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Fremdkörper

von

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Kapitel4

Kapitel 4
 

Er lag am Strand, wieder. Mit geschlossenen Augen lag er in der Sonne, seine Kopfhörer auf den Ohren und lang ausgestreckt. Das war der einzige Ort, an dem niemand nach ihm suchte, der einzige Ort, wo ihn niemand vermutete. Und diejenigen, die wussten, dass er hier war, ließen ihn dankenswerter Weise in Ruhe. Es war heiß, der Strand war gut gefüllt. Deswegen lag er weiter Oben, als sonst, fast an der Düne. Weil er früh genug hier her gekommen war- gleich nach der Schule- hatte er noch einen freien Platz ergattern können. Er musste schon Stunden hier sein. Die Sonne brannte. Vielleicht wurde er ja dieses Jahr tatsächlich braun. Langsam bekam er Durst, aber er hatte keine Lust, nach seinem Rucksack und der dort enthaltenen Flasche zu greifen- sie war eh schon warm.

Hier konnte er entspannen, nachdenken, einfach sein. Entweder war hier kein Schwein, dass ihn hätte bemerken können und der Strand war wie ausgestorben, oder es war, wie jetzt, so überfüllt, dass er schlichtweg in der Masse unterging. Klar war seine Definition von „ungestört sein“ etwas ungewöhnlich, wenn er einen völlig überlaufenen Strand dazu zählte, aber für solche Fälle hatte er ja seine Kopfhörer. Und tatsächlich kam er hier zur Ruhe.

Er ließ seine Gedanken kreisen und fortwehen. Seit Wochen wartete er. Auf den großen Absturz. Auf schlaflose Nächte, Nervenzusammenbrüche, Apathie. Auf das Sich-innerlich-tot-fühlen, auf das innere Zerrissen-sein. Nichts passierte. Alles war gut. Naja, nicht richtig gut. Erträglich. Merkwürdig erträglich. Er hatte gedacht, seine Welt würde einstürzen- noch einmal. Und dann hatte er erkannt, dass sein Alltag ganz normal weiterlief- nichts war anders, nichts hatte sich verändert. Er würde immer noch gehen. Sobald das Abi durch war, sobald die Sommerzeit rum war und sein Studium begann, war er weg. In Berlin. Drei oder vier oder fünf Stunden weit weg.

Die Insel würde ihm fehlen. Alles würde ihm fehlen. Aber er würde ja wieder kommen. Irgendwann. Wenn es nicht mehr so weh tat. Wenn er darüber hinweg war. Wenn er weg war.

Irgendwas ließ sein Gewicht neben ihn plumpsen, sodass der Sand aufspritzte. Dieses es war wohl ein Mensch, denn es streckte die Beine aus und grub sie in den Sand. Obwohl er seine Kopfhörer trug, hörte er es- oder spürte es mehr. Dann passierte eine Zeit lang nichts, außer, dass ein Blick merklich auf ihm lag. Nach ein paar Momenten gab er auf und schlug die Augen auf. Er hasste es, angestarrt zu werden.

Neben ihm saß, die Hände hinter sich aufgestützt, ein junger Mann in ungefähr seinem Alter, der ihn schief angrinste. Er erkannte ihn nicht auf Anhieb. Menschen waren nie sein Ding gewesen. Er war wahrscheinlich sehr groß, wenn er stand, größer als er selbst, hatte schwarzes, wuscheliges Haar, das in der Sonne einen leichten Braunstich hatte, noch nass vom Salzwasser. Grüngraue Augen. Von der Sonne gebräunt und gut trainiert- wie man unschwer erkennen konnte, da er nur eine Badehose trug. Offensichtlich kam er grad aus dem Wasser, er war noch komplett nass. Schwarze Tunnel in den Ohren. Ein schwarzer Ring in der Nasenscheidewand und zwei in der Unterlippe, jeweils einer unweit jedes Mundwinkels. Er hatte vergessen, wie diese Art Piercings hießen. Hatte ihn nie großartig interessiert. Jetzt allerdings halfen sie ihm auf die Sprünge. Bens Neuer. Es war grad mal ein paar Tage her, vielleicht zwei Wochen, als Ben zusammen mit ihm wieder in sein Leben eingebrochen ist.

