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Die Physik der Liebe

von

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Aussprache

Kapitel 8 - Aussprache
 

Die Cumuluswolken, deren Farbe von Weiß bis zu dunklem Grau reichte, bewegten sich schnell, zwischen ihnen entdeckte man ab und zu ein Stück vom strahlend blauen Himmel. Es hatte schon vor Stunden aufgehört zu regnen und auch der Wind hatte an Geschwindigkeit verloren, das Zentrum des Orkantiefs war inzwischen weit von der Stadt entfernt.

Seto war an diesem Morgen schon zeitig wach, er hatte einfach nicht mehr schlafen können. Er blieb zunächst noch eine Weile im Bett liegen und dachte an den vergangenen Tag. Als er aufstand, zeigte der Wecker auf seinem Nachtschrank an, dass es erst kurz nach sieben Uhr war. Im Haus war es vollkommen ruhig, Mokuba und Felicitas schliefen noch und Martha kam am Wochenende erst um acht Uhr. Das einzige, das man hörte, war das Ticken der großen Standuhr aus dem Arbeitszimmer. Der Braunhaarige kam aus dem Bad, zog sich an und lief nun die Treppe hinunter in die Küche. Gut gelaunt pfiff er die Radiomusik mit und deckte den Tisch.

„Nicht schön, aber selten“, dachte Seto zufrieden, als ihm auch schon die nächste Idee kam.

Zwei Stufen auf einmal nehmend eilte er die Treppe hinauf und setzte seinen Plan in die Tat um.
 

Gegen halb neun brach die Sonne zwischen den Wolken hindurch und schien in die Zimmer, die Jalousien waren schon lange hoch- und die Vorhänge aufgezogen. Felicitas wachte auf, als die Sonnenstrahlen ihr Gesicht erreichten. Zunächst wusste sie nicht, wo sie war, doch dann fiel ihr der vergangene Abend ein.

„Merkwürdig. Das letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass wir auf der Couch lagen. Wie bin ich nur hierher gekommen?“

Sie setzte sich auf und streckte sich erst einmal, bevor sie sich umsah. Dem großen Bett gegenüber war eine Tür, die vermutlich zum Flur führte, aber an der linken Wand gab es noch eine weitere Tür, die einen Spalt breit offen stand. Sie schlug die Decke zurück, stand auf und ging in das Badezimmer. Auf dem dunklen Holztisch, in dem das Waschbecken eingelassen war, stand ein Zahnputzbecher aus Glas. Eine original verpackte Zahnbürste stand in ihm und ein gelber Zettel klebte am Glas.

Die Zahnbürste ist für dich. Vielleicht bleibst du jetzt ja öfter über Nacht.

Felicitas musste lächeln, als sie die Nachricht las.

„Er ist einfach zu süß“, dachte sie und entdeckte auch schon die nächste Überraschung.

Neben der Dusche waren an der Wand mehrere Haken angebracht. An einem hing ein Bügel mit einem weißen Herrenhemd. Ein weiterer gelber Zettel klebte an der Brusttasche.

Es wird dir sicher zu groß sein, aber du wirst trotzdem bezaubernd darin aussehen.

Sie putzte sich die Zähne und machte sich frisch, dann zog sie das Hemd über. Es fühlte sich ganz weich an und obwohl es frisch aus dem Schrank war, hatte sie das Gefühl, es würde nach Seto riechen. Die Ärmel wurden noch hochgekrempelt und dann machte sie sich auf den Weg in das Erdgeschoss. Aus der Küche hörte man Musik, weshalb sie hineinging.

„Guten Morgen!“

„Morgen.“

Seto saß am Tisch und nahm gerade einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, während Martha an der Küchenzeile werkelte. Felicitas setzte sich neben den Geschäftsmann und lächelte ihn an.

„Möchtest du Kaffee oder Tee oder vielleicht Kakao?“

„Kakao hört sich nicht schlecht an.“

Seto stand auf und suchte im Kühlschrank nach der Milch.

„Martha, haben wir keine Milch mehr?“

„Doch, ich werde gleich welche holen. Setz dich bitte wieder“, sagte die rundliche Frau und verschwand hinter einer Tür.

