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Eine schicksalhafte Begegnung

von

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Eine schicksalhafte Begegnung

Da standen wir nun und er sah mich mit seinen sanften Augen an, die bei dem regnerischen Wetter noch viel dunkler, beinahe schwarz und doch nicht kalt wirkten, weil sie von einem braunen Schimmer durchzogen wurden.
 

Alles an ihm wirkte sanft und irgendwie gutmütig. Die Art, wie er den Kopf schief legte, als er mich mit beinahe zärtlicher Stimme ansprach, leise und doch klar und deutlich. Die Weise, wie er sich mit beiden Händen an dem knallblauen Regenschirm in seiner Hand festhielt, weil der Schirm doch wie ein Schutzschild vor dem Regen bewahrte, der kalt und schwer an der Kleidung jedes Menschen ziehen wollte, als habe er vor, die Gesellschaft zu Boden zu reißen. Aber Regenschirme sind tückisch, denn während ihre Oberfläche schützt, kann ihre innere Wölbung zum Verhängnis werden, wenn der Wind sich darin verfängt.
 

Vor meinen geistigen Auge sah ich ihn davon fliegen, den Jungen mit dem schrecklich altmodischen Brillengestell, das gerade wieder in Mode gekommen war, weil irgendwann alles zurückkehrte, wie ein ewiger Kreislauf. Und er schien mir selbst zu gutmütig, als dass er sich dagegen gewehrt hätte, wenn der Wind ihn nun von den Füßen gerissen und mit sich genommen hätte. Wohin es ihn wohl verschlagen hätte?
 

Vielleicht an einen Ort, an dem es nie regnete, an dem erdbeerrote T-Shirts nicht an den Sommer erinnerten, der hier so sehr fehlte, an dem er den wahrscheinlich selbstgestrickten Schal nicht hätte tragen müssen, weil er in der Hitze noch mehr kratzte, als er schon im Winter Ausschlag verursachte, aber sicher war es ein Geschenk seiner Oma, das er nicht hatte ablehnen können, weil er ja gutmütig war.
 

Seine Hilfsbereitschaft jedoch war ausdauernd, beinahe aufdringlich und weckte gerade deshalb Misstrauen in mir. Ich sah ihn an, wie einen dieser schmierigen Typen, die in weißen Lieferwagen saßen, die ihnen nicht gehörten, die Katzenbabys versprachen, um an kleine Kinder heranzukommen.
 

Tat ich ihm Unrecht? Hatte er sich mir tatsächlich vollkommen selbstlos genähert und war einer von den Guten? Einer, dem die Gesellschaft noch nicht jegliche Moral genommen hatte, der nicht so verbittert war, wie ich selbst? Der immer noch nach dem Guten in jeder Seele suchte?
 

„Ich bin Bao.“ Ich nahm seine Worte erst wahr, als ich sah, wie sich seine fein geschwungenen Lippen bewegten. Augenblicklich hatte ich mich von dem Anblick losgerissen und erneut den Blickkontakt gesucht. Erst jetzt fiel mir auf, dass er schielte und ich stellte mir vor, dass er als Kind eines dieser armen Geschöpfe gewesen war, das auf einem Auge ein Pflaster hatte tragen müssen - und es hatte wenig genutzt.
 

Beinahe vorsichtig hatte er eine Hand von der silbernen Stange des Regenschirms gelöst und hielt sie mir hin. Regentropfen benetzten sofort die helle Haut des Fremden, von Bao, und lagen wie Perlen auf seiner Handoberfläche, reflektiert von den Straßenlichtern und ein paar weniger vorbei brausender Autos.

Ich mochte seinen Namen. Er erinnerte mich an den Klang meines Eigenen. Ich wollte mich Bao vorstellen, aber kein Wort, nur ein Wimmern verließ meine Kehle.
 

Der fremde Junge ging vor mir in die Knie. Nun waren wir auf Augenhöhe. Das gab mir ein Gefühl von Sicherheit und ich glaubte, dass er spürte, wie ich das verschreckte Reh in mir überwand und die Neugierde auf den Fremden zuließ. Ein einfühlsames Lächeln umspielte seine Lippen. Immer noch hielt er mir seine Hand hin und hatte sich somit in eine haltlose Pose begeben. Mit nur wenig Kraft hätte ich ihn von den Beinen stoßen können, wäre ihm überlegen gewesen, hätte ihn im Dreck der Stadt zurücklassen können, aber er vertraute mir.
 