Der Kerl wackelte auffordernd mit den Augenbrauen, was reichlich albern aussah. Innerlich stöhnend nahm Noah seine Kopfhörer runter.

„Was macht jemand, der Wasserscheu ist, am Meer?“, fragte mich der Idiot. Er lächelte. Freundlich, nett, aufgeschlossen. Sportlich. Wahrscheinlich sahen ihm die Mädchen genauso hinterher, wie Ben. Tatsächlich ähnelten sie sich ein wenig. Groß, schlank, trainiert- nicht so übermäßig, wie in Bodybuilder oder Typen in Hollywoodfilmen á la „Biss zum Ende (das hoffentlich bald kommt)“. Er konnte sich gut vorstellen, wie er auf einem Basketballfeld mit ein paar Kumpels ein paar Körbe warf und nebenher ein wenig mit den Mädels flirtete. Ben hatte das oft genug getan. Egal, ob Noah das mochte, oder nicht. Musste toll sein, einen Partner zu haben, der sich für seinen Kram genauso interessierte, statt einem Trauerklos, er nur am Rand saß und zuschaute.

Der Idiot (er war dazu über gegangen, ihn Idiot oder Kerl zu nennen- Bens Neuer tat zu sehr weh) sah wirklich nicht schlecht aus. Und war wahrscheinlich umwerfend im Bett- ähnlich den Kerlen aus den Schmuddelbüchern, die Mell immer laß. Wie nannte sie das? Fantasy-Romance? Bücher voller riesiger, muskulöser, gutbestückter (sie waren immer UNGLAUBLICH gut bestückt), scheiße gutaussehender Männer, die geheimnisvoll, mysteriös, undglaublich stark und sehr brutal waren. Krieger, Kämpfer, Kreaturen. Was immer man wollte- Vampire, Werwölfe, Gestaltenwandler, Feen, Elfen, Zwerge, Engel, Dämonen- what ever.

„Krieg ich heut noch ne Antwort?“

Er war wohl mit seinen Gedanken abgeschweift. Hups. Die ganze Zeit seinen Gegenüber anzustarren und mit den Gedanken ganz woanders sein kam nicht so gut- passierte ihm ständig. Vor allem, wenn er sich vor dem Gespräch drücken wollte. War von seiner Betrachtung zu Spekuöationen rüber zu Mells Liebesromanen geglitten.

Er blinzelte. Was wollte der überhaupt? Vielleicht sollte er ihm die Frage stellen.

Den Kopf wieder zum Himmel drehend und sie Augen wieder schließend, tat er das auch: „Was willst du?“ Hier, von mir, und warum ausgerechnet in diesem Universum?!

„Mit dir Reden.“ Wozu denn den Scheiß? Um seiner Ungläubigkeit Ausdruck zu verleihen, hob er mit geschlossenen Augen eine Augenbraue. „Hey, komm schon. Das is letztens ja wohl ziemlich schlecht gelaufen.“ , meinte Mister Fantastic unbekümmert. Resignierend (der andere würde so oder so nicht aufhören, zu nerven- er kannte die Art Mensch) machte er die Augen wieder auf und schaute ihn an. „Ich bin Alex.“, sagte der Idiot und hielt ihm seine Hand hin. Noah ließ seine, wo sie waren- unter seinem Kopf. Staubtrocken wie der Sand unter ihm entgegnete er „Hallo, Alex.“ Und schaute seinen hoffnungsfrohen Gesprächspartner ausdruckslos an. Der bekam erst mal einen Lachflash. Oh. Mann. „Du bist genau, wie er gesagt hat!“, prustete er endlich. Ben, natürlich. „Und was hat er gesagt, wie ich bin?“, fragte er schließlich doch resigniert, als sich der Lachflash des Idiotens zu einem Kichern beruhigt hatte. „Unfreiwillig komisch. Verschlossen. Schüchtern.“, sagte er freimütig. Irgendwie wurde ihm grad flau im Magen. „Aha.“, war die tonlose Antwort. „Er hat ziemlich viel von dir erzählt. Ehrlich gesagt, dachte ich anfangs, du wärst n Mädchen. Aber dann hat er mir ein Foto von dir gezeigt- und du warst definitiv kein Mädchen!“, lachte der Kerl ungezwungen. Mir viel auf, dass sein amerikanischer Akzent sich ziemlich in Grenzen hielt für einen waschechten Amerikaner. „Ist es nicht merkwürdig, wenn dein Freund so viel von seinem Ex labert und ihm auch noch ein Foto von ihm zeigt?“ Ein Foto. Ben hatte tatsächlich noch Fotos von ihm. Er sicherlich auch noch- seine Mutter hatte garantiert das meiste von dem Zeug gerettet, das er weggeschmissen hatte. Dann vermoderte es eben jetzt auf dem Dachboden. Auch gut.

