Zum Inhalt der Seite

Federschwingen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kyrie ging mit Liana zum Platz, an dem sie und Deliora saßen. Sie nahmen sie mit sich. Er war froh, dass die völlig verblüffte Enttäuschung von Kyries Gesicht verschwunden war, als Liana bei ihr war. … Es war nicht nur Enttäuschung in ihren Augen zu lesen. Auch Angst.

„Ich … gebe schnell Thi Bescheid“, murmelte er geistesabwesend, wobei er sich nicht ganz sicher war, ob es jemand gehört hatte.

Kyrie schenkte ihm noch einen Blick – sie nickte und lächelte ihm dann leicht zu.

Er war froh, dass sie Liana und Deliora vertraute. Auf deren Fähigkeiten …

Nathan wandte sich um und stieg in die Lüfte, wollte in Richtung der Kabinen fliegen, doch dann hielt er inne. Konnte er Kyrie tatsächlich mit dieser Angst belassen, bloß weil Acedia nichts davon wissen wollte? Es gehörte in den Bereich der Todsünden – auch wenn sie sein persönlicher Schützling war.

Aber was sollte er denn schon groß machen? Diese Leute selbst festnehmen? Durfte er das überhaupt? Sie hatten immerhin ein Verbrechen begangen, aber …

Recht schnell kam er bei den Kabinen des Teams an. Das Stimmengewirr war sogar noch lauter als zuvor – vermutlich wurden sie nervöser, je näher der Spielbeginn heranrückte.

Nathan lächelte.

Lässig schritt er den Gang entlang. Vermutlich vermutete keiner der neunundvierzig Spieler, dass Gula ausgerechnet heute zuschauen würde – und dass auch er jemanden anfeuern würde. Das Team, das Gulas Favorit wurde, würde sowieso gewinnen – sie könnten gar nicht mehr verlieren. Natürlich hatte Nathan ebenfalls erheblichen Einfluss auf den Spielverlauf. aber im Publikum hatte er noch zwei andere Assistenten gesehen. Vielleicht würden die auch für Thi sein! Und wenn Thi sich super anstellte – dann würde er Gulas Zustimmung erhalten und damit zum nächsten Sieger gekrönt werden! Und sein Team zum Siegerteam.

Als Nathan dabei war, hatten sie es nie geschafft, so weit zu kommen. Er hatte erhebliche Stärke besessen – doch keinerlei Gefühl für Taktik gehabt. Thi vereinte beides. Er hatte zwar keine magische Stärke, aber Willensstärke genauso wie körperliche Stärke - nachdem man im Himmel sowieso keine Verletzungen erleiden konnte, war es kein Problem, einen Gegner anzurempeln.

Außerdem vereinte er strategisches Denken, das man ihm niemals zugetraut hätte, mit dieser besonderen Stärke. Der Mann hatte es drauf.

Er kam letztlich bei der Kabine an und öffnete erneut die Tür.

„Nathan!“, rief der alte Mann. Keine Ahnung, wer das war. Der Mann trug noch immer die Kleidung, die er zuvor getragen hatte. … Ziemlich unspektakulär. Entweder diese Leute waren lockerer, als er gedacht hatte, oder sie verzichteten heute auf Festlichkeiten. Ob sie damit Eindruck machen konnten?

„Nathan!“, kreischte Thierry erfreut, wobei er sofort zu ihm sprang, „Was tust du schon wieder hier?“ Er grinste.

Also war er sehr nervös. Das war nicht Thierrys Art. Er wusste, wie man Würde bewahrte.

Damit entlockte er auch Nathan ein Grinsen. „Ich hab grandiose Neuigkeiten für euch, Leute!“, verkündete er, wobei er langsam die Tür hinter sich schloss, um etwaige Lauscher anderer Teams abzuwenden.

„Nämlich?“, wollte der alte Mann wissen.

Die anderen vom Team schienen nicht mehr da zu sein. Vielleicht machten sie sich dann also doch zurecht. Hoffentlich. Es wäre wirklich schade, wenn Gula ihr Stil nicht gefallen würde – immerhin war Gula für seinen imposanten Stil bekannt. Da würde er die Konkurrenz wohl schätzen können.

