Goodbye ♥
❝ Aɴᴅ ᴛʜᴇ ᴛᴇᴀʀs ᴄᴏᴍᴇ sᴛʀᴇᴀᴍɪɴɢ ᴅᴏᴡɴ ʏᴏᴜʀ ғᴀᴄᴇ
Wʜᴇɴ ʏᴏᴜ ʟᴏsᴇ sᴏᴍᴇᴛʜɪɴɢ ʏᴏᴜ ᴄᴀɴ·ᴛ ʀᴇᴘʟᴀᴄᴇ
Wʜᴇɴ ʏᴏᴜ ʟᴏᴠᴇ sᴏᴍᴇᴏɴᴇ ʙᴜᴛ ɪᴛ ɢᴏᴇs ᴛᴏ ᴡᴀsᴛᴇ
Cᴏᴜʟᴅ ɪᴛ ʙᴇ ᴡᴏʀsᴇ﹖ ❞
- Coldplay, Fix You
Jetzt stehe ich also hier.
Ein Treffen, vor dem ich mich so lange gedrückt habe.
Ein Treffen, das ich nie in dieser Form wollte.
Meine Hände zittern leicht, weshalb ich den Strauß Rosen in meinen Händen umso fester halte.
Weiße Rosen.
Du hast sie schon immer geliebt. Hast mir damals schon erzählt, dass es auf deiner Hochzeit nur weiße Rosen geben soll.
Damals…
Wir waren noch ganz klein und hatten keine Ahnung vom Leben. Du hast gesagt ich wäre ‚total cool’ weil ich deine Buntstifte zurückerobert habe.
Ganz ehrlich?
Ich hab dich echt für verrückt gehalten. Ich hab dich gefragt, wieso du die Buntstifte nicht selber wieder geholt hast, da hast du nur traurig geschaut und gemeint, dass dich die anderen Jungs nur umgestoßen hätten. Wir waren keine Freunde und trotzdem hast du mir leid getan. Ich hab den anderen gesagt, dass sie dich in Ruhe lassen sollen und hab mich zu dir gesetzt um Mandalas auszumalen.
Es wurde beinahe eine Art Tradition – ich rettete deine Buntstifte aus den Fängen der bösen Jungs und wir haben gemeinsam gemalt. Auch wenn wir uns nicht wirklich kannten, hasste ich es einfach, dass die anderen ohne Grund auf die herumhakten.
Das hat sich bis heute nicht geändert.
Etwas nervös knabbere ich an meiner Unterlippe. Schon seit mehreren Minuten stehe ich einfach da und starre auf die Worte vor mir. Ganz will ich es einfach immer noch nicht begreifen. Und ich glaube, dass ich es auch nie ganz begreifen kann.
Erinnerst du dich noch an den Tag an dem das Klettergerüst fertig gebaut war? Natürlich, erst vor wenigen Wochen haben wir darüber gesprochen. Wir waren die ersten, die raufklettern wollten. Du hast dich echt ziemlich blöd angestellt. Ich glaube das war der Tag, an dem wir wirkliche Freunde wurden. Ich hab dir geholfen bis ganz nach oben zu klettern. Und du hast mir dafür geholfen die hässlichen Ränder meiner Mandalas wegzuradieren. Noch heute schaffe ich es nicht eine Fläche auszumalen und den Rand zu berücksichtigen. Da haben auch deine unzähligen Erklärversuche nichts geholfen. Dafür kannst du immer noch nicht ohne Hilfe bis an die Spitze eines Klettergerüstes klettern.
Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals, wenn ich an unsere Anfänge denke. Ich sehe immer noch deine kugelrunden braunen Augen von damals, die mich bewundernd anblicken, nachdem ich den Rowdys, wie wir sie immer nannten, meine Meinung gegeigt hatte. Damals war ich ziemlich stolz, dass ich einen Bewunderer hatte. Mein Bruder hat sich geschämt, dass ich mich immer so aufspielen musste. Doch dir war das egal. Dir war es immer egal. Es hat dich nie groß geschert was die anderen über unsere Freundschaft denken oder sagen mochten, denn wir waren einfach immer schon ein unschlagbares Team.
Knappe zwei Monate hat es gedauert, bis wir gemeinsam von unserer Zukunft zu träumen begannen. Du wolltest nach Hollywood und berühmt werden. Du hast mir versprochen, dass ich auf jedem Event deine Begleitung sein darf – schließlich macht man das als bester Freund; seine bessere Hälfte mit auf den roten Teppich zu nehmen. Ich hab dir versprochen dich bei jedem meiner Konzerte als berühmte Sängerin auf die Bühne zu holen – immerhin macht man das als beste Freundin; denjenigen der ganzen Welt zu präsentieren, der immer hinter einem steht.
Ja, unsere Kindergartentage sind inzwischen lange her, doch immer noch unvergessen. Ich habe dich nie geärgert weil du anders warst. Ich habe dich nur immer geärgert, weil ich es konnte.
Aber wir sind uns ohnehin nie etwas schuldig geblieben. Habe ich dein Mandala versaut, hast du mich an den Haaren gezogen. Hast du meine Haargummis versteckt, habe ich dir einen Stein nach geworfen.
Und wenn die anderen gesagt haben, wir sind gar keine echten Freunde, weil wir uns gegenseitig verletzen, haben wir beide einen Stein nach demjenigen geworfen.
Auf jedem Foto von mir aus dem Kindergarten bist du auch zu sehen. Wir sind immer schon unzertrennlich gewesen. Ich war für dich da als es dir schlecht ging. Du hast mir eine Schulter zum Ausweinen gegeben, wenn mich sonst niemand verstanden hat. Der erste Liebeskummer, die ersten Schritte im Erwachsenenleben – all das haben wir gemeinsam geschafft.
Und jetzt?
Jetzt bin ich auf mich alleine gestellt.
Ich habe keine Schulter mehr zum Ausweinen, wenn mich sonst niemand versteht.
Niemand wird mich je so verstehen wie du. Ohne Worte. Schon damals, obwohl wir uns kaum kannten. Du hattest schon früh ein besonderes Gespür für Menschen in deiner Umgebung.
Der Kloß in meinem Hals wird immer dicker. Ein regelrechter Gefühlstornado bricht über mich herein und ich bin mir nicht sicher, ob ich dem standhalten kann.
Fassungslosigkeit.
Trauer.
Verzweiflung.
Angst.
Wut.
Ich starre auf das Bild in meinen Händen – das erste Foto, das je von uns geschossen wurde. Ich habe es dir mitgebracht, weil ich weiß, dass es dein Lieblingsfoto ist. Und das passt doch oder? Dein Lieblingsfoto und deine Lieblingsblumen.
Langsam sinke ich auf die Knie. Der Boden ist schmutzig, doch das ist mir ziemlich egal. Heiße Tränen laufen mir über die Wangen und ich muss ein Schluchzen unterdrücken. Viel zu oft hab ich in den letzten Tagen geweint – eigentlich dachte ich, dass meine Tränendrüsen inzwischen ausgetrocknet sein müssten.
Vorsichtig stelle ich das Bild hin und lege die Rosen daneben. Ich muss laut schluchzen und immer mehr Tränen laufen mir über die Wangen und den Hals, oder tropfen mir auf die Hose – rauben mir die Sicht.
Doch ich brauche die Worte auf dem Stein nicht zu sehen – ich kenne sie inzwischen auswendig.
1994 – 2015
Und der viel zu kurze Strich dazwischen gehört uns.