„Wir waren nie zusammen.“, gestand der Kerl freimütig und hatte mit diesem einfachen Satz sofort und zum ersten Mal in diesem Gespräch seine volle Aufmerksamkeit. Eine kleine Pause entstand, infolge derer er hilflos mit den Schultern zuckte. „Glaub mir, is nich so mein Ding.“, meinte er. Er musste wohl sehr ungläubig drein geschaut haben. Nun, dass überraschte ihn. „Er hat dich nicht vergessen, weißt du?“ Alex (ja, jetzt konnte er ihn so nennen, sollte ihn doch wer verklagen) grinste ihn schief an. „Ich glaub schon, dass er noch was von dir will.“ Er schnaubte. „Und deswegen ist er gegangen, einfach so, ohne einen Mucks- und hat nicht den Arsch in der Hose gehabt, sich zu melden? Ich musste seine Mutter fragen- seine Mutter!- damit ich rausbekam, was los war- denn er war nicht zu erreichen, nicht per Anruf, nicht per SMS, nicht per E-Mail, gar nicht. Jup, das hört sich sehr danach an.“ Oh. Er war wohl wütend geworden. Alex sah ihn merkwürdig an, erstaunt ob der Menge an Worten, die Noah von sich gegeben hatte und betroffen. Ja, is Scheiße, ne? Das war jetzt irgendwie nicht so, wie geplant. Unruhig geworden, ruckte der andere mit seinem Hintern im Sand hin und her. „Naja…“, murmelte er unsicher, „Aber er hat noch Gefühle für dich.“ Wieder schnaubte Noah. „Du kannst mir nicht erzählen, er wäre die zwei Jahre allein geblieben.“ Ein wenig verlegen schaute Alex. „Du etwa nicht?“, fragte er nach einer kleinen Pause. Mit einem Mal war Noah unglaublich müde, sein innerstes fühlte sich taub und leer an, sein Kopf mit Watte ausgestopft. Er wandte den Kopf ab. „Glaub mir, ich hab‘s versucht.“, antwortete er leise und bitter. Dieses von vornherein ungewollte Gespräch hatte mit einem Mal seinen letzten Reiz verloren. Er schob sich die Kopfhörer wieder über die Ohren und rollte sich von Alex weg. Nach einer ganzen Weile stand der andere auf und ging. Da konnte Noah endlich die angehaltene Luft ausstoßen.

