Zum Inhalt der Seite

Amnesia

Wenn die Erinnerung streikt
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 37

~Aoi POV~
 

Mit einem leisen ‚Rums‘ stellte ich Uruhas Koffer an der Tür ab und blieb etwas unsicher vor meinem Freund stehen. „Fahr vorsichtig und melde dich, wenn du zu Hause bist!“ Verdammt ich hörte mich an wie eine Glucke, was Uruha wohl auch so zu sehen schien – er verdrehte die Augen. „Ich kann dich auch jede Stunde anrufen oder sogar die ganze Strecke über auf freisprechen gehen.“ Entschlossen schüttelte ich den Kopf. „Schon gut, so war das ja nicht gemeint. Es würde mich nur erleichtern, wenn du mir Bescheid gibst, dass du gut angekommen bist, ja?“ „Ich melde mich, versprochen.“ Etwas befangen biss ich mir auf die Unterlippe, was Uruha ein leises Knurren entlockte. Seine Arme legten sich fest um meine Hüften, während ich in den Tiefen seiner dunklen Augen versank und mich an ihn lehnte. „Ich werde dich schrecklich vermissen“, flüsterte ich leise. „Nicht so sehr, wie ich dich vermissen werde.“ „Schleimer!“ Sein heißer Atem streifte über meine Lippen, als er sich zu mir hinunterbeugte, um seine weichen Lippen auf meine zu drücken. Mit einem zufriedenen Seufzen erwiderte ich den sinnlichen Kuss und ließ meine Finger durch seine seidigen Haare gleiten. Die Wärme seines Körpers hüllte mich ein, hieß mich willkommen. Sein Parfum stieg mir in die Nase. Mit geschlossenen Augen genoss ich seine Umarmung, bis er den Kuss unterbrach und seine Handfläche an meine Wange legte. Zärtlich zeichnete er mit dem Daumen meine Unterlippe nach. „Du bist dir sicher, dass du hier bleiben willst?“ „Hmmm …“ „Du könntest dir das Konzert auch Backstage ansehen!“ Etwas genervt stemmte ich meine Hände an seine Brust und schob ihn von mir. „Uruha, darüber haben wir doch schon hundert Mal geredet.“ „Du könntest es dir auch von unserer Wohnung aus im Fernsehen ansehen!“ „Das kann ich doch hier auch!“ Uruha bettelte seit ein paar Tagen, dass ich ihn nach Tokyo begleiten sollte, war damit bei mir aber immer wieder auf Granit gestoßen. Die Entscheidung hier zu bleiben fühlte sich richtig an. Zurück nach Tokyo zu gehen hingegen, löste in mir ein Chaos an unterschiedlichen Gefühlen aus, die mir mehr Angst machen als dass sie das Verlangen weckten ihn zu begleiten. „Na gut …“ Er klang enttäuscht. Doch dann schüttelte er den Kopf und seine Augen blitzten übermütig auf. „Bis später, Aoi. Ich liebe dich!“ Ich konnte spüren, wie sich meine Lippen zu einem glücklichen Lächeln verzogen. „Ich liebe dich auch!“ An den Türrahmen gelehnt sah ich dabei zu, wie er den Koffer zum Wagen trug. Der Wind spielte mit seinen Haaren und wirbelte ein paar seiner Strähnen nach hinten. Ich ertappte mich dabei, wie ich auf seinen Hintern glotzte, als er seine Sachen in den Kofferraum hievte und mir über die Lippen leckte. Er sah einfach nur heiß aus in der engen Jeans und dem dunklen T-Shirt. Hätte ich gekonnt, hätte ich ihn einfach wieder in mein Zimmer gezogen, hätte ihn langsam aus seinen Klamotten geschält, während meine Lippen über seine weiche Haut- „Wir sehen uns spätestens nächstes Wochenende!“, rief er zu mir hoch und riss mich aus meinen Tagträumen. „Viel Spaß heute Abend und vergiss nicht mich anzurufen!“ Ich wank, als er sich hinters Steuer setzte und kurz darauf verschwanden die Rücklichter seines Wagens hinter der nächsten Kurve.
 