Im nächsten Moment war Seto wieder neben Felicitas und küsste sie. Als die Haushälterin mit einer Milchpackung wiederkam, saßen die Zwei da, als sei nichts gewesen.
 

Nach dem Frühstück suchte Felicitas ihre Sachen zusammen, den Einkaufskorb, die Kuchenform und ihren Pullover, und ließ sich dann von Seto nach Hause begleiten. Inzwischen waren alle Wolken verschwunden und die Sonne schien.

„Wann sehen wir uns wieder?“, fragte Seto, als sie vor der Haustür standen.

„Na ja, morgen bin ich mit meinen Eltern unterwegs, aber am Montag wollte ich mit Mokuba den Vortrag durchsprechen. Da können wir auf jeden Fall den Abend zusammen verbringen.“

„Okay.“

Felicitas schloss die Haustür auf und stellte den Korb ab, in dem ihre anderen Sachen lagen. Als sie sich umdrehte, war der junge Mann bereits einen Schritt in den Flur getreten. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und sah ihn mit ihren blauen Augen an. In diesem Moment war alles ganz still, weshalb man die Geräusche aus dem Haus hörte. Irgendwo spielte Musik, jemand lief die Treppe hinunter. Wenige Augenblicke später trat Felicitas’ Mutter in den Flur, in der Hand hielt sie eine Gießkanne.

„Oh, hallo. Ich hatte gar nicht gehört, dass jemand gekommen ist.“

„Tja Mama, da siehst du einmal wieder, wie leicht es ein Einbrecher bei uns hat“, erwiderte die Tochter.

Sie hatte sich von Seto gelöst, als sie bemerkt hatte, dass jemand die Türklinke herunterdrückte. Der junge Mann trat auf Frau Chenar zu und reichte ihr die Hand.

„Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Seto Kaiba.“

„Sehr erfreut.“
 

***
 

„So, und jetzt erzähl uns doch bitte mal, wer genau dieser Seto ist und was du mit ihm zu tun hast.“

Felicitas saß zwei Stunden später mit ihren Eltern beim Mittagessen, als ihr Vater mehr über Seto wissen wollte. Verlegen sah sie auf und schluckte den letzten Bissen hinunter.

„Also, Seto ist der große Bruder von meinem Nachhilfeschüler Mokuba. Letzte Woche hat er mich doch zum Essen eingeladen…“

Sie erzählte die Geschichte, wie es zu ihrer ersten Verabredung gekommen war und endete beim gestrigen Abend.

„Ich habe mich in ihn verliebt und seit gestern weiß ich, dass meine Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhen.“

Nachdem sie damit indirekt gesagt hatte, dass sie mit Seto zusammen war, veränderte sich der Gesichtsausdruck ihres Vaters.

„Was für einen Job hat er denn oder studiert er?“

„Seto arbeitet bei der KaibaCorporation.“

„Und in welcher Position? Als Azubi oder wie?“

Felicitas musste schmunzeln.

„Er ist der Vorsitzende.“

„Du willst mich auf den Arm nehmen! Er ist doch höchstens vierundzwanzig. Wie kann er da Vorsitzender sein?“

Ungläubig sah er seine Tochter an.

„Also, eigentlich ist er gestern dreiundzwanzig geworden.“

„Aber… wie?“

„Seinem Vater hat die Firma gehört. Vor zehn Jahren sind er und seine Frau allerdings bei einem Unfall verstorben. Die Stellvertreter leiteten die Firma, bis Seto alt genug war, sie zu übernehmen. Seitdem wird sie von Jahr zu Jahr erfolgreicher. Er ist ein wahnsinnig cleverer Unternehmer und arbeitet hart, um immer wieder weiter nach vorn zu kommen.“

„Ich kann es trotzdem nicht glauben.“

„Aber du wirst es wohl müssen“, erwiderte Felicitas schmunzelnd.

Ihre Mutter hatte sich weitestgehend herausgehalten und nur zugehört. Sie betrachtete ihre Tochter mit einem wissenden Lächeln.

„Wann stellst du ihn uns denn richtig vor?“

„Das hat noch Zeit, Papa“, antwortete Felicitas schnell.

