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Black Hole Sun

von

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[ Learning to fly ]

31. Mai 2023, Frankfurter Flughafen
 

Der Koffer fällt schwerfällig auf das Laufband und rollt einen Meter, bevor er neben der hübschen, braunhaarigen Angestellten anhält. Ihr Lächeln ist geschäftsbedingt professionell, ein Hauch ehrliche Freude schwingt aber mit. Ich kenne sie allmählich, mein Mentor Professor Steinbeck und ich fliegen in letzter Zeit ziemlich oft, ich sehe sie nicht zum ersten Mal an den Check-In-Schaltern. Ein Blick auf ihr Namensschild gibt sie als M. Bender aus. Sie registriert meinen Blick und errötet etwas. "Keine Angst, ich habe nicht auf Ihren Busen gestarrt, Frau Bender.." Sie verengt die Augen und widmet sich wieder der Durchleutung meines Koffers. Meine etwas direkte Art stösst eben nicht überall auf Gegenliebe. "Sie reisen nach Moskau Herr.. Richter?" fragt sie kühl. Wo ich doch am richtigen Schalter stehe. Intelligentes Mädchen. Höflich nicke ich und schenke ihr ein charmantes Lächeln, das sie wieder versöhnt. "Ihr Begleiter ist diesmal nicht dabei?" Überrascht ziehe ich eine Augenbraue in Richtung Haaransatz. Ein Blick über die Schulter sagt mir, dass der Professor wirklich nicht da ist, sein Koffer steht wie verloren schräg hinter mir, aber von ihm selbst keine Spur. Stattdessen glubbscht mich eine ziemlich beleibte Dame an, die ungeduldig darauf wartet, ihre Berge an Koffern am Schalter abgeben zu können. Sieht nach einem deftigen Zuschlag für's Gepäck aus. Soll nicht meine Sorge sein, aber irgendwie gönn' ich es ihr, trifft ja keinen Armen, wie's scheint.

Innerlich wie äusserlich seufze ich resignierend. Professor Steinbeck ist ein reisefreudiger Mann, ich bin schon oft mit ihm unterwegs gewesen. Als ein enger Freund meines Vaters hat er sich zu meinem persönlichen Mentor erklärt und dank seiner häufigen Geschäftsreisen habe ich schon recht viel von der Welt gesehen. Manche Sachen hätte ich auch lieber nicht gesehen, aber das ist ein anderes Thema. Wie gesagt, wir reisen oft. So gern der Professor aber reist, desto entnervender sind für ihn die langen Wartezeiten am Flughafen. Ich kann ihn durchaus verstehen. Inmitten von lärmenden, murmelnden, kichernden, kramenden, mit kritischem Blick zehnmal auf ihre Flugdaten glotzenden und mit dem Display vergleichenden, zappeligen, nörgelnden Egons und Hildegards, die sich verhalten, als ob sie das erste Mal ein Flugzeug betreten würden (was zugegeben durchaus der Fall sein könnte) – umgeben von einer Dunstglocke aus Erwartung, Nervosität und kleinbürgerlichem Spießertum. Ich fühle mich hier sauwohl. Wenn man sich in Sarkasmus retten kann, wird plötzlich alles ein bisschen lustiger. Ich grinse M. Bender an und hieve die Koffer auf das Förderband.
 

Ich mache mich mit dem Ticket in der Hand auf die Suche nach einem grossen, silbergrauhaarigen Mann. Er sieht aus wie eine Mischung aus Sean Connery und Sky Dumont. Nur nicht so smart. Und überhaupt – nicht annähernd so gentlemanlike. Genau genommen sind meine Vergleiche auch schon mal besser gewesen. Im Flughafen-Café "Terminal 8½" sitzt der Ausreisser gemütlich bei einer Tasse Kaffee und grinst mir entgegen. Auf dem Tisch neben ihm steht Schwarztee. Wenn der Professor eines ist, dann wenigstens zuvorkommend. "Oh.. vielen Dank!" sage ich und lasse mich auf den polierten Holzstuhl fallen. Schwarztee. Wirklich gut. "Ich habe gerade eine Mail bekommen.. Sladis meinte, wir sollten so schnell wie möglich kommen und in Moskau nicht auf die Bahn warten. Er holt uns direkt vom Flughafen ab." Ich nicke und nippe an dem heissen Engländergebräu. Soll mir recht sein. Sladis Worycek. Ehemaliger Kommilitone von Steinbeck ist Grund für die Reise nach Moskau. Vor einigen Tagen hatte er seinen alten Freund zu seinem sechzigsten Geburtstag eingeladen, unter anderem wollte er uns auch in seine neusten Forschungen einweihen. Deshalb bin ich mitgekommen. Logisch. So gute Freunde sind wir nun auch nicht, dass ich zu jedem seiner Kaffeekränzchen mitkomme – ich hab hier was zu lernen.
 

