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Justin x Vivien Szenen-Zusammenstellung Balance Defenders, Compilation, Pairing, Shipping, Szenen, Zusammenstellung

Autor:  Regina_Regenbogen

Beim Raussuchen der Szenen ist mir aufgefallen, dass bei Vivien und Justin gerade am Anfang eigentlich oft ganz kleine Gesten zeigen, wie gut sie harmonieren. Häufig verstehen sie direkt, was der andere vorhat und unterstützen einander.

Solche Ein-Satz-Situationen habe ich nicht alle hier eingefügt, weil sie ohne Kontext etwas seltsam gewirkt hätten. 

 

Beim Zusammenstellen fand ich es interessant zu sehen, wie die Beziehung der beiden - die von allen Pärchen als einzige nicht von unnötigen Streitigkeiten überschattet ist - sich entwickelt und wie ihr Vertrauen zueinander, das von Anfang an vorhanden ist, tiefer wird.

 

Auch dass gerade die schwierigen Situationen, in denen sie sich einander nicht von der besten Seite zeigen, ihre Beziehung stärken, fand ich sehr schön mitzuverfolgen.  

Während bei den anderen Pärchen meistens die Offenbarung der Verletzlichkeit des anderen zu einer Vertiefung der Beziehung führt, geben Vivien und Justin einander von Anfang an Halt und Vertrauen. 

Doch Justins Scheu vor körperlicher Nähe und Viviens Unsicherheit, wie sie ihm sonst deutlich machen soll, dass sie auf romantische Weise an ihm interessiert ist, erschweren es ihnen, die Beziehung auf die nächste Stufe zu bekommen. 

 

Lustigerweise haben die beiden bisher die wenigsten Szenen, in denen wir sie nur zu zweit interagieren sehen. Immerzu sind sie von anderen umgeben, und sei es nur von Ewigkeit. 

 

Man könnte jetzt fragen: Warum zeige ich die beiden nicht, wenn sie nur zu zweit sind?

Die einfache Antwort ist: Vivien Annäherungsversuche beschränken sich großteils auf die Momente, in denen sie nicht alleine sind. Entsprechend sind die Szenen, in denen sie wirklich alleine sind, meist ziemlich unspektakulär.

Vielleicht sollte ich aber für die Fans irgendwann mal ein paar ihrer Schulwegsgespräche schreiben. :D Zum Voranschreiten des Geschehens tragen die zwar nicht bei, aber man würde mehr von Vivien und Justin erfahren. ;D

 

So, und nun die Szenenzusammenstellung der beiden bis zum gestern veröffentlichen Kapitel.

Viel Spaß!

 

Band 1

Kapitel 2 Glockenspiel

„Justiiin!“, rief eine überschwängliche Mädchenstimme von der gegenüberliegenden Straßenseite.

Er stoppte und blickte zu dem Haus direkt gegenüber dem seinen. Dort stand die Nachbarstochter. Sie hatte wohl nur kurz den Müll hinausgetragen, denn sie trug weite bequeme Hauskleidung. Obwohl sie kaum ein Jahr jünger war, war sie einen ganzen Kopf kleiner als er. Leuchtend orangefarbenes, knapp schulterlanges Haar umrahmte ihr rundes, sommersprossiges Gesicht. Große, indigofarbene Augen strahlten ihn fröhlich an.

Justin verschlug es die Sprache. Ihm wurde flau im Magen. Wie angewurzelt stand er da und konnte nichts anderes tun, als sie stumm anzustarren.

Das Mädchen lächelte noch breiter und deutete mit dem Zeigefinger auf sich selbst. „Vivien!“

Wahrscheinlich meinte sie, er habe ihren Namen vergessen und sei deshalb so verunsichert.

„Ich weiß!“, stieß Justin mit viel zu hektischer Stimme aus. Er zog seinen Kopf ein und schlug beschämt die Augen nieder.

Nur zaghaft wagte er es, wieder aufzublicken, und musste irritiert feststellen, dass Vivien zur Salzsäule erstarrt war. Geistesabwesend stierte sie Löcher in die Luft.

„Alles okay …?“, fragte Justin vorsichtig.

Beim Klang seiner Stimme schien sie aus einer Trance hochzuschrecken und blinzelte ihn kurz an. „Ich hatte ein seltsames Gefühl …“

Justins Augen wurden groß.

Plötzlich kicherte sie hell. Ein warmer, heiterer Klang, der sich in Justins Ohren schöner anhörte als jede noch so virtuose Musikkomposition.

„Das liegt sicher an deiner Ausstrahlung! Da werd ich ganz schwach!“

Justins Gesichtsausdruck entgleiste. Hitze stieg in ihm auf, brachte sein ganzes Gesicht zum Glühen. Und er konnte nichts dagegen tun!

Während er hilflos dastand, lächelte Vivien ihn einfach nur schweigend an. Dann ergriff sie wieder das Wort. „Ich muss dann wieder rein. Meine Geschwister warten.“ Sie deutete mit dem Daumen hinter sich, rührte sich aber nicht, als warte sie auf etwas. Allerdings wusste Justin nicht auf was.

Vielleicht hätte er jetzt irgendetwas sagen sollen. War das nicht eine gute Gelegenheit? Aber was sollte er sagen? Sicher würde er sich dann nur wieder blamieren.

Ihre lebhafte Stimme ertönte erneut. „Du musst unbedingt mal zu uns rüberkommen und mir dabei helfen, die beiden in Schach zu halten!“, forderte sie eifrig. „Mit etwas Glück könnten wir sogar beide überleben!“ Wieder ihr warmes, heiteres Lachen. „Abgemacht?“ Ihre Augen strahlten.

Justin nickte hektisch und kam sich dabei wie ein hirnloser Wackeldackel vor. 

Noch einmal lächelte Vivien ihm zu. „Ich freu mich drauf!“ Anschließend verschwand sie im Hauseingang.

 

Kapitel 9 Über Fallen

Augenblicklich brachen die Platten unter ihm weg.

Justin versuchte, noch rechtzeitig hochzufahren, doch auf halbem Weg nach oben musste er einsehen, dass die Gewichtskraft und der durch den Sturz hervorgerufene Schwindel stärker waren als seine Bemühungen. Er kippte zurück nach hinten. Gerade als er glaubte, in das Schwarz zu fallen, umklammerte ihn jemand.

Vivien hatte sich zu ihm geworfen und seinen Brustkorb umschlungen. Mit ihrem gesamten Gewicht stemmte sie sich nach hinten und landete auf dem Rücken, Justin genau über ihr. Er stützte sich auf seine Unterarme und sah Vivien an.

„Keine Zeit!“, rief Vivien.

Mit hochrotem Kopf rappelte Justin sich schnellstmöglich auf.

 

Kapitel 11 Seelenscherben

Sobald Justin ihren Zustand erkannte, stürzte er vor und warf sich regelrecht auf den Boden zu ihr.

„Vivien!“ Besorgt beugte er sich über sie. „Wie geht es dir?“

„Wenn man von meinem bisherigen Leben absieht, ging es mir nie besser.“ Sie grinste. Seine Fürsorge freute sie.

 

Kapitel 18 Gemütliches Beisammensein

Aufgrund der auf vier beschränkten Spieleranzahl erklärte sich Justin freiwillig bereit, nicht mitzuspielen.

„Du kannst dich mit mir abwechseln.“, sagte Vivien und rückte deutlich näher an Justin heran, als es nötig gewesen wäre. Sie gab ihm den Controller in die Hand und erklärte ihm die Funktionen, nicht ohne die Gelegenheit zu nutzen, um ihre Hände auf seine zu legen, als wäre das für ihre Erläuterungen notwendig.

Infolge der Körpernähe zu ihr, war Justin nicht wirklich in der Lage, ihren Ausführungen die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Er fürchtete, dass sein Gesicht bereits knallrot war und hoffte inständig, dass Vivien es nicht bemerken würde.

 

Kapitel 20 Guten Morgen

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er zurück in den Wachzustand geholt wurde. Vor sich erkannte er Vivien. Er fuhr auf. „Ist was passiert?“

Sie gab ihm zu verstehen, dass er leise sein sollte, allerdings legte sie dazu den Zeigefinger nicht auf ihre, sondern auf seine Lippen, was zwangsläufig dazu führte, dass Justin eine pochende Hitze in sich aufsteigen fühlte, die ihn einen Moment lang jedes klaren Gedankens beraubte.

Vivien konnte angesichts seiner Reaktion ein Grinsen nicht unterdrücken. Vielleicht hätte sie sich ihm zuliebe etwas zurückhaltender geben sollen, aber dazu genoss sie den Effekt ihres Verhaltens viel zu sehr.

 

Vivien setzte sich ungerührt neben sie und nahm sich eine Brotscheibe. „Ich hab heute Morgen schon gedacht, du hättest ihn wachküssen sollen statt ihn zu treten. Das wäre viel effektiver gewesen.“

Äußerst verlegen sah Justin daraufhin in ihre Richtung. Das hatte Vivien doch nicht bei ihm gemacht, oder?

Vivien zwinkerte ihm zu.

Mit hochrotem Kopf versuchte er sich auf das angerichtete Frühstück zu konzentrieren. Sie machte doch nur Scherze. Wieso hätte sie ihn auch küssen sollen? Sie war ja nicht mal an ihm interessiert.

Seine Aufregung wandelte sich jäh in Frustration. Er seufzte.

Vivien konnte den Wandel in seinem Gesicht nicht nachvollziehen, vor allem da Serena ihren Gedankengang unterbrach.

 

Kapitel 22 Schule und andere Katastrophen

Sie stürzte auf das Nachbarhaus zu, klingelte und wartete schnaufend einen Moment.

Hoffentlich war sie nicht zu spät!

Nach einigen Augenblicken öffnete Justin die Tür.

„Morgen!“, rief sie quietschfidel und fixierte ihn dann mit freudigem Lächeln und großen erwartungsvollen Augen. „Willst du mit mir gehen?“

Justin wäre fast die Kinnlade runtergeklappt.

Vivien musste sich ein Kichern verkneifen, ein breites Grinsen nahm ihre Züge ein.

Röte stieg in Justins Gesicht. Er sah so hilflos und von der Situation überfordert aus, dass Vivien schließlich einlenkte.

„Oh, ich dachte, du würdest auch noch zur Schule gehen und wir könnten gemeinsam laufen.“ Sie machte eine gespielte Verlegenheitsgestik. „Ich hab gar nicht überlegt, dass du auch eine Ausbildung angefangen haben könntest.“ Sie lachte kurz auf und streckte dann achselzuckend und mit einem Zwinkern kurz die Zunge heraus.

Justin löste sich aus seiner Erstarrung.

Es war ihm sichtlich peinlich, dass er ihre Frage, ob er mit ihr gehen wolle, anders verstanden hatte. Der Arme konnte ja nicht wissen, dass sie ihre Wortwahl mit voller Absicht getroffen hatte.

„Äh nein. Doch. Also ja.“, stotterte er. „Ich gehe auch noch zur Schule.“

Als wäre das die absolut wundervollste Nachricht überhaupt, strahlte Vivien übers ganze Gesicht und packte ihn am Arm, wie um ihn mit sich zu ziehen.

„Wa-warte!“, rief er. „Mein Rucksack.“

Vivien kicherte und ließ ihn los.

Justin eilte nochmals hinein und kam sogleich mit seinem Rucksack und einem Umschlag in der Hand zurück.

Bei dem Anblick des Umschlags schnellte Viviens Laune noch weiter in die Höhe. „Du gehst auch auf die Handelslehranstalt?!“, jauchzte sie.

Verlegen nickte Justin. Ihm fiel jetzt erst auf, dass sie am Wochenende gar nicht darüber gesprochen hatten, welche Schulen sie besuchten.

Serena hatte so verängstigt geschaut, als Ariane das Thema Schule angeschnitten hatte, dass Vivien schnell das Thema gewechselt hatte.

„Welche Schulart? Welche Klasse?“, fragte Vivien überschwänglich.

„Wirtschaftsgymnasium. E6.“

„Dann sitzen wir zusammen!“

Ehe Justin noch ein Wort sagen konnte, zog sie ihn mit sich.