Ich ließ mich gegen die geschlossene Tür sinken, legte meinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Er war weg. Warum fühlte ich mich deshalb plötzlich so leer? „Das war’s? Du lässt ihn tatsächlich gehen?“ Erschrocken riss ich die Augen auf und starrte direkt in die meines Vaters. Er stand mit verschränkten Armen in der Küchentür und musterte mich, als hätte ich gerade eine riesen Dummheit begangen. Dieser prüfende Blick war mir verhasst! Irgendwie bekam ich das Gefühl als wäre ich ein kleines Kind, das etwas Falsches gemacht hat und sich nun deshalb entschuldigen muss. „Was hätte ich denn sonst tun sollen? Ich kann ihn schlecht hier behalten, wenn er arbeiten muss!“ „Lässt dich das tatsächlich so kalt?“ Ungläubig runzelte ich die Stirn. „Das ist nun mal so!“ Obwohl meine Stimme sicher klang, krümmte ich mich innerlich. Natürlich ließ es mich nicht kalt! Die Sehnsucht nach meinem Gitarristen hielt mich bereits wieder in ihren Fängen, dabei war er noch keine fünf Minuten weg. „Du hast mir doch vorgeschwärmt er wäre die Liebe deines Lebens!“ Ich wusste, dass er übertrieb – maßlos. Dennoch machte es mich wütend. Warum zum Teufel mischte er sich hier überhaupt ein? „Worauf willst du hinaus?“ „Du hast gerade den Mann gehen lassen, der für dich die Welt bedeutet … ohne mit der Wimper zu zucken! Dabei liebst du ihn doch, oder nicht?“ Was soll die Frage? Natürlich liebte ich ihn. Gerade deshalb musste ich ihn gehen lassen. Uruha liebte das Leben als Musiker. Er brauchte dieses Leben. Hier bei mir zu bleiben würde ihm das Leuchten in seinen Augen nehmen und dafür wollte ich nicht verantwortlich sein! „Wie soll das dann mit euch beiden weitergehen?“ Das wusste ich doch selbst nicht – nicht jetzt. Wir hatten zu wenig Zeit gehabt um uns darüber klar zu werden. „Yuu Shiroyama ich rede mit dir!“ Entschlossen erwiderte ich seinen ernsten Blick. „Lass das mal unsere Sorge sein. Wir werden eine Lösung finden!“ „So wird es aber keine Lösung geben! Das zarte Pflänzchen eurer Liebe wird verdorren noch ehe es erblüht!“ Wut flackerte in mir auf. Warum redete er immer gegen mich? Warum zum Teufel konnte er mich denn nicht ein einziges Mal unterstützen? „Tu mir einen Gefallen und halt dich da raus! Das ist für dich nicht von Belang und außerdem sind Fernbeziehungen nicht im Vorhinein zum Scheitern verdammt!“, schnauzte ich ihn an. Obwohl ich mich im Recht fühlte, wandte ich meinen Blick ab, als er mich durchdringend musterte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verschwand er wieder in der Küche. Verdammt! Da ich gerade viel zu wütend war um ihn um Verzeihung zu bitten, stieg ich die Treppe nach oben und betrat mein Zimmer. Unschlüssig blieb ich mitten im Raum stehen, öffnete dann jedoch die Tür und trat nach draußen auf den Balkon. Von dort aus kletterte ich aufs Dach, wo ich mich schließlich auf den Rücken legte, um den Ausblick aufs Meer und die wärmenden Sonnenstrahlen zu genießen.
 

