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The Gravity of Life

Yami x Yugi?
von

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Duell: Zug um Zug im Zug

Und hier ist es, das vorletzte Kapitel.

Ich hatte vor gefühlt 3000 Jahren zwei Personen auf Nachfragen mal geheimnisvoll geantwortet, dass der Schluss von TGoL in einem Zug stattfindet. Das müsste so im Jahr 2008 oder 2009 gewesen sein?

Liebe Wosi (Keru_), liebe Dreamy (Dreamdanzer), ich weiß, dass ich inzwischen viel zu spät bin und ihr ein komplett anderes Leben und andere Interessen habt. Vielleicht werdet ihr das hier nicht mehr lesen. Dennoch, falls ihr doch iiiirgendwann mal hier vorbeischaut – hier bekommt ihr die Auflösung was ich damals meinte ;-)

 

Vielen herzlichen Dank wieder an meine Beta-Leserin Nala, für deine tolle Arbeit, deine Anmerkungen und die große Mühe! Es war kein einfaches Kapitel ;) 
 


 

Duell: Zug um Zug im Zug
 

Ich stehe mit meinem großen Koffer und geschultertem Rucksack am Hauptbahnhof von Domino City. Hoffentlich hat der Zug nicht wieder Verspätung, bis zum Flughafen haben wir eine zweieinhalbstündige Fahrt vor uns. Großvater war so lieb und hat mich mit dem schweren Gepäck hierher gefahren. Dann war es soweit und ich habe mich ausgiebig von ihm für die nächsten vier Wochen verabschiedet. Natürlich bleiben wir in Kontakt und ich werde mich regelmäßig bei ihm melden.
 

Als der Zug einfährt, steige ich ganz hinten ein, so wie mit den Athem Geschwistern vereinbart. Ich laufe an ein paar Sitzreihen vorbei, dann erkenne ich schon Yamis Frisur von weitem. Er sitzt neben Mirai, beide haben Plätze entgegen der Fahrtrichtung eingenommen, so dass sie mich nicht direkt bemerken. Ich steuere auf sie zu und setze mich auf den freien Platz ihnen gegenüber.
 

„Hallo ihr beiden!“

Die Geschwister begrüßen mich erfreut. Yami schenkt mir ein warmes Lächeln.

Wie abgesprochen, sparen wir uns sicherheitshalber eine überschwängliche Umarmung, da wir mitten am Bahnhof in Domino sind. Als erstes stehe ich nochmal kurz auf und verstaue meinen schweren Koffer in einem seitlichen Gepäckfach. Yami und Mirai springen direkt auf, um mir zu helfen, doch da habe ich es schon geschafft.

Ich lasse mich direkt gegenüber von meinem Partner, der am Fenster sitzt, nieder. Man sieht ihm tatsächlich an, dass er nun in den Urlaubsmodus gewechselt ist. Er trägt ein grünes Poloshirt mit langen Armen und eine dunkelblaue Jeans. Sonst war er entweder mehr im Business Style gekleidet oder ich habe ihn in Sportkleidung gesehen. Selbst am Wochenende hatte er häufiger eher ein Hemd getragen. Ebenfalls trägt er heute mal wieder seine Brille.
 

Dann widme ich mich noch der Australien Shepherd Dame, die begonnen hat, unter dem Reisetisch, der zwischen uns verläuft, an meinen Händen und meiner Westentasche zu schnüffeln. „Ich habe leider kein Leckerli dabei, Mäuschen“, muss ich sie enttäuschen und kraule ihr den Hals.

Da der Zug gerade anfährt, wird sie etwas zurück geworfen und Yami hält sie schnell schützend fest.
 

„Jedes Ende ist ein neuer Anfang, huh?“, grinse ich ihm zu.

„Stimmt das denn nicht?“, gibt er belustigt zurück, während ich meinen Rucksack auf dem freien Platz neben mir abstelle.

„Doch, irgendwie schon. Ich wusste nur nicht, dass du so philosophische Sätze raushauen kannst. Davon abgesehen - ich bin so froh, dass wir gestern noch sprechen konnten. Ich hätte sonst gar nicht gewusst, ob ich heute überhaupt hierher hätte kommen sollen oder nicht…“

„Wieso solltest du nicht mehr mitreisen? Davon war nie die Rede. Außer du möchtest lieber wieder zurück zu dem Mädchen, das du da so eng umschlungen in den Armen gehalten hast…“, zieht er mich auf.

Meine Augenbrauen heben sich. „Sakura und ich? So nahe? Das ist doch völlig übertrieben. Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“

„Nein. Natürlich nicht.“

„Gut. Da hätte ich nämlich viel mehr Grund dazu als du. Ich hatte gestern Abend nur die Eine. Wenn man bedenkt, wer sich mit der halben weiblichen Belegschaft meiner Stufe vergnügt hat…“

„Übertreib mal nicht!“

„Doch, wer von uns hat denn gestern die Partnerin häufiger gewechselt als Socken innerhalb einer Woche?“
 

„Iiihh, Jungs! Hört auf gegenseitig eure schmutzige Wäsche zu waschen! Das klingt ja schon so, als hättet ihr eine offene Beziehung?“
 

Irritiert schaue ich zu Mirai und reiße die Augen auf.

Yami verzieht verächtlich das Gesicht und macht eine abweisende Geste mit der Hand.

„Tanzen, Mirai. Es geht um Tanzpartnerinnen. Und es waren nicht mal zehn!“, klärt er seine Schwester auf.

Mirai wirft überrascht ein: „Das wären mir schon mehr als zu viele!“ Sie presst ihre Lippen zusammen und scheint ein Lachen nur mühsam unterdrücken zu können.
 

Ich werde schnell wieder ernst, als mir mein Albtraum wieder in den Sinn kommt.

Meine Ängste, Yami zu verlieren, hatte ich nach dem berauschenden Tanz gestern bestmöglich aus meinem Bewusstsein verbannt. Wie ein Heliumballon, der einmal zu Boden gedrückt, von alleine wieder aufsteigt, kehren sie wieder zurück.
 

Zögerlich betrachte ich meinen Partner.

„Uhm… Mehr als Tanzen lief mit keiner, oder?“

„Yugi? Was denkst du von mir?“

„Nein, Yami! Ich vertraue dir. Ich… Mir ist da bloß ein Gerücht zu Ohren gekommen…“, versuche ich mich zu retten.

Empört atmet er aus. „Es war klar, dass sich diese Schülerinnen untereinander wichtig machen wollen. Jede erzählt rum, was sie angeblich mit mir getan hat. Da ist nichts dran, das verspreche ich dir.“ Trotz des ernsten Themas sieht sein beleidigter Gesichtsausdruck einfach niedlich aus.
 

Miras Mundwinkel zucken, dann setzt sie noch eins drauf: „Dabei sind die Zeiten, in denen ein Mann so viele Frauen hatte, längst vorbei. Wie ein Pharao und seine zehn Gemahlinnen!“

Was für ein Zufall, diesen Vergleich mit dem altägyptischen Herrscher hatte ich auch schon das ein oder andere Mal für ihn im Kopf.

„Dir fehlen noch Ankh, Krummstab und Geißel“, ergänze ich nun befreiter und muss mich vor Lachen nach vorne beugen.
 

Anmutig sitzt Yami da, verschränkt die Arme und schaut pikiert zur Decke.

„Ach, ihr habt euch doch gegen mich verschworen! Als ob ich mir das so ausgesucht hätte…“, murrt er los. „Ich muss sowieso mal wohin. Auf dem Rückweg brauche ich erstmal einen Kaffee, dann habe ich Ruhe vor euren unlustigen Witzen“, kündigt er an, steht auf und streckt sich etwas. Mirai rutscht zur Seite, um ihn vorbei zu lassen. Dann verschwindet Yami den Gang hinunter.
 

Mirai und ich grinsen uns amüsiert an.

„Wie schön, dass alles so gut geklappt hat und du uns begleitest, Yugi. Diese gemeinsame, intensive Zeit wird euch guttun.“

„Ja, ich hoffe es. Das hatten wir bisher noch nicht, so viel freie Zeit, die wir als Paar zusammen verbringen können, ohne uns verstellen zu müssen. Das wird eine kleine Probe für uns, wie gut wir wirklich zusammenpassen.“
 

„Hmm…. Bezweifelst du das denn?“, fragt sie mich und mustert mich aus ihren grünen Augen.

„Nein, im Grunde natürlich nicht. Ich habe es mir so lange so sehr gewünscht. Ich fühle mich in Yamis Gegenwart so wohl und glücklich. Wir sind wie zwei Puzzleteile, die genau zueinander passen. Fast schon zu perfekt…. Ich warte schon die ganze Zeit unterschwellig auf…“

„Auf was?“

Peinlich berührt sehe ich auf den Tisch und es fällt mir schwer, mit der Sprache heraus zu rücken. Ich stütze den rechten Ellenbogen auf die Tischplatte und lehne mich mit der rechten Wange in meine Handfläche.

„Auf einen Knall… auf den Moment, in dem die Seifenblase platzt. Ich kann gar nicht glauben, dass wir zusammen sind. Ich erwarte irgendwie ständig, dass ich wieder ohne ihn dastehe… Keine Ahnung, wieso. Yami gibt mir keinen Grund dazu, im Gegenteil. Er sagt und zeigt mir öfters, wie wichtig ihm unsere Beziehung ist. Das Problem ist in meinem Kopf, Mirai…“
 

„Ich verstehe“, gibt diese gefühlvoll von sich und legt ihre Hand auf meinen linken Unterarm, der auf dem Tisch zwischen uns ruht. „Es ist sicher belastend, eine geheime Beziehung zu führen, mit dem ständigen Druck im Nacken, man könnte gesehen werden und es könnte große Konsequenzen haben.“

„Ja, erstens das.... Und da sind noch diese zwei anderen Punkte…

Er hat einen Sohn, von dem ich nicht weiß, ob er eines Tages zum Hindernis für uns wird. Was, wenn er mal zu Mahad nach Ägypten ziehen muss oder möchte…?“
 

„Hmm“, gibt sie von sich und scheint kurz zu überlegen. „Ein wichtiger Gedanke. Tatsächlich gab es damals die Überlegung, wer von den beiden Eltern Mahad bei sich aufnimmt, als er noch ein Baby war. Und zuerst sah es eher danach aus, als ob Yami nach seinem Auslandsaufenthalt in den USA nach Ägypten zurückkehren würde, um seiner Vaterrolle nachzukommen. Dieses Mädchen, ich kenne sie kaum, war damals einfach noch zu jung und unreif, um eine gute Mutter zu sein. Dann hätte Yami nie sein Studium hier in Japan aufgenommen und auch ich wäre ihm nie gefolgt…. Wir hätten beide ganz andere Leben in Ägypten gehabt… Komische Vorstellung oder?“
 

„Ja und wie… Und Yami und ich wären uns nie begegnet…“, ein seltsames, flaues Gefühl überkommt mich. „Wieso kam es anders?“

„Es gab damals sehr viele Gespräche zwischen unserer und ihrer Familie. Ihre Eltern waren wohl letztendlich doch bereit, ihre Tochter und ihren Enkel zu unterstützen und zu betreuen. Yami arbeitet sehr hart daran, hier in Japan Lehrer zu werden. Nach Ägypten zu ziehen gehört nicht zu seinen Zukunftsplänen. Und Mahad hat es gut, so wie er aufwächst. Da gibt es derzeit keinen Grund, ihn da rauszuholen. Aber du hast Recht, niemand kann absehen, ob sich die Situation in einigen Jahren mal ändern wird…“

Ich nicke und seufze resigniert. Das ist leider nicht das Einzige, was meine Seele beunruhigt.
 

„Und dann ist da noch diese Sache mit seinem verstorbenen Ex-Freund… Sicher, er hat mir glaubhaft versichert, dass er das Thema verarbeitet hat. Dass er Yugi in mir sieht und seine Gefühle wirklich mir gelten. Aber Yami ist ja kein Roboter, keine Maschine. Er kann seine Vergangenheit nicht einfach auf Knopfdruck löschen. Sicher kommen Gedanken und Gefühle in manchen Situationen, die ihn vielleicht an damals erinnern, wieder hoch. Und er denkt an seinen Ex, während er mich ansieht, wenn ich ihm doch so ähnlich bin…“
 

„Hey, hey, Yugi. Nun hör aber auf, dich auch noch so hereinzusteigen. Ich glaube, Yami hat das schon genug getan.“

„Entschuldige, Mirai. Ich vertraue Yami und ich möchte diese Beziehung so gerne. Da sind nur all diese Gedanken, die mich zweifeln lassen, dass alles gut geht…Bin ich meinem Vorgänger wirklich so ähnlich?“
 

Sie seufzt und ändert ihre Sitzposition etwas.

„Ich kann verstehen, dass dich diese Sache sehr belastet. Wen würde es nicht stören, zu viele Details aus früheren Beziehungen vom Partner zu wissen...? Sicher habe ich einige Ähnlichkeiten bemerkt. Aber wenn du mich fragst… Ich denke eher, dass Yami da ein paar Geister zu viel gesehen hat… Natürlich, wenn man genau hinschaut, kann man auch eine ganze Menge Parallelen meiner verflossener Partner untereinander finden…Sehr viele haben Eigenschaften und vielleicht auch gewisse äußerliche Merkmale, die ich anziehend an Männern finde. Wenn ich ehrlich bin… habe ich auch zuletzt hauptsächlich Männer gedated, die Ähnlichkeiten mit Mamoru haben. Ich würde das aber nicht als schlimm oder verwerflich ansehen...“
 

Ich nicke ihr zu, als Zeichen, dass ich ihr weiter zuhöre.

„Ich denke, es ist wichtig, dass ihr euch gemeinsame, neue Erinnerungen schafft, Yugi. Yami war lange Zeit beziehungsunfähig nach diesem schlimmen Erlebnis…. Aber ich merke auch, dass er nun soweit ist, sich wieder auf eine neue Partnerschaft einzulassen. Du solltest dich davon nicht blockieren lassen. Ich bin froh, dass Yami das nun hinter sich gelassen hat, nun fange nicht du noch damit an, Yugi!“
 

„Ja, du hast ja Recht…“, murmele ich.

„Was deine Sorge betrifft…. Vielleicht mag ihn seine Vergangenheit jetzt ab und zu gedanklich noch einholen. Das wird er dir dann eher nicht mitteilen, wenn es so ist, um dich nicht zu verletzen. Du hast völlig recht, dass sich so etwas nicht plötzlich abstellt. Je mehr schöne Zeit ihr aber gemeinsam verbringt und je fester eure Beziehung wird, umso weiter rücken Yamis alte Erinnerungen in die Ferne. Ich bin mir sicher, es wird immer seltener vorkommen, je mehr Monate vergehen. Du wirst immer mehr Platz in seinem Kopf und in seinem Herzen einnehmen und das andere verdrängen. Nur ist das ein Prozess, der Zeit braucht. Dafür musst du Geduld haben, Yugi. Das wird schon, ihr seid ein sehr süßes Paar!“ Ermunternd sieht sie mich an.

Das hat sie wunderschön gesagt, es bewirkt direkt, dass sich ein angenehmes Gefühl in meinem Bauch verbreitet. Der Knoten, der sich in den letzten Minuten gezogen hatte, löst sich allmählich. Nur eine Frage bleibt mir noch:

„War sein Ex denn… auch mit Yami in Ägypten?“
 

„Nein, das war er nie.“

Völlig überrascht zucke ich zusammen, als ich Yamis Stimme direkt neben mir höre. Ich fühle mich so beschämt, als hätte er mich bei etwas Verbotenen erwischt.

In der Hand hält er eine Halterung aus Pappe mit drei weißen, dampfenden Bechern darin. Einen davon stellt er direkt auf dem Tisch vor mir ab. Mirai steht kurz auf, um ihn auf seinen Platz durchzulassen.
 

„Uhm, ich… fühle mich geehrt…“, nuschele ich kleinlaut.

„Sag Yami, hast du fertig geschmollt?“, wendet sich die einzige Frau unter uns an ihren Bruder, offenbar im Versuch, die Stimmung aufzulockern.

„Ja. Ich hoffe, ihr seid auch fertig damit, über mich zu reden.“

„Touché“, erwidert sie.
 

Wir genießen den heißen Kaffee, für die nächsten Minuten spricht keiner mehr. Ich betrachte Yami, wie er beim Trinken gedankenverloren aus dem Fenster sieht. Deutlich sehe ich ihm nun an, wie ausgezehrt und geschafft er ist. Auch Kacy liegt müde zu unseren Füßen unter dem Tisch und ruht sich aus.

Ich betrachte sein seitliches Profil. Die hohen Wangenknochen, das schön geformte Kinn und die markanten Augen.

Wie gerne würde ich mich jetzt neben ihn – oder auf seinen Schoß – setzen und mich an ihn kuscheln. Mich in seinen Armen halten lassen.

‚Wir sind ein süßes Paar‘ schwebt mir der Satz von gerade durch den Kopf.

Stattdessen sitzt Mirai neben ihm, die lächelnd auf ihr Handy blickt und schnell ein paar Wörter eintippt.
 

Da fällt mir wieder etwas ein, was ich noch mit den beiden besprechen möchte.
 

„Es gibt da etwas… was ich fragen wollte…“, beginne ich zögerlich. Ich habe etwas Angst vor Yamis Reaktion. Aber ich habe es mir wirklich gut überlegt und in den Kopf gesetzt. Und was da einmal drin ist, bekommt man nur schwer wieder raus.

„Ich würde… Nein, anders. An dem Tag, an dem du Mahad besuchen wirst -“, mein Gegenüber richtet sich in eine gerade und etwas steife Sitzposition, runzelt die Stirn. Sicher hätte er nicht damit gerechnet, dass ich seinen Sohn jetzt hier ansprechen würde.

„Wenn es für dich und seine Familie in Ordnung ist…. Ich würde gerne mitkommen. Ich möchte ihn kennen lernen. Ich mag Kinder.“

Yami schüttelt wie vorausgesehen energisch den Kopf, er nimmt das rechte Bein, das bisher über sein linkes Knie geschlagen war, herunter.

„Nein, Yugi, ich denke, das ist keine gute Idee. Es würde dich sicher verletzten. Besser, ich gehe alleine.“
 

„Ich habe da wirklich lange drüber nachgedacht. Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich möchte das tatsächlich gerne, um damit einfach noch besser klar zu kommen.“

„Aber ich nicht!“, zischt er. „Zumindest noch nicht diesen Sommer.“

Nun mischt sich auch Mirai ein: „Ich gebe meinem großen Bruder schrecklich ungern Recht… Aber diesmal hat er das leider, Yugi. Das ist noch zu früh für dich. Es wäre sicher ganz schön aufwühlend für dich. Dafür ist eure Beziehung einfach noch zu frisch.“

„Für mich wäre das in Ordnung, ich komme damit klar. Aber ich akzeptiere natürlich auch, wenn ihr das nicht möchtet. Ich möchte mich nicht aufzwingen“, gebe ich etwas enttäuscht zurück.
 

Yami presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Ums Aufzwingen geht es nicht, Yugi. Es wird für dich zu emotional werden. Außerdem werden in Ägypten gleichgeschlechtliche Beziehungen viel kritischer gesehen. Mahads Familie weiß das zwar schon über mich… Und sie sind alles andere als erfreut darüber… Aber wenn wir da tatsächlich als Paar zusammen auftauchen… Das ist nochmal was anderes und wird sicherlich auf Ablehnung stoßen…“, erklärt mir Yami.

„Hmm, das verstehe ich… Sieht er dir denn sehr ähnlich?“

Doch Yami scheint sich nun nicht weiter dazu äußern zu wollen und betrachtet lieber die Landschaft draußen durchs Fenster.

Um die unangenehme Stille zu beenden antwortet Mirai schließlich: „Nicht ganz so sehr, wie sich Mahads Mutter das wahrscheinlich erhofft hatte. Er sieht mehr aus wie sie. Wir haben natürlich damals einen Vaterschaftstest machen lassen, der war eindeutig. Wie dem auch sei Yugi, ihr solltet erst einmal eure Beziehung festigen. Du könntest vielleicht mitkommen, wenn wir das nächste Mal im Winter wieder da sind.“
 

Seufzend gebe ich auf und lehne mich nach hinten. Kurz starre ich ins Leere, dann öffne ich meinen Rucksack und ziehe mein goldenes Kästchen mit der Duel-Monsters Kartensammlung heraus. Ich habe zwei Stapel, den einen mit aussortierten Karten und mein Duell-Deck.
 

Da das Gespräch für mich erledigt ist und beide es nun offenbar vorziehen zu schweigen, sortiere ich halt mein Deck etwas um, damit ich auf der Fahrt etwas zu tun habe.

Nach einer Weile erkenne ich, wie Yami seinen Kopf leicht bewegt und mich offenbar interessiert aus den Augenwinkeln beobachtet.

„Oh du spielst das auch?“, Mirai beugt sich neugierig vor und hebt ein paar meiner Karten hoch, um diese zu betrachten. „Mir sagt das alles ja nicht viel, aber Yami liebt dieses Spiel!“

„Ja, ich weiß“, lächele ich schwach.
 

Dieser hatte den Kopf ein weiteres Stück wieder in meine Richtung gedreht. Zuckt aber beim letzten Satz seiner Schwester zurück und guckt wieder starr aus dem Fenster des Abteils.

Unbeirrt sortiere ich weiter Karten aus und füge andere in mein Deck.

„Die letzten zwei Jahre hat er aufgrund von Studium und Referendariat fast gar nicht gespielt, er ist wahrscheinlich inzwischen ziemlich aus der Übung. Aber davor war er wirklich unschlagbar auf diesem Gebiet! Er hat sogar früher in Ägypten Turniere darin gewonnen. Kannst du dir das vorstellen? Da gibt es tatsächlich richtig große Championships für so ein komisches Kartenspiel!“, gibt Mirai verwundert von sich. Immer noch keine Reaktion von ihm, er sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen und verschränkten Armen auf seinem Platz und hat einen lass-mich-bloß-in-Ruhe-Blick aufgesetzt. Mensch, kann der zickig sein!

Yami hatte mir noch nicht gesagt, dass er mal Profi-Turniere gespielt hatte.
 

„Ja es gibt tatsächlich große Championship Turniere und sogar Weltmeisterschaften“, lächele ich. „Ich habe auch schon an größeren, nationalen Turnieren teilgenommen“, gebe ich verlegen zu.

„Und was war deine beste Platzierung?“, fragt Mirai interessiert.

„Weil es mein Abschlussjahr ist, habe ich die letzten Monate auch nur ganz wenig unter Freunden gespielt. Aber ich bin vor wenigen Jahren mal nationaler Meister in Japan geworden…“, antworte ich verlegen. „Aber das ist schon etwas her. Ich mochte es gar nicht, so im Mittelpunkt zu stehen. Alle Augen auf mich gerichtet. Ich sollte Interviews und Autogramme geben… und sowas ist nicht meine Welt. Daher nehme ich nicht mehr an Turnieren und öffentlichen Kämpfen teil. Ich unterstütze da lieber meinen Kumpel Jonouchi, der spielt große Wettkämpfe.“

„Oh wow, dann sitze ich ja hier mit den ehemaligen nationalen Meistern von Japan und Ägypten!“, Mirai ist ganz begeistert.

Mir klappt die Kinnlade runter: „Yami war mal nationaler Meister in Ägypten?!“ Mit großen Augen starre ich ihn an. Das würde erklären, wieso er das Duell auf meiner Konsole so einfach auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad – und als Linkshänder auf eine umgekehrt eingestellte Steuerung – mühelos übernehmen konnte.
 

Jetzt scheint auch endlich Yamis Interesse geweckt. Er hat den Kopf nun komplett mir zugewendet und mustert mich teils kritisch, teils neugierig mit hochgezogener Augenbraue.

„Ja, das war ich tatsächlich mal“, antwortet er schließlich und rückt seine Brille zurecht. 

Dann beugt er sich runter zu seiner Reisetasche, öffnet mit einem lauten Ratschen den Reißverschluss und holt eine kleine Holzkiste heraus. Nachdem er den Deckel abgenommen hat, legt er nun ebenfalls einen Kartenstapel auf den Tisch zwischen uns.
 

„Du wolltest doch Mahad kennen lernen. Ich hätte da einen Vorschlag…“, beginnt er ruhig.

Nachdenklich betrachte ich erst die Spielkarten, dann ihn. In mir keimt schon eine unangenehme Ahnung auf, was als nächstes passiert.
 

„Ich fordere dich heraus, Yugi. Wenn du gewinnst, nehme ich dich mit zu Mahad. Vorausgesetzt, seine Mutter ist auch einverstanden und unsere Beziehung führt dort nicht zu einem Eklat. Da müsste ich vorher vorsichtig vorfühlen.“ Seine ablehnende Haltung scheint dem Ehrgeiz und seiner Leidenschaft zu Spielen gewichen.

„Uuuhm… Also…“ Ohje, duellieren ist so gar nicht das, was ich mir unter den gemeinsamen Urlaubsaktivitäten mit Yami vorgestellt hatte.

Er schiebt sein Deck über den Tisch herüber und schnappt sich meins, beginnt es zu mischen.
 

Aber ich möchte ihm auch zeigen, dass ich es ernst gemeint habe. Und wir haben noch etwas mehr als eine Stunde Fahrt vor uns, genug Zeit, die ich gerne mit meinem Partner sinnvoll nutzen möchte. Da wäre ein Spiel, welches wir beide gerne mögen, vielleicht doch keine schlechte Idee.
 

„Na gut“, stimme ich schließlich zu und hebe sein Deck vom Tisch. Zwei Karten fallen heraus auf meinen Schoß. Welche, die ich noch nie gesehen habe und wirklich fremd aussehen. Ich nehme sie in die Hand, um die Beschreibung zu lesen – und verstehe kein Wort. Sie enthalten die typische, geschwungene, arabische Schrift.
 

„Hey, das ist unfair!“, protestiert mein Duellpartner. „Ich habe mir dein Deck doch auch nicht genauer angesehen.“

„Ich kenne diese Karten leider nicht und ich kann das nicht lesen“, gebe ich zu. „Sie ist lila, also muss es eine Fallenkarte sein – und das andere ist offensichtlich ein Monster, aber die Beschreibung, wie man es beschwört und die Spezialfähigkeit…. Da könntest du mir erzählen, dass auf dem Mond Jahrmarkt sei und ich kann es nicht überprüfen…“

„Hmmm“, gibt er teilweise unzufrieden, andererseits überlegend von sich und fährt dann ernst fort: „Ich hoffe, du weißt, dass ich dich niemals anlügen würde-“
 

„Nein, natürlich nicht!“, rudere ich schnell zurück und lege sein Deck wieder auf den Tisch. „Es fühlt sich nur komisch an, wenn ich Punkteverlust hinnehmen müsste, ohne lesen zu können, was die Karte überhaupt kann. Aber natürlich glaube ich dir, Yami, wenn du es mir übersetzt.“
 

Er beugt sich vor und schnappt sich sein Deck zurück. Dann fächert er es vor sich auf und zupft einzelne Karten heraus.

Mirai betrachtet ihn neugierig: „Du hast doch einige arabische Karten. Kannst du da überhaupt drauf verzichten?“

Er zuckt die Schultern: „Es wird schon gehen.“

Schließlich hat er ganze achtzehn Karten herausgezogen und schiebt diese zu mir herüber. „Gibt es irgendwelche davon, die du erkennst?“

Ich blättere durch und kann tatsächlich elf Karten ausmachen, deren Bild und Aussehen mit der japanischen Version, die mir vertraut ist, übereinstimmt.

„Diese sind okay für mich, die kenne ich.“ Nickend sortiert er sich diese elf wieder zurück ins Deck, sortiert die anderen aus. „Ich habe auch englischsprachige Karten aus meinem Auslandsjahr in den Staaten.“ „Ja natürlich, die englische Version ist vollkommen in Ordnung.“ Ich schiebe ihm mein goldenes Kästchen mit meiner Sammlung hin, die ich gerade nicht in meinem Deck einsortiert habe. „Hier, nimm dir noch sieben von mir dafür.“
 

„Nein, vielen Dank, Yugi. Ich habe selbst genug. Ich möchte schließlich mit meinen eigenen Karten gewinnen“, antwortet er mir. Schnell blättert er durch seine Sammlung und sucht sich sieben neue Karten aus, mischt diese unter.
 

Wir einigen uns darauf, da Yami ein sprachlich gemischtes Deck hat, nur die englischen Namen zu nutzen, um nicht verwirrend durch die Bezeichnungen springen zu müssen.

Yami zieht sein Eröffnungsblatt: „Ich fange an. Wenn ich eine Karte auf meinem Friedhof ablege, darf ich ‚The Tricky‘ direkt spielen. Dann lege ich noch eine weitere verdeckt ab. Du bist dran.“ Er legt die Karten vor sich auf den kleinen Tisch zwischen unseren Sitzplätzen.

Ohje, worauf habe ich mich da nur eingelassen? Ich mustere meine Karten, die ich zum Start bekommen habe, kritisch.

„Nichts Gutes dabei?“, grinst er und scheint völlig in seinem Element zu sein.
 

„Erst nutze ich die ‚Swords of Revealing Light‘. Dann spiele ich ‚Green Gadget‘, was mir ebenfalls erlaubt ‚Red Gadget‘ aus meinem Deck aufs Feld zu rufen. Auch ich lege noch eine verdeckte Karte“, ich platziere alles vor mir auf den Tisch.

Zug um Zug geht unser Duell weiter, es entsteht ein Kräftemessen auf Augenhöhe. Die einzige Frau in der Runde hat Stift und Papier aus ihrem Gepäck gezogen und notiert unsere sich ständig ändernden Punktestände.
 

Nachdem ich eine Zauberkarte von meinem Duellgegner unschädlich gemacht habe, schüttelt Yami verständnislos mit dem Kopf. „Ich muss sagen, mir gefällt der Gedanke, dir Mahad vorzustellen, immer noch nicht. Und ich habe dir auch meine Gründe dafür genannt, Yugi. Aber du bestehst trotzdem darauf…“ Er sieht mich intensiv an. „Dennoch… ich bin beeindruckt. Deine Strategien sind ziemlich ausgefeilt. Du hast ein perfekt aufeinander abgestimmtes Deck.“
 

„Das stimmt, es ist ja total spannend bei euch! Ich hatte echt Bedenken, es läuft so wie die vielen anderen Duelle von Yami zuvor. Kaum einer hat so lange so super gegen ihn durchhalten können“, stimmt ihm Mirai mit offenkundiger Begeisterung zu.

„Vielen Dank“, erfreue ich mich über das Lob. Verlegen wende ich den Blick von Yami ab, um mein Blatt zu betrachten. „Ja, ich möchte immer noch mit dabei sein“, bestätige ich ihm erneut mein Anliegen.
 

Dann schaue ich auf die Uhr. Unser Duell läuft schon seit fast 50 Minuten und es ist noch kein Ende in Sicht. Mal liegt er vorn, dann wieder ich.
 

Einerseits ist es mir unangenehm, ihn als meinen Gegner zu haben Einer wird unweigerlich verlieren. Und das fühlt sich in einer Beziehung irgendwie falsch an. Wir sollten beide immer zueinander halten, gemeinsam auf einer Seite stehen. Andererseits ist es nur ein Spiel und es macht auch Spaß, die Strategien von Yami kennen zu lernen und Pläne dagegen zu entwickeln.
 

Dann spielt Yami die Zauberkarte ‚Awakening from Beyond‘ und holt damit ‚Gaia the Fierce Knight‘ vom Friedhof zurück. Ich muss ebenfalls zwei neue Karten ziehen. „Da Gaia nun die einzige Karte auf meiner Hand ist, kann ich ihn ohne Tribut nutzen! Damit greife ich-“ er unterbricht sich selbst, da ein Handy beginnt zu klingeln.

Mirai wendet sich direkt nach links zu ihm, „das ist dein Klingelton...“

Er legt seine Karten von der Hand verdeckt auf der Tischplatte ab und zieht seine Reisetasche unter dem Tisch hervor und wühlt hastig suchend in einigen Fächern.
 

Schließlich findet er sein mobiles Telefon, wirft einen prüfenden Blick auf die eingehende Nummer und nimmt das Gespräch an. Und ab dem Moment verstehe ich kein Wort mehr.

Er richtet seinen Blick wieder zum Fenster und spricht offenbar mit der Person am anderen Ende der Leitung. Die Betonung ist mir so fremd, dass ich nicht mal erkennen kann, ob dies nun gute oder schlechte Nachrichten sind, die er erhält.
 

Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu warten, bis er sein Telefonat beendet hat. In dem Moment wird die nächste Haltestelle aufgerufen. Bis zum Airport ist es nicht mehr weit. Er muss sich nun beeilen, um das Duell noch rechtzeitig zu beenden. Doch nach Beeilen sieht das nicht gerade aus. Die einzige Frau unter uns scheint gerade dasselbe zu denken, denn sie schaut auf ihre Uhr und die Abbildung mit dem Fahrplan.

Mirai schnappt sich schließlich grinsend Yamis Spielkarten: „Ich denke, er ist noch eine Weile beschäftigt… Was haben wir denn da…“
 

Kurz überlege ich, so indiskret zu sein, entscheide mich dann aber doch dafür und wende mich leise an Mirai: „Weißt du, worum es geht? Gibt es ein Problem?“

„Wenn du mit Problem meinst, dass er sie nicht abgewimmelt bekommt, dann ja“, lacht sie.

Sie sieht meinen ratlosen Blick und ergänzt geheimnisvoll: „die wichtigste Frau in seinem Leben. Neben Kacy und mir natürlich!“
 

Kurz überlege ich. „Eure Mutter?“ Mirai nickt nur und widmet sich wieder unserem Battlefield auf dem Tisch. „Aber wir treffen sie doch übermorgen persönlich!“

„Das ist kein Grund für sie!“, schmunzelt Mirai und tippt auf Yamis Ritter Gaia. „Ich glaube, er wollte gerade damit deinen ‚Buster Blader‘ angreifen! Das übernehme ich dann mal stellvertretend“, erinnert sie an Yamis letzten Zug. Wir beide schauen zu der besagten Person, der weiterhin in sein Telefonat vertieft ist.
 

„So einfach ist das nicht. Ich nutze meine verdeckte Fallenkarte ‚Soul Rope‘, zahle 1000 Lebenspunkte und darf ein Level 4 Monster beschwören“, ich durchsuche mein Deck. „Und ich entscheide mich für ‚Witch oft the Black Forest‘. Damit wäre dein Zug beendet und ich bin dran. Ich opfere die Hexe um ‚Summond Skull‘ zu nutzen, dieser greift an und schlägt Gaia!“

Erst notiert Mirai den aktuellen Punktestand, dann schaut sie überfordert auf die Situation. „Hmm, du bist hier wirklich ein Experte, Yugi…“, murmelt sie und zieht eine Karte vom Stapel und platziert diese nach kurzer Überlegung senkrecht auf dem Spielfeld, dem Tisch. So einfach habe ich mir nicht vorgestellt zu gewinnen.

Yami schießt rasch mit dem Oberkörper nach vorne und dreht ‚Big Shield Gardna‘ in die waagerechte Position. Aha, er passt also doch noch auf!
 

Sie blickt ihn nur fragend an, aber alles, was er sagt, gilt anscheinend seiner Mutter am Telefon, zumindest so gut ich es deuten kann.

Ich bin dran und spiele eine Zauberkarte, wegen der wir weitere Karten ziehen müssen. Dann greife ich sein ‚Big Shield Gardna‘ im Verteidigungsmodus an, welches daraufhin gezwungen ist, in den Angriffsmodus zu wechseln. Schnell ist er zerstört und Mirai muss Minuspunkte bei Yami notieren.
 

„Okay, dann nehme ich dieses Monster“, sie zieht eins aus ihrer Hand, kommt aber nicht weit. Da Yami neben ihr sitzt, kann er gut in ihr bzw. sein Blatt einsehen. Er greift nach ihrer Hand und führt die Karte wieder an ihren Platz zurück. Dann gestikuliert er demonstrativ zu einer anderen Karte und gibt ihr zu verstehen, die verdeckt abzulegen.

„Zwei gegen einen ist unfair!“, beschwere ich mich. Wohl wissend, dass Mirai – so fies es auch klingen mag – nicht wirklich als Gegner gezählt werden kann.
 

Etwas genervt schaue ich zu Yami. Kann der nicht mal aufhören zu telefonieren?

Mirai liest wohl Gedanken, denn sie erwidert: „Er hat es gerade wieder versucht, Yugi. Er hat ihr eben gesagt, dass wir gleich aussteigen müssen und er auflegen muss. Wie du merkst, gibt er auch nur noch kurze Antworten. Es geht gerade um die Planung von seinem anstehenden Geburtstag.“ Nein, ich merke nicht mal das, ich verstehe wirklich nur Bahnhof. Ich schaue nach draußen, inzwischen fahren wir durch die Außenbezirke von Tokio, bald sind wir am Flughafen.
 

„Das heißt dann wohl, ich kann mich leider gar nicht mit eurer Mutter unterhalten“, überlege ich laut. Das ist sehr schade. „Vielleicht könnt ihr etwas übersetzen? Oder spricht sie Englisch? Und euer Vater, er hat eine japanische Mutter?“

„Doch, du kannst selbst mit beiden reden“, erwidert die Rothaarige, besieht sich ihr Blatt und überlegt wohl noch, ob sie eine weitere Karte spielt. „Sie sprechen beide auch etwas Japanisch. Wir sind ja zweisprachig aufgewachsen. Das Japanisch muss aber langsam und einfach gehalten werden. Unter uns sprechen wir lieber ägyptisch-arabisch.“

Inzwischen wird auch Kacy unruhig und langweilig, die sich wirklich die ganze Zugfahrt über sehr brav verhalten hatte.
 

„Ich fürchte, ihr müsst das später weiter austragen, die nächste Station ist der Flughafen“, verkündet Mirai dann und sammelt Yamis Karten wieder ein.

Auch ich räume schnell alles wieder in meine Box, verstaue diese im Rucksack und mache mich mit den anderen beiden fertig zum Ausstieg. Yami hat sein Gespräch auch endlich beenden können und schiebt sein Handy zurück in seine Tasche.

Wortlos verlassen wir den Zug und folgen den Schildern zum internationalen Terminal von unserem Haneda Airport. Mal wieder gibt mir Yamis Verhalten Rätsel auf, aber das Spielchen von ihm kenne ich inzwischen ja schon. Wie sagte Mirai mir damals vor der Fahrschule mal?
 

„Mein Bruder ist kein einfacher Mensch... er ist sehr verschlossen, in sich gekehrt... und... du wirst es kaum glauben – verletzbar. Auch wenn er sich absolut nicht so gibt.

Für alle anderen ist er der coole Typ, selbstbewusst, schlagfertig und wahnsinnig stolz.

Und trotzdem gehören auch diese Eigenschaften zu seinem Charakter...

Yami ist einfach Yami – Heute so, Morgen so – verstehst du?
 

Mit ihm klarzukommen ist durch all diese Züge wirklich nicht leicht. Aber er verstellt sich gerne... Er ist ziemlich unnahbar.

Ich hoffe für dich, dass du dich nicht in eine falsche Seite von ihm verliebt hast... Er ist privat nicht der Lehrer, den du aus dem Unterricht kennst. Darüber solltest du dir bewusst sein.“
 

Inzwischen weiß ich ziemlich gut, was sie damit gemeint hat.

Ich habe mich in ihn als Mensch verliebt, mit allen Ecken und Kanten, mit seinen Fehlern und Problemen – nicht nur in seine glänzende Front.

Ich liebe ihn, wie er ist. Und ich hoffe, dies tut er umgekehrt genauso.

Gesagt haben wir uns die berühmten drei Worte bisher noch nicht. Zumindest nicht gerade heraus. Yami ist vom Typ her zu verschlossen, ich denke nicht, diese in Kürze von ihm zu hören. Und ich selbst… hatte offen gestanden noch nicht den Mut dazu. Oder die Situation war nicht passend genug. Im Moment ist dies auch unnötig. Wir wissen auch so über die Gefühle des jeweils anderen: Durch Umschreiben mit Metaphern und anderen Formulierungen und wir haben uns verstanden, als wären wir Seelenpartner.

Irgendwie sind diese drei magischen Worte auch etwas ganz Besonderes für mich. Auch wenn wir schon zusammen sind, ist es trotzdem ein komisches Gefühl für mich, es so offen auszusprechen. Ich habe eher das Bedürfnis, mir diese für eine besondere Situation aufzuheben.
 

Als wir beim Check-in Schalter ankommen, müssen wir uns in eine beachtliche Warteschlange stellen. Direkt reihen sich auch schon die nächsten hinter uns ein.

„Was für ein Auflauf!“, murrt ein Mann hinter uns.

„Auflauf? Ich dachte, das ist etwas zu essen?“, grübelt Mirai laut.

„Ja, laut meiner Japanisch-Vokabelliste im Kopf auch. So etwas wie… Om Ali“, ergänzt Yami.

Ein amüsiertes Grinsen meinerseits lässt sich nicht mehr unterdrücken: „Das Wort kann man auch für eine große Ansammlung von Menschen benutzen.“ (*)

„Ah“, geben mir die beiden synchron zu verstehen. Ihr Japanisch ist wirklich sehr gut. Aber ab und zu scheint es wohl dennoch zu minimalen Missverständnissen zu kommen.
 

„Es war aber klar, Yami, dass du zuerst an ein Dessert denkst“, necke ich ihn.

„Irgendwann bekommst du noch einen Zuckerschock“, ich zwinkere ihm zu und schenke ihm ein aufrichtiges Lächeln. Mir fällt eine blonde Strähne zu weit nach vorne und ich streife diese zurück hinters Ohr. Er sieht mich etwas abwesend an und merkt nicht einmal, wie Kacy inzwischen ungehorsam an der Leine zieht.

Unsere Blicke treffen sich. Von ihm so angesehen zu werden, erweckt eine aufregende Unruhe in mir. Automatisch spüre ich eine innere Wärme hochsteigen, als hätte man in mir die Heizung aufgedreht.
 

„Dann hör auf, so süß zu sein. Sonst passiert das wirklich noch“, murmelt er mir zu.

Die Hitze in meinem Gesicht nimmt zu, verrät meine Verlegenheit, die er mit solchen Aussagen anheizt.
 

Wir rücken wieder ein Stück in unserer Warteposition nach vorn, dann kniet sich Yami auf den Boden und beschäftigt sich kurz mit Kacy.

Als er wieder aufsteht, wischt er von oben über seinen Koffer, als wäre dieser staubig.

„Wir konnten unser Duell vorhin nicht beenden… Das Treffen mit Mahad ist also noch nicht geklärt. Weißt du, ich hatte einfach Bedenken, dass sich etwas zwischen uns ändern könnte, wenn du mit zu meinem Sohn kommst. Aber im Grunde ist es eine schöne Idee von dir und zeigt dein Interesse an meinem Leben… Wenn seine Mutter keine Einwände hat, nehme ich dich mit. An mir soll es nicht scheitern.“
 

„Oh, wirklich? Damit hatte ich schon gar nicht mehr gerechnet. Ich würde ihn so gerne kennen lernen.“

„Okay, ich kläre das ab, wenn wir dort sind. Ich möchte nur nicht, dass es dich verletzt und überfordert. Ich will dich bloß beschützen, Yugi. Und Mahad spricht bisher ausschließlich arabisch.“

„Das ist sehr lieb von dir“, lächele ich ihn dankbar an. „Es wird bestimmt ein seltsames Gefühl sein… Aber ich möchte versuchen, damit bestmöglich umzugehen. Und das mit der Sprache wird schon gehen, du bist ja bei mir. Vielleicht kannst du mir vorher noch ein paar hilfreiche Redewendungen, wie etwa eine Begrüßung, beibringen?“
 

Er nickt und schaut mir voller Zuneigung in die Augen. So als könne er dort die Bestätigung finden, dass ich wirklich genug darüber nachgedacht habe und mir der Folgen im Klaren bin.

Er schafft es wieder, süßer auszusehen, als er seinen Kaffee trinkt.
 

„Ich würde jetzt so gern von dir im Arm gehalten werden…“, seufze ich.

„Das wünsche ich mir auch…“, er streicht mit seinem Zeigefinger wie eine Andeutung über seine Unterlippe. Ein heißkalter Schauer rinnt meinen Rücken hinab. Unser letzter Kuss ist durch diese ganzen Heimlichkeiten einfach schon viel zu lange her.

Dann ergänzt er: „Vielleicht gleich im Flugzeug, wenn niemand bekanntes in der Nähe sitzt.“
 

Wir stehen immer noch in der Öffentlichkeit mitten am Flughafen Tokio-Haneda und könnten, wie es der Zufall manchmal will, von jemandem aus der Schule, der auch verreist, gesehen werden. Wir können nur hoffen, dass uns hier niemand zu dritt am Schalter stehen sieht. Aber außer dem Abschlussjahrgang haben alle anderen Klassen noch Unterricht, die Sommerferien haben offiziell noch nicht begonnen. Aber besser ist es trotzdem, sich hier nicht zu nahe zu kommen. Und wenn wir doch jemanden treffen würden, bin ich halt mit Mirai zusammen. Damit wäre Yamis Job weniger in Gefahr. So haben wir es zu dritt abgesprochen.

Wie kann ich schließlich ahnen, wenn ich mit einer jungen Frau zusammen bin, die ich aus der Fahrschule kenne, dass sie rein zufällig die Schwester von einem Typ ist, der an meiner Schule arbeitet?

Um diese Notfall Back-up Story nutzen zu können, wäre es schlecht, wenn Yami und ich knutschend am Terminal gesichtet werden…
 

„Jungs, wir sind endlich dran! Ihr könnt euch die nächsten vier Wochen noch anschmachten! Macht das dann auf eurem Zimmer!“, macht Mirai nach längerer Zeit mal wieder auf sich aufmerksam.

Schnell schnappe ich mir mit der freien Hand meinen Koffer. Ein inneres Prickeln setzt ein. „Ich dachte, ich muss mit dem Gästezimmer Vorlieb nehmen?“, raune ich ihm leise zu.

„Nur, wenn du unbedingt möchtest“, haucht er zurück und bricht dann das Thema mit mir ab, da wir am Schalter ankommen und er seinen Koffer auf die Waage hebt. Der Gedanke schickt weitere Schauer und eine Gänsehaut über meinen Rücken.

Wie soll ich mich jemals wieder umgewöhnen, wenn wir wieder zu Hause sind…?
 

„Die Ausweise bitte!“, zum Glück kommt diese Aufforderung gerade rechtzeitig. Hastig krame ich nach meinem Pass in meinem Rucksack. Ich merke aber schnell, dass ich mich gar nicht so sehr beeilen muss. Yamis Check-in mit den ganzen Dokumenten, die er für Kacy hat, dauert besonders lange.

Mein Koffer wird als Letzter verladen, dann geht es weiter durch die Sicherheitskontrollen bis zum Gate. Da ich zum Glück keine Herzklappe aus Metall eingesetzt bekommen habe, gibt es bei den entsprechenden Scannern auch keinen Alarm.
 

Zumindest war das Gate unser Ziel, denn Mirai stoppt kurz davor und weist auf ein Schild, welches zur Raucher-Lounge weist. Yami folgt ihr wortlos. Er auch? Seit wann?

Ich hasse diesen Geruch und sogar das Passiv-Rauchen ist schädlich für mein Herz. Wenn er sich das wirklich angewöhnt hat – wie ätzend! Direkt durchstöbere ich all meine Erinnerungen nach Hinweisen. Er hat nie nach Qualm gerochen, nicht seine Kleidung, nicht seine Wohnung. Naja die vielleicht ein bisschen, wenn Mirai dort war. Das hatte ich aber immer ihr zugeschrieben. Ich habe eine feine Nase dafür.

Wie gewöhne ich ihm dies bloß wieder ab?

Unmittelbar vor der Tür biegt er links ab und führt Kacy zu einer Wasserstelle für Hunde, während Mirai geradeaus geht und den Raucherraum betritt. Puh…
 

„Alles in Ordnung, Yugi? Du guckst, als hättest du einen Geist gesehen?“, fragt er unschuldig und kniet sich hinunter um frisches Wasser in die Schale einzulassen. Was muss er mich auch so erschrecken!

„Jaa, alles bestens“, murmele ich zurück. Irgendwie muss ich mit einem anderen Thema ablenken.

„Hast du eigentlich noch Urlaub, wenn wir wieder zurück sind?“

„Leider nicht. Das neue Schuljahr muss organisiert und geplant werden. Und ich muss mich allmählich auf meine Abschlussprüfungen vorbereiten. Das Referendariat endet in einem Jahr.“

„Oh“, gebe ich von mir, „also nächstes Jahr um diese Zeit bist du dann fertig ausgebildeter Lehrer?“
 

„Wenn ich mein zweites, großes Examen und die Lehrprobe nächsten Frühling gut bestehe, dann ja“, er schiebt sich seine Strähnchen wieder zurecht, die durch das Hinabknien verrutscht waren. „Ob ich dann eine Anstellung an unserer Schule bekomme oder ob ich mich woanders bewerben muss, weiß ich noch nicht“, errät er meine Gedanken.

„Hm“, antworte ich nachdenklich. Irgendwie hatte ich nicht in Erwägung gezogen, dass er mal nicht mehr an der Domino-High-School unterrichten würde. Hoffentlich muss er dann nicht weit wegziehen. Ich bin doch so froh, meine neue Arbeitsstelle in Sanyo gefunden zu haben. Bei dem Gedanken zieht sich mein Herz direkt zusammen.

„Aber mit meiner Fächerkombination habe ich ganz gute Chancen, schnell an einer anderen Schule unter zu kommen. Gerade Physiklehrer werden immer gebraucht. Der Studiengang ist nicht so überlaufen wie andere Fächer.“ Ich liebe seine Grundeinstellung, niemals aufzugeben.
 

Ich schaue kurz zu Mirai, die ich durch die Glaswand heraus beobachten kann. Sie tippt mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht wieder auf ihrem Handy herum. Vermutlich sehe ich ähnlich aus, wenn ich mit Yami per SMS kommuniziere.
 

Dieser folgt meinem Blick mit den Augen.

„Sie schreibt wieder mit Mamoru.“

„Was? Ernsthaft? Oh wie schön, die beiden haben zueinander zurück gefunden?“

„Wohl noch nicht ganz. Aber sie sind anscheinend auf dem besten Wege dahin.“

Das freut mich für Mirai. Ich hatte schon bei unserem Treffen im Café das Gefühl, dass sie noch sehr an ihm hängt. Ich wünsche ihr sehr, dass sie ihre Person des Herzens genauso bekommt, wie es endlich bei mir geklappt hat.

 

 

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(*) Die Situation mit dem „Auflauf“ beruht tatsächlich auf einer echten Tatsache, die ich mal beobachtet habe. ^^

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Nanbi
2024-05-22T09:11:26+00:00 Gestern 11:11
Das war wieder ein sehr schönes Kapitel.
Ich liebe es dass es zu diesem Duell gekommen ist. ^^
Dieser spielerische und neckische daran hat sehr gut gepasst. Das wäre echt was, wenn man alle Streitpunkte damit würde bespielen xD Mein Mann wäre da voll mit dabei, da wir beide Duell Monster spielen.
Yamis Mutter erinnert mich an meine Schwiegermutter xD Sie ruft auch ständig an und will alles mögliche besprechen, obwohl wir uns dann kurz darauf treffen.
Bin gespannt wie es nun sein Ende finden wird diese Geschichte :)
Es ist ein seltsames Gefühl zu wissen, dass etwas dass mich lange begleitet hat nun sein Ende findet. Aber ich hoffe noch viel von dir zu lesen mit diesem Paar.
Liebe Grüsse
Nanbi
Antwort von:  Polarstern
Heute 09:06
Hi Nanbi,

vielen lieben Dank, dass du die Story so aktiv und schnell verfolgst und für das fleißige kommentieren! Ich freue mich sehr darüber :D

Irgendwie gehört doch ein Duell zwischen den beiden zum Ende einer YGO Story .__.
Ich glaube, fast jeder kennt oder kannte so eine Person, die gerne mal anruft und alles sofort klären möchte, statt noch etwas bis zum nächsten Treffen zu warten. XD'

Für mich ist es auch ein seltsames Gefühl, die FF nach so langer Zeit und so viel Herzblut, das ich hinein gesteckt habe, zu beenden.
Aber es wird nicht meine letzte Story sein :)

LG
Polarstern
Von:  Nala
2024-05-05T07:34:12+00:00 05.05.2024 09:34
Huhu x3
Das war wieder ein echt gutes Kapitel. Yugi ist immer noch sehr unsicher, aber es ist schön, dass er sich Mirai anvertrauen konnte. Das mit Mahad danach ist ein wichtiges, persönliches Thema und ich finde es sehr charakterkonsistent, dass Yami Yugi zum Duell herausfordert, um diese Frage zu lösen. xD Ob ihre späteren Diskussionen auch so gelöst werden? Eigentlich gar nicht so dumm xD Ich finds übrigens auch richtig authentisch, dass seine Mutter anruft und mit ihm Dinge klären will, obwohl man sich in ein paar Stunden eh sieht und das jetzt einfach nicht warten kann. Das habe ich bei einer damaligen Freundin auch immer so wahrgenommen xD und ich bin gespannt, wie du die Geschichte dann im nächsten Kapitel enden lässt. Ach, was für ein trauriger Gedanke, dass es bald vorbei sein wird.. aber jedes Ende ist ein neuer Anfang, nicht wahr. xD
Antwort von:  Polarstern
07.05.2024 10:33
Huhu zurück :D
Vielen lieben Dank fürs Kommi :)
Das wäre doch was fürs spätere Zusammenleben der beiden: Wer kocht heute? Wer macht den Abwasch/räumt die Küche auf? Wer kümmert sich heute um die Wäsche? Lass uns das im Duell klären XD' Kann man sich unter Umständen viel Streit/Diskussionen sparen XD

Ja, wir sind am Ende angekommen .__. Ich bin selbst ganz melancholisch, mir ist die Story doch sehr ans Herz gewachsen :3 Andererseits war es über all die Jahre immer mein Wunsch, dieser FF ihren wohlverdienten Schluss zu schenken, deshalb habe ich den Status nie auf "abgebrochen" gesetzt...
Jedes Ende ist ein neuer Anfang, du sagst es. <3 Ich habe nicht vor, nochmal hier für 16 Jahre zu verschwinden ;)

Polarstern


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