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See you at the bitter end

von

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So how do we begin?

So how do we begin?“

Placebo, „I do“

 

 

16:58 Uhr.

Mit zufriedenem Blick sah Atsushi auf die Uhr. Er mochte Tage wie heute. Keine großen Zwischenfälle, keine Katastrophen, keine Menschenleben in Gefahr. Selbst Dazai hatte heute keinen Unfug angestellt. Der Tag war so unaufgeregt verlaufen, dass die Detektei Atsushi beinahe tatsächlich wie eine ganz normale Firma vorkam. Und da er für heute alles erledigt hatte, konnte er sogar zeitig Feierabend machen. Ja, er mochte Tage wie heute.

„Atsushi, gibst du mir mal die grüne Mappe, die dort liegt?“, richtete Kunikida von seinem Platz aus eine Frage an den Jungen, der sofort aufstand und ihm das gewünschte Objekt an seinen Schreibtisch brachte.

„Diese hier?“

„Ja, genau die. Vielen Dank.“ Kunikida öffnete die Mappe, nahm die darin liegenden Dokumente heraus und sortierte die Seiten ordentlich, ehe er aufstand und sich räusperte, um die Aufmerksamkeit aller Anwesenden zu erhalten.

Wie ein Lehrer, der Klassenarbeiten zurückgibt, dachte Atsushi amüsiert und nicht ahnend, dass er mit seinem Vergleich gar nicht so daneben lag.

Alle blickten aufmerksam zu dem blonden Kollegen; selbst Ranpo, der den Großteil des Nachmittags damit verbracht hatte, mit dem Kopf auf seinem Schreibtisch liegend zu dösen, guckte auf und blinzelte ihn schläfrig an.

„Ich habe mir eure ausgefüllten Ausgabensaufstellungen für dieses Quartal angesehen“, begann Kunikida, „und … ICH BIN SCHOCKIERT ÜBER EURE NACHLÄSSIGKEIT!!“

Angesichts dieses Wutausbruchs zuckte Atsushi zusammen. Oh nein, die Kostenaufstellungen für das Quartal! Der Junge hatte dies erst einmal zuvor gemacht und war dabei sang-und klanglos untergegangen. Kunikida hatte ihn daraufhin zu einer Art Nachhilfe verdonnert, die die ganze Nacht in Anspruch genommen hatte. War sein Feierabend jetzt doch in Gefahr? Musste er wieder stundenlange Belehrungen zu Ist-Ausgaben, Saldo und Amortisation über sich ergehen lassen?

„Ich habe extra diese vereinfachten Formulare erstellt, damit jeder seine Ausgaben geordnet auflisten kann und manche von euch kriegen es immer noch nicht hin!“, wütete der Blondschopf weiter.

Und was in aller Welt verstand Kunikida unter „vereinfacht?“ Dieses Formular hatte mehr Fußnoten als der Strand Sandkörner.

„Ich bin sehr enttäuscht von euch.“ Jetzt klang er wirklich wie ein Lehrer, der seiner Klasse ein schlechtes Gewissen einreden wollte, damit sie sich bei der nächsten Arbeit mehr anstrengten. Anscheinend konnte man den Lehrer aus der Schule kriegen, aber nicht die Schule aus dem Lehrer.

„Einige von euch haben sich aber tatsächlich Mühe gegeben und von diesen Schü- ich meine, Kollegen sollten die anderen sich eine Scheibe abschneiden.“

Da! Jetzt hatte Kunikida selbst schon die Detektei mit einem Klassenzimmer verwechselt. Ihm fiel also selbst auf, wie er sich aufführte.

„Yosano, Tanizaki, Naomi und Haruno, bei euch gibt es nichts zu beanstanden. Sehr gut gemacht.“

Während Tanizaki erleichtert ausatmete und seine Schwester und Haruno lächelten, warf Yosano ein:

„Gibt es denn dafür nicht wenigstens eine richtige Belohnung?“

„Ihr dürft Feierabend machen“, entgegnete Kunikida trocken.