„… denn jetzt schon wieder?“ Die Stimme meiner Mutter drang an mein Ohr. Da ich sie so klar hören konnte, musste sie direkt unter mir auf der Terrasse stehen. „Müsst ihr beide euch denn dauernd streiten? Ich dachte es wäre besser geworden, seitdem Yuu in der Band ist.“ Verblüfft riss ich die Augen auf, als mir klar wurde, dass sie von der Zeit vor dem Unfall sprechen musste. Ich war mit meinem Vater sehr gut klargekommen, seitdem ich in Mie lebte, weshalb diese Frage für mich sehr überraschend war. Hatten wir uns früher oft gestritten? Mein Vater gab keine Antwort, sondern brummelte nur vor sich her. „Hiroki! Ich rede mit dir!“ „Jaja, schon gut! Ich hatte ja nicht vor mich mit ihm zu streiten. Ich verstehe nur nicht, wie er Kouyou jetzt einfach gehen lassen kann, nachdem sie endlich wieder zueinander gefunden haben!“ Da seine Stimme etwas dumpfer klang musste er wohl im Wohnzimmer sein. Ich konnte beinahe sehen, wie er im Raum auf und ab tigerte. „Denkst du nicht, dass das ihre Sache ist?“ Ein dunkles Seufzen war zu hören, dann ein Rascheln, so als ob er sich auf die Couch gesetzt hatte. „Nein, nicht ganz! Hast du nicht mitbekommen, dass er keinen einzigen Alptraum hatte, seitdem Kouyou hier war? So ruhig hat er in der ganzen Zeit vorher nicht ein einziges Mal geschlafen! Er hat wieder normal gegessen und ist nicht mehr so bleich, wie noch vor einer Woche! Ich habe Angst, dass er wieder einen Rückfall erleidet! Ich mache mir doch nur Sorgen.“ „Hast du ihm das auch so gesagt? Au, diese blöden Dornen!“ Sie räusperte sich leise, so als wäre ihr der Fluch unangenehm. Er klang entsetzt, als er antwortete. „Natürlich nicht!“ „Und wieso glaubst du dann, dass er versteht auf was du hinauswillst?“ „Mein Gott, Frau. Er ist doch kein Kleinkind mehr! Er braucht Uruha und das weiß er auch!“ Während er sich weiter echauffierte schweiften meine Gedanken ab. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich keine Alpträume mehr gehabt hatte. Jetzt, da er es angesprochen hatte, erkannte ich, dass es die Wahrheit war. In Uruhas Nähe zu sein, ihn bei mir zu haben schien mich tatsächlich soweit beruhig zu haben, dass die Alpträume verschwunden waren. Ich erinnerte mich auch, dass sie angefangen hatten, als Uruha und ich uns gestritten hatten und er gegangen war. Die ganze Nacht hatten mich Alpträume geplagt, aber wie auch sonst konnte ich mich nicht daran erinnern was sie mir gezeigt hatten.
 