„Bist Du ganz allein?“, wollte er wissen, aber weil er keine Antwort zu erwarten schien, näherte er sich mir erneut über seine Hand.
 

Bis vor wenigen Sekunden war meine Nase betäubt von den Gerüchen der Stadt gewesen. Nebel und Regen hatten mich hauptsächlich eine kalte Nässe wahrnehmen lassen, aber nun roch ich Baos warme Haut, das Aftershave, das er vielleicht von seinem Vater ausgeliehen hatte und von dem er ein wenig zu viel aufgetragen hatte, um womöglich ein Mädchen zu beeindrucken. Ich roch das Butterbrot, das er vermutlich vorhin in aller Eile auf dem Weg zu sich genommen hatte, ehe er bei mir verweilt war – ohne jeglichen Zeitdruck. Vor allem aber roch ich etwas, das mich an ein zu Hause erinnerte, an ein gutes zu Hause und schließlich schmiegte ich meinen Kopf an seine Handfläche.

Bao schmunzelte und kraulte mich hinter den Ohren, als hätte er intuitiv gewusst, dass mir das gefiel.
 

Dann erhob er sich. „Na dann komm', ich lass' Dich hier bestimmt nicht allein zurück!“ Er gab mir einen Wink mit der freien Hand, mit der Hand, die mich eben noch gestreichelt hatte. Ich bellte und wollte noch so viel sagen: „Danke“ und „Mein Name ist Balu!“, aber vor allem:
 

„Du bist schon jetzt das beste Herrchen, das einem Hund passieren kann.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2014-01-17T17:20:10+00:00 17.01.2014 18:20
~ Kommentarfieber ~

Schönen guten Abend,
ich bin auf Empfehlung hier gelandet und lasse dich somit an meinen Gedanken beim Lesen teilhaben. Mal schauen, was mich hier erwartet, die Kurzbeschreibung will es mir ja nicht verraten. Störrisches Ding. ;)

Der Einstieg in die Geschichte ist sehr ruhig. Du kannst nette Schachtelsätze kreieren, aber ich rate dennoch zur Vorsicht, weil weniger manchmal eben doch mehr ist.
Aber Regenschirme sind tückisch
Ohja, diese Dinger haben auch einen eigenen Kopf, da bin ich sicher.

Wohin es ihn wohl verschlagen hätte?
Man nimmt sich oft gar nicht mehr die Zeit, seine Gedanken derart schweifen zu lassen. Erst letztens habe ich erzählt, wie ich ein Kraftwerk früher für einen Wolkenmacher gehalten habe.
Wie dem auch sei. >.<

weil er ja gutmütig war.
Und damit endet einer der Mammutsätze, den man, zum besseren Verständnis, ein wenig trennen könnte. Es sind doch ziemlich viele Informationen auf einmal, die der Leser in Nullkommanichst verarbeiten soll.

an ein gutes zu Hause und schließlich schmiegte ich meinen Kopf an seine Handfläche.
Ah, mir dämmert da was. Wunderbar. Ich hatte mich schon gewundert, dass Bao so groß ist - oder der Erzähler so klein. Aber das ist echt gut gemacht.
Auch wenn ich eher mit einer Katze gerechnet hätte, warum auch immer.

Mir hat der Oneshot gut gefallen. Du hast es geschafft, mich ein wenig hinters Licht zu führen. Und gerade der Geruchssinn verrät im Nachhinein soviel.
Finde ich wunderbar, finde ich gelungen.

Liebe Schreibziehergrüße,
abgemeldet

Von:  KMelion
2013-04-06T22:50:42+00:00 07.04.2013 00:50
Awwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww~
Danke für deine Teilnahme an meinem Wettbewerb!!
Diese Geschichte sticht von der Idee und auch von dem Schreibstil sehr heraus und gefällt mir wirklich gut^^
Ich kann nicht viel dazu sagen außer WOWOWOWOWOW!!!
Einfach schön gemacht...


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