„Dürften wir das nicht sowieso?“ Yosano stöhnte.

Der Brillenträger ignorierte ihren Einwand und fuhr fort. „Kenji, du hast dich stark verbessert. Das Formular ist richtig ausgefüllt, aber … was soll das hier sein?“

Kunikida hielt dem Jungen sein Formular hin und drehte es um. Auf die Rückseite hatte Kenji eine Zeichnung von einer Kuh gemalt, die eine Brille und einen Pferdeschwanz trug.

„Gefällt dir das Bild nicht, Kunikida?“, fragte Kenji arglos. „Ich habe es extra für dich gezeichnet!“

Als er die großen, unschuldigen und erwartungsvollen Augen des Jungen sah, konnte Kunikida ihn nicht so sehr dafür schelten wie er es eigentlich vorgehabt hatte.

„Sei nicht so streng mit ihm, Kunikida“, wandte Yosano glucksend ein, „oder sollte ich besser sagen … Kuhnikida?“

„Wie dem auch sei“, fuhr er nur scheinbar ungerührt fort und Atsushi wollte sich schon wundern, ob der Ältere dies wirklich so leicht wegsteckte, als er die gefährlich hervortretenden Venen auf der Stirn des Blonden entdeckte. Yosano sollte ihn wirklich nicht noch reizen.

„Du musst die Zahlen in ein neues Formular übertragen, Kenji. Und dies mal ohne Kuh, bitte.“

„Okay!“, rief der blonde Junge fröhlich aus.

„Und ohne andere Farmtiere.“

„Oooooh“, kam es enttäuscht von Kenji hinterher.

„Wir können die Zeichnung ja im Büro aufhängen“, schlug Tanizaki zur Begeisterung des Jungen vor.

„NEIN! DAS TUN WIR NICHT!“ Kunikida schnaubte. Er musste sich vorkommen wie ein Oberstufenlehrer, der in den Kindergarten versetzt worden war. Der Brillenträger nahm ein paar Mal Luft und machte weiter im Text.

„Gut, der Nächste ist … Atsushi.“

Oh Gott! Jetzt war er dran! Im wahrsten Sinne des Wortes. Gleich folgte bestimmt ein Donnerwetter. Innerhalb von Sekunden hatte er seine Kleidung durchgeschwitzt.

„I-ich“, stammelte er ängstlich,“i-ich h-hab m-mein B-bestes-“

„Bei dir ist alles in Ordnung.“

„Was?“ Atsushi blinzelte ihn ungläubig an. „Wirklich?“

Erst als der Andere nickte, atmete der Junge aus. Das musste ein Wunder sein.

„Kyoka, bei dir aber leider nicht.“

Aufgeschreckt schaute das Mädchen zu Kunikida. „Es tut mir leid. Ich habe die Hälfte der Dinge, die auf dem Formular stehen, nicht verstanden. Ich werde es natürlich noch einmal neu machen.“

Sofort tat sie Atsushi leid. Er wusste, dass sie es so sehr vermeiden wollte, bei der Arbeit in der Detektei Fehler zu machen und anstatt jemanden damit zu belästigen, ihr zu helfen, hatte sie ganz allein versucht, das komplizierte Dokument auszufüllen. Er musste ihr bei Gelegenheit noch einmal eindringlich erklären, dass es ganz und gar keine Belästigung war, wenn sie ihn oder einen der anderen um Hilfe bat.

„Es ist wichtig, dass du weißt, wann du einen der älteren Kollegen um Rat fragen solltest“, erklärte Kunikida überraschend verständnisvoll. „So hast du ein Formular verschwendet.“

„Es wird nicht wieder vorkommen“, versicherte Kyoka so fest entschlossen, dass Atsushi lächeln musste … bis ihm etwas klar wurde. Musste Kyoka also …?

„Dann bleiben wir heute länger und ich werde dir zeigen, wie man das Formular korrekt ausfüllt“, sagte Kunikida.

„Ich bleibe auch hier“, bot Atsushi ohne Umschweife an, doch Kyoka schüttelte den Kopf.

„Du hast dich doch auf einen freien Abend gefreut. Daher geh ruhig nach Hause. Ich schaffe das allein“, widersprach das Mädchen bestimmt.

„Awwww“, ertönte es von Naomi und Haruno an dieser Stelle unisono. „Ihr beide seid sooo niedlich.“

Der angesprochene Junge lief vor Verlegenheit tiefrot an. „O-okay, dann warte ich Zuhause auf dich.“

„Sooo niedlich!“

Gab es hier kein Loch, in das man sich verkriechen konnte?

„Also, weiter ...“ Kunikida widmete sich wieder den Formularen. „Ranpo … ja, das ist in Ordnung.“

Verwundert sah Atsushi zu dem erwähnten Meisterdetektiv, der längst wieder auf seinem Tisch eingeschlafen war und nichts mitbekam. Wie in aller Welt konnte denn Ranpos Aufstellung korrekt sein? Sein Blick wanderte zu dem ausgefüllten Dokument, das Kunikida zu den bereits Abgehandelten auf den Tisch legte.

Moment. War das nicht Harunos Handschrift darauf? Atsushis Schultern sanken ein Stück weit in sich zusammen, als er begriff, was da los war. Wahrscheinlich hatten sie es aufgegeben, Ranpo zum Ausfüllen des Formulars zu bewegen und ließen dies nun Haruno machen. Was hatte der Kerl für ein Glück. Was man ihm alles durchgehen ließ.

Dann fehlte ja nur noch einer, stellte Atsushi heilfroh fest. Seltsam, dieser eine war die gesamte Zeit auffällig ruhig gewesen.

Zu ruhig.

Viel zu ruhig.

„Atsushi“, zischte es auf einmal leise und der Angesprochene blickte zu Dazais Platz, von wo er dessen Stimme vermutet hatte, doch dort saß niemand.

„Atsushi“, zischte es erneut und es bestand kein Zweifel daran, dass das Dazais Stimme war, „hilf mir, zu fliehen.“

Der Junge machte einen Schritt zum Schreibtisch des Älteren und seine Augen fingen an, aufs Heftigste zu zucken, als er unter besagtes Möbelstück schaute.

Dazai versteckte sich in kauernder Haltung unter seinem Schreibtisch und hielt sich einen Zeigefinger vor den Mund.

„KOMM SOFORT DA RAUS!!“

Natürlich hatte Kunikida direkt bemerkt, wo sein Kamerad hin verschwunden war. Wütend stapfte er zu dem Tisch, griff darunter und zog einen wild zappelnden und jammernden Dazai an dessen Haaren unter dem Möbelstück hervor.

„Oh, guten Tag, Kunikida“, sagte Dazai schließlich, als würde er dem Anderen heute zum ersten Mal begegnen. „ich würde ja gerne mit dir plaudern, aber es ist schon spät und ich habe noch einen wichtigen Termin.“

„DU … GEHST … NIRGENDWO HIN!!“ Der Blonde ließ ihn los und wedelte stattdessen zornig mit dem übrig gebliebenen Formular vor der Nase des Anderen herum. „Kannst du mir verraten, was das ist?!“

„Glaube mir, das kann niemand.“

„Oje.“ Yosano seufzte erneut, nahm sich ihre Tasche und stand auf. „Das ist jedes Mal das gleiche. Ich geh lieber, bevor das wieder ausartet.“ Sie schritt zu Ranpos Tisch und stupste den Schlafenden ein paar Mal an.

„Huh?“ Ranpo rieb sich müde die Augen und gähnte ausgiebig. „Schon Feierabend?“

„Komm, ich bring dich nach Hause.“

Der Meisterdetektiv setzte sich seine Mütze auf und war mit einem Mal quietschfidel. „Hach, nach so einem Tag harter Arbeit fühlt man sich doch richtig ausgeruht, findet ihr nicht?“

Atsushi fehlten die Worte. Selbst an so einem ereignislosen Tag wie heute wirkte die Detektei nicht wie eine normale Firma. Dafür waren hier viel zu viele Exzentriker versammelt.

Apropos.

„In die obere Hälfte hast du 'Wir alle lieben unseren Kunikida!' gekrakelt“, regte sich der Brillenträger weiter auf, „und in der unteren hast du anscheinend ein dutzend Mal mit dir selbst 'Galgenmännchen' gespielt und jedes Mal verloren! Dabei ist es offensichtlich, dass die Lösung jedes Mal 'Doppelsuizid' ist!!“

„Mir war eben langweilig.“

„Wenn dir langweilig war, hättest du doch das Formular ausfüllen können!!“

„Aber genau deswegen war mir doch langweilig.“

„DU WIRST MEIN UNTERGANG SEIN!!“

Atsushi beschloss, es den anderen gleich zu tun und schleunigst nach Hause zu gehen.

 

Die Straßen von Yokohama waren an diesem Abend äußerst belebt. Wenn er jetzt die Bahn nahm, überlegte Atsushi, wäre sie mit Sicherheit voller Pendler, also machte er sich auf, zu Fuß los zu trotten. Auf dem Weg hatte er auch genügend Zeit, sich zu überlegen, wie er Kyoka eine Freude machen könnte, wenn sie nach Kunikidas Verwaltungsnachhilfe nach Hause kam. Hoffentlich hatte Dazai den armen Kunikida nicht noch weiter auf die Palme gebracht, denn sonst wäre Letzterer bestimmt nicht in bester Stimmung und das hieße dann wiederum … arme Kyoka. Es erschien Atsushi immer noch wie ein Wunder, dass Kunikida Dazai noch nicht tatsächlich an die Gurgel gegangen war. Die beiden musste ein wirklich starkes Band verbinden, dass sie trotz ihrer Gegensätzlichkeit ein so perfektes Team bildeten.

„Entschuldigung.“

Die Stimme eines Mannes richtete sich an Atsushi, der sich sogleich in die Richtung drehte, aus der sie gekommen war.

„Entschuldigung“, wiederholte der Mann, der kurzes, sandig blondes Haar hatte, eine runde Brille trug und mit einem schick aussehenden, dunklen Kurzmantel über einem ebenso schick aussehenden Anzug bekleidet war. Neben ihm stand ein weiterer Mann, den Atsushi wie den ersten auf irgendetwas in den 30ern schätzte. Der andere Mann hatte langes, gewelltes braunes Haar und trug einen mit Pelz besetzten Wollmantel, unter dem ein leuchtend grünes Jackett mit pinkfarbenen Manschetten hervorblitzte. Im Gegensatz zu seinem kurzhaarigen Begleiter, der eher streng drein blickte, lächelte er verschmitzt. Irgendwie erinnerten die beiden Atsushi an ein anderes Duo.

„Könntest du uns eventuell weiterhelfen?“, fragte der Mann, der ihn angesprochen hatte. In einer Hand hielt er einen aufgefalteten Stadtplan.

„Selbstverständlich … wenn ich kann“, antwortete der junge Detektiv und war sichtlich verlegen über seine Aussage. Er wollte höflich sein, aber wenn er ehrlich war, kannte er sich in Yokohama so gut nicht aus.

„Also“, sprach der Kurzhaarige, „wo sind wir hier?“ Er hielt Atsushi den Stadtplan hin.

Spürbar erleichtert, dass er die Frage beantworten konnte, zeigte der Junge auf die richtige Stelle auf der Karte.

„Sie befinden sich gerade hier.“

„Ah, ja ja, verstehe“, entgegnete der Mann. „Und wenn wir hierhin wollen?“ Er zeigte auf eine weiter entfernte Stelle.

„Da nehmen Sie am besten die Bahn. Zum Laufen ist das zu weit.“

„Oh, vielen Dank, junger Mann. Wie können wir uns für deine Hilfe erkenntlich zeigen?“

„Nicht doch.“ Atsushi lächelte die beiden an und schüttelte den Kopf.

„Oh doch!“, rief auf einmal der Dunkelhaarige der beiden emotional aus. „Ohne deine Hilfe würden wir noch übermorgen hier ziellos herumirren! Du hast uns gerettet!“

„Ge ...rettet?“ Der Detektiv blinzelte den Mann verdattert an. War das nicht ein bisschen übertrieben?

„Ich bitte dich!“ Der Brünette legte in einer überzogenen Geste seine Hände um die des überrumpelten Atsushi. „Es würde uns in unserer Ehre verletzen, wenn wir uns nicht erkenntlich zeigen dürften!“

„Ääh, also, ich weiß ja nicht ...“

„Können wir dich vielleicht zum Essen einladen?“, fragte der erste Mann.

„Eine fabelhafte Idee!“, stimmte sein Begleiter frohlockend zu. „Du bist doch sicher hungrig? Du siehst hungrig aus. Sieht er nicht hungrig aus?“

„Er sieht hungrig aus“, gab sein Gefährte ihm Recht.

Ohne dass er wirklich wusste, wie ihm geschah, wurde Atsushi von den beiden Männern in ein kleines Café an der nächsten Straßenecke geschoben.

„Das ist wirklich nicht nötig“, wiederholte er verlegen, als er nun seinen neuen Bekanntschaften im Café gegenübersaß und ein Stück Kuchen vor die Nase gesetzt bekam.

„Doch, doch“, erwiderte der brünette Mann, der ein Parfait verputzte, „wir hatten uns wirklich unsäglich verlaufen.“

„Die reinste Irrfahrt“, warf der Andere ein, der lediglich einen Kaffee trank.

„Es ist bei uns so üblich, dass man sich bei einem Retter ausgiebig bedankt.“

Ah, diese Kleinigkeit war Atsushi eben bereits aufgefallen. „Sie kommen aus dem Ausland, oder?“

„Aus dem wunderschönen Irland“, antwortete der Dunkelhaarige.

„Oh?“, staunte Atsushi. „Weshalb haben Sie denn die weite Reise nach Japan auf sich genommen? Machen Sie hier Urlaub?“

„Nein, das nicht“, entgegnete der bebrillte Mann.

„Dann sind Sie auf einer Geschäftsreise?“

„Nun, ja, wir sind …ja, geschäftlich hier.“

Den Detektiv beschäftigte augenblicklich, was diese beiden wohl beruflich machten, doch der Brünette rief auf einmal aus:

„Jimmy, was sind wir unhöflich! Wir haben uns unserem Retter nicht einmal vorgestellt!“

„Das ist ein Versäumnis, wohl wahr.“ Eine Augenbraue des Angesprochenen zuckte plötzlich. „Aber ich habe dir schon tausendmal gesagt, du sollst mich nicht 'Jimmy' nennen.“

„Ooh, sei nicht so, der Name ist süß.“ Der dunkelhaarige Mann grinste und schleckte den Löffel ab, mit dem er sein Parfait aß.

Das Zähneknirschen des Blonden war laut und deutlich zu hören.

„Wie würdest du es denn finden, wenn ich dir irgendeinen Spitznamen geben würde??“, fuhr er seinen Begleiter an.

„Eigentlich würde ich das sehr schön finden.“ Er grinste noch ein Stück breiter, was den Anderen noch ein Stück weiter auf die Palme brachte.

Perplex blinzelte Atsushi sie an. Die Ähnlichkeit zu einem gewissen anderen Duo war ja beinahe beängstigend.

„Na ja, jedenfalls“, der Brillenträger räusperte sich und sprach wieder etwas ruhiger, „ist mein Name James Joyce. Und der da …“, er stöhnte kurz, „heißt Oscar Wilde.“

„Oooh, ich dachte, du versuchst es wenigstens mal mit einem Spitznamen, Jimmy.“

„NENN MICH NICHT JIMMY!!“

„Äh“, warf Atsushi mit wachsendem Unglauben ein (diese Ähnlichkeit war wirklich, wirklich beängstigend!), „mein Name ist Atsushi Nakajima.“

„Freut mich, dich kennen zu lernen!“ Wilde winkte fröhlich mit seinem Löffel.

„Pass doch auf“, meckerte Joyce, „du verteilst deinen Süßkram überall.“

„Mein Süßkram ist lecker. Wie ist dein langweiliger Kaffee?“

„Er ist … kaffig.“

„Ist das ein Wort?“

„Es sollte eins sein.“

Wirklich, wirklich, wirklich beängstigend, diese Ähnlichkeit.

„Verzeih bitte“, Joyce räusperte sich erneut. „Wir halten dich vermutlich auf, nicht wahr? So ein junger Mann wie du muss doch sicher noch Hausaufgaben machen und für die Schule lernen, oder?“

Erneut schüttelte Atsushi freundlich den Kopf. „Ich gehe nicht mehr zur Schule.“

Joyce richtete seine Brille. „Du arbeitest bereits? Tüchtigkeit weiß ich in einem jungen Menschen stets zu schätzen. Was arbeitet ein Bursche wie du?“

„Ich … uhm, ich arbeite in einem Detektivbüro.“

Wilde und Joyce tauschten erstaunte Blicke aus.

„Du bist ein Detektiv?“, hakte Ersterer nach.

„Das … uhm, ja, das kann man so sagen.“ Atsushi überlegte, ob er lieber noch nachschieben sollte, dass er sich wohl eher noch in der Ausbildung befand, aber Wilde führte bereits die Konversation fort.

„Da haben wir doch letztens etwas Interessantes gehört. In Yokohama soll es doch dieses berühmte 'Büro der bewaffneten Detektive' geben.“

Die Augen des Jungen leuchteten stolz auf. „Sie kennen die Detektei?“

„Sag nicht, du arbeitest da?“

Erfreut nickte Atsushi und die beiden Iren tauschten von neuem erstaunte Blicke aus.

„Das weltberühmte Büro der bewaffneten Detektive, also?“ Joyce rüttelte schon wieder an seiner Brille. „Und du Jungspund bist einer von ihnen?“

„Weltberühmt? Wirklich?“ Atsushi wusste nicht so genau, was er darauf antworten sollte.

„Erzähl, erzähl“, sagte Wilde aufgeregt, „wie ist es, dort zu arbeiten?“

Die plötzliche Aufmerksamkeit machte den Jungen wieder verlegen – und gleichzeitig wuchs auch sein Stolz. Er war ja schließlich tatsächlich Teil des Büros. „Es ist … immer sehr interessant. Und es ist immer viel los. Ich bin sehr froh, dort arbeiten zu dürfen.“

Wilde applaudierte leise, als freute er sich über diese Antwort. „Und wie sind deine Kollegen so?“

„Meine Kollegen?“

„Ja. Verstehst du dich gut mit ihnen?“

Atsushis Augen leuchteten beim Gedanken an die anderen noch ein Stück mehr auf. „Ja!“, antwortete er enthusiastisch, „Sie sind alle sehr nett zu mir.“

„Niemand Seltsames dabei? Oder irgendjemand, der Probleme macht? Jemand, der … unmenschlich handelt?“

Der Junge stutzte. Was für merkwürdige Fragen dies waren.

„Was mein Partner wohl sagen will-“

„Ich liebe es, wenn du mich deinen Partner nennst“, warf Wilde spitzbübisch ein.

„Was mein Partner wohl sagen will“, fuhr Joyce unbeirrt fort, „ist, ob es bei einer so hohen Dichte an außerordentlichen Befähigten keinen gibt, der … nun, wie soll ich sagen, Extreme vertritt oder vielleicht sogar rücksichtslos in seinem Handeln ist? Oder sich gar nicht darum schert, Menschenleben in Gefahr zu bringen?“

„Nein“, antwortete Atsushi mit fester Stimme und trotz des mulmigen Gefühls, das er plötzlich hatte. „Sie sind alle gute Menschen.“ Sicher, sie waren alle Exzentriker (und besonders Dazai), aber keiner von ihnen würde je absichtlich einem Unschuldigen schaden. Die beiden Iren sahen ihn einen Moment lang schweigend an, bevor Wilde ihn strahlend anlächelte.

„Dann hast du ja wirklich immenses Glück mit deinem Job!“

Joyce nickte. „Ich hoffe, wir haben dich nicht in Verlegenheit gebracht. Wenn die Neugier uns packt, vergessen wir unsere Manieren.“

Das mulmige Gefühl löste sich so schnell wieder auf, wie es gekommen war. War wohl ein Fehlalarm gewesen, dachte Atsushi beruhigt und erwiderte das Lächeln.

„Ja. Ich habe wirklich immenses Glück.“

 

„Schon so spät?“ Yosano blickte auf die Digitaluhr, die auf der Frontseite eines Einkaufszentrums angebracht war. Sie hatte Ranpo nach Hause gebracht, doch dort war diesem aufgefallen, dass er Hunger hatte, weswegen sie noch einmal hatten losziehen müssen, um etwas zu essen (und es musste in einem bestimmten Restaurant sein, weil der Meisterdetektiv nur darauf Lust hatte). Manchmal, seufzte Yosano und lächelte dabei, konnte er wirklich ein bisschen anstrengend sein. Nun hatte sie ihn endlich zu Hause abgeliefert und wollte eigentlich noch ein paar eigene Besorgungen erledigen, doch die Geschäfte waren bereits dabei zu schließen. Die Ärztin wartete, dass die Ampel grün wurde, damit sie die Straße überqueren konnte. Wenn sie sich beeilte, konnte sie noch ein paar Sachen einkaufen.

„Akiko Yosano?“, fragte plötzlich ein Mann, der neben ihr aufgetaucht war. Er hatte schwarzes Haar und trug einen beigefarbenen Tweedanzug. Er war definitiv ein gutes Stück älter als sie, aber vielleicht noch ein wenig jünger als Fukuzawa.

„Wer will das wissen?“

Geschwind griff der Mann nach ihrem linken Unterarm und berührte ihre Haut mit seiner Hand. „Es tut mir sehr leid.“

„Oh nein, Ihnen wird es gleich leid tun, wenn Sie mich nicht auf der Stelle loslassen.“ Yosano wollte bereits zuschlagen, als mit einem Mal sich alles in ihrem Kopf zu drehen begann. Die Sicht vor ihren Augen verschwamm und die Haut, die der Mann berührte, brannte wie Feuer. War das … eine Fähigkeit? Ihr ganzer Körper begann zu zittern und sie bekam kaum noch Luft.

„Wer …?“

„Es tut mir leid.“

Es war das Letzte, das sie hörte, ehe alles um sie herum schwarz wurde.


Nachwort zu diesem Kapitel:
James Joyce (1882-1941): irischer Schriftsteller.
Oscar Wilde (1854-1900): irischer Schriftsteller, Dramatiker und Dichter.
Beide sind hier meine Erfindung. Ich habe das Aussehen von meinem Joyce und meinem Wilde dezent an das der beiden Statuen, die von den Schriftstellern in Dublin stehen, angelehnt. Komplett anzeigen

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