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Der Wille der anderen

Aus der Reihe: Mädchen
von

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Sophia war eigentlich noch nie wirklich wie die anderen gewesen. Sie hatte niemals eine Ahnung gehabt, wieso das so war. Eigentlich verhielt sie sich insgesamt genauso wie alle anderen. Sie mochte Pudding, sah sich die Serien im Fernsehen an, die gerade in Mode waren, kleidete sich stylish und so weiter.

Es gab eigentlich nichts, was sie nicht auch tat, wenn es andere gerade toll fanden und doch war sie anders. Sie wusste nicht, weswegen. Das war wie ein Fluch. Vielleicht war es gar nicht ihr Fehler; vielleicht war es ihr Geruch, der die Leute so handeln ließ, egal wohin sie kam. Es war, als wären alle Leute miteinander vernetzt und tauschten sich aus, als warnten sie einander vor ihr wie vor einer Seuche.

Sophia hatte sich ohnehin schon immer gewundert, dass alle Leute sie recht schnell auf die gleiche Weise einschätzten und abschrieben, sie aber nicht wegwarfen, sondern wie eine leere Dose herumkickten, bis sie ....

Bis wann eigentlich? Das Ende konnte wohl keiner ersehen.
 

Dieses abwehrende Verhalten der anderen hatte im Kindergarten begonnen. Sie hatte keine Freunde, zumindest nicht für lang. Meistens reichte eine Spielperiode aus, dass man genug von ihr hatte. Manchmal ging es aber auch schon von einem Moment auf den nächsten und dann ... nun, es war nicht leicht, das wegzustecken. Aber Sophia gestand sich gern selbst ein, dass es ihr im Kindergarten noch am wenigsten ausgemacht hatte. Immerhin gab es da etliche Beschäftigungen, denen man allein nachgehen konnte, die keines Kameraden bedurften.
 

Mit dem Eintritt in die Schule ging es weiter. Zu Beginn hatte ihre Mutter sie immer bis zur Bushaltestelle begleitet und bei der war sie auch geblieben, bis nach einem Vierteljahr ihre Mutter befand, dass sie es jetzt auch gut allein schaffen konnte. Da stand Sophia dann allein an einem Fleck der Haltestelle, die spielenden anderen hinter sich, die Straße vor sich; unschlüssig, was sie tun sollte.

An einigen Tagen versuchte sie, bei den Jungs Anschluss zu finden. Die Jungs waren wie eine andere Gruppe verglich man sie mit den grausamen Mädchen, die gleich immer sagten, dass sie keiner mochte, und sie gehen und heulen sollte. Sophia jedoch heulte nicht, stand dafür aber allein da, ohne dass es wen kümmerte. Bei den Jungs dauerte es zumeist mindestens zehn Minuten, bis sie ihrer überdrüssig wurden, weil sie von den neuesten Kampfrobotern oder Computerspielen wenig wusste, sich noch weniger dafür begeisterte, aber bald schon fand Sophia selbst diese Versuche sinnlos.

In der Schule lief es immer etwas besser. Da war Babette. Babette war auch nicht gern in der Gruppe gesehen und so versuchte Sophia mit ihr auszukommen, was meistens ganz gut lief und den Anschein einer sozialen Kompetenz herbeiführte, bei den sich Sophia zwar nicht wirklich wohl fühlte, aber wenigstens so der Verlegenheit durch die dummen Nachfragen der Lehrer entging:

"Hach, Johanna ist doch so nett, spiel doch bei ihr mit. Die haben dich doch sooo gern. Du darfst nur nicht so schüchtern sein!"

Klar, zuerst war Johanna immer nett, bis sie einige Minuten später plötzlich mit den Spötteleien begann und dies zu einer Massenhetze über den Schulhof ausweitete, vor der Lehrerin war das dann freilich nur ein neuer Teil des Spiels. War es nicht immer nur ein Spiel?
 

Sophia war sich sicher, dass dies alles nur den entscheidenden Tag einläuten sollte. Es war ein Tag im Frühling und die Dunkelheit am Morgen verlor sich endlich. Sie ging gerade zur Bushaltestelle und dachte an nichts Böses, als Johanna mit zwei anderen Mädchen noch auf dem Weg zu ihr liefen und sich vor ihr aufbauten. Sophia hatte keine Angst. Sie fürchtete nichts, nicht einmal Prügel, durch etliche Cartoons meinte sie, zu wissen, wie man sich wehrte, was ein Gefühl der Vorbereitung in ihr suggestierte.

Aber die Mädchen waren nicht auf Schläge aus.

Johanna trat hingegen vor.

"Wir haben es grad beschlossen. Keiner wird mehr dein Freund sein. Mit dir will keiner befreundet sein, weil du voll bescheuert bist. Alle, die bisher mit dir gespielt haben, haben dich nur für uns ausspioniert und wir lachen alle nur über dich, du blöde Kuh!", sagte sie und Sophia kräuselte die Lippen. Sie ergriff Mut und hatte recht schnell eine Antwort parat.

"Das macht nichts. Ich habe sowieso einen eigenen Freund für mich allein."

"Ach ja? Wen denn? Du lügst doch voll!"

"Mein Freund Fernseher!", sagte Sophia überschwänglich und grinste breit. Man lachte sie aus. Man lachte nicht über den humoristischen Aspekt ihrer Aussage, man lachte über die Erbärmlichkeit, die ihre Aussage bedeutete.

"Du bist sowas von bescheuer!", keifte Johanna und sie liefen zu ihrem Platz an der Haltestelle. Sophia fand sich auch dort ein, auf ihrem kleinen Platz. Es war der einzige Flecken grün an der Haltestelle und hier wollte niemand stehen, weil die Katzen dort immer hinmachten.

Sophia dachte nicht darüber nach, ihr schwirrte die Aussage von eben im Kopf herum.

Keine Freunde, das war irgendwie schwer vorstellbar. Zwar hatte sie bisher nicht erlebt, dass sie jemand freiwillig und aus eigenen Stücken heraus als Freundin bezeichnet hätte, aber doch fand sie gelegentliche Übereinkünfte, die zwar nur über ein paar Minuten anhielten, doch immerhin freundlichschaftlicher als überhaupt nichts waren. Jetzt hatte sie das Nichts und fragte sich, wie das sein würde.

Ob es genauso leicht wäre, wie im Fernsehen, wo jahrelang Leute allein ausharrten und sich dann nur widerwillig auf eine Partnerschaft einließen, weil der nahende Angriff des Bösen es erforderte? Sie wusste es nicht. Aber doch empfand sie, dass das Ansehen von dutzenden - gibt es eigentlich Serien, wo das nicht vorkam? - dieser Formate sie irgendwie geprägt und vorbereitet hatte.

Im Bus musste sie stehen. Keiner wollte den Platz mit ihr teilen und hinten, wo die Großen saßen, wagte sie sich nicht hin. Als der Busfahrer schrie, dass sie sich hinsetzen sollte, weil er keine Lust auf einen Unfall hätte und noch genügend freie Sitzplätze da wären, brüllte Johanna dazwischen:

"Neben der will sowieso keiner sitzen, bei der Blöden!"

Das traf den Kern und Sophia fühlte sich gleich betroffen und blickte hilfesuchend zum Busfahrer. Der zog nur einen Augenblick lang eine mitleidige Miene, ehe er wieder meinte, sie solle sich hinsetzen, sonst würde er sie rausschmeißen und sie könne die fünf Kilometer laufen. Sophia verstand nicht ganz, weswegen sie rausgeworfen werden sollte, immerhin stand sie auf einem Stehplatz und sie hatte schon sehr oft gesehen, wie die Omas sich manchmal dorthin stellten, auch wenn der halbe Bus leer war. Die wurden nicht angeschrien oder mit Rauswurf bedroht. Sophia seufzte und bewegte sich mit zitternden Knien nach hinten zu den Großen, welche über sie lachten, wie gefühlt der ganze Bus, obschon wohl doch ein paar wenige ihre eigenen Witze hatten. Die Großen schienen sich mit den anderen verbündet zu haben. Immer, wenn sie kleinlaut anfragte, ob der Platz neben jemandem, der nur seinen Ranzen darauf gestellt hatte, frei seie, wurde ihr frech mit "Nö" und einem anschließenden Lachen geantwortet. Das ging die ganze Reihe hindurch bis zur letzten Fünferreihe, in der die richtig harten, die rauchenden, die gefährlichen Großen saßen wie auf Thrönen, die Kleinen trauten sich nie, diese Plätze zu besetzen, weil sie Angst vor denen hatten.

Heute war der Fünfer nicht ganz voll und Sophia fragte den Großen in der Mitte, ob sie sich da hinsetzen könne.

"Fick dich! Steig doch aus!"

Sophias Hand zitterte. Als Grundschüler durfte man nicht vorzeitig aussteigen. Der Busfahrer drehte meistens gleich durch, wenn man mitten auf der Fahrt die Klingel betätigte. Sie hatte Angst davor, dass er sie anschreien und dann nie mehr mitnehmen würde. Aber sie hatte keine Wahl, wenn sie keinen Platz ergattern konnte, musste sie aussteigen. Sie konnte die Blicke des Fahrers schon zornig in ihrem Rücken spüren.

Ihre Augen mussten wohl glasig geworden sein, als plötzlich ein Mädchen neben ihr ihren Rucksack zur Seite nahm und ihr sagte:

"Hier, pflanz dich hin."

Sophia stammelte ein Danke und setzte sich schnell hin. Sie verhielt sich ganz ruhig und unsichtbar und hörte wie die Großen über sie redeten.

"Ey Romy, wieso lässt'n die da sitzen?", gröhlte ein Junge.

"Und wenn die heult?", lachte das Mädchen zurück.

Sie klang nicht so erbarmungswürdig, wie es ihre Geste angedeutet hat. Im Übrigen war die ganze Fahrt dadurch eigentlich noch schlimmer für Sophia, dann sie wurde unentwegt gekniffen und veralbert. Einmal setzte sich ein Junge auf ihren Schoß, dass sie meinte, dass er sie zerquetschen würde. Kurz vor der Schule wurde sie aus dem Sitz geschubst und zur Tür gedrängt, gegen welche sie dann noch gepresst wurde, ohne Rücksicht.
 

Der Tag in der Schule, es war wie ein Netzwerk. Alle hassten sie, das behaupteten sie jedenfalls. Sophia saß allein auf einer Bank und gab sie geschäftig, auch wenn sie nur hin und wieder ein Blatt vom Busch riss und es in den Fingern zerkrümelte. Sie sah den andern zu. Sie spielten jetzt auch mit Babette und ließen, kamen sie in ihre Nähe, kaum die Gelegenheit verstreichen, ihr ihren Hass noch einmal zu bestätigen. Sie würden sie für immer hassen. Keiner mochte sie. Sie war blöd. Sie hatte keine Freunde. Solche wie sie hatten einfach keine Freunde zu haben. Da konnte sie noch so tolles Zeug geschenkt bekommen, alle hassten sie, ohne Unterlass.
 

Das ging Tage so. Wo die Lehrer bei solcher Schikane waren, war ihr schleierhaft. Vor allem, wenn diese im Unterricht immer davon predigten, dass man einander achten solle, dass man helfen musste, wenn jemand in Not war. Ihre Peiniger gaben dabei immer die Musterantworten und erweckten den Schein von braven Kindern. Keiner sprach darüber, das man sie hasste. Sophia auch nicht, denn Petzen waren sicherlich noch schlimmer verhasst und das bisschen Würde, wollte sie behalten, irgendwie. Aber doch innerlich schrie sie heraus, dass alle, die hier saßen dreckige Lügner waren, dass sie dafür in die Hölle kämen, dass man sie ganz schlimm bestrafen würde, aber bestimmt nicht mehr an diesem Tag oder dem darauffolgenden. Strafen brauchten immer lange.
 

Es zog sich hin. An manchen Tagen war die Hölle erträglich, wiederum andere schleppten sich hin. Sophia benutzte die Schultoilette nicht mehr, weil man sie über die Kabinen hinweg - die Mädchen kletterten zu gern auf die Klositze - beobachtete. Mittlerweile fingen die kleineren Klassen auch an, sie als abstoßend anzusehen oder eher als dazu geeignet nicht geachtet zu werden.

Sophia wurde stiller. Malte viel, aber nichts von dem, was ihr widerfuhr. Sie sprach nicht darüber, außer vielleicht manchmal mit Oma, die dann immer sagte, sie müsste jedem in die Schnauze schlagen, wenn er ihr dumm käme, sie hätte es als Kind auch so gemacht. Aber Sophia dachte dann an den Ärger, den allein sie bekäme und das wollte sie nicht riskieren, auch wenn sie Oma versprach, sich zu wehren.

Sie wehrte sich nicht. Sie stieg in sich selbst ein und fuhr in Gedanken weit weg. Und wenn sie das tat, waren die Momente meist schlimm, aber ausblendbar. Passierte ihr das aber im Unterricht, wurde sie jedoch von der Lehrerin als dumm und unaufmerksam bezichtigt, was die andern zum Lachen brachte.

Keiner zeigte sich verständnisvoll. Es regnete zwar mustergültige Anworten auf Fragen der Ethik, aber angewandt wurden sie nur auf die armen anderen. Behinderte, Leute mit anderer Hautfarbe, Leute, die zugezogen sind, Leute, deren Familien wenig Gelb haben.

Sophia fand, dass es sich genauso mit der Verteilung von Ethik und Rechtschaffenheit wie mit den Spendengalen im Fernsehen verhielt: Alles ging immer an andere, an welche, die sich auffällig unterschieden. Leute wie sie, die nur wenige Unterschiede bargen, die das waren, was man wohl einen undefinierten Außenseiter nennen würde, also jenes Glied, das so aus der Reihe tanzte, dass man es ausgrenzen musste, welches aber noch zu normal war, um Hilfe zu erwarten. Für normale Leute kommt keine Hilfe. Das wusste sie aus den Serien. Da waren die Hauptfiguren auch immer was Besonderes.
 

Eine ihrer Lieblingsserien war "Highlander". Sie mochte die Figur Duncan MacLeod. Der hatte ein Schwert und war mutig und ihm kam keiner blöd. Wenn ihm einer blöd kam und meistens waren das immer feindliche Unsterbliche, dann forderte er sie zum Duell und schlug ihnen den Kopf ab, wonach er mit deren Essenz belohnt wurde und noch länger leben konnte.

Duncan war toll. Ihn interessierte es nicht, ob er allein war. Aber egal in welchem Zeitalter er auch lebte, er hatte letztlich doch überall liebe Freunde, die ihn dann auch besuchten, mit ihm abhangen, mit ihm kämpften und die einfach Leute waren, für die Ethik unter Freunden nicht nur ein Spruch war, sondern es auch anwandten. Machte einer einen Fehler, den er bereute, dann entschuldigte er sich. Sophia hatte nie erlebt, wann man das mal bei ihr gemacht hätte. Bei ihr sündigte man immer nur und fand es zugleich richtig, weil es gegen sie ging. Das macht sie fast schon glauben, dass es ihre Bestimmung wäre, all das auf sich zu nehmen, wie Duncan die Essenzen. Vielleicht waren die gemeinen Sachen ihre Essenzen, die sich allesamt in ihr sammelten. Doch aus welchem Grund? Der Highlander konnte aus der Energie Kraft schöpfen und länger leben, stärker werden und so weiter. Aber was sollte Sophia schon mit Schikanen anstellen? Sie wurde weder abgebrühter, noch stärker dadurch, zumindest fand sie das nicht. Es begann im Gegenteil immer verletzender und einsamer zu werden.
 

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"Du bist echt zu bescheuert! Kuck dir nur die Bluse an! Wo hast'n die her? Mode ab 40?"

Man lachte. Die Bluse war gar nicht hässlich. Sophia hatte sie von den aussortieren Sachen ihrer Tante bekommen. Es war eine dunkelbraune Kunstseidenbluse mit hübschen großen beigefarbenen Blüten darauf - es sah erwachsen aus, es stand ihr, sie sah hübsch aus.

"Und kauf die mal einen BH!"

"Ach lass die doch Hängetitten kriegen! Die ist doch eh hässlich!"

"Nee! Wenn die in Sport rumrennt und das wackelt, könnt ich kotzen, wenn die an mir vorbeikommt."

"Was is'n? Heulste schon? Geh doch petzen! Los heule!"

Sie zogen ihr an den Haaren und schlugen ihr ins Gesicht. Sophia kämpfte mit den Tränen und konnte sich nicht wehren. Es waren sieben gegen eine und wiederum zwei, die den Ausgang versperrten und die zur Not Lehrer davon abhielten, reinzukommen.

Irgendwann ertrug sie es nicht mehr.

"Was ist denn los?"

"Anne, die heult! Kuck doch!"

"Ach, die arme Kleine!"

"Ich würd auch heulen, wenn ich keine Freunde hätte."

"Sowas kann keiner leiden, sowas Hässliches!"

Sophia sprang auf. So schnell, dass der Stuhl umfiel und sie schrie, als würde man ihr gleich das Herz herausschneiden:

"WENN IHR MICH NICHT LEIDEN KÖNNT, DANN LASST MICH DOCH EINFACH IN RUHE, IHR SCHLAMPEN! LASST MICH IN RUHE!!! LASST MICH IN RUHE!!!"

Ihre Stimme verzerrte sich immer mehr und wurde schrill und überschlug sich. So erging es den Leuten in den Serien nie. Sie standen nur allein in der Ecke und waren cool. Das hier war nicht cool. War sie allein, so kamen die anderen wie eine Herde Geier und hackten an ihr. Sie hielten auch nicht ein, sie kannten keinen Einhalt. Sie hassten sie, sie hassten sie so sehr und Sophia merkte, dass sie sie auch hasste. Mit ganzer Seele und in ihrem Innern sponnen sich Flüche zusammen. Es waren keine wüsten Verwünschungen, es waren präzise Gedanken von Foltern, Einsicht und Fegefeuer.

Sophia wünschte sich Freunde, Freunde wie Duncan MacLeod, die kamen, wenn sie Hilfe bedurfte, und die ihr dann beistünden, mit ihr kämpften und sie dann fragten, was mit den Bösen geschehen sollte. Und sie würde dann genauso grausam sein wie die Seeräuber Jenny und würde sie alle sterben lassen - Was erwartete man? Nicht einmal nach stundenlanger Folter, hätte sie sie freigelassen. Sie hätte es zu Ende gebracht, ohne Gnade, denn ihr gegenüber hatte man schließlich auch nie Gnade gezeigt. Gnade war verbannt für diese Leute in ihrem Herzen.
 

Aber die Folter ging weiter, denn Sophia hatte keinen Duncan MacLeod. Der war nur im Fernsehen, wie die ganzen anderen Serien, wo einem die Hoffnung gepredigt wird, die aber im richtigen Leben entweder zu lange auf sich warten ließ oder ganz ausblieb. Sie wusste es nicht. Aber sie verfluchte sie. Sie verfluchte sie alle. Alle nach dem Grad der Sünden, die sie gegen sie begangen hatten. Sophia begann sich für Rituale zu interessieren, Schwarze Magie, Voodoo, Hexenwerk, solche Sachen. Jedoch konnte sie keines davon durchführen, da die meisten sehr komplizierte Zutaten hatten, an die sie nicht rankam, oder die Durchführung bestimmte Schritte erforderte, die sie ohne Aufsehen nicht bewerkstelligen konnte. Sie wollte schließlich nicht auffallen, nicht einmal bei magischer Rache.

Sie betete zu zig Göttern, dass sie der Gerechtigkeit verhelfen sollten, das Unrecht sollte ausgeglichen werden, schnell, bald, ersichtlich und vor allem heftig.
 

Es ging weiter. Zehn Schuljahre hindurch. Jeder Tag wie im Monsterkäfig, der so fest verschlossen war, dass man nicht hinauskam. Sophia verlor den Glauben in die Hexenkunst und ihre ach so tollen Riten, die ihr nichts weiter als die Zeit gestohlen hatten und wo selbst jenes scheiterte, ovor die Foren im Internet und die Bücher warnten, was sie sich allerdings dennoch getraut hatte zu tun - also negative Gedanken, das Kharma herausfordern und so weiter - nichts hatte Erfolg gezeigt; der ganze Plunder war für die Katz gewesen!

Sie ertrug es weiter, sie weinte viel, sie wurde traurig und suchte nach Musik, die diese Traurigkeit unterstrich. Sie begann, schwarz zu tragen. Sie begann im Innern schwarz zu sein. Andere Farben, wenngleich sie Rottöne einmal geliebt hatte, verschwanden für sie. Sie war der Boxsack der Klasse, der Spott der Schule, das Hässliche der ganzen Welt, der wehrlose Spielball im Bus und vor allem das Mädchen, das alle hassten.

Sie spürte den Hass und konnte ihn nicht nachvollziehen. In einer Musestunde, versuchte sie sich ihres jungem, zertrümmerten Lebens zu besinnen und den Moment auszumachen, an dem sie es verbockt hatte. Sie konnte ihn nicht finden. Sie wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte oder was an ihr falsch war. Sie war eigentlich nicht hässlich, fand sie selbst sogar mit einer beinahe schon narzistischen Ader, die sie nur allein Zuhause zeigte, schön; ihre Klamotten entsprachen zwar nicht der allerneuesten Mode, waren jedoch ziemlich cool; ihre Brüste waren nicht ganz so klein und fest wie die der meisten anderen, aber doch nicht unansehnlich; sie war nicht dumm, sie war nicht unwissend, sie hatte Charme - Aber was war falsch an ihr?

Sie wusste es nicht und fand es auch nicht heraus. Möglicherweise konnte wohl keiner so recht sagen, was nicht richtig war. Nicht einmal Gott. Gott hat Jesus auch als Mobbingopfer aller auf die Welt losgelassen. Gemein, dachte Sophia, kann sich Gott denn nicht vorher überlegen, was das mit einem anstellt? Wie weh das tut, Tag für Tag?
 

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Sophia hielt durch. Sie wusste nicht, was ihr die Kraft gab, sich nicht umzubringen. Man hörte in den Medien stets, dass Leute Selbstmord aus geringeren Gründen begingen, aber in den Medien erzählte man auch allerlei Sachen darüber, dass sie in ihrem Zustand längst zu einem Psychather hätte gehen sollen. Das war alles nicht so. Sie hasste nur die anderen und die sie. Und sie war sich sicher, dass sie das Unrecht niemals vergessen oder vergeben würde. Man hatte ihr Leben zerstört, zumindest ihre Kindheit und das war ein Verbrechen, von dem sie glaubte, dass es niemals gesühnt werden würde.

Es gab so viele Geschichten über Rache; aber kein Rächer würde jemals eine Sympathie für sie aufbringen können. Kein Highlander würde durch Jahrzehnte und Länder zu ihr reisen und ihre Ehre wieder herstellen. Die großen Helden der Geschichte litten nie für umsonst, sondern für besondere Menschen, aber sie, Sophia, war nicht besonders. Sie war gewöhnlich, war wie alle anderen und doch ausgeschlossen. Vielleicht war sie das Körnchen, was zu viel auf der Waage war und deswegen heruntergeschubst werden musste, um das Gleichgewicht wieder herzustellen.

Vielleicht gab es auch immer einen Sündenbock, auf den alle im einstimmigen Einverständnis einschlagen dürfen - so wie bei Jesus. Gott hatte seinen Sohn als Prügellknaben auf die Menschen losgelassen und sie durften ihn quälen und töten und Jesus musste sich das alles gefallen lassen, weil er allein war, zwar nicht vollkommen ungeliebt, aber doch schon soweit Außenseiter, dass sein Verscheiden gebilligt wurde. Vielleicht war es okay, vielleicht musste es so und nicht anders sein. Universum, Kharma, Magie, Musik, alles Wunderliche - es hatte keine Bedeutung vor der Wirklichkeit, wenn die Tatsachen so einfach und klar dalagen und unerschütterlich jeden dieser hübschen, märchenhaften Einflüsse abwehrten.
 

Eines Tagen, als sie einen Spaziergang machte, traf sie auf Babette. Babette schien sich an sie zu erinnern und zugleich vergessen zu haben, dass sie nicht mehr mit ihr hatte befreundet sein wollen und doch begann sie mit ihr zu erzählen. Ganz erstaunliche Dinge.

"Johanna hatte einen Autounfall und kann seitdem ihre Beine nicht mehr bewegen. War aber selbst Schuld, was brettert die auch immer wie eine Blöde durch die engsten Straßen. Und Sabrina ist mordsmäßig fett geworden, die erkennt man gar nicht wieder! ..."

Sophia wurde ganz still und spürte wie ihr Kiefer hinunter klappte. Hörte sie recht? Die Mädchen, die ihr die schlimmsten Dinge angetan haben, jede einzelne, war entweder entstellt, geschieden, arbeitslos, unglücklich verheiratet oder krank. Alle; bis auf die, von denen Babette nicht wusste, wo sie hingezogen waren. Und plötzlich spürte Sophia, wie sie lächeln musste. Bei jedem Leid, dass Babette von den anderen preisgab, hellte sich Sophias Stimmung immer weiter auf. Ja, die Sachen waren schlimm und sie konnten berühren, aber jedes Mal, wenn ihr zu einem Namen das entsprechende Gesicht einfiel, stellten sich in ihrem Kopf zugleich auch die Martern ein, die Sophia durch diesen Namen, diese Person erfahren hatte und sie fand es angemessen, sie fand es gerecht.
 

Als sie sich von Babette verabschiedet hatte und wieder daheim war, an der Heizung sah und die Wärme ihren Rücken entspannte, grinste sie vor sich hin. Sie kam sich böse vor, aber das erschreckte sie weniger. Ihre Gebete, die sie solange Zeit hatte erflehen müssen, die sie in den letzten Jahren sogar aufgegeben hatte, hatten es endlich geschafft sich zu erfüllen. Gott hatte gerichtet und ein Gleichgewicht erzeugt, dass die Bösen gestraft hatte.

Im Fernsehen, der Freund, der ihr nie in den Rücken gefallen war, lief gerade "Highlander". Eben ging eine Essenz in den Himmel ein und Sophia dachte daran, dass dies ihre Essenz war. Die andern hatten ihr den Kopf abgehackt und ihre Essenz aufeinander verteilt, welche so böse wahrscheinlich gewesen war, dass sie sie irgendwann hatte zerstören müssen.

Nannte man das Gerechtigkeit oder Kharma? Wie auch immer, es erfreute Sophia, dass es so etwas in dieser Welt, die fernab eines Drehbuchs stattfand und eine einzige Improvisation war, überhaupt gab und damit für sie selbst die Existenz der Hoffnung bestätigte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yahriel
2017-08-12T09:01:52+00:00 12.08.2017 11:01
Toll geschrieben, wirklich. Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen, so gefesselt und berührt hat mich deine Geschichte.
Weiter so.
Antwort von:  -Catayane-
13.08.2017 14:13
Vielen Dank! :)


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