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Der Faden, der Leben verbindet

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Der Faden, der Leben verbindet

Als ich den Garten betrat, war sie immer noch da.
 

Unverändert hing sie an derselben Stelle. So als ob sie dort in eine Winterstarre verfallen war. Doch es war heiß. Tierisch heiß. Ich rieb mir den Schweiß von der Stirn und seufzte.

Ich setzte mich auf einen Stuhl, griff nach der Flasche Wasser, die auf den Tisch stand und trank ein paar Schlücke. Natürlich war das Wasser ätzend warm von der Sonne, doch das hielt mich nicht davon ab, meinen Durst zu stillen.
 

Ich sah wieder zu ihr rüber. Sie hatte sich immer noch nicht bewegt.

Ich strich mir durch die Haare und setzte meine Sonnenbrille auf.Ich lehnte mich zurück und versuchte mich zu entspannen, doch ich konnte es einfach nicht. Ich schloss die Augen, doch dieses unangenehme Gefühl, das ihre Anwesenheit auslöste, lies ein entspannendes Nickerchen in der Sonne nicht zu. Eigentlich hab ich nichts gegen sie oder Solche ihrer Art, doch irgendwie machte sie mich nervös.
 

Ich war keiner dieser Menschen, die bei ihrer Anwesenheit völlig ausflippen, die Kontrolle verlieren und kreischen, wie ein Affe auf LSD.

Obwohl ich noch keine Affen auf LSD gehört habe, aber die kreischten sicherlich genauso.

Normalerweise kümmert es mich nicht, wenn eine von ihnen mal wieder vor meiner Nase auftauchte, doch sie war schon seit Gestern da und hatte sich kaum gerührt.

Sie war größer, dicker und hatte viel längere Beine als andere. Sie hatte es sogar gewagt, sich zwischen den Blumen meiner Mutter breit zu machen.

Ihr Netz hing genau zwischen zwei Blumentöpfen und dessen eingepflanzte Blumen.
 

Ich kann mir vorstellen, wie meine Mutter jeden Moment durch die Terassentür tritt, ihre Blumen gießen will und dann anfängt zu schreien und mich darauf hinweist, das ich gefälligst so etwas sofort beseitigen soll.

Ich würde nur mit den Schultern zucken und sagen, dass sie nur dort ihr Netz spannen wollte, wo andere Insekten sind. Somit hält sie vielleicht auch einige lästige Mücken oder Bienen fern.

Zwar nicht sehr effektiv, aber immerhin etwas.

Ich lächelte bei dem Gedanken und zog meine Sonnebrille aus. Ich stand auf und wollte in die Richtung des Spinnennetzes gehen, als mein Handy plötzlich vibrierte. Ich ging einfach weiter, doch es Vibrierte nochmals. Ich ging zurück zum Tisch, nahm es in die Hand und schaute auf den Display.
 

Ich hatte zwei Meldungen von Facebook bekommen. Ich las mir die Meldungen durch und seufzte genervt. Vivian hatte mir auf meiner Pinnwand zum Geburtstag gratuliert und Emma hatte mir geschrieben, dass sie es voll doof findet, das ich ihren „Rettet die Wale“ Link auf Facebook nicht geliked oder geteilt habe. Sonst war sie doch auch nicht so offen mit ihren Interessen.

Ich ließ mich auf dem Stuhl sinken und legte das Handy zur Seite.

Ach, ich vermisse die Zeit, in der man sich noch persönlich gratuliert hat und die Menschen noch zum protestieren auf die Straße gingen.
 

Ich gebe es ja zu, ich bin selber nicht ganz unschuldig, denn ich mag Facebook und bin auch selber dort angemeldet, aber über die Tatsache, dass dort Menschen versuchen mit Likes und Teilen die Welt zu retten, war zu skurril.

Jedes Mal, wenn so was lese, würde ich mir am liebsten den Kopf auf die Tischplatte hauen.

Ich weiß, dass Emma es nur gut meint, aber als ich ihr vorgeschlagen habe, sich eine Hilfsorganisation anzuschießen, meinte sie, das dies doch viel zu Zeitaufwendig wäre und sie auch nicht so viel Geld hätte. Auf Facebook zu teilen wäre ja viel einfacher.
 

Ich versuchte mir keine Gedanken mehr darüber zu machen, aber diese ständigen Anforderungen „Gefällt mir“ zu klicken oder zu teilen,

da sonst der dritte Weltkrieg ausbricht und man ein total schlechter Mensch wäre, der sich um nichts kümmert, ist einfach ein Widerspruch an sich.