Ihr Vater verzog das Gesicht, lächelte im nächsten Moment aber wieder. „Ich versteh schon.“
 

***
 

Am Abend saß Felicitas mit ihren Freundinnen im Shining. Bis etwa halb elf sollten sie noch unter sich sein, denn Joey und Yugi waren ins Kino gegangen und wollten nach dem Film zu ihnen stoßen.

„Wie sieht es denn nun aus mit dir und Seto?“

„Ja, habt ihr euch schon wiedergesehen nach eurem Date letzte Woche?“, wollte auch Anica wissen.

„Dass ihr immer gleich alles wissen wollt“, meinte Felicitas und grinste die beiden an.

„Ach komm, du willst es doch bestimmt selbst erzählen!“

„Na gut, aber nur weil ihr so lieb gefragt habt. … Am Montag und am Donnerstag haben wir uns gesehen, weil wir mit Moki ja den Vortrag vorbereiten müssen. Da hat Seto uns geholfen und gestern haben wir zu dritt seinen Geburtstag gefeiert.“

„Wie alt ist er denn geworden?“

„Dreiundzwanzig.“

„Und wie habt ihr gefeiert?“, fragte Kira.

„Moki und ich haben gekocht und als Seto von der Arbeit kam, haben wir ihn überrascht. Nach dem Essen haben wir dann etliche Filme geguckt. Als Moki irgendwann schlafen gegangen ist, unterhielten wir uns noch und…“

Sie beendete den Satz nicht, weil sie sich an den folgenden Moment erinnerte und den Kuss in Gedanken ein zweites Mal genoss.

„Und?“

Die beiden rissen sie aus ihren Gedanken.

„Und dann haben wir uns geküsst.“

„Echt jetzt?“

Felicitas nickte nur und lächelte.

„Heißt das, dass ihr jetzt zusammen seid?“

„Ich denke schon.“

„Das ist ja cool. Du hast dir doch tatsächlich Seto Kaiba, den Eisblock, geangelt“, meinte Anica und grinste ihre Freundin an.

„Seto ist überhaupt kein Eisblock! Auf den ersten Blick scheint er vielleicht sehr kühl, aber das ist eher ein Schutzwall. Eigentlich ist er total lieb und macht sich Sorgen um einen.“

„Aber trotzdem – du hast dir den heißesten Junggesellen der Stadt geangelt!“

Kira hielt ihr die Hand hin und Felicitas schlug lachend ein.

„Bevor ich es vergesse, habt ihr nächste Woche einen Nachmittag mal Zeit für mich?“

„Für dich doch immer, Herzchen. Worum geht’s?“

„Na ja, Seto hat mich zum Herbstball eingeladen und ich brauche noch ein Kleid“, erklärte Felicitas.

Kira und Anica sahen sich an und begannen dann zu grinsen.

„Du wirst nach diesem Shoppingtag todmüde aber glücklich ins Bett fallen. Das versprechen wir dir.“

„Na dann freue ich mich bereits jetzt darauf.“

Felicitas nahm einen Schluck aus ihrem Glas und lehnte sich zufrieden zurück. Sie war froh, dass sie so tolle Freundinnen hatte.

„Hab ich dir eigentlich schon erzählt, dass Joey mich nach Seto gefragt hat. Also, ich meine, nach dem Jungen, in den du verliebt bist“, fing Anica nach einiger Zeit an.

„Ach so?“

„Das war glaube ich am Mittwoch, ja genau, als wir in Geschichte die Partnerarbeit hatten.“

„Wir dürfen Joey auf keinen Fall etwas von Seto erzählen. Er würde nur ausflippen und sicher etwas Dummes tun, schließlich kann er ihn absolut nicht ab.“

„Warum eigentlich nicht?“

„Bis zum Abi war Seto im gleichen Karateverein wie Joey und Yugi. Dort muss es wohl zu einigen unschönen Szenen gekommen sein. Jedenfalls findet Joey ihn arrogant und eingebildet. Er will nichts mit ihm zu tun haben und wenn er schon allein den Namen Kaiba hört, beginnt er mit einer Schimpftirade, die sich sehen lässt“, erklärte Felicitas.

„Das ist natürlich ungünstig.“

„Von uns wird Joey selbstverständlich nichts erfahren“, versprach Kira.