Er musste eingeschlafen sein, denn als er das nächste Mal die Augen öffnete, war die Sonne schon untergegangen und ihm fröstelte. Es war nicht richtig kalt, aber der Wind frischte auf. Seine Kopfhörer waren verstummt, der Akku von seinem MP3-Player musste alle sein. Er griff in seinen Rucksack und zog seinen Kapuzenpulli raus, den er eingesteckt hatte. Dabei berührten seine Finger die Flasche. Mit einem Mal hatte er einen ungeheuren Durst. Er erinnerte sich, dass er am Nachmittag schon mal durstig gewesen war, allerdings zu faul, sich zu bewegen und dann… Danach hatte er keine Lust mehr auf irgendwas gehabt und musste eingeschlafen sein. Den Pulli auf seinen Schoß legend, schnappte er sich die Flasche öffnete sie und kippte die warme Flüssigkeit in sich rein. Als er sie wieder absetzte, war die Flasche zur Hälfte geleert. Mit dem Handrücken wischte er sich über die Lippen, ehe er sie wieder zuschraubte und in dem Rucksack verstaute. Dann warf er sich den Pulli über und ging runter zum Wasser, um am Strand entlang nach Hause zu gehen. Am Ufer, kurz nachdem die Wellen sich vom Sand zurückzogen, wartete eine Überraschung auf ihn. Gleich die zweite heute. Die Gestalt saß dort genau wie sonst Noah, komplett in schwarz, die Füße genau so weit von Wasser weg, dass es die Schuhe nicht berührte, nach vorn gebeugt und in Gedanken versunken. Leise wollte er sich um denjenigen herumschleichen, um ihn nicht zu stören, doch dann schaute er auf und ihn an. Seine Farben waren im Dunkel schwer zu erkennen. Er sah nur das Gesicht, die Augen halb vom Pony verdeckt, von der Kapuze umrandet. Alles mehr als schemenhaft. Und doch… Und doch hätte er ihn immer und überall erkannt. Sein Magen verknotete sich. Jetzt war‘s nicht mehr taub. Jetzt tat‘s weh.

Ben kam auf die Füße und auf ihn zu, blieb aber stockend und unsicher mehrere Schritte vor ihm stehen. Seine Hände baumelten hilflos an seinen Seiten. So hatte Noah ihn noch nie gesehen. Das musste eine Prämiere sein. „Hey.“, kam es atemlos von dem Größeren. Er erwiederte nichts, blieb aber stehen und sah Ben an. Der fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Weiter kam er wohl nicht. So viel Ungesagtes. So viel Unausgesprochenes lag zwischen ihnen wie eine Schlucht ohne Brücke. Noah setzte sich wieder in Bewegung. Er hatte Ben fast passiert, da hielt die Stimme des Größeren ihn wieder zurück. „Können wir nicht…“, fing er an. Als Noahs Blick in traf, brach er ab und begann nochmal. „Kann es nicht wieder so sein, wie früher? Können wir nicht einfach wieder… Freunde sein?“ Ben klang hilflos, ein wenig verzweifelt und ein wenig hoffend. Noah war fassungslos. Er brauchte mehrere Sekunden, ehe er seine Stimme fand und dann noch ein paar, bis er wusste, was er sagen sollte. „Was?“, fragte er und fühlte sich, als hätte man ihn mitten im Schlaf mit Eiswasser übergossen. Erschreckt, wütend und desorientiert. „Nach all dem, was zwischen uns passiert ist? Nach dem, was du mir angetan hast?“, kam es schnell aus ihm heraus. Er wurde nicht laut- er wurde nie laut. Ben sah ihn merkwürdig flehend an. „Bitte!“ Noah schloss mit gerunzelter Stirn die Augen und schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Einfach…“ Die Augen wieder öffnend, sprach er weiter. „…einfach nein.“, sagte er schwach. Dann drehte er sich um und ging zügig nach Hause. Ben kam ihm nicht hinterher.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  DMC_Monkey
2013-08-12T10:22:18+00:00 12.08.2013 12:22
Nur ein Kommentar ö.ö Das geht ja mal überhaupt nicht! Die Story ist so unglaublich toll Q__Q Noah ist so toll. Ben ich kann dich nicht verstehen! Wie konntest du ihn verlassen man D:

So und jetzt ein wenig zu dem Kapitel :D
Aaaaalso, ich kann verstehen das Noah seinen Exfreund abweist. Hätte vermutlich nicht anderes reagiert. Da bekommt Ben auch kein Fünkchen Mitleid von mir. Bei Alex...arrrr...ich stelle ihn mir ja schon ziemlich heiß vor. Liegt aber wahrscheinlich am Namen.

Ich versuche jetzt bei jedem weiteren Kapitel ein Kommentar zu hinterlassen. Freue mich schon auf das nächste Kapitel! Ich hoffe du hast keine Probleme damit, wenn ich für dich Schleichwerbung bei meinem ff mache? ö.ö


lg
monkey


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