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Leuchtende Schatten

von

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Die Verzweiflung

Ciel
 


 

Ich kann sie spüren!

Sie sind überall!

Auf meinem Gesicht, in meinen Haaren, auf meiner Brust, meinen Armen, meinen Beinen und… und…

NEIN!

Geht weg!

Ihr dürft mich dort nicht anfassen! Das dürft ihr nicht!

Ich will das nicht! Nehmt eure Hände weg, verschwindet! Ihr tut mir weh! Ihr tut mir weh!
 

Ein Ruck geht durch meinen Körper als sich der erste an mir vergeht, der Schmerz ist unbeschreiblich!

Ich kann nicht mehr tun außer Atmen, schreien und weinen, während Lanzen aus purer Qual meinen Körper aufspießen, Messer mit glühenden Klingen meinen Leib aufschlitzen, Klauen aus Feuer mich zerfetzen und meine Seele bloßlegen, damit sie wie die Tiere über mich herfallen können.

Sie nehmen sich alles was sie finden, alles was mir gehört! Entreißen es mir, zerstören es… zerstören mich…
 

„Ciel?“
 

Ich versuche mich zu wehren! Versuche nach ihnen zu treten, sie zu beißen, sie zu kratzen, aber sie sind so viel stärker als ich. Sie fixieren meine Arme, fixieren meine Beine, halten mich fest damit sie ihr unseliges Werk ungestört fortsetzen können.

Mir bleibt nichts.

Nichts als Schmerz, grenzenlose Qual und die Trauer um das was ich verloren, was sie mir genommen haben.
 

„Ciel!“
 

Ein letztes Zucken.

Ich kann mich nicht mehr bewegen. Alle Kraft hat meinen Körper verlassen. Ich bin kaputt, gebrochen… vernichtet.

Es ist nichts mehr übrig…
 

„Ciel komm zu dir! Komm schon Kleiner, mach die Augen auf! Es ist alles gut, keiner will dir etwas tun!“
 

Ich höre eine fremde, und doch gleichzeitig vertraute Stimme, die sich durch den Nebel zu mir durchkämpft. Sie packt mich, will mich mit sich zerren. Aber ich kann mich nicht bewegen. Mir tut alles weh…
 

„Verdammt Ciel!“
 

Der Schmerz auf meiner rechten Wange reißt mich schlagartig zurück in die Gegenwart.

Blinzelnd hebe ich meine Hand um sie über die schmerzende Stelle zu legen und versuche zu verstehen, was gerade passiert ist.
 

„Wo… wo bin ich?“, frage ich verwirrt, ich bin gerade völlig durch den Wind.
 

„Ach Ciel. Mein dummer kleiner Ciel.“
 

„Madame? Was ist passiert?“, frage ich kleinlaut als ich ihren Gesichtsausdruck sehe, der immer wieder zwischen Sorge und Wut wechselt. Selten habe ich Madame Red so aufgelöst erlebt.
 

„Du hattest mal wieder einen Anfall. Einen ziemlich heftigen sogar. Ich musste deinen Freier fortschicken, man hat dich im gesamten Haus schreien gehört.“
 

Ich habe den Eindruck, als erwäge sie kurz mich in den Arm zu nehmen und wenn ich ehrlich bin, würde ich mir das gerade jetzt sogar wünschen.

Ich spüre sie immer noch. Die vielen fremden Hände die meinen Körper plündern, aber ich weiß jetzt, dass sie mir nichts mehr tun können. Ich bin in Sicherheit.
 

„Es tut mir leid Madame.“
 

Betrübt senke ich den Kopf.

Wieder habe ich sie enttäuscht. Wie soll ich ihren Wünschen entsprechen, wenn ich nicht einmal die einfachsten Berührungen ertragen kann?
 

Unwillkürlich muss ich an den Freier denken.

Sebastian Michaelis, wie ich ihn genannt habe.

Er hat gesagt, dass er mich verletzen würde.

Er ist ein gefährlicher Mann, das habe ich schon auf den ersten Blick erkannt und dann, als seine Augen vor Gier auf einmal geleuchtet haben, die Pupillen zu katzenartigen Schlitzen zusammengezogen… ich dachte ich falle in Ohnmacht vor lauter Angst! Ist er ein Dämon?

Lächerlich!

Dämonen existieren nicht!

Sicherlich war das nur meine Einbildung, eine Reflexion vom Licht der Kerzen und meine Phantasie hat mir einen bösen Streich gespielt.
 

„Ach Ciel, was mache ich nur mit dir?“ Tief seufzend erhebt sich die Madame und zieht mich mit sich auf die Füße. „Wir müssen uns dringend etwas einfallen lassen, so kann das nicht weitergehen. Zum Glück wollte der Herr sein Geld nicht wieder zurückhaben. Er hat nur verlangt, dass er in zwei Tagen wiederkommen darf und dann auch gesichert zu dir gelassen wird. Aber ich habe ihm schon gesagt, dass wir für dich keine ‚Reservierungen‘ annehmen. Hat ihm nicht besonders gefallen, aber das ist egal, muss er eben früher kommen“, plappert sie vor sich hin, während ich zu meinem Bett wanke und mich dann erleichtert auf die Matratze sinken lasse.
 

In zwei Tagen will er wieder kommen?

Ich weiß nicht, ob mich das freut oder ängstigt.

Er sieht unheimlich gut aus, war ungeheuer freundlich und sanft zu mir und ich habe mich eigentlich schon ziemlich gut mit ihm gefühlt… bis er mir gesagt hat, dass er mich verletzen würde.

Wie hat er das gemeint?

Ich werde ihn fragen müssen.

Eigentlich habe ich nichts dagegen, wenn er wieder zu mir kommt.

Auch wenn seine Berührungen einen Anfall ausgelöst haben, einen ziemlich heftigen noch dazu, hatte ich für wenige Momente durchaus das Gefühl, dass ich bei ihm sicher bin. Ich konnte mich sogar fast ein bisschen entspannen, wenn auch nur für wenige Augenblicke.
 

Immerhin ist er wenigstens nicht so hässlich wie der Earl of Gloucester. Wenn ich nur an ihn denke wird mir schon schlecht. Ich hatte in seiner Gegenwart bereits vier solcher Anfälle und Madame musste bei seinem vorletzten Besuch sogar die Tür aufbrechen lassen weil das widerliche Schwein einen Stuhl unter die Klinke gestellt hat, und als ich dann endlich wieder zu mir gekommen bin, war eines der Mädchen gerade dabei mein Gesicht zu waschen.

Der Kerl hat sich, während ich mich unter den Erinnerungen an den Schmerz in meiner Vergangenheit gewunden habe, tatsächlich in mein Gesicht ergossen!

Ich war so entsetzt, so außer mir, dass ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte.

Wie tief konnte ein Mensch sinken? Wie widerlich konnte jemand sein, der sich an den Schmerzen eines anderen ergötzte und sich dann auch noch dabei Erleichterung verschaffte?
 

Aber das Schlimmste war, dass er Madame für diese Nacht 2000 Pfund gezahlt hat und deswegen in der darauffolgenden Woche wiederkommen durfte, wenn auch mit der Auflage, mich unter keinen Umständen zu berühren.

Er hat sich an das Verbot gehalten, allerdings stellt sich die Frage, wie lange das so bleiben wird, immerhin durfte er heute nicht zu mir, das wird ihm gar nicht gefallen haben.
 

„Ich habe Hunger Madame. Und ich bin müde“, presse ich erschöpft hervor und kann sehen, wie ihr Gesicht sich wieder verschließt als ich ihre Worte einfach übergehe. Aber es bringt nichts ihr Versprechungen zu machen, wenn ich sie ohnehin nicht halten kann.
 

„Dann geh nach unten in die Küche, ich bin nicht dein Dienstmädchen“, antwortet sie patzig, steht abrupt auf und verlässt dann mit wehenden Röcken das Zimmer.
 

Endlich Ruhe.

Ich quäle mich langsam aus meiner Arbeitswäsche, schlüpfe dann in eine weite graue Hose und ein ebenso weites, dunkelblaues Shirt. Barfuß verlasse ich das Zimmer und gehe über die schmale Dienstbotentreppe, auf der mir keine Kunden entgegenkommen, hinunter in die Küche und suche mir etwas zu essen.
 

„Du siehst aber gar nicht gut aus Ciel!“, begrüßt mich Charlotte Rutherford die Küchenhilfe, die wir aber alle nur Charly nennen. Bis auf die Madame, die spricht sie mit vollem Namen an, aber es würde mich auch wundern wäre es anders.
 

„Hmm, war nicht mein bester Tag heute“, antworte ich brummelnd und setze mich an den großen Küchentisch.
 

„Soll ich dir Suppe aufwärmen? Du siehst aus, als könntest du was Warmes vertragen.“
 

„Ja… wenn du gerade nichts Besseres zu tun hast“, sage ich und knabbere an einem Stück Brot das ich im Brotkorb gefunden habe.
 

„Ich… ich hab dich wieder schreien gehört.“ Sie hat mir den Rücken zugewendet und rührt geschäftig in dem großen Topf mit der Suppe. Allen ist es peinlich darüber zu sprechen. Ob sie sich sehr für mich schämen? Oder vielleicht auch wütend sind, dass ich so viele Privilegien genieße obwohl ich noch nicht mit einem Freier im Bett war? „Es klang schlimm… willst du drüber reden? Vielleicht hilft dir das ja?“
 

Charly ist wirklich freundlich. Alle mögen sie. Sie ist nicht hübsch, eher das Gegenteil ist der Fall. Sie hat buschiges aschblondes Haar, das ihr immer wirr über den Rücken hängt und sich auch von mehreren Haarbändern gleichzeitig nicht zähmen lässt – was man daran erkennt, dass man immer mal wieder eines ihrer Haare im Essen findet, was die Köchin fast in den Wahnsinn treibt – ihr Gesicht ist nichtssagend und auch ihrer Figur würden fünf bis zehn Kilo weniger nicht schaden, aber sie hat ein Herz aus Gold, und das allein zählt für mich.

Mit ruhigen Bewegungen füllt sie einen Teller voll dampfender Suppe und kommt zu mir an den Tisch, setzt sich dann neben mich und mustert mich forschend mit ihren warmen braunen Augen.
 

„Nein, das ist lieb von dir, aber das wird mir nicht helfen, im Gegenteil… aber… du könntest…“, von meinem eigenen Wunsch verwirrt breche ich ab und senke den Blick.
 

„Was kann ich für dich tun Ciel, immer raus damit!“
 

Ich höre ihr freundliches Lächeln in ihrer Stimme und fasse neuen Mut.

Ich habe noch nie jemanden um so etwas gebeten und hoffe, sie lacht mich nicht einfach aus. Aber ihre Nähe wirkt auf mich so beruhigend. Bei ihr fühle ich mich so sicher wie nirgendwo sonst. Wahrscheinlich, weil sie auf dieser Welt der einzige Mensch ist, der nichts anderes von mir will als meine Freundschaft.
 

„Kannst du mich bitte in den Arm nehmen?“, flüstere ich so leise, dass ich die Worte selbst kaum verstehe und bereue im nächsten Moment schon überhaupt etwas gesagt zu haben. Das passt nicht zu mir. Sie wird mich sicher auslachen!
 

„Hmmm, aber nur, wenn du mir versprichst nicht zu schreien“, flüstert sie ebenso leise zurück und ein Lächeln huscht über mein Gesicht.
 

„Versprochen…“
 

Dann zieht sie mich an ihre Brust, schlingt ihre Arme um mich und hält mich einfach fest.

Ich atme ihren Geruch nach Zwiebeln, frisch gebackenem Brot und scharfen Küchenkräutern ein und fühle mich zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder wie das, was ich eigentlich immer noch bin, was ich aber nicht mehr sein darf.
 

Ein einsames, verängstigtes Kind, das unendliche Sehnsucht nach Wärme und Liebe hat.
 

TBC



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yamis-Lady
2014-04-02T23:08:50+00:00 03.04.2014 01:08
ccieeel ;_____;
der arme... aber, dass solche taten wunden hinterlassen is ja klar...
los, sebby, gib dir mühe! >XD


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