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Washuleins Märchenstunde

Antimärchen einer andern Ebene
von

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Die Eiszapfen

Vor langer Zeit herrschte ein König voller Verblendung in einem Reich größer als von hier nach dort. Er sammelte viele Reichtümer und wollte besitzen, was schön und wohlgefällig das Auge umspielte und so schickte er immer wieder Minister, Händler, Diener und alles, was sein Hofstaat aufbringen konnte, in die Ferne aller Länder, um ihm die schönsten Reichtümer und die edelsten Kristalle, das teuerste Geschmeide, die weißeste Seide und das glänzendste Gold zu beschaffen, das zu bekommen möglich war.

Eines Tages kehrte einer seiner Händler wieder in das Reich des Königs zurück. Der Mann war vollkommen weiß am Körper und seine Lippen blau. Er fror und ihm wollte nicht warm werden. Sobald der König davon in Kenntnis gesetzt worden war, ließ er den Händler zu sich führen, damit er ihm sagen konnte, was ihm widerfahren sei und wo vor allem er gewesen war und was er auf seiner Reise für Reichtümer beschafft hatte.

Der Mann, der in fünf Pelzen gehüllt war und trotz allem immer noch fror, erzählte:

"Herr, ich war in der Region des eisigen Nordens, wo die Winde erbarmungslos sind und Massen von Schnee des Tags und des Nachts vom Himmel gehen. Ein schrecklich kaltes Land, doch waren die Bewohner freundlich, wennngleich sie fast selbst erfrieren. Sie bewirteten mich stattlich und erwiesen mir alle Formen der Gastfreundschaft.

Und in diesem Land steht ein Palast, der vollkommen aus Kristall ist, welches in der Sonne gar zu herrlich strahlt und schimmert. In seinem Innern steht eine Statue, die die schönste Frau der Welt darstellt, die ich je gesehen habe und auch sie ist wie der Palast aus diesem wunderschönen Kristall."

Kaum hatte der Mann seinen Bericht geschlossen, da ließ der König seine Sachen packen und zu einer Reise nach dem Norden vorbereiten. Er wollte den Kristall bestitzen, ihn abbauen und daraus für sich selbst einen noch viel schöneren Palast erbauen lassen.

Er brach noch am selben Tage auf und erreichte nach Wochen das kalte Land des Nordens. Auch er wurde gastfreundlich von den weißen Leuten empfangen und auch wurde er in den Palast geführt, vor die Statue und tatsächlich stellte diese die schönste Frau der Welt dar.

"Wer ist das?", wollte der König wissen.

"Das ist unsere Königin.", antwortete man ihm, "Die Eisprinzessin Mézedja."

Aber anstatt von ihrer Schönheit angetan und beeindruckt von dem Glänzen des Kristalls zu sein, wollte der König seinen Plan in die Tat umsetzen und er ließ seine Leute beginnen, aus dem Kristallpalast Stücke herauszubrechen und sie in sein Land transportieren zu lassen. Die Bewohner des Nordens sahen mit Schrecken dem zu und nach drei Tagen, sprachen die ersten zueinander:

"Was wäre nur, wenn unsere Königin dies verhindern würde?"

"Ja, sie. Aber sie will wohl noch auf den rechten Moment warten."

Bald schon war der halbe Palast abgetragen und die Sonne konnte nun ungehindert ins Innere des Palastes scheinen, da er schon längst kein Dach mehr hatte. Als nun der König, stolz über sein Werk, neben der Statue der Mézedja stand, in Vorfreude auf seinen neuen Palast, da rührte sich die Statue und die Eisprinzessin schritt auf ihn zu.

"Du nimmst mir meinen Palast, mein Heimstätte, König.", sprach sie.

"Ja, denn ich bin der mächtigste Herrscher von allen."

"Du tust mir schweres Leid damit an und deinem Land auch."

"Niemals werde ich dem Gewäsch deiner blauen Zunge zuhören."

Und die Mézedja nahm sein Gesicht in die Hände und küsste den König voller Inbrunst und verwandelte damit den Körper des Königs in Schnee und Eis.

"Nun kehre so zurück, denn nun teilst du das Schicksal deines Palastes."

Der König, der verzaubert nun war und es nicht spürte, dass er es war, ließ schnurstraks den Wagen anspannen und er brach in sein Reich wieder auf.

Dort angekommen erwartete ihn das Unheil. Der Palast, der der Sonne gleich schimmern und glänzen sollte, ward vollkommen zerschmolzen und hundert Flüsse eisiger Fluten waren über sein Land eingefallen und alle seine Reichtümer sowie seine Untertanen waren hinfortgeschwemmt worden.

In seinem Leid rief der König laut zum Himmel:

"Königin des Nordens! Eisprinzessin! Höre mich und mach dies ungeschehen! Mein Land, die Leute und ach mein Reichtum!"

"Ich will mit dir einen Handel schließen, König. So wie du einwilligst, sollst du alles wieder bekommen, aber nur dann.", antwortete ihm die Prinzessin, deren Gesicht sich in den Wolken zeigte.

"Ich tue es! Ich tue alles!", schwor darauf der könig.

"Ein Viertel des Jahres wird dein Land mir gehören und ich werde es einfrieren und mit herrlichem Schnee bedecken. In dieser Zeit darfst du deinen neuen Palast haben, aber regieren werde einzig ich."

Und der König willigte ein und der Pakt wurde geschlossen. Die Eisprinzessin Mézedja wandelte das Wasser in Schnee und ließ die peitschenden Winde des Nordens in das Land des Königs einfallen und Schwärme von Schneeflocken und Kristallen bedeckten Häuser, Felder und Wiesen. Der Palast des Königs wurde wieder errichtet und er bewohnte ihn das ganze Vierteljahr über, bis er im Frühjahr wieder zerschmolz und er in seinen vorherigen Palast, der nun durch den Zauber ein eisig Ort geworden war, zurückzog.

Und immer wenn der Schnee zerschmolz, so weinte sehnsuchtsvoll die Eisprinzessin, deren Tränen wie Eisspeere von den Häusern hingen, denn sie fürchtete die Sonne, da sie unter ihrem heißen Feuer den Tod finden würde und durch sie zudem einen Teil erobertes Land und Macht einbüßen musste.

Der König wusste von ihren Tränen und sah neidisch zu den kalten Tropfen, denn dies hatte allein sie ihm genommen; er konnte von da an nicht mehr weinen, war eigentlich nur ein Eiswesen, das lebte. Seine Menschlichkeit büßte er für einen Palast aus Kristall ein und jedes Jahr wenn die Eiszapfen, wie die Menschen die Tränen der Mézedja nannten, von den Dächern hingen, wurde er an seinen schlimmer Fehler erinnert, Jahr für Jahr, bis in alle Ewigkeit.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Shunya
2011-09-27T14:32:56+00:00 27.09.2011 16:32
Ich habe mir alle Märchen durchgelesen und bin wirklich beeindruckt! :)
Du hast die Geschichten gut beschrieben und die Ideen sind durchaus sehr einfallsreich.
Besonders gut haben mir die letzten beiden Märchen gefallen. Jetzt weiß ich endlich den Grund, für den Winter. XD lol
Gibt es nur fünf Märchen oder kommt da noch mehr? O.o


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