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Yuki-Otoko

Tödlicher Schneesturm
von

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Erinnerungen verblassen

„Passt gut auf dich auf, mein Junge!“, erklärte Teramichis Mutter ihm unter Tränen. Sie umklammerte ihn, wankte in der Umarmung hin und her und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Als sie ihm wieder Luft zum Atmen ließ, legte sie ihre Hände auf seine Schultern und zwang sich zu einem Lächeln. „Und macht euch eine schöne Zeit, ja?“ Während sie das sagte, warf sie Yuuki einen kurzen Blick zu und zwinkerte ihm bedeutungsvoll zu.

Im Gegensatz zu ihrem Mann wusste sie von der Beziehung zwischen ihrem Sohn und seinem weißhaarigen Freund. Als Teramichi es ihr nervös gestand, hatte sie es zu seiner Überraschung erstaunlich gelassen aufgenommen. Sie lächelte ihn verständnisvoll an und erklärte ihm, dass sie vollkommen hinter den beiden stand und immer für sie da war, falls es Schwierigkeiten gab. Allerdings riet sie ihm auch, die Sache seinem Vater gegenüber vorerst zu verschweigen. Denn zu Teramichis Bestürzen war er in dieser Hinsicht nicht sonderlich gut zu sprechen.

Winkend standen die beiden Jungs nebeneinander, als Teramichis Mutter ihren Koffer auf das Band legte. Sie mussten hinter der Absperrung bleiben – und das taten sie auch, bis der Kopf der liebevollen Frau verschwunden war. Teramichi konnte in der Ferne noch ein kurzes Winken über die Menschenmenge hinweg sehen, dann war seine Mutter endgültig verschwunden. Für das gesamte nächste Jahr. Bis zu den Sommerferien.

Es war keine einfache Entscheidung für die Familie gewesen. Überhaupt war es ihnen in der letzten Zeit nicht leicht gefallen. Teramichis Vater hatte vor längerer Zeit seinen Arbeitsplatz verloren und das Einkommen der drei wurde gleich null. Nach langer Suche war es dem Familienoberhaupt dann doch noch gelungen, eine neue Stelle zu finden – allerdings auf der anderen Seite der Erdkugel. In Deutschland. Weit entfernt. Teramichis Vater war nun schon seit einem Monat dort, hatte das neue Haus eingerichtet und direkt angefangen zu arbeiten. Jetzt kam seine Ehefrau nach; gespannt auf das neue Land und die Erfahrungen, die sie in Übersee machen würde. Der einzige Sohn hatte sich hingegen dazu entschlossen, in Japan zu bleiben. Er wollte dort seinen Abschluss machen und, was für ihn persönlich das Wichtigste war, mit Yuuki zusammenziehen. Dessen ganzen Sachen waren bereits im Haus der zum überwiegenden Teil ausgewanderten Familie verstaut, auch ein Zimmer war ihm zugewiesen worden. Obwohl weder Teramichis Mutter noch das Paar daran glaubten, dass er sich sonderlich oft darin aufhalten würde.

Schweigend machten sie sich auf den Weg vom Flughafen nach Hause. Da keiner von ihnen einen Führerschein besaß, nahmen sie sich ein Taxi mit der Aufschrift „Schnell unterwegs und überall hin“ und machten es sich auf der Rückbank bequem. Erschöpft ließ Teramichi seinen Kopf auf die Schulter seines Freundes sinken. Seufzend schloss er die Augen. Erst in den Sommerferien nächstes Jahr würde er seine Eltern besuchen können. Mit einem Mal auf eigenen Beinen zu stehen fiel ihm alles andere als leicht. Darum war er froh, dass er Yuuki an seiner Seite hatte – obwohl er ja in erster Linie der Grund war, weshalb er überhaupt in seinem Heimatland blieb.

Eigentlich döste er die ganze Fahrt über nur vor sich hin. Doch als er die Augen öffnete, als das Taxi hielt, grinste Yuuki ihn von der Seite an. „Na, endlich wach?“ Stumm nickte er. Er wollte ihm nicht gestehen, dass er nie geschlafen und Yuukis Irrtum praktisch ausgenutzt hatte. Denn während er still auf seiner Schulter lag, spürte er, wie Yuukis Hand sich auf seine legte. Es war ihm zu peinlich zuzugeben, dass er das mitbekommen hatte.

Yuuki übernahm die teuren Fahrtkosten und hielt Teramichi wie ein Gentleman die Autotür auf. Gleichzeitig machte er mit der anderen Hand eine Geste, als ob er anbot, dass Teramichi sich bei ihm einhakte. „Idiot!“, raunte dieser ihm zu und ein leichter Hieb mit dem Ellbogen bewirkte, dass er sich mit der Hand die Seite rieb. Er murmelte ein gespieltes „Aua“ und grinste zufrieden vor sich hin.

Kaum hatte Teramichi die Haustür hinter sich geschlossen, wurde er von hinten umarmt. Ihm lief eine Gänsehaut über den Rücken, als er einen Kuss in seinem Nacken spürte. „Lass das, wir sind gerade erst nach Hause gekommen. Willst du dir nicht lieber dein Zimmer angucken?“

Yuuki ließ ihn widerwillig los. Er folgte ihm die Treppe rauf ins Obergeschoss, wo alle Schlafzimmer lagen. Es war mehr ein großer Raum, dessen Besonderheit, die jeder, der sie das erste Mal sah, auf Anhieb bestaunte, das Geländer aus Glas auf der gesamten linken Seite darstellte. Schaute man hinunter, erstreckten sich der Großteil des Wohnzimmers sowie die offene Küche vor dem Betrachter. Das Esszimmer, ebenfalls Teil des großen Wohnbereichs im Erdgeschoss, lag weiter unter der Galerie, sodass man den Esstisch nicht sehen konnte, egal wie weit man sich über das Geländer beugte.

Teramichi steuerte auf die rechte Tür zu, hinter der sich das neue Zimmer Yuukis befand. Darin stand lediglich ein nicht schmales, aber auch nicht breites Bett, ein Kleiderschrank aus schwerem Eichenholz, ein großer Schreibtisch mit Tischlampe und Schubladen, außerdem ein großer, schwarzer Chefsessel vor diesem. Neben dem einzigen Fenster war eine hohe Glastür eingebaut, die zu einem gemütlichen Balkon führte.

Freudig seufzend schmiss sich Yuuki auf sein neues Bett und klopfte neben sich auf die Matratze. Während er quer auf dem Bett liegend die Arme hinter seinem Kopf verschränkte und die Beine baumeln ließ, setzte sich Teramichi neben ihn. „Ein schönes Zimmer…“, murmelte er, um die Lautlosigkeit zu unterbrechen. Weil Yuuki nichts darauf erwiderte, wandte er seinen Blick dem Fenster zu, hinter dessen Gläsern sich ein frostiger Sturm aufbaute. Es dauerte nicht lang, da wirbelten die ersten Schneeflocken dieses Jahres vor dem Fenster herum.

Unfreiwillig musste Teramichi wieder an die Nacht denken, in der Nishikaze starb. Dabei fiel ihm auf, dass die Häufigkeit der Alb- und Tagträume an damals abgenommen hatte, seit er mit Yuuki zusammen war. Außerdem musste er feststellen, dass er sogar eine lange Zeit gar nicht mehr daran gedacht hatte. Dafür wünschte er sich nun umso mehr, sich an alle Geschehnisse erinnern zu können.

Er wusste noch, dass ein Schneesturm aufkam, nachdem sie sich im Wald verlaufen hatten. Sie fanden eine Hütte, legten sich darin schlafen. Dann kam plötzlich eine Gestalt durch die Tür und… Teramichi lag auf einem Bett, seine Eltern, der Lehrer und ein Polizist neben ihm. Was war bloß geschehen?

„Alles in Ordnung? Du machst so ein angestrengtes Gesicht.“ Yuuki setzte sich besorgt auf, beugte sich nach vorne und versuchte, ihm in die Augen zu sehen. Ein paar Sekunden später erwiderte Teramichi den Blick – und mit einem Mal fiel es ihm wie Schuppen vor die Augen.

Wie sie da lagen. Nishikaze schon schlafend, als die Tür aufging und ein weißhaariger Junge in ebenso weißem Gewand eintrat. Er brachte Nishikaze um. Und ließ Teramichi am Leben. Dieser Junge…

Teramichi ließ die Nacht wie einen Film an seinem inneren Auge vorbeilaufen, ehe er geschockt Yuukis Blick erwiderte. Erst, als dieser beruhigend seine Hand auf seine Schulter legte, entspannte er sich etwas. Er sah seinen Freund an, schaute auf die weißen Haare, die ihn in Strähnen ins Gesicht fiel; seine klaren Augen, die ihn anblickten; die helle Haut, deren leichte Bräune nach der Sommersaison fast komplett verblasst war. Während er sich bei seinem Anblick entkrampfte, fiel ihm eine starke Ähnlichkeit zwischen Yuuki und dem Mörder Nishikazes auf.

„Nein, so ein Quatsch…“ Wortlos schüttelte er den Kopf. Sein Mund war zu einem fassungslosen Lachen geformt. Worüber dachte er da überhaupt nach? „Was ist los?“, fragte Yuuki noch besorgter als zuvor. In diesem Moment vergaß Teramichi die Warnung des Mörders, niemanden etwas zu erzählen. Wie sollte dieser je davon erfahren?

„Damals…“ Er machte eine kurze Pause, um sich einen Anfang zurechtzulegen. „Derjenige, der Nishikaze umgebracht hat… Er sieht dir ähnlich, weißt du? Weiße Haare, blaue Augen, blasse Haut. Für einen Augenblick dachte ich, du wärst dieser Typ von damals. Aber seine Augen waren im Gegensatz zu deinen kalt und er hat ohne zu zögern einen Menschen getötet.“

Augenblicklich erstarrte Yuuki. Fassungslos starrte er vor sich hin, als wäre die Zeit stehengeblieben. Er saß einfach nur da; rührte sich nicht. Es vergingen viele Sekunden, ehe er seine Beherrschung wiedererlangte. Es war, als ob er sich eine ausdruckslose Maske aufsetzte. Ohne dass er jegliche Emotionen zeigte, stand er auf und sah auf Teramichi herab. „Ich dachte, du hättest begriffen, dass du nichts davon erzählen darfst.“

Langsam ratterte es in seinem Kopf – und er verstand. „Du… bist es doch“, brachte Teramichi atemlos hervor. „Du hast Nishikaze umgebracht?“

„Weißt du, als ich dich da liegen sah, fühlte ich mich sofort zu dir hingezogen. Ich konnte dich nicht töten, obwohl du in mein Territorium eingedrungen warst. Diese Gegend im Gebirge ist weit dafür bekannt, dass dort Anarchie herrscht. Wer auch immer das Gebiet eines anderen betritt, wird dafür mit dem Tod bestraft. Wir sind Killer. Ausnahmslos. Es war zwar nur Pech, dass ihr das nicht wusstet und zufällig meine Hütte gefunden habt – trotzdem durfte es nicht ungestraft bleiben. Es tut mir Leid. Aber jetzt kann ich nicht länger hier bleiben. Du hast dich an die Nacht erinnert und nicht gezögert, es weiterzuerzählen.“ Plötzlich legte er die Maske der Ausdruckslosigkeit ab und blickte Teramichi traurig an. „Ich werde zurückkehren. Es tut mir Leid.“

„Dann nimm mich mit dir!“, rief Teramichi verzweifelt.

„Nein, ich kann nicht.“

„Wenn du es nicht kannst, tu mir wenigstens einen letzten Gefallen.“ Schweigend stand Teramichi auf und zog einen länglichen Gegenstand aus seiner Hose. „Seit damals trage ich es immer bei mir.“ Eine Träne lief ihm über die Wange, als er Yuuki mit offener Hand das Messer hinhielt. Verdutzt nahm dieser es an, starrte jedoch nur darauf, wie er es in der Hand hielt. „Masao, ich kann dich nicht-“

Sein Herz setzte für einen Moment aus. Zum letzten Mal wurde er von Teramichi umarmt. Zitternd hielt Yuuki ihn fest. Ein letztes Mal. Dann löste sich Teramichi langsam von ihm und stolperte nach hinten. Hätte Yuuki ihn nicht gehalten, wäre er zu Boden gestürzt. In seiner Brust prangte das Messer, das Yuuki gerade noch in der Hand gehalten hatte. „Warum hast du das getan?“, flüsterte Yuuki aufgebracht. Verzweifelt versuchte er die Blutung zu stoppen, aber die rote Flüssigkeit strömte unaufhaltsam weiter aus der offenen Wunde.

„Besser so als ohne dich.“ Teramichi zwang sich zu einem Lächeln. Langsam wurde ihm schwindelig, die Welt drehte sich um ihn herum. Vor sich sah er Yuuki, wie er sich immer weiter verdunkelte. Irgendwann konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten und kippte nach vorne in die Arme seines Freundes. Er roch das angenehme Parfüm und schloss die Augen. Die sanfte Umarmung ließ ihn die Schmerzen vergessen, während er dahinschwand wie in einen ewigen Schlaf.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es ist geschafft.... T___T
Ich musste mich ja ziemlich beeilen mit diesem Kapitel, weil ich bald schon wegfahre und erst wiederkomme, wenn der Wettbewerb beendet ist o.o Trotzdem denke ich, es ist mir relativ gut gelungen x3
Hoffentlich gefällt es euch auch so gut wie mir. Traurig zwar, aber schön... nicht wahr? ^^
Und... Mit diesem Kapitel ist die Geschichte abgeschlossen! Behaltet sie in eurer Erinnerung und denkt vielleicht mal daran zurück ;)
Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder...? Ich würde mich freuen :)
Liebe Grüße Riyuri Komplett anzeigen

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