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Lost Future - Dark Paradise?

Same as it never was...
von

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You are my star!

Drei Monate später – Juli…
 

Die laue Nacht hat sich über die beiden Inseln gesenkt und alles liegt in tiefem Schlaf. Alles? Nein, nicht alles. In der dichten Bewaldung treiben sich allerhand kleine und größere Tiere herum und suchen nach Futter und Deckung. Und auch so mancher Mensch fühlt sich von der Dunkelheit wie magisch angezogen. Verträumt sitzt Michael am Ufer des East River und lässt gedankenverloren die nackten Beine durch das noch sonnenwarme Wasser gleiten. Sein Blick ist gen Himmel gerichtet und betrachtet dort die unzähligen Sterne, die ihm immer wieder das Gefühl geben, klein und unbedeutend in einem grenzenlosen Kosmos zu sein. Doch es stimmt ihn nicht traurig, eher nachdenklich. Sind dort draußen andere Lebensformen oder ist der Mensch allein in seiner selbstgefälligen Herrlichkeit? Eine Frage, die ihm niemand beantworten kann. Es scheint ja schon an eine Unmöglichkeit zu grenzen, herauszufinden wie viele Überlebende der Krieg hinterlassen hat und wo sie sich verstecken. Ob es noch irgendwo Hoffnung gibt oder dies hier die einzige Zuflucht ist, die der Menschheit geblieben ist. Seufzend lässt er sich nach hinten ins kühle Gras fallen.
 

Einen Moment betrachtet er noch die glitzernden Punkte hoch über sich in der völligen Schwärze des Himmels, dann fallen ihm langsam die Augen zu. Er weiß nicht wie lange er so daliegt, in einer Scheinwelt zwischen Wachsein und Schlaf, doch irgendwann merkt er, dass er nicht mehr allein ist. Eine unruhige Nervosität macht sich in ihm breit. Als Ninja hätte er viel aufmerksamer sein und seine Umgebung ständig im Blick haben müssen, doch nun ist es zu spät. Wer immer dort in seiner unmittelbaren Nähe ist, hat ihn längst entdeckt und er hat keine Zeit mehr zu reagieren. Hilflos hält er still und versucht sich nicht zu bewegen. Dennoch sind all seine Muskeln bis zum Zerreißen angespannt und im Geiste überlegt er sich, ob es ihm wohl gelingen könnte, unbemerkt an seine Nunchakus heranzukommen. „Michael?“ Die Stimme ist irgendwie vertraut, also öffnet der Blonde vorsichtig die Augen. Über ihn gebeugt steht Chen und wirkt etwas irritiert. Beim Anblick seines Sensei entspannt sich der Junge und gibt ein erleichtertes Seufzen von sich, welches den Japaner noch mehr irritiert.
 

„Alles in Ordnung?“, fragt der Schwarzhaarige etwas besorgt. Lächelnd richtet sich Michael auf. „Ja. Ich war nur eingedöst und dachte du wärst ein Angreifer…“, gesteht er ihm. „Dann hast du aber noch mal Glück gehabt und ich werde deine Nachlässigkeit diesmal übersehen.“, erwidert Chen sein Lächeln und setzt sich neben ihn ins Gras. Für einen Moment herrscht Stille und beide betrachten den funkelnden Himmel über sich. Schließlich bricht Chen das Schweigen. „Was machst du eigentlich hier draußen? Du müsstest längst im Bett sein.“, fragt er den Jungen. In seiner Stimme schwingt etwas Mahnendes mit, woraufhin Michael schuldbewusst den Kopf senkt. Bisher ist es ihm immer gelungen, unbemerkt hier zu sitzen, da der Ältere sehr darauf bedacht ist, dass seine Schüler auch stets ausgeruht in den Tag starten und so ein Höchstmaß an Konzentration und Kraft vorweisen können. Dass das nicht immer klappt, ist ihm durchaus bewusst, aber er versucht das Ausmaß so gering wie möglich zu halten. „Ich konnte nicht schlafen und dachte, dass mich die Sterne vielleicht beruhigen würden…“, gibt der Blonde schließlich zu. „Mir scheint, dass das funktioniert hat, wenn du schon eingedöst bist.“
 

