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Er liebt mich, er liebt mich nicht

[Secret Love]
von

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Die kommenden Tage verliefen nicht besser, als dieser vermaledeite Montag aufgehört hatte. Takeda bemühte sich angestrengt, dem Unterricht zu folgen, was ihm mal mehr, mal weniger gut gelang. Immer, wenn er sich dabei erwischte, auf Hirakawas Hinterkopf zu starren, hätte er sich am liebsten geohrfeigt.

Am Mittwoch schließlich war es so heiß, dass Takeda viel darum gegeben hätte, sich unter einen der Kirschbäume im angrenzenden Park legen zu können, anstatt Yamamura-Senseis komplizierten Ausführungen über höhere Physik folgen zu müssen.

Als die Glocke endlich das Ende des Unterrichts ankündigte, war Takeda einer der ersten, die sich aus dem Klassenraum drängten, um über das Schulgelände hinüber zum angrenzenden Park zu schlendern. Er war noch nicht weit gekommen, als ihn jemand zurück rief.

»Hey, Aki!«

Verwundert drehte Takeda den Kopf und entdecke Kuroi, der an ein Motorrad gelehnt am Rand der Auffahrt stand. Aber nicht irgendein Motorrad, sondern eine blankpolierte, schwarze Suzuki; ein richtiges Schätzchen, das Kuroi einen Haufen Geld gekostet haben musste. Und er schien damit auf jemanden zu warten.

»Sprichst du eigentlich jeden mit Vornamen an?«, wollte Takeda leicht säuerlich wissen, während er näher kam.

»In Deutschland macht man das so.«

»Wie bitte?«

»Mein Vater kommt aus Deutschland. Er hat meine Mutter auf einer Geschäftsreise in Yokohama kennengelernt.«

Plötzlich kam Takeda der feste Handschlag wieder in den Sinn, mit dem Kuroi ihn bei ihrer ersten Begegnung begrüßt hatte. Takeda hatte mit seiner Vermutung also richtig gelegen: Kurois Vater war Geschäftsmann. Und ein europäischer noch dazu.

Das schräge Grinsen, das Takeda bereits sehr gut kannte, verzerrte Kurois Züge: »Macht dich das etwa nervös? Wenn ich dich Aki nenne?«

»Mach was du willst. Ich bleibe jedenfalls bei Kuroi«, gab Takeda auf eine Art zurück, die er für betont lässig hielt, doch Kurois Grinsen wurde nur noch breiter.

»Schon gut, Junge. Lust auf ’ne kleine Spritztour?«

»Aber das Training fängt doch gleich an.«

»Sehr brav. Aber heute ist Mittwoch.«

Natürlich, wie hatte Takeda nur so die Zeit vergessen können? Das Kendô-Training fand immer von 16 bis 18 Uhr statt – außer mittwochs, das hatte Kuroi selbst ihm doch letzten Sonntag erst gesagt.

»Stimmt«, räumte er also ein. »Aber ich kann nicht fahren.«

Jetzt konnte Kuroi ein kurzes Lachen, das an das Bellen eines Hundes erinnerte, nicht unterdrücken: »Mit meinem Baby würde ich dich sowieso nicht fahren lassen. Du setzt dich hinten drauf und ICH fahre. Du kommst nicht aus Osaka, oder? Gegen eine kleine Stadttour ist also nichts einzuwenden. Warst du überhaupt schon mal am Meer?«

Takeda fragte sich, wie es Kuroi nur gelang, die Menschen so gut zu durchschauen. Er schien jedenfalls nicht nur auf Schuhgrößen spezialisiert zu sein.

»Nein«, gab Takeda also zu und ließ sich von Kuroi einen Motorradhelm reichen, der bereits auf dem Sattel bereit gelegen hatte. Plötzlich fragte sich Takeda, ob Kuroi hier wohl auf ihn gewartet hatte. Und wenn ja – wieso?

»Aufsteigen und festhalten!«

Takeda tat wie geheißen und keine drei Sekunden später raste das Motorrad bereits die Auffahrt hinunter und bog auf die Zufahrtsstraße Richtung Osaka ab.

Der Wind pfiff durch Takedas Haare und schüttelte ihn. Er musste sich fester an Kurois Hüfte klammern, um nicht vom Sattel zu rutschen.

»Alles klar da hinten?«, wehte Kurois Stimme durch den Fahrtwind und der Lärm entgegenkommender Fahrzeuge diffus zu ihm hinüber.

Takeda musste nicht antworten. Er genoss die rasante Fahrt in vollen Zügen und war beinahe enttäuscht, als Kuroi auf einer Brücke plötzlich abbremste. Gerade schon wollte er sich beklagen, da sah er es, das Meer. Tiefblau und ruhig lag es unter ihnen, glitzerte wie verzaubert im Licht der Frühlingssonne.

»Wusste doch, dass dir das gefällt«, grinste Kuroi Takeda an und ließ den Blick dann ebenfalls zum Horizont schweifen.

Eine ganze Zeit lang genossen beide die Ruhe, die von dem Meer unter ihnen ausging, die ihnen Kraft zu spenden schien. Erst dann brach Kuroi das Schweigen: »Woher kennt ihr euch? Ryo und du?«

Mit einem Mal war das Meer verändert. Statt Kraft und Ruhe schien es plötzlich eine tiefe Schwermut auszustrahlen, die Takedas Herz ergriff.

Ryo Hirakawa. Takeda wollte wütend sein, wenn er diesen Namen hörte, doch in diesem Moment mochte es ihm einfach nicht gelingen.

»Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten. Er hat mit seinen Eltern in derselben Straße gewohnt, in Tokyo«, antwortete er schließlich aus dem Gefühl heraus, es einfach irgendjemandem sagen zu müssen. Und wenn dieser jemand Kuroi sein sollte, dann war ihm das nur Recht.

»Sowas habe ich mir schon gedacht«, brummte Kuroi, den Blick weiterhin auf den Horizont geheftet. »Hattet ihr Streit?«

»Wenn ich das wüsste«, gab Takeda zurück, in seiner Stimme weitaus mehr Frustration, als er es beabsichtigt hatte. »Er ist nach Osaka gezogen und hat sich nicht mehr gemeldet. Keine Ahnung wieso.«

»Und du hast dich dann bei der Seikô beworben, weil du wusstest, dass Ryo hier zur Schule geht?«

»Findest du das albern?«

»Nicht unbedingt.«

»Tja, nur er leider schon.«

Am liebsten wäre Takeda über die Reling geklettert und einfach ins Wasser gesprungen. Zumindest wäre das doch mal etwas Neues gewesen.

»Ryo verbirgt irgendwas. Ich weiß nur nicht, was es ist. Noch nicht.«

Überrascht hob Takeda den Kopf und starrte auf das scharfkantige Profil von Kurois Gesicht. Doch dieser schien kein Interesse daran zu haben, seine Vermutung weiter auszuführen, denn in diesem Augenblick zog er sich den schwarzen Motorradhelm wieder über den Kopf.

»Vor mir hat niemand Geheimnisse. Merk dir das, Junge«, schloss er und schwang sich auf den Sattel der Suzuki. »Steig auf, ich fahr dich ’ne Runde durch die Stadt und dann zur Seikô zurück.«

Doch von der Stadtführung nahm Takeda nicht viel mit. Wieder und wieder drehten sich die Gedanken in seinem Kopf um ihn, um Hirakawa. Um Hirakawa und die Frage nach der Wahrheit.



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