„Ich habe heute mit Dr. Adachi gesprochen.“ Der Name des Arztes aus dem Mund meines Vaters ließ mich hellhörig werden. „Er sagte, dass-“ „Warte … du hast was?“ Meine Mutter klang entsetzt. Mir ging es ähnlich. Wie war das nochmal mit dem verdammten Arztgeheimnis? Ich konnte beinahe sehen, wie mein Vater die Augen verdrehte und mit den Schultern zuckte. „Er hat angerufen und wollte wegen eines Termins nachfragen, weil seine Assistentin wohl krank war und sich etwas verschoben hat …“ „… und ihr seid ins Plaudern gekommen und habt schließlich über Yuu gesprochen?“ Nun mischte sich auch Neugierde in ihre Stimme. „So ungefähr.“ „Ungefähr?“ „Naja nicht direkt! Ich wollte wissen, wie es sein kann, dass er weiß wie man einen Computer bedient, aber riesige Probleme dabei hat auch nur einen Akkord auf der Gitarre zu spielen.“ Es entstand eine kurze Pause, in der sogar ich die Luft anhielt. „Ich weiß, dass es falsch ist, aber was hat er gesagt?“ Sie klang, als würde sie sich bei der Frage äußerst unwohl fühlen. „Tja … das Können ist nicht das Problem!“ Was zum Teufel hieß das schon wieder? Ich konnte es doch offensichtlich nicht, sonst würde ich bereits wieder auf der Bühne stehen! Meine Mutter musste wohl genauso ungläubig aussehen. „Dr. Adachi glaubt, dass er das Gitarrespielen irgendwie mit dem Unfall in Verbindung bringt – unbewusst natürlich. Die Angst, dass etwas Ähnliches passieren könnte hemmt ihn und verhindert, dass er sich ernsthaft bemüht zu spielen.“ Mein Unterkiefer klappte nach unten. Im Grunde genommen hieß das doch, dass ich mir selbst im Weg stand, oder? Dennoch konnte ich nicht anders als an die vielen Stunden zurückdenken, in denen ich mich verzweifelt darum bemüht hatte mit den anderen Schritt zu halten. Ich hatte es versucht! Ich hatte alles gegeben. So tief im Unterbewusstsein konnte das doch gar nicht verankert sein, dass ich es mit monatelangem Üben nicht in den Griff bekam! „Ich weiß nicht, ob ich es ihm erzählen sollte. Der Arzt meint, dass er selbst draufkommen sollte.“ „Und du denkst?“ „Dass er dabei ist einen riesen Fehler zu begehen, den er nie mehr wieder rückgängig machen kann. Vielleicht muss er es wissen um weitermachen zu können. Die Musik ist sein Leben. Das war sie schon immer. Ich weiß, dass der Unfall viel von ihm gefordert hat und auch, dass es sicher nicht leicht ist wieder in sein altes Leben einzusteigen. Aber das war das Leben, das er sich immer erträumt hat. Er wird es bereuen, wenn er es aufgibt. Vielleicht nicht jetzt gleich. Vielleicht nicht nächste Woche, aber irgendwann mit Sicherheit. Und dann wird es zu spät sein!“ Seine Worte hallten noch lange in mir nach.
 

Das Fehlen der wärmenden Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht ließ mich zwei Stunden später wach werden. Als ich träge blinzelte erkannte ich eine dunkle Silhouette zu meiner rechten Seite. Vater hatte sich neben mich gesetzt und sah auf das Meer hinaus. Schweigen. Nur das Rascheln der Blätter war zu hören, als der warme Wind an den Ästen der Bäume rüttelte. Noch vor einer Woche war es eiskalt gewesen. Jetzt war es Frühling geworden. Leise Töne, die sich zu sanften Melodien verdichteten, mischten sich unter das leise Rauschen. Mama spielte wieder. Sie hatte sich früher oft ans Klavier gesetzt und uns vorgespielt. „Tut mir leid, ich hätte dich nicht so anfahren dürfen.“ Ich hasste diese Stille zwischen uns. „Du bist früher immer hier rauf gekommen, wenn du nachdenken musstest.“ Überrascht sah ich zu ihm hinüber und musterte ihn. Silberne Streifen durchzogen sein schwarzes Haar. Er wirkte müde, doch seine Augen glänzten aufmerksam, wodurch er viel jünger wirkte, als er eigentlich war. Die Fältchen um seinen Augen und dem Mund fielen nicht so deutlich auf, wenn er so ernst guckte, wie jetzt gerade. „Ja, der Himmel ist wunderschön.“ Er warf mir einen kurzen Blick zu, verbarg ein Schmunzeln, welches ich dennoch deutlich sehen konnte. „Ich glaube eher weniger, dass es der Himmel war, der dich hier rauf getrieben hat, sondern viel mehr der Anblick des Meeres. Du hast es immer geliebt.“ Ich folgte seinem Blick auf das blaue Wasser, in dem sich die Sonnenstrahlen spiegelten. „Es lässt mich tief durchatmen, wenn ich das Gefühl habe keine Luft zu bekommen. Es muss schön sein einfach da raus zu fahren und sich einfach dorthin treiben zu lassen, wohin die Wellen wollen. Frei sein. Keine Verpflichtungen und Zwänge zu haben. Tun und lassen, was man will! … Was ist?“ Sein forschender Blick verunsicherte mich. „Das hast du schon einmal gesagt. Mit genau dem gleichen sehnsüchtigen Glitzern in deinen Augen.“ „Was hast du geantwortet?“ „Dass du es machen sollst wie das Meer. Lass dich treiben, sieh dir die Welt an, lebe deine Träume aber mach nicht den Fehler und lass Dinge los, an denen du festhalten möchtest. Sie werden dir nicht folgen.“ Die Worte waren so vertraut. Ich setzte mich auf, schlang meine Arme um mein Knie und sah auf die tanzenden Wellen hinunter, während die Klaviermelodien sanfter wurden.
 