Langsam lässt sich Chen nach hinten ins kühle Gras sinken und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. Michael tut es ihm gleich und so sehen beide verträumt zum Himmel empor. „Ja, schon. Aber müde bin ich deswegen noch immer nicht.“, gibt der Blonde resignierend zurück. „Aber allzu lange wird es dann bestimmt nicht mehr dauern. – Vielleicht hilft es ja, wenn ich dir eine Geschichte erzähle?“ Überrascht blickt der Junge ihn an. Er hört sehr gern Geschichten, doch müde ist er davon noch nie geworden. Dennoch ist seine Neugierde geweckt. „Was denn für eine Geschichte?“ „Eine alte chinesische Legende.“, erwidert Chen. Irritiert legt Michael die Stirn in Falten. „Chinesisch? Ich dachte du bist Japaner…“ Der Ältere gibt ein kleines Lachen von sich. „Das stimmt auch, aber viele Legenden und Bräuche Japans stammen ursprünglich aus China und wurden dann übernommen. So zum Beispiel viele Feste und Erzählungen.“ „Ah, ok. Dann lass mal hören!“ „Gut, schau in den Himmel! Siehst du dort die Milchstraße?“ Mit dem Finger deutet der junge Mann auf das helle Band, das sich über die dunkle Nacht erstreckt.
 

„Ja, klar. Ist ja nicht zu übersehen.“, entgegnet der Chaosninja. „Jetzt sieh dir den hellen Stern dort neben der Milchstraße an. Das ist Wega. Im japanischen heißt er Orihime, was so viel wie Weberprinzessin bedeutet.“ Wieder deutet er mit dem Finger die Richtung an, in die Michael schauen soll. Verstehend nickt der Junge. „Und jetzt sieh auf die andere Seite der Milchstraße. Dort ist ebenfalls ein heller Stern. Er heißt Altair. Im japanischen heißt er Hikoboshi, was so viel wie männlicher Stern oder Hirtenstern bedeutet.“ Die blauen Augen des Schülers folgen dem Finger des anderen über den Himmel hinweg. „Während sich die Erde und die Sterne auf ihren Umlaufbahnen bewegen, kommt einmal im Jahr der Tag, an dem diese beiden Sterne in die Milchstraße eintauchen und sich so für eine einzige Nacht treffen, ehe ihre Bahnen sich wieder trennen. Und genau zu dieser alljährlichen Begegnung gibt es eine alte chinesische Legende, die später auch zu einem Fest in Japan wurde – das Sternenfest. Man könnte es wohl am ehesten als eine Art Valentinstag im Sommer bezeichnen, da es eine Liebesgeschichte ist, die Verbundenheit symbolisieren soll.“
 

Mit großen Augen betrachtet Michael die beiden Sterne, die schon so nah an der Milchstraße sind, dass man sie fast nur noch durch ihre Helligkeit ausmachen kann. Ganz unweigerlich muss er dabei an Raphael und sich selbst denken, die sich die ganze Zeit über so nahe waren und doch so fern, bis sie schließlich doch zusammengefunden haben. Allerdings hofft er natürlich, dass sie sich nicht so schnell wieder trennen müssen wie die beiden Sterne. „Die Legende besagt, dass Orihime die Tochter des Himmelskönigs Tenko war. Sie hatte eine besondere Begabung für die Weberei und hat wunderschöne Kleidungsstücke am Flussufer gewebt. Der Fluss ist die Milchstraße, der zwei Städte voneinander trennt. Tenko war immer höchst erfreut von der Begabung und dem Fleiß seiner Tochter. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf ihre Arbeit und hatte daher keine Zeit, um etwas anderes zu tun. So auch nicht, um nach der großen Liebe zu suchen. Dennoch wünschte sie sich nichts mehr, als einen Mann an ihrer Seite. Diese Tatsache machte sie unglaublich traurig, weshalb ihr Vater beschloss, ihr zu helfen.
 

Er arrangierte ein Treffen mit Hikoboshi, der auf der anderen Seite des Flusses lebte und dort als Kuhhirte arbeitete. Die beiden waren sehr angetan voneinander und verliebten sich. Wenig später heirateten sie. Glücklich vereint fuhren sie auf Hochzeitsreise. Doch die Reise dauerte so lange, dass Tenko sehr zornig wurde, weil die beiden ihre Aufgaben vollkommen vernachlässigten. Orihime webte nicht mehr und Hikoboshis Kühe wurden schwach, magerten ab und verirrten sich sogar in den Weiten des Himmels. Daraufhin beschloss er die beiden zu bestrafen…“ „Das ist echt gemein!“, wirft Michael plötzlich ein und sieht traurig zum Himmel empor, wo die beiden Sterne so nah und doch noch immer voneinander getrennt sind. Wehmütig lächelt Chen und erzählt weiter. „Tenko trennte die beiden schließlich, indem er den Fluss der Milchstraße so tief und wild machte, dass es unmöglich war, ihn zu überqueren. So war es den beiden auf ewig verboten sich wiederzusehen. Orihime wurde daraufhin schrecklich unglücklich und bat ihren Vater inständig darum, ihren geliebten Mann wiedersehen zu dürfen. Nach langem Überlegen und vielen Tränen gab Tenko schließlich nach.
 