„Gula ist anwesend!“, rief er erfreut aus.

„Gu … Gula …“, stotterte Thi. Und ehe Nathan sich versah, erbleichte sein Freund, verdrehte die Augen und stand sichtlich davor, direkt vor ihm zusammenzuklappen. Also war die Nachricht angekommen! Nathan stürzte sofort zu ihm, um ihn aufzufangen – und tatsächlich konnte Thierry sich nicht mehr halten und fiel zurück. Auf Nathan. Dieses Tonnengewicht!

Er hielt den Muskelprotz.

„Thi … Thierry?“, stammelte der alte Mann, „Hey? Kapitän? Hallo! W … Was ist mit ihm?“

Nathan zuckte bloß mit den Schultern, währenddessen er seinen Kumpel noch immer im Arm hielt, wobei er bestmöglich darauf Acht gab, seine Flügel nicht zu verbiegen. Vor einem Spiel wäre das echt unpassend.

Nathan sah auf ihn herab. Sein Gesicht war blass, seine Augen geschlossen – und er wirkte plötzlich um Jahre älter als zuvor. Beinahe … menschlich … Bis auf die ausgesprochene Schönheit. Dieses strahlende, blonde Haar, das durch das Gold um ihn herum nur noch mehr glänzte, das kantige, harte Gesicht und der dennoch so sanftmütige Charakter mit dem eisernen Willen … Und diese Tonnen von Gewicht, die da auf ihm ruhten!

„Das hat er öfter, wenn er sich freut“, beruhigte Nathan ihn, „Das ist ihm sogar passiert, als ich ihm gesagt habe, dass ich zum Assistent werde. Und dass ich aus dem Team austrete. Und dass er zum Kapitän des Teams ernannt wird. Und das war dreimal innerhalb einer Stunde. Und dass …“ Nathan wollte gerade fortfahren, als Thi plötzlich die Augen aufschlug und strahlte. So richtig strahlte. Es hatte nichts mit dem Licht zu tun, das ihn umgab, sondern mit seinem Gesicht. Es war vermutlich heller als Nathan, wenn er seine Kräfte nicht zurückhielt. Und nicht mehr blass-weiß sondern hell-weiß. Nicht krank, sondern kerngesund! Mal davon abgesehen, dass Krankheit im Himmel ein Fremdwort darstellte.

„Gula ist hier!“, schrie er, wobei er im selben Moment von Nathan weg sprang und mitten in der Kabine schwebte. „Gula ist hier!“, frohlockte er. Seine Augen sprachen von eisernem Willen und hitziger Vorfreude. Ein wahrer Kämpfer. „Ich werde Sieger sein!“, nahm er sich laut und entschlossen vor. Daraufhin flog er wieder zu Nathan und umarmte ihn kurz. Nun – er drückte ihn an sich und Nathan fühlte sich leicht erdrückt. „Danke! Danke! Danke! Danke! Danke, dass du mir das mitgeteilt hast! Du weißt, wie sehr mich das freut! Und motiviert! Und vor Kyrie muss ich ebenfalls gut dastehen! Und gegen Liana läuft eine Wette und Deliora muss ich ebenfalls überzeugen!“ Seine Zähne blitzten weiß, seine Augen funkelten vor Willenskraft und seine gesamte Nervosität war verflogen – vor Nathan stand ein Kämpfer, wie er im Buche stand.

Nathan klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. „Du packst das.“ Er grinste. „Ich werde auf der linken Seite der Tribüne sitzen – zusammen mit Kyrie und vermutlich mit Joshua, falls die alten Regelungen noch gelten?“ Er stellte die Feststellung betont als Frage. Es war das erste richtige Spiel, das er seit seiner Rückkehr mit Kyrie miterlebte. Wer wusste schon, was sie in zwanzig Jahren alles umstellten?

