dich achten." entgegnete er barsch, ohne sie anzusehen.

„Solltest du nicht besser Alexander im Kampf bei stehen? Was wenn wir -"

„Er schafft das schon allein." unterbrach Gabriel sie.

„So wie beim letzten mal?" fragte Isabelle leise, und fügte etwas lauter an. „Sonst traust du ihm doch nicht so viel zu – was ist wirklich los?"

„Ich weiß nicht, was du meinst." Gabriel sah sie mit einem unschuldig fragenden Blick an.

„Ich meine damit, dass ihr euch bei jeder Gelegenheit streitet, euch lächerlich macht und die Fähigkeiten des anderen herabwürdigt."

Gabriel lachte kurz. „Das sind doch alles nur Spielereien, nichts davon ist ernst gemeint." erklärte Gabriel ihr. „Im Grunde verstehen Alexander und ich uns sehr gut, das weißt du doch."

Nein, das wusste Isabelle nicht. Genaugenommen wusste sie genau, dass Alexander Gabriel nicht ausstehen konnte. Und egal, was der kleine ihr gerade versuchte weiszumachen, sie wusste, dass es er Alexander genau so wenig leiden konnte. Allerdings würde sie ihn wohl nicht dazu bringen ihr den wahren Grund zu sagen. „Wie du meinst."

Vielleicht blieb er auch wirklich nur bei ihr, um auf sie aufzupassen. Sie war nun mal die schwächste von ihnen. Dabei versuchte sie es wirklich. Sie trainierte hart, um stärker zu werden, um an Alexanders Seite kämpfen zu können, ihn Stolz zu machen und ihm eine Hilfe zu sein. Aber es schien alles vergebens.

„Wir sind gleich da." Hörte sie Gabriels Stimme, und Isabelle nickte nur kurz, um zu zeigen, dass sie ihn verstanden hatte. Ihre Hände fingen vor Aufregung an zu kribbeln, sie konnte schon das Haus sehen.

Ein blaues Blitzen erhellte die Dunkelheit vor ihnen. Und Isabelle konnte sehen wie Alexander zurück geschleudert wurde. „Alexander!" schrie sie. Doch wieder hörte er sie nicht.

Sein Gesicht war Wut verzerrt. Mit gefletschten Zähnen und markerschütterndem Gebrüll stürzte er sich erneut auf das Haus nieder, und wieder prallte er an der unsichtbaren Wand ab. Mehrmals drehte er sich um sich selbst, bevor er trudelnd neben Gabriel und Isabelle zum stehen kam.

„Ein Schutzschild?!" rief Gabriel überrascht aus. „Der Dämon scheint doch mächtiger zu sein, als gedacht. Kein Wunder das du ihn nicht besiegen konntest."

Alexander warf ihm nur einen kalten Blick zu und wendete sich wieder dem Haus zu. „Der Schild kann nicht besonders stark sein."

„Dafür wurdest du aber weit zurück geschleudert." warf Gabriel ein.

„Vielleicht sollten wir uns einen anderen Plan überlegen." schlug Isabelle vor.

„Nein!" fuhr Alexander die beiden wütend an. „Wir werden den Schutzschild mit Gewalt durchbrechen." Ein verrückter, entschlossener Ausdruck lag auf seinen Zügen, sodass nicht einmal Gabriel ihm etwas entgegen setzten konnte. „Also gut." war alles was er dazu sagte, dann schloss der junge Engel seine Augen und begann leise Beschwörungen zu murmeln.

Auch Isabelle begann nach einem Blick auf Alexander mit einer Beschwörung. Es waren einfache Zauber zum brechen kleinerer Schutzzauber. Einen stärkeren Zauber anzuwenden traute sie sich nicht, sie hatte zu wenig Erfahrung und kaum Begabung in diesem Bereich. Zudem konnte sie sich nicht recht konzentrieren, denn Alexander flog angespannt um die beiden herum und bombardierte den Schild immer wieder mit aggressiven Attacken, welche von seinen Talismanen unterstützt wurden. Er ließ Feuer und Blitze auf das Haus der Baileys niederregnen, während sich um sie herum ein Sturm zusammen braute.
 

Ein Beben durchlief ihn, von den Haarspitzen bis in die Zehen baute sich der Druck auf. Luca hatte das Gefühl es würde ihn zerreißen. Jeder seiner Muskel war bis zum äußersten gespannt. Seine Lunge war aufgebläht wie ein Ballon. Verzweifelt versuchte Luca nach Luft zu schnappen, aber er konnte weder aus noch einatmen. Panik stieg in ihm hoch, als ihm klar wurde, dass er am ersticken war. Trotzdem baute sich der Druck noch weiter auf. Seine Augäpfel traten hervor, bis seine Sicht verschwamm. Grace und Sarah waren nur noch schemenhafte Schatten. Der stürmische Himmel über ihm war nichts weiter als eine unförmige grauschwarze Masse, durch die verschwommene Lichtblitze tanzten.

Alles in ihm brannte wie Feuer, es war nicht mehr auszuhalten. Luca wünschte sich, dass er ohnmächtig wurde und es nicht mehr mitbekam, wie er explodierte, doch der Wunsch wurde ihm nicht erfüllt.

Er spürte den Schweiß auf seiner Stirn ausbrechen, er wollte um Hilfe bitten, doch er konnte seinen Lippen nicht bewegen. Es war sinnlos. Tränen bahnten sich ihren Weg nach draußen kurz bevor die Welt in Flammen aufging. Die Schockwelle verließ Lucas Körper und nahm seine letzte Energie mit sich. Ihm wurde schwarz vor Augen, seine Knie gaben nach. Wie aus weiter Ferner nahm das schreien von Mensch und das Geräusch zerberstender Gegenstände war, kurz bevor er auf dem regennassen Dach zusammen sank.
 

Isabelle bekam Probleme sich in der Luft zu halten, der Wind zerrte an ihren durchnässten Flügeln und ihre vollgesogenen Kleider schienen sie nach unten zu ziehen. Ihre Zauber zogen ohne Wirkung an dem Schild vorbei. So langsam wurde sie ratlos, was sie noch tun sollte. Alexander rief ihr Anweisungen zu, doch durch das Tosen des Windes konnte sie ihn nicht verstehen.