Er erlaubte dem Paar sich einmal im Jahr, am siebten Tag des siebten Monats, zu sehen, wenn sie dafür den Rest des Jahres ihrer Arbeit nachgehen.“ „Das ist wirklich traurig, wenn sie sich so lieben und sich dann nur einmal im Jahr sehen dürfen…“ Traurig betrachtet Michael erneut die beiden Sterne, dann kommt ihm ein Einfall. „Sagtest du siebter Tag des siebten Monats? Das ist doch morgen!“, aufgeregt blickt der Blonde sein Gegenüber an. „Ja, ganz genau. Morgen Nacht können sich Orihime und Hikoboshi endlich wiedersehen. – Die Legende erzählt weiter, dass die beiden bei ihrem ersten Treffen sehr aufgeregt waren. Tragischer Weise mussten sie feststellen, dass der Fluss keine Brücke mehr hatte, mit der sie ihn überqueren konnten. So schien ein Treffen trotz der Erlaubnis Tenkos dennoch unmöglich. Verzweifelt überlegten die beiden, was sie tun konnten und baten schließlich einen Schwarm Elstern um Hilfe. Diesen Schwarm kann man sogar sehen, wenn die beiden Sterne sich treffen, weil dann ein dunkleres Band an dieser Stelle der Milchstraße verläuft. Die Elstern breiteten ihre Flügel aus und formten so eine Brücke.
 

Nun endlich konnten sich die beiden sehen. Die Elstern berichteten ihnen aber, dass sie ihnen nur bei schönem Wetter helfen können, da der Fluss sonst zu wild ist. So beten die Japaner jedes Jahr dafür, dass an diesem Tag der Himmel wolkenfrei ist, damit die Sterne nachts sichtbar werden und die Vögel die Brücke für die beiden Liebenden bilden können. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen die beiden ein weiteres Jahr warten. Die Menschen glauben, dass es ihnen Glück, Liebe und Wohlstand bringt, wenn es den beiden gelingt über den Fluss zu einander zu finden. Ist dem nicht so, werden sie Pech haben.“ „Man, was für eine Geschichte! Wirklich traurig und das mit dem Wetter ist auch echt heftig. Ich stell mir gerade vor wie sehr sich die beiden freuen, sich endlich wiederzusehen und dann regnet es und die Vögel können ihnen nicht helfen. Das ist schrecklich…“, betrübt setzt sich Michael wieder aufrecht hin. „Da hast du Recht. Aber da es ein Sommerfest ist, ist die Wahrscheinlichkeit für gutes Wetter auf jeden Fall sehr hoch.“, versucht Chen ihn aufzumuntern. Doch so wirklich scheint es nicht zu klappen.
 

Michael ist sehr emotional und nimmt sich vieles sehr schnell zu Herzen. „Deshalb beten die Menschen ja auch für gutes Wetter. Und wenn man seinen Liebsten in dieser Nacht küsst, soll einem das ewige Liebe versprechen und den beiden so das Wiedersehen erleichtern.“ Nun endlich ein Lächeln von dem Blonden. „Das ist ein schöner Gedanke. Und ich danke dir für die Geschichte!“ „Ich hoffe, sie hilft dir beim Einschlafen. Komm, ab ins Bett!“, fordert er den Jungen auf. Gemeinsam erheben sie sich und kehren zurück in ihre Zimmer. Dennoch liegt Michael noch eine Weile wach in seinem Futon. Nachdenklich lässt er sich die Geschichte von Chen noch einmal durch den Kopf gehen. Sie ist so traurig, hat aber auch irgendwie etwas Hoffnungsvolles, da die beiden Liebenden ja immer wieder zueinander finden. Stillschweigend fragt sich der Blonde, ob Raphael die Geschichte wohl auch kennt. Immerhin hatte er durch seinen Sensei ja auch japanische Wurzeln. Und was er bisher so von Splinter gehört hat, hat dieser auch sehr gern Geschichten erzählt. Vielleicht lässt sich damit ja etwas anfangen und sie können gemeinsam einen romantischen Abend verbringen?
 