Ich muss aber zugeben, dass mich Vivians Nachricht schon verletzt hat. Man sollte jetzt denken: Sei doch froh, ist doch lieb, das sie dir zum Geburtstag gratuliert hat.

Wenn sie eine Bekannte oder eine Freundin wäre, die ich nicht allzu oft sehe, ja vielleicht.
 

Aber sie ist meine beste Freundin.
 

Wozu soll man anrufen oder eine schöne Postkarte schicken, wenn es doch so auf Facebook viel einfacher geht?

Wenn sie es vielleicht nur einmal gemacht hätte, wäre es auch nicht allzu schlimm für mich, aber das geht schon seit drei Jahren so.

Ja, soziale Netzwerke sind toll, sie bereichern unser Leben, aber wie man so schön sagt: Jede Sache hat einen Nachteil.

Ich schaute wieder zum Spinnennetz rüber und zu ihr, der dicken, braunen Spinne, die sich immer noch nicht rührte.

Ich schaute mir ihr Netz genauer an. Wie schafft es eigentlich ein so ein kleines Wesen ganz alleine, ein so riesiges Netz zu erschaffen? Ich schaute mir den Verlauf der Spinnenfäden genau an. Jeder Faden, alle miteinander Verbunden.

Ich erinnerte mich noch an damals, als ich Vivian kennen gelernt habe. Online. Nicht auf Facebook, sondern in einem Forum, wo Jugendliche über ihre Probleme mit anderen schreiben konnten.
 

Damals habe ich mich schrecklich einsam gefühlt, in meiner Umgebung gab es Niemanden, der mich Verstand, niemand der mir zuhörte. Ich hasste mich, denn ich habe so viele Fehler gemacht. Doch Vivian hat mir immer geholfen, sich wirklich alle Seiten meines endloslangen Kummers durchgelesen und mir Ratschläge gegeben.

Bei einem Gruppentreffen der Forenmitglieder hatten wir uns dann endlich kennen gelernt. Wir wurden beste Freunde. Ich konnte schon immer nach Herzenslust Online mit anderen Leuten meine Interessen teilen, die hier vielleicht nicht so vertreten waren.
 

Man konnte sein wer man will, was man will. Die Menschen wissen nicht wer du bist. Ich habe versucht, immer ich selbst zu bleiben. Aber verhalte ich mich Online genauso, wie ich mich im Alltag verhalten würde? Würde ich den Mut haben, mein Herz auszuschütten, Kritik zu äußern, oder meine eigene Meinung zu vertreten? Ging es anderen Menschen genauso? Sind soziale Netzwerke ein Weg, um sich aus gesellschaftlichen Zwängen zu befreien? Aber sind sie nicht auch der Auslöser solcher Zwänge?
 

Ich schaute noch mal zum Spinnennetz rüber. Die Spinne fing an, ihre Beinchen zu heben und kletterte runter Richtung Mittelpunkt. Ich sah, wie sie weitere Fäden spannte, um das Loch im Netz zu schließen. Ich griff nach meinem Handy und las mir alle Forenbeitrage durch, die Vivian damals zu meinen Forenthread geschrieben hat.

Ich habe es extra als Lesezeichen markiert, weil es mich einfach glücklich macht. Ich wüsste nicht, was ich mir damals selber angetan hätte, wenn sie mir nicht geholfen hätte. Als wir uns besser kennen lernten, fragte ich sie, warum sie Menschen auf diese Weise hilft. Sie erzählte mir, dass sich ihre Schwester aufgrund von Cybermobbing umgebracht hat.
 

Ich betrachtete die Blumen meiner Mutter. Sie würde mir wieder Vorwürfe machen, wenn sie wüsste, dass ich mir an meinem Geburtstag wieder über so Etwas Gedanken machte.

Plötzlich sah ich etwas Buntes an mir vorbeiflattern. Ein Schmetterling flog gefährlich nah zu den Blumen, wo auch die Spinne ihr Netz zu Ende gespannt hatte.

Von dem Duft verführt, flatterte er nur Geradeaus und verfing sich im Netz. Die Spinne reagierte sofort und ehe ich etwas tun konnte, war es zu Spät. Die Spinne fraß ihn. Der Schmetterling starb. Ich hob einen Stock vom Boden auf und schlug das Netz kaputt. Ich wedelte solange mit dem Stock, bis nichts mehr vom Netz übrig war.
 

„Was tust du denn da?“ Ich drehte mich um und sah Vivian an der Terrassentür stehen. Ich ließ den Stock fallen und fiel ihr weinend in die Arme.



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