„Alte Ordnung“, stimmte Thierry ihm grinsend zu, wobei er ihn nach einem kurzen letzten Drücken wieder los ließ und einfach weiter vor sich hin strahlte. „Und bring Kyrie ja bei, wie man richtig anfeuert! Ich will der Einzige sein, der ihre Anfeuern abbekommt!“ Er grinste vor Vorfreude. „Oh, ich bin so bereit!“

„Ich will aber auch angefeuert werden“, mischte sich der alte Mann plötzlich ein.

„Du ziehst dich jetzt erst einmal richtig an, dann schauen wir weiter“, trug Thierry ihm auf, „Und jetzt – Abmarsch! Das Spiel beginnt bald!“
 

„Oh! Ich bringe sie um!“, schwor Liana. Ihr Gesicht war hochrot. Deliora klopfte ihr beruhigend auf die Schulter.

Kyrie fühlte sich einfach schlecht, weil sie geredet hatte, ohne es zu wollen. Doch Deliora hatte nach jeder vergeblichen Lüge festgestellt, dass es sich um eine eindeutige Lüge gehandelt hatte, und dass die Zehn Gebote sehr unzufrieden mit ihr wären und dass sie einen Freund bei den Assistenten der zehn Gebote hatte und mit ihm über sie reden würde und dass Lügen auch dem Gewissen schadete und dass man als Engel nicht lügen sollte und lügen …

Letztendlich hatte sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als Liana, Deliora und Joshua, welcher bald nach Nathans Abschied angekommen war, die beinahe vollständige Wahrheit zu übermitteln. Nun wussten sie von Xenon und den anderen, dass diese sie attackiert hatten …

„Und du bist Xenon schon vorher begegnet?“, murmelte Deliora daraufhin, „Interessant. Blond, blaue Augen … Seine Stärke hast du nicht zufällig gesehen?“

„Oh, ich bringe sie alle um! Jeff, Milli und Drake. Das sind doch bestimmt ihre Spitznamen. Oh, ich bringe sie um“, murmelte Liana vor sich hin, „Ich werde sie schon überführen, diese drei Hampelmänner! Lange werden sie nicht mehr frei herumlaufen … Ich werde schon herausfinden, wer sie sind!“ Sie lehnte sich völlig gegen die Lehne ihres Sitzes, wodurch ihre Flügel einige Federn einbüßen mussten, welche daraufhin zu Boden fielen. Liana verschränkte beleidigt die Arme.

„Nein, seine Stärke nicht …“, flüsterte Kyrie bedauernd. Und sie versuchte, Lianas Drohungen zu übergehen. Und Joshuas relativ geschockten – also für Joshuas Verhältnisse – Gesichtsausdruck. Aber es war eigentlich eine der ersten Regungen, die sie an ihm sah. Gefühle ließen ihn sehr schön aussehen, weil er da gar nicht mehr so kalt und unnahbar wirkte, sondern … beinahe menschlich. Wobei andere Engel auch Gefühle zeigten … Nur er nicht.

„Das ist wahrlich schade“, antwortete Deliora in gewohnter Lautstärke, „Das wäre ein Anhaltspunkt, durch welchen man so jemanden finden konnte.“ Sie wirkte nachdenklich. „Xenon“, murmelte sie vor sich hin.

„Oh, und wenn ich herausfinde, wer dieser Xenon sein soll! Das presse ich doch glatt aus den anderen heraus! Und dann schleppe ich sie alle vors Gericht!“, maulte Liana vor sich hin, „Und dann werde ich sie alle …!“

Kyrie begutachtete Joshua, der bloß langsam den Kopf schüttelte. Vermutlich über Lianas Ausdrucksweise.

Deliora schwieg nachdenklich vor sich hin. Liana murmelte irgendwelche Beleidigungen, die sie einem Engel niemals zugetraut hätte.

Und da blieb es Kyrie nur noch, sich auf Joshua zu konzentrieren, der sich wiederum ihr widmete.

„Bist du schon in die Regelungen eingeweiht?“, wollte Joshua ruhig wissen.