Dieser Gedanke gefällt dem Blonden ziemlich gut. Die Vorstellung mit seinem Liebsten unter einer Million funkelnder Sterne zu sitzen und darauf zu warten, dass sich zwei davon endlich wieder treffen, ist wirklich schön. Und dann, wenn der große Augenblick gekommen ist, vielleicht einen Kuss von ihm erhaschen? Ein sehnsüchtiges Lächeln breitet sich auf Michaels Zügen aus, ebenso ein roter Schimmer auf seinen Wangen. Die Idee eines Kusses unter den Sternen, lässt ihn wie ein kleines Schulmädchen in seinen Fantasien schwelgen. Nun muss es ihm nur noch gelingen, Raph morgen Abend dazu zu bringen mit zu machen. Einfach wird es nicht werden, immerhin will er ja nicht gleich alles verraten. Grübelnd liegt er da und versucht den Tagesablauf für Morgen durchzugehen. Wie immer ist viel zu erledigen und jede Menge Training steht auch auf dem Plan. Wahrscheinlich hat sein Meister auch alle Hände voll zu tun und bestimmt keinen Nerv für so etwas Albernes. Dies stimmt ihn wieder traurig. Doch so schnell gibt er nicht auf, es muss eine Lösung geben! Angestrengt grübelt er weiter, doch er kommt nicht weit.
 

Schon wenige Augenblicke später versinkt er in einen tiefen Schlaf. In seinen Träumen sieht er Orihime und Hikoboshi. Wie sie einander kennenlernen, heiraten und schließlich getrennt werden. Ihr Wiedersehen ist so wunderschön, dass Michael gar nicht mehr aus seinem Traum aufwachen möchte. Sein Wecker ist aber anderer Meinung und läutet vehement in seinem schrillen Tonfall. Zuerst bekommt der schlafende Junge gar nicht mit, dass es sein Weckruf ist, sondern hält es für Tenko, der wieder etwas zum Schimpfen gefunden hat, um das liebende Paar zu strafen. Dann jedoch driftet er langsam in Richtung Oberfläche und merkt allmehlig, dass das unschöne Geräusch nicht die zeternde Stimme des Himmelskönigs ist, sondern sein Wecker. Schwerfällig öffnet der Blonde die Augen und starrt das unentwegt läutende Gerät an, als wüsste er gar nicht worum es sich handelt. Mit einem Seufzen reibt er sich die Augen und schaltet schließlich den Nerv tötenden Lärm ab. Beim Anziehen fällt ihm wieder ein, was gestern Abend los war und das sich heute die beiden Sterne treffen werden.
 

Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus und Tatendrang motiviert ihn, sich noch etwas einfallen zu lassen. Doch erst mal muss er jetzt zum Training, damit er keinen Ärger bekommt. Das Ganze bringt er auch ganz gut hinter sich, auch wenn Chen ihn ein paar Mal ermahnen muss, aufmerksamer zu sein. Die anschließende Patrouille gibt ihm noch mehr Zeit zum Nachdenken. Allerdings fällt ihm nichts Gescheites ein, da Raph ein unberechenbarer Sturkopf ist. Wenn er keine Lust hat, dann hat er keine Lust, ganz gleich wer ihn um etwas bittet. Resignierend lässt der Junge die Schultern hängen und versucht sich erst mal wieder auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Vielleicht ergibt sich ja doch ganz zufällig eine gute Gelegenheit? Ohne es wirklich zu wissen, hat Michael aber schon eine richtige Vermutung an den Tag gelegt: Raph ist alles andere als gut gelaunt. Missmutig kämpft er sich durch jede einzelne Minute des Tages und nichts scheint ihn dabei aufmuntern zu können. Nach einem Grund für seine schlechte Laune braucht man ihn gar nicht zu fragen, er regt sich einfach grundsätzlich über jede Kleinigkeit auf.
 