Durch die dichte Dunkelheit um sie herum war es mittlerweile unmöglich zu erkennen, was in dem Haus vor sich ging. Zudem machte es nicht den Eindruck, als könnte der Schutzschild durch die Attacken der Engel geschwächt werden. Weder Gabriels noch ihre Zauber wirkten, und Alexanders Angriffe prallten von der unsichtbaren Wand in alle Himmelsrichtungen ab. Nicht selten wurde der vor Wut rasende Engel von seinen eigenen Zaubern erwischt. Sein Mantel schwelte leicht und Isabelle hatte die Befürchtung, dass er schon längst in Flammen aufgegangen wäre, würde es nicht in Strömen regnen. Nein, es hatte keinen Zweck weiter zu machen. Sie wollte Gerade den Vorschlag machen, sich zurück zu ziehen und einen neuen Schlachtplan zu entwickeln, als etwas geschah: Die Welt um sie herum schien zu erbeben, Schreie wurden vom Wind durch die Nacht getragen.

Die drei Engel sahen sich einen Moment verwirrt an. Ein so heftiges Erdbeben hatten sie eigentlich nicht geplant. „Was ist passiert?“, fragte Isabelle.

„Keine Ahnung.... Hast du?“, Gabriel wandte sich an Alexander, dieser schüttelte den Kopf. „Keiner meiner Zauber hätte -“, das Wort blieb ihm im Halse stecken, als er die Feuerwand auf sie zurasen sah, die sich wie eine Kuppel um das Haus ausbreitete. „Nach oben!“, schrie er und sie jagten in den Himmel, das Feuer direkt hinter sich.

Isabelle schrie auf, als die Flammen sie erfassten. Sie ist so schnell geflogen, wie sie konnte, aber es war einfach nicht schnell genug. Der Schmerz durchzuckte sie in brennenden Wellen, als sich das Feuer um ihre Fersen wand wie eine Schlange. Verzweifelt schlug sie mit den Flügeln, versuchte dem Tod zu entrinnen. Aber sie schaffte es nicht. Sie fühlte, wie die Flammen ihre Beine hinaufkrochen. Schreckliche Schreie entwanden sich ihrer Kehle, bis sie das Gefühl hatte zu sinken. Es war zu viel. Viel zu viel für sie.

Etwas zog sie nach oben, raus aus den Flammen, fort von der Gefahr hinein in den kühlen Regen. Der Wind wirbelte sie herum, aber noch immer wurde sie weiter nach oben gezogen. Sie schaute hinauf in den Himmel, konnte jedoch nur die unförmige Silhouette ihres Retters sehen. „Halt noch etwas durch! Nur noch ein Stück, dann sind wir raus!“, schrie er ihr zu.

In ihrem Kopf rauschte es.

Er war zurück gekommen, um sie zu retten, obwohl er auch hätte verbrennen können. Ihr Herz setzte einen Satz aus bei dem Gedanken. Sonst, war er immer so kühl zu ihr und – sie schüttelte die Gedanken ab. Sie musste ihm helfen, noch waren sie nicht in Sicherheit. So schnell sie konnte versuchte sie mit den Flügeln zu schlagen und ihm zu helfen. Als die Luft deutlich dünner wurde verlangsamten sie. Selbst magisches Feuer hatte seine Grenzen, und so konnten sie beobachten, wie die letzten Flammen weit unter ihnen erstarben.

„Ist alles ok?“

Isabelle drehte sich zu ihrem Retter um, und erstarrte für einen Moment, als sie die goldgrün gesprenkelten Augen Gabriels erblickte. „Ja, es sind nur ein paar Verbrennungen“, erklärte sie und sah sich nach Alexander um. Er schwebte einige Meter über ihnen, den Blick auf das ausbrennende Feuer gerichtet.

„Diese dreckigen Bastarde“, fluchte er. „Wie können sie es wagen, uns mit einem so hinterlistigen Trick anzugreifen!“

„Ich denke, sie nennen das Verteidigung“, warf Gabriel lakonisch ein, während er sich Isabelles Verbrennungen genauer ansah. Ihre Hose war fast komplett verbrannt, die letzten Reste verkohlten Stoff waren mit dem roten Fleisch verschmolzen, welches große Blasen warf. Isabelle hatte nochmal Glück gehabt, Luca konnte nur Verbrennungen ersten und zweiten Grades ausmachen, keine dritten Grades. Trotzdem nahm die verbrannte Fläche fast ihre gesamten Beine ein, und musste schnellstmöglich behandelt werden.

„Was machen wir nun?“, Isabelle versuchte den Schmerz aus ihrer Stimme zu verbannen, aber die Wahrheit war, dass es sie fast den Verstand raubte.

„Wir greifen erneut an“, verkündete Alexander.

„Erstmal kümmern wir uns um diese Verbrennungen“, warf Gabriel ein, erdolchte Alexander mit seinem Blick. Erst jetzt schien der ältere Isabelles Verletzungen zu bemerken. „Ist es so schlimm?“

„Nein“, platzte es aus Isabelle, „Nicht mehr als ein Kratzer.“ Sie wollte auf gar keinen Fall, dass er sie weg schickte.

„Dann können wir ja einen -“

„Das ist doch Unsinn!“, rief Gabriel aufgebracht. „Du brauchst hier nicht die starke zu spielen Isabelle. Die Verbrennungen sind schlimm, und müssen schnellst möglich behandelt werden. Wir sollten es für heute belassen und uns zurück ziehen.“

„Wir geben auf keinen Fall auf!“, knurrte Alexander. „Wenn es dir zu gefährlich wird, dann kannst du gerne zurück zu deiner Mutter gehen, wir werden kämpfen.“

„Das ist Wahnsinn!“

„Das ist Gerechtigkeit!“, donnerte Alexander. Gabriel schoss zu ihm hinauf, sodass sie auf einer Höhe flogen. „Gerechtigkeit? Nennst du es gerecht, wenn sie für deinen persönlichen Rachefeldzug stirbt?“

„Gabriel, es ist schon in Ordnung“, meinte Isabelle eindringlich, verstummte jedoch unter Gabriels wütendem Blick.