„Als Kazuya sechs war, hatte ich begonnen ihm das Gitarrenspielen beizubringen. Weißt du, als Vater möchte man einen guten Draht zu seinen Söhnen haben. Man möchte etwas finden, das man zusammen machen kann - ein gemeinsames Hobby. Kazuya war zwar am Anfang begeistert, aber mit der Zeit hat er sich mehr für seinen Elektrobaukasten interessiert, als für das Instrument oder die Noten. Eines Morgens kam ich an seinem Zimmer vorbei und ich weiß noch, dass ich mich gewundert hatte, als ich hörte wie er eine alte Melodie fehlerfrei spielte. Ich hätte es ihm nie zugetraut, also trat ich ein um ihm zu gratulieren. Mich hat beinahe der Schlag getroffen, als ich dich an der Gitarre sitzen sah. Du warst kaum groß genug um sie zu halten! Deine Augen haben vor Begeisterung geleuchtet und deine Finger haben gezittert, weil sie zu schwach waren die Saiten unten zu halten. Ich erkannte dein Talent und begann dich zu unterrichten und dich zu fördern. Du warst gut! Schon damals wusste ich, dass du eines Tages besser sein würdest als ich.“ Diese Worte bedeuteten mir die Welt. Vor allem, weil ich wusste, dass er mir damit seinen Respekt entgegenbrachte. Er fand mich gut! Etwas, das nicht jeder von sich behaupten konnte. Ich hatte schon bemerkt, dass er ein sehr strenger Lehrer und Beobachter war. Leichtfertig gab er niemals ein Lob. Er streckte die Beine aus und stöhnte leise. „Ich werde alt!“ Mir entschlüpfte ein leises Lachen. Nicht nur er. „Wenn man Kinder fragt, was sie eines Tages werden möchten antworten sie meist Polizist, Feuerwehrmann oder Lehrer. Du sagtest seit klein auf, dass du entweder Profisurfer oder Gitarrist einer berühmten Band werden wolltest. Es war dir egal, was die Leute von deinen Träumen hielten und ob sie damit einverstanden waren oder nicht. Ich weiß noch, wie du mit diesem miesen Semesterzeugnis nach Hause gekommen bist. Ich habe geschimpft. Doch du hast mich nur angesehen und gemeint ‚Was willst du denn? In Musik und Sport habe ich Bestnoten.‘“ Er lachte leise und schüttelte den Kopf. Naja daran konnte ich mich nicht erinnern, aber die Antwort klang nach mir. Eine Hupe ertönte irgendwo unter uns, dann das Dröhnen eines Motors. „Du kannst dir nicht vorstellen wie sauer mich diese Scheißegal-Haltung gemacht hat. Kazuya und Nami waren gute Schüler. Du warst genau ihr Gegenteil und das alles nur, weil du keine Lust hattest zu lernen, denn blöd warst du ja nicht.“
 