Und manchmal gibt es einfach zu viele Kleinigkeiten, um ihn irgendwie fröhlicher zu stimmen. Es geht schon damit los, dass sich die Foot immer mal wieder über etwas beschweren, von dem sie eigentlich wissen, dass es sich nicht ändern wird, wenn sie schimpfen. Dann haben die Flüchtlinge auch gern mal was zu meckern oder einfach nur ein unlösbares Problem und schon steht alles Kopf und bleibt an ihm hängen. Schon in Kindertagen war Raph nicht der Beste darin, Probleme logisch und gefasst zu lösen oder gar in einer sinnvollen Reihenfolge abzuarbeiten. Er ging immer mit dem Kopf durch die Wand und wenn das nicht klappte, wurde er einfach noch wütender und hat fester zugeschlagen. Irgendwann muss man damit doch zum Ziel kommen! Dass dem oftmals nicht so war, hat er nicht eingesehen, egal wie offensichtlich das Ganze auch war. Das Schlimmste ist aber, dass er nun allein ist. Kein Splinter mehr, kein Leo oder Donnie, die ihn auf den rechten Weg versuchen zu bringen oder ihm einen Teil seiner Probleme abnehmen. Daher kann er manchmal überhaupt nicht glauben, wie er es die letzten zehn Jahre geschafft hat, hier alles aufzubauen und am Leben zu erhalten.
 

Dies liegt wahrscheinlich aber auch nur daran, weil er am Anfang noch die echten Foot-Ninja hatte, die gewusst haben, was getan werden muss und ihn im Ernstfall auf den richtigen Weg gebracht haben. Und natürlich Chen, der so viel für ihn getan hat. Wie Leo ist er immer strebsam und fleißig und auch wenn Raph es nicht zugeben würde, war dies immer am Hilfreichsten, schon damals, als die Welt noch unangetastet war. Doch im Gegensatz zu Leo oder Splinter fehlt Chen ihm gegenüber das Durchsetzungsvermögen. Früher oder später ergibt sich der Japaner den Befehlen seines Meisters einfach wortlos, anstatt darauf zu beharren, Raphaels Worte niederzuringen. Im Endeffekt ist er also doch auf sich allein gestellt und das bringt ihn langsam aber sicher um den Verstand. Nicht selten hat er sich schon die Frage gestellt, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, dass all die Menschen seinen Befehlen untertan sind. Wäre es nicht besser, sie ihre eigenen Entscheidungen treffen zu lassen? Doch wenn man es recht bedenkt, würde das die verbliebene Menschheit nur weiter in den Ruin treiben.
 

Ohne eine Führungsperson, die alles mehr oder weniger unter Kontrolle hat, würden die Leute wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen und das zieht wiederum Gewalt und Elend mit sich. Allerdings kann die falsche Führungsperson genauso viel Gewalt und Elend verbreiten. Beide Versionen haben der Menschheitsgeschichte schwer zugesetzt, doch sie hat sich immer wieder erholt. Dafür war aber jedes Mal eine radikale Veränderung nötig. In Raphaels Fall könnte dies bedeuten, dass sie ihn stürzen oder sogar töten, damit ein anderer seinen Platz einnehmen kann oder sie frei nach eigenen Wünschen leben können. Bei diesem Gedanken wird ihm sehr unwohl. Schließlich stand am Ende auch der Original-Shredder allein und von seinen Männern im Stich gelassen da und fand so seinen Tod durch die Hand des neuen Shredders. Doch im Gegensatz zum alten Shredder ist Raph bei weitem nicht so grausam, was das Leben unter seiner Fahne viel erträglicher machen sollte. Erschwert wird dieser Gedanke aber durch die Tatsache, dass die Leute um ihn herum noch nie unter der Befehlsgewalt eines einzelnen leben mussten.
 

Klar gab es Präsidenten und Bürgermeister, doch kaum jemand arbeitete direkt für diese Leute und musste daher Befehle ausführen. Mit Splinter als Clan-Führer hatte Raph zumindest eine Vorstellung davon bekommen, wie es eigentlich aussehen sollte. Aber sie waren auch nur zu fünft und nicht über fünfhundert und sie waren Familie keine Fremden. Es ist alles so schwierig. Kein Wunder also, dass Raph entgegen seiner aufbrausenden Natur oftmals auch sehr nachdenklich und vorsichtig ist. Allerdings versucht er die möglichen Intrigen seiner eventuellen Beseitigung zu verdrängen und hofft mal, dass Michael im Ernstfall etwas aus erster Hand mitbekommt. Schließlich arbeitet er mit den meisten Leuten eng zusammen und bekommt so vielleicht auch etwas Dahingehendes mit. Deprimiert erhebt sich Raphael aus seinem Stuhl. Es ist Zeit für einen klaren Kopf und rauchen hilft ihm dabei immer am besten. Daher schnappt er sich seine Sachen und begibt sich nach draußen. In all seiner Nachdenklichkeit und Arbeit hat er gar nicht mitbekommen, dass es schon dunkel geworden ist. Verwundert blickt er zum Himmel auf, zuckt dann mit den Schultern und sucht sich ein ruhiges Fleckchen am Wasser.
 