Alexander starrte Gabriel eine Weile an. „Gut“, gab er schließlich von sich und wandte sich an Isabelle. „Ich will, dass du sofort zurück fliegst, lass deine Wunden behandeln und ruhe dich aus.“

„Aber!“

„Das ist ein Befehl!“, fiel Alexander ihr ins Wort. „Gabriel, da du nicht verwundet wurdest, gehe ich davon aus, dass du mir in den Kampf folgen wirst – alles andere wäre eine Dienstverweigerung.“

„Ich tue alles, was nötig ist“, erwiderte der Junge.
 

„Luca! Luca steh auf!“, etwas schüttelte ihn heftig. Angenehm kalter Regen fiel ihm aufs Gesicht. Er fühlte sich müde und schlaff, als sei ihm jegliche Energie entzogen worden. Das einzige, was er wollte war schlafen, doch etwas ließ ihn nicht. „Luca, verdammt noch mal! Steh auf!“

Ein lautes Patschen erklang, als Graces Hand auf Lucas Wange aufschlug, doch es funktionierte, Luca konnte sie nicht länger ignorieren. „Ich bin wach“, grummelte er erschlagen und versuchte sich aufzurichten. „Argh!“ Ein stechender Schmerz schoss durch seinen Kopf und seine Glieder. „Was ist passiert? - Das Feuer! Wo ist Sarah, ist bei euch alles in Ordnung?“

Grace legte ihm beruhigend eine Hand auf die Brust. „Uns ist nichts passiert... deine Schwester sie, nun sie hat uns vor dem Feuer geschützt“, erklärte Grace, klang jedoch der Sache gegenüber jedoch recht skeptisch.

„Was soll das heißen, sie hat euch beschützt?“, fragte Luca und hielt sich den schmerzenden Kopf.

„Nun, ja sie...“, Grace suchte offensichtlich nach den richten Worten. „Ich habe so etwas noch nie gesehen...“, gab sie zu. Dann setzte sie sich zur Seite und deutete auf Sarah.

Luca wagte es nicht seinen Augen zu trauen. Seine Schwester schwebte, umhüllt von einer Art Kokon aus Wind etwa einem halben Meter über dem Dach. Ihre Augen waren geschlossen, ihr ganzer Körper glühte in einem weißgoldenen Licht. Ihre Lippen erbebten unter der alten Beschwörung, welche wie ein Lied vom Wind getragen wurde.

Luca konnte seine Schwester nur wie gebannt ansehen. Nie hätte er geglaubt, dass sie zu so etwas fähig wäre, dass so etwas überhaupt möglich war. „Was ist das für ein Zauber?“, fragte er.

Grace schien genauso fasziniert zu sein, wie er selbst. „Das erkläre ich dir später – Sarah wird noch eine Weile brauchen, aber die Engel bestimmt nicht.“

Luca raffte sich auf. Seine Muskeln rebellierten schmerzhaft, sodass er sich am liebsten wieder zu Boden hätte sinken lassen. „Au... verdammt. Dann sollten wir uns beeilen.“ Er zog seinen Stein hervor. Doch dieser hatte sich verändert, die dunkelrote Farbe war gewichen. Zurückgeblieben war nicht mehr, als ein blassrosa Kristall.

„Der hat nicht mehr viel Saft – du musst aufpassen, welche Zauber du anwendest“, warnte ihn Grace.

„Was meinst du damit?“, hakte Luca nach. Grace warf ihm einen grimmigen Blick zu. „Hast du das Buch überhaupt gelesen?“

„Ja“, entgegnete Luca, doch unter ihrem vernichtenden Blick knickte er ein. „Ok, vielleicht habe ich ein paar Sachen nur überflogen“, gab er zu.

Enttäuschung spiegelte sich in ihren Zügen wieder. „Elementare Talismane enthalten nur eine bestimmte Menge Magie, das heißt, irgendwann sind sie leer. Bei dem, was du vorhin eingesetzt hast, ist es ein Wunder, dass er noch nicht vollkommen aufgebraucht ist. Du solltest dich jetzt also auf einfache Zauber beschränken“, erklärte sie ihm, und zog ihren eigenen Stein heraus, welcher ebenfalls viel heller zu sein schien, als zuvor. Sie fluchte leise, während ihr Blick kurz vom Stein zu Luca wanderte. „Ich werde versuchen Sarah von unten vor ihren Zaubern zu beschützen, bis sie mit ihrer Beschwörung fertig ist. Du versuchst die Engel auf Abstand zu halten. Verstanden?“

„Nicht ganz – wieso willst du nach unten und wie soll ich die Engel aufhalten?“, Luca sah sich beinahe Hilflos um.

„Je, näher ich am Boden bin um so einfach ist es Erdmagie ein zusetzen. Und du... versuchst es am besten mit Pila Flamae oder Fulmen. Und wenn sie direkt vor dir stehen...“, ihr Blick wanderte kurz am Dach vorbei. Dann ging sie zur Kante, bückte sich und riss ein Stück der Regenrinne raus, das sie Luca reichte. „Nicht wirklich, oder?“ Er sah sie zweifelnd an, doch ihr entschlossener Blick ließ nicht den Hauch eines Zweifels zu. „Du meinst es tatsächlich ernst“, stöhnte Luca, und wollte sich gar nicht vorstellen, wie lächerlich es wirken musste, wenn er sich damit einem Engel entgegenstellte. „Rumpia Flamae“, bläute sie ihm ein. „Es wird nicht lange halten, aber etwas anderes können wir nicht tun“, erklärte sie. „Wir werden Sarah so viel Zeit erkaufen, wie wir können, wenn wir Glück haben, gelingt ihr der Zauber und wir gewinnen zumindest diese Schlacht.“

Verwirrt schaute Luca zu seiner leuchten Schwester. „Was genau bewirkt dieser Zauber?“, fragte er noch einmal. Ein feines Lächeln umspielte Grace Lippen. „Lass dich überraschen“, meinte sie nur, ehe etwas anderes am Himmel ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. „Sie sind da.“

Luca sah hinauf und entdeckte ihn, er sah aus wie ein überdimensionaler, weißer Riesenvogel, gefolgt von einem schwarzen Schatten, der aus der Wolkendecke geschossen kam.

„Ich hoffe du kannst gut zielen“, meinte Grace noch, ehe sie mit einem geschickten Sprung das Dach verließ.

Mit einem mulmigen Gefühl drehte sich Luca zu den Engeln um. „Dann mal Hals und Beinbruch...“, meinte er zu sich selbst und sah kurz zu seiner Schwester, die nichts um sie herum mitbekommen zu schien. Er hoffte, dass es ihr wirklich gut ging, etwas gruselig war diese leuchtende Schwebenummer schon.