 

„Willst du wirklich, dass ich neben dir sitze?“, fragte Justin zaghaft. Jetzt, wo er nicht mehr der einzige Klassenkamerad war, den Vivien kannte, war er sich unsicher über ihr Angebot.

Vivien schaute ihn mit einem Schmollmund an: „Du hast es mir versprochen!“

Justin spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Damit Vivien das nicht bemerkte, setzte er sich schnurstracks auf den ihm zugedachten Platz.

Auf Viviens Zügen erschien ein zärtliches Lächeln. Für wie ahnungslos er sie doch hielt! Zu süß.

 

Kapitel 26 Puzzleteile und Planung

Sie beugte sich zu Justin hinüber, um in seinen Sichtbereich zu gelangen, und lächelte ihn freudig an. „Das ist doch toll!“

Justin schaute verunsichert. Ihm war elend. Er empfand die Situation als unheimlich und fühlte sich mit einem Mal fremd in seinem Körper. Wie konnten diese fremden Eindrücke einfach so in ihn eindringen und ihn in seinem Schlaf heimsuchen? Er wollte das nicht.

Vivien – nun bäuchlings auf dem Tisch liegend, um von Justin, der die Augen niedergeschlagen hatte, überhaupt bemerkt zu werden – versuchte nochmals, ihm Mut zuzusprechen. „Das heißt, dass unsere Kräfte auch jetzt noch funktionieren. Das kann doch nur von Vorteil sein! Nicht wahr?“

Unglücklich blickte Justin auf. Vivien hatte Recht. Angenehm war die Erkenntnis aber dennoch nicht.

 

Kapitel 30 Ortswechsel

Um den Gang nicht zu blockieren, nahm Justin in dem gegenüberliegenden Vierer Platz. Vivien folgte ihm nach und setze sich mit der Begründung, sie wolle nicht, dass ihm kalt werde, neben ihn. Seinem Gesichtsausdruck war anzusehen, dass er dieses Problem in ihrer Nähe tatsächlich nicht haben würde. Als sie sich an seinen Arm schmiegen wollte, versicherte er ihr eilig, dass das nicht nötig sei.

„Aber mir ist kalt.“, klagte sie mit Schmollmund.

„Du kannst dich auch zu uns setzen.“, bot Ariane an.

Vivien ließ ihr einen vielsagenden Blick zukommen, den Ariane allerdings nicht zu deuten wusste.

Serena ächzte: „Sie will sich doch nur an ihn kuscheln.“

Vivien lächelte begeistert. „Justin ist schön warm.“

Justin wirkte davon überfordert.

 

Kapitel 32 Ein Hauptquartier

„Vivien!“ Ariane zog die Vermisste in eine Umarmung.

„Ähm, hab ich irgendwas verpasst?“, fragte Vivien in einer Mischung aus Verwirrung und Erheiterung.

„Hey, wo warst du?!“, schalt Vitali sie.

„Ich bin doch nur reingegangen.“, rechtfertigte sich Vivien.

„Aber Justin konnte dir nicht folgen!“, klärte Ariane sie auf. „Keiner von uns.“

Verwirrt blickte Vivien nun hinüber zu Justin.

Er starrte sie entgeistert an, wandte sich eilig ab, als er ihren Blick wahrnahm und bedeckte das Gesicht mit seiner Linken. Er atmete schwer und brachte keinen Ton heraus.

Vivien eilte zu ihm.

„Justin?“ Sie versuchte, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen, was ihr aber nicht gelang.

Sie hörte ihn tief Luft holen, dann sah er sie schließlich mit einem gezwungenen Lächeln an, das Vivien ein schlechtes Gewissen machte. Ohne lange zu zögern, schlang sie ihre Arme um seinen Brustkorb und drückte sich an ihn. Selbst wenn ihm das unangenehm war, wusste sie sich in diesem Moment nicht anders zu helfen.

Unverhofft erwiderte Justin die Umarmung kurz, ehe er wieder hastig von ihr abließ.

Vivien löste sich wieder von ihm und blickte mit einem aufmunternden Lächeln zu ihm auf.

Er wich ihrem Blick aus und wandte sich stattdessen Eternity zu. „Es tut mir leid.“

Nachsichtig lächelnd nickte Eternity.

Vivien reimte sich zusammen, was in ihrer Abwesenheit geschehen war. Sie wollte nach Justins Hand greifen, aber er zuckte vor ihrer Berührung zurück.

„Wir sollten uns bei der Hand nehmen. Damit wir alle zusammen reinkommen.“, rechtfertigte Vivien ihre Geste.

Justin nickte und wirkte nun wieder verlegen. Zaghaft reichte er ihr seine Linke.

 

Kapitel 33 Training

Gedankenversunken schürzte Unite die Lippen und betrachtet die anderen. Ihr Blick blieb an Trust haften und ein verstohlenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie trat hinüber zu Justins verwandelter Form und ergriff seine Hand.

„Vereinte Kräfte!“

Was eben so kläglich fehlgeschlagen war, war nun umso effektvoller.

[…]

Desire sah Unite entgeistert an. „Wie hast du das gemacht?“

„Bei Vereinen hab ich an ‚mit vereinten Kräften gedacht. Aber dann ist mir eingefallen, dass man ja zum Vereinen etwas Zweites braucht.“ Noch immer hielt sie Trusts Hand.

Trust wagte es nicht, ihr seine Hand zu entziehen und hoffte verzweifelt, dass niemand seinen Herzschlag hören konnte.

„Und dann hat’s geklappt!“, freute Unite sich. Sie schien nicht vorzuhaben, ihn wieder loszulassen.

 

Kapitel 34 Was zum Donner

Justin lächelte unwillkürlich. Sein Blick ruhte auf Vivien. Es war unglaublich, dass sie es mit einer solchen Leichtigkeit geschafft hatte, Erik von seinen Verdächtigungen abzubringen. Sie musste das von Anfang an geplant haben. Aber wieso hatte sie ihn und die anderen nicht vorgewarnt? Schließlich hätte ein falscher Zug der anderen sie verraten können.

Viviens Blick begegnete dem seinen. Sie lächelte ihn wissend an. Und als habe er ihre Gedanken gelesen, wusste er, warum sie es so und nicht anders gemacht hatte: Die Reaktionen durften nicht einstudiert wirken!

[…]

Es war perfekt! Vivien war –

Plötzlich fiel Justin auf, dass er sie immer noch anstarrte! Und Vivien antwortete mit einem koketten Augenaufschlag, den er nicht richtig deuten konnte und für ein kritisches Begutachten seiner Person hielt.

Beschämt sprang er auf

 

Kapitel 37 Interpretationsfehler

„Wenn man jemanden etwas ganz direkt sagt, auch wenn es die Wahrheit ist, dann wird einem meistens nicht geglaubt.“, erklärte Vivien.

Allerdings traf ihre These bei Serena nicht auf Gegenliebe. „So ein Schwachsinn!“

„Es stimmt aber.“, beharrte Vivien. Mittlerweile hatte Serena sie wieder losgelassen. „Ich beweis es dir!“

Vivien drehte sich zu den beiden anderen. Ariane und Justin waren weiter vorne stehen geblieben, um auf sie zu warten, und hatten das Gespräch bis hierher verfolgt. „Justin!“

Justin schaute fragend und kam mit Ariane zu ihr gelaufen. Vivien strahlte ihn so freudig an, dass allein davon schon Hitze in seine Wangen stieg.

Dann, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, rief sie euphorisch aus: „Ich liebe dich!“

Die Worte trafen Justin wie der Amboss eine Zeichentrickfigur. Fassungslos stand er da, starrte Vivien an. Noch immer lächelte sie glückselig. Reflexartig flüchteten Justins Augen vor ihrem bestrickend lieblichen Anblick, suchten irgendwo nach einem Rat, was er jetzt tun sollte. Hatte sie das wirklich gesagt? Halluzinierte er? Das… das war doch unmöglich! Im nächsten Moment stand er plötzlich stramm wie ein Zinnsoldat und brachte in einem roboterähnlichen Ton heraus: „Wir- soll-ten weiter-ge-hen…“ Prompt machte er eine Kehrtwende und marschierte mit ungelenken Bewegungen davon.

Sie hatte ganz sicher einen Scherz gemacht! Jawohl. Einen Scherz! Ja! Ganz sicher!

Mit leicht verdutztem Gesicht sah Vivien ihm nach. So einfach war es also wirklich nicht…

 

Kapitel 42 Kraftzuwachs

Justin musste im ersten Moment die Augen schließen, als die automatische Beleuchtung von Viviens Haus ohne Vorwarnung anging. Erst danach sah er Vivien. Sie trug einen fliederfarbenen Blouson und hatte einen Rucksack aufgezogen. Hastig kam sie ihm entgegengerannt, blieb aber nicht vor ihm stehen. Übermütig sprang sie an seine Brust und schlang ihre Arme um ihn.

„Mir ist kalt!“

Justin versuchte einen Ton herauszubekommen, scheiterte aber kläglich.

Ihm war alles andere als kalt!

„Eh, … du.. du kannst dir auch noch eine wärmere Jacke holen.“, gab er schließlich stockend von sich.

Noch immer die Arme um seine Taille geschlungen, meinte Vivien in heiterem Tonfall: „So ist es schon gut.“, und schmiegte sich noch ein wenig enger an Justin, dem für einen Moment die Luft wegblieb.

Mit ihren großen indigofarbenen Augen, die aufgrund der Lichtverhältnisse dunkel wirkten, strahlte sie ihn erwartungsvoll an.

„Du kannst mich doch wärmen!“

Justin fühlte, dass sein Gesicht so intensiv rot glühen musste, dass er jeder Straßenlaterne damit Konkurrenz machen konnte. Und sein Herzschlag musste nicht nur kilometerweit zu hören sein, sondern sicher demnächst ein Erdbeben hervorrufen!

„Eh.. uh …“, mehr brachte er nicht heraus. „Wir..“, Justin schluckte. „Wir müssen die anderen holen gehen!“, rief er dann mit einem Mal und drehte sich zum Gehen, woraufhin Vivien zwangsläufig von ihm ablassen musste.

Annäherungsversuch Nr. Soundsoviel gescheitert, protokollierte Vivien. Sie hätte es sich ja denken können… Dennoch hatte sie nicht vor, deshalb ihre gute Laune zu verlieren!

„Na dann los!“, stimmte sie fröhlich zu und ergriff kurzerhand Justins linken Arm.

 

Vivien freute sich, dass Justin ihren Gedanken wohl sofort durchschaut hatte, ansonsten hätte er niemals zu solch einer ausschweifenden Erklärung ausgeholt, sondern sie vermutlich mit einem kurzen ‚Nur noch ein Stück‘. abgespeist.

Komisch, dass er bei so etwas immer sofort wusste, worauf sie hinauswollte.

„Also ich bin immer noch der Überzeugung, dass die Seelenquelle was mit der Seele zu tun hat.“, setzte sie die Unterhaltung fort.

Justin lächelte bei Viviens Worten, ohne dass es jemand gesehen hätte. Als Kind hatte er fest daran geglaubt, dass die Quelle seine Seele aufladen konnte, weil er sich immer viel besser gefühlt hatte, wenn er dort gewesen war.

„Wer weiß.“, sagte er.

 

Gerade wollte sie die ersten beiden Stufen nehmen, um den anderen die Angst zu nehmen, als eine Hand auf ihrer Schulter sie zurückhielt.

„Warte.“, Justin sah sie ernst an. „Ich gehe zuerst.“

Er konnte nicht zulassen, dass Vivien noch einmal vor seinen Augen verschwand wie damals in dem Holzhäuschen.

 

2. Band

Kapitel 45 Verseucht

„Wir haben sie getötet…“, kam es bald stockend aus Viviens Mund. Sie kauerte auf dem Boden, stützte sich auf ihre Unterarme.

„Wir haben sie getötet.“

Langsam richtete sie sich wieder halb auf und drehte sich zu den anderen. 

„Wir haben sie getötet!!!“, schrie sie. „Warum!?“

Im nächsten Moment schlang Justin seine Arme um sie und drückte sie so fest er nur konnte an sich, hielt sie ganz fest, spürte selbst die Tränen kommen, wusste nicht, ob er Vivien um ihretwillen oder um seinetwillen umklammerte.

„Nein! Nein!“, schluchzte Vivien in seinen Armen und krallte sich dann Hilfe suchend an ihn. Ihr tränenersticktes Schluchzen schnürte einem die Kehle zu.

 

Kapitel 46 Gefühlschaos

Er wollte nicht hier drin gefangen bleiben! Er wollte zu den anderen!

Auch wenn ihm wieder wehgetan wurde… – immer mehr Tränen bildeten sich in seinen Augen – …es war besser, als sich hier drin vor dem Leben zu verstecken.

Er wollte nicht mehr alleine sein!!!

„Vivien!“

Sein Schrei zerfetzte das Trugbild und im gleichen Moment sah er in indigofarbene Augen.

Justin zuckte zurück, als er realisierte, wie nah Viviens Gesicht ihm war, schlug aber mit dem Hinterkopf gegen eine Wand.

„Ganz ruhig.“ Ihre Stimme klang sacht. „Du bist aufgewacht.“

Noch immer versuchte er, so weit wie möglich von ihrem Gesicht entfernt zu bleiben. Sie sah ihn äußerst besorgt an und machte den Ansatz, ihm noch näher zu kommen. Dann schien ihr beim Blick in seine Augen die Erkenntnis zu kommen. Vorsichtig zog sie ihren Oberkörper zurück und nahm etwas Abstand zu ihm ein. Ein sanftes Lächeln lag auf ihren Lippen.

Erst jetzt wagte er, sich umzublicken.

Sie befanden sich in einem kleinen schneeweißen Raum. Hinter Vivien konnte er Ariane und Vitali erkennen. Diese knieten zu Serena, die gegen die gegenüberliegende Wand gelehnt noch zu schlafen schien.

Vivien strahlte ihn an. „Du redest im Schlaf.“

Justin spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. Daraufhin näherte Vivien sich ihm plötzlich wieder. Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern.

„Das ist sehr süß.“

Er brachte keinen Ton mehr heraus.

Dass Vitali mit einem lauten Schrei alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte, kam Justin gerade recht. 

 

Kapitel 49 Sturm auf die Burg

Derweil begaben sich Unite und Trust in Stellung. Das Brüllen der Schatthen fuhr ihnen durch Mark und Bein.

Unite ergriff Trusts Hand. Obwohl sie ihre Attacke mittlerweile auch ohne die Hilfe eines anderen Beschützers einsetzen konnte, hatte sie in diesem Moment das innige Verlangen, seine Hand zu halten.

Noch einmal warf ihr Trust einen entschlossenen Blick zu, der ihr ins Wanken geratenes Herz wieder stabilisierte, dann riefen beide mit fester Stimme ihre Attacken herbei.

 

„Zuversichtlich bleiben!“, schrie Unite gegen die eigene Verzweiflung an. „Konzentriert euch! Es hat noch einen Sinn. Vertraut mir! Hört ihr! Vertraut mir!“

Ihre Stimme erstickte fast und nur schwerlich konnte sie ihre eigene Unsicherheit unterdrücken. Dann fühlte sie an ihrer Linken den fester werdenden Druck einer Hand und sah daraufhin in Trusts braune Augen, die etwas Sanftes, Liebevolles in sich hatten und ihr Kraft spendeten.

Unite schnappte nach Luft und schenkte ihm das beste Lächeln, das sie in diesem Zustand zustande brachte.

Eternitys Worte ertönten in ihrem Kopf. ‚Vereinen, bitte bleib deinem Namen treu.‘

Ja! Sie hatte die Kraft, die fünf miteinander zu vereinen und ihnen ihre Gefühle zu übertragen. Aber dazu musste sie selbst stark sein. Ihre Gefühle mussten stark genug sein, um den anderen Hoffnung zu spenden.

Und das würden sie auch! 

 

Kapitel 50 Talentsucher

Stumm standen sie da und sahen sich um nach jeglichem Zeichen des kleinen Schmetterlingsmädchens.

Sie wussten, wie lächerlich es war, und gaben bald die Hoffnung auf. Einzig Vivien wollte es nicht wahrhaben und keiner der anderen wollte sie aus ihrer Illusion reißen.

Doch als auch nach drei Minuten – drei endlos langen Minuten! – keine Reaktion kam, hörten sie leises Schluchzen aus Viviens Richtung.

„Vivien…“ Justin streckte seine Hand nach ihr aus, getraute sich jedoch nicht, sie zu berühren.

„Sie ist nicht gekommen.“, flüsterte Vivien.

Im nächsten Moment war sie, ehe Justin es recht erfasst hatte, auch schon in seine Arme gesprungen. Verzweifelt klammerte sie sich an ihn und drückte sich gegen seine Brust.

„Ich war mir so sicher.“, schluchzte sie.

Während die anderen nur hilflos zusehen konnten, schloss Justin, zuerst noch zaghaft, schließlich seine Arme sachte um sie.

Viviens herzzerreißendes Schluchzen tat ihm in der Seele weh.

Zaudernd und unbeholfen strich er ihr über das orangefarbene Haar, um sie zu beruhigen. Ihre Tränen tränkten sein Sweatshirt.

„Vivien.“ Er suchte verzweifelt nach Worten. „Du…“

Er schnappte nach Luft. „Du hast doch gehört, was sie gesagt hat. Sie ist bei uns. Sie wird immer bei uns sein. Sie ist uns nicht böse wegen dem, was geschehen ist.“ Er machte eine kurze Pause und spürte Viviens heftiges Zittern.

Seine Worte brachten überhaupt nichts! Wieso konnte er ihr nicht helfen?

Er drückte sie fester an sich und hielt inne. Als er anschließend weitersprach, klang seine Stimme genauso ruhig, entschlossen und vertrauensvoll wie es sein Blick gewesen war, als Vivien auf dem Bergfried schon fast selbst aufgegeben hatte.

„Auch wenn wir sie jetzt nicht mehr sehen können, können wir sie immer noch in unseren Herzen spüren. Nicht wahr?“

Vivien schniefte und er spürte ein schwaches Kopfnicken an seiner Brust. Dann ließ sie jeglichen Widerstand gehen und sank ermattet vollends in seine Arme.

Erst als weitere Momente verstrichen waren, in denen Vivien die Geborgenheit in Justins Nähe genossen hatte, löste sie sich langsam und ganz vorsichtig von ihm, wischte sich die Tränen aus den Augen.

Ein aufrichtiges, scheues Lächeln huschte kurz über ihre Lippen, als sie mit unsicherem Blick aus ihren tief dunkelblauen Augen zu Justin aufsah.

„Tut mir leid, ich hab dein Oberteil total durchnässt.“, hauchte sie schüchtern.

Justin dachte für einen Moment, bei ihrem Anblick müsse er vor Glück sterben. Er schluckte heftig und musste seinen Blick von ihr abwenden. Er spürte jetzt schon die Hitze in seinem Gesicht und konnte nicht auch noch riskieren, dass Vivien seine Gefühle in seinen Augen ablesen konnte, zumal er Gefahr lief, einem Schwindelanfall zu erliegen.

Eben hatte er sich noch unter Kontrolle halten können, um ihr beizustehen, aber jetzt genügte allein ihr Anblick, um ihn vollkommen aus der Bahn zu werfen.

„Das .. das macht doch nichts.“, sagte er stockend und lächelte verlegen.

 

Kapitel 57 Schutzengelfest

Verstohlen linste Vivien auf ihre Armbanduhr und drehte den Kopf leicht zur Seite, wandte sich wieder vollständig den anderen zu und lächelte unbeschwert. „Gehen wir rein!“

Serena waren ihre flüchtigen Gesten nicht entgangen. Vivien hatte wohl doch gehofft, dass Justin ihr zuliebe pünktlich sein würde. Auch wenn Vivien es nicht zeigte, ging Serena davon aus, dass sie sehr viel unsicherer bezüglich Justins Gefühlen war, als sie vorgab zu sein.

So oft wie Justin ihr bei ihren Annäherungsversuchen eine Abfuhr erteilte, war das wohl auch nicht weiter verwunderlich.

 

Die Tür hinter ihnen wurde aufgerissen.

„Vivien!!!“ Justin kam in den Raum gestürmt.

Er hetzte auf die anderen zu. „Ist alles in Ordnung?“ Seine Stimme war ohne Kraft, sein Gesicht gezeichnet von Panik und Entschlossenheit.

Ehe die anderen nach der Ursache seines Zustands fragen konnten, erklang erneut das Glockenspiel.

Justin starrte zum Trainingsbereich.

Vivien wandte sich strahlend zu ihm. „Ewigkeit! Ewigkeit ist wieder da!“ Sie lachte, ließ die Hände der anderen los und lief.

Justins Hand auf ihrer Schulter brachte sie nur Schritte später grob zum Stehen. „Nicht!“, befahl er. Sein Blick und sein Griff waren so bestimmt, dass Vivien ihn nur verunsichert anstarren konnte.

[…]

Justin vereitelte einen erneuten Versuch Viviens, sich nach vorne zu bewegen. Mit dem ausgestreckten Arm verdeutlichte er auch den anderen zurückzubleiben. „Wir wissen nicht, ob das wirklich Ewigkeit ist.“

Vivien begehrte auf. „Justin!“ Mit Leid in den Augen sah sie ihn an. Ihr flehender Anblick schmerzte.

Justin wandte sich ab. „Wartet hier.“ Er zog die Hand von Viviens Schulter zurück.

 

Kapitel 58 Spielwiese

„Ich bin dagegen.“

Völlig überrumpelt drehten die vier sich zu Justin, von dem sie diesen Kommentar am wenigsten erwartet hätten. Der Ernst in seinen Zügen wirkte besorgniserregend. „Im Hauptquartier sind wir am sichersten.“

Vivien begegnete ihm mit Überraschung, dann gewann sie ihr unbeschwertes Lächeln zurück. „Ewigkeit wird sich schon was dabei gedacht haben!“

Augenblicklich wirkte Justin verunsichert. „Das war Ewigkeits Idee…?“

Viviens Lippen formten einen Schmollmund. Mühelos verlieh sie ihrer Stimme einen zutiefst verletzten Ton. „Soll das heißen, …“ Ihre großen runden Kulleraugen wurden feucht. „dass du mir weniger vertraust?“

Ihre Mimik war so echt, dass selbst die anderen drei für einen Moment verwirrt waren, Justin brachte sie völlig aus dem Konzept.

„Nein!“, rief er hastig. „Nein, nein, nein!“ Aufgeregt gestikulierten seine Arme, ohne dass er darauf Einfluss nehmen konnte. „Ich vertraue dir! Ich vertraue dir voll und ganz! Absolut! Es gibt niemanden, dem ich mehr -“

Zu spät registrierte er seine Worte. Hitze schoss ihm im gleichen Atemzug in den Kopf, und Viviens Reaktion sorgte nicht gerade für eine Abkühlung.

In völliger – wenn auch gespielter – Überraschung strahlte sie ihn überglücklich an und trat näher an ihn heran. „Wirklich?“

Justin wurde flau im Magen.

Ebenso Serena und Vitali – ihnen kam fast das Mittagessen hoch!

Zu Justins Glück tauchte in diesem Moment aus dem Nirgendwo Ewigkeit auf und unterbrach Viviens oscarreife Darbietung. 

 

Unite nahm den Apfel aus dem Gras zur Hand. „Ihr nehmt den Apfel so.“

Sie legte sich die Frucht an ihre Kehle. Zwischen Kinn und Schlüsselbein hielt sie den Apfel fest. „Und versucht ihn an den nächsten weiterzugeben.“, Sie ließ den Apfel in ihre Hand plumpsen. 

„Trust.“ Sie streckte dem Jungen links von ihr die Frucht hin.

Im gleichen Moment wurde Destiny und Change klar, warum Unite, anstatt auf die andere Seite neben Trust zu sitzen, sich zwischen Desire und ihn gedrängt hatte.

Mit unsicher gesenktem Blick nahm Trust den Apfel entgegen und setzte Unites Anweisung in die Tat um. Er bewegte sich zaghaft zu ihr, mit dem Apfel unterm Kinn, neigte dann den Kopf, um es ihr zu erleichtern, ihn entgegenzunehmen. Und zuckte mit puterrotem Kopf zurück, als Unite ihm dazu näher kam als jemals zuvor.

Der Apfel fiel zu Boden

„Entschuldigung!“, stieß Trust viel zu laut und hektisch aus.

Unite kicherte. „Wenn es zu schwierig ist: Wir könnten auch ein Blatt nehmen und es durch Saugen und Blasen von Mund zu Mund weitergeben!“, scherzte sie.

Trust Gesicht wurde starr.

„Ganz bestimmt nicht!“, schrie Destiny lautstark.

[…]

Ohne weiteren Kommentar drückte Unite Trust erneut den Apfel in die Hand, und sie setzten die Übung fort. Es brauchte noch mehrere Versuche bis Trust sich traute, ihr so nahe zu kommen, dass er den Apfel an sie weitergeben konnte. Nicht nur weil der Hautkontakt, der bei manchen der Versuche stattfand, ihn aus seiner Komfortzone zwang, sondern auch weil Unite die Situation schamlos ausnutzte. Bei der ersten geglückten Übergabe ließ sie den Apfel fallen und erzwang damit eine erneute Wiederholung.

Hätte Destiny nicht lauthals geschimpft, dass sie den Apfel nicht absichtlich fallen lassen sollte, hätte sie das wohl mehr als einmal gemacht.

 

Kapitel 59 Fangen

Endlich war Unite an der Reihe und betete, dass Ewigkeit den Moment nicht durch einen Zwischenruf ruinierte. Trust näherte sich ihr.

Unite wechselte von der Sitzposition in eine kniende und griff nach Trusts Kopf, der augenblicklich den Apfel fallen ließ.

Sie ließ von ihm ab und gab ihrer Stimme einen möglichst unschuldigen Klang. „Tut mir leid. Desire hat das vorhin bei Destiny gemacht. Ich dachte, das würde helfen.“

Trust schaute beschämt und hob den Apfel auf. In der Sekunde, in der er nicht in ihre Richtung sah, grinste Unite.

Trust klemmte erneut den Apfel unter sein Kinn.

„Mir würde es helfen, wenn ich mich an dir festhalten kann.“, behauptete Unite in mädchenhaftem Ton.

Von Destiny kam ein Stöhnen. Trust antwortete nicht, wirkte aber so angespannt, dass Unite davon ausging, dass er sich darauf gefasst machte.

Sie rückte näher an ihn heran und legte ihm ihre Rechte in den Nacken. Er blieb reglos sitzen, offenbar darauf bedacht, den Apfel nicht nochmals fallen zu lassen. Sie berührte mit ihrer Wange die seine und gab sich nicht die Mühe zu vertuschen, dass das kein Zufall war, schließlich wusste sie nicht, ob sie noch einmal die Gelegenheit bekam, ihm so nahe zu kommen.

Sie legte ihren linken Arm um seine breite Schulter und drückte sich einen Moment an ihn. Dann tat sie ihm den Gefallen und nahm ihm den Apfel ab. Doch anstatt sich wieder von ihm zu entfernen, wich sie nur minimal von ihm zurück, nahm die Hand von seinem Nacken und ließ den Apfel in diese fallen. Sie lachte ihn freudig an.

Trust schien nicht zu wissen, wie er darauf reagieren sollte.

In einem Anflug von Übermut ließ Unite den Apfel ins Gras fallen, beugte sich zu Trust und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Dann sprang sie auf die Beine, zu aufgeregt, um sitzen zu bleiben, und hielt im nächsten Moment Trust die Hände hin, wie um ihm aufzuhelfen.

Puterrot im Gesicht war er unfähig, irgendetwas anderes zu tun, als sie verstört anzustarren.

„Du solltest aufstehen, bevor sie vollends über dich herfällt.“, warnte ihn Destiny.

Unite kicherte aufgedreht.

 

Kapitel 62 Viel Rummel um -

Vivien bestand derweil darauf, dass sie und Justin einen Wagen teilten. Dass in dem Auto nicht gerade viel Platz war und sie jedes Mal aufeinandergepresst wurden, wenn sie mit einem anderen Auto kollidierten, trieb Justin die Schamesröte ins Gesicht, zumal er fürchtete, ihr mit seinem Körpergewicht wehzutun. Doch aus einem ihm unerfindlichen Grund fuhr Vivien dennoch immer in das größte Getümmel.

[…]

Vivien klammerte sich an Justins Arm, bevor die Fahrt überhaupt los ging.

„Beschützt du mich?“, fragte sie mit ihren großen amethystfarbenen Kulleraugen.

Justin wollte weglaufen und hatte weniger Angst vor dem, was in der Geisterbahn auf sie wartete, als vor dem, was Vivien in ihm auslöste.

„Wir können noch aussteigen!“, stieß er aus.

Vivien ließ von ihm ab und zog den Kopf ein.

Justin schämte sich, sie traurig gestimmt zu haben, wusste aber nicht, wie er das rückgängig machen sollte.

„Es… es passiert doch nichts.“, versuchte er, sie zu beruhigen. Aber das half nichts. Schließlich presste er halblaut hervor „Ich beschütze dich.“

Vivien sah zu ihm auf.

Die Fahrt begann.

„Kannst… du den Arm um mich legen?“, bat sie ihn vorsichtig und zog den Kopf dabei ein, als wäre ihr die Frage peinlich.

Justin war unfähig, ein Wort herauszukriegen, sein Gesicht musste bereits puterrot sein, nahezu zitternd hob er seinen Arm und ließ Vivien sich an ihn kuscheln.

„Danke.“, presste sie hervor.

Er wusste nicht, wie lange sein Herz das aushielt. Aufs Äußerste angespannt, hoffte er, dass die Fahrt schnell vorbeiging.

Während Vivien hoffte, dass die Fahrt nie endete.

[…]

Als sie die Geisterbahn wieder verließen, war Vivien noch aufgedrehter als zuvor, während Justin äußerst verlegen wirkte,

Vivien zog ihn am Arm auf einen Süßigkeitenstand zu und kaufte ein kleines Lebkuchenherz mit der Aufschrift ‚Mein Schatz‘.

Sobald sie es in Händen hielt, verlangte sie von Justin, es sich umzuhängen – aufgrund ihrer Größe konnte sie es ihm nicht einfach überziehen. Justin wagte nicht, nach der Bedeutung zu fragen, und ging schlicht davon aus, dass er das Herz für sie tragen solle, bis sie wieder nach Hause kamen.

 

Kapitel 63 Ablenkungsmanöver

Justin sah Ariane lächelnd hinterher, dann hörte er Vivien neben sich.

„Woher wusstest du, was du sagen musst?“

Justin streifte sie mit den Augen. Ein melancholisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Als ich zehn war, wurde meine Mutter schwer krank. Was ich zu Ariane gesagt habe, hat mein Vater damals zu mir gesagt.“

Er sah zu Boden, als das Gefühl der Erinnerung in ihm erwachte, hilflos zu sein und schuldig, weil er nichts tun konnte.

Im gleichen Moment spürte er, wie Vivien seine Hand ergriff. Überrascht starrte er sie an. Daraufhin legte sie auch noch ihre zweite Hand auf die eine, die sie bereits umschlossen hielt, und schenkte ihm einen mitfühlenden Blick.

„Das ist schon lange her.“, sagte er hastig, um sie zu beruhigen, und wich verlegen ihrem Blick aus.

„Du bist wundervoll.“, sagte sie in ungewohnt ruhigem, ja liebevollem Ton.

Die Worte und ihre Stimmlage ließen wieder Blut in seinen Kopf schießen.

Für Momente herrschte Schweigen.

Justin wagte es nicht, in ihre Richtung zu sehen, noch immer hielt sie seine Hand.

Dann erkannte er, dass Ariane zurückkam und wollte Vivien seine Hand entziehen, doch sie ließ ihn nicht los.

Hilflos starrte er sie an, woraufhin Vivien geradezu enttäuscht von ihm abließ, als hätte sie lieber weiter mit ihm Händchen gehalten.

Er durfte darüber nicht nachdenken, seinem unruhigen Herzschlag nicht mehr Aufmerksamkeit widmen, stattdessen konzentrierte er sich auf Ariane, die sie gerade erreichte.

 

Kapitel 66 Schicksalsrad

„Trust, hier drin sind wir sicher. Sie können hier nicht hinein.“, informierte ihn Desire.

Trust reagierte nicht. Fortdauernd beschoss er die Feinde, schien weggetreten.

Change blickte derweil in Richtung Riesenrad. Die Schatthen mussten Erik und Tiny längst erreicht haben.

„Hör auf, die ganze Zeit die Gondel anzugaffen!“, donnerte Trust.

Change zuckte zusammen. Wie konnte Trust überhaupt wissen, was hinter seinem Rücken vorging?

„Wenn du noch mal so einen Mist machst, rettet dich niemand!“, brüllte Trust.

So hatte Change ihn noch nie erlebt. Offensichtlich war Trust stinksauer wegen dem Vorfall mit Desire.

Change konnte nicht wissen, welche Höllenqualen sein Freund ausgestanden hatte, als er die Stellung hatte halten müssen, mit dem Wissen, dass er damit Desire und Change tatenlos einem unbestimmten Schicksal überließ.

Trusts Muskulatur war verkrampft, Schweiß lief ihm über die Stirn, alles an ihm wirkte, als würde es schreien.

Desire wagte es nicht, das Wort erneut an ihn zu richten. Alsdann trat Unite an ihr vorbei zu ihm.

Im nächsten Moment stand Trust still. Wie plötzlich ausgeschaltet, regte er sich nicht mehr.

Zerbrechlich und zart klang Unites Flüstern in seinem Rücken. „Hör auf.“

Trusts Arme fielen herab wie etwas, dessen Antrieb mit einem Mal ausgeschaltet worden war. Sein Atem ging schwer.

Mit sanfter Gewalt schlang sie die Arme noch enger um seinen Bauch, weiterhin an seinen Rücken geschmiegt, riss ihn damit aus seiner Selbstbeherrschung. Trust ging in die Knie, stützte sich auf den Boden vor sich, sodass sie von ihm ablassen musste.

Schweißperlen tropften von seinem Gesicht. Er rang nach Atem.

Dann war Unite an seiner Seite. Ihre Arme legten sich wie Schwingen um seinen Kopf und zogen ihn näher zu sich bis er ermattet in ihren Armen lag und sich nicht dagegen wehren konnte.

Er wusste nicht, wie sie es machte, dass er in ihren Armen alles zu vergessen schien.

 

Kapitel 69 Geschlagen

Vivien umschlang seinen Arm und bettete ihren Kopf gegen seine Schulter. „Es ist doch alles gut gegangen.“

Justin schwieg. Vivien spürte einen kurzen Anflug von Verstimmung, da er ihrer Berührung offenbar keinerlei Beachtung schenkte. Sie zog einen Schmollmund.

„Justiiiin.“, sagte sie im nörglerischen Ton eines beleidigten Kindes.

Endlich wandte er sich zu ihr und versuchte sich an einem Lächeln. „Entschuldige, ich…“ Er stockte und seine Augen wurden groß. „Geht’s dir nicht gut?“

War das etwa seine Erklärung dafür, dass sie sich an ihm festhielt?!

Vivien ließ ihn los. Von seiner Begriffsstutzigkeit getroffen war sie für einen Moment niedergeschlagen.

Vielleicht hätte sie sich freuen sollen, dass er zur Abwechslung mal nicht verstört zurückschreckte, wenn sie ihn berührte. Aber dass er es jetzt als eine Belanglosigkeit abtat, war einfach … frustrierend.

Dann drehte sie sich wieder zu ihm, setzte ein peinlich berührtes Gesicht auf, die Hände in einer mädchenhaft bescheidenen Geste vor der Brust. Als wäre sie schüchtern, zog sie den Kopf ein und sprach mit leiser Stimme.

„Wie soll es mir gut gehen, wenn es dir nicht gut geht?“

Sie wandte sich ab, den Kopf eingezogen, die Arme nun wie zum Schutz um sich gelegt. „Ich mache mir doch Sorgen um dich.“

Ihr Manöver erfüllte seinen Zweck. Justin drehte sich eilig zu ihr. „Nein, nein, mir geht es gut! Alles fantastisch!“

Vivien fuhr mit ihrem Finger über den Bereich unter ihrem Augen, als würde sie sich eine Träne wegwischen müssen, und schniefte. „Wirklich?“

„Ja! Schau doch, alles bestens.“, versicherte Justin mit einem künstlichen Lächeln, während seine Augenbrauen noch immer seine Besorgnis zur Schau stellten.

„Ach Justin.“, seufzte Vivien und warf sich in seine Arme, sodass er augenblicklich erstarrte.

 

Kapitel 71 Entartete Künste

Vivien wandte sich an ihn. „Du hast gesagt, dass du an etwas gezogen hast, wenn du das nicht tust, löschst du bestimmt nichts.“ Sie lächelte ihn tröstend an. „Außerdem ist es doch ganz praktisch, Erinnerungen löschen zu können, falls jemand unsere Fähigkeiten sehen sollte!“, meinte sie.

Euphorisch rief Vitali. „Du bist wie das Ding von den Men in Black!“

Justin verstand Viviens Überlegung, fühlte sich aber dennoch nicht wohl bei dem Gedanken, in jemandes Erinnerungen herumzupfuschen.

Wieder machte Vivien den Ansatz, ihn zu berühren.

Wieder zog er seinen Arm zurück. „Ich will nicht versehentlich deine Erinnerungen löschen.“, sagte er bekümmert.

Vivien lächelte ihn heiter an. „Hauptsache, ich vergesse dich nicht!“ Sie kicherte. „Alles andere ist nicht so wichtig.“

Justin konnte diese Aussage nicht nachvollziehen.

[…]

„Trust.“, sagte Vivien mit flehentlicher Stimme. Er drehte sich zu ihr.

„Verbietest du mir jetzt, dich zu berühren?“ Sie zog ein so unglückliches Gesicht, als würde man ihr untersagen, jemals wieder ihre Lieblingssüßigkeit zu essen.

Justin errötete und wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte.

„Unite, lass ihn in Ruhe.“, sagte Serena genervt.

„Aber…“ Mit großen Kulleraugen sah Vivien nun sie an.

Serena fasst sich an die Stirn. „Trust, sag ihr, dass sie dich wieder berühren darf, sonst gibt sie keine Ruhe.“

Vivien nickte bestätigend.

Justins Gesicht wurde noch röter. Er brachte es nicht über sich, etwas Derartiges laut auszusprechen oder auch nur zu bejahen.

Vivien sah ihn einen Moment lang an, in dem Justin sich am liebsten versteckt hätte, dann drehte sie sich zu den anderen.

„Wir müssen noch unsere Strategien überarbeiten!“, rief sie übertrieben laut.

Von dem abrupten Themenwechsel überrumpelt, starrten die anderen sie an.

Vivien ließ sich davon nicht beirren.

[…]

Vivien kicherte und linste möglichst unbemerkt in Justins Richtung. Sie sah, dass er lächelte. Erleichtert atmete sie auf.

 

Kapitel 74 Hölle – Serenas Pein

Sie wollte etwas zu ihr sagen, wollte sie in den Arm nehmen, wollte sie halten und ihr zu verstehen geben, dass sie sie niemals alleine lassen würde. Das Verlangen danach war übermächtig.

Allein die Befürchtung, Serena damit noch mehr Leid zuzufügen, hielt sie zurück. Nichts lag ihr ferner, als sie noch mehr in die Enge zu treiben.

Fieberhaft suchte sie nach einer Lösung und verpasste dadurch einen Teil des Französischunterrichts. Serenas eingefallene Körperhaltung erinnerte sie stets aufs Neue an die Sorgen, die auf ihrer Seele lasteten.

Dann spürte Vivien die Wärme und den sanften Druck einer Hand und sah auf.

Justin schenkte ihr ein tröstendes Lächeln.

Viviens Mundwinkel hoben sich leicht.

Obwohl er sonst bei jeder ihrer Berührungen zurückschreckte, hielt er sie immer dann fest, wenn sie es am nötigsten hatte.

Egal was kam, ihr Vertrauen würde sie nicht verlassen.

 

3. Band

Kapitel 83 Tanz mit dem Phantom

Vivien hatte die Gelegenheit ergriffen, um Justin um diesen Tanz zu bitten. Dieser lehnte aber verlegen ab, woraufhin Vivien ihren Schmollmund einsetzte, bis Justin sich endlich überreden ließ.

 

Kapitel 84 Freigelassen

Viviens Albtraum:

Zögernd lugte Justin zu ihr, dann zog er schüchtern den Kopf ein.

„Ich…“

Vivien konnte das euphorische Auf und Ab ihres Inneren spüren.

Ihre Mimik war in Bereitschaft für den größten Freudenausbruch ihres Lebens!

Sie hörte ihr Herz klopfen und das Glück in jeder ihrer Zellen pochen. Am liebsten hätte sie verliebt losgekichert.

Verängstigt sah Justin sie an. Sein Gesicht war bleich, seine Augen weich und verletzlich.

Vivien konnte nicht ausdrücken, wie sehr ihr Herz zu ihm drängte, wie sehr sie ihn berühren wollte. Ihm endlich ihr Glück in allen Facetten offenlegen! Ihr ganzes Selbst für ihn schlagen zu lassen!

Was für ein unsagbarer Freudentaumel!

Sie wusste nicht, ob sie den Moment lieber in die Länge gezogen oder verkürzt hätte.

Sie wartete.

„Du weißt, was…“, druckste Justin herum. Er schien noch einmal Mut zu holen. „Ich mag dich.“, presste er halblaut hervor.

Wie von einem unsichtbaren Schmerz gepeinigt, wich er nochmals ihrem Blick aus. Er sah aus, als wäre er den Tränen nahe.

Sie wusste nicht, ob sie ihm jetzt schon um den Hals fallen durfte oder ob er noch mehr sagen wollte.

„Vivien, ich…“

Sie konnte es kaum noch ertragen, ihn so zu sehen.

Sie wollte ihm versichern, dass sie viel mehr in ihn verliebt war als es zu fassen war! Dass ihr ganzer Kopf schwirrte, wenn sie an ihn dachte, wenn sie ihn vor sich sah, wenn sie –

„Ich fühle nicht dasselbe.“

Die Worte wirkten so deplatziert, dass Vivien verwirrt war.

Ehe die Aussage in ihrem Herzen ankam, sprach Justin in geduckter Haltung leise weiter. Seine Hände hielten den Tisch umfasst.

„Es tut mir leid.“ Aus seiner Stimme klangen unterdrückte Tränen.

Vivien konnte sich selbst von außen beobachten, wie sie vor Justin saß, der ihr Worte sagte, die ein Teil von ihr begriff und die für einen anderen Teil nicht in die Realität gehörten.

Justin würde das niemals sagen. Nicht ihr Justin. Nicht der Justin, den sie kannte. Sicher würde er ihr gleich gestehen, dass er sie liebte. Sicher hatte er gemeint, dass er sie nicht als bloße Freundin ansah und ihm das leid tat. Schließlich war es Justin!

Sie musste nur warten.

Er sagte nichts weiter.

Die Atmosphäre, die Realität wurden immer drückender. Vivien konnte sich nicht länger davor verschließen.

„Was –“ Mehr brachte sie nicht heraus.

„Wenn ich mich in dich verlieben könnte, dann würde ich es tun, glaub mir.“, sagte Justin in einem so herzzerreißenden Ton, dass sie wirklich fühlte wie ihr Innerstes zerriss.

Wenn ich mich in dich verlieben könnte…

Sie hatte nie etwas Grausameres gehörte. Sie hörte sich selbst schluchzen, ohne es beeinflusst zu haben.

Getroffen drehte sich Justin zu ihr. „Vivien…“

Sie ertrug es nicht.

Von selbst stand sie auf. Fühlte sich weit entfernt. Sie hörte ihren Stuhl quietschen, als sie sich erhob, sah Justin wie aus ewig weiter Entfernung sie anstarren.

Sie hätte erwartet, nach einem solchen Moment würde die Welt untergehen. Aber die Welt hatte nicht vor, sich ihren Gefühlen anzupassen. Alles war so grotesk normal.

Andere Schüler betraten das Klassenzimmer. Der Raum drehte sich nicht, Justins Gestalt zerfloss nicht und sie wurde nicht ohnmächtig. Es war alles so entsetzlich gleichgültig gegenüber ihrem Schmerz.

Sie schluchzte abermals und wollte, dass er sie umarmte wie er es immer tat, wenn es ihr schlecht ging. Dass er sie umarmte und ihr sagte, dass das alles nicht wahr war.

Bei dem Gedanken fühlte sich ihr Kopf so dumm an. Sie wich ein paar Schritte zurück und lief langsam aus dem Raum, ignorierte Justins Ruf, wollte, dass er weiter nach ihr rief, dass er niemals mehr aufhörte, nach ihr zu rufen.

Auf dem Gang wurde ihr heiß und kalt, die ganze Welle an Gefühlen übermannte sie und sie brach kreischend in sich zusammen.

Ob andere sie so sahen, war ihr völlig egal.

Sie glaubte ersticken zu müssen an ihrem Schmerz.

Etwas schüttelte sie. Ihr Schluchzen, ihr Leid, übertönte alles.

Sie wollte nie wieder daraus emporsteigen.

Nie wieder.

„Vivien!“

„Vivien!“

Ihr eigener Klagelaut schrillte von fern zu ihr.

Heftig atmend riss sie die Augen auf.

Sie konnte für eine Sekunde die Dunkelheit nicht verstehen.

Ellen stand vor ihr, die kleinen Hände auf Viviens Körper. Erst jetzt begriff Vivien, dass ihre kleine Schwester sie offenbar wachgerüttelt haben musste, dass es ein Traum gewesen war.

Sie schloss die Augen wieder. Sie war so –

Tränen bildeten sich in ihren Augen. Sie schluchzte.

„Vivien, ich hab schlecht geträumt.“

Wieder hob Vivien ihren Blick und setzte sich auf. Wie automatisch machte sie in ihrem Bett Platz für Ellen und sah hinüber zu dem Bett ihres Bruders, ehe sie sich daran erinnerte, dass er heute bei einem Freund übernachtete.

Ellen krabbelte neben sie und schmiegte ihren warmen kleinen Körper an den ihren. Vivien sank zurück in die Kissen.

Normalerweise hätte sie Ellen eine Geschichte erzählt, um sie zu beruhigen, aber die Bilder ihres eigenen Traums umwaberten ihre Gedanken wie dichter Nebel. Es war anstrengend genug, nicht zu schluchzen.

Sie schloss ihre Arme um Ellen und dachte an Justin.

 

Als Justin am nächsten Morgen das Haus verließ, hielt die Erinnerung an seinen Albtraum ihn immer noch im Bann. Seine Stimmung war gedrückt und seine Mundwinkel wollten sich nicht heben.

Er sah nicht auf, ging nicht hinüber zu Viviens Haus, um zu klingeln, sondern stand nur stumm da, bis Vivien schließlich aus ihrer Haustür trat.

Er bemerkte nicht, dass sie auf ungewohnte Weise das Haus verließ, zögerlich, als wage sie es nicht, einen Schritt hinaus in die Wirklichkeit zu machen.

Er sah nicht, dass sie bei seinem Anblick zusammenzuckte und in der Tür stehen blieb, wie es so gar nicht ihre Art war.

„Hallo.“, sagte er schließlich, nachdem er sich endlich dazu durchgerungen hatte, den Blick zu heben.

Im gleichen Moment riss Viviens besorgniserregender Anblick ihn aus seiner melancholischen Stimmung.

„Was ist?“

Ehe Vivien antworten konnte, tauchte Ewigkeit urplötzlich zwischen ihnen auf und begann zu kreischen. „Allpträume!!!

Sie klatschte wie eine Fliege an Viviens Wange. „Sie greifen an!!!

„Es sind keine Schatthen.“, sagte Justin abgestumpft. Er hatte schon den ganzen Morgen lang versucht, Ewigkeit klar zu machen, was Albträume waren, aber sie hatte nicht hören wollen.

Vivien zog auf einmal ein seltsames Gesicht, das Justin nicht zu deuten wusste. Sie zögerte. „Hattest du –“ Sie unterbrach sich und zupfte Ewigkeit von ihrer Wange. „Was sind Albträume?“, fragte sie, als wäre ihr der Begriff völlig neu.

Monster!“, rief Ewigkeit.

Justin seufzte. „Ich hatte heute Nacht einen Albtraum, deshalb denkt sie, dass Albträume Monster sind.“

Wieder warf ihm Vivien diesen seltsamen Blick zu. „Was hast du geträumt?“

Justin wich ihrem Blick aus.

Es herrschte kurzes Schweigen.

Viviens Stimme klang schwach. „Glaubst du, dass es wahr wird?“

Abrupt starrte er sie an. Woher wusste sie…?

„Du hast schon einmal Dinge im Traum gesehen.“, setzte Vivien fort.  „Dass man mit deinen Kräften auch in die Zukunft sehen kann, ist nicht so abwegig.“

Er schwieg.

Vivien senkte den Blick. „Ich weiß nicht, wie lange ich eure Kräfte anwenden kann.“

Justin verstand nicht und wartete darauf, dass sie weitersprach, aber sie tat es nicht. „Was meinst du?“

„Wir sollten gehen.“ Vivien wandte sich um, um zum Training zu gehen.

Über den jähen Wandel war Justin überrascht. Er hatte noch nie erlebt, dass Vivien einer Frage auswich.

Aber die Allpträume!“, rief Ewigkeit. Keiner der beiden Beschützer schenkte ihr Gehör.

In einer gespenstischen Langsamkeit und in profundes Schweigen gehüllt liefen sie aus der Blumenallee.

Empört schrie Ewigkeit auf. „Allpträume sind Lichtlose! Geschöpfe wie die Schatthen, die in Träume eindringen können, um sich dort von der Angst der Träumenden zu ernähren! Sie können jedes Bild wachrufen, das sie wollen! Und sie wissen genau wovor man Angst hat!

Zeitgleich drehten sich Justin und Vivien zu ihr und sahen sie sprachlos an.

„Was?“, gab Justin von sich.

Allpträume sind Lichtlose. Geschöpfe wie die Schatthen, die in Träume –“, begann Ewigkeit ihre Worte zu wiederholen, wurde aber von Vivien unterbrochen.

„Du denkst, dass so ein Allptraum heute Nacht bei uns war?“

Ja!

Justin mischte sich ein. „Woher weißt du das?“

Die Stimme hat es mir erzählt.“, antwortete Ewigkeit.

„Was für eine Stimme?“, wollte Justin wissen.

Sie hat mir gesagt, dass der Schatthenmeister die Allpträume einsetzen wird. Wir müssen uns beeilen!

Für einen Moment wirkten Ewigkeits Worte einfach nur grotesk.

Justin konnte sich nicht vorstellen, dass sein Albtraum von einer Kreatur hervorgerufen worden war, die sich des Nachts in seinem Kopf eingenistet haben sollte.

Noch immer drangen die Bilder und die Machtlosigkeit auf ihn ein.

Vivien wandte sich an ihn. „Ellen hatte auch einen Albtraum. Vielleicht haben wir doch nicht die Zukunft gesehen.“

Justin zog verständnislos die Augenbrauen zusammen, ehe er begriff. „Du dachtest –“

„Ich zapfe deine Kräfte ständig ab.“, erinnerte Vivien.

„Ja, aber…“ Er sah sie an. „Du hattest Angst, dass es wahr wird?“

Vivien nickte und senkte den Blick.

„Tut mir leid.“

Vivien reagierte nicht.

Auch sein Blick glitt zu Boden. Er rang sich zu Worten durch. „Ich habe geträumt, mein Vater hätte Krebs und –“ Er konnte nicht weitersprechen.

Viviens Hand legte sich auf seinen Arm. „Das passiert nicht.“

Justin nickte und lächelte sie dann traurig an.

„Es passiert nicht.“, wiederholte sie, als müsse sie sich selbst davon überzeugen. Ihr Griff um seinen Arm wurde fester. Sie wirkte selbst mitgenommne.

Er sah sie stumm an, versuchte daraus schlau zu werden.

Vorsichtig stellte er die Frage: „Was hast du …“

Vivien ließ ihn nicht zu Ende sprechen. Sie ließ ihn los.

„Wir müssen den anderen Bescheid sagen.“, verkündete sie.

Offenbar wollte sie nicht darüber reden.

Er akzeptierte das, schließlich konnte er nicht behaupten, dass ihm das leicht gefallen war. Dennoch war es ihm ein Bedürfnis, irgendwie auszudrücken, dass er für sie da sein wollte.

Mit Herzklopfen berührte er mit der Linken ihre Hand.

Geradezu verängstigt sah sie ihn an.

Beschämt wollte er ihr zu verstehen geben, dass er ihre Hand halten wollte. Er getraute sich nicht, sie einfach zu ergreifen.

Deutlich zaghafter, als er es von ihr gewöhnt war, legte sie ihre kleine Hand in die seine. Irgendwie ließ das die Weichheit ihrer Haut noch mehr in seinen Fokus rücken. Sein Herzschlag beschleunigte sich.

Ewigkeits Stimme ertönte: „Wir müssen sie aufhalten!

Justin schreckte auf und nickte Ewigkeit zu.

Sicher war er wieder puterrot im Gesicht.

Vivien drückte seine Hand.

Bei einem weiteren Blick in ihre Richtung bemerkte er, dass sein Griff sie etwas zu beruhigen schien. Daher bemühte er sich, seine Scham unter Kontrolle zu halten, und ließ nicht los.

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu ihrem Hauptquartier.

 

Kapitel 87 In Trusts Seelenwelt

Als die Szene geendet hatte, sahen die anderen geschockt zu Trust.

Der Beschützer verzog keine Miene.

Erst als sich Unite ebenfalls zu ihm drehte, bemerkten die anderen, dass sie ihn als einzige nicht angestarrt hatte. „Hast du den Allptraum irgendwo gesehen?“, fragte sie ihn in verstörend normaler Tonlage, als hätte sie überhaupt nicht mitbekommen, was sich gerade vor ihrer aller Augen abgespielt hatte.

Trust schüttelte den Kopf.

„Vielleicht müssen wir irgendwo anders suchen.“ Ihre Stimme klang übermäßig fidel.

Die anderen konnten nicht fassen, wie Unite so einfach über die Szene hinweg gehen konnte. Sie selbst getrauten sich nicht, auch nur das Wort an Trust zu richten.

Unite wandte sich an Destiny. „Könntest du die Szene zurückspulen? Vielleicht haben wir was übersehen.“

Destiny starrte sie entsetzt an.

„Glaubst du, das ist eine gute Idee?“, fragte Desire.

„Wieso nicht?“, entgegnete Unite.

„Na weil…“ Desire warf Trust einen kurzen Seitenblick zu.

Unite verkündete: „Wir sollten uns das Ganze genauer ansehen! Zum Beispiel der Arzt. Kennst du ihn?“ Die letzte Frage war an Trust gerichtet. Er verneinte. „Das ist schon mal verdächtig.“

Destiny hatte Einwände. „In Träumen kommen oft Sachen vor, die man vorher nicht gesehen hat.“

„Vielleicht nicht bewusst gesehen.“, entgegnete Unite. „Vielleicht sitzt der Allptraum auch irgendwo in den dunklen Ecken.“

Sie ergriff Trusts Hand und zog ihn mit sich, vorbei an der zusammengebrochenen Gestalt, die ihn selbst darstellte, in die hintere Ecke seines imaginären Zimmers. Sie kniete sich hin und sah unter seinem Bett nach, dadurch dass sie ihn weiterhin festhielt, musste Trust es ihr gleich tun.

„Siehst du was?“

„Nein.“, sagte Trust.

Die anderen gafften ihnen irritiert hinterher.

Unite stand wieder auf und lief nun direkt auf den am Boden kauernden Justin zu.

Dieses Mal ließ sie Trusts Hand los, kniete sich hin und beäugte seinen Doppelgänger. „Hier ist auch nichts.“ Sie stupste den Traum-Justin an.

„Das fühlt sich voll echt an!“, rief sie. „Probier mal.“

Trust machte einen wenig geneigten Eindruck. Um Unite jedoch nicht zu enttäuschen, trat er dennoch einen Schritt vor und berührte seinen Doppelgänger.

Im gleichen Moment löste sich die Gestalt in eine feine Staubwolke auf. Diese wurde augenblicklich in Trusts Körper gesogen und verschmolz mit ihm. 

„Was war das?“, fragte Desire.

Das alles ist Vertrauen, deshalb verschmilzt es wieder mit ihm.“, erklärte Ewigkeit, als wäre das völlig offensichtlich. „Die Allpträume können nur benutzen, was schon da ist.

Ernst sah Trust in ihre Richtung und senkte dann den Blick.

„Dann brauchen wir keine Angst haben! Alles, was der Allptraum uns zeigen kann, gehört zu Trust.“, meinte Unite lächelnd.

„Äh – Tinys Seelenwelt?!“, erinnerte Change. „Da war genug, wovor man Angst haben konnte, auch ohne Allptraum!“

Unite ging auf seinen Einwand nicht ein und wandte sich an Destiny. „Kannst du noch mal zu der Szene mit Trusts Vater spulen?“

Etwas unwillig folgte Destiny der Aufforderung, woraufhin die Umgebung in schnellem Lauf zurück zu gewünschter Szene lief und anhielt, als Trusts Vater im Bett saß und mit Justin sprach.

Unite legte ihre Hand auf Trusts Rücken. „Berühr ihn.“

Trust sah sie unsicher an. Zögerlich wandte er sich wieder nach vorn und ging langsam auf die Gestalt seines Vaters zu.

Jeder Schritt schien schwerer zu werden als der vorige. Noch einmal hielt er inne, ehe er die Linke schließlich ausstreckte.

Als er seinen Vater mit den Fingerspitzen berührte, zeigte sich das gleiche Phänomen wie zuvor.

Die Gestalt seines Vaters löste sich in Staub auf und fand ihren Weg zurück in sein Inneres.

Trust stand still da und berührte unwillkürlich seine Brust. Erst im nächsten Moment bemerkte er, dass Unite neben ihn getreten war.

„Siehst du, deinem Vater kann nichts passieren.“ Sie legte ihm eine Hand auf die Mitte seiner Brust. „Hier drin ist er sicher.“ Sie sah ihm ermutigend in die Augen und lächelte.

Trust sah sie nur stumm an, ohne wie sonst vor ihr zurückzuschrecken.

Noch einen Moment ließ Unite ihre Hand auf seinem Herzen ruhen, dann zog sie sie sachte zurück und lächelte ihn nochmals aufmunternd an.

 

„Trust…“, erklang ein Japsen aus Unites Richtung.

Von ihrer Stimme aufgeschreckt, ließ er von Destiny ab und drehte sich in ihre Richtung.

Keine Sekunde zu früh, denn im nächsten Moment sprang Unite an seine Brust. Verzweifelt krallte sie sich an ihn.

Überrumpelt und nun endgültig von dem Nachwirken der finsteren Eindrücke befreit, fuhr er ihr mit der Linken über den Hinterkopf. Unite drückte sich an ihn, als wäre er der einzige Halt in einer Welt voller Gefahr.

„Ist ja gut.“, sagte er in beruhigendem Ton und kraulte ihren Hinterkopf. Er wusste selbst nicht, woher er den Mut dazu nahm. „Alles ist gut.“

Er spürte Unite an seiner Brust nicken, ihr Griff entkrampfte sich, aber sie drückte sich umso mehr an ihn. Daraufhin drehte sich Trust endgültig von Destiny weg und widmete sich zunächst Unite.

Eins nach dem anderen.

Er legte seine Arme um sie und hielt sie einen Moment ganz fest. Normalerweise hätte er befürchtet, ihr durch den sanften Druck wehzutun, aber irgendwie wirkte das jetzt nicht wichtig.

Weitere Augenblicke verharrte sie in der Umarmung, dann löste sie sich langsam von ihm.

„Tut mir leid.“, sagte sie. „Destiny...“

Eilig wandte sie sich ihrer Freundin zu.

 

Kapitel 90 Schlafzauber

Trust saß wie auf glühenden Kohlen. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.

Auch wenn er Unite und Destiny per Telepathie hören konnte, so wusste er doch nicht genau, was vor sich ging. Andere Geräusche als das, was die beiden mit ihm sprachen, konnte er nicht wahrnehmen. Ein Bild war ihm völlig verwehrt.

Er musste sich schwer zusammenreißen, um nicht alle paar Sekunden nachzufragen, ob alles okay war.

Sein wichtigstes Anliegen war, dass ihnen nichts zustieß, aber von seiner Position aus, war er völlig machtlos. Er konnte nur warten und den beiden vertrauen.

♪ Trust!

Unites Kreischen ließ ihn zusammenfahren.

„Was ist?“, fragte er panisch. In seinem aufgeregten Zustand fiel es ihm leichter, seine Gedanken zu übertragen, wenn er sie aussprach.

♪ Rede mit mir!, schrie Unite. Sie klang gehetzt, als wäre sie auf der Flucht.

Es folgte ein Schreckenslaut.

„Unite!“

♪ Deine Stimme, Trust! Deine Stimme!

Er wusste beim besten Willen nicht, worauf sie hinauswollte, und sein Unwissen über ihre Situation machte ihn wahnsinnig.

„Was ist los?“

♪ Bitte!, hörte er Unite flehen.

„Unite, ich weiß nicht was los ist. Was geht bei euch vor? Bitte, ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann. Sag mir, wie ich dir helfen soll.“

Für Momente kam keine Antwort.

„Unite!“, rief er viel zu laut.

♪ Sprich weiter!, forderte Unite.

„Was soll ich denn sagen? Ich weiß wirklich nicht… Ich-“

Sie hatte gewollt, dass er spricht. Egal was.

Er besann sich darauf, ihrem Wunsch nachzukommen.

„Hörst du mich? Ich bin hier. Ihr seid nicht allein. Wenn etwas ist, sagt es. Ich lasse nicht zu, dass euch etwas passiert. Hört ihr? Ich werde nicht zulassen, dass euch etwas zustößt!“

Seine eigenen Worte kamen ihm lächerlich vor.

Was hätte er denn tun sollen, wenn ihnen etwas Schlimmes widerfuhr?

Von hier aus konnte er überhaupt nichts ausrichten.

Er versuchte seiner Stimme wieder Festigkeit zu verleihen. „Habt keine Angst. Ich bin die ganze Zeit hier und passe auf. Wenn ihr in Schwierigkeiten steckt, rufe ich Desire und Change.“

# Ich kann mich nicht konzentrieren!, schrie Destiny aufgebracht.

Trust war verwirrt. Sollte er nun sprechen oder still sein?

Er durfte Destiny nicht von der Ausübung ihrer Kräfte ablenken, daher versuchte er, seine nächste Nachricht dieses Mal nur Unite zukommen zu lassen.

Seine Stimme war sanft. „Unite, ist alles okay? Willst du immer noch, dass ich rede? Ich verstehe nicht, was los ist. Kann ich irgendwas tun?“

Schweigen.

„Unite, ich mache mir Sorgen. Sprich mit mir.“

Er hörte schnelles Atmen.

„Bist du nicht bei Destiny? Unite, was geht da vor sich?“ Seine Stimme wurde laut. „Ich brauche dich!“ Er wusste nicht, wieso er diesen bescheuerten Satz ausgesprochen hatte. So was Dummes.

Wollte sie, dass er sie da rausholte?

Nein.

Unite würde die Mission nicht abbrechen bis Destiny die Ebene unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Und wenn sie ihr Leben dafür riskieren musste.

So war sie. Das wusste er.

„Du schaffst das! Ich glaube an dich. Du bist stark, viel stärker als du glaubst.“ Was redete er da eigentlich? Unite war die letzte, der man so etwas sagen musste. Sie hatte genug Selbstvertrauen.

♪ Vereinte Kräfte!, hörte er Unite ihren Attackennamen rufen.

Er wusste, dass sie längst dazu fähig war, ihre Fähigkeiten auch ohne Worte zu benutzen. Die Beschwörung bestätigte bloß, was für ihn bereits eine unausgesprochene Wahrheit war:

Unite kämpfte gegen die Allpträume.

 

Kapitel 91 Die Nacht der Allpträume

„Ich kann es löschen.“, sagte er beruhigend zu ihr. „Zeig mir nur, wo es ist.“

Unite gab winselnde Atemgeräusche von sich, die sich steigerten.

Dann drehte sie ihren Kopf ihm zu und schien ihn erstmals wieder richtig zu sehen.

Im gleichen Moment schluchzte sie auf, drehte ihren Oberkörper ihm zu und klammerte sich an ihn. Sie drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter und weinte unkontrolliert.

Ihr Schluchzen klang hysterisch. Es wuchs zu einem Schreien heran, das in den Ohren schmerzte. Aber Trust drückte sie nur fester an sich.

 

Kapitel 93 Nichtangriffspakt

Unite trat nach vorne, um den Schutzschild zu verlassen, wurde aber von Trust aufgehalten, der sie verstört ansah.

„Eine Abmachung besiegelt man mit einem Handschlag.“, erklärte sie.

Trust ließ sie nicht los.

„Vertrauen!“

Trust zuckte zusammen, als sie ihn bei seinem eigentlichen Beschützernamen nannte. Widerwillig ließ er von ihr ab.

Mit Todesblick wandte er sich dem Schatthenmeister zu: „Eine falsche Bewegung und wir schießen.“

Kapitel 102 Bedroher

Trust dachte an sein eigenes Erlebnis mit dem Allptraum in Unites Gestalt. Auf andere hätte es wohl auch nicht gerade wie Folter gewirkt, von dem Mädchen geküsst zu werden, das man liebte. Doch für Trust war es das Grausamste gewesen, das man seiner Person hatte antun können. Die abartige Verdrehung von etwas, das er sich von ganzem Herzen wünschte, in etwas völlig Verkehrtes und Krankes ließ noch immer seinen Magen sich verkrampfen.

„Alles okay?“, erkundigte sich Unite besorgt und war direkt neben ihn getreten. Offenbar hatte sein Gesicht seine Gefühle verraten.

Trust nickte nur, versuchte sich an einem kurzen gequälten Lächeln und entzog sich dem Augenkontakt zu Unite.

Es tat weh, sie vor sich zu haben, solange diese Erinnerung in seinem Kopf herumspukte. Es fühlte sich an, als habe er sie betrogen, auf eine Art und Weise, die schlimmer war, als wenn der Allptraum für seine Tat eine andere Gestalt gewählt hätte.

In dem Fall hätte er es als eine Gewalttat abhaken können, gegen die er sich nicht hatte wehren können. Stattdessen quälten ihn Ekel und Abscheu, weil er – wenn auch nur für eine Millisekunde – das Gefühl, Unites Lippen zu spüren, als beglückend empfunden hatte. Obwohl er doch gewusst hatte, dass es nicht die echte Unite war! Diese Reaktion seines Körpers widerte ihn an.

Es war ihm klar, wie unsinnig dieser Gedanke war, dennoch fühlte er sich von sich selbst abgestoßen.

„Wir wissen nicht, was diese Worte im Schatthenmeister ausgelöst haben und auf was sie sich bezogen.“, sagte er.

Unite griff nach seiner Rechten. Automatisch zog er seine Hand zurück. Er wollte auf keinen Fall, dass sie seine Gefühle versehentlich oder willentlich anzapfte!

Nur kurz sah Unite ihn an und ließ die Sache dann auf sich bewenden. Glücklicherweise schien sie ihm sein Verhalten nicht übelzunehmen, dennoch musste Trust ein frustriertes Seufzen unterdrücken.

Er setzte sich wieder in Bewegung.

Kapitel 105 Verletzter Stolz – Secret verstehen

„Bis morgen.“, sagte Trust sachte.

Doch anstatt seine Hand loszulassen und wie gewöhnlich ihn und Change mit einem Lächeln zu verabschieden, blieb Unite stehen, ohne ihn anzusehen. Gerade wollte er sie danach fragen, als er sich eines Besseren besann.

„Change, ich gehe von hier aus zu mir. Dann kannst du deine Kräfte schonen.“

[…]

Für weitere Momente blieb Unite neben Trust stehen.

„Danke.“, flüsterte sie.

„Was ist los?“, erkundigte er sich vorsichtig und schämte sich im gleichen Moment für die dumme Frage.

Nach allem, was geschehen war, wäre nichts unangebrachter gewesen.

Er spürte, wie sie seine Hand drückte, und wusste nicht, was er sagen sollte.

Ihre Offenbarung kam überstürzt und ohne Vorwarnung.

„Ich war bei Erik. Heute Mittag. Bevor wir uns getroffen haben.“

Trust stockte und fühlte, wie sein Magen zu einem harten Klumpen wurde. Er hatte das Gefühl, etwas gehört zu haben, das er nicht wissen sollte.

Schuldgefühle zurrten seine Brust zusammen.

„Was hast du …“

Unite riss ihren Kopf in seine Richtung.

Im Schein Ewigkeits sah er das Entsetzen auf ihren Zügen. Schmerz zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab und sie ließ seine Hand abrupt los, als hätte er sie betrogen.

Trust begriff, was er gerade gesagt und gedacht hatte. Er hatte geglaubt, sie habe etwas mit Eriks Verwandlung zu tun gehabt.

Von der Erkenntnis getroffen, wusste er nicht, was er sagen sollte. In Unites Augen glitzerten Tränen. Aber das schlechte Gewissen über seine grausame Unterstellung ließ es nicht zu, dass er sich ihr näherte oder noch einen Ton herausbrachte.

Was ist passiert?“, fragte stattdessen Ewigkeit.

Er hörte Unite hart schlucken und hätte sich gewünscht, seine unbedachten Worte rückgängig machen zu können.

„Du bist nicht schuld daran.“, versuchte er hastig, sie zu beruhigen.

„Ich weiß!“, stieß sie heftig aus. Es klang fast, als wolle sie ihm einen Vorwurf machen. Vielleicht fühlte es sich für ihn auch nur so an.

[…]

Noch nie hatte er so einen harten Gesichtsausdruck an ihr gesehen. Er musste sie aufs Tiefste verletzt haben und wusste nicht, wie er das wieder gutmachen konnte.

Wie ein geschlagener Hund tat er die Schritte, die ihn von ihr trennten, und hielt den Kopf gesenkt. Er trat aus dem Kellerraum.

„Du solltest dich zurückverwandeln.“, sagte Vivien in grobem Tonfall, während sie die Tür hinter ihm schloss, ohne ihn anzusehen.

Er schluckte und nahm seine alltägliche Gestalt an.

Erst in diesem Moment fiel ihm ein, dass er sich in seinem Zimmer verwandelt hatte, wo er einfache Hauskleidung und keine Straßenschuhe getragen hatte. Das hatte er nicht bedacht, als er sich entschieden hatte, noch einen Moment bei Vivien zu bleiben.

Vivien warf Justin hinter seinem Rücken einen flüchtigen Blick zu. Sie bemerkte sofort, dass er keine Schuhe trug. Eine Millisekunde tat es ihr leid, ihn dazu genötigt zu haben, bei ihr zu bleiben. Dann spürte sie wieder die Wut und Kränkung darüber, dass er geglaubt hatte, sie wolle ihm gegenüber ein Schuldgeständnis ablegen, wo sie ihm doch nur hatte anvertrauen wollen, was am Mittag geschehen war!

Sie hatte es den anderen nicht verheimlichen wollen! Sie hatte nur nicht die Gelegenheit gehabt, es ihnen zu sagen. Der Zeitpunkt wäre mehr als unpassend gewesen. Und der einzige Grund, aus dem sie jetzt noch mit Justin darüber hatte reden wollen, war, dass ihr die ganze Sache viel näher ging als sie es den anderen gegenüber hatte zeigen wollen.

[…]

Dennoch hatte sie Gefühle. Gefühle, die sie nicht lange unterdrücken konnte oder wollte, weil sie wusste, dass Verdrängung falsch war.

Diese Gefühle hatte sie ihm zeigen wollen. Nur ihm. Deshalb tat es auch so weh.

Dass er geglaubt hatte, sie habe etwas mit Eriks Verwandlung zu tun, hätte sie noch akzeptieren können. Es wäre kein Grund gewesen, ihm böse zu sein.

Aber seine Annahme, sie hätte es den anderen verschwiegen, um sich feige vor der Verantwortung zu drücken, – dass er ihr das zutraute! – schmerzte. 

[…]

Das Glöckchenklingeln Ewigkeits ertönte neben ihrem Ohr, sie hörte wie Justin die letzten Stufen nahm und neben ihr stehen blieb.

„Vivien…?“, fragte er voller Sorge in der Stimme.

[…]

Wieder kam der Groll, als sie Justins verständnisloses Gesicht sah, und sie musste sich schwer zusammenreißen, um ihn nicht einfach vor die Tür zu setzen, denn eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust, ihm ihre Erkenntnis mitzuteilen! Das hatte er überhaupt nicht verdient!

Aber wem hätte sie es stattdessen sagen wollen?

Ihr wurde klar, dass sie, solange sie so wütend auf Justin war, mit gar niemandem reden wollte.

Stattdessen würde sie über ihren Zorn auf Justin nachdenken und darüber, was sie am liebsten gesagt hätte, um ihn zu treffen.

[…]

Bei dem Vorsatz, nett zu ihm zu sein, zog sich ihre Brust zusammen an der Stelle, wo ihr Stolz und ihr Ego saßen. Ihr Stolz gebot ihr, ihm keinesfalls ihre Verwundbarkeit zu zeigen, sondern ihm gegenüber die gleiche Grausamkeit an den Tag zu legen, die er ihr erwiesen hatte.

Wie hätte sie ihm das einfach nachsehen können, ohne sich dabei selbst zu verraten?

Darum bemüht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen, rief sie sich Serena und Erik ins Gedächtnis und wie viel Leid ihnen ihr Stolz einbrachte. Wie sehr sie sich damit selbst verletzten. Eriks Blick.  

Einen weiteren Moment rang sie mit sich und dem Anspruch, Recht zu behalten, indem sie an ihrem Groll und ihrem Urteil über Justins Verhalten festhielt.

Aber wollte sie Recht haben oder wollte sie glücklich sein?

Mit aller Kraft warf sie sich in Justins Arme.

Davon völlig überrumpelt, stand er kurz einfach nur regungslos da, während Vivien ihre Arme um seinen Brustkorb schlang.

„Es tut mir leid.“, sagte Justin und kam sich auch dabei blöd vor.

Er verstand die Situation nicht und hatte keine Ahnung, was die richtige Handlungsweise war.

Im Kampf hatte er immer schnell einen Plan parat, wusste, was er tun musste: Er musste die anderen beschützen.

Aber er war ein Versager, wenn es um den Umgang mit Menschen ging.

Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er sich einfach von Menschen fernhielt.

Er konnte nicht wissen, dass seine Worte für Vivien wie eine Belohnung dafür waren, dass sie gerade ihren ganzen Stolz über Bord geworfen hatte.

Die Hände immer noch halb um seinen Oberkörper geschlungen, machte sie einen halben Schritt zurück. Das war notwendig, um ein vernünftiges Gespräch führen zu können, denn in seinen Armen fühlte sie sich sicher und geborgen, und wenn man sich sicher und geborgen fühlte, dachte man nicht.

Sie sah zu ihm auf und fühlte ihre Wangen unwillkürlich vor Freude glühen, als sie seinen hochroten Kopf bemerkte.

[…]

Sie hob ihren Kopf, um Justin wieder in die Augen zu sehen. „Tut mir leid.“

Er schien gar nichts mehr zu begreifen.

Vivien lehnte ihren Kopf gegen sein Brustbein. „Ich war gemein zu dir.“

Justin konnte dieser Unterhaltung beim besten Willen nicht mehr folgen. Nicht zuletzt, da die Körpernähe zu Vivien seinen Kopf zwar mit reichlich Blut versorgte, gleichzeitig jedoch die Sauerstoffzufuhr seines Körpers kurzzeitig unterbrach und ein schwummriges Gefühl in seiner Stirn verursachte.

„Justin, wenn… wenn ich dich verletzen würde, würdest du mir dann wehtun wollen?“, fragte sie und sah erneut zu ihm auf.

Justin schüttelte entschieden den Kopf.

Das stimmte wohl. Er würde ihr nie wehtun, egal was sie ihm antäte.

Ein leicht trauriger Ausdruck erschien auf Viviens Zügen. Er war ein so viel besserer Mensch als sie es war. Auch dafür liebte sie ihn.

„Ich würde dir wehtun.“, gestand sie. „Sehr.“ Kummer und Sorge zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab. „Könntest du mir das verzeihen?“

Justin nickte verwirrt.

Wieder lehnte sie sich gegen ihn.

In diesem Moment wurde eine der Türen geöffnet und Viviens Mutter trat in die Diele.

„Huch!“

Vivien drehte sich halb zu ihr, während Justin zur Salzsäule erstarrt war.

„Wer –“

Justin war hochrot und brachte keinen Ton heraus. Endlich ließ Vivien seinen Brustkorb los und wandte sich vollständig zu ihrer Mutter um.

„Das ist Justin.“

„Ach ja! Ich habe ihn erst gar nicht erkannt.“

Ein freundliches Lächeln trat auf Frau Baums Gesicht. Sie hatte den Nachbarsjungen zwar kurz nach dem Einzug der Familie Boden getroffen, aber seither keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt, außer über die Beschreibungen ihrer Tochter.

„Ich habe schon sehr viel von dir gehört.“ Kurz hielt sie inne. „In der Tat sehr, sehr viel.“

Vivien kicherte.

„Entschuldigt. Ich wollte nicht stören. Ihr seid wohl vor den Kleinen geflüchtet. Die lassen euch sicher keine Minute allein. Aber im Keller ist es um diese Jahreszeit etwas kalt.“, sagte ihre Mutter, wohl mit Bezug auf die noch brennende Beleuchtung im Keller.

„Was rede ich da, euch wird sicher nicht kalt werden.“, lachte sie dann. „Lasst euch nicht stören.“ Mit diesen Worten verschwand sie wieder durch die Tür, aus der sie gekommen war.

Vivien kicherte nochmals. Wenn ihre Mutter Justin richtig gekannt hätte, wäre sie sicher nicht auf die Idee gekommen, dass sie beide in den Keller gehen wollten, um ungestört zu knutschen. Allein die Andeutung hätte Justin vermutlich in Ohnmacht fallen lassen.

Apropos.

Vivien drehte sich wieder zu ihm um. Wie erwartet hatte Justin die Augen weit aufgerissen und war noch immer ganz rot im Gesicht.

„Du hast keine Schuhe.“, sagte sie und riss ihn damit aus dem Delirium.

„Ja.“, bestätigte er kleinlaut.

„Warte, ich gebe dir welche von meinem Papa und gehe schnell mit dir rüber zu dir.“ Sie suchte im Schuhschrank nach einem passenden Paar. „Ich hoffe, du passt hinein.“

Sie reichte Justin ein Paar Joggingschuhe und erkannte, dass er ein Gesicht zog, als wäre ihm etwas schrecklich peinlich. „Das ist kein Problem, Justin. Wir gehen kurz zu dir und ich nehme die Schuhe dann wieder mit.“

„Ich habe keinen Schlüssel.“, presste er hervor.

In einer Mischung aus Mitleid und Rührung lächelte Vivien. Obwohl er weder Schuhe noch einen Haustürschlüssel dabei hatte, war er bei ihr geblieben, anstatt sich von Vitali nach Hause teleportieren zu lassen.

„Kein Problem. Ich gehe mit dir rüber und erkläre das Ganze.“

Justin schaute skeptisch.

Vivien bedeutete ihm, sich auf die Treppe, die ins Obergeschoss führte, zu setzen. Er folgte der Aufforderung und schlüpfte in die Schuhe.

Sie waren ein ganzes Stück zu klein, aber die kurze Strecke würde er es überleben. Besser als in Socken vor seiner Haustür zu stehen.

„Justin?“

Er sah zu Vivien auf, die vor ihm stehen geblieben war.  

„Danke, dass du bei mir geblieben bist.“ Sie beugte sich zu ihm, ihre warme Hand berührte sein Gesicht, dann spürte er wie ihre weichen Lippen auf seine Wange gepresst wurden.

Wen interessierten zu kleine Schuhe oder die Peinlichkeit, jetzt bei sich zu Hause klingeln und erklären zu müssen, was geschehen war?!!

Justin schwebte auf Wolke Sieben.

Vielleicht… ja vielleicht würde sie ihn irgendwann tatsächlich mögen. Vielleicht.

Dass Justin über den Kuss so erfreut war, machte Vivien glücklich, und so begleitete sie ihn grinsend zu seinem Haus hinüber.

Vor seiner Tür angekommen, nahm sie ihn nochmals bei der Hand. Sie sah im Augenwinkel, dass er sich verwundert zu ihr drehte, tat ihm aber nicht den Gefallen, ihm ihr Verhalten zu erklären.

„Du solltest klingeln.“

Beschämt nickte er und betätigte die Klingel.

Für Momente geschah nichts.

Vivien beugte sich an ihm vorbei und klingelte kurzerhand Sturm. Etwas, das Justin selbst nie im Leben gewagt hätte.

Endlich ging ein Licht jenseits der Tür an. Es dauerte weitere Momente, ehe eine genervte Jungenstimme fragte: „Wer ist da?“

„Ich bin’s.“, rang sich Justin durch zu sagen. „Justin.“

Der Schlüssel wurde gedreht und die Tür aufgezogen.

„Kannst du keinen Schlüssel mitnehmen?“, schimpfte Gary, ehe er mit einiger Verwirrung Viviens Anwesenheit bemerkte. Dann blieb sein Blick daran hängen, dass Vivien und Justin Händchen hielten.

Vivien lehnte sich absichtlich noch etwas näher zu Justin und legte ihm die noch freie Hand auf den Arm. „Entschuldige. Ich habe ihm vorhin nicht die Zeit gelassen, noch einen Schlüssel mitzunehmen. Ich bin manchmal etwas zu stürmisch.“ Kichernd warf sie einen lasziven Blick auf Justin, weil sie wusste, dass das ihren Worten in den Augen eines hormongesteuerten Jugendlichen eine ganz andere Bedeutung geben würde.

Dicker konnte sie leider nicht auftragen, weil sie wusste, dass Justin ihr Verhalten sonst wieder als Hohn fehlgedeutet hätte. Das hatte sie mittlerweile gelernt. Daher blieb sie absichtlich bei so subtilen Andeutungen, dass Justin sie nicht einmal als solche wahrnahm.

Gary indes hatte das Gesicht verzogen, als würde er die Szene nicht fassen können, was genau dem entsprach, was Vivien beabsichtigt hatte.

Aus ihren Gesprächen mit Justin auf dem Schulweg hatte sie herausgehört, dass Justins Bruder ihn öfters aufzog und nicht gerade dazu beitrug, dass Justin ein gesundes Selbstvertrauen entwickelte.

Als habe sie nur Augen für Justin, drehte sie sich wieder zu ihm. „Wir sehen uns morgen.“ Sie ließ Justins Linke los und griff mit beiden Händen nach seinem Kopf, um ihm einen weiteren Kuss zu geben, dieses Mal auf die Backe, weil sie aufgrund ihrer Größe auch auf Zehenspitzen und trotz ihres Versuchs, seinen Kopf mit den Händen etwas in ihre Richtung zu neigen, nicht ganz bis zu seiner Wange reichte.

Gerne hätte sie ihm auch noch etwas ins Ohr geflüstert, aber aus den gleichen Gründen konnte sie das leider nicht.

Sie drehte sich um und lief wieder zu ihrem Haus hinüber, ohne sich noch einmal umzuwenden.

 



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