Kyrie nickte. „Großteils, denke ich. Ich werde dem Verlauf hoffentlich folgen können.“ Sie lächelte zaghaft.

Er nickte. „Ins Anfeuern?“, fragte er sachlich – wie ein Mathematiklehrer, der sich erkundigte, ob man denn eine Dreieckesfläche berechnen könnte. Seine bestimmte besagte, dass er erwartete, dass sie es konnte, aber nicht überrascht wäre, wenn sie das Gegenteil eingestand. … Seltsam … Anfeuern war doch einfach … Immerhin … Jubel – Applaus. Hochrufe …

„Ich denke schon, dass ich jubeln und unterstützende Laute rufen kann?“, mutmaßte sie merklich unsicher. Dachte er vielleicht, dass man auf der Erde keine Unterstützung erhielt? Oder war sie diejenige, die nicht verstanden hatte, worum es hier wirklich ging?

Plötzlich kicherte Liana. „Magisches Anfeuern, du Dusselchen.“ Und im nächsten Moment ging ihre Schimpftirade weiter: „Oh, wie können sie nur so ein armes, unschuldiges Mädchen … Und sogar mit dem Schwert!“

„Nein, magisches Anfeuern ist mir fremd“, verbesserte sie ihre vorherige Aussage an Joshua gewandt, wobei sie entschuldigend lächelte. Also doch … Peinlich.

Magisches Anfeuern … Was das wohl war? Ob sie mit ihrer Stärke daran überhaupt teilnehmen durfte? Hoffentlich …

„Nathan wird es dir beibringen“, murmelte er, dann nickte er in eine andere Richtung. „Er ist schon drüben. Das Spiel beginnt vermutlich bald.“

Kyrie zog die Augenbrauen zusammen. Wovon sprach er? Sie schaute sich um – und tatsächlich entdeckte sie Nathan, der auf der anderen Seite der Tribünen gerade nach oben flog. „Was macht er denn dort drüben?“, wollte sie wissen.

„Anfeuern“, erklärte Deliora plötzlich, „Du gehst am besten mit Joshua zu Nathan. Er ist schon ausgebildeter Lehrmeister. Liana und ich halten hier Stellung.“

Sie runzelte die Stirn. Was sollte das jetzt wieder …?

Deliora lächelte sie freundlich an. „Das Anfeuern geht schlecht, wenn alle von derselben Seite aus feuern. Darum teilen wir uns immer in zwei Gruppen auf. Du solltest am besten zu Nathan gehen – er wird dir alles Weitere erklären. Er ist ja dein Mentor.“ Sie legte einen beruhigenden Ausdruck in ihre Augen.

Kyrie nickte. Dann schaute sie zu Joshua. Fragend. Sehr fragend. Würde er auch den ganzen Weg über bei ihr bleiben? Hoffentlich. War er überhaupt stark genug? Hoffentlich.

Na gut, hier war ein ganzes Stadion voller Engel und Nathan war ja da drüben und Liana und Deliora hier und Joshua bei ihr … Ihr würde doch nichts passieren … Nein, sie würden sie beschützen …

Sie lächelte. „Na gut, dann … bis später“, sagte sie relativ überzeugt – wobei sie ihre Unsicherheit zu kaschieren versuchte. Vermutlich erfolglos. Sie erhob sich.

„Viel Glück beim Anfeuern!“, wünschte Liana ihr, ehe sie sich erhob und Kyrie kurz umarmte. „Du wirst ihm bestimmt den Endschub geben! Und dann wird Gula bestimmt auf ihn aufmerksam. Thi packt das heute!“ Sie grinste.

„Hast du nicht gegen ihn gewettet?“, fragte Deliora dann skeptisch.

Liana grinste bloß breiter und setzte sich danach wieder. „Taktik“, warf sie dann selbsterklärend in den Raum.

„Danke …“, gab Kyrie zurück, wobei sie nicht genau wusste, ob das die richtige Antwort war.

Doch es kam keine Beschwerde – deshalb nahm sie an, dass es sich um die richtige Antwort gehandelt hatte.