Sein Blick war immer noch aufs Meer gerichtet. Er schien mit seinen Gedanken ganz weit weg zu sein. Mama begann mit einer neuen Melodie. Sie war traurig, beinahe melancholisch. Die Töne schienen in mir nachzubeben, während ich seine Worte nochmal im Geiste widerholte und versuchte Erinnerungen an diese Zeiten zu finden. Doch wie schon so oft herrschte nur diese allesumfassende Dunkelheit in meinem Kopf. „Wir sind damals oft aneinander geraten, wir beide. Streit schien an der Tagesordnung zu stehen, dabei meinte ich es nur gut.“ Natürlich hatte er es gut gemeint. Welche Eltern wollten ihrem Kind schon etwas Schlechtes? Ich nickte nur leicht zur Bestätigung, hoffte aber, dass er weitererzählen würde. Es war so wichtig mehr zu erfahren. Ich musste alles wissen. Vielleicht konnte ich mit den Erzählungen mein Gedächtnis wieder zurückbekommen. „In diesem Sommer hattest du den schweren Surfunfall. Seit diesem Tag bist du nur selten aufs Bord gestiegen. Dafür hast du dich immer mehr auf die Musik konzentriert. Du warst früher schon gut, aber ich merkte, dass du innerhalb kürzester Zeit extreme Fortschritte machtest. Aber das war schon immer so bei dir. Wenn du etwas nur wirklich gewollt hast, hast du es dir geholt, ohne Wenn und Aber.“ Sein Blick wirkte … stolz. „Ich war erleichtert, als du die Schule mit Ach und Krach wenigstens abgeschlossen hattest. Dann kam die nächste Hiobsbotschaft. Anstatt dir einen anständigen Job zu besorgen und ein nettes Mädel kennen zu lernen hingst du nur mit deiner ‚Band‘ in Bars und Kneipen herum. Unser Verhältnis verschlechterte sich zunehmend und eines Tages, nach einem ziemlich heftigen Streit, hast du einfach deine Koffer gepackt, dich von deiner Mutter verabschiedet und bist zu Kazuya nach Tokyo gefahren.“ „Zu Kazuya?“ „Ja, er hat dort studiert und dich schon öfters gefragt, ob du nicht in die Stadt kommen möchtest.“ Ich streckte mich und fächerte mir etwas Luft zu. Mir war zu warm, aber ich genoss es hier zu sitzen und ihm zuzuhören, wie er von früher erzählte. Ich kannte die Erzählungen von Uruha und den anderen ab der Zeit in Tokyo. Aber ich hatte nicht gewusst, wie es zu Hause gewesen war und warum ich nach Tokyo gekommen war – nun ja, zumindest nicht so genau. Es bedeutete mir viel, dass er so ehrlich zu mir war. Wann hatten wir wohl das letzte Mal so miteinander gesprochen? „Wie ging es weiter?“ „Wir haben einige Zeit nichts von dir gehört. Eines Abends bekam ich einen Anruf. Ich war überrascht, dass du dich meldetest. Du sagtest nicht viel, nanntest mir nur eine Uhrzeit und einen Kanal im Fernsehen. Du wusstest ja, dass dein alter Herr neugierig genug war um nachzusehen. Ich war so stolz auf dich, als ich dich auf der Bühne gesehen habe. Du hast deinen Traum verwirklicht, hast ihn gelebt, so wie du es dir immer gewünscht hast. Noch am selben Abend bin ich den ganzen Weg nach Tokyo gefahren. Du warst überrascht, als du mir die Tür geöffnet hast. Wir haben lange miteinander gesprochen.“ Und scheinbar hatten wir uns wieder vertragen.
 