Der Tag war warm und schwül. Wahrscheinlich wird es bald regnen. Zu wünschen wäre es, die Insel ist sichtlich ausgetrocknet und die Pflanzen sehnen sich nach Wasser. Momentan ist der düstere Himmel aber noch wolkenlos und überschwemmt von Millionen Sternen. Schwerfällig lässt sich der Rothaarige am Ufer nieder und zieht seine klobigen Stiefel aus. Mit einem wohligen Seufzen lässt er seine nackten Beine dann ins angenehm kühle Wasser gleiten. Langsam und bedächtig beginnt er damit sich eine Zigarette zu drehen. Sein Auge gleitet dabei über die spiegelglatte Wasseroberfläche. Nur selten erlebt man den tückischen East River so friedlich. Die Oberfläche mag vielleicht glatt sein, doch an seinen Zehen kann der junge Ninja die Strömung zerren spüren. Der Mond wirft sein Licht auf das Wasser, gleich einem schmalen Grinsen in Silber getaucht. Brummend klemmt sich der Saikämpfer die Kippe zwischen die Lippen, reißt ein Streichholz an und saugt den bitteren Geschmack des Tabaks ein. Leichte Schläfrigkeit überkommt ihn und so lässt er sich nach hinten ins trockene Gras sinken und verschränkt die Hände unter dem Kopf.
 

Derweilen hat sich auch Michael seinen Weg an die Oberfläche gebahnt und sucht nach seinem Meister. Überrascht stellt er fest, ihn dort am Wasser liegen zu sehen, wo er selbst erst gestern Nacht gelegen hat. Sein Gesicht hellt sich auf. Immerhin muss er sich so nicht mehr überlegen, wie er den Älteren nach draußen locken kann. Vorsichtig nähert er sich seinem dösenden Gegenüber. Doch noch ehe er ihn erreicht, ertönt die Stimme des Roten. „Hey, Michael…“, gibt er von sich, obwohl sein sichtbares Auge die ganze Zeit geschlossen war und der Blonde dachte, leise genug gewesen zu sein. Erschrocken erstarrt der Chaosninja in seiner Bewegung, gibt ein helles Quicken von sich und zuckt zusammen. Er selbst hatte Chen nicht kommen hören und sich dafür verflucht. Dass sein Meister ein echter Ninja ist und viel Erfahrung hat, begeistert ihn immer wieder, da er so gar nicht behände wirkt. Aber Michael weiß ja auch nicht, dass Raph seine Bewegungen schon seit vielen Jahren kennt und verinnerlicht hat.
 

Mikey war schon immer etwas ungeschickt und so leise wie er dachte, war er auch nie. Sein Bewegungsmuster ist für Raph so unverwechselbar wie der Geschmack von Tabak auf seiner Zunge. Hätte er den Jungen auf diese Weise nicht bemerkt, so hätte spätestens sein Quicken ihn verraten. Dieses Geräusch scheint Mikey schon in die Wiege mitbekommen zu haben und gibt es zu jeder möglichen Situation von sich, wenn er sich ertappt fühlt oder erschreckt. Es klingt so schrill, dass einem das Ohr platzen könnte und Raph würde es unter tausenden wiedererkennen. Daher breitet sich in diesem Augenblick auch ein freches Grinsen auf seinen Lippen aus. Den Bengel zu erschrecken gehörte schon immer zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Ohne sich nach ihm umzuwenden, kann er im Geiste genau sehen, wie sich der Blonde theatralisch mit der Hand an die Brust greift und nach Luft schnappt und genau das macht Michael in diesem Moment. „Mach dir bloß nicht ins Hemd, sonst kannst du gleich wieder gehen!“, zieht er den Jungen auf.
 