„Los“, beschloss Joshua und erhob sich in die Lüfte. Kyrie tat es ihm gleich. Und tatsächlich flog er langsam neben ihr her.

Sie flogen allerdings nicht direkt über das Spielfeld, sondern über die Tribünen, wobei ihnen da so einiges an Gegenverkehr entgegen trat. Die Engel nahmen alle ihre Plätze ein. Vermutlich verfolgten mehrere Leute diesen Plan der Aufspaltung. Er ergab scheinbar ziemlichen Sinn, auch wenn sie noch immer nicht so genau wusste, was dabei jetzt ihre Aufgabe war. Sie wünschte sich, Nathan hätte sie früher davon in Kenntnis gesetzt …

Sie hielt sich davon ab, panisch hin und her zu schauen. Unter all diesen Engeln konnten sich ihre Angreifer so leicht verstecken. Und sie würde es nicht bemerken, ehe sie ein Schwert zwischen den Rippen hatte. Oder sie wieder abgefangen wurde … Wenn Nathan sogar am ersten Tag bereits solche Ausnahmen vollführte … Wie sollte er es dann Monate und Jahre aushalten, sie mit in den Himmel zu nehmen? Vielleicht sollte sie ihren dummen Wunsch, hier zu bleiben, doch aufgeben … Vielleicht sollte sie einfach alle zwanzig Jahre einmal vorbeischauen und …

Ihre Augen weiteten sich, als sie in einiger Entfernung vor sich blondes Haar entdeckte. Blondes Haar und eiskalte, eisblaue Augen, die auf das Spielfeld starrten.

Sie hätte ihn nicht verwechseln können. Er war es.

Es war Xenon.

Das Gesicht, das sie so sehr verfolgte, diese Augen, die ihr so viel Hass entgegen brachten und sie als Dämon markierten. Die sie so sehr verabscheuten …

Aber sein Blick blieb am Spielfeld haften.

Er hatte sie noch nicht gesehen.

Es war ihre Chance, abzuhauen. Auf ewig zu verschwinden.

Er war hier. Er würde sie entdecken.

„Kyrie?“, ertönte Joshuas ruhige Stimme und riss sie aus dieser Art von Trance.

Sie schaute sich panisch um. Waren die anderen auch hier? Hier überall? Gab es noch mehr von ihnen? Waren sie hinter ihr her?

Sie schlug die Hände vors Gesicht. Oh nein … Oh nein … Sie durften sie nicht sehen. Sie würden sie wieder angreifen. Würden sie vor all diesen Leuten hinrichten … Sie als Dämon erkennen … All diese Engel …

Sie fühlte, wie ein Zittern ihren Körper durchzuckte. Sie würden …

„Hey? Alles in Ordnung?“ In seiner Stimme schwang keinerlei Emotion mit. Nichts von Sorge. Keine Angst. Wie konnte er nur keine Angst haben? Sie beneidete Joshua.

Er legte ihr eine Hand auf Schulter. „Komm schon …“

Doch Kyrie konnte sich nicht bewegen. Sie verharrte in der Luft. Sie wollte nicht gesehen werden … Einfach nicht gesehen werden … Wollte unentdeckt bleiben … Wollte auf der Stelle verschwinden.

Sie durfte nicht … durfte nicht …

„Kyrie?“, fragte er noch einmal – wobei sie schwören konnte, etwas Hilflosigkeit in seiner Stimme zu vernehmen.

Zwei starke Arme schlangen sich plötzlich um ihre Hüfte und sie fühlte, dass sie sich fortbewegte. Doch Kyrie war nicht in der Lage, sich selbst zu bewegen. Sie wollte nichts sehen. Wollte nicht wissen, was geschah. Sie wollte doch nur weg von hier … Nur fort …
 