„Daraufhin sind wir wieder besser miteinander klar gekommen. Du bist hin und wieder am Wochenende hier in Mie gewesen. Wir haben uns oft zusammen Noten angesehen oder einfach nur gespielt. Es hat uns beiden Freude gemacht. Als du Uruha mitgebracht hast, wusste ich, dass er etwas Besonderes war. Du hast zwar immer von deinen Freunden erzählt, aber du hast sie nie nach Hause eingeladen.“ „Hattest du nie etwas dagegen, dass ich mit einem Mann zusammen bin?“ Er stockte, schüttelte dann aber entschieden den Kopf. „Um ehrlich zu sein haben deine Mutter und ich sowas schon vorhergesehen. Er war der Einzige, den du öfters mitgenommen hast. Wir haben uns eigentlich nur gefragt, wann ihr beide es merken würdet.“ Er lachte leise. „Dennoch war ich etwas geschockt, als ihr uns eröffnet habt, dass ihr mehr füreinander empfindet. Lächerlich, oder? Gleichzeitig wusste ich auch, dass ich dich erneut verlieren würde, wenn ich mich gegen dich und ihn stellen würde. Das wollte ich auf keinen Fall erneut riskieren. Du bist mir ähnlicher, als du denkst. Wäre ich an deiner Stelle gewesen, hätte ich genauso reagiert. Ich sagte mir, dass du auch mit einem anderen Mann hättest kommen können und Uruha war mir vom ersten Augenblick an sympathisch. Er ist höflich, gesprächig, er versteht etwas von Musik und sogar von Basketball und vor allem macht er dich glücklich. Mehr muss ich nicht wissen um euch meinen Segen zu geben.“ „Danke!“ Meine Stimme brach. Zu hören, dass er mich und auch meine Beziehung zu Uruha tolerierte, sie sogar für gut befand machte mich wirklich glücklich. „Weißt du, du hast mein Talent an der Gitarre, aber die Liebe und Hingabe zur Musik hast du von deiner Mutter geerbt. Wenn du der Meinung bist, dass du in diesem Bereich nicht mehr weitermachen kannst, dann ist das in Ordnung. Du musst nicht auf einer Bühne stehen oder eine Gitarre in den Händen halten um mich stolz zu machen. Das bin ich auch so. Aber du brauchst Kouyou um dich herum. Dies ist einer der Momente in dem du an Dingen festhalten und dich nicht wieder forttreiben lassen sollst.“ „Was würdest du an meiner Stelle machen?“ Obwohl ich die Antwort bereits kannte musste ich die Frage stellen. Er erhob sich und legte seine Hand auf meine Schulter, um sie kurz zu drücken. „Steig ins Auto und fahr zu ihm. Das ist es, was ich tun würde. Ich kann dir nur diese eine Antwort geben, aber schlussendlich liegt die Entscheidung bei dir.“ Damit ließ er mich mit meinen Gedanken alleine.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Gedankenchaotin
2016-03-14T18:36:03+00:00 14.03.2016 19:36
Tja Aoi, auch wenn du es nicht gerne hören willst: Hör auf deinen alten Herrn.
Manchmal wissen Eltern besonders gut, was ihren Kindern gut tut, auch wenn sie es nicht immer zeigen.
Ich denke, dass Gespräch hat Aoi gut getan und er wird die richtige Entscheidung treffen.

.. aber eins noch lieber Aoi: Man belauscht seine Eltern nicht! Und schon lange nicht vom Dach aus! xD

Bis nächste Woche,

Myv
Antwort von:  dani
14.03.2016 19:57
Hi Myv!

Das mit dem Belauschen ... Und ob! *böse lacht* vor allem wenn die über einen selbst reden! Muss man ja große Ohren bekommen *lach*

Mal sehen, ob Aoi hört, oder ob er doch stur bleibt und auf die Fernbeziehung pocht. Als Nächstes ist auf jeden Fall Ruha dran =)

LG dani
Von:  Kai-san
2016-03-13T23:11:29+00:00 14.03.2016 00:11
Nabend :)

Tut mir leid das ich mich jetzt erst melde Q. Q war erst krank, dann die Arbeit und zwischen drinn kam der Umzug und ich war einfach nur platt ^^""" aber hab alle Kapitel brav gelesen <3

Hach Aois Papa ist so toll ^____^b wir brauchen alle so einen! Ich kann mich nur anschließen und hoffen das Aoi den Rat seines Papis annimmt und Uruha folgt.
Jetzt hoffe ich umso mehr auf ein Happy End, wie Aoi wieder zusammen mit Uruha und den anderen auf der Bühne steht *////*
Go go go, Aoi *anfeuer*

Wünsche dir noch eine gute Nacht, fühl dich geflauscht, eine hoffentlich Stress freie Woche und bis Sonntag :)
Antwort von:  dani
14.03.2016 19:56
Hi Kai-san!

Danke, dass du trotzdem an mich gedacht hast - wie gesagt, du brauchst dich doch nicht dafür entschuldigen, dass du mir kein Kommi dagelassen hast - bist doch sonst immer so fleißig!
Ich hoffe der Umzug ist gut gelaufen und es gab keine Schwierigkeiten?