Die gespritzte Zitrone in meinem Tee schwimmt im Kreis herum und färbt den dunkelbraunen Tee honigfarben. Jedenfalls hoffe ich, dass es kein Kaffeekränzchen werden wird. Oder so ne steife Stehparty; alles Professoren und Doktoren, die den ganzen Abend mit ausschweifender Fachsimpelei verbringen und sich gegenseitig die Fremdwörter um die Ohren schlagen oder ihre ach so wichtigen Forschungsprojekte in den Himmel loben, um sich gegenseitig zu übertrumpfen. Dazwischen werde ich mir vorkommen wie ein Dorftrottel. Möglich. Aber hey, immerhin. Es gibt dort Wodka in Strömen, was will man mehr. Und Zuhause wäre sowieso grade nichts los gewesen. Angie, meine Freundin, ist schon vor ein paar Tagen zu ihrer Internetbekannten nach München gefahren und wird vor einer Woche nicht wieder zurück sein. Und mein bester Freund Martin ist seinen Semesterferien zuvorgekommen und mit seiner (aktuellen) Flamme Claudia nach Ibiza verschwunden. Ach ja, Ibiza. Da wär ich jetzt auch gern. Wer nicht. Clubs, Parties, tanzende Frauen, Cocktails, heiße Sonne, Strand, nackte Körper.. und ich sitze hier mit einer Aussicht auf eine Woche Arscheskälte und vielleicht ab und zu einen guten Wodka. Nasdrowje.

Nein, ich bin kein Alkoholiker, aber ich verachte ihn auch nicht, wie etwa diese selbsternannten Gesundheitsapostel. Zu einer richtigen Party gehört nun mal Alkohol und der Kater am Morgen danach hat bei mir durchaus seine Daseinsberechtigung, wenn ich an den Spass der letzten Nacht denke. Ja, Studenten können noch sehr viel Spass haben, das sagte auch immer mein Vater. Wenn ich ihn heute ansehe, kommt mir der Spruch wie ein Witz vor. Um es kurz zu beschreiben, mein Vater ist, grob gesagt, das fleischgewordene Ebenbild eines Michelinmanns. Kahlköpfig, hoffnungslos übergewichtig und nicht gerade sehr bewegungsfreudig. Dazu dicke Brillen (dass erinnert mich immer an ein hoffnungslos überfüttertes Waschbärchen), den Schnauzer und Gemüt eines phlegmatischen Walrosses. Dafür grinst er fast immer. Könnte ihn fast wieder sympathisch machen.

Ich frage mich oft, wie er als Student gewesen sein mag. Vor meinem inneren Auge formt sich jedes Mal ein kleines, kugelrundes, bebrilltes Etwas, dass den ganzen Tag hinter Büchern sitzt und sich selbst für einen typisch perversen Studenten hält, weil er sich einmal im Monat einen runterholt. Mein Vater hatte schon immer seltsame Vorstellungen von Spaß.