Luca stellte sich vor seine Schwester den Engeln entgegen, unter denen er zu seiner Überraschung seinen ehemaligen Schulleiter erkannte. Dabei hatte er gedacht, dass er ihn erwischt hätte. Ein mulmiges Gefühl machte sich ihn ihm breit: Wenn er ein solches Feuer überlebte, wie sollten sie dann siegen? Luca schluckte seine Ängste hinunter, für so etwas hatte er gerade keine Zeit, er musste sie von seiner Schwester fernhalten.

Er deutete mit dem Stein direkt auf Direktor Steward – kam sich in dieser Pose ziemlich dämlich vor, ignorierte dieses Gefühl jedoch ebenfalls – und versuchte es mit dem Zauber, den Grace ihm genannt hatte. „Pila Flamae!“, rief er und verbannte jegliche Zweifel aus seinen Gedanken. Ein einzelner, kleiner Feuerball schoss auf den ehemaligen Direktor zu, welcher dem Geschoss geschickt auswich. Der lachte süffisant: „War das alles?“, fragte er höhnisch, während er zum Gegenschlag ausholte. „So geht das! Phlegeton!“ Eine riesiger Feuerstrahl jagte auf Luca zu, welcher „Fulmen!“, schrie, in der Hoffnung, dass der Zauber das Feuer aufhielte, doch es Blitze nur über dem Kopf des kleineren Engels. „Und was nun?“, schoss es durch seinen Kopf. Er könnte ausweichen, doch dann würde das Feuer seine kleine Schwester direkt treffen. Grace hatte ihm nicht gegeben, womit er sich verteidigen konnte.

Er schloss die Augen, riss die Arme vors Gesicht, kurz bevor das Feuer ihn verschlingen würde. Doch das einzige, was er spürte war, wie etwas auf ihn hinab rieselte. Als er durch seine Arme spähte erkannte er eine Wand aus Erde und Schlamm, welche ihn vor dem Feuer geschützt hatte. Sie hielt nur wenige Sekunden, ehe sie in sich zusammen sackte und die Sicht auf die Engel freigab.

Sie schwebten einige Meter von ihnen Entfernt und schienen sich zu beraten. Alexander schien Befehle zu erteilen, die dem anderen nicht gefielen.

Ein Lächeln umspielte Lucas Mundwinkel. Seiner Meinung nach konnten sie sich ruhig streiten, das machte es ihm nur einfach sie zu treffen. Sorgfältig legte er den Stein auf sie an – welchen Zauber hatte Mr. Steward benutzt? Pegeton? Oder Plegton? Nein, das war es nicht. „Phlegeton!“

Ein Strahl aus lodernden, hellgelben Flammen brach aus dem Stein heraus und raste direkt auf die Engel zu. Der kleinere bemerkte es in letzter Sekunde, stieß Mr. Steward von sich und katapultierte sie so aus der Gefahrenzone heraus. Ihre Kleiden schwelte und sie schauten wütend zu Luca, der direkt nachlegte. So schnell er konnte wiederholte er den Zauber, mit dem er Feuerbälle verschießen konnte und bombardierte seinen ehemaligen Direktor. Dieses mal würde er ihn nicht entkommen lassen.

Seine Zunge überschlug sich, es war schlimmer als jeder Zungenbrecher. Luca hatte das Gefühl, dass er sich jedes zweite mal verhaspelte, wodurch der Zauber nicht funktionierte. Magie war nicht gerade eine praktische Sache, dachte er bei sich, und war sich sicher, dass es auch eine effektivere Art geben musste Magie einzusetzen.

Er begann zwischen den Zaubern zu wechseln. Jagte den ehemaligen Direktor mit Geschossen aus Feuer und Blitzen, aber er kam trotzdem näher. Er war nur noch wenige Meter von Luca entfernt. „Jetzt“, schoss es durch Lucas Kopf. „Phle-“, auf einmal war sein Mund voller Schlamm. Die zähe Mischung aus Dreck und Wasser erwischte ihn vollkommen unvorbereitet, brachte ihn zum taumeln, und raubte ihm für einen Moment einen Teil seiner Orientierung. Hustend und spuckend versuchte den Dreck loszuwerden, wischte sich übers Gesicht um wieder richtig sehen zu können.

Im nächsten Augenblick wäre es lieber gewesen nichts zu sehen: Vor ihm ragte Alexander Steward auf, sein Schwert zum Schlag erhoben. Gerade noch rechtzeitig zog Luca seine Regenrinne nach oben und kreischte: „Rumpia Flamae!“
 

Geschickt wie eine Katze landete der kleinere Engel vor Grace, ein abfälliges Lächeln auf den Lippen. „Gut reagiert“, räumte er ihr ein. Erst vor wenigen Sekunden hatte sie verhindert, dass er Luca von Dach spülte. „Aber ich denke, dein Freund wäre ohne deine Hilfe besser dran gewesen, nun hat er Alexander als Gegner.“

„Mit dem ist er schon mal fertig geworden“, erwiderte Grace und ließ den Engel nicht aus den Augen. Er verunsicherte sie. Seine schwarzen Haare und vor allem, die ebenso schwarzen Schwingen verwirrten sie. Dazu kamen die feinen Fangzähne, welche sein spöttisches Grinsen offenbarten. „Ja. Er hat ihn ziemlich zugerichtet, unseren Dämonentöter“, stimmte er belustigt zu. Wurde dann jedoch ernst: „Wenn du dich mir ergibst, kann ich vielleicht das Mädchen und die Mutter retten.“

„Du meinst, wenn ich mich von dir umbringen lassen“, entgegnete Grace.

„Dein Tod war besiegelt, als du diese Dimension betreten hast – also, wieso willst du die ganze Familie mit dir ziehen?“, erkundigte sich der Engel ruhig.

Grace warf einen Blick zum Dach, das Geräusch aufeinanderprallenden Metalls war zu hören, begleitet von der leisen Melodie von Sarahs Lied. „Was wird aus Luca?“

Der Engel gab ein knurrendes Geräusch von sich. „Er hat sein Leben verspielt als er Alexander bloßstellte.“

Grace lachte kurz auf, es war einfach zu ironisch. „Rache.“ Ihr Gegenüber nickte, schien selbst nicht begeistert von der Sache zu sein. Grace schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Nun, danke, dass du es mir so einfach machst“, verkündete sie. „Aber ich lehne dein Angebot ab. Lapidus Iatus, Tremor – Vinculum per Lapidem!“

Mit einem Lächeln wich der Engel dem Steingeschoss aus, doch dann kostete ihn das Beben sein Gleichgewicht, seine Beine verfingen sich im Schlamm, in welchem er bis zur Hüfte eingeschlossen wurde, so dass er sich kaum noch bewegen konnte. Er setzte zu einem Gegenzauber an, doch Grace war schneller und ließ ihn mit „Silesce“ verstummen. Langsam ging sie auf ihn zu, und schaute traurig auf ihn hinab. „Weißt du, ich wäre froh, wenn wir das so leicht regeln könnten“, meinte sie zu ihm. „Aber ihr müsst ja so verdammt engstirnig sein.“ Sie hätte über sein Angebot nachgedacht, wäre damit auch Luca in Sicherheit gewesen.

Sie beugte sich zu ihm hinunter. Betrachtete sein junges Gesicht, er war mit Sicherheit einige Jahrhunderte jünger als sie selbst. „Ich verurteilt uns, und schickt selbst Kinder in den Kampf“, murmelte sie angewidert, während sie die Kette um seinen Hals unter die Lupe nahm. Es war eine feine Silberkette, an der ein kleines Amulett hing, dessen Mitte ein violetter Kristall bildete. Grace stieß einen Pfiff aus, als sie den Stein sah. „Nicht schl-“, weiter kam sie nicht. Gerade so hatte sie es geschafft den Eisnadeln zu entkommen. Hektisch schaute sie sich um, auf der Suche nach dem Angreifer, aber es gab keinen. Ein Lachen vor ihr zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, als sie sah, wie um den Jungen herum Wasser aus der Erde trat und ihn von seinen Fesseln befreite. „Was?“ Langsam wich Grace zurück, beobachtete, wie sich der Regen um den Engel verdichtete bis er einen Wasserstrahl mit fließenden Bewegungen zwischen seinen Händen herum schob. Ein spitzbübisches Grinsen umspielte seine Lippen.

„Reine Magie“, stellte Grace fest.

Der Engel nickte. „Ich bin Gabriel, der Sohn des Erzengels Gabriella und selbst Herr über das Wasser“, erklärte er stolz und sah die Steinwand nicht kommen, die mit einem lauten Knall gegen seinen Hinterkopf schlug. Er konnte gerade noch das Gleichgewicht halten. „Stumme Magie.“ Mit einem Grinsen sah er zu Grace auf: „Ich denke das könnte lustig werden.“

Grace ließ den braunen Kristall durch ihre Finger tanzen, ehe sie fest die Faust darum schloss. „Das denke ich auch“, stimmte sie ihm mit einem freudigem Lächeln zu, wich mit einem eleganten Sprung der Wasserpeitsche aus und griff gleichzeitig mit Steingeschossen an. Gabriel schützte sich mit einer Wand aus Wasser, welche er im nächsten Augenblick zum Angriff verwendete. Grace errichtete eine Steinwand als Schutz. Doch Gabriel lenkte es drum herum, griff nach ihrem Knöchel und schleuderte sie gegen die Wand des Nachbarhauses. Grace presste es die Luft aus den Lungen, sie merkte wir ihr schwarz vor Augen wurde, aber sie riss sich zusammen. Rollte sich vor den Eisnadeln in Sicherheit und zog Gabriel den Boden unter den Füßen weg, so dass er im Schlamm landete. Sie löste eine Erdwand aus dem Boden, und wollte sie auf ihn fallen lassen, doch er zersprengte sie vorher mit Wasser, so dass der Schlamm umher spritzte.

Sie richteten sich auf, fixierten einander, schleuderten ihre Geschosse ab. Erde traf auf Wasser, und weiterer Schlamm flog durch die Gegend. Ein Steinbrocken wurde nicht vom Wasser erwischt und traf Gabriel in der Magengegend, so dass es ihn nach hinten Haute. Grace setzte zu einem weiteren Angriff an, aber es geschah nichts. Sie wiederholte den Zauber, dieses mal laut. Wieder nichts.

Auf der anderen Seite des ramponierten Gartens setzte sich der Engel auf, wischte sich den Dreck aus dem Gesicht und lachte. „Dabei hat es gerade angefangen, Spaß zu machen.“

Mit einer schrecklichen Vorahnung öffnete Grace ihre Hand und betrachtete den Talisman darin. Jegliche Farbe war aus dem Stein gewichen und zurückgeblieben war nur eine fahle, brüchige Hülle, die unter den Regentropfen in sich zusammen fiel. Sie hatte nichts mehr, womit sie sich verteidigen konnte. Kälte kroch ihre Glieder hinauf, sorgte dafür, dass sie sich nicht einmal mehr Bewegen konnte. „Ja, ich fing ebenfalls gerade erst an warm zu werden“, entgegnete sie mit einem traurigen Lächeln, während die beißende Kälte ihre Brust zuschnürte.

Langsam kam Gabriel auf sie zu, eine funkende Eisklinge in der Hand. „Dann beende ich es jetzt.“ Er erhob die Klinge, bereit zum Schlag. Für Grace gab es kein Entkommen mehr, das letzte was sie dachte, war, dass es bei Luca hoffentlich besser lief. In dem Moment explodierte das Dach der Baileys und machte die Nacht zum Tag.
 

Es war ein Spiel. Mr Steward spielte mit ihm, sonst wäre schon längst tot, schoss es Luca durch den Kopf, als er nach einer Parade zurück stolperte und fast das Gleichgewicht verlor.

„Dein größtes Problem ist dein Stand“, belehrte ihn Mr Steward.

Luca schenkte ihm einen trotzigen Blick. „Und ich dachte, es wäre der Verrückte mit dem Schwert.“

Alexanders Mund verzog sich zu einem lächeln. „So unbelehrbar wie immer.“ Er ließ einige elegante Schläge auf Lucas brennende Regenrinne niederregnen und drängte den Jungen weiter zurück. „Wenn du nicht aufpasst fällst du noch vom Dach“, spottete der ehemalige Direktor.