„Danke. Er würde mir nur alles kaputt machen, wo ich doch gerade so glücklich bin.“

„Du hast wirklich Glück. Ich wünschte, ich hätte auch einen Freund.“

Anica seufzte, hob dann aber ihr Cocktailglas und stieß mit den beiden Freundinnen an. Einige Minuten später betraten Joey und Yugi die Bar. Sie setzten sich zu ihnen, bestellten und erzählten von dem Horrorfilm, den sie sich angesehen hatten. Es wurde über belanglose Themen gesprochen und als langsam die Müdigkeit einsetzte, brach man auf.

„Feli?“, fragte Joey, als sie sich auf dem Weg nach draußen befanden.

„Ja?“

„Gehen wir zusammen nach Hause? Ich würde gern mit dir reden.“

Sie zögerte kurz, stimmte dann aber zu. Nachdem man sich von den Freunden verabschiedet hatte, machten sich die Zwei auf den Weg. Die ersten Minuten schwiegen sie. Felicitas hatte mehrmals das Gefühl, dass Joey mit dem Sprechen beginnen wollte, es dann aber doch nicht tat.

„Es ist echt merkwürdig, dass wir nicht mehr miteinander sprechen. Ich vermisse es mit dir zu reden. Und alleine zur Schule zu gehen, macht auch keinen Spaß.“

Felicitas blickte zu ihm auf, doch Joeys Blick ging stur geradeaus. Er hatte Angst vor ihrer Antwort.

„Es wäre wirklich schön, wenn zwischen uns wieder alles so wäre wie vorher. … Ich weiß, dass ich dir wehgetan habe und du das überhaupt nicht verdient hast, weil du ein super toller Mensch bist. Aber mein Herz hat sich leider anders entschieden.“

„Alles wieder gut?“

Der junge Mann war stehengeblieben und streckte ihr die Hand entgegen. Es brach ihm fast das Herz, sie vor sich stehen zu sehen und so zu tun, als wäre alles wieder in Ordnung, wo er sie doch am liebsten umarmen und einfach lieben würde.

„Alles wieder gut.“

Felicitas lächelte und ergriff seine Hand, doch es blieb ein mulmiges Gefühl zurück. Konnte es denn überhaupt so werden wie früher?

„Sag mal…“

Konnte er sie fragen, wer der Andere war? Er wollte es wissen. Es brannte ihm praktisch unter den Fingernägeln, sie nach dem Namen zu fragen. Aber vielleicht würde er dadurch den ersten Frieden zerstören, das wollte er nicht riskieren. Er wollte in ihrer Nähe sein, mit ihr sprechen, mit ihr lachen, auch wenn es ihm noch so weh tat.

„…was hast du eigentlich gestern während dieses schrecklichen Orkans gemacht?“, fragte er stattdessen.

„Wir haben Geburtstag gefeiert.“

„Wer hatte denn? Deine Eltern haben doch im März Geburtstag. … Oh, verstehe. Er hatte Geburtstag.“

Felicitas schwieg betreten. Genau das war der Punkt, warum es nicht so werden konnte wie früher.

„Ach Feli. Wir werden um dieses Thema nicht herumkommen. Du hast einen Freund und ich muss damit klar kommen. Es sollte uns nicht unangenehm sein, darüber zu sprechen.“

Es waren vernünftige Worte, auch wenn es im Herzen ganz anders aussah.

„Okay.“
 

***
 

„Mein Papa hat gefragt, wann er dich richtig kennen lernen darf“, erzählte Felicitas, als sie am Montagabend neben Seto auf der Couch lag.

„Und? Was hast du gesagt?“

„Dass das auf jeden Fall noch Zeit hat. Er denkt, ich wäre noch immer das kleine Mädchen im Pünktchenkleid und Schleife im Haar. “

„Sehr gut. Die paar Fragen deines Vaters an dem Abend, als ich dich das erste Mal abgeholt habe, waren ja noch okay, aber ein richtiges Treffen traue ich mir noch nicht zu.“

„Hast du etwa Angst?“

„Ich habe vor nichts und niemanden Angst!“, erwiderte er energisch.