Es klingelte an der Tür. Dieses Geräusch löste Unbehagen in ihm aus. Es klingelte nie oft an seiner Tür. Hatte noch nie oft geklingelt. Weder der Postbote klingelte, noch tat es sonst jemand. Niemals. Er liebte sein Leben in Ruhe. Und das letzte Mal, als es geklingelt hatte, war es Jake, der ihm die Nachricht von Kyries Unfall überbrachte. Das vorletzte Mal war es seine Schwiegermutter Mirabelle, die an Kyries Geburtstag hier war. Die betagte Dame lebte im Lichten Dorf und kam alle fünf Jahre zu Kyries Geburtstag, alle fünf Jahre zu seinem Geburtstag und alle fünf Jahre zu Magdalenas Geburtstag. Die Frau war überzeugt von der Realität und Gott war ein Fremdwort für sie – also wohl die perfekte Schwiegermutter für ihn – er konnte von Glück reden, dass Magdalena schon immer gläubiger als ihre Mutter gewesen war, sonst hätte er sie damals wohl nie getroffen.

Aber er mochte seine Schwiegermutter. Das nächste Mal würde sie im nächsten Jahr kommen. Da hatte Magdalena einen runden Geburtstag. Wenn die Großmutter für Kyrie und daraufhin für Magdalena kam, wurde es immer teuer. Aber er und Magdalena steuerten immer Geld bei, sodass die alte Dame es schaffte, sich die Zugfahrt zu leisten. Die Preise waren einfach ungehobelt – doch was wollte man tun? Wer es schaffte, in der Stadt zu leben, der tat es. Und der Rest … der konnte sich Stadtbesuche abschminken, bis er reich war.

John erhob sich und ging zur Tür. John hatte abgeschlossen, weil er alleine zuhause war. Kyrie befand sich im Himmel, seine Frau arbeitete und war entsprechend mit dem Auto unterwegs.

„Hallo“, begrüßte er Jake, als er die Tür öffnete und den großen Mann vor sich sah.

„Grüße dich“, antwortete er lächelnd, „Ich wollte nur wissen, wie es Kyrie mittlerweile geht.“

„Hat sie sich noch gar nicht bei dir für die Rettung bedankt?“, wollte John schockiert wissen.

Jake schüttelte den Kopf. „Sie braucht sich doch nicht zu bedanken. Es war weder ihre Absicht, verletzt zu werden, noch meine Absicht, ihr zu helfen. Beides war einfach … Schicksal. Gottes Fügung.“ Der Mann lächelte ihn freundlich an.

John hatte sich bei drei Predigten bei diesem Mann bedankt. Auch ihn fand man oft in der Kirche. Ein guter Mann.

Aber dass Kyrie sich nicht bei ihm bedankt hatte … das sah seiner Tochter gar nicht ähnlich. Sie war ein freundlicher, höflicher und vor allem dankbarer Mensch – gut erzogen. Sie hätte sich doch schon längst bedankt. Man hatte ihr doch mitgeteilt, dass Jake sie gerettet hatte …

Sie musste wohl ziemlich durcheinander gewesen sein.

„Dann möchte zumindest ich mich im Namen meiner Tochter bedanken“, entgegnete John.

„Das hast du doch schon“, wiegelte der Mann ab, „Und es ist schon in Ordnung.“ Er lächelte. „Ich wollte nur wissen, ob sie bereits wieder am Weg der Besserung ist.“

John nickte stolz. „Dank deines schnellen Hilferufs ist sie bereits wieder vollständig genesen!“

Und in seinem Kopf musste er erneut eine Lüge hinzufügen.

Wie verlogen er in letzter Zeit geworden war.

Das war auch der Grund, weshalb er die Polizei noch nicht in Kenntnis gesetzt hatte – er hatte das Gefühl, dass Kyrie noch immer Dinge vor ihm verbarg. Dinge, die sie nicht sagen konnte. Aber er wollte weder eine weitere Lüge auf seines noch auf das Gewissen seiner Tochter laden.

„Möchtest du eine Tasse Kaffee?“, fragte John höflich.

Jake nickte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Assasymphonie!

Leute, Leute! Das wird schon das vorletzte Kapitel aus Frankreich! Uiuiui, die Zeit vergeht viel zu schnell!
Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen :3

Schönen Abend noch <3 Und vielen Dank fürs Lesen <3 Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück