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Rosen und Lavendel

von

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Ein Kuss für einen Kuss

Er konnte sich nicht bewegen. Für einen Moment nahm die unerwartete Berührung Vanitas jeglichen Wind aus den Segeln und er wusste nicht wie ihm geschah.

Als die erste Überraschung verging, spürte er, dass Noé sich noch nicht wieder von ihm löste. Nein, er bewegte eher noch seine Lippen gegen die des Menschen, durch dessen Körper nun ein Schauer jagte. Obwohl Vanitas seine Augen vor Schock weit aufgerissen hatte, konnte er sich auf nichts fokussieren.

Da war plötzlich dieses weiche Gefühl auf seinen Lippen und Noés Duft, der ihm zwar vertraut war, den er aber noch nie zuvor so intensiv wahrgenommen hatte. Ein Geruch, der Sicherheit und Wärme vermittelte.

Vanitas wollte sich in dieser Wärme verlieren. Seine Augenlider sanken auf Halbmast und wie von allein bewegten seine Lippen sich gegen die des Archivisten. Die zaghaften Berührungen brachten sein Herz zum Flattern, bis…

Ihm bewusst wurde was eigentlich gerade passierte. Grob schlug er mit den flachen Handflächen gegen Noés Brust und stieß in ihn von sich. Der Vampir taumelte leicht zurück, aber Vanitas war körperlich nicht stark genug ihn wirklich aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Der Mensch hingegen war emotional komplett aus dem Gleichgewicht gebracht. Sein Gesicht und seine Ohren waren von der Scham und dem Wein feuerrot geworden und mit Entsetzen im Gesicht wischte er sich mit dem Ärmel seines Handschuhs über die Lippen.

Noch ehe Vanitas richtig darüber nachdenken konnte verließen harsche Worte seinen Mund:

„WAS SOLLTE DAS, DU ARSCHLOCH?!“

Und dann machte er auf dem Absatz kehrt. Ohne Noés Reaktion abzuwarten rannte Vanitas davon und verschwand für Stunden in den Straßen von Paris.

 

 

Obwohl Vanitas verwirrt und wütend gewesen war, kehrte er irgendwann am Morgen zum Hotel zurück. Zu seiner Überraschung verhielt Noé sich wie immer. Trotzdem irgendwie niedergeschlagen und traurig, aber er behandelte Vanitas ganz normal.

Jetzt, Tage später, musste der junge Vampirarzt ständig über diese Situation auf dem Dach nachdenken. Wieso war Noé ihm danach so deprimiert erschienen? Sie stritten sich doch ständig. Da war nichts dabei. Außerdem war Noé an Vanitas‘ heftiger Reaktion ja auch selbst schuld. Was sollte dieser Kuss?! War es ihm so wichtig gewesen den Jüngeren zum Schweigen zu bringen, dass er zu solchen Mitteln griff?

Zerknirscht griff Vanitas fester in die Seiten des Buches, auf das er sich seit einiger Zeit vergeblich versuchte zu konzentrieren. Seine Beine baumelten nervös von der Fensterbank, auf der er saß.

Was hatte sich dieser Mistkerl dabei gedacht? Bisher hatte Vanitas sich nicht einmal erlaubt Jeanne einen weiteren Kuss zu schenken. Einen ehrlichen, der nicht auf einer Hinterlist oder lebensrettenden Maßnahmen basierte. Aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit hatte er sich damit noch zurückgehalten; zu schüchtern, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Sein erster „richtiger“ Kuss hätte ihr gelten sollen.

War es das überhaupt gewesen ein „richtiger Kuss“? Nein, Noé hatte ihn ärgern und absichtlich zur Weißglut bringen wollen. Das war alles. Und seine eigene unerklärliche Reaktion… Die Hitze, das Herzklopfen… Daran war allein der Wein schuld gewesen. Vanitas liebte Jeanne. Er hatte keine Gefühle für irgendwen sonst. Schon gar nicht für einen Mann!

Verstohlen blickte er über den Rand seines Buches hinüber zu Noé, der an seinem Schreibtisch saß und wohl einmal wieder Briefe verfasste. Auch, wenn sie sich danach nicht weiter gestritten hatten und weitestgehend normal miteinander umgegangen waren, verhielt sich der junge Vampir ihm gegenüber doch irgendwie distanziert. Und Vanitas hasste es! Er wollte seinen besten Freund zurück!

Einen Moment gerieten seine Gedanken ins Stocken. Waren sie das denn nun? Freunde? Konnte er überhaupt Freunde haben?

Ihm fiel Roland ein. Dieser hatte ihm versichert, dass Jeanne seine Gefühle gewiss erwidern würde und allein das fiel Vanitas schwer zu glauben. Aber… Wenn es tatsächlich eine Person gab, der es gelang ihn zu mögen… Wäre es dann zu vermessen darauf zu hoffen, dass es noch eine - nur eine - weitere gab?

Langsam klappte er das Buch zu, legte es zur Seite und rutschte von der Fensterbank herunter. Was sollte er tun? Versöhnungen waren nicht seine Stärke…

„Uhm… Schreibst… du wieder an Dominique?“, begann Vanitas etwas holprig nachdem er an Noé herangetreten war.

„Ja.“

Noé nickte und sah fragend zu ihm auf. Es kam nicht oft vor, dass Vanitas sich dafür interessierte was er schrieb. Da musste noch mehr sein.

„Ich…“

Vanitas konnte dem Älteren nicht in die Augen schauen. Sein Blick schweifte im Zimmer umher.

„Ich bin nicht mehr sauer… Also, wegen dem neulich auf dem Dach…“

Es dauerte einen Moment, bis der Satz komplett zu Noé durchsickerte. Eigentlich hatte Vanitas diesen Streit begonnen, aber Noé war sich im Klaren darüber, welche Überwindung es den schwarzhaarigen jungen Mann allein kostete dieses Thema überhaupt anzuschneiden und das reichte ihm.

Lächelnd stand er von seinem Stuhl auf.

„Ich bin auch nicht mehr sauer.“

Angestrengt presste Vanitas die Lippen aufeinander, um sich eine bissige Bemerkung zu Noés Antwort zu verkneifen. Es half nichts jetzt wieder Streit anzufangen.

„Wollen wir zu Mittag essen gehen, bevor ich gehe?“, fragte er stattdessen.

Noés Lächeln wurde breiter und seine Augen begannen zu glänzen. Mit Essen bekam man ihn immer. Genau wie Jeanne…

„Gut, ich schreibe den Brief noch schnell zu Ende und…“ begann Noé, doch etwas schien seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Wie in Zeitlupe konnte Vanitas nur beobachten wie Noés kräftige Hand sich plötzlich dem Kopf des Jüngeren näherte und sachte durch sein Haar strich.

Wie vom Donner gerührt zuckte Vanitas zusammen. Sofort begann sein Herz bei der ungewohnten Berührung wieder schneller zu schlagen und seine Wangen nahmen eine warme Farbe an. Offenbar war er noch immer nicht über die Sache vor ein paar Tagen hinweg. Aber bevor er die Frage nach dem Grund für diese Aktion stellen konnte, schien Noé sie in seinen Augen zu lesen.

Mit einem entschuldigenden aber sanften Grinsen erwiderte er:

„Du hattest da was im Haar.“

Das Herzklopfen wollte nicht abreißen. Verdammt, was sollte das? War er so durcheinander, nur weil Noé einmal die Oberhand gewonnen hatte? Vanitas hielt es nicht mehr aus. Er musste Noé einfach fragen:

„Wieso… Hast du mich… Geküsst? Hattest du vor mich zu ärgern? Du… Du weißt, dass das zwischen Männern nicht normal ist, oder? Es war absolut nicht nötig, dass…“

„Nein.“, unterbrach der Vampir ihn. Mit einem offenen und geradezu unschuldigen Gesichtsausdruck sah er Vanitas nun direkt in die Augen.

„Ich habe dich geküsst, weil ich es wollte.“

Die Ehrlichkeit in seiner Stimme schien Vanitas innerlich wie ein Wirbelsturm hinwegzufegen. Die Hitze auf den Wangen des Menschen nahm noch zu.

Dieser Mistkerl! Wie konnte Noé so etwas nur so unverblümt sagen, als sei es das normalste auf der Welt?! Knirschend biss er die Zähne aufeinander.

„Vergiss es einfach!“, fuhr er Noé nun doch wieder an. „Und vergiss das mit dem Essen! Ich muss sowieso noch etwas erledigen, bevor ich Jeanne treffe!“

Mit diesen Worten ließ er Noé ein weiteres Mal in dieser Woche einfach stehen und verließ das Hotel.

 

 

Ermattet lehnte Vanitas sich an die Litfaßsäule, an der er Jeanne schon bei ihrem ersten Rendezvous getroffen hatte. Wieso hatte er nur so etwas gesagt? Nach allem was er über die Jahre gelernt hatte, wusste er sehr genau, dass Vampire keinen Unterschied darin machten, wenn es um das Geschlecht ihres Partners ging. Da sie weit weniger durch die Kirche geprägt waren als Menschen, war es für sie völlig egal ob jemand einen Mann oder eine Frau liebte und er selbst machte sich, wenn er ehrlich war, darüber auch keine Gedanken. Erneut stieg Hitze in ihm auf. Liebe? Das war nun wirklich nicht das was ihn und Noé miteinander verband! Das war absurd! Allein, dass er sich diesem Gedanken hingab erfüllte ihn mit Scham und Schuldgefühlen. Immerhin hatte er Jeanne. Jeanne, deren Anwesenheit er immer häufiger herbeisehnte und die er nie betrügen würde. Er war vielleicht missraten, aber er war nicht so schlecht!

 

„Wartest du schon lange?“

 

Aus seinen Gedanken gerissen, sah Vanitas auf, als er Jeannes Stimme vernahm und zum zweiten Mal an diesem Tag nahm sein Gesicht eine rosige Farbe an.

„Jeanne!“

Jeanne stand vor ihm in einem roséfarbenen Damast-Kleid, ihre Arme waren bedeckt von einem leichten Schultertuch, in der Hand trug sie einen mit Spitze verzierten Sonnenschirm von dessen Rändern kleine Sterne aus Stoff hingen und ihr Haar war halbseitig nach hinten geflochten. Sie sah bezaubernd aus.

Erst als ihr Gesichtsausdruck immer verlegener wurde, bemerkte Vanitas wie sehr er sie angestarrt haben musste.

„Du… Du siehst sehr schön aus!“

Brachte er heute eigentlich gar keinen geraden Satz zustande?

Jeannes Mimik erhellte sich zu einem Strahlen.

„Findest du?! Ich habe meine Garderobe diesmal ganz ohne Hilfe von Mademoiselle Dominique selbst ausgewählt!“

Mit diesen Worten drehte sie sich einmal im Kreis, als wollte sie ihm noch einmal jedes Detail ihres Aufzugs zeigen.

Ihre Begeisterung wärmte Vanitas‘ Herz. Für einen Moment waren alle Gedanken an Noé und seinen innerlichen Konflikt wie weggeblasen. Er ging einen Schritt auf sie zu und nahm ihre Hand.

„Gehen wir ein Stück?“

 

 

Schon als sie nach einer Weile an der Seine ankamen, hatte Jeanne bereits wieder einen Crêpe in der Hand. Es war ihr fast schon unangenehm wie sehr sie sich von den Ständen mit Essen ablenken ließ und Vanitas ging auch noch immer sofort darauf ein.

„Du musst mich wirklich nicht jedes Mal einladen, Vanitas. Ich weiß, dass ich viel zu viel esse…“ murmelte sie verlegen, während sie sie die letzten Bissen ihrer Mahlzeit aufaß.

Vanitas schenkte ihr aber nur ein breites Grinsen.

„Mach dir keine Gedanken, Jeanne. Ich will nur, dass du Spaß hast.“, sagte er während er ihr ein wenig Schlagsahne vom Mundwinkel wischte. Eine Handlung, die Jeanne sofort die Schamesröte ins Gesicht steigen ließ.

Nachdenklich beobachtete sie ihn für einen Moment.

Wann immer sie ein Treffen wie dieses hatten, wirkte Vanitas wieder relativ selbstsicher.