„Seto hat Angst, Seto hat Angst…“, sang die Blonde vor sich hin und grinste dabei frech.

„Na, warte!“

Er packte sie und begann sie zu kitzeln.

„Ah, nein! Hör auf…“ Sie versuchte sich zu wehren, ohne Erfolg. „Bitte, bitte hör auf…“

Noch einmal setzte er an, dann zog er sich zurück. Felicitas kam langsam wieder zu Atem, doch er grinste sie nur dreist an.

„Okay, du hast es nicht anders gewollt.“

Ehe er sich versah, hatte er ein Kissen im Gesicht. Da genug Kissen auf der Couch lagen, war es kein Problem neue Munition zu bekommen und es ging eine ganze Weile hin und her.

„Wenn du aufgibst, werde ich dir noch einmal verzeihen“, meinte Felicitas, als ihr langsam die Kraft ausging.

„Du mir verzeihen? Du hast dich doch über mich lustig gemacht!“

Er warf ein letztes Kissen und umarmte seine Freundin daraufhin. Sie ließ sich zurücksinken und spürte sein Gewicht auf ihrem Körper. Es war überhaupt nicht unangenehm, sondern ein schönes Gefühl. Sanft fuhr ihre Hand durch sein Haar, über seine Wange, über seinen Nacken. Sie streichelte ihn gern, berührte gern seine weiche Haut.

„Ich hab dich lieb.“

Es war ihm noch nie so leicht gefallen, jemanden zu sagen, was er für ihn empfand.

„Ich hab dich auch lieb.“
 

***
 

Am Dienstag fielen die letzten zwei Unterrichtsstunden aus, weshalb Anica, Kira und Felicitas gleich von der Schule aus in die Stadt gingen.

„Okay, Herbstball, da brauchen wir ein festliches, elegantes Kleid.“

„Welche Geschäfte kommen da in Frage?“

„Ach, wir schauen einfach in alle hinein…“, meinte Anica und lief beschwingt voraus.

Kira und Felicitas sahen sich an. Das war ja so klar gewesen.

In den ersten paar Geschäften gab es zwar viele schöne Kleidungsstücke, die teilweise in den Einkaufstüten der Mädels landeten, aber ein passendes Kleid war nicht dabei. Trotzdem hatten sie jede Menge Spaß. Teilweise probierten sie Kleider nur an, weil sie wussten, dass sie darin unheimlich lächerlich aussahen.

„Lass mich ein Foto davon machen! Du siehst so herrlich schrecklich darin aus!“, sagte Felicitas und holte ihr Handy aus der Tasche.

Im nächsten Geschäft gab es dahingehend eine bessere Auswahl. Felicitas hatte sich einige Kleider ausgesucht und probierte sie nun nacheinander an.

„Das sieht aus wie ein Sack! Am Bügel ging es ja, aber angezogen…“

„Du hast recht!“, Felicitas musste über ihr eigenes Aussehen lachen.

„Sollte ein Kleid für einen Herbstball nicht wenigstens bodenlang sein?“, wollte Anica beim nächsten Kleid wissen.

„Das ist wirklich hübsch, aber es passt nicht zum Anlass“, meinte auch Kira.

Felicitas betrachtete sich noch einmal im Spiegel der Ankleide.

„Ich nehme es trotzdem mit, im Sommer werden sich sicher noch Gelegenheiten zum Tragen finden.“

Gefühlte hundert Kleider und fünf Geschäfte später fanden sie endlich etwas, das den Vorstellungen entsprach.

„Darin siehst du einfach bezaubernd aus! Du wirst die Schönste auf dem ganzen Ball sein.“

„Seto wird sich nicht mehr einkriegen vor Staunen. Sei dir sicher, dass er dich mit seinen Blicken verschlingen wird.“

Felicitas betrachtete sich im Spiegel, drehte sich ein paar Mal hin und her. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab.

„Perfekt.“
 

***
 

„Ich bin wieder da!“

Felicitas war mit den vielen Einkaufstüten in den Flur getreten und zog sich zunächst die Jacke aus.

„Wo warst du denn so lange? Warum bist du nicht nach der Schule nach Hause gekommen?“, fragte ihre Mutter.