Nicht, dass ich meinen Vater etwa nicht mag. Immerhin habe ich ihm viel zu verdanken. Das Studium (Biochemie und Garutristik), das Sponsoring meiner Loft-Wohnung, einen sichergestellten zukünftigen Arbeitsplatz und ein hübsches Sportcoupé zum Auszug. Aber darüber hinaus habe ich in menschlicher Hinsicht nicht viel zu erwarten, auf Gefühlsebene ist er nicht gerade eine Kanone. Ein grinsende Kanone vielleicht, aber das macht es nicht besser. Für zwischenmenschliche familiäre Beziehungen ist meine Mutter da. Mehr, als ich eigentlich für gut befinde. Aber so ist sie eben: eine liebende, aufgeweckte Person, überaus herzlich und früher muss sie mal wunderschön ausgesehen haben. Ich frage mich immer wieder, wie mein Vater damals zu ihr gekommen ist. Mir meinen Vater als feschen Jungesellen vorzustellen, übersteigt meine geistigen Kompetenzen im Phantasiesektor meines Hirns. Ich habe zwar schon das ein oder andere Bild meines Vaters in jüngeren Jahren gesehen, aber selbst für die Zeit damals auffallend nerdy. Wie gesagt ein Rätsel.

Dagegen ist meine Mum ein echtes Goldstück. Dass sie meint, sie müsste ihrem 23jährigen Sohn noch die Socken bügeln, stört mich nicht allzusehr. Auch ihr habe ich viel zu verdanken. Mein Aussehen zum Beispiel. Ich müsste wirklich lügen, wenn ich sagen würde, ich fände mich selbst nicht attraktiv. Der beste Beweis ist Angie. Als angehendes Top-Model hat sie schon einige Ansprüche, was das äusserliche Erscheinungsbild ihres Vorzeigepartners betrifft.

Richtig richtig. Vorzeigepartner. Kein Problem. Ich gebe offen zu, dass es nichts mit Liebe oder dergleichen zu tun hat, dass wir zusammenleben. Es ist ein kleines Tauschgeschäft, sie lernt durch meine Verbindungen und die meines Vaters einflussreiche Leute kennen, die ihre Karriere pushen und ich erfreue mich ihrer wahnsinnigen Schönheit, die sie oft genug auf diversen Parties zur Schau stellt. Nun gut, zugegeben, auf sexueller Basis sind wir auch nicht gerade abgeneigt voneinander. Quasi Fuckbuddies mit einem zusätzlichen Plus an Sympathie, die auf beiden Seiten mitschwingt. Darüber hinaus sind wir beide wohl ein bisschen beziehungsunfähig. So richtig.. mit Händchenhalten, Heiratspläne schmieden, schmachtenden Blicken, Beziehungsstress mit Eifersucht und dem ganzen Kram – damit kann man mich jagen. Zudem hat sie mir manchmal etwas zu modeabhängig. Macht jeden Trend mit und wenn er noch so bescheuert aussieht. Ich denke da nur an diese grässliche Achtziger-Bewegung, die mit diesen grässlichen Frisuren ein aktuelles Revival erlebt. Wenigstens verzichtet sie auf grobe Schnitzer in meinem ästhetischen Empfinden, wenn wir zusammen unterwegs sind. Meine Einmischung in ihren Modetick besteht ansonsten lediglich darin, sie zu informieren, welches Kleidungsstück sich am Unpraktischsten mit einer Hand öffnen lässt.
 

"Wann ist unser Boarding?" Flüchtig sehe ich auf unsere Tickets und nippe an dem Tee. "40 Minuten ungefähr." Der Professor nickt und greift in die Tasche. Obwohl ich für technisches Gerümpel nicht allzuviel übrig habe, beneide ich meinen Mentor um dieses Teil. Ein Apple iScope, etwa DinA5 gross, bestehend aus einem LCD-Monitor und Empfänger. Leider sündhaft teuer, weil es fast nichts gibt, was dieses Ding nicht kann. Ausserdem relativ neu auf dem Markt. Ich werde mal meinen Vater darauf aufmerksam machen müssen, denn selbst ich kann mir dieses Hosentaschenteil, das ein hochleistungsfähiges Laptop zur Gänze ersetzt, nicht leisten.

"Dot – Einschalten." murmelt Prof. Steinbeck und der Bildschirm fängt lautlos an zu blinken. Fast sofort erscheint das Startlogo und der kleine Computer ist einsatzbereit. "Dot - eMails abrufen." Es blinkt abermals und der virtuelle Postkasten füllt sich mit Viagra-Werbung, Penisverlängerungen und sonstigem Spam und einigen wichtigen Mails. Per Makro sortiert das Programm die Post automatisch und teilt uns eine Sekunden später mit, dass 24 potentiell unerwünschte eMails dorthin verschoben wurden, wo kein Bit mehr wächst. Zurück bleiben zwei einsame Briefumschläge. "Dot – öffnen, Mail eins." nuschelt der Professor zwischen zwei Schlucken Kaffee.

Immer wieder faszinierend. Während die Mails von Steinbeck durchgelesen werden, nuschelt dieser schon die Antwort, die sofort per Spracheingabe eingefügt wird. Und gleich kommt die Reaktion darauf zurück. Ziemlich flotter Briefwechsel, fast schon ein Telefongespräch. Mit dem Unterschied, dass der Text sehr viel schneller und störungsfreier beim Empfänger ankommt. Ein bisschen vielleicht wie'n Chat.
 

Fachgefasel. Das geht mich nichts an, also widme ich meine ebenso ungeteilte wie wertvolle Aufmerksamkeit der Zitrone im Tee, die stetig immer wieder nach oben steigt, so oft sie von meinem Löffel niedergedrückt wird. Faszinierend. Lässt sich nicht unterkriegen. Das Phänomen der Zitrone im Tee. Womöglich eine Metapher für den Arbeitsmarkt in Senegal. Vielleicht schreibe ich einmal meine Doktorarbeit darüber. Hat jetzt sicherlich wenig mit meinen Studienfächern zu tun, aber..

Neben mir flucht der Professor und ärgert sich gleich darauf noch heftiger, weil der Fluch mitaufgezeichnet ("Ja Sack Zement!" Dieser Sladis wird sich eventuell wundern..) im Äther verschwindet. "Dot – Auschalten." grollt er grimmig und packt das iScope energisch wieder in die Tasche, die nichts dafür kann und deshalb etwas beleidigt schmollt.

"Es gibt Ärger bei Sladis. Wir sollen hierbleiben, er hat Probleme mit seinem Projekt." Was?... Hierbleiben. Ach. Ach? Welch Enttäuschung(?).

Ich weiss nicht, ob ich mich jetzt ärgern oder freuen soll über diese Nachricht. Einerseits sind die Koffer schon im Flugzeug, andererseits wäre ich froh, das Grauen der Stehparty nicht ertragen zu müssen. "Und jetzt? Ab nach Hause..?" murmle ich etwas müde, immerhin ist es schon 20.34 Uhr. Zeit für ein paar gemütliche Stunden vor dem Fernseher. Vielleicht sind wir bis elf wieder Zuhause. Vielleicht läuft ja heute abend irgendwo ein Porno?

"Nix nach Hause! Natürlich fliegen wir, das ist gar keine Frage. Wir werden ihm schon nicht zu sehr auf die Nerven fallen! Außerdem.. egal." Seufzend zucke ich mit den Schultern. Auch recht. Erstaunlich, wie willenlos so ein Schwarztee machen kann. Solange er mich austrinken lässt, können wir von mir aus auch einen Abstecher in die Sahara machen. Will er aber nicht. Moskau ist das Ziel. Wodka, ich komme.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2004-12-04T11:27:50+00:00 04.12.2004 12:27
hihi die geschichte scheint lustig :) ich les gern weiter ^^ naja ich hab doch gesagt, am wochenende wird gelesen *g* bis dann! immer weiter!
Von: abgemeldet
2004-11-15T16:58:22+00:00 15.11.2004 17:58
Hey! XD
Die Geschichte gefällt mir total gut! *heftig nick*
Nyo, vorallem konnte ich mich dank deiner Story mal seit langem wieder für mein (unfreiwillig) gewähltes Russisch-Fach begeistern. *ieks* ^^" Nyo, jedenfalls ein bisschen.
Aber was red ich hier...
SCHREIB SCHNELL WEITER!!! ^-^
Die Erzählweise von dem Klement ist echt genial, ich musst mich sogar in irgendwelchen kritischen Situationen kaputt lachen. Eine Frage hab ich da mal aba an dich, das mit dem "God shave the queen" XDD hast du das mit Absicht falsch geschrieben? Ansonsten war's ein genialer Fehler. *g*
Also, um noch mal auf den Punkt zu kommen:
mir gefällt deine FF super gut, schreib ja daran weiter.^^
SCHNELL!!! (*will mehr über juno wissen*)

Ciao Rikku!


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