*nick* Ja, da bin ich deiner Meinung. Auch wenn sich die beiden früher oft gestritten hatten, ist er nun für Aoi da und wäscht ihm mal ordentlich den Kopf - ohne ihn dabei anzuschreien und ihm Vorwürfe zu machen. Aoi hat da einiges an Denkstoff bekommen. Happy End ... oh ja mal sehen, obs sowas gibt *grübel* *die wollen alle ein Happy End*
Danke ich flausche gerne zurück

LG dani
Antwort von:  Kai-san
15.03.2016 22:37
Na klar, dafür brauchst du mir doch nicht danken ^~^
Ich liebe diesr FF und desswegen muss ein Kommi her. Der Umzug verlief ohne Schwierigkeiten, hatte nur drei Tage frei und in der Zeit musste der Umzug von statten gehen. Es war anstrengend aber toll. Nur das ich seit knapp ner Woche wieder arbeite zährt an den Kräften, brauch Urlaub ^^****

Ich feiere Aois Papa immer noch und ich glaube das hat Aoi mal gebraucht. Auch wenn die zwei in der Vergangenheit oft gestritten haben, ist es schön zu sehen das sein Papa gerade jetzt für ihn da ist. Oh ja, vieles an Denkstoff ;)
Oh biiiiiiiiiiiiiiitteeeee *____* *bettelblick auf setzt* aber egal welches Ende es haben wird, ich freue mich schon :)

Lieben Gruß
*kraul und schnurr*
Antwort von:  dani
15.03.2016 22:48
Das ist wirklich lieb von dir! Aber schön zu lesen, dass dir die Story gefällt =)
Ja Umzug ist immer so eine Sache! *nick* Aber gut, wenn es soweit alles geklappt hat =)
Urlaub ... oh ja davon könnte ich auch ein Lied singen - würde ich auch ganz dringend brauchen *sfz*

*schmunzel*
Das ist gut! Aois Papa hat es wohl verdient gefeiert zu werden. Immerhin musste er dem Knaben ja mal wirklich auch die Meinung sagen. Sonst verbaut der Gute sich doch alles! Hin und wieder macht man einfach Dinge die sind ... dämlich *muhahaha* Naja aber mal sehen, wie Aoi sich jetzt entscheidet oder auch Uruha.

LG
Von:  TheNamelessLiberty
2016-03-13T14:58:33+00:00 13.03.2016 15:58
Papa Shiroyama T___T
Hach diese Unterhaltung hat doch wirklich mein Herz erreicht..so einen Papa wünscht man sich doch mehr als alles andere ^.^
Aoi sollte nun wirklich noch einmal über alles nachdenken und sich dann am nächsten Morgen oder vielleicht sogar noch am gleichen Abend ins Auto setzen und zu Uruha fahren. Er braucht ihn wirklich und ich hoffe er hat das nun auch endlich eingesehen.
Vielleicht denkt er auch noch einmal über diese Verbindung zwischen Unfall und Gitarrespielen nach und versucht es einfach noch einmal...

Hach ich könnte stundenlang weiterlesen *schwärm

Bis nächste Woche

LG Lin <3
Antwort von:  dani
13.03.2016 16:57
Hey Lin-chan!

Danke für das Kommi. Ja, solche Papas sind toll =)
Und ich dachte, dass dieses Kapitel ein sehr wichtiges sein wird - es ging aber relativ schnell zu schreiben, weil ich die Wörter und die Idee schon im Kopf hatte. Hin und wieder braucht man als Kind auch jemanden, der einen den Kopf zurechtrückt und es ist schön, wenn es auf eine liebevolle Art geschieht.
Tja Aoi hat jetzt einiges bekommen worüber er nachdenken muss und sollte. Und das tut der gute Mann eh ziemlich gern *lach*
Mal sehen, wie sich das entwickelt, aber da in genau 2 Kapiteln die FF eigentlich zu Ende ist (es sind 3 mit Epilog), kannste dir vorstellen, dass jetzt nicht mehr viel Gestaltungsfreiraum bleibt ;)

LG dani


Zurück