Nun endlich setzt er sich auf und blickt sich nach dem Blonden um. Dieser steht immer noch etwas überrascht da. Doch dann löst sich seine Starre und er setzt sich neben seinen Meister ans Ufer. „War ich wirklich so laut?“, fragt er geknickt. „Etwa so laut wie eine Biene im Abflussrohr!“, kommt es grinsend von dem Älteren. Enttäuscht lässt der Nunchakuträger den Kopf hängen. Er gibt sich doch selche Mühe. Lachend knufft Raph ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. „War doch bloß ein Scherz, Junge. Doch das Gras ist so trocken, dass ich jeden deiner Schritte hören konnte.“, versucht er ihn wieder aufzumuntern. Nachdenklich streicht Michael mit der Hand durch das vergilbte Gras und hört es leise rascheln. Er war so auf seinen Meister fixiert, dass er dieses Geräusch gar nicht wahrgenommen hat. Gedankenverloren blicken beide über das Wasser. „Was machst du hier draußen?“, fragt der Rothaarige schließlich. „Eigentlich hab ich nach dir gesucht.“ „Aha und was willst du von mir?“ „Ich wollte, dass du mit mir nach draußen ans Wasser kommst.“, gibt der Blonde schüchtern zu.
 

„Na, die Sache hab ich dir dann wohl schon mal abgenommen. Und was noch?“, bohrt der Saikämpfer weiter, während er sich eine neue Zigarette dreht. Im Augenwinkel sieht er, wie sich ein roter Schimmer auf den Wangen des Jungen ausbreitet. „Ich wollte mir mit dir die Sterne anschauen.“, erwidert der Blonde, während seine Wangen noch dunkler werden. Raph legt die Stirn in Falten. Da steckt wohl noch etwas mehr dahinter, als bloßes Sternegucken. „Ach ja? Schön, dann schau halt.“ Geschickt reißt er ein Strichholz an und pustet dann blauen Dunst in die düstere Nacht hinein. Leicht schmollend schiebt Michael die Unterlippe vor. Das ging schon mal nach hinten los. Aber Raph war noch nie der romantische Typ und hält auch jetzt noch nichts davon. Daher macht er vieles eher, um Michael eine Freude zu machen, als aus eigenem Antrieb. Doch noch weiß er nicht so richtig, worauf der Junge hinaus will. Daher gibt er sich kühl, bis er es herausfindet und dahingehend agieren kann. Einen Moment liegen die beiden schweigend in Gras nebeneinander, dann startet der Blonde einen neuen Versuch.
 

„Kennst du eigentlich die Geschichte vom Sternenfest?“ „Du meinst die von dem Liebespaar, das sich nur einmal im Jahr treffen kann?“ Langsam kann sich Raph vorstellen, worauf der Junge hinaus will. „Ja, genau.“ Nachdenklich brummt der Rothaarige vor sich hin. „Klar, mein Sensei hat sie mir früher oft erzählt und noch viele mehr…“ Die Begeisterung in seiner Stimme lässt zu wünschen übrig und dies merkt auch Michael. Es wirft den Blonden wieder ein Stück in seiner Hoffnung zurück, doch aufgeben will er noch lange nicht. „Heute ist die Nacht, in der sich die beiden wiedersehen werden…“, bemerkt Michael möglichst beiläufig. „Ach ja? Wo hast du denn das her?“ Der Saikämpfer selbst wüsste nicht unbedingt, welches Datum oder welchen Tag es heute hat. Da müsste er schon jemanden fragen. Aber hier gibt es einige angergierte Leute, die trotz des Krieges und all der Zerstörung immer darauf bedacht waren, das korrekte Datum festzuhalten. Und sei es nur, um ein bisschen Normalität in das Chaos zu bringen, von dem sie umgeben sind. „Chen hat mir die Geschichte gestern Abend erzählt.“, erwidert der Nunchakuträger.
 

Raph grinst in sich hinein, während Wölkchen aus Zigarettenqualm vor seinem Auge aufsteigen. Er hat es sich schon irgendwie gedacht. Chen hat so einiges von Splinter und das Geschichtenerzählen gehört definitiv dazu. „Das hätte ich mir ja denken können. Und du wollest jetzt, dass ich mit dir zusehe, wie sich die beiden treffen, ja? Und weiter?“, jetzt will Raph es genau wissen. Die Röte im Gesicht des Jüngeren nimmt wieder zu. „Nun ja – die Geschichte ist so traurig. – Ich meine, dass sie sich nur einmal im Jahr sehen können, obwohl sie sich doch so sehr lieben. – Da hab ich mich gefragt, ob es bei uns auch so enden könnte. – Dass uns etwas trennt, meine ich…“, Michaels Augen glänzen verdächtig. Noch ein paar Worte mehr und er wird in Tränen ausbrechen. Das gefällt Raph überhaupt nicht mehr. Er konnte noch nie gut damit umgehen, wenn sein geliebter Babybruder zu weinen angefangen hat und das wird sich wohl auch nie ändern. Beinahe fieberhaft versucht er eine Lösung zu finden. Allerdings blockiert ihn die Geschichte etwas dabei. Ähnlich wie Leo war auch Mikey immer fest davon überzeugt, dass solche Geschichten einen wahren Kern haben.
 

Nur schwer ließ er sich davon überzeugen, dass dem nicht so war. Raph und Donnie waren immer praktisch veranlagt. Was sie nicht sehen oder anfassen konnten, das gab es auch nicht. Leo und Mikey hingegen haben stets an das magische Einhorn geglaubt und nichts konnte sie davon abhalten, egal wie sehr mal ihnen auch versichert hat, dass es nicht existiert. Kein Wunder also, dass Michael solche Geschichten für bare Münze nimmt. Und die Welt in der sie jetzt leben, schreit geradezu nach etwas Schrecklichem, das ihnen widerfahren könnte. Noch ahnt keiner von ihnen wie schnell so etwas eintreten wird… Unweigerlich muss Raph an seine Gedanken von vorhin denken, dass man ihn stürzen oder sogar töten könnte. Das ist nicht gut. Sie sollten beide lieber auf andere Gedanken kommen. Schließlich ist das Zusammenleben unter diesen Bedingungen schon schwer genug, da braucht es nicht noch ein glimmendes Streichholz mehr, das einen richtigen Waldbrand entfacht. Innerlich schlägt er sich mit der Hand gegen die Stirn. Jetzt wäre etwas Romantik oder zumindest etwas Aufmunterndes schwer angebracht, doch wie gesagt, ist er kein Freund von solchen Dingen und war es auch nie.
 

Angestrengt grübelt der Rothaarige nach, während Michael schweigend und den Tränen nahe neben ihm liegt. Allzulange darf er den Jungen auch nicht warten lassen, sonst denkt er wohlmöglich noch, dass das zwischen ihnen nur ein Spiel ist und er ihm gar nicht so viel bedeutet. Die Wahrheit ist aber, dass er Raphael einfach alles bedeutet, er es nur nicht sagen kann. Tief atmet der Saikämpfer durch und wirft seine Kippe ins Wasser. Mit leisem Zischen erlischt die Glut und sie treibt langsam davon. Dann wendet sich Raphael zu ihm, baut sich über ihm auf und versperrt ihm so den Blick auf die Sterne. Noch immer liegt in den blauen Seelen eine schreckliche Traurigkeit und die Tränen scheinen näher als je zuvor. Der Ältere setzt einen sehr ernsten Gesichtsausdruck auf, der Michael nur noch trauriger macht. Doch Raph lässt nicht zu, dass er sich von ihm abwendet. „Ja, du hast recht, die Geschichte ist traurig und zwischen uns könnte allerhand passieren, dass gebe ich ganz offen zu. Aber ehe ich zulasse, dass uns etwas trennt, wird die Hölle zufrieren, Kleiner! Nichts und niemand wird uns trennen, wenn ich es verhindern kann!“
 

Seine Worte sind genauso streng und ernst wie sein Gesichtsausdruck und zeigen Michael damit aber sehr deutlich, wie wahr sie sind. Durchdringend mustert das einzelne gelbgrüne Auge ihn und auch darin ist die Wahrheit seiner Worte deutlich zu lesen. Eine einzelne Träne rinnt dem Nunchakuträger die Wange hinab, dann breitet sich ein zaghaftes Lächeln auf seinen Lippen aus. „Ganz ehrlich?“, fragt der Blonde dennoch. „Ganz ehrlich!“, erwidert der Rote mit einem sanften Lächeln. Langsam beugt er sich zu dem liegenden Jungen hinunter und küsst ihn zärtlich. Michael erwidert es voller Freude, verzieht dann jedoch das Gesicht. Leicht irritiert trennt sich Raphael von ihm. Gespielt angeekelt streckt der Blonde ihm die Zunge heraus. Der Tabakgeschmack liegt dem Saikämpfer noch bleischwer auf der Zunge und dafür kann sich Michael nun wirklich nicht begeistern. „Tja, dass tut mir jetzt aber leid.“, entgegnet Raph ihm grinsend. „Wenn es dich so stört, können wir ja auch reden.“, neckt er ihn. Michael grinst. „Niemals!“ Fordernd zieht er den Älteren wieder zu sich hinunter und vereint ihre Lippen miteinander, unter den funkelnden Sternen und der grinsenden Mondsichel, während sie Orihime und Hikoboshi endlich wiedersehen.



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