„Ich war mit Kira und Anica einkaufen. Wir wollten nach einem Kleid schauen, das ich beim Herbstball tragen kann“, antwortete die junge Frau und griff nach den Tüten, die auf dem Boden standen. „Wir haben auch eins gefunden.“

„Na, dann zeig mal.“

Die beiden liefen die Treppe hinauf und Felicitas präsentierte ihrer Mutter stolz ihre Errungenschaft.

„Ein wunderschönes Kleid, mein Schatz.“

Es stahlen sich winzige Tränen in ihre Augen.

„Ich habe morgen die ersten drei Stunden frei, weil einige Lehrer krank sind. Könnte ich da heute vielleicht bei Seto übernachten?“

Ihre Mutter seufzte leise. „Natürlich.“
 

***
 

„Hallo Feli!“

Mokuba begrüßte sie fröhlich.

„Hey Moki. “ Sie zog ihren Mantel aus und hängte ihn an die Garderobe. „Wie war dein Tag?“

„Wie immer. … Was ist denn in deiner großen Tasche?“

„Ich dachte, ich könnte heute hier übernachten und da habe ich mir Klamotten für morgen mitgebracht.“

„Du übernachtest heute hier?“, Seto war in das Foyer getreten.

„Wenn du nichts dagegen hast.“

„Ich bin der letzte, der etwas dagegen haben könnte.“

Er nahm sie in den Arm und küsste sie.

„Na gut, ich geh dann mal in mein Zimmer. Bis Freitag muss ich so ein langweiliges Buch gelesen haben“, meinte Mokuba und verschwand die Treppe hinauf.

„Viel Spaß!“

„Ironie kann ich nicht gebrauchen, danke“, erwiderte er nur, ohne sich noch einmal umzudrehen.

„Das war doch aber ernst gemeint.“

Verständnislos sah Felicitas Seto an.

„Es kann eben nicht jeder Bücher mögen.“

„Mhm.“

„Ich bin noch nicht ganz fertig mit der Arbeit, aber du kannst gern fern sehen gehen, wenn du möchtest.“

„Darf ich dir nicht vielleicht zusehen?“

Sie sah ihn bittend an und er konnte ihr den Wunsch nicht abschlagen, er wollte es auch gar nicht. Hand in Hand liefen die beiden in das Arbeitszimmer. Während Seto hinter dem Schreibtisch Platz nahm, setzte Felicitas sich in den großen, alten Sessel, der neben dem Bücherregal stand. Sie kuschelte sich hinein und sah zu Seto hinüber. Er hatte mehrere Blätter mit Tabellen vor sich liegen und ging sie nacheinander durch, schrieb an einige Stellen Notizen an den Rand, an andere Fragezeichen. Gelegentlich sah er auf und jedes Mal sah er in Felicitas‘ lächelndes Gesicht, welches ihn ebenfalls zum Lächeln brachte. Nach etwa einer halben Stunde raffte er die Zettel zusammen, legte sie in seinen Aktenkoffer und schaltete die Schreibtischlampe aus.

„Wollen wir noch einen Film schauen?“, fragte Seto, als er aufstand und zu ihr herüber lief.

„Gern.“

Er stand vor dem Sessel und sie streckte die Arme nach ihm aus. Seto beugte sich hinunter und sie küsste ihn, hielt seinen Kopf dabei mit ihren Händen fest.

„Ich hab dich lieb, Kleine“, sagte er.

„Ich hab dich auch lieb.“
 

Im Fernsehen lief ein Krimi. Die beiden saßen auf der großen Couch, Felicitas hatte sich an Seto gelehnt und er streichelte sanft ihren Kopf.

„Was meinst du, wer ist der Mörder?“

„Ich tippe auf den besten Freund, er hat schließlich die Diplomarbeit kopiert und als seine eigene ausgegeben“, mutmaßte Felicitas.

„Ich weiß nicht, das Mädchen ist wahrscheinlicher.“

„Das war eine Gewalttat! Frauen greifen eher zu Tötungsmethoden, bei denen sie sich nicht die Hände schmutzig machen müssen. Also Gifte wie Zyankali.“

„Woher weißt du sowas?“

„Ich interessiere mich eben für Krimis.“

„Also brauche ich keine Angst zu haben?“

„Nur, wenn du dir Fehltritte leisten solltest, werde ich darüber nachdenken müssen“, meinte sie und sah ihn dabei ernst an.

„Werde ich mir demnach nicht erlauben.“

Felicitas musste lachen und er küsste sie auf die Stirn.

„Weißt du, dass ich im Moment wahnsinnig glücklich bin? Und das nur, weil du mit mir zusammen bist.“

„Seto…“

„Es ist aber so. Ich war immer nur für die Firma da, habe immer nur alles gemacht, damit es der Firma und Moki gut geht, aber nie das Gefühl von Zufriedenheit gespürt. Aber jetzt… jetzt geht es mir gut, ich stehe gern am Morgen auf und quäle mich nicht aus dem Bett. Ich denke an dich, wenn ich aufwache und wenn ich einschlafe und schon ist der Tag lebenswert.“

Er sah sie mit strahlenden Augen an.

„Ich bin auch glücklich mit dir.“
 

Felicitas saß auf dem großen Bett und sah Seto zu, wie er die Kerzen auf den Kommoden anzündete. Sie wusste, dass er mit ihr schlafen wollte, verständlich. Ob er bereits mit anderen Frauen geschlafen hatte? Er war dreiundzwanzig – natürlich hatte er bereits mit anderen Frauen geschlafen.

War sie sonst auch noch so selbstsicher, jetzt hatte sie Zweifel, Zweifel und Angst, Angst vor dem, was passieren würde.

Er setzte sich neben sie und sah sie an.

„Hey.“

„Hey“, erwiderte sie und lächelte unsicher.

Seto zog die Decke zurück und sie legten sich hin. In die Decke gekuschelt sah Felicitas ihren Freund an.

„Ist dir kalt? Du siehst so aus.“

Sie nickte nur und er rutschte näher zu ihr. Sanft küsste er sie, legte seinen Arm um sie.

„Wie war dein Tag?“

„Anstrengend aber schön. In der Schule war nicht so viel los, aber nachmittags war ich mit Anica und Kira einkaufen. Wenn ich jetzt mein Handy hier hätte, würde ich dir die Bilder zeigen. Wir haben alle möglichen Klamotten anprobiert, selbst wenn sie noch so schräg aussahen“, erzählte sie strahlend und war froh, dass das seltsame Schweigen gebrochen war.

„Wir haben ein tolles Kleid für den Ball gefunden. Ich hoffe, es wird dir gefallen.“

„Mir ist egal, was du trägst. Hauptsache, du bist bei mir“, erwiderte Seto und meinte seine Worte vollkommen ernst.

„Du bist süß. … Was war denn heut bei dir auf Arbeit?“

„Erstaunlicherweise lief heute mal alles wie es sollte. Manchmal gibt es echt Tage, an denen man verzweifeln könnte. Da kam die Lieferung nicht, dann ist ein ausländischer Partner nicht zu erreichen oder das Computersystem stürzt ab.“

Sie küsste ihn und schloss dann die Augen. Seto betrachtete sie, ihr Gesicht wirkte im Kerzenschein noch sinnlicher. Er streichelte ihre Wange, ihren Hals, fuhr dann den Körper weiter hinab, doch Felicitas zitterte unter seinen Berührungen.

„Du zitterst ja. Ist alles okay?“, fragte Seto gleich besorgt.

Sie schluckte.

„Seto, ich… ich habe noch nie mit jemanden geschlafen.“

Sie schämte sich und wusste überhaupt nicht, warum.

„Okay, das ist okay. … Komm her!“

Er zog sie zu sich und drückte sie ganz fest. Sanft streichelte er ihr Haar.

„Wir machen nichts, das du nicht auch möchtest. Wenn du noch nicht bereit dafür bist, dann lassen wir es. Ich will dich, aber ich will dich erst, wenn du es auch willst.“

Seine Stimme klang ganz liebevoll und Felicitas spürte, dass er ernst meinte, was er sagte. Sie schmiegte sich an ihn.

„Danke.“

„Du brauchst mir nicht zu danken, nicht dafür…“ Vorsichtig drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich habe dich viel zu lieb, um etwas zu tun, das du noch nicht willst.“



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