In der Öffentlichkeit gab er sich gerne als den perfekten Gentlemen, aber Jeanne wusste mittlerweile, dass er auf diese Weise versuchte die Kontrolle zu behalten, weil es sie nun einmal schnell verlegen machte, wenn er so war. Sobald sie allerdings diese Kontrolle in Frage stellte, konnte sie beobachten wie er nervös wurde und bis zu den Ohren rot anlief.

Und das war furchtbar süß. Sie wollte mehr davon sehen.

Während sie mit einer Hand ihren Sonnenschirm fester umschloss, griff sie mit der anderen, nun freien, Hand nach seiner und konnte erkennen wie er sie überrascht musterte.

„Vanitas… Willst du vielleicht…“, sie konnte selber kaum glauben was sie gleich sagen würde. „Willst du mich küssen?“

Wenn sie ehrlich war, dann wäre sie ihm bereits das ein oder andere Mal gerne einfach um den Hals gefallen, aber wenn er nicht an Frauen interessiert war die ihn liebten, würde sie ihn damit vielleicht verschrecken. Vanitas war wirklich ein komplizierter Mann, aber irgendwie mochte sie auch das an ihm.

Wie zu erwarten hatte sie ihn mit dieser Frage aus dem Konzept gebracht. Seine Wangen begannen zu glühen und betonten sogar noch mehr das stechende Blau seiner nun weit aufgerissenen Augen.

„Jeanne! Wir… wir sind hier in der Öffentlichkeit! Du… du solltest nicht…!“

 

„Wir können uns hinter dem Sonnenschirm verstecken.“, hauchte Jeanne ihm zu, während Vanitas plötzlich das Gefühl bekam von einem Raubtier angesehen zu werden. Was war los? Gerade war sie doch noch so verlegen gewesen!

Ein erbärmlicher kleiner Laut entfloh ihm, als Jeanne ihn plötzlich näher zu sich heranzog und seinen Lippen näher kam.

Zum zweiten Mal an diesem Tag schlug ihm das Herz bis zum Hals. Konnte man an so etwas eigentlich sterben? Und warum waren alle Vampire in seiner Umgebung plötzlich so versessen darauf ihn zu küssen??

Jeanne hielt mitten in der Bewegung inne, sah ihn aber aus halb geschlossenen Augen noch immer erwartungsvoll an. Immerhin schien sie ihm die Chance zu geben sich zu entscheiden.

Mit zitterndem Atem kam er ihr nun ebenfalls ein Stück entgegen. Genau wie zuvor bei Noé konnte er einen vertrauten Duft wahrnehmen, aber diesmal war er anders. Blumig und süß, dennoch genauso warm. Verdammt, wieso verglich er die beiden jetzt miteinander?!

Als ihre Lippen sich zaghaft berührten zog Jeanne den Schirm dichter an sie beide heran und Vanitas gestattete sich die Augen zu schließen.

Jeannes Lippen waren weich und warm, aber kleiner als seine eigenen, die Haut noch zarter als die von Noé. Jeanne war mutiger als dieser und strich bereits mit der Zungenspitze über die Lippen ihres Liebsten. Zögerlich vertiefte Vanitas den Kuss indem er eine Hand um ihre Taille schlang und die Vampirin näher zu sich zog. Es war so angenehm ihre weichen Kurven an sich zu spüren. Genauso angenehm wie Noés starke Brust, die –

 

Ruckartig zog er den Kopf zur Seite, löste somit den Kuss und ließ eine völlig verwirrte Jeanne vor sich stehen.

Was…? Was ging da nur in seinem Kopf vor? Wieso dachte er jetzt wieder an Noé? Mit Entsetzen in den Augen wanderte sein Blick nun wieder zu Jeanne, die ihn besorgt ansah.

„Alles in Ordnung? Habe ich etwas falsch gemacht?“, wollte sie wissen.

Ohne einen Ton herauszubringen öffnete und schloss er den Mund in verzweifelter Weise immer wieder. Was machte er sich hier eigentlich vor? Ihm hatte der Kuss mit Noé nicht missfallen, er hatte ihn sogar kurz erwidert, Wein hin oder her. Er hatte einen wohligen Schauer gespürt als Noé sein Haar berührt hatte. Er… Er hatte Jeanne betrogen…

Die Schuld füllte seinen Magen wie heißer Blei.

Sollte er ihr davon erzählen, um es loszuwerden? Aber dann würde sie ihn auf jeden Fall fallen lassen, oder? Dann würde sie endlich erkennen wie verdorben er eigentlich war.

Nein, er musste das ganz schnell vergessen und sich selbst und sie irgendwie ablenken, seine Gedanken ausschalten.

Er schluckte kurz, ehe er sein Gesicht zu einem frechen Grinsen verzog, den Kopf zur Seite neigte, während ein Teil seines Haares sein rechtes Auge verdeckte. Mit dem Zeigefinger zog er den Kragen seines Hemdes beiseite, um Jeannes Besitzmarkierung zu offenbaren.

„Mon lapin, möchtest du vielleicht ein bisschen Blut?“

Unwillkürlich färbten sich Jeannes Augen rot. Man konnte nie genau sagen wann ihr Blutdurst auftreten würde. Es war völlig unberechenbar. Aber wenn er sich ihr so anbot und den Duft seines Blutes vor ihre Nase hielt, wie hätte sie wiederstehen können?

„Du bist unfair…“, zischte sie leise und man konnte sehen wie unangenehm ihr das plötzliche Verlangen war.

Bemüht, ihre Augen wieder zu kontrollieren, nahm sie erneut seine Hand und sah sich um.

„Nicht hier.“

Kurze Zeit später fanden sie sich in einer Gasse wieder und der junge Arzt ließ sich bereitwillig von seiner hübschen Begleitung gegen die Wand drücken. Die schleifenförmige Krawatte hatte er bereits auf dem Weg gelöst, wie ein ungeduldiger Liebhaber.

„Mach schnell!“, keuchte er.

Als Jeanne ihn schließlich an den Schultern fasste und dieses Mal so sanft wie möglich ihre Zähne in die linke Seite seines Halses bohrte, konnte Vanitas innerhalb von Sekunden die Wirkung ihres Giftes spüren. Wie ein kleiner elektrischer Schlag durchfuhr ein Schauer seine Wirbelsäule und löste ein wohliges Kribbeln in seinem Unterleib aus. Leise stöhnend legte er den Kopf in den Nacken und versuchte sich ganz auf das Gefühl zu konzentrieren. Bloß nicht mehr denken…

 

 

Am Abend kehrte Vanitas allein ins Hotel zurück. Durch den Blutverlust war er noch immer leicht benebelt, aber fühlte sich leicht wie lange nicht mehr und trotzdem waren da diese boshaften kleinen Gedanken in seinem Hinterkopf.

Dass Noé schon sehen würde wem Vanitas gehörte.

Ihm war vollkommen bewusst, dass der Vampir die Wunde sofort riechen würde. Vielleicht wäre er sogar eifersüchtig, weil er nicht von dem Menschen trinken durfte. Einer von Vanitas‘ Mundwinkeln zuckte leicht nach oben. Wieso gefiel ihm dieser Gedanke irgendwie? War er etwa schon wieder auf Streit aus?

 

Die Tür knarrte leise als er das gemeinsame Zimmer betrat. Noé hängte gerade seinen Mantel auf. Offenbar war er selbst gerade von seiner Nachmittagsschicht im Café zurückgekehrt.

„Hallo.“

Ohne, dass Vanitas noch mehr sagen musste, schossen Noés Augen zur Tür.

„Vanitas! Bist du verletzt?!“

Der besorgte Tonfall in der Stimme des Vampirs schmeichelte dem jungen Menschen, aber er kam nicht umhin noch etwas zu sticheln.

„Nein, keine Sorge mein Rendezvous mit Jeanne war nur ein wenig leidenschaftlicher als sonst.“, säuselte er mit einem süffisanten Grinsen.

Es verfehlte seine Wirkung nicht. Noé sah ihn beinahe verletzt an. Geschah ihm recht! Das hatte er nun davon, dass er sich so in Vanitas‘ Kopf eingenistet hatte!

Noé schürzte die Lippen, um sich wieder zu fangen und wandte sich ab. Er kannte diesen Gesichtsausdruck. Vanitas versuchte ihn zu provozieren.

„Es freut mich, dass du Spaß hattest.“

Er klang verärgerter, als er wollte. Warum wurmte es ihn nur so sehr, dass Jüngere ihm seine Beziehung mit Jeanne so unter die Nase rieb? Das hatte er doch schon von Anfang an getan. Aber jetzt war es anders. Er konnte sehen, dass der Vampirdoktor echte Gefühle für die Hexe des Höllenfeuers entwickelt hatte und aus irgendeinem Grund verunsicherte es ihn. Was wenn er und Vanitas deswegen bald getrennte Wege gehen würden? Jeanne war nicht nur eine atemberaubende Frau, sondern auch eine starke Kämpferin und selbst er hatte bemerkt, dass sie immer weniger Zeit bei dem heranwachsenden Luca in Altus verbrachte und immer öfter hier in Paris war. Was wenn Vanitas ihn bald nicht mehr als seinen Schild brauchte? Am liebsten hätte Noé geschrien. Mit einem zerknirschten Blick wandte er sich ab.

„Tust du das, ja?“, erwiderte der Angehörige des Blauen Mondes.

Vanitas verschränkte die Arme. Die schlechte Stimmung im Raum war sofort wieder da. Sie knisterte förmlich in der Luft. Vanitas wollte sich streiten. Aber warum nur? Vielleicht weil er wollte, dass Noé endlich sagte was er dachte? Dass er seine Gefühle rausließ und endlich ehrlich zu ihm war. Vanitas hasste falsche Nettigkeiten und betretenes Schweigen Es musste doch noch einen besseren Grund für den plötzlichen Kuss auf dem Dach geben als ‚Weil ich es wollte.‘.

„Bist du etwa eifersüchtig, weil du nichts von meinem Blut haben kannst? Das ist ja süß. Vielleicht sollte ich dich doch ein wenig von meiner Kleidung lecken lassen, wenn du lieb ‚bitte‘ sagst.“

Vanitas Stimme triefte vor Ironie. Was er genau damit erreichen wollte, wusste er nicht, aber er rechnete bereits damit gleich eine verpasst zu bekommen. Dann würde Noé vielleicht wenigstens etwas von seinen Gefühlen zeigen. Dann hätte er vielleicht wenigsten ein bisschen seinen guten Freund zurück.

Wütend knirschte Noé mit den Zähnen. Diese immer gleiche Masche von Vanitas machte ihn wahnsinnig. Am liebsten hätte er ihm wirklich eine Ohrfeige gegeben, aber damit würde er ihn nur in seinen Provokationen bestätigen. Nein, er kannte ihn besser und würde nicht darauf reagieren wie alle anderen.

„WIESO HÄLST DU NICHT EINMAL DIE KLAPPE?!“, fuhr Noé den Menschen vor sich an. „Keine Sorge, wenn ich Blut brauche, bekomme ich das sehr leicht woanders!“

Dann drehte er sich um und begann seine Tasche zusammenzupacken. Er hatte nicht wirklich vor zu gehen, aber die wütenden und gleichzeitig geschäftigen Bewegungen halfen ihm sich ein wenig abzureagieren.

Stille trat ein. Vanitas sah zu Boden und sein Haar verdeckte jeglichen Blick auf seine Mimik. Hatte er Noé jetzt endgültig vergrault? So musste es sein. Aber vielleicht war es besser so? Dann war er vielleicht wenigstens nicht mehr so verwirrt? Er verstand das Verhalten des Archivisten einfach nicht mehr. Er wollte doch nur ihre alte Beziehung zueinander zurück. Einmal stritten sie sich, einmal küssten sie sich. Vanitas liebte Jeanne, aber der Gedanke, dass Noé jetzt gehen könnte…

„Hey, Noé…“

Die plötzlich brüchig und leiser gewordene Stimme Vanitas‘ lies Noé in seinen Bewegungen innehalten und aufhorchen.

„Kannst du mich eigentlich immer noch nicht leiden?“

Verwirrt hob Noé den Kopf und sah zu Vanitas herüber, dessen Blick noch immer auf den Boden geheftet war. Es dauerte einen Moment, bis es klick machte. Noé hatte Vanitas bei ihrer ersten Begegnung gesagt er könne ihn nicht leiden und als er herausfand, dass Vanitas alles ablehnte was darauf hindeutete, dass er liebenswert war, hatte er es auf ironische Weise noch einmal wiederholt; aber das schien Vanitas nicht verstanden zu haben. Er stellte diese Frage, weil er die Antwort wirklich nicht kannte, oder? Hatte er etwa ebenfalls Sorge ihn zu verlieren?

Noé seufzte einmal tief. Auch wenn Vanitas ihn ständig zur Weißglut brachte, konnte er nie wirklich lange auf ihn böse sein. Es war zu offensichtlich wie unsicher der junge schwarzhaarige Mann eigentlich war.

Langsam ging Noé ein Stück auf seinen Mitbewohner zu.

„Das habe ich doch nur gesagt, weil du mich so genervt hast.“

Vanitas sah auf und traf auf ein sanftes Lächeln Noés. Genauso sanft wie seine Stimme eben gewesen war. Und es lies Vanitas schaudern. Was sollte er nur tun? Dieser Kuss hatte irgendetwas in ihm ausgelöst. Er empfand doch nicht etwa etwas für den weißhaarigen Vampir? Das ging nicht!

„Was ist los, Vanitas?“, fragte Noé erneut mit dieser Sanftheit in der Stimme, die Vanitas schaudern lies. „Warum willst du dich unbedingt mit mir streiten?“

Wieder fühlte sich Vanitas als hätte ihm jemand heißen Blei in den Magen gegossen. Ihm wurde schlecht. Da war einerseits plötzlich dieses Verlangen Noé zu umarmen und sich einfach nur zu versöhnen; sich an ihn zu schmiegen wie ein verliebtes kleines Mädchen, aber andererseits blitzte immer wieder Jeannes Gesicht vor seinem inneren Auge auf, die er am liebsten hatte nicht nach Altus zurückkehren lassen.

„Es ist nichts…“, murmelte er. „Tut mir leid. Ich muss wohl nur nochmal an die frische Luft.“

Noés Gesichtsausdruck wurde besorgt. Vanitas entschuldigte sich normalerweise nie für irgendetwas.

„Soll ich dich begleiten?“

Vanitas schüttelte vehement den Kopf.

„Nein, ich bin gleich wieder da.“

 

Mit diesen Worten verließ Vanitas das Hotel wieder. Mittlerweile war es stockdunkel und kaum jemand war noch auf der Straße zu sehen. Genau das brauchte er jetzt. Abstand. Alleinsein. Und frische Luft. Er musste jetzt den Kopf freibekommen.

Schweren Schrittes spazierte der Angehörige des blauen Mondes durch die kleinen Seitengassen in der Nähe des Hotels. 

Wie war das alles möglich? Konnte man zur gleichen Zeit in zwei Personen verliebt sein? Nein, oder? Aber was, wenn doch? Musste er dann eine Entscheidung treffen? Aber er wusste ja nicht einmal was genau in Noé vorging und auch er selbst hatte Geheimnisse vor ihm. Dass Jeanne unter diesem unbegreiflichen Blutdurst litt war etwas, dass er nicht einmal Noé anvertrauen konnte und Jeanne gegenüber verschwieg er den Kuss mit Noé.

 

Wenn er die Karten offen legen würde… Würde er dann schlussendlich beide verlieren?

 

Vanitas war so durcheinander, dass er kaum noch auf den Weg achtete. Wo war er eigentlich? Gerade als er sich orientieren wollte, spürte er einen harten Schlag am Hinterkopf. Unter heftigen Schmerzen sank er zu Boden, die Sicht verschwimmend. Verdammt! Er war zu unvorsichtig gewesen.

Völlig benommen konnte er nur noch leises Stimmengewirr vernehmen und wie jemand an seinen Fußknöcheln zog, ehe alles schwarz wurde.



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