Warum du?
In Gedenken an M., der am 12.08.2004 durch einen Autounfall ums Leben kam.
Er hatte keine Schuld.
* * *
Warum?
Warum passiert das mit mir?
Gerade jetzt?
Warum kann mir keiner diese Frage beantworten?
Was hab ich falsch gemacht?
Ich wollte nur zu dir, dich besuchen, vielleicht länger bleiben.
Weil ich dich so liebe, darum wollte ich dich sehen.
Und weil du mich liebst.
Nur zu dir fahren, wollte ich.
Nicht einmal mehr zu der Studentenfeier bin ich gegangen.
Weshalb auch?
Alkohol am Steuer ist nicht gut und ich will dich doch sehen.
Darum habe ich nichts getrunken und bin allein gefahren.
Zu dir gefahren.
Nichts war auf den Straßen los.
Dafür war die Vorfreude um so größer, bald würde ich dich sehen.
Nur noch eine halbe Stunde.
Hätte ich gewusst, das diese halbe Stunde niemals vergehen würde, ich wäre niemals losgefahren.
Aber zu spät hab ich es gesehen.
Das Licht, das Auto, schnell, viel zu schnell.....
Es kam um die Kurve, ich konnte nur nach der Bremse suchen.....viel zu langsam reagieren.
Es hat mich genau erwischt, zu Boden geschleudert.
Mein Motorrad in die Leitpranke gedrückt.
Ich konnte sehen, wie es mit mir in das Metall krachte.
Wie in Zeitlupe.
Auch der Schmerz kam langsam und doch viel zu schnell.
Alles schmerzt, immer mehr.
Das Auto ist zum stehen gekommen, aber ich sehe es nicht.
Das Motorrad nimmt mir die Sicht, liegt auf mir und zerdrückt meinen Brustkorb.
Atmen fällt so schwer......mein Körper fühlt sich taub an.
Doch die Sirenen kann ich hören, Polizei, Krankenwagen....ich weiss es nicht.
Aber ich hör sie.
Holen mich hier raus, bringen mich zu dir...oder?
Sie holen mich wirklich, Sanitäter heben mich heraus, nehmen endlich diese Last von meinem Körper.
Aber ich spüre sie kaum noch, alles ist so taub, so kalt.
Ihre Stimmen sind so weit entfernt, aber hören kann ich sie.
Ihre Worten hallen in meinen Ohren.
Jemand sagt, das der Fahrer des Autos betrunken war.
Zufiel getrunken hatte, ihm aber nichts passiert ist.
Was sie über mich sagen, verstehe ich nicht.
Alles wird verschwommener und der Schmerz lässt nach.
Infusion?
Oder was passiert hier?
Bringen sie mich bald zu dir?
Ich will dich sehen, Kai.
Ich wollte doch zu dir.
Wir wollten essen gehen und ich hab versprochen, das ich komme.
Ich hab extra nichts getrunken, war nicht auf der Feier.
Hörst du, Kai?
Ich hab nichts falsch gemacht, der andere war betrunken, ich nicht.
Ich hab auf dich gehört, hab nichts falsch gemacht.
Trotzdem liege ich hier.
Warum?
Ich will wissen, warum.
Ich will doch nur zu dir.....
Es wird dunkel, verdammt dunkel, ich habe Angst.
Die Stimmen werden auch leiser und mein Kopf träge.
Das Atmen tut weh.
Was passiert jetzt?
Schlafe ich ein?
Wache ich wieder auf?
Ich kann mich nicht wehren, die Dunkelheit zieht an mir vorbei, nimmt mich mit.
Aber ich habe doch gar nichts falsch gemacht.....ich wollte doch nur dich sehen.....
* * *
Warum?
Immer wieder stelle ich mir diese Frage.
Ein Wort, fünf Buchstaben und keine Antwort.
Es ist doch so simple, aber niemand kann mir darauf etwas sagen.
Vielleicht ist es zu einfach, vielleicht die Worte zum greifen nahe.
Aber ich nicht gut genug, sie zu greifen.
Warum....ja, warum eigentlich?
Es war doch alles so normal.
Nichts, was mir gesagt hätte, das es so kommen würde.
Du wolltest nur nach Hause, nur zu mir.
Mich besuchen, über das Wochenende bleiben, oder auch länger.
Wie sehr ich mich gefreut habe, mich auf dich gefreut.
Doch alles, was hier ankam ist ein Warum.
Die Frage nach dem Grund.
Du wirst niemals hier ankommen, das ist mir inzwischen klar.
Jetzt ist es mir klar, Stunden nachdem es passiert ist.
Und keiner kann mir sagen, weshalb du nicht mehr kommen kannst, weshalb gerade du.
Noch heute morgen, dein Anruf, deine Stimme.
Du hast dich gefreut, mir versprochen, so schnell es geht ab zu fahren.
Du hast auch von der Studentenfete erzählt.
Hast gesagt, das du nicht hingehst und nichts trinkst.
Nein, du hast sicher nichts getrunken, das hast du versprochen.
Du hältst immer, was du versprichst, Ray.
Die Polizei sagte, du warst nicht schuld.
Sie haben hier angerufen, das ist jetzt Stunden her.
Aber mein Zeitgefühl habe ich verloren.
Zeit, vielleicht wärst du hier.
Vielleicht, wenn du mir nicht versprochen hättest, gleich los zu fahren.
Eine Minute, eine verdammte Minute.
Nein, du hattest keine Schuld, aber trotzdem musst du nun dafür gerade stehen.
Dabei wolltest du nur mich sehen.
Der Autofahrer hat überlebt, hat nur die Last deines Todes.
Aber dich hat es herausgerissen, dich fortgebracht von hier....von mir.
Weg, für immer, unwiderruflich.
Fort.
Warum du und nicht er?
Warum kann es nicht ungeschehen sein?
Eine Minute, zwei Sekunden, es wäre nicht passiert.
Aber es ist passiert und keiner sagt mir, warum.
Keiner antwortet auf diese kleine Frage.
Auch du nicht.
Und ich finde keine Antwort...ich kenne nichts zu erwidern.
Alles was bleibt, ein leerer Platz.
Stille hier, Stille in mir.
Ich hallte deine Jacke im Arm, du hast sie getragen, als es passierte.
Aber du bist nicht da.
Dein Bild auf meinem Nachttisch, dein Kopfkissen auf meinem Bett.
Ray, alles ist da.
Auch deine Hausschuhe stehen vor der Tür.
Komm doch heim....bitte.
Aber du kommst nicht, nie mehr.
Die Tür wird sich für dich nicht mehr öffnen.
Keiner wird die Jacke in meinem Arm mehr tragen.
Eine Erinnerung die verblasst wirst du werden.
Ich hab dich verloren, werde dich noch mehr verlieren.
Nichts bringt dich zurück.
Allein eine Frage ist mir geblieben.
Warum Ray?
* * *