„Ich dachte das sei Ihr Ziel“, erwiderte Luca und umklammerte das Metallstück fester.

„Durchaus – aber ich will es mir nicht zu einfach machen“, erklärte der ehemalige Direktor.

„Ich werde es dir bestimmt nicht leicht machen!“, rief Luca, erhob sein improvisiertes Schwert weit über den Kopf und stürzte auf seinen Gegner zu. Dieser machte einen Schritt zur Seite, ließ Luca an sich vorbei stürmen und versetzte ihm nebenbei einen leichten Klaps mit der flachen Klinge.

„Aber du machst es mir bereits leicht, Bailay“, lachte Alexander. „Schau, es ist doch ganz einfach, dein Standbein nach vorne, das andere leicht angewinkelt dahinter, aber nicht so steif, du musst beweglich bleiben, Bailay.“

Luca knurrte leise. Er hasste diese herablassende Art des Direktors. Er hasste es wie ein Kind behandelt zu werden. Und es störte ihn, dass Steward ihn nicht ernst nahm. „Hören Sie auf mich belehren zu wollen!“, presste Luca hervor, und griff erneut an. Die Flammen schlugen auf das Schwert, es war Alexander nicht schwer gefallen, den Schlag abzufangen.

„Das kann ich leider nicht“, erklärte der Engel. Luca lehnte sich mit all seiner Kraft gegen das Schwert, es war eine wacklige Angelegenheit für ihn. „Wieso nicht?“

„Deine Beinstellung“, erinnerte ihn Alexander. Luca grummelte leise als Antwort, und veränderte seine Beinstellung. Der Engel schenkte ihm ein Lächeln. „Sehr gut“, lobte er. „Um eine Frage zu beantworten: Ich bin Lehrer, und selbst, wenn du ein hoffnungsloser Schüler bist, würde es mich verfolgen, wenn ich nicht wenigstens versuchte dir in den letzten Minuten noch etwas beizubringen.“

„Der Schüler ist immer nur so gut wie der Lehrer“, erwiderte Luca spöttisch, und lehnte sich mehr auf das Schwert, welches sich Alexanders Körper gefährlich näherte.

„Dann werden wir wohl noch einen Meister aus dir machen“, verkündete Alexander. „Hier direkt die nächsten Lektion: Verlagere nie dein gesamtes Gewicht auf das Schwert deines Gegners.“

„Warum nicht? Es scheint doch ganz gut zu funktionieren“, raunte Luca.

„Hm, natürlich beanspruchst du so meine Kräfte, und du denkst vielleicht, du hättest die Oberhand, aber eine einfache Drehung reicht aus um das zu ändern.“

Luca fand sich auf dem Boden wieder; die Regenrinne lag erloschen einen Meter von ihm entfernt, das gegnerische Schwert ruhte an seiner Kehle. Ein wütendes Funkeln lag in seinen blauen Augen, als er zu Steward aufblickte.

„Es scheint so, als würdest du doch kein Schwertmeister mehr werden“, säuselte der Schulleiter. „Leb wohl, Bailay!“ Er erhob das Schwert ein Stück, bereit zuzustechen. Doch im letzten Moment hielt er inne. „Sie hat aufgehört.“ Besorgt sah er zu Sarah hinüber, und bemerkte auch Luca die Stille. Sarah hatte ihre Beschwörung beendet.

Für einen Moment trafen sich die Blicke des Jungen und des Engels. Mit einem Schrei stieß Alexander zu, Luca rollte sich im selben Moment zur Seite und hörte, wie die scharfe Klinge über das Dach schrammte. „Bailay!“, knurrte der Engel wütend, bevor er von etwas zur Seite geschleudert wurde.Die Kreatur hatte weite Schwingen, scharfe Krallen und einen blitzenden Schnabel, mit dem sie auf den Engel einhackte. Es war ein riesiger Vogel, der aus purem Licht zu bestehen schien. Luca wandte sich von dem Bild der Kämpfenden ab und seiner Schwester zu.

Sie strahlte heller als zuvor und verwandelte die Nacht in Tag. Luca drehte sich der Magen um, als er sah wie weitere Lichtvögel auf ihrem Körper kamen. Es war verstörend seine Schwester, halb bewusstlos, in der Luft schwebend zu sehen, und beobachten zu müssen, wie diese Lichtwesen aus ihr herausbrachen. Das konnte nicht gesund sein.

„Sarah!“, Luca stemmte sich hoch, stolperte zu ihr. Ihr Gesicht war seltsam fahl und eingefallen, lange Schatten begannen sich über ihre Wangen zu ziehen. „Sarah!“ Luca streckte seine Hand nach ihr aus, wollte sie runter ziehen, den Spuk beenden. Aber noch immer war seine kleine Schwester in einem Tunnel aus Wind gefangen, der Lucas Hand schmerzhaft abwehrte. Er versuchte es erneut, aber wieder wurde er zurück gestoßen. „Argh... Verdammt!“, fluchte er und rieb sich die schmerzenden Stellen. Hilflos musste er mit ansehen, wie die Lichtwesen seiner Schwester ihre letzte Energie entzogen. Mit einer grellen Explosion aus Licht brach der letzte Vogel aus ihr heraus, zurück blieb eine fahle Dunkelheit, nur durchbrochen vom Schein der seltsamem Lichtwesen.

Der kleine Sturm um Sarah löste sich auf. Für einen Moment schien sie noch in der Luft zu schweben, doch dann begann sie zu fallen. Luca machte einen Hechtsprung nach vorne, um sie aufzufangen, bevor sie auf dem Dach aufkam. Fest drückte er den zierlichen Körper an sich. Er war eiskalt.

Luca sah hinunter auf das blasse Gesicht seiner kleinen Schwester. Nasse Strähnen ihres braunen Haares hingen ihr in die Stirn, Regentropfen liefen ihr langsam über die Wange hinunter. Ihre Arme hingen schlaff herunter und Luca befürchtete schon das schlimmste. Aber da war diese leichte Bewegung ihres Brustkorbes. Eine ruhige regelmäßige Atmung, welche ihm die Sicherheit gab, dass sie noch lebte, dass sie wieder Ok sein würde.
 

Lautes Husten erfüllte die dunklen Marmorhallen, als sich Hades ein seinem Getränk verschluckte.

Das übertraf seine kühnsten Träume! Er strich sich sein, nach dem waschen und schneiden wieder, seidiges Haar zurück. Er musste erst einmal verdauen, was das alles bedeutete. Es war auf jeden Fall viel größer als er anfangs gedacht hatte. Sehr viel größer sogar.

Das leise Rascheln eines Umhangs ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. „Hast du schon die ganze Zeit zugesehen?", fragte er und wandte sich der vermummten Gestalt zu. Es war ein großer, schlanker Mann, welcher einen schwarzen Umhang trug. Die obere Hälfte seines Gesichts war von einer schwarzen Venezianischen Pestmaske verhüllt und über seinem Kopf blitzte die Schneide einer riesigen Sense auf, welche er auf dem Rücken trug. Die meisten nannten ihn Plague.

„Ich habe genug gesehen." antwortete er mit karg, und gesellte sich zu Hades.„Sie hat Essentiae erschaffen, eigenständige Wesen, die nur ihre Feinde angreifen. Das ist -“

„Ziemlich beeindruckend für einen einfach Menschen?“, beendete der Totengott den Satz. „Denkst du nicht, es steckt mehr dahinter?“

„Nein“, erwiderte Plague bestimmt. Seine Stimme war von eisiger Kälte durchzogen, die deutlich machte, dass er nicht weiter über dieses Thema reden wollte. „Wieso hast du mich hergerufen?“

Ein leichtes schmunzeln legte sich auf Hades Lippen. „Erkennst du diese beiden?“, er deutete auf Grace und Gabriel.

Plague besah sich die beiden genau, ehe er antwortete: „Ich habe sie noch nie gesehen – aber sie haben sich einen guten Kampf geliefert, ich hätte gerne mehr davon gesehen.“

Der Totengott nickte. „Sie sind ziemlich talentiert, Azraels Tochter, Grace, und Gabriellas Sohn, Gabriel. Ich beobachte sie schon lange.“

„Hm, hast du sie auf die Erde geschickt?“, erkundigte sich Plague. „Als Teil eines deiner Spiele?“

Hades lachte. „Ich kann nicht leugnen, dass ich durchaus darüber nachgedacht habe“, gab er zu, „Aber leider bin ich nicht für diese Zusammenführung verantwortlich.“

„Dann soll diese Begegnung Zufall sein?“, Plague klang nicht ganz überzeugt, „Weiß sie, dass seine Mutter Azrael umgebracht hat?“

„Ich denke nicht einmal, dass sie weiß, wie ihr Vater gestorben ist – geschweige denn, dass sie sich erinnert, wer genau er war“, erklärte Hades. „Ich meine wie oft hat sie ihn gesehen? Ein zwei mal in ihrem Leben? Er war immer an vorderster Front, einer der besten Kämpfer.“

„Wenn ich mich recht erinnere hasste er den Krieg.“

„Ja das tat er, aber das, und sein Verständnis der Notwendigkeit des Krieges machten ihn gerade zu so einem ausgezeichneten Krieger. Zudem besaß er Köpfchen, ich bin offen gesagt immer ein Fan seiner Strategien gewesen.“ Er nahm einen Schluck aus seinen Glas. „Damals war dieser Krieg noch interessant gewesen“, fügte er seufzend hinzu.

„Und nun geht er in die nächste Generation“, mutmaßte Plague.

Hades stieß ein dunkles Lachen aus. „Sagen wir, es gibt durchaus ein paar neue Hauptdarsteller, aber, so vielversprechend sie auch sind, die alten möchte ich nicht missen.“

„Darsteller wie mich? Einem Phantom, dem das alles nicht egaler sein könnte. Oder, denkst du eher an jemanden wie Asriel, einen verlausten Säufer mit Gedächtnisproblemen? Nicht zu vergessen die Erzengel: Verschrobene Politiker, die Tag ein Tag aus langweilige Schreibtischarbeiten erledigen und trockene Diskussionen führen“, erkundigte sich Plague.

„Oh bitte, du wärst nicht mehr hier, würde dich das ganze nicht interessieren. Und genau deswegen wirst du mir helfen, unseren Säufer wieder aufs Spielfeld zu bringen“, erklärte Hades. „Und keine Sorge, die Erzengel sind schon mitten drin.“

„Eine Sorge weniger“, entgegnete Plague trocken. „Hast du eine Idee, wie ich den Trinker wieder auf die Beine bekommen soll? Es ist nicht so, als würde er sich am nächsten Tag noch an etwas vom Vortag erinnern.“

„Oh, keine Sorge, sein Kurzzeitgedächtnis funktioniert ohne größere Einschränkungen. Es sind andere Sachen, die er vergessen will“, beruhigte Hades ihn.

„Welchen Grund hätte er auch sonst gehabt an den Fluss Lethe zu ziehen“, entgegnete Plague. „Ich hoffe das Grace nicht zu den Dingen gehört, die er vergessen wollte.“

Hades bewegte seinen Kopf abwägend hin und her. „Naja, da wäre ich mir nicht zu sicher. Aber das wird schon wieder, so oder so steht er in meinen Diensten. Er hat keine andere Wahl.“

„Einen Auftrag des Herrn der Unterwelt weist man nicht zurück“, stellte Plague missbilligend fest.

„Sag bloß du würdest mir gerne einen Korb geben?“, bemerkte Hades belustigt. „Vergiss nicht, dass ich dir erst deinen freien Willen gegeben habe.“ Etwas warnendes lag in seinem Tonfall.

„Keine Sorge, selbst wenn ich von Lethes Wasser tränke, würde ich dieses kleine Detail nicht vergessen“, versicherte Plague zähneknirschend.

„Sehr gut. Dann kann ich davon ausgehen, dass du mit deinem Auftrag noch heute beginnst?“, vermutete Hades zufrieden.

„Selbstverständlich – Erfahre ich auch, auf welche Aufgabe ich Asriel vorbereiten soll?“, hakte Plague nach.

„Das werde ich noch früh genug entscheiden. Aber eines ist sicher: Er wird kämpfen müssen, und das sicher nicht gegen irgendwelche kleinen Engel“, verkündete der Gott.

„Gabriella?“, mutmaßte Plague.

Die dünnen Lippen des Gottes verzogen sich zu einem feinen Lächeln: „Exakt.“
 

Es riss Gabriel von den Füßen, als der Vogel gegen sein Schutzschild aus Wasser prallte. Das Vieh, das ihn attackierte war riesig, fast so groß wie er selbst. Es hackte mit dem Schnabel nach ihm, schlug mit seinen riesigen Flügeln und versuchte ihn mit seinen scharfen Krallen zu erwischen. Gabriel musste seine gesamte Kraft aufbringen um es fort zu schleudern. Doch nach ein paar Metern fing es sich in der Luft, nur um sich erneut auf den Engel zu stürzen, und jetzt war es nicht mehr allein. Mehrere der Essentiae griffen Gabriel nun an.

Er zerschnitt sie mit einen Strahl komprimiertem Wasser, für einen Moment schienen sie sich aufzulösen, doch dann setzten sie sich einfach wieder zusammen, als wäre nichts gewesen. Er konnte nichts gegen sie machen.

Im letzten Moment erschuf er einen Kokon aus Wasser um sich, der ihn vor den Schnäbeln und Krallen seiner Angreifer schützte, doch lange würde diese Barriere nicht halten. Er hatte keine andere Wahl, er musste fliehen. Aber er wusste noch nicht, was mit Alexander war. Bestimmt hatte dieser mit den selben Wesen zu tun und steckte in der selben Klemme wie Gabriel, nur, dass Alexander mit Sicherheit kein Spatium Phylakterium besaß.

Ein leiser Fluch kam über Gabriel Lippen, ehe er seine gesamte Konzentration zusammen nahm, um mehr Wasser um sich herum zu sammeln. Mit einer enormen Welle sprengte er die Vögel von sich und schoss selbst im gleichen Moment davon, in Richtung Dach. Die Lichtwesen verfolgten ihn auf der Stelle, doch er hatte einen Vorsprung.

Er konnte Luca sehen, der seine Schwester im Arm hielt. Sarah wirkte blass und kraftlos, war aber noch am Leben. Etwas Schlaf und sie wäre wider vollkommen fit.

Etwas weiter abseits des Daches konnte Gabriel sehen, wie sich Alexander mit den Essentiae herumschlug. Er versuchte sie mit seinem Schwert abzuwehren, doch jedes Mal, wenn er eine zerschlagen hatte, setzte diese sich wieder zusammen und griff den Engel erneut an.

Gabriel hörte einen Flügelschlag schräg über sich. Schnell schlug er einen Haken um dem Vogel auszuweichen, der ihn eingeholt hatte. Wie ein Lichtblitz schoss das Tier an ihm vorbei in die Tiefe. Der junge Engel verlor keine Zeit. Mit einer geschickten Drehung um sich selbst schichte er einen Regen aus Eisnadeln den Vögeln entgegen, der diese zumindest für einen Moment zersetzte und ihm genug Zeit verschaffte um zu Alexander zu gelangen.

„Wir müssen hier weg“, rief er dem älteren zu, welcher sich verbissen gegen die Angreifer wehrte.

„Nein! Ich gebe nicht auf!“, schrie dieser, ein wildes Funkeln lag in seinen Augen, das Gabriel nicht sonderlich gefiel.

„Es hat keinen Zweck, wir können diese Essentiae nicht besiegen!“, redete Gabriel auf ihn ein.

„Doch, wir brauchen nur Schattenmagie“, widersprach Alexander und zerschlug mehrere der Vögel mit einem Streich seinen Schwertes.

„Die haben wir aber nicht!“, brüllte Gabriel erbost. Wollte Alexander sie etwa beide umbringen? Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie müde wurden und die Essentiae sie besiegten. Sie waren eine Inkarnation des Lichtes, erfüllt von dem Willen die Feinde ihrer Beschwörerin zu vernichten. Sie wurden nicht müde, schwächer oder langsamer. Und die einzige Chance sie zu besiegen bestand darin, ihnen durch ihr gegenteiliges Element ihre Kraft zu entziehen. In diesem Fall war es die Schattenmagie, doch leider verwendete diese keiner von ihnen.

„Das ist mit egal!“, erklärte Alexander, „Ich finde einen anderen Weg!“

Gabriel verdrehte die Augen. Er verstand nicht, wie man so versessen auf etwas sein konnte, dass man jeglichen Realitätssinn verlor. Doch offenbar war es bei Alexander soweit, und nichts was Gabriel noch sagen würde könnte den Engel umstimmen. Ein Lächeln legte sich auf die Züge des jungen Engels. Wenn Alexander nicht freiwillig mit wollte würde er ihn eben zwingen.

Er holte das kleine Amulett mit dem violetten Edelstein hervor. Sein Onkel hatte es ihm eigentlich aus einem anderen Grund gegeben, aber das hier war ein Notfall. Fest schloss er die Finger um den Stein und konzentrierte sich auf sein Ziel. „Spatia Curvaturae”, murmelte er. Er merkte das ziehen und zerren, das vibrieren, als sich die Beschaffenheit der Umgebung änderte und sich der Raum für ihn krümmte. Die Sicherheit der Kriche war nun nur noch einen Schritt entfernt.

Er packte Alexander fest am Arm, er spürte, wie dieser sich losreißen wollte, doch noch eher er dies konnte ließ Gabriel die nassen Kleider des älteren in sekundenschnelle gefrieren, so dass dieser sich nicht mehr Bewegen konnte. So konnte er ihn ohne Probleme durch die Raumkrümmung in Sicherheit ziehen.
 

Sie lösten sich einfach in Luft auf, von einem Moment auf den anderen. Und kaum waren sie aus der Mitte der Vögel verschwunden, lösten sich auch diese auf.

Luca sah zu wie das letzte Licht der Wesen erlosch und das Geräusch des Kampfes durch das des Regens ersetzt wurde, welcher auf das Dach fiel. Sie hatten gewonnen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sozl
2013-03-06T19:53:09+00:00 06.03.2013 20:53
Gabriel vs Grace hat mich sehr an Waterbender vs Earthbender erinnert :D

Ich dachte erst, dass Asriel vielleicht der Bruder von Azrael ist, aber wenn er eventuell Grace vergessen will...
War Asriel dann wenigstens der der Grace damals als Kind gerettet hat?

Und ich nehme an Gabriella ist die Mutter von Gabriel, die Azrael getötet hat?

Was ich glaube ich schonmal fragen wollte, aber wieder vergessen hatte: ist Hades jetzt der aus